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Reiseerzählung von Dr. Karl May.

In Kairo.

Zufall oder Schickung? Lieber Leser, was von diesen beiden ist wohl richtig? Hoffentlich gehörst Du nicht zu denjenigen, welche an den ersteren glauben, sondern zu denen, welche wissen, daß, wie die heilige Schrift sagt, kein Haar ohne „Seinen“ Willen von unserem Haupte fällt.

Wie oft habe ich während meiner vielen Reisen an mir selbst erfahren, daß eine allweise Hand meinen Weg ganz anders lenkte, als es mein Wille war, und zwar stets zu meinem Glücke! Wie oft wurde ich aus einer mißlichen oder gar gefährlichen Lage durch einen ganz geringfügigen Umstand befreit oder errettet, den ein Anhänger der Zufallslehre geradezu für eine Unmöglichkeit erklären würde, der mir aber ein Wink von oben war, dem ich zu folgen hatte! Ein kurzes, schnell vorübergehendes Ereignis, welches ohne alle Bedeutung zu sein schien, eine rasche, impulsive That, scheinbar von nicht dem geringsten Werte, ein gelegentliches Wort, welches ich schon einige Augenblicke später vergessen hatte, trat plötzlich nach Jahren und in einem ganz andern, fernliegenden Lande mit seinen Folgen bestimmend oder erlösend vor mich hin, so daß mir wie ein Lichtstrahl die Erkenntnis kam, daß die gerechte Vorsehung jede That und jedes Wort des Menschen verzeichnet und die belohnende oder bestrafende Wirkung desselben im geeigneten Augenblicke eintreten läßt. Wie viele Thaten würden nicht geschehen und wie viele Worte würden nicht gesprochen, wenn alle Menschen der Ueberzeugung wären, daß alles, was sie erleben, reden oder thun, nicht unter der Herrschaft des sogenannten Zufalles steht, sondern unter einem höheren, weisen Gesetze, welches ebenso die Sonnen am Firmamente wie den Flug des kleinsten Käfers lenkt!

Zufall oder Schickung? Auf diese Frage soll das, was ich jetzt erzählen will, die Antwort geben, daß alles, was man einen Zufall nennt, nicht Zufall, sondern eine Wirkung dieses Gesetzes ist.

Ich war in der nubischen Wüste gewesen und kehrte nach Kairo zurück, um zunächst, was mein Aeußeres betraf, einen andern, neuen Menschen aus mir zu machen. Die Art, wie ich reise, bringt es mit sich, daß ich mich nicht mit großer Ausstattung und strotzendem Geldbeutel auf der großen, belebten Heerstraße bewege. Ich suche Gegenden auf, die fernab davon liegen, und da ist es mit den „Hilfsmitteln“, selbst wenn man sie besitzt, sehr bald zu Ende; sie haben allen Wert verloren, und zur Geltung kommt allein nur die Person, also das, was man ist und was man kann.

Infolgedessen befand ich mich bei meiner Rückkehr äußerlich in einem Zustande, den man im Volksmunde mit den allerdings sehr unästhetischen Worten „zerrissen und zerlumpt“ zu bezeichnen pflegt. Das darf ich aufrichtig gestehen, weil es für einen Mann, der sich so lange Zeit unter den Völkerschaften des obern Nil herumgetrieben hat, ganz unausbleiblich und also keine Schande ist. Ich freute mich darum auf meinen großen, vollen Koffer, dessen Inhalt mehr als hinreichend war, mich vollständig neu auszustatten. Ich hatte ihn Ben Musa Effendi, meinem Gast­freunde, in Verwahrung gegeben, bei dem ich vor meinem Aufbruche -

Aufbruche nach Süden drei Wochen gewohnt hatte. Dieser Ben Musa Effendi war ein außerordentlich ehrlicher Mann, dem ich ein ganzes Vermögen hätte anvertrauen können, und so war ich nicht wenig überrascht, als ich seine Wohnung leer fand und von den Nachbarn erfuhr, daß er ganz plötzlich verschwunden sei und keinem Menschen gesagt habe, wohin er gehe. Zu dieser Ueberraschung gesellte sich die Betroffenheit, denn mein Koffer war mit ihm verschwunden.

Ich stand da und sah sehr trüben Blickes an mir nieder. Wie sah mein Anzug aus! Und im Koffer lag ein vollständig neues Habit! Aber nicht bloß das, sondern es befanden sich darin auch meine Wertpapiere, die ich jetzt in bare Münze hatte verwandeln wollen. Sie repräsentierten zwar keine große Summe, denn ich bin all mein Lebtage kein mehrfacher Millionär gewesen, aber doch einen für meine Zwecke hinreichenden Betrag.

Was nun thun? Zu dem Vertreter meiner Heimat gehen und Reisegeld leihen? Nein, das lag nicht in meiner Art. Hadschi Emir Kara Ben Nemsi „pumpt“ sein Vaterland nicht an! Ben Musa Effendi ist ein ehrlicher Mann und muß wieder auf der Bildfläche erscheinen. Ich werde nach ihm suchen!

Aber wie und wovon leben, bis ich ihn gefunden habe? Von meinem „Rettungsgelde“ natürlich. Ich trage nämlich auf allen meinen Reisen einige eingenähte Goldfüchse bei mir, welche für unvorhergesehene Fälle meinen „eisernen Fonds“, mein Rettungsgeld bilden, mein Derahim el Kefahle, wie der Araber sagt. Zehn Zwanzigmarkstücke, das reichte schon eine Weile. Freilich durfte ich mich da nicht im Hotel d’Orient einlogieren und mich auch noch nicht von meinem jetzigen Anzuge trennen.

Ich suchte mir zunächst ein billiges Quartier und fand es bei einem Pfeifenreiniger, welcher unverheiratet war und zwei kleine Räume innehatte, von denen er mir den einen gegen einen ganz geringen Betrag abtrat. Sein nicht ganz geruchloses Geschäft bestand darin, von Haus zu Haus, von Kunden zu Kunden zu gehen, um die Köpfe und Rohre der Tabakspfeifen auszuputzen. Das ist zwar keine hervorragend geistreiche und staatserhaltende Beschäftigung, aber sie verfolgt doch einen gewissen Zweck und kam mir als Mieter nebenbei sehr zu gute, denn das höchst lobenswerte Prinzip der Reinlichkeit, welches seinem nützlichen Berufe zu Grunde lag, machte sich auch in seiner Wohnung geltend. Er verwendete seine freien Stunden in ganz und gar nicht orientalischer Weise darauf, die Diele zu scharren, die Wände abzukratzen, alle Winkel auszuwischen, die Decke, auf der er schlief, wie ein Wütender zu bearbeiten und seinen thönernen Tiegel blank zu lecken. Diese Decke und dieser Tiegel bildeten nämlich die einzige Ausstattung seines trauten Heimes.

Bei dieser sich täglich mehrmals wiederholenden Reinigung unserer beiden „Salons“ konnte natürlich kein Stäubchen aufkommen, und infolge des Lärmes, den er dabei machte, waren alle diejenigen Tierchen ausgerissen, welche man zu den beißenden und stechenden Insekten rechnet und die in den Wohnungen und den Kleidern der Morgenländer eine so große Rolle spielen. Ich habe jenseits des Mittelmeeres nie so sauber und insektenlos gewohnt, wie bei diesem braven Ausputzer der muhammedanischen Tabakspfeifen.

Aber leider keine Rose ohne Dornen! Der

Dorn in der lieblichen Rose unsers Wohlbefindens war ein alter Nachbar, welcher uns allabendlich besuchte, um seinen Tschibuk bei uns zu rauchen und dazwischen einige Knoblauchzwiebeln zu verzehren. Wie er eigentlich hieß, das hatte ich nicht erfahren können; er wurde von allen, die ihn kannten, nur esch Schahad, der Bettler genannt. Damit ist gesagt, wovon er lebte.

Esch Schahad zog nicht etwa bettelnd in der Stadt herum; o nein, zu den armseligen Proletariern, die dies thaten, gehörte er keineswegs! Er hatte einen „Stand“, und zwar was für einen! Dieser Stand war der beste Platz, den es für sein Gewerbe in ganz Kairo gab; er brachte ihm nicht nur Almosen in Hülle und Fülle ein, sondern dazu auch noch eine Art von Heiligenschein, der ihn hoch über alle seine Erwerbsgenossen erhob.

Wer in Kairo gewesen ist und sich nur einigermaßen in der Stadt umgesehen hat, dem ist ganz gewiß das Binnenthor Bab Zuweileh bekannt, welches nach auswärts einen Spitzbogen in hoher Wand bildet und nach der innern Stadt eine rot und weiß gebänderte Bastion vorschiebt, auf der die Minarehs der benachbarten Moscheen sitzen. An diesem Thore stand oder saß esch Schahad vom Morgen bis zum Abende, und kein gläubiger Muhammedaner, der vorüberging, versäumte es, sich durch ein Almosen unter den ganz besonderen Schutz Allahs und der Geisterwelt zu stellen.

Im Kopfe des Moslem wimmelte es von Djinns, Geistern und andern unbegreiflichen Wesen, die zwischen Himmel und Erde und zumal in den Märchen leben und einen großen Einfluß auf den Menschen haben. Diese unsichtbaren Wesen fliegen und schweben in so großer Anzahl umher, daß man kein Wasser ausschütten und nichts wegwerfen darf, ohne vorher „Mit Erlaubnis!“ zu rufen, weil man sonst einen Geist auf den Kopf treffen und damit seine Rache herausfordern könnte. Der berühmteste und mächtigste unter den Geistern Kairos aber wohnt in dem Bab Zuweileh und hat seinen Aufenthalt in einem kleinen Raume des östlichen Thorweges, der durch den hölzernen Thorflügel verdeckt wird.

Dieser Geist ist der berühmte „Kutb“, welcher fast die Allmacht Allahs besitzt. Er kann in einem einzigen Augenblicke um die ganze Erde fliegen; er hört alles, sieht alles und kann alles. Wer es mit ihm verdirbt, der ist verloren, und wer sich seine Gunst erwirbt, der kann auf die Erfüllung aller Wünsche rechnen. Dieser Kutb hat Macht über alle frommen Moslemim, mögen sie wohnen, wo sie wollen, in dem westlichsten Winkel der Sahara oder tief im Osten bei den Chinesen; er kennt sie alle und ist auch ihnen allen bekannt, wenn ihn auch noch keiner gesehen hat. Will er einmal in sichtbarer Gestalt erscheinen, so geschieht das in der Gestalt des Bettlers, der sein Diener und sein Vertrauter ist. Man kann sich also denken, wie hochwichtig und wie wertvoll der Bettlerplatz am Thore Zuweileh ist! Esch Schahad hätte ihn nie freiwillig hergegeben und um seinen Besitz mit jedem Konkurrenten bis auf den Tod gekämpft. Welche Ehren genoß er da! Kein Moslem ging an ihm vorüber, ohne die Fatcha, die erste und einleitende Sure des heiligen Kuran zu beten! Und wer einen Wunsch, eine Bitte an den Kutb hatte, der blieb stehen, um sie in lauten, flehenden Worten auszusprechen. So erfuhr der Bettler manches Geheimnis,

Der Kutb.
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welches er in seiner verschwiegenen Brust verschlossen hielt.

Also dieser hochwichtige Mann war der Dorn in unserer Rose! Er kam alle Abende so sicher wie der Abend selber, rauchte seinen fürchterlichen Tabak oder kaute seinen ebenso genußreichen Knoblauch und sprach dabei von allen möglichen Dingen, aber nur nicht von dem Kutb, über den ich doch so gern etwas Näheres erfahren hätte. Das war sein Amts- oder vielmehr Geschäftsgeheimnis. Er duftete nach allen möglichen Gerüchen, die einem Bettler anhaften können, und paßte nicht in unsere reinliche Behausung, wurde aber trotzdem von meinem Wirte geduldet, weil er der Nachbar desselben und ihn durch seine Besuche gewohnt geworden war. Auch ich war ihm nicht unbekannt, denn ich hatte ihm früher, so oft ich durch das Bab Zuweileh und an ihm vorübergegangen war, stets ein Geschenk gegeben, und da meine Kleidung diejenige eines Europäers gewesen war, hatte er sich über diese Gaben gewundert und sich mein Gesicht gemerkt. Als er mich dann zum erstenmal in meiner jetzigen Wohnung traf, war er zugleich verwundert und erfreut darüber und fragte mich, warum ein solcher Effendi gezwungen sei, bei einem „Manne der Pfeifenreinigung“ zu wohnen. Ich hatte keinen Grund, ihm die Auskunft zu verweigern, und er nahm solchen Anteil an mir, daß er mir versprach, den Kutb zu befragen, wohin der verschwundene Ben Musa Effendi mit meinem Koffer gekommen sei. Leider aber verging ein Tag nach dem andern, ohne daß der sonst so allwissende Geist sich herbeiließ, die erbetene Antwort zu erteilen. Ich hielt das für eine unverantwortliche Rücksichtslosigkeit, zwar nicht gegen mich, aber doch gegen den Bettler, der sein Diener und Vertrauter war.

So vergingen zwei Wochen, ohne daß ich eine Spur von Ben Musa Effendi entdeckte; das Schicksal entschädigte mich dafür dadurch, daß mir esch Schahad seine ganz besondere Zuneigung schenkte; ich bemerkte, daß er mich von Tag zu Tag lieber und lieber gewann, und es kam mir zuweilen so vor, als ob er etwas auf dem Herzen habe, was er mir gern anvertrauen wolle, was sich aber weigere, ihm über die Lippen zu gehen. Aus den verschiedenen Fragen, mit denen er um diesen Gegenstand „herumging“, schloß ich, daß es etwas Aerztliches sein müsse; es wurde ihm aber außerordentlich schwer, es auszusprechen. Wäre er verheiratet gewesen, so hätte ich geschlossen, daß es sich um seinen Harem handle.

Da, eines Abends, zwang er sich endlich zu dieser Mitteilung; nur sprach er sie nicht unvermittelt aus, sondern er steuerte auf einem Umwege auf sie los, indem er sich erkundigte:

„Hast Du heute wieder nichts von diesem Ben Musa Effendi erfahren?“

„Nein,“ antwortete ich.

„Er ist vielleicht doch ein Dieb!“

„Gewiß nicht; er ist ein ehrlicher Mann.“

„Da hätte er Deinen Koffer stehen lassen müssen!“

„Das wäre unvorsichtig gewesen; er durfte ihn andern Leuten nicht anvertrauen.“

„So mußte er bei seinem Fortgange sagen, wohin er gehen wollte!“

„Er hatte wahrscheinlich wichtige Gründe, gerade dies zu verschweigen. Hat Dir der Kutb, der mächtige Geist des Bab Zuweileh, auch noch keine Auskunft darüber erteilt?“

„Nein.“

„Das wundert mich eigentlich, denn Du bist sein Liebling, und er ist allwissend.“

„Ja, Effendi, er weiß alles und kann alles; aber es ist sehr leicht zu erklären, warum er schweigt.“

„Nun, warum?“

„Er ist nur für die wahren Gläubigen da; Du aber bist ein Christ.“

„Das ist gar nicht lieb von ihm. Wenn wir Christen an solche Geister glaubten, würden diese mit ihren Wohlthaten gewiß keinen Unterschied zwischen uns und Euch machen.“

„Wie, Ihr glaubt nicht an solche Wesen?“

„Nein.“

„Ihr habt also auch keinen Kutb?“

„Nein.“

„Das ist sonderbar, die Christen sind doch sonst so kluge Leute; besonders Du, Effendi, bist gelehrt in allen Dingen. Du warst in allen Ländern und bei allen Völkern; Du kennst alle Steine, alle Pflanzen, alle Wege und Flüsse, alle Berge und Thäler und alle — — — o, Effendi,“ unterbrach er sich, „sag’ mir, ob Du wohl auch alle Krankheiten kennst!“

„Ja,“ antwortete ich, denn die Namen der Krankheiten waren mir allerdings bekannt.

„Und auch die Mittel, mit denen man diese Krankheiten heilt?“

„Allah allein ist allwissend; er allein kennt alles; des Menschen Wissen ist nur Stückwerk; aber ich gebe zu, daß die Bewohner des Abendlandes in dieser Beziehung mehr, weit mehr wissen, als diejenigen des Morgenlandes.“

„So möchte ich Dir eine Frage vorlegen.“

„Thue es! Ich will doch nicht befürchten, daß Du selbst an einer Krankheit leidest?“

„Ich nicht,“ antwortete er zögernd.

„Wer denn?“

„Ich — — habe — — einen Freund,“ dehnte er in der Weise, in welcher man spricht, wenn man nicht recht weiß, ob man die Wahrheit sagen soll oder nicht.

„Und dieser Freund ist krank?“

„Er selbst auch nicht.“

„Also ein Glied seiner Familie?“

„Ja, so ist es.“

„Wer?“

„Man darf nicht davon sprechen, Effendi.“

„Dann kann ich auch nicht helfen. Wer eine Krankheit beseitigen soll, der muß unbedingt wissen, wer der Kranke ist.“

„Auch wenn es sich um den Harem handelt?“

„Selbst dann.“

„So erfahre, daß es sich allerdings darum handelt. Es ist die junge Haremeh 1) meines Freundes.“

„Ist’s die Frau oder die Tochter?“ fragte ich in sonst verbotener Weise.

„Allah! Mußt du das wissen?“

„Ja.“

„Es ist die Tochter,“ antwortete er mit einem tiefen, mich anklagenden Seufzer.

„Und worin besteht die Krankheit?“

„O, Effendi, ich habe nicht geglaubt, daß Allah Dich mit so großer Neugierde ausgerüstet hat!“

„Wenn Du nicht sagen willst, was es ist, so kann der Kranken nicht geholfen werden. Sprechen wir also nicht davon.“

Ich wendete mich ab, als ob ich nichts mehr hören wolle, da fiel er schnell ein:

„Halt, Effendi! Ich werde es Dir doch sagen, denn diese Krankheit ist ein Schandmal ihrer Schönheit und ein großes Hindernis ihrer Verheiratung. Sie weint Tag und Nacht darüber und ihr Vater und ihre Mutter grämen sich zu Tode.“

„Haben sie denn noch keinen Arzt gefragt?“

„Alle, alle! Ihr Vater war bei den berühmtesten Zauberern und Gelehrten; sie alle haben Mittel gegeben, welche viel Geld kosten, aber keines hat geholfen.“

„Also ein Schönheitsfehler. Wie heißt er?“

1) Haremsbewohnerin.

„Mein Mund sträubt sich dagegen, ihn zu nennen. Kannst Du es nicht erraten?“

„An welcher Stelle des Körpers befindet er sich?“

„Vorn am Halse. O Muhammed, o Abubekr! Gerade vorn am Halse, wo er so leicht zu sehen ist! Könnte er nicht lieber auf dem Rücken sein? Warum hat es Allah so eingerichtet, daß die Krankheiten immer an der falschen Stelle sitzen!“

„Das hat er zum Besten der Kranken so gefügt. Wenn der Schönheitsfehler, den du meinst, auf dem Rücken säße, störte er weniger und würde nicht kuriert.“

„Du ahnst also, was es ist?“

„Ja; es ist ein Ghodda.“ 1)

„Maschallah! Du hast es erraten. Ihr Ungläubigen seid doch kluge Menschen!“

„Wie groß ist er?“

„So groß wie meine Faust. Möge er in der tiefsten Hölle braten!“

„Und wie alt ist die Tochter?“

„Erst fünfzehn Jahre! Und einen Ghodda, so groß wie meine Faust! Denke Dir mein Herzeleid?“

„Dein Herzeleid?“

„Nein, nein,“ rief er schnell. „Ich meine das Herzeleid meines Freundes, welches allerdings auch mir zu Herzen geht. Sag’, o sag’, Effendi, ob so ein entsetzlicher Ghodda zu kurieren ist?“

„Er ist zu heilen.“

„Und kennst Du das Mittel?“

„Ja.“

„Wie heißt es? Teile es mir schnell mit!“

„Es giebt verschiedene Mittel, je nachdem die Krankheit verschieden ist. Es giebt nämlich drei Arten des Kropfes. Die beiden ersten Arten heilen die abendländischen Aerzte durch eine Arznei, welche Jod genannt wird; im Morgenlande giebt man ein Mittel, welches aus Dura beda, gebranntem Sfunga und Fulful 2) zusammengesetzt ist.“

„Willst Du meinem Freunde dieses Mittel bereiten, wenn ich Dich darum bitte, Effendi?“

„Nein.“

„Allah!“ rief er erstaunt. „Ich denke, Du hast mich lieb! Und Du schlägst mir diese Bitte ab!“

„Weil ich nicht leichtsinnig sein will. Ich muß wissen, von welcher Art der Ghodda ist, sonst könnte ich die Gesundheit der Patientin schwer verletzen.“

„Wie willst Du das erfahren?“

„Ich muß den Ghodda sehen und untersuchen.“

„Ia dschasara, ia kystachla — o Kühnheit, o Verwegenheit! Du willst den Hals dieser Tochter betasten?“

„Ich muß es, wenn ich ihr helfen soll.“

„Weißt Du nicht, daß kein Mann den Harem betreten darf? Am allerwenigsten ein Christ!“

„Das ist auch nicht notwendig. Dein Freund mag die Tochter hierherbringen.“

„Damit Du Deine Hand an ihren Ghodda legst?“

„Ja.“

„Das geht nicht; das ist ganz unmöglich! Wie könnte man das vor Muhammed und allen seinen Nachkommen verantworten!“

„Ganz wie Du denkst! Die Tochter mag also ihren Ghodda, das Hindernis ihres Glückes, behalten.“

Dabei blieb ich; er aber beruhigte sich nicht und fing immer wieder von dem Schönheitsfehler an, beharrte aber doch dabei, daß ein

1) Kropf, Struma.
2) Sorghum, gebrannter Schwamm und Pfeffer.
Der Kutb.
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Christ unmöglich eine Muhammedanerin berühren dürfe. Da kam ich endlich auf einen vermittelnden Einfall:

„Höre, Schahad, Du befindest Dich in einem großen Irrtum. Gehört denn der faustgroße Ghodda eigentlich zum Körper der Tochter deines Freundes?“

„Nein. Er ist sogar höchst überflüssig; er soll weg!“

„Wenn ich ihn berühre, berühre ich da den Körper, zu dem er nicht gehört?“

„Maschallah! Gottes Wunder! Das ist ja wahr! Und Du glaubst, ihn heilen zu können?“

„Ja.“

„So werde ich vielleicht mit meinem Freunde sprechen. Ich will es mir heut nacht überlegen. Ich gehe jetzt fort, augenblicklich fort. Leïltak sa ’ide — gute Nacht!“

Er sprang auf und eilte hinaus.

Mein Wirt blickte ihm lächelnd nach und fragte mich:

„Hast Du gesehen, wie aufgeregt er war, Effendi?“

„Ja.“

„Und hast Du gehört, wie er sich versprach?“

„Er sprach allerdings von seinem Herzeleid, nicht von dem seines Freundes.“

„O, er hat gar keinen Freund; er verkehrt ja nur mit mir und Dir. Sollte man da nicht meinen, daß es sich um seine eigene Tochter handle?“

„Hm! Es ist rätselhaft. Er nimmt viel Geld ein; er ist reich, und ich halte es für möglich, daß er einen Harem hat, ohne es wissen zu lassen.“

„Ja. Warum läßt er keinen Menschen zu sich? Nicht einmal mich? Er hat ein Geheimnis. Daß er reich ist, habe auch ich schon gedacht, denn er bekommt am Bab Zuweileh täglich sehr viel Geld geschenkt. Ich habe ihn einmal zufällig in einem schönen, seidenen Kaftan und mit einem neuen, prächtigen Turban gesehen; er hatte sich gewaschen und sah ganz anders aus als sonst, fast wie ein vornehmer Herr. Ich redete ihn an; er aber wollte mich nicht kennen und eilte fort. Ich bin sehr neugierig, was er morgen sagen wird.“

Der gute Pfeifenreiniger war nicht der einzige Neugierige; ich war es auch. Ich hegte die Ueberzeugung, daß unter der schmutzigen Hülle des Bettlers ein Mann von mir allerdings jetzt noch unbekannter Bedeutung steckte. Als er am nächsten Abende kam, brachte er die Rede zunächst auf ein anderes Thema:

„Effendi, hast Du Deinen Koffer noch nicht entdeckt?“

„Nein.“

„Das ist sehr beklagenswert für Dich und mich.“

„Warum?“

„Weil Du ohne den Koffer nicht fort kannst von hier.“

„Freilich! Aber das klingt ja ganz so, als ob Du meine Abreise wünschtest!“

„Ich wünsche sie auch.“

„Und ich habe gedacht, Du seiest mein Freund!“

„Der bin ich auch; aber gerade deshalb will ich, daß Du nicht lange mehr hier bleibst.“

Das klang sonderbar. Dabei war sein Gesicht -

Gesicht sehr ernst; es hatte einen ganz eigenen Ausdruck, der mir auffallen mußte.

„So giebt es wohl einen Grund, der Dir diesen Wunsch eingiebt?“ fragte ich.

„Ja.“

„Welcher ist es?“

Er sah schweigend vor sich nieder und antwortete erst auf eine Wiederholung meiner Frage:

„Ich darf es Dir nicht sagen.“

„Höre, Schahad, wenn ich mir Deine Worte zurecht lege, kann ich nicht anderes annehmen, als daß Du der Ansicht bist, daß ich hier etwas zu erwarten habe, was mir nicht lieb sein kann.“

„Da hast Du das Richtige getroffen, Effendi.“

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„Das ist sie, die Tochter meines Freundes,“ sagte er. „Sie wird Dir
jetzt den Ghodda zeigen.“

„Dann ist es deine Pflicht, offen gegen mich zu sein.“

„Es giebt noch eine höhere Pflicht, welche mir das verbietet.“

„Droht mir etwas Unangenehmes?“

„Etwas noch Schlimmeres.“

„Etwa gar eine Gefahr?“

„Ja.“

„Von wem? Von welcher Seite?“

„Darüber muß ich schweigen.“

Was hatte er nur? Ich drang noch einige Male in ihn, konnte aber nichts Näheres erfahren; er teilte mir schließlich, und zwar ganz widerstrebend, nur das mit, daß die Verhältnisse, welche mich bedrohten, politische seien. Ich mußte unwillkürlich laut auflachen.

„Du lachst!“ rief er aus. „Glaubst Du meinen Worten nicht?“

„Hm! Ich halte Dich für einen wahrheitsliebenden Mann; Du wirst also glauben, mir die Wahrheit zu sagen, aber Du wirst Dich irren.“

„Ich irre mich nicht; ich weiß, was ich weiß.“

„Unmöglich! Ich habe mit der Politik ja gar nichts zu thun.“

„Sehr viel sogar, Effendi!“

„Das müßte ich doch wissen!“

„Nein. Der Vogel hat mit der Schlange ja auch nichts zu thun, und sie kommt dennoch und frißt ihn auf.“

„Das ist etwas ganz anderes. Die Politik ist gerade dasjenige, was mir am fernsten liegt. Wie kann mir von daher Gefahr drohen? Ich beschäftige mich daheim nicht mit ihr, hier noch viel weniger.“

„Allah! Du willst mich nicht hören, und ich wiederhole dennoch meine Warnung.“

„Warnung sagst Du? So ist die Gefahr, welche mir nach Deiner Ansicht droht, eine große?“

„Ja. Es kann sich um Dein Leben handeln.“

„Maschallah! Welcher ägyptische Politiker kennt mich? Welcher von diesen Herren trachtet mir nach dem Leben?“

Er machte eine Bewegung der Ungeduld und rief heftig aus:

„Willst Du mich denn wirklich zwingen, zu sagen, was ich nicht sagen darf? Es handelt sich gar nicht persönlich um Dich!“

„Und doch ist meine Person in Gefahr? Du widersprichst Dir selbst.“

„Nein. Ich meine, es handelt sich nicht um Dich allein.“

„Um wen noch?“

„Um alle Europäer.“

„Ah! Stehen alle Europäer in Gefahr?“

„Ja.“

„Schahad! Das klingt ja ganz so, als ob es sich um eine Verschwörung gegen die Ausländer handle, welche hier leben!“

„Ich sage nichts.“

„An so etwas ist aber gar nicht zu denken.“

„Nicht?“

„Nein. Es ist ja hier im Lande alles ruhig. Es hat zwar vor einiger Zeit hier gegährt; aber das ist vorüber, seit der Khedive im vorjährigen Juli das Liquidationsgesetz unterzeichnet hat.“

„Nur der Seemann sieht es dem heitern Himmel an, daß trotz dieser Heiterkeit ein Sturm im Anzuge ist. Du bist ein Laie. Nun aber habe ich genug gesprochen. Du hörst weiter kein Wort von mir!“

„Hm! Du meinst es jedenfalls gut, und ich danke Dir. Aber Du hast weit mehr gesagt, als Du weißt.“

„Wieso, Effendi?“

„Wenn Deine Warnung einen Grund hat, so kann es sich, wie gesagt, nur um eine Verschwörung, um einen Aufstand handeln; Du mußt davon wissen und gehörst also zu den Verschwörern!“

„Allah ’l Allah, was fällt Dir ein! Wie kann ein armer Schahad ein Verschwörer sein? Solche Leute müssen Männer von Einfluß und Bedeutung sein; ich aber lebe von den Almosen der Mildthätigen. Sprechen wir von etwas anderem! Ich soll Dich grüßen, Effendi.“

„Von wem?“

„Von meinem Freunde.“

„Ah? So hast Du mit ihm gesprochen?“

„Ja.“

„Was sagte er?“

„Du sollst jetzt erfahren, wie lieb ich Dich

Der Kutb.
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habe und welches Vertrauen ich in Dich setze. Mein Freund ist ein strenggläubiger Moslem, der seinen Harem heilig hält. Als ich ihm sagte, was ich gestern mit Dir besprochen habe, war er empört über so eine Zumutung — —“

„Ich habe ihm nichts zugemutet,“ fiel ich ihm in die Rede. „Mir liegt nichts an der Heilung seiner Tochter, die mir vollständig fremd ist. Mag sie ihren Ghodda behalten!“

„Werde nur nicht gleich zornig, Effendi! Ich habe Dich doch mit dem Worte Zumutung gar nicht beleidigen wollen. Er wünscht allerdings sehr, daß diese Verunzierung der Gestalt verschwinde, und ich sagte ihm, daß dieser schlimme Ghodda mit der Zeit noch viel größer werden könne.“

„Das ist sehr richtig; er wird immer größer.“

„Ia semaji, ia robaji, hijarani — o mein Himmel, mein Schreck, mein Entsetzen! Wer möchte das mit ansehen! Er war ganz unglücklich, als er dies hörte, und seine Tochter, welche die Freude und der Glanz seines Alters ist, weinte vor Kummer. Da erklärte ich ihm, daß der Ghodda gar nicht zu ihrem Körper gehöre, was ihn sofort beruhigte. Er zeigte sich bereit, Dir zu erlauben, den bösen Ghodda zu berühren.“

„Wann?“

„Schon heut abend.“

„Wo? Ich soll zu ihm kommen?“

„Nein; er wünscht, daß es hier geschehe.“

„So wird er mit seiner Tochter kommen?“

„Auch das nicht. Sein Stand verbietet ihm, hierher zu gehen. Er hat mich beauftragt, seine Stelle zu vertreten. Wenn Du es erlaubst, werde ich jetzt gehen, um die Tochter zu holen.“

„Ganz wie du willst, Schahad.“

„Vorher muß ich Dir sagen, daß Dich eine große Belohnung erwartet, wenn es Dir gelingt, die Tochter von dem Makel ihrer Schönheit zu befreien.“

„Ich thue es Dir zu Gefallen und verlange nichts dafür.“

Er ging. Als er hinaus war, sah mich mein Reiniger der Pfeifen bei offenem Munde mit großen Augen an.

„Was sagst Du dazu, Effendi?“ fragte er. „Ist das ein Wunder oder keins?“

„Es ist kein Wunder, sondern nur Vaterliebe und Eitelkeit.“

„Er aber ist der Vater!“

„Natürlich!“

„So hat er einen Harem, also ein Haus?“

„Ja. Der Freund ist er selbst. Denn wenn dieser Freund eine so hohe Stellung hätte, daß er ihretwegen nicht zu uns gehen dürfte, so würde sie ihm noch viel mehr verbieten, seine Tochter einem Bettler anzuvertrauen, noch dazu des Abends.“

„Aber wo hat er seinen Harem, sein Haus? In der Ruine nebenan, wo er sich aufhält, wenn er nicht beim Thore Zuweileh sich befindet, kann er nicht mit Weib und Tochter wohnen. Er ist wirklich etwas ganz anderes als ein Bettler; er hat Heimlichkeiten, sage ich Dir, vielleicht ganz wichtige Heimlichkeiten. Mit welcher Ueberzeugung und Sicherheit er Dich warnte!“

„Pah! Wer weiß, was er gehört hat, und nun giebt er einem wahrscheinlich ganz harmlosen Worte grundfalsche Bedeutung.“

„Es könnte aber doch etwas an der Sache sein!“

„Nein.“

„Bedenke doch, wenn er wirklich kein bloßer Bettler, sondern ein ungewöhnlicher, geheimnisvoller Mensch ist, so solltest Du von seiner Warnung anders denken!“

„Warten wir es ab.“

Der Schahad war noch keine ganze Viertelstunde fort, so kehrte er zurück; eine tiefverhüllte weibliche Gestalt folgte ihm.

„Das ist sie, die Tochter meines Freundes,“ sagte er. „Sie wird Dir jetzt den Ghodda zeigen. Der Reiniger der Pfeifen aber mag sich umdrehen, denn sein Auge darf nicht auf die Stelle der Schönheitstrauer fallen.“

Der Wirt kauerte sich so in die Ecke nieder, daß er uns seinen Rücken zukehrte. Die Frauengestalt bekam in der Gegend des Halses Bewegung; ihre Hände schoben die zwei Teile des Schleiers ein ganz, ganz klein wenig auseinander, und so entstand eine kleine Lücke, in welcher der unwillkommene Gegenstand der „Schönheitstrauer“ erschien. O weh, es war kein Kröpfchen, sondern wirklich ein Kropf! Man konnte es der „Tochter des Freundes“ nicht übelnehmen, daß sie ihn fortwünschte. Ich näherte meine Hand und untersuchte ihn so leise und schonend wie möglich. Wie freute ich mich, als ich fand, daß es weder ein Gefäß- noch ein gelatinöser Kropf, sondern eine Struma cystica war! Da konnte ich gleich helfen, denn hier handelte es sich nur um die Eröffnung und Entleerung der Anschwellung.

Als der Bettler sah, daß ich mit der Untersuchung fertig war, sagte er:

„Das ist rasch gegangen, Effendi. Glaubst Du, daß du helfen kannst?“

„Ja. Ich habe das Mittel sogar drin in meiner Stube und werde es holen, um die Stelle des Kummers damit zu bestreichen. Es wird ein klein wenig schmerzen, doch gar nicht sehr. Wenn die Tochter Deines Freundes still hält, wird ihr Hals bald dem des Schwanes gleichen.“

„Sie wird stillhalten; ich verspreche es Dir. Hat doch die Lieblingsfrau des Propheten auch nicht gezuckt, als ihr ein kranker Finger aufgeschnitten wurde.“

Ich ging in meinen Wohnraum, um nicht sehen zu lassen, daß ich mein scharfes, spitzes Federmesser öffnete und in die rechte Hand versteckte; zurückkehrend hielt ich die linke so, als ob die Salbe sich in ihrer Höhlung befände. Die Patientin mußte sich an die Wand lehnen; sie öffnete die Schleierlücke wieder; einige Augenblicke später gab es einen Schrei, hierauf einen zweiten, leisern; dann wendete ich mich an den Reiniger der Pfeifen:

„Du kannst Dich herumdrehen; es ist vorüber.“

„Du bist fertig?“ fragte der Bettler. „Sie kann also gehen?“

„Ja.“

„Giebst Du ihr die Salbe mit?“

„Schau meine Hand! Es war keine Salbe, sondern mein Messer; ich habe den Ghodda geöffnet.“

„Allah! Bist Du ein Mörder?“

„Ja, denn ich habe den Ghodda erstochen. Morgen abend wirst Du wiederkommen und mir sagen, daß er verschwunden ist.“

Er hatte Angst; ich beruhigte ihn und sagte ihm, wie der Hals behandelt werden müsse; er wußte nicht, ob er mich ob meiner Kühnheit loben oder schelten sollte, und hielt es für das beste, zunächst gar nichts zu sagen und sich mit der glücklich Operierten zu entfernen.

Als er am folgenden Abende zu uns kam, strahlte sein Gesicht vor Freude; er reichte mir beide Hände und rief, noch ehe er sich setzte:

„Effendi, er ist weg, ganz weg! Man sieht nur noch die Stelle, wo Dein Messer eingedrungen ist. Trotzdem macht die Tochter meines Freundes jetzt noch immer Umschläge, damit der Trübsinn ihrer Jugend nicht zurückkehren möge. Du bist weiser und klüger als alle gelehrten Männer und Zauberer, die nichts wußten. Was soll mein Freund Dir zahlen?“

„Ich nehme nichts.“

„So sagst Du jetzt, aber Du wirst gezwungen werden, zu nehmen, was die Dankbarkeit Dir bietet; das schwöre ich Dir bei meinem Haare und Barte!“ — —

Am nächsten Tage ging ich durch die Gasse, in der ich bei Ben Musa Effendi gewohnt hatte. Unser damaliger Nachbar, ein Silberarbeiter, saß unter der Thür seines offenen Ladens und rief mich zu sich, als er mich sah.

„Emir,“ sagte er, „vorgestern habe ich mit Ben Musa Effendi gesprochen.“

„Ah! Wo?“ fragte ich, freudig überrascht.

„Hier. Er kam zufälligerweise vorüber und ich sagte ihm, daß Du nach ihm und Deinem Koffer suchst.“

„Ich danke Dir! Du erfreust mit dieser Nachricht meine Seele. Er hat Dir natürlich gesagt, wo er jetzt wohnt?“

„Nein. Er that so geheimnisvoll. Er sagte, er sei jetzt gar nicht in Kairo gewesen; Deinen Koffer aber habe er gut aufbewahrt. Er wollte Deine Wohnung wissen, um ihn Dir zu bringen oder zu schicken; aber ich wußte sie nicht. Da bat er mich, Dich danach zu fragen und es ihm mitzuteilen, denn er werde wieder zu mir kommen.“

Das war sonderbar; später aber erfuhr ich den Grund dieser Heimlichthuerei. Ich teilte dem Silberarbeiter meine Wohnung mit und ging.

An diesem Abende kam der Bettler nicht zu uns und blieb auch an den zwei folgenden aus. Das fiel uns auf; wir waren an ihn gewöhnt. Sollte er etwa krank sein? Ich ging am nächsten Morgen nach dem Bab Zuweileh; da saß er wie immer. Ich fragte ihn nach der Ursache seines Ausbleibens; er antwortete:

„Ich habe ein Gelübde gethan, welches mich zum Du ’a el Mesah 1 zwingt, und muß also daheim bleiben. Wenn es vorüber ist, komme ich wieder.“

„Wann wird das sein?“

„Das weiß ich nicht.“

Sonderbar! Er mußte doch wissen, was er gelobt hatte und wie viele Abende er zu beten hatte!

Wir standen im Anfange des September, und es gab prachtvolle Abende. An einem solchen gefiel es mir nicht in der engen Stube, und ich stieg auf das platte Dach des Hauses, um da oben meinen Tschibuk zu rauchen. Am vordern Rande des Daches sitzend, konnte ich sehen, was auf unserer Gasse vorging. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß ein Mann kam, welcher an die Thür des Bettlers klopfte und eingelassen wurde. Nach einiger Zeit kam ein zweiter, ein dritter und vierter. Ich zählte zwölf Personen, welche eingelassen wurden. Was wollten sie bei esch Schahad, der sonst niemand zu sich ließ? Ich dachte an die „Verschwörung“, über welche ich gelacht hatte, und blieb sitzen. Erst nach Mitternacht entfernten sie sich wieder, und zwar einzeln, wobei sie sich sehr behutsam verhielten.

Also kein Gelübde und kein Abendgebet, sondern heimliche Versammlungen! Das mir Unbegreifliche dabei war die Zahl der Personen. Der Bettler bewohnte nämlich ein fast ganz in Ruinen liegendes einstöckiges Häuschen, von welchem niemand wußte, wem es gehörte. Wahrscheinlich war der Eigentümer der reiche Abu Gibrail, welcher auf der mit der unserigen parallel laufenden Gasse wohnte und an dessen Grundstück die Hütte des Bettlers hinten stieß. Diese Hütte hatte in ihrem jetzigen Zustande keinen Raum, in welchem zwölf Menschen bei einander sein konnten. Wo

1) Abendgebet.
Der Kutb.
(58)

hatte da esch Schahad die Leute, welche heute bei ihm gewesen waren, untergebracht? Das war mir ein Rätsel.

Am nächsten Abende kam er wieder nicht zu uns; ich ging also abermals auf das Dach und machte ganz dieselbe Beobachtung wie gestern. Sollte es sich wirklich um eine Verschwörung handeln? Lächerlich!

Eben als ich am darauffolgenden Vormittag ausgehen wollte, kam ein Wasserträger an unsere Thür. Als er mir den Krug gefüllt und die geringe Bezahlung erhalten hatte, fragte er mich:

„Wohnt hier nicht ein fremder Effendi?“

„Ja.“

„Der Kara Ben Nemsi heißt?“

„Ja.“

„Wo ist er?“

„Hier; ich bin es.“

„So habe ich Dir etwas zu geben.“

Er zog ein altes, schmieriges Tuch aus der Tasche, welches mit einer Schnur fest umbunden und verknotet war, warf es mir hin und ging.

Was befand sich in dem Tuche? Mich graute, es anzugreifen; ich hob es aber doch auf, zerschnitt den Bindfaden und zog es an den Zipfeln auseinander. Da fiel ein Lederbeutel

heraus. Ich hob ihn auf und öffnete. Was! Goldstücke und dabei ein Zettel! Der letztere war zusammengeschlagen; ich machte ihn auf und las:

„Nimm dieses Geld und verlaß die Stadt, wenn auch Dein Koffer verloren ist!“

Ich zählte das Geld. Es waren nach deutschem Gelde dreihundert Mark. Wer schickte mir diese Summe?

Ich eilte hinaus auf die Gasse, um mich nach dem Wasserträger umzusehen; er war fort. Ich suchte ihn in den anstoßenden Gassen und fand ihn nicht. Er hatte von dem, von dem er zu mir geschickt worden war, die Weisung erhalten, sich schnell zu entfernen.

Wer aber hatte ihn geschickt? Jemand, welcher wußte, daß ich meinen Koffer suchte. Das waren nur wenige Personen, so daß es keines großen Scharfsinnes bedurfte, es zu erraten:

Illustration2
Er streckte mir die Hand entgegen und fragte mich lächelnd: „Mich hast Du hier wohl nicht erwartet, Effendi?“

der Bettler. Ich ging sofort nach dem Bab Zuweileh und fragte ihn:

„Du hast jetzt einen Wasserträger zu mir geschickt?“

„Nein,“ antwortete er.

„Ich bitte Dich sehr, mir die Wahrheit zu sagen!“

„Ich sage sie.“

Dabei blieb er, obgleich ich weiter in ihn drang. Ich mußte das Geld behalten, obgleich ich das nicht gern that. Abends kam er wieder zu uns; er machte uns die Mitteilung, daß sein Gelübde zwar noch in Geltung sei, ihm aber den heutigen Abend frei gebe.

Während wir uns wie früher unterhielten, bemerkte ich, daß er innerlich sehr unruhig war. Dann fragte er, warum ich heut nach dem Wasserträger gefragt hätte; ich sagte es ihm und fügte hinzu, daß ich den Geber erraten hätte.

„So?“ fragte er. „Wer ist es?“

„Du bist es!“

„Maschallah! Wie kann so ein armer Mann eine solche Summe besitzen oder gar verschenken! Aber sag’, ob Du das thun willst, was auf dem Zettel gestanden hat.“

„Nein.“

„Aber bedenke doch, Effendi! Ich habe Dich gewarnt; Du glaubtest mir nicht; jetzt warnt Dich ein anderer; da mußt Du es nun doch glauben!“

„Es ist kein anderer.“

Da wurde er zornig und rief:

„Gut, denke, was Du willst, und thu’, was Du willst! Was soll ich mich mit Dir streiten?“

Er hatte länger bei uns bleiben wollen, ging aber nun vor Aerger fort. Der Pfeifenreiniger machte diesmal ein sehr ernstes Gesicht und sagte:

„Er hat doch vielleicht recht, Effendi. Es muß gegen Dich etwas im Anzuge sein.“

„Warum?“

„Du weißt, daß ich bei Tage nicht daheim bin; aber als ich in der Dämmerung nach Hause ging, erfuhr ich vom Nachbar, daß man sich nach Dir erkundigt hat.“

„Wer?“

„Soldaten.“

„Wann?“

„Heut, gestern und auch schon vorgestern. Sie haben wissen wollen, ob der Effendi, welcher bei mir wohnt, ein Franke sei.“

„Wer weiß, aus welchem einfachen Grund dies geschehen ist.“

„O, Effendi, es ist hier nicht alles so, wie es sein sollte; es scheint in Kairo etwas vorgehen zu sollen.“

„Was?“

„Das weiß ich nicht; aber ich habe heut so manches beobachtet, was mir aufgefallen ist.“

„So sag’ mir, was?“

Der Kutb.
(59)

Er brachte Verschiedenes zum Vorschein, was er gesehen und gehört hatte, aber es war nichts dabei, was geeignet gewesen wäre, mich bedenklich zu machen.

Am andern Tage ging ich zu dem Silberarbeiter. Ben Musa Effendi war bei ihm gewesen und hatte meine gegenwärtige Wohnung erfahren. Warum war er nicht zu mir gekommen? Mochte der Grund sein, welcher er wollte, ich war nun sicher, endlich zu meinem Eigentum zu kommen, und spazierte befriedigt durch die Straßen und Gassen der Stadt.

Da fiel mir nun allerdings auf, daß ich nicht so viel wie sonst Leute in abendländischer Kleidung sah, dafür aber desto mehr militärische Personen, welche ungewöhnlich beschäftigt zu sein schienen. Das konnte mich aber nicht beunruhigen.

Gegen Abend kam ein Hammal 1), der mir endlich meinen Koffer brachte. Ich fragte ihn natürlich, von wem er ihn erhalten habe. Er zog einen Brief aus der Tasche, gab ihn mir und antwortete:

„Ich darf es nicht sagen, Effendi. Vielleicht steht es in diesem Schreiben.“

Er ging. Ich öffnete den Brief und las:

„Ich sende Dir Deinen Koffer und bitte Dich, Kairo augenblicklich zu verlassen. Wer ich bin, das weißt Du. Meinen Namen darf ich nicht unterschreiben, denn käme dieser Brief in unrechte Hände, würde ich großen Schaden haben.“

Das machte mich nun freilich stutzig. Ich erkannte Ben Musa Effendis Schrift. Warum mußte er seinen Namen verschweigen? Er warnte mich auch; ja, er that sogar noch mehr: er forderte mich auf, die Stadt sofort zu verlassen. Der Bettler hatte also wohl nicht ohne allen Grund gesprochen.

Ich öffnete den Koffer und fand, daß nichts fehlte. Sollte ich fort, oder sollte ich bleiben? Da ich jetzt meine Sachen hatte, hielt mich nichts mehr zurück; aber für heut war es zu spät; ich wollte warten bis morgen.

Eben war nach eingebrochener Dunkelheit der Pfeifenreiniger heimgekommen; da ging die Thür wieder auf und ein junger, sehr gut gekleideter Mann trat ein. Mein Wirt war sichtlich erstaunt über diesen Besuch, verbeugte sich mit gekreuzten Armen sehr tief und rief:

„Gibrail Bei! Welche große Ehre! Kommst Du mit einem Befehle für den gehorsamen Reiniger Deiner Pfeifen?“

„Nein. Ich möchte wissen, ob der Mann, den ich hier bei Dir sehe, der fremde Kara Ben Nemsi Effendi ist.“

„Er ist’s, o Herr.“

Da verneigte sich Gibrail sehr höflich gegen mich und sagte:

„Effendi, ich bin der Sohn von Abu Gibrail, welchem das große Haus auf der jenseitigen Gasse gehört. Ich habe erfahren, daß Du klug und weise in allen Dingen bist, und soll Dich bitten, jetzt einmal zu meinem Vater zu kommen, welcher mit Dir zu sprechen wünscht.“

„Worüber will er mit mir reden?“

„Verzeih, Effendi! Er möchte es Dir gern selbst sagen.“

„Gut, ich gehe mit!“

Abu Gibrail! Das war ja der Besitzer des großen Hauses, an welches hinten die Hütte des Bettlers stieß. Ich dachte zwar einen Augenblick lang an die mir gewordenen Warnungen, glaubte aber, gar nichts zu wagen, wenn ich jetzt mitging. Er führte mich durch eine Neben- in die Parallelgasse, wo ein Diener bereit stand, uns das Thor zu öffnen. Es ging durch den Hausgang in den Hof und von da

1) Lastträger.

aus in ein Zimmer, welches das Besuchszimmer zu sein schien. Durch zwei weitere Thüren brachte mich Gibrail Bei in ein drittes Zimmer, gegen dessen feine Ausstattung der Anzug, den ich trug, so abstach, wie das Gefieder einer Krähe gegen dasjenige eines Paradiesvogels.

„Setz’ Dich nieder, Effendi!“ sagte mein Führer. „Erlaube, daß ich mich entferne! Mein Vater wird gleich kommen.“

Er ging, und ich ließ mich auf das Samtpolster nieder, welches sich an den drei Wänden des Zimmers hinzog. Wenige Augenblicke später brachte ein schwarzer Diener Kaffee, Pfeifen und köstlichen Tabak. Ich trank und rauchte. Vielleicht zehn Minuten vergingen, da kam ein anderer Diener, der — — — ich sprang erstaunt in die Höhe — — — meinen Koffer und meine Gewehre brachte. Ich öffnete den Mund, um eine Frage auszusprechen, da deutete er hinter mich und ging. Ich drehte mich um; da stand — — — der Bettler, welcher durch die andere Thüre eingetreten war, der Bettler!

Ja, er war es, er mußte es sein, obgleich er ganz anders aussah, als bisher. Aller Schmutz war von ihm verschwunden und das Gewand, welches er trug, von reinster Seide. Er streckte mir die Hand entgegen und fragte mich lächelnd:

„Mich hast Du hier wohl nicht erwartet, Effendi?“

„Nein, allerdings nicht,“ antwortete ich.

„Du bist erstaunt; ich sehe es Dir an. Du blickst jetzt in ein Geheimnis, welches ich Dir nicht offenbaren würde, wenn ich Dich nicht liebte und Dich gegen Deinen Willen retten wollte. Ich bin Abu Gibrail, der Besitzer dieses Hauses, und zugleich der Bettler vom Bab Zuweileh. Wie das zusammenhängt, wirst Du später erfahren, falls Du mir versprichst, es niemandem zu sagen. Ich habe Dich durch meinen Sohn holen lassen, weil Du bei dem Reiniger der Pfeifen heut nicht sicher bist.“

„Warum nicht sicher?“

„Darüber darf ich jetzt nicht sprechen. Du bist mein Gast. Setz’ Dich nieder! Willst Du mir Dein Wort geben, daß Du in dieser Nacht mein Haus nicht verlassen wirst?“

„Ich gebe es.“

„Gut, so kann ich gehen. Es ist mir heut leider nicht möglich, Dir Gesellschaft zu leisten, doch wirst Du alles bekommen, was Du wünschest. Du brauchst nur in die Hände zu klatschen, so kommt ein Diener herein. Gute Nacht, Effendi!“

Er gab mir die Hand und ging.

War das nicht ein Abenteuer? Wie ein Kapitel aus Tausend und einer Nacht? Ich bekam sehr gut zu essen. Man brachte mir sodann Bücher, damit ich mich nicht langweilen möge; aber ich konnte nicht lesen und später lange auch nicht einschlafen. Meine Gedanken waren ganz und gar von diesem Abenteuer in Anspruch genommen. Endlich aber schlief ich doch auf dem weichen Polster ein.

Ich erwachte nicht von selbst, sondern ich wurde geweckt. Esch Schahad stand mit einer Laterne vor mir und sagte in hastiger Weise:

„Steh schnell auf, Effendi; Du mußt fort! Man hat den Reiniger der Pfeifen gezwungen, zu sagen, wohin Du bist; man wird kommen und mein Haus nach Dir durchsuchen. Der Militäraufstand ist im vollsten Gange; Aegypten den Aegyptern, heißt die Parole; den Europäern droht der Tod. Ich muß Dich retten. Komm, und folge mir!“

Er führte mich in den Hof und auf der andern Seite desselben durch einen engen Gang. Eben begann der Morgen zu dämmern. Wir kamen an eine halbverfallene Mauer.

„Das ist die hintere Seite des Bettlerhauses,“ sagte er. „Komm herein!“

Wir krochen durch ein Loch und befanden uns dann in der armseligen Bude, welche als die Wohnung des Schahad galt. Zerfetzte Kleidungsstücke hingen an den Wänden, und auf der Lehmdiele standen und lagen henkellose oder sonstwie zerbrochene Gefäße. Er setzte die Laterne nieder und fragte in sehr ernstem Tone:

„Willst Du Dich von mir retten lassen? Du hast nicht an die Gefahr geglaubt; nun ist sie da. Horch!“

Ich hörte durch die Thür die Stimmen und Schritte vieler Menschen.

„Es gilt also wirklich den Ausländern?“ fragte ich.

„Ja. Es ist sogar möglich, daß der Khedive abgesetzt wird.“

„Kann ich aus der Stadt?“

„Unmöglich!“

„Willst Du mich hier verbergen?“

„Nein. Auch hier bist Du nicht sicher. Sicherheit findest du nur am Thore Zuweileh.“

„Ah, ich errate! Als Bettler?“

„Ja, als Bettler an meiner Stelle. Willst Du? Es handelt sich wirklich um Dein Leben.“

Wie viel hätte ich gegen diese Zumutung vorbringen können! Ich glaubte noch immer nicht an die Gefahr; die Sache kam mir lächerlich vor. Da aber machte sich die alte Abenteuerlust geltend; ich beschloß, mitzuthun, und erkundigte mich vorher nur:

„Wie steht es mit meinem Koffer und meinen Gewehren, wenn man mich wirklich bei Dir sucht?“

„Daran wird man sich nicht vergreifen.“

„Werde ich am Bab Zuweileh nicht als Fremder erkannt werden?“

„Nein; dafür sorge ich.“

„Wie habe ich mich zu verhalten?“

„Wie ein Bettler; das ist alles. Wenn ein anderer Bettler bemerkt, daß ich nicht dort bin, so wird er es dem Dilendschi Baschi 1) sagen: kommt dieser, so zeigst Du ihm die Münze vor, die ich Dir mitgebe; dann ist es gut. Heut abend kommst Du hierher, wo ich auf Dich warten werde.“

„Gut, ich mache mit!“

„So will ich Dich umwandeln.“

Ich bekam einen noch schlechteren Anzug, als der meinige war, und wurde an Gesicht, Hals und Händen mit einer dunklen Flüssigkeit bepinselt. Wie ich nun aussah, konnte ich nicht sehen, weil es keinen Spiegel gab. Ich bekam die erwähnte Münze und den Schlüssel zur Thür; dann sagte er:

„Nun geh! Es ist die höchste Zeit. Die Thür hier schließest Du von außen wieder zu. Heut abend sehen wir uns wieder.“

Er kehrte durch das Loch dahin zurück, woher wir gekommen waren, und ich schloß die Hausthür auf, um mich als Schahad nach dem Bab Zuweileh zu begeben und einen Tag lang der Liebling und Diener des Kutb zu sein.

Schon herrschte auf unserer Gasse reges Leben. Niemand kümmerte sich um mich. Ich sah, daß ich nicht erkannt wurde, so hatte mich das Anstreichen mit der Flüssigkeit verändert. Je weiter ich kam, desto deutlicher wurde es mir, daß es sich freilich um einen Aufstand handelte. An den Gassen- und Straßenecken standen bewaffnete Militärwachen, und auf einigen Plätzen sah ich sogar Kanonen. Es war jener 9. September 1881, an welchem Arabi Pascha mit 4000 Soldaten und 30 Geschützen den Abdinpalast umzingelte und den darin residierenden Vizekönig zwang, das Ministerium Riaz zu entlassen, eine Verfassung zu gewähren

1) Oberhaupt der Bettler.
Der Kutb.
(60)

und das Heer auf 18000 Mann zu vermehren. Das war das Vorspiel zu dem Europäermord in Alexandrien und der Beschießung dieser Stadt durch die englische Flotte. Jetzt wußte ich nun freilich, daß sich mein Leben in Gefahr befand.

Bei dem Thore Zuweileh angekommen, setzte ich mich dort nieder, um meinem heutigen Berufe als Schahad obzuliegen. Es war inzwischen völlig Tag geworden. Die Bevölkerung war noch in Aufregung und Bewegung, und ich bekam manche Gabe in die ausgestreckte Hand. Bald aber änderte sich das. Arabi Pascha hatte befohlen, daß jedermann daheim zu bleiben habe, und die Gassen wurden leer. Ich bekam nur noch Soldaten zu sehen; die aber geben nichts; sie nehmen lieber. Dafür wurde ich reichlich durch die Beobachtungen entschädigt, welche ich von meinem Sitze aus machte: ich hörte alle Bitten, welche dem Kutb vorgetragen wurden.

Da kamen Patrouillen, einzeln oder aus mehreren Soldaten bestehend, Piquets nach orientalischer Weise, abgelöste Posten, sonstige Trupps von Soldaten, Adjutanten und sonstige Offiziere. Kein einziger ging vorüber, ohne wenigstens den Anfang der heiligen Fatcha zu beten, und viele blieben stehen, um dem unsichtbar hinter dem Thorflügel wohnenden Geiste zu sagen, was sie von ihm wünschten. Ich bekam da sonderbares Zeug zu hören, und oft kam mich ein innerliches Lachen an.

Unter diesen Bittenden war einer, der einen tiefen Eindruck auf mich machte. Er kam matt und langsam herbei und war hager und abgezehrt; als ich ihm die Hand entgegenhielt, sagte er:

„Ich kann Dir nichts geben, denn ich habe selbst nichts und brauche doch so viel!“

Dann kniete er nieder, verbeugte sich nach dem Winkel hin, in welchem der Kutb wohnen sollte, und betete:

„Allah il Allah wa Muhammed rassuhl Allah! Höre mein Flehen, o Kutb, Du Geist der Gewährung aller Bitten! Laß mich die Meinen wiedersehen, den Vater und die Mutter, das Weib und das Kind, an denen mein Herz hängt. Gieb mir das Geld, welches ich brauche, um von hier fortzukommen, denn die Sehnsucht zehrt an meinem Leibe und an meiner Seele. Hilf mir, o Kutb, aber hilf bald, sonst nimmt der Gram mich weg aus diesem Leben!“

Dieses Gebet rührte mich tief. Der Mann war wirklich krank vor Heimweh und Sehnsucht. Als er sich wieder erhoben hatte, sagte er zu mir:

„O Schahad, Du bist der Diener des Kutb; bitte für mich!“

„Wo ist deine Heimat?“ fragte ich.

„Im fernen Tunis.“

„Was bist Du da?“

„Diener an der Okba-Moschee zu Kaïrwan.“

„Wie kommst Du hierher?“

„Ich pilgerte nach Mekka, der heiligen Stadt. Auf dem Rückweg wurde ich hier schwer krank; ich blieb liegen und verlor alle meine Habe; noch war ich nicht ganz wieder gesund, da zwang man mich unter die Soldaten. Ich werde sterben, wenn der Kutb mir keine Hilfe sendet.“

„Du bittest ihn um Geld. Wenn er es Dir gäbe, könntest Du doch nicht fort.“

„Warum nicht?“

„Du bist Soldat und müßtest desertieren.“

„Allah beschützt jeden Gläubigen; er würde auch mich beschützen.“

„So wart’ einen Augenblick!“

Der Mann erbarmte mich. Ich fragte ihn, ob er lesen könne; er bejahte es. Ich zog mein Notizbuch hervor, in der Hand eines Bettlers gewiß ein seltener Gegenstand, riß ein Blatt

heraus und schrieb darauf, natürlich in arabischer Sprache:

„Der Kutb kann Dir nicht helfen; es giebt keinen Kutb und keinen Helfer außer Gott. Ich, der Bettler, bin kein Moslem, sondern ein Christ; dennoch gebe ich Dir das Geld, denn Du bist mein Bruder, weil alle Menschen Gottes Kinder sind.“

Diesen Zettel legte ich in den Beutel, den mir der Wasserträger gebracht hatte, band ihn fest zu und gab ihn dem Manne hin:

„Hier nimm! Wenn Du mir gehorchest, findest Du vielleicht Erhörung Deiner Bitte. Wirst Du thun, was ich Dir sage?“

„Was soll ich thun?“

„Du steckst diesen Beutel jetzt ein und öffnest ihn nicht eher als morgen genau nach dem Nachmittagsgebete.“

„Eher nicht?“

„Nein, wenn Du wirklich Hilfe erwartest.“

„Ich werde thun, was Du begehrst, o Schahad; das verspreche ich Dir bei meinem Barte und bei allen denen, nach denen ich mich sehne. Erhalte ich Hilfe, so sehen wir uns wieder, denn ich kehre hierher zurück, um dem Kutb zu danken.“

Er steckte den Beutel ein und ging. Ich hatte aus Mitleid und nach einer Eingebung des Augenblicks gehandelt. Oeffnen sollte er den Beutel erst morgen, weil es für mich höchst gefährlich gewesen wäre, wenn er schon heut erfahren hätte, daß ich kein Moslem war.

Das, was an diesem Tage weiter geschah, ist hier von keiner Bedeutung; er verlief für mich ganz glücklich, während es andern Fremden traurig erging. Als es dunkel geworden war, machte ich mich nach dem Bettlerhause auf, in welches ich mit Hilfe des Schlüssels gelangte. Dort erwartete mich Abu Gibrail, wie er versprochen hatte. Er war doch sehr in Sorge um mich gewesen. Man hatte seine ganze Wohnung einigemal nach mir durchsucht und auch meine Sachen gesehen, sie aber glücklicherweise gar nicht beachtet.

Wir krochen durch das Loch, um in das große Vorderhaus zu gelangen. Dort führte er mich nach dem Zimmer, in welchem ich gestern gewesen war und geschlafen hatte. Er brachte mir da einen Spiegel. Als ich in demselben mein Gesicht erblickte, wunderte ich mich nicht darüber, daß mich niemand erkannt hatte; ich sah schrecklich aus. Der Diener mußte Wasser und Seife bringen, und nach einigem Bemühen gelang es mir, wieder zu meinem eigentlichen Aussehen zu kommen.

„Du wirst noch einige Tage mein Gast sein müssen, Effendi,“ sagte der Hausherr. „Die Bewegung des heutigen Tages muß sich erst legen. Du kannst unmöglich schon fort.“

„Wird es so schnell vorübergehen?“

„Ich hoffe es, weil der Khedive auf die Bedingungen Arabi Paschas eingegangen ist. Dadurch hat er vielen, vielen Europäern, welche sonst ganz gewiß getötet worden wären, das Leben erhalten.

„Aber darf ich Dich belästigen?“

„Es ist keine Belästigung, sondern eine Freude für mich, da ich Dir mein Geheimnis nun einmal habe offenbaren müssen. Du sollst bei mir in dem Hause wohnen, dessen Tochter und andere Bewohner Du durch Deine Weisheit so glücklich gemacht hast. Eine gute, passende Kleidung werde ich Dir zunächst leihen; dann, wenn Du ohne Gefahr für Dich ausgehen kannst, magst Du die Deinige tragen.“

Ich wohnte sechs Tage bei ihm; dann konnte ich Kairo verlassen. Am fünften Tage ging ich zum erstenmale aus. Eben trat ich aus dem Thore, da kam der Soldat die Gasse herab, dem ich den Beutel gegeben hatte. Er

wollte an mir vorüber, ohne mich zu erkennen; da sagte ich zu ihm:

„Halt, Du Diener der Okba-Moschee zu Kaïrwan! Hat Dir der Kutb geholfen?“

Er blieb stehen und starrte mich an, ohne zu antworten.

„Hast Du den Beutel geöffnet, den Dir der Bettler gab, der kein Moslem, sondern ein Christ war?“

„Ja,“ antwortete er, indem sein Blick noch immer forschend an meinem Gesichte hing.

„War die erbetene Hilfe drin?“

„Ja; es waren achtzehnhundert Piaster.“

„Und nun wirst Du desertieren?“

„Deser — — — Allah! Ist es möglich? Bist Du es, der der Bettler war, o Herr?“

„Ja.“

„Und Du bist ein Christ?“

„Ja.“

„Und da wagtest Du, an diesem Tage unter dem Thore des Kutb zu sitzen!“

„Warum nicht? Gerade dort war ich am sichersten.“

„Du bist reich, trotzdem Du Bettler warst?“

„Reich bin ich nicht; ich habe gerade so viel, wie ich brauche.“

„Und hast mir so viel Geld geschenkt? Herr, das hätte kein Moslem gethan! Und unter den Christen bist Du auch der Allereinzige.“

„Da irrst Du Dich. Jeder gute Christ hätte Dir das Geld gegeben, wenn er in meiner Lage und an meiner Stelle gewesen wäre.“

„Ist das wahr, Herr?“

„Ja.“

„Das glaube ich nicht, denn die Christen sind Dich ausgenommen, räudige Hunde, welche einer falschen, lügnerischen Lehre anhangen.“

„Kennst Du diese Lehre?“

„Nein!“

„Wie kannst Du da über sie urteilen?“

„Ich habe es von unsern Aimma 1) gehört.“

„Die auch nichts davon wissen.“

„Du irrst. Sie verfluchen das Christentum und müssen doch wissen, warum.“

„Sie haben keine Ahnung von unserer Lehre. Wäre sie ihnen bekannt, so würden sie sie segnen, anstatt sie verfluchen. Hast Du Hoffnung, nach Deiner Heimat zu entkommen?“

„Ja.“

„Sag’ mir Deinen Namen!“

„Ich heiße Gilad. Du bist mein Wohlthäter; darf ich Dich auch nach dem Deinigen fragen?“

„Man nennt mich Kara Ben Nemsi Effendi.“

„Kara Ben — — —“

Er trat zwei, drei Schritte zurück; seine Augen funkelten, und er ballte die Fäuste; da aber dachte er an das Geld, welches ich ihm gegeben hatte, und sein Gesicht wurde wieder freundlich, als er fragte:

„Kara Ben Nemsi Effendi? So bist Du der Christ, der vor einigen Jahren in Kaïrwan und in unserer heiligen Moschee gewesen ist?“

„Ja.“

„Wußtest Du, daß kein Christ nach Kaïrwan darf?“

„Ich wußte es.“

„Daß jeder Andersgläubige getötet wird, der es wagt, die Stadt zu betreten?“

„Es war mir bekannt.“

„Allah, Allah! Mußt Du ein kühner Mann sein! Du bist der erste und einzige Christ, der Kaïrwan gesehen und gar in der heiligsten Moschee des Westens gewesen ist. Allah hat es gegeben, daß Du damals entkommen bist; aber wage es ja nie wieder, unsere Stadt durch die Schritte Deines Fußes zu schänden!“

1) Plural von Imam, muhammedanischer Geistlicher.
Der Kutb.
(61)

„Es ist keine Schande, sondern eine Ehre für Euch, wenn ein Christ zu Euch kommt. Das will ich Dir beweisen. Du sollst Christum, den Sohn Gottes, kennen lernen. Komm mit herein in das Haus!“

Ich führte ihn nach meinem Zimmer und schenkte ihm die vier Evangelien und die Apostelgeschichte, in das Arabische übersetzt. Er steckte das Buch ein, sah mir ernst in die Augen und sagte dann:

„Effendi, eigentlich sollte ich Dich für Dein damaliges Verbrechen töten; aber Du hast mir Wohlthat erwiesen; ich will Dich schonen; wir sind quitt!“

Er ging fort, ohne einen Gruß zu sagen. Ich wünschte still hinter ihm her, daß es ihm gelingen möge, in die Heimat und zu den Seinen zurückzukehren. — — —

In Kaïrwan.

Nach dem bisher Erzählten war längere Zeit vergangen, und ich befand mich in Tunesien. Ich hatte meinen Freund Ali en Nurabi, den Scheik der Uëlad Sebira-Beduinen, besucht, war zwei Wochen bei ihm gewesen und wollte nun wieder an das Meer, aber nicht in der Richtung nach der Hauptstadt Tunis, sondern ich zog es vor, ostwärts nach Hammamet zu reiten, um die Ortschaften Testur und Saghuan kennen zu lernen.

Bis nach Testur gab mir Ali en Nurabi mit einigen seiner Leute das Geleit; aber weiter konnte er mich nicht begleiten, weil mein Weg mich von da aus durch das Gebiet von Stämmen führte, welche mit dem seinigen in Feindschaft lebten; er hätte sein Leben gewagt. Ich ritt also nun allein und zwar zunächst von Testur aus südlich, wo ich im Wadi Silian von den Uëlad Riahh leidlich gut aufgenommen wurde. Dann wendete ich mich westlich nach dem See el Kursia, der im Gebiete der Uëlad Trabersi liegt. Von da aus ging es auf das Wadi Melah zu, von welchem Saghuan nur zwanzig Kilometer ostwärts liegt.

Bis hierher war alles zu meiner Zufriedenheit gegangen; aber noch hatte ich das Wadi Melah nicht erreicht, da wendete sich das Glück, welches mich so weit begleitet hatte, plötzlich von mir.

Nach der Ebene, in welcher der See el Kursia liegt, wird die Gegend plötzlich bergig. Man hat steil empor zu reiten und sieht dann, oben angelangt, die Höhen sanft nach Osten abfallen. Hier giebt es einige Wasserläufe und infolgedessen Vegetation. Ich traf ein Wäldchen von Korkeichen, bei welchem ich anhielt, um mein Pferd ausruhen zu lassen. Ich selbst streckte mich auch im Grase aus und schloß die Augen, welche mir von der Glut und dem grellen Lichte der Sonne wehe thaten.

Da hörte ich den Schrei eines Geiers und blickte wieder auf. Wenn ein Geier so schreit wie dieser, so giebt es Fraß für ihn. Zwei dieser Vögel schwebten hinter mir über dem Walde. Sie zogen enge Kreise, gar nicht sehr hoch, senkten sich aber nicht herab. Ihre Beute war entweder noch nicht tot oder der Art, daß sie sich nicht an sie getrauten.

Ich stand auf und durchschritt das Wäldchen, um zu sehen, was es war. Am jenseitigen Rande desselben sah ich es liegen. Es war kein Tier, sondern ein — Mensch, ein Beduine. Er lag in einer Blutlache auf dem Rücken und hatte mehrere Messerstiche in der Brust; das Messer steckte noch darin. Hier war ein Mord geschehen, und zwar kein Raubmord, sondern ein Mord infolge der Blutrache; sonst hätte der Mörder das Messer nicht stecken lassen.

Die That konnte erst vor kurzem geschehen sein, denn die Lache war noch nicht geronnen. Ich zog das Messer aus der Wunde, wischte es im Grase ab und steckte es in meinen Gürtel, um es den Bewohnern des Wadi mit der Meldung von der Auffindung der Leiche zu übergeben.

Der Anblick derselben hatte mir die Lust, hier auszuruhen, genommen; ich kehrte zu meinem Pferde zurück, stieg auf und ritt weiter. Ich brauchte ungefähr eine Stunde, um hinab in das Wadi Melah zu kommen.

Ich mochte vielleicht die Hälfte dieses Weges zurückgelegt haben, als ich Pferdeschritte hinter mir hörte. Ich wendete mich um und sah eine Schar von vielleicht zwanzig Beduinen, welche in scharfem Trabe hinter mir herkamen. Dem Brauche nach hielt ich an und drehte mein Pferd um, ihnen entgegensehend.

Als sie mich erreichten, umringten sie mich im Nu; da dies bei diesen Leuten so Brauch ist, machte es mich nicht besorgt; ich grüßte also freundlich:

„Sallam aaleïkum! Könnt Ihr mir sagen, welcher Stamm jetzt da unten im Wadi Melah liegt?“

„Das sollst Du bald erfahren, Du Hund,“ antwortete der Anführer. „Nehmt ihn fest!“

Vierzig Hände streckten sich nach mir aus. Ich hätte mich wehren können, denn ich war ausgezeichnet bewaffnet und fürchtete mich nicht; aber da hätte ich Blut vergießen müssen, und das wollte ich nicht. Ich wurde im Nu festgehalten, entwaffnet und auf das Pferd gebunden.

„Was fällt Euch ein!“ rief ich. „Ich bin ein friedlicher Wanderer und habe Euch nichts gethan.“

„Uns nicht, aber einem andern,“ antwortete der Anführer, indem er meine Waffen untersuchte. Dabei nahm er auch das Messer des Toten in die Hand.

„Hier, hier klebt noch Blut!“ sagte er. „Er ist’s, er ist’s; wir haben den Mörder. Ed d’em b’ ed d’em — Blut um Blut. Er muß sterben! Sag’ uns, Hund, von welchem Stamme du bist!“

„Von keinem. Ich bin ein Fremdling hier und gehöre zum Volke der Alman 1).“

„Lüg’ nicht! Wir sind Uëlad Siminscha, und der, den Du ermordet hast, ist ein Bruder von uns.“

„Hat Allah Dir keine Augen gegeben? Siehst Du nicht, daß ich zwei Messer bei mir hatte? Wer aber trägt zwei Messer herum? Das eine gehört mir; das andere habe ich aus der Brust des Toten gezogen, um es unten im Wadi vorzuzeigen. Wenn Ihr lesen könnt, will ich Euch beweisen, daß ich ein Almani bin.“

„Schweig’! Wir brauchen nicht lesen zu können, um zu wissen, daß Du der Mörder bist. Sieh, dort bringen sie Dein Opfer! Wir sahen Deine Spur und sind schnell vorausgeritten, um Dich einzuholen.“

„Hätte ich mich einholen lassen und hier auf Euch gewartet, wenn ich der Mörder wäre?“

„Das hast Du gethan, um uns zu täuschen!“

„Ihr müßt aber doch einsehen, daß es sich um eine Blutrache handelt, denn das Messer steckte noch in der Wunde!“

„Es steckte nicht in der Wunde, sondern in Deinem Gürtel.“

„Wo lagert euer Stamm?“

„Unten im Wadi.“

„Wohin ich ritt? Reitet ein Mörder zu denen, deren Bruder er getötet hat?“

„Wir werden Dir nicht hier antworten, sondern unten im Lager, wenn wir dort angekommen -

1) Deutschen.

angekommen sind und die Dschemma 1) über Dich gerichtet hat. Jetzt vorwärts, Leute! Einer mag vorausreiten, um die Unserigen zu benachrichtigen.“

Dies geschah, und es läßt sich leicht denken, wie wir bei unserer Ankunft empfangen wurden. Das war ein Gebrüll, ein Heulen und Schreien, wie ich es kaum jemals gehört hatte. Hätten mich die Krieger nicht in ihrer Mitte gehalten, ich wäre von den Weibern in Stücke gerissen worden.

Das Duar 2) war ein stark besetztes Lager; es standen über sechzig Zelte da; draußen weideten zahlreiche Pferde, Kamele und Schafe. Ich wurde vom Pferde genommen und mit ausgestreckten Armen und Beinen an zwei kreuzweise übereinander gelegte Zeltpfähle gebunden; das verursachte mir nicht geringe Schmerzen. Drei Krieger hielten bei mir Wache, nicht etwa, weil man geglaubt hätte, daß ich fliehen könne, sondern um zu verhindern, daß sich die aufgeregte Menge schon vor dem Urteilsspruche über mich hermache.

Jede Beschäftigung war aufgegeben worden. Man dachte nur an den Mord, den Mörder und die Rache. Die „Alten“ kamen zusammen; ich sah, daß sie sich niedersetzten, um über mich zu richten. Ich verlangte, zu ihnen geschafft zu werden, um mich verteidigen zu können, um zu erzählen, wie die Sache sich zugetragen hatte. Die Wächter lachten mich aus.

Die Frauen kamen herbei, verfluchten mich und ließen alle möglichen Schand- und Schimpfwörter über mich los; die Kinder warfen mit Steinen nach mir; einige, die sich ganz heran wagten, spieen mich an; das wurde nicht verhindert.

Unglücklicherweise war der Vater des Ermordeten ein wohlhabender und also einflußreicher Mann. Wie ich später hörte, bot er alles auf, um die Strafe, welche natürlich nur in dem Tode bestehen konnte, möglichst schwer werden zu lassen. Es wurde sehr viel gesprochen und geschrien; man hielt lange Reden, aber wohl keine einzige zu meiner Verteidigung, und endlich, als dies wohl zwei Stunden gedauert hatte, war man zum Resultate gekommen. Die Teilnehmer der Dschemma standen auf und kamen herbei. Sie bildeten einen Kreis um mich, und der Scheik als der Vorsitzende machte mich mit dem Urteile bekannt:

„Das Gesetz der Wüste lautet: Blut um Blut, Leben um Leben. Du hast ein Leben vernichtet, also wird Dir das Deinige genommen werden. Man wird jetzt das Grab graben, und wenn das Abendgebet vorüber ist wirst Du mit dem Toten in dasselbe gelegt und begraben werden.“

„Lebendig?“ fragte ich.

„Ja.“

„Ich fordere von Euch, meine Verteidigung anzuhören!“

„Du hast nichts zu fordern. Schweig’ lieber, und bereite Dich im stillen vor, denn es sind nur noch zwei Stunden, so wirst Du über die Brücke des Todes hinab in die Hölle fahren!“

„Aber Ihr wißt noch nicht einmal, wer ich bin! Man verurteilt doch keinen Menschen, ohne seinen Namen zu kennen und wer und was er ist!“

„Wir wollen nichts wissen; wir wissen, daß Du der Mörder bist; das ist genug.“

Dabei blieb dieser Mann. Ich konnte sagen, was ich wollte, man verlachte mich. Jedes Wort, welches ich zu hören bekam, war

1) Versammlung der Aeltesten.
2) Zeltdorf.
Der Kutb.
(62)

Gift, und jeder Blick ein Pfeil des Hasses und der Rache. Die Alten entfernten sich und ließen mir die Gewißheit zurück, daß ich unrettbar verloren sei.

Jetzt bedauerte ich es freilich, daß ich mich nicht gewehrt hatte. Mit meinem fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzen hatte ich noch ganz andere Leute von mir abgehalten, als diese Uëlad Siminscha waren! Ich sah, daß sie draußen vor den Zelten eine tiefe Grube machten — — für zwei Menschen, einen toten und einen lebenden.

Gab es denn wirklich keine Rettung? Hm! Wie oft hatte ich mich in wirklich verzweifelten -

verzweifelten Lagen befunden und mich doch befreit. Warum nicht auch hier? Ich sann und sann, fand aber keinen Rettungsweg. Ja, wenn man mich angehört hätte! Es war nur eine einzige, ganz geringe Hoffnung möglich: In der Lage, in welcher ich mich jetzt befand, mit so weit ausgespreizten Armen und Beinen konnte man mich nicht begraben; man war also gezwungen, mich von den Zeltstangen loszubinden, und wenn man das that, bekam ich wenigstens für einige Augenblicke meine Glieder frei. Diese Augenblicke mußte ich benutzen; aber wie, das konnte ich vorher nicht wissen, sondern das mußte der Augenblick ergeben.

Eben als ich mit diesem Gedanken fertig geworden war, bemerkte ich, daß die Aufmerksamkeit der Beduinen sich auf etwas richtete, was außerhalb des Lagers vorging. Ich hörte el Bija, el Bija! 1) rufen. Es schien also ein Handelsmann zu kommen. Ein Handelsmann aber kann kein Beduine sein. Vielleicht war er ein Maure, ein Jude, ein Levantiner. Wenn die Uëlad Siminscha ihm erlaubten, mit mir zu reden, so brachte er sie vielleicht dahin, daß sie nachträglich doch noch meine Verteidigung anhörten, und wenn sie das thaten, so war noch nicht alles verloren.

1) Der Händler.
Illustration3
„Einen Almani hat er sich genannt. Er wollte uns betrügen. Wenn ich die Sprache der Alman verstände, würde ich versuchen, ob er da zu antworten vermag.“

Jetzt sah ich ihn kommen, mit ihm zwei Gehilfen, welche seine Packpferde zu beaufsichtigen hatten. Seine Ankunft mußte den Beduinen lieb sein; das sah und hörte ich aus der Art und Weise, wie sie ihn bewillkommten. Er stieg vom Pferde und schüttelte dem Scheik die Hand. Sie sprachen mit einander. Der Scheik führte ihn zur Leiche des Ermordeten und blieb dort erzählend mit ihm stehen; dann zeigte er zu mir herüber. Der Händler drehte sich herum, sah mich liegen und kam herbei. Der Scheik folgte ihm.

„Wie sagtest Du, von welchem Volke will er sein?“ fragte er den Scheik.

„Einen Almani hat er sich genannt. Er wollte uns betrügen. Wenn ich die Sprache der Alman verstände, würde ich versuchen, ob er da zu antworten vermag.“

„Ich verstehe sie auch nicht; aber wenn er wirklich ein Almani ist, so muß er wenigstens

einige Worte aus der Sprache der Fransawiji 1) verstehen. Soll ich es einmal versuchen?“

„Thue es! Es wird aber nichts nützen.“

Da fragte mich der Händler in fließendem Französisch:

„Sie wollen ein Deutscher sein? Können Sie mich verstehen?“

„Sehr gut verstehe ich Sie,“ antwortete ich in derselben Sprache. „Sie sind ein Handelsmann? Woher?“

Mon dieu! Sollten Sie wirklich ein Europäer, ein Deutscher sein?“

„Das bin ich allerdings.“

„Woher?“

„Ich bin ein Sachse. Man hat mich unschuldig verurteilt und hört mich nicht an. Ich soll lebendig eingegraben werden.“

„Das wird nicht geschehen. Ich bin Franzose, -

1) Franzosen.

Franzose, mein Herr, liebe es aber aus gewissen Gründen, für einen Eingeborenen zu gelten. Verraten Sie dies nicht! Sie werden sofort frei sein.“

Er wendete sich an den Scheik:

„Dieser Mann ist wirklich ein Almani und hat Dich nicht belogen.“

„Nicht? Aber der Mörder ist er doch!“

„Nein.“

„Das behauptest Du?“

„Ja. Ein Almani ist kein Mörder.“

„Das Messer, mit dem der Mord geschah, ist sein.“

„Nein!“ rief ich dazwischen. „Ich zog es der Leiche aus der Brust.“

„Schweig’, Hund! Wenn Du noch ein Wort — — —“

Der Händler unterbrach ihn mit einer Handbewegung und sagte:

„Ich habe mir bis jetzt nur erzählen lassen

Der Kutb.
(63)

und selbst noch nichts sagen können; jetzt will ich reden: ich weiß, wer der Mörder ist.“

„Wer? Etwa nicht dieser Fremde?“

„Nein. Ich komme vom Bah Saghuan herunter; da begegnete uns ein einzelner Reiter, der mich fragte, wohin ich wolle. Ich sagte es; da lachte er und sprach:

„Wenn Du zu den Uëlad Siminscha kommst, so sag’ ihnen, daß oberhalb des Wadi Melah ein Toter liegt, in dessen Herz mein Messer steckt.“

„Allah!“ rief der Scheik. „Wer war dieser Mann?“

„Steht ihr mit den Uëlad Selass in Blutfehde?“

„Ja.“

„So stimmt es. Ich habe mit dem Mörder gesprochen.“

Er nannte den Namen des Uëlad Selass, der ihm begegnet war, und kaum hatte der Scheik ihn gehört, so bückte er sich zu mir nieder, durchschnitt meine Fesseln und sagte:

„Du bist unschuldig. Steh auf! Du bist frei!“

Natürlich sprang ich auf, und wie schnell!

„Sag’ Allah Dank, daß dieser Händler gekommen ist!“ fuhr der Scheik fort. „Wir hätten Dich mit dem Toten begraben.“

„Und danke auch Du Allah,“ erwiderte ich, „daß Du nicht zum Mörder an mir geworden bist! Ich habe noch niemals einen Ben Arab 1) gesehen, der so leichtsinnig mit dem Leben eines Menschen umgegangen ist, wie Du! Ja, ich will Allah danken; Euch aber bin ich etwas ganz anderes schuldig als Dank!“

„Du wirst uns verzeihen und so lange als unser Gast bei uns bleiben, wie es Dir gefällt.“

„Keine Stunde länger, als ich muß! Gebt mir wieder, was Ihr mir abgenommen habt; dann reite ich fort.“

„Das würde eine Schande für unser ganzes Lager sein. Warte nur eine kleine Weile, dann wirst Du hören, wie wir Dich doch bewegen, hier zu bleiben.“

Er rief die Dschemma wieder zusammen, sprach einige Worte mit den „Alten“, und dann kam die ganze Versammlung, die mich ungehört verurteilt hatte, um mich um Verzeihung zu bitten. Was wollte ich thun? Der Franzose bat auch; ich und mein Pferd bedurften der Ruhe, und so erklärte ich schließlich, der Gast des Stammes sein zu wollen, worauf der Scheik den Befehl gab, mehrere Hämmel zu schlachten.

Das erste war nun, für die Verfolgung des Mörders zu sorgen. Nach kurzer Zeit ritt eine Anzahl auserlesener Männer auf den besten Pferden fort, um zu versuchen, ihn einzuholen. Ich war überzeugt, daß ihnen dies nicht gelingen würde.

Während die Hämmel geschlachtet und gebraten wurden, ließ der Händler durch seine beiden Gehilfen die Waren auspacken, die er mitgebracht hatte. Er tauschte sie, wie ich erfuhr, nur gegen Teppiche ein, welche von den Beduinenfrauen gefertigt werden. Während er die Abwickelung dieses Geschäftes seinen Leuten überließ, saß er bei mir und ließ sich erzählen, wie und warum ich nach Tunesien gekommen war.

„Was?“ sagte er. „Den Scheik Ali en Nurabi vom Stamme der Sebira haben Sie besucht? Waren Sie schon früher bei ihm?“

„Ja.“

„Sind Sie damals mit ihm nach den drei Schotts hinabgeritten, um den berüchtigten Khrumir zu verfolgen?“

„Ja.“

„So sind Sie wohl gar Kara Ben Nemsi Effendi?“

1) Araber.

„So werde ich genannt.“

„Dann heiße ich die Stunde eine glückliche, die mich hierhergeführt hat! Sie sind der Mann, den ich brauche, der mir einen guten Rat geben wird.“

„Sie haben mir das Leben gerettet! Sie dürfen nicht nur auf meinen Rat. sondern auch auf meine That rechnen.“

„Pah! Leben gerettet! Der reine Zufall und ganz ohne mein Dazuthun! Nach allem, was ich von Ihnen gehört habe, sind Sie vielleicht der einzige Mann, der mir einen schweren, tiefen Kummer mildern oder gar heben kann, den ich nun schon zwei Jahre lang mit mir herumtrage. Ich heiße nämlich Girard und bin nicht um des Erwerbes willen Händler geworden, sondern um unter diesem Deckmantel unbemerkt Nachforschungen anzustellen nach einem Kinde, einem Knaben, der mir entführt worden ist.“

„Herrgott! Ein Kind ist Ihnen abhanden gekommen?“

„Mein einziges Kind, ein vierjähriger Knabe.“

„Wann?“

„Vor zwei Jahren.“

„Und wo?“

„In Sfaks, wenn Ihnen diese Stadt bekannt ist.“

„Ich kenne sie, bin schon dreimal dort gewesen. Wollen Sie mir sagen, in welcher Weise die Entführung vor sich gegangen ist?“

„Sie wissen jedenfalls, daß Sfaks zu jener Zeit von der französischen Flotte bombardiert und eingenommen worden ist. Die dort wohnenden Europäer zogen sich aus ihr ein Stück in das Innere des Landes zurück, ich auch mit Weib und Kind, meinem kleinen Armand. Wir gingen bis zum Bah feitun Lakhderi, wo wir uns sicher wußten. Dort wollten wir die Belagerung abwarten. Wir blieben von den dort wohnenden Uëlad Metelit und Saleith unbelästigt und bekamen nur einen einzigen Beduinen zu sehen, der zufälligerweise zu uns kam und uns um Wasser bat. Es war gegen Abend, und er und sein Pferd waren ermüdet. Er bat um die Erlaubnis, in unserer Nähe an dem Wasser bis früh bleiben zu dürfen, und wir erlaubten es ihm. Was konnte uns ein einzelner Beduine thun? Er war noch jung und sah so harmlos aus. Er lagerte sich bescheiden fern von uns. Wir schliefen ohne Sorge ein; aber als wir erwachten, bemerkten wir zu unserm großen Entsetzen, daß unser Armand fehlte. Er war fort und alles Suchen vergeblich.“

„Wie kamen Sie auf die Idee, daß er entführt worden sei?“

„Der Beduine war auch fort, und wir sahen, daß er unser Zelt hinten aufgeschnitten hatte, um in das Innere zu dem Knaben zu gelangen. Was hat er mit ihm gewollt? Das Kind konnte ihm doch nur lästig werden! Von Zigeunern hat man gehört, daß sie Kinder rauben, von Beduinen aber nicht.“

„Hm!“

„Sie können sich unser Entsetzen denken! Wir gaben uns alle, alle Mühe, den Verlorenen zu entdecken, doch ohne Erfolg. Als alles vergeblich war, kam ich auf die Idee, als Händler im Lande umherzuziehen und nachzuforschen; auch dies hat bisher nichts geholfen.“

„Weil man einem verhaßten Franzosen keine richtige Auskunft erteilt.“

„O, man hält mich für einen Eingeborenen; ich bin der Sprache genugsam mächtig und verrate nirgends, daß ich ein Franke bin. So ritt ich zwei Jahre lang von Stamm zu Stamm, von Lager zu Lager, habe aber bis jetzt keine Spur gefunden.“

„Und Ihre Gemahlin?“

„Die lebt unterdessen bei ihrem Bruder, einem Kaufmann in Tunis. Sie sieht mich stets mit banger Hoffnung fortziehen und empfängt mich bei meiner Rückkehr mit den Thränen der Enttäuschung. Der Gram nagt an ihrem Leben. Wann wird das aufhören, wann wird das ein Ende nehmen!“

Er schlug die Hände vor das Gesicht und schwieg. Ich wartete eine Weile und erkundigte mich dann:

„Haben Sie denn keine Ahnung, zu welchem Stamme der Knabenräuber gehörte?“

„Zu den Uëlad Mahad.“

„Alle Wetter!“ rief ich überrascht aus. „Nannte er seinen Namen?“

„Ja; er hieß Ben Nefad.“

„Aha! Meine Vermutung!“

„Wie? Was? Sie haben eine Vermutung?“

„Ja.“

„Welche, Monsieur?“

„Sagen Sie mir zunächst, ob Sie wissen, was das Wort Mahad bedeutet.“

„Das weiß ich nicht.“

„Und Nefad?“

„Auch nicht. Es sind eben Namen, bei denen man sich nichts zu denken braucht.“

„O nein. Diese Worte haben ihre Bedeutung. Mahad heißt „niemand“ und Nefad bedeutet das Gelingen.“

„Ich denke, niemand heißt la ahad, und das Gelingen heißt negah!“

„Provinzialismus, Monsieur. Diese Leute wählen in solchen Fällen von zwei gleichbedeutenden Ausdrücken den weniger gebräuchlichen aus. Uëlad Mahad bedeutet „niemandes Stamm,“ gibt es also nicht; der Mann hat Sie getäuscht. Und Ben Nefad heißt Sohn des Gelingens. Das sagt genug. Er hat seinen Stamm verschwiegen und ist auf ein Unternehmen ausgeritten, dessen gewünschten Ausgang er nach hiesiger Sitte mit dem dabei angenommenen Namen bezeichnet.“

„Ah, so ist es! Endlich, endlich doch wenigstens ein Schein, wenn auch nur ein ganz leiser Schein der Möglichkeit, zum Ziele zu kommen! Darum also wurde überall gelächelt, wenn ich nach dem Aufenthalte der Uëlad Mahad fragte!“

„Sie sprechen von einem leisen Scheine, Monsieur. Wie nun, wenn ich Ihnen mehr als das, wenn ich Ihnen ein helles Licht geben könnte?“

Da fragte er schnell, in freudiger Bestürzung:

„Können Sie das, Monsieur, können Sie das?“

„Ja.“

„Mein Gott, wenn das möglich wäre! Aber es muß möglich sein, denn Sie sind Kara Ben Nemsi Effendi, und als ich dies vorhin entdeckt, war es mir sofort gewiß, daß ich an den richtigen Mann gekommen sei. Was denken Sie, Monsieur, was denken Sie?“

„Ihr Knabe Armand ist in Kaïrwan.“

„In Kaïrwan? Meinen Sie?“

„Ich meine es nicht nur, sondern ich möchte sogar darauf schwören, wenn ich überhaupt die Gewohnheit zu schwören hätte.“

„Was soll er aber in Kaïrwan?“

„Seinem Räuber zur Seligkeit verhelfen.“

„Zur Seligkeit? Wie das?“

„Zufälligerweise kenne ich das. Ich bin nämlich schon einmal in Kaïrwan gewesen, welches kein Christ betreten darf, wenn er nicht sein Leben verlieren will, und damals nur mit Mühe dem Tode entgangen. Der Kommandant der dortigen Militärtruppe hielt mich für einen Muhammedaner, für einen Offizier, und sprach sehr viel über die dortigen Verhältnisse zu mir. Kaïrwan ist selbst eine heilige Pilgerstadt-

Der Kutb.
(64)

Pilgerstadt und liegt weit von Mekka entfernt, wohin jeder Moslem wenigstens einmal im Leben pilgern soll. Wer dies nicht thun kann, erkauft sich seine Seligkeit, das Paradies Muhammeds dadurch, daß er dem Islam die Seele eines Kindes ungläubiger Eltern zuführt. Haben Sie noch nicht gehört, wie viel Knaben zum Beispiel von Juden verschwinden, wieviel Knaben den Bewohnern der nördlichen Sahara geraubt werden?“

„Nein.“

„Diese Knaben kommen in die Schule der berühmten Okba-Moschee, wo sie im Islam unterrichtet und meist zu Moscheedienern ausgebildet werden. Jeder, der dieser Schule einen solchen Knaben bringt, hat Allah eine verlorene Seele geschenkt und dafür die seinige gerettet.“

„Und Sie denken — — — Sie denken, daß mein Armand auch dorthin geschafft worden ist?“

„Ich bin sogar überzeugt davon.“

„Haben Sie einen gewissen Anhalt dazu?“

„Ja. Es hat sich da der Brauch eingebürgert, daß jeder, der auf einen solchen Knabenraub ausgeht, natürlich seinen eigentlichen Namen und seinen Stamm verschweigt, sich Ben Nefad, den „Sohn des Gelingens“, nennt und angiebt, daß er zum Stamme Uëlad Mahad, zum Stamme Niemand, gehöre. Da dies bei Ihrem Sohne ganz wörtlich auch der Fall gewesen ist, so bin ich überzeugt, daß er sich bei der Okba-Moschee von Kaïrwan befindet.“

Da ergriff der Händler meine beiden Hände und rief entzückt aus:

„Monsieur, ich danke Ihnen, ich danke Ihnen von ganzem Herzen! Das ist allerdings kein leiser Schein sondern eine helle Sonne, die Sie mir da geben. Ja, Sie waren der richtige Mann. Ich muß nach Kaïrwan, sofort nach Kaïrwan!“

„Sachte, sachte, Monsieur! Das geht nicht so, wie Sie meinen. Sie haben keine Ahnung von der Gefahr, in welche Sie sich begeben!“

„O, ich weiß, daß ich mein Leben wage; aber ich thue es, ich thue es gern!“

„Sie werden Ihren Sohn doch nicht befreien!“

„Nicht?“

„Nein. Kennen Sie die Stadt und ihre Verhältnisse?“

„Nein.“

„So sind Sie verloren, sobald Sie hinkommen. Es gehört nicht nur ein großer Wagemut, sondern auch ein bedeutendes Quantum List dazu, das auszuführen, was Sie vorhaben.“

„Mein Gott!“ rief er enttäuscht. „Sie meinen also, daß ich es nicht fertig bringe?“

„Allein gewiß nicht.“

„Allein nicht? Wen soll ich denn mitnehmen? Wer soll mir helfen?“

„Ich.“

„Sie, Monsieur? Sie wollten mit?“

„Ja.“

„Ist das Ihr Ernst? Ist das die Möglichkeit?“

„Ich gehe sehr gern mit. Sie haben mir vorhin das Leben gerettet; Sie sollen Ihren Sohn wieder haben.“

„Das kann ich nicht glauben; das kann ich nicht verlangen!“

„Bedenken Sie, daß ich der einzige Christ bin, der in Kaïrwan gewesen ist, also der einzige Mensch, der das Gelingen Ihres Vorhabens ermöglichen kann!“

„Aber gerade weil Sie schon dort waren, wagen Sie doppelt! Man hat Sie damals erkannt. Wenn man Sie jetzt wiedererkennt, sind Sie verloren.“

„Je mehr man wagt, desto sicherer ist man, Monsieur. Nehmen Sie mich mit?“

„Wie gern, o wie so gern! Denn wenn Sie mitgehen, erscheint mir das Gelingen sicher.“

„Gut, das ist also abgemacht. Hier meine Hand!“

„Haben Sie denn Zeit?“

„Zu so einem Streiche habe ich immer Zeit. Schlagen Sie getrost ein!“

Wir drückten einander die Hände; dann fragte er:

„Wann geht es denn fort von hier? Wann brechen wir auf? Noch heut?“

„Nein, morgen früh.“

„Erst!“

„Nur nichts übereilen! Unsere Pferde müssen ausruhen. Sind zwei Jahre vergangen, so kommt es nun auf wenige Stunden mehr auch nicht an.“

„Wie fangen wir es an, um in die Stadt zu kommen?“

„Wir thun, als wären wir Pilger. Sind Ihre beiden Diener treu?“

„Ja.“

„So bleibt einer hier bei Ihren Sachen, und der andere reitet mit uns. In der Gegend von Kaïrwan übergeben wir ihm unsere Pferde und Waffen; er muß auf unsere Rückkehr warten, und wir ziehen zu Fuß und unbewaffnet als arme Pilger in Kaïrwan ein.“

„Unbewaffnet?“

„Wenigstens scheinbar. Meine Revolver nehme ich mit; die sieht man nicht. Sind Sie mit diesem Plane einverstanden?“

„Natürlich! Was könnte ich dagegen haben, ich, der ich die Verhältnisse gar nicht kenne, während Sie nicht nur in diesem Falle, sondern überhaupt in solchen Dingen erfahren sind?“

„So bleibt es dabei. Morgen früh reiten wir von hier fort. Doch sagen Sie keinem Menschen, um was es sich handelt. Diese Leute sind alle Muhammedaner, denen Kaïrwan für heilig gilt; sie könnten uns leicht einen bösen Streich spielen.“ — — —

— — — — — — — — — —

Vier Tage später, um die Mittagszeit, hielten wir in der Nähe des Karawanenweges an, welcher von Kaïrwan nach dem Dschebel Abd el Fadelun führt. Wir mußten den Diener hier zurücklassen. Er bekam alles, was wir bei uns hatten, außer meinen Revolvern; einiges Geld behielten wir natürlich auch. Ich zeigte ihm die Stelle, an welcher wir wieder mit ihm zusammentreffen wollten; dann wanderten wir der heiligen Stadt zu.

Ob wir sie wohl glücklich wieder verlassen würden?

Diese sehr ernste Frage legte ich mir natürlich vor. Diejenigen Bewohner von Kaïrwan, die mich bei meiner ersten Anwesenheit gesehen hatten, brauchte ich nicht zu fürchten. Damals trug ich einen dichten Vollbart, jetzt nur den kurzgeschnittenen Schnurrbart und auch ganz andere Kleider. Sie erkannten mich gewiß nicht. Aber der Kaïrwaner, der in Kairo unter dem Bab Zuweileh zu dem Kutb gebetet hatte, der machte mir Bedenken. Er war zwar von mir beschenkt worden, hatte aber gesagt, daß wir nun quitt seien. Wir mußten unbedingt in die Moschee, und er war Diener an derselben. Welche Vorsicht war da anzuwenden, daß er uns nicht zu sehen bekam!

Außerdem fragte ich mich, wie wir den Knaben ausfindig machen wollten. Am besten wohl durch den Besuch der Schule, falls dieser erlaubt war. Doch, das fand sich schon; das mußten die Verhältnisse ergeben.

Was Girard, den Händler, betrifft, so war er jetzt sehr schweigsam geworden. Er wußte, daß wir einer Gefahr entgegengingen; ihre volle Größe hatte er aber nicht gekannt; nun jedoch, als wir uns unserm Ziele näherten,

mochte es ihm doch anders um das Herz werden als bisher.

Da sahen wir den nördlichen Stadtteil vor uns liegen und durchschritten ihn auf denselben Gassen, durch welche ich damals auch gegangen war. Uns ein Unterkommen zu suchen, das hoben wir für später auf; wir begaben uns direkt nach der Moschee, welche sehr besucht war. Wir knieten wie die andern nieder, scheinbar um unser Gebet zu verrichten; anstatt dessen aber flog mein Blick von Person zu Person, um mich zu orientieren. Girard gestand mir später, daß er wirklich gebetet hatte, um das Gelingen unseres kühnen Planes.

Darauf gingen wir, wie es eben fremde Pilger thun, langsam durch die Säulenhallen, um die wunderbare Architektur zu betrachten. Als uns da ein Moscheebediensteter begegnete, fragte ich ihn nach der Schule der Knaben und er machte sehr bereitwillig den Führer.

Sie machte sich schon von weitem durch die Kinderstimmen kenntlich, welche Koranverse plärrten. Wir durften in den Raum treten; es waren viele Zuhörer da. Wir fanden lauter ältere Knaben; die jüngeren hatten später Unterricht. Wir gingen also einstweilen wieder fort.

Eben als wir aus der Thür traten, wollte jemand hinein, und dieser jemand war — — der bittende Soldat vom Thore Zuweileh. Wir erkannten einander augenblicklich.

„Maschallah!“ rief er aus. „Effendi, Du! Du abermals!“

Ich ging ruhig weiter, als ob seine Worte mich gar nichts angingen. Er kam mir nach, faßte mich am Arm und sagte:

„Effendi, was wagst Du wieder! Es ist — — — „

„Was willst Du von mir?“ unterbrach ich ihn streng im Dialekte der westlichen Sahara.

„Wer bist Du, Herr?“ fragte er, irre geworden.

„Ich bin ein Beni Schugara vom Ufer des Hamam.“

Ich hatte meine Stimme verstellt, und der fremde Dialekt dazu, das wirkte.

„Verzeih, o Herr; ich verkannte Dich!“ sagte er und ging; aber ich bemerkte, daß er uns heimlich folgte.

„Wer war der Mann?“ fragte der Franzose. Ich sagte es ihm.

„So sind wir verloren!“ klagte er.

„Nein.“

„Gehen wir fort!“

„Auch nein! Das würde ihn in seinem Verdachte bestärken. Wir bleiben nun erst recht.“

Gegen Abend wurden die Lampen angebrannt, und das Innere der Moschee erglänzte feenhaft in einem Meer von Licht. Der Unterricht der Kleinen begann. Es waren wohl an die Hundert erwachsene Zuhörer da. Wir gesellten uns zu ihnen. Da kamen die Knaben und setzten sich nieder. Der Lehrer war noch nicht da; sie warteten. Aber mehrere Moscheediener standen am Eingange. Es herrschte tiefe Stille; da plötzlich rief eine helle jubelnde Kinderstimme:

„Mein Vater, o Allah, mein Vater!“

Ein hübscher, etwa sechsjähriger Knabe sprang auf und kam mit ausgestreckten Aermchen auf uns zugesprungen.

„Mein Sohn, mein liebes, liebes, geraubtes Kind!“ schrie der Vater unvorsichtig. Er bückte sich nieder und hob den Knaben an seine Brust.

Ich hätte entspringen können, wollte Girard aber nicht verlassen. Einen Augenblick lang tiefe Stille, dann schrie einer der Diener:

„Das sind Christen, zwei verfluchte Christen! Tötet sie!“

Wir waren sofort umringt. Man wollte

Der Kutb.
(65)

uns niederreißen. Ließ ich es dazu kommen, so wurden wir gewiß zertreten. Ich stemmte mich also fest, wehrte die Wütenden nach Kräften von mir ab und rief:

„El Adala, el Adala — Gerechtigkeit, Gerechtigkeit! Man soll erst untersuchen, ob wir Christen sind!“

„Ja,“ ertönte eine Stimme. „Im Namen dieser hohen Moschee des heiligen Okba Ben Nafi! Wir arretieren diese beiden Fremden; laßt sie los, Ihr Gläubigen! Das Gericht der Medsched wird sie verhören. Macht Platz, macht Platz!“

Es war der Moscheediener aus Kairo. Er kam mit acht oder zehn Kollegen zu uns und drängte die Menge von uns ab. Sie umringten uns und schafften uns fort, durch einen Seitengang, wo niemand uns belästigte, und einige andere schmale, dunkle Gänge in ein Gewölbe, in welches wir eingeschlossen wurden.

Girard hatte seinen Knaben noch in den Armen. Niemand war auf den Gedanken gekommen, ihm denselben zu nehmen.

„Verloren, alles verloren!“ klagte er. „Endlich, endlich mein Kind gefunden und nun sterben müssen!“

„Still!“ bat ich. „Ich habe Hoffnung.“

„Jetzt noch Hoffnung?“

„Ja.“

„Woher könnten Sie dieselbe schöpfen?“

„Ich hoffe auf den Tempeldiener, welcher uns arretiert hat.“

„Der ist ja der schlimmste, sonst hätte er uns nicht arretiert.“

„O nein. Er hat uns verhaftet, um uns den hundert Händen zu entreißen, welche sich ausstreckten, um uns zu vernichten.“

„Sie sind wirklich ein seltener Mann, Monsieur! Ich glaube, Sie stehen noch im Grabe einmal auf und sagen, daß Sie lebend sind!“

„Der Mensch darf sich nie verloren geben. Sie haben Ihren Armand. Seien Sie einstweilen zufrieden, und verzweifeln Sie nicht. Für den schlimmsten Fall habe ich meine Revolver. Zwölf Schüsse sind etwas wert, wenn sie im richtigen Augenblicke fallen.“

Er setzte sich nieder, ließ den Knaben, der ihn nach zwei Jahren wiedererkannt hatte, nicht von seinem Herzen und sprach in den zärtlichsten Tönen auf ihn ein. Da wurde die Thür geöffnet. Draußen stand der, auf den ich hoffte.

„Kommt!“ sagte er.

„Wohin?“ fragte ich.

„Du wirst es erfahren. Schnell, schnell!“

Wir gingen hinaus. Er schob den schweren Riegel wieder vor und führte uns durch mehrere dunkle, leere Gänge und Gewölbe, bis wir plötzlich im Freien standen. Kein Mensch war zu sehen.

„Effendi, wo habt Ihr Euer Quartier?“ fragte er.

„Wir haben keins. Wir waren erst angekommen.“

„Eure Pferde?“

„Draußen vor der Stadt.“

„So geht; aber eilt nicht wie Fliehende, sondern lauft langsam wie Leute, welche gerechte Sache haben. Ihr habt Zeit. Der Oberste der Moschee war nicht zu finden. Aber wage nicht zum drittenmale, nach Kaïrwan zu kommen, denn ich könnte Dich wahrscheinlich nicht so leicht retten, wie heut.“

„Warum lässest Du uns überhaupt entkommen?“

„Aus Dankbarkeit, Effendi.“

Illustration4
Er schob den schweren Riegel wieder vor und führte uns durch mehrere dunkle,
leere Gänge und Gewölbe, bis wir plötzlich im Freien standen.

„Du sagtest doch in Kairo zu mir, daß wir quitt seien!“

„Damals dachte ich es. Dann aber las ich das heilige Buch der Christen, welches Du

mir geschenkt hast, und je mehr ich in demselben las, desto mehr sah ich ein, daß wir nicht quitt sind, sondern daß ich Dir dieses Geschenk niemals vergelten kann. Es ist mehr, mehr wert als alles, was ich sonst habe; es ist — — ist — — ist sogar mehr wert als diese große, herrliche Moschee des heiligen Okba Ben Nafi, die Du nun zum zweitenmal geschändet hast.“

Da legte ich ihm die Hand auf die Achsel und fragte:

„Schändest Du sie nicht auch? Ja, schändest Du sie nicht täglich und stündlich?“

„Ich? Wieso?“ fragte er erstaunt.

„Sie ist Dir weniger wert als das Buch, welches ich Dir gegeben habe. Du glaubst an das, was in diesem heiligen Buche steht; Du bist also in Deinem Herzen ein Ungläubiger, ein Giaur geworden und betrittst doch täglich die Moschee als Diener an derselben!“

Er blickte vor sich nieder, hob dann die Augen zu mir, sah mir lange in das Gesicht, reichte mir die Hand und sagte:

„Effendi, ich schweige; aber ich danke Dir!“

„Hast Du die Deinen bei Deiner Rückkehr gesund und wohl gefunden?“

„Ja, Effendi. Ich habe ihnen von Dir erzählt und daß sie mich ohne Deine Güte nie wiedergesehen hätten. Ich lese ihnen täglich aus deinem heiligen Buche vor, und ihnen ist, so wie mir, Jesus, der Sohn Gottes, lieber, tausendmal lieber geworden als Muhammed, der Menschensohn. Nun aber geht, und kommt niemals wieder!“

„Höre,“ lächelte ich ihn an; „o sag’ mir einmal aufrichtig, ob Du mich nicht auch zum drittenmale retten würdest, wenn ich wiederkäme!“

„Effendi, Du bist mein Wohltäter und ein Christ; ja, ich würde Dich wieder retten, denn — — — wir sind noch lange, lange nicht quitt; ich kann meine Schuld gegen Dich niemals abtragen. Lebt wohl!“

Er wendete sich zurück und verschwand hinter der Thür. Wir spazierten langsam zur Stadt hinaus und gelangten glücklich zu unseren Pferden. Wie unerwartet schnell war das gegangen! Und mit welchen ganz anderen Gefühlen ritt Girard nun nach Norden, als er vorher nach Kaïrwan geritten war!

In Hammamat trafen wir ein Schiff, mit welchem wir nach Tunis fuhren.

Das Entzücken der Mutter beim Wiedersehen ihres entführten Kindes ist nicht zu beschreiben! — — —

Zierleiste