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Er Raml el Helahk

Reiseerlebnis von Dr. Karl May

1. Der Khabir.

Illustration1

Die Sonne hatte ihren Tageslauf fast ganz vollendet; darum lag ich nach der heutigen glühenden Hitze etwas entfernt von dem Brunnen vollständig im Schatten meines Reitkameles, während sich die andern Mitglieder der Karawane rund um das brackige, schlecht schmeckende Wasser niedergelassen hatten und den überschwänglichen Reden meines Chaddam 1) Kamil lauschten. Ich konnte jedes Wort verstehen, welches gesprochen wurde, und hörte mit heimlichem Vergnügen zu, welche Mühe er sich gab, alle meine unzähligen guten Eigenschaften in das richtige Licht zu stellen.

„Nicht wahr, Du heißest Abram Ben Sakir und bist ein reicher Mann?“ fragte er den neben ihm sitzenden Handelsherrn aus Mursuk. „Wieviel bezahlst Du jedem Deiner Begleiter auf dieser Reise für den Tag?“

„Zweihundert Kauris,“ antwortete der Gefragte bereitwillig. „Ist das nicht genug?“

„Für Deinen Besitz, ja; aber mein Sihdi 2) ist viel, viel reicher, als Du bist. Er heißt Hadschi Kara Ben Nemsi,

1) Diener. – 2) Herr.

und in den Oasen seines Vaterlandes weiden 1000 Pferde, 5000 Kamele, 10 000 Ziegen und 20 000 Schafe mit fetten Schwänzen, die ihm gehören. Er gibt mir täglich einen Abu Noqtah 1), so daß ich reicher als Du sein werde, wenn ich von ihm in mein Duar 2) zurückgekehrt sein werde. Sag, was bist Du gegen ihn?“

Der Aufschneider log gewaltig, denn ich zahlte ihm nicht täglich, sondern wöchentlich einen Mariatheresienthaler; er bekam also nach deutschem Gelde täglich ungefähr 50 Pfennige. Der sehr reiche Handelsherr antwortete:

„Allah gibt, und Allah nimmt; die Menschen können nicht alle gleich wohlhabend sein.“

„Du hast recht,“ nickte Kamil, „und weil mein Sihdi der Liebling Allahs ist, hat er viel von ihm bekommen. Ahnest Du vielleicht, wie berühmt der Name Hadschi Kara Ben Nemsi in allen Ländern und bei allen Völkern der Erde ist? Er spricht alle viertausendundfünfzig Sprachen der menschlichen Zunge, kennt die Namen aller achtzigtausend Tiere und Pflanzen, heilt alle zehntausend Krankheiten und schießt den Löwen mit einer einzigen Kugel tot. Seine Mutter war die schönste Frau der Welt; die Mutter seines Vaters wurde der Inbegriff der Tugenden genannt, und die sechsunddreißig Frauen, welche er besitzt, sind folgsam, lieblich und nach Ambra duftend wie die Blumen des Paradieses. Er hat die Heere aller Helden besiegt; vor seiner Stimme zittert sogar der schwarze Panther, und wenn, um uns zu überfallen, die räuberischen Tuareg kämen, in deren Gebiete wir uns leider jetzt befinden, so genügte allein seine kleine Flinte, sie in die Flucht zu treiben. Blicke hin zu ihm! Siehst Du, daß er zwei Gewehre hat, ein großes und ein kleines? Mit dem großen schießt er eine ganze Khala 3) über den Haufen, und mit dem kleinen kann er hunderttausendmal schießen, ohne zu laden; darum wird es eine Bundukije et tikrar 4) genannt. Fast wünsche ich, daß diese Halunken kämen; dann solltet Ihr sehen — — —“

„Sei still, um Allahs willen!“ unterbrach ihn da der Schech el Dschemali 5) rasch. „Wenn Du diese Mörder herbeiwünschest, so kann es dem Schajtan 6) leicht einfallen, sie wirklich herbeizuführen, und dann wären wir verloren!“

„Verloren? Wenn mein Sihdi hier ist und auch ich bei Euch bin?“ Er hätte in diesem Tone wohl weitergesprochen; da aber deutete der Schech er Dschemali auf die Sonne und sagte:

„Seht, Ihr Männer, daß die Sonne den Horizont berührt! Das ist die Stunde des Abendgebetes. Gebt Allah Preis, Lob und Ehre!“

Sie sprangen alle auf, tauchten ihre Hände in das Wasser, knieten dann, mit dem Gesichte nach der Richtung von Mekka gewendet, nieder und beteten unter den vorgeschriebenen Verbeugungen und Handbewegungen dem alten Schech die heilige Fatcha nach.

1) Wörtlich: „Vater des Tropfens“ = Mariatheresienthaler. – 2) Zeltdorf. – 3) Festung. – 4) „Flinte der Widerholung“ = Repetiergewehr. – 5) Anführer der Karawane. – 6) Teufel.

Auch ich kniete währenddem im Sande und verrichtete mein christliches Abendgebet, natürlich ohne ihre Bewegungen nachzuahmen, denn ich hatte ihnen nicht verschwiegen, daß ich kein Muhammedaner sei. Ich war gestern, gleich nachdem ich mit meinem Kamil ihre Handelskarawane eingeholt hatte, so aufrichtig gewesen, ihnen das zu sagen, und sie hatten das nicht für einen Grund genommen, mir die Erlaubnis, mich ihnen anzuschließen, zu verweigern.

Als das Gebet zu Ende war und wir uns von den Knieen erhoben hatten, sahen wir von Norden her einen einzelnen Kamelreiter kommen. Sein Hedschihn 1) war ein vorzüglicher Schnelläufer, und seine Waffen bestanden aus einer langen, arabischen Flinte und zwei Messern, die er an Armbändern an seinen beiden Handgelenken hängen hatte. Diese Art, die Messer zu tragen, ist für den Gegner sehr gefährlich: man umarmt ihn und sticht ihm dabei die beiden Klingen von hinten in den Rücken.

„Sallam!“ grüßte er, bei uns angekommen, indem er, ohne sein Kamel niederknieen zu lassen, aus dem Sattel sprang. „Erlaubt mir, hier mein Hedschihn zu tränken und Euch vor den Feinden zu warnen, denen Ihr entgegengeht!“

Er war in einen langen, weißen Burnus gehüllt, unter dessen Kapuze sein dunkles, stark eingefettetes Haar hervorquoll. Groß und kräftig gebaut, hatte er ein ovales, volles Gesicht mit einer Abplattung in der Gegend der Backenknochen, eine kurze, fast stumpfe Nase, kleine Augen und ein rundes Kinn. Hätte er das Litham getragen, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen frei läßt, so wäre ich überzeugt gewesen, einen Targi 2) vor mir zu haben.

„Du bist uns willkommen,“ antwortete der alte Schech, als das Tier des Ankömmlings von selbst zum Wasser lief, um zu trinken. „Wen aber meinst Du, indem Du von Feinden redest?“

„Die Imoscharh,“ antwortete der Gefragte.

Dieses Wort ist gleichbedeutend mit Tuareg. Des letzteren Wortes bedienen sich nur die Araber, während die Angehörigen des betreffenden räuberischen Volkes sich nie anders denn als Imoscharh bezeichnen.

„Du meinst die Tuareg? Befinden sich welche auf unserm Wege?“

„Nicht nur welche, sondern sehr viele und zwar in der Oase Seghedem.“

„Allah! Dorthin wollten wir in dieser Nacht reiten!“

„Das könnt Ihr nicht. Wir waren eine Karawane von über dreißig Männern mit achtzig Kamelen. Wir kamen vom Bis Ishaya und hielten uns für sicher; kaum aber hatten wir Seghedem erreicht, so wurden wir von den Imoscharh, welche sich dort versteckt hielten, überfallen und trotz der tapfersten Gegenwehr niedergemetzelt. Ich bin der einzige, der entkommen ist.“

„Ja waîli!“ rief der Alte betroffen aus. „Diese Hunde hat uns der Schajtan in den Weg geführt! Sie werden in Seghedem liegen bleiben. Was thun wir da? Sollen wir hier warten, bis sie fort sind, hier am Bir 3) Ikbar, dessen Wasser für Menschen kaum zu genießen ist und für unsere Tiere kaum noch einen Tag ausreichen würde?“

Er sah sich ratlos im Kreise um. Abram Ben Sakir, der Handelsherr, machte ein bedenkliches Gesicht und fragte:

„Können wir die Oase Seghedem nicht umgehen?“

„Nein,“ antwortete der Schech. „Nach Osten ist das unmöglich, denn der nächste Brunnen dorthin liegt drei volle Tagesreisen von hier im Gebiete der Tibbu, und der Umweg nach Westen würde uns in die Berge der Magarat ess ßuchur 4) führen, durch welche ich den Weg nicht kenne.“

„Aber ich kenne ihn,“ sagte der neu Angekommene.

„Du?“ fragte der Schech erstaunt. „Da wärst Du ja ein Khabir 5), der diese Gegend weit besser kennt als ich, und doch zähle ich das Doppelte Deiner Jahre.“

„Es ist so; ich bin Khabir. Das Alter thut es nicht; ich kenne diese Gegend, weil ich mehreremale dagewesen bin. Ich war ja auch der Khabir der Karawane, welche von den Imoscharh überfallen wurde, und hätte mich nicht retten können, wenn der Wüstenweg mir unbekannt gewesen wäre.

1) Reitkamel. – 2) Einzahl von Tuareg. – 3) Brunnen. – 4) Felsengrotten. – 5) Führer.

Ich bin ein Krieger der Beni Riah und werde Omar Iba Amarah genannt.“

Der arabische Stamm der Beni Riah wohnt allerdings in Fezzan, aber es wurde mir schwer, diesen Khabir für einen Araber zu halten, zumal er die Tuareg nicht anders als Imoscharh nannte, was ein Araber nicht gethan hätte. Diesen meinen Zweifel hegte der Schech aber nicht, denn er sagte:

„Ich weiß, daß die Beni Riah Männer sind, welche den Weg von Mursuk nach Bilma genau kennen, und glaube also, daß Du in den Magarat ess ßuchur gewesen bist. Also Du kennst die Berge der Felsengrotten? Und Du glaubst, daß wir auf diesem Wege die Oase Seghedem und die Tuareg umgehen können?“

„Ja; es ist leichter, als Du denkst. Wenn wir von hier aus einen Bogen um diese Oase reiten, lassen wir die Gefahr rechts von uns liegen und kommen glücklich beim Bis Ishaya an. Ich will Euch führen, denn ich denke, daß nicht Du allein es wünschest, sondern daß auch alle Deine Begleiter diesen Wunsch haben.“

„Sie haben ihn. Setze Dich zu uns, und sei unser Gast! Wir werden jetzt essen und nach dem Abendgebete von hier aufbrechen.“

„Ich bin bereit, Euer Führer und Gast zu sein, doch wirst Du mir nun sagen, wer die Männer sind, deren Schech el Dschemali Du zu sein scheinest.“

„Das mußt Du natürlich wissen. Du siehst hier Abram Ben Sakir, den Handelsherrn aus Mursuk, dem alle diese Diener und Lastkamele gehören; ich soll ihn von Bilma nach Mursuk bringen. Und dort stehen zwei Fremde, die sich erst gestern zu uns gesellt haben. Es ist Hadschi Kara Ben Nemsi, aus dem Abendlande, mit Kamil Ben Sufakah, der sein Diener ist.“

Der Khabir sah uns mit scharfem, stechendem Blicke an und fragte dann Kamil in grollendem Tone:

„Dein Name ist Kamil Ben Sufakah? Zu welchem Volke gehörst Du?“

„Ich bin ein Beni Dscherar vom Ferkah 1) Ischelli,“ antwortete der Gefragte.

„Und als Moslem bist Du der Diener eines Giaur, eines Ungläubigen geworden? Schande und Fluch über Dich! Möge Dich die Dschehennah 2) verschlingen!“

Er spuckte ihn an, was sich mein Kamil sehr ruhig gefallen ließ, denn er war nur mit dem Munde tapfer, in der That aber ein Feigling, der seinesgleichen suchte. Das einzige, was er wagte, war, sich mit der vorwurfsvoll klingenden Frage an mich zu wenden:

„Sihdi, kannst Du es dulden, daß Dein treuer Diener so beleidigt wird, Du, der Held aller Helden, der zwei Gewehre hat?“

„Der Held der Helden?“ lachte der Khabir verächtlich. „Wie kann ein Giaur ein Held sein! Ich werde gleich zeigen, wie man mit so einem stinkenden Hund zu sprechen hat.“

Er kam auf mich zu, blieb drei Schritte vor mir stehen, funkelte mich mit lodernden Augen an und fragte:

„Also, Du bist ein Christ, wirklich ein Christ?“

„Ja,“ antwortete ich in aller Ruhe.

„Und da glaubst Du, daß ich Dich wirklich nach Mursuk bringen werde?“

„Nein.“

„Nicht?“ klang es erstaunt. „Du hast es erraten. Ein gläubiger Sohn des Propheten wird sich nie dazu hergeben, der Khabir eines Christen zu sein, dessen Seele für die Hölle bestimmt ist.“

„Du irrst. So, wie Du denkst, habe ich es nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, daß es überhaupt nicht Dein Wille sei, irgend jemand nach Mursuk zu führen.“

„Maschallah! Was hindert mich, Dich für diese Beleidigung niederzuschlagen!“

„Laß Dich nicht auslachen! Ein Targi, wie Du bist, schlägt mich nicht nieder.“

Er hob schon die Faust zum Hiebe, ließ sie aber vor Erstaunen wieder sinken und fragte:

„Wie? Für einen Targi hältst Du mich, für einen Krieger der Imoscharh? Warum denn?“

1) Ferkah: Unterabteilung eines Stammes. – 2) Hölle.

„Darüber habe ich Dir keine Rechenschaft abzulegen; aber warum willst Du jetzt nicht nach Bilma weiterreiten, sondern nach Mursuk umkehren? Warum bist Du nicht gleich umgekehrt, als Deine Karawane in der Oase Seghedem überfallen wurde, sondern eine ganze Tagereise bis hierher weitergeritten?“

„Weil — weil — — weil — — —“

Er stockte. Meine Frage brachte ihn so in Verlegenheit, daß er erst nach einiger Zeit fortfahren konnte:

„Weil die Imoscharh mir den Rückweg verlegt hatten.“

„Das war kein Grund, einen ganzen Tag lang weiter zu reiten. Ich schenke keinem Deiner Worte Glauben. Daß die Tuareg irgendwo stecken, daran will ich nicht zweifeln, in Seghedem aber wahrscheinlich nicht. Ich nehme vielmehr an, daß Du uns erst zu ihnen bringen willst. Du bist ihr Mirsal, 1) ihr Gasuhs, 2) der uns in ihre Hände liefern soll. Wahrscheinlich stecken sie im Gebiete der Felsengrotten, weil Du uns dorthin führen willst.“

Ich sagte das in einem so bestimmten, überzeugten Tone, daß er einiger Zeit bedurfte, seine Bestürzung zu überwinden; dann aber brach er los:

„Ia Allah! Ist es möglich! Ein Gasuhs werde ich genannt, ein Gasuhs, zum Danke dafür, daß ich diese Männer hier retten will! Hund von einem Giaur, Du stinkst mich an wie ein Aas, in dem die Würmer wimmeln! Ich wer­de — — —“

„Halt!“ unterbrach ich ihn. „Kein solches Wort weiter! Als Christ bin ich zu Deinen Beleidigungen bisher ruhig geblieben; ich werde auch ferner ruhig bleiben, aber dafür sorgen, daß, falls Du noch ein solches Wort aussprichst, Du auch ruhig wirst! Hast Du bis jetzt noch keinen Christen gekannt, so sollst Du einen kennen lernen, und kein Prophet wird mich hindern, Dir zu zeigen, daß Du gegen mich ein Schwächling und ein Knabe bist!“

„Ein Knabe!“ schrie er wütend auf. „Das sollst Du büßen! Hund, da hast Du beide Messer!“

Er that einen Sprung auf mich zu, indem er die Arme ausbreitete, um sie um mich zu schlingen und mir die Messer in den Rücken zu stoßen; aber meine Faust kam ihm zuvor; ich schlug sie ihm von unten herauf unter das Kinn, daß er zurückflog und in den Sand stürzte. Im nächsten Augenblicke war er wieder auf und legte die Flinte, welche er festgehalten hatte, auf mich an; eben als der Hahn knackte, griff ich zu, riß sie ihm aus den Händen, sprang zwei Schritte zurück, richtete den Lauf auf ihn und drohte:

„Keine Bewegung weiter, Knabe, sonst trifft Dich Deine eigene Kugel! Gehe heim zu den Deinen, und bitte Deine Mutter um ein Spielzeug, welches besser für Deine Hände paßt als diese Flinte!“

Ich drückte den Schuß ab und schlug dann den Kolben des Gewehres schief gegen den Boden, daß er abbrach. Bei dem kleinen Krach, den das verursachte, stieß der Khabir einen wilden Schrei aus und sprang abermals auf mich ein; er achtete nicht darauf, daß ich das Bein hob, und er bekam einen Fußtritt in die Magengegend, der ihn zu Boden warf. Sofort kniete ich auf ihm und gab ihm einen Fausthieb gegen die Schläfe, der ihn so ruhig machte, wie ich es ihm angedroht hatte; er rührte sich nicht. Der Zorn des Scheikes richtete sich jetzt voll gegen mich.

„Was hast Du gethan!“ fuhr er mich an. „Wir haben Dich bei uns aufgenommen und Dir erlaubt, mit uns zu reiten; Du aber vergiltst uns diese Gastlichkeit damit, daß du den Mann tötest, der unser Retter sein will!“

„Nicht Euer Retter, sondern Euer Verderber will er sein. Übrigens ist er nur betäubt. Untersuche ihn!“

Er kniete zu dem Khabir nieder und überzeugte sich, daß ich recht hatte, was aber seinen Zorn keineswegs minderte. Wieder aufstehend, sagte er:

„Er ist zwar nicht tot, aber Du hast ihn geschlagen und sein Gewehr zerbrochen; das fordert nach dem Gesetze der Wüste Dein Blut. Wir werden über Dich zu Gericht sitzen müssen!“

„Haltet lieber Gericht über ihn! Ich behaupte, daß er ein Targi ist, der Euch verderben will; wenn Ihr es nicht glaubt, so wird Euch vielleicht schon der morgende Tag beweisen, -

1) Abgesandter. – 2) Spion.

beweisen, daß ich mich nicht geirrt habe. Und um mein Schicksal habe ich keine Sorge; Eure Entscheidung fürchte ich nicht. Wer will mich hindern, mich auf mein Hedschihn zu setzen und fortzureiten, wenn es mir beliebt? Ihr seid zusammen nur zwölf Männer. Diese beiden kleinen abendländischen Tabangat 1), Revolver genannt, haben zweimal sechs Schüsse; das allein genügt, Euch von mir fern zu halten, ohne daß ich zu den Gewehren greife. Und wie ich vermute und sehe, bist Du der einzige, der sich mir wirklich feindlich gesinnt zeigt. Abram Ben Sakir kann nicht die Absicht haben, sein Leben und die Ladungen seiner Kamele in die Hände der Tuareg fallen zu lassen, und seine Leute werden damit einverstanden sein!“

„Sprich, was Du willst! Du wirst die Folgen doch nicht anders machen. Faßt an, Ihr Leute! Wir wollen den Khabir zum Brunnen tragen und sein Gesicht mit Wasser befeuchten, daß seine Seele zurück in das Leben kehrt.“

Sie schafften ihn hin. Mich ging er für den Augenblick nichts mehr an; ich setzte mich wieder bei meinem Hedschihn nieder und nahm, um auf alles gleich vorbereitet zu sein, einen der Revolver zur Hand. Kamil hatte sich neugierig mit hingemacht und schaute zu, was ihre Bemühungen für einen Erfolg haben würden. Sie bildeten einen Haufen von Menschen, in dem man jetzt, da es dunkel geworden war, eine Einzelbewegung nicht mehr erkennen konnte. Dann bemerkte ich, daß der Khabir zu sich gekommen war und sie beratend um ihn saßen. Zwei standen abseits und sprachen leise miteinander; es war mein Kamil, welcher mit dem Handelsherrn redete und ihm, wie ich dann erfuhr, gesagt hatte, daß ich klüger als alle die andern sei und er ja nicht auf sie, sondern auf mich hören solle, denn wenn ich einmal den Khabir für eine Targi gehalten hätte, so dürfe gar nicht daran gezweifelt werden, daß er auch wirklich einer sei. Seine eifrigen Worte fanden Gehör, denn Abram Ben Sakir kam zu mir und sagte:

„Sihdi, Dein Diener sagt, daß ich mich nicht auf den Schech el Dschemali, sondern auf Dich verlassen solle. Ist es wirklich wahr, daß Du diesen Mann für einen Spion der Räuber hältst?“

„Ja. Ich habe dazu mehrere Gründe, welche Du, falls ich sie Dir auch mitteilte, doch nicht verstehen würdest. Ich will Dir nur sagen, daß ich nicht zum erstenmale in es Sahar 2) bin und auch außerhalb derselben mit Menschen seines Schlages oft Erfahrungen gemacht habe. Ich habe nicht die mindeste Lust, mit nach den Bergen der Felsengrotten zu reiten und dort den Tuareg in die Hände zu fallen.“

„Allah, wallah, tallah! Was soll ich thun? Ich habe versprochen, mich nach den Anordnungen des Schech el Dschemali zu richten; das wurde ausgemacht, als ich ihn mietete, und meine Leute haben mehr Vertrauen zu ihm als zu dem, was Du sagst. Man wird mich überstimmen, und ich werde meine Zustimmung geben müssen, daß wir von dem Khabir geführt werden. Willst Du die Güte haben, Sihdi, mir eine Bitte zu erfüllen? Verlaß mich nicht, wenn ich mit nach den Felsen muß!“

„Du hast aber ja gar nicht nötig, um meine Hilfe zu bitten; Du brauchst nur ganz einfach zu erklären, daß Du nicht dorthin, sondern unbedingt nach Seghedem willst!“

„Man wird mich überstimmen. Diese Leute sind ja nicht eigentlich Diener, sondern ich habe sie nur für diese Reise gemietet, und Du wirst vielleicht wissen, daß nach dem Brauche der Wüste die Stimme des Gehorchenden in Zeiten der Gefahr von ganz derselben Wichtigkeit ist, wie die Stimme des sonst Befehlenden. Also verlaß mich nicht.“

„Ich will mir die Sache überlegen.“

„Ja, überlege sie Dir, und laß mich dann hören oder sehen, was Du beschlossen hast! Ich möchte dem Khabir trotz Deines Verdachtes auch jetzt noch trauen, denn ich halte es für unmöglich, daß ein gläubiger Moslem einen so gräßlichen Meineid schwören kann.“

„Er ist aber doch kein gläubiger Muhammedaner, das kann ich beweisen. Wir haben gebetet, als die Sonne in das Sandmeer tauchte, der Khabir hat nicht gebetet, denn er war während der Gebetszeit unterwegs; er ist nicht von seinem Dschemel 3) gestiegen, um niederzuknieen, denn er kam,

1) Pistolen. – 2) Die Sahara. – 3) Kamel.

als unser Gebet eben beendet war. Wer das vorgeschriebene Gebet versäumt, ist kein gläubiger Anhänger des Propheten, und wer das nicht ist, dem darf man wohl einen falschen Schwur zutrauen. Meinst Du nicht?“

„Sihdi, Du bist scharfsinniger als ich!“

„Und warum hat er nicht am Kampfe teilgenommen, als, wie er behauptet, seine Karawane überfallen wurde? Warum sitzt er jetzt ruhig dort am Wasser und führt nur Reden gegen mich, während er zu Thaten den Mut nicht besitzt? Im Zorne, ja, da hat er mich vorhin angegriffen, nun dieser aber verraucht ist, verzichtet er darauf, sich selbst an mir zu rächen, er weiß, daß er sich leicht und ohne Gefahr für sich rächen kann, wenn wir ihm in die Grottenberge folgen. Da werden wir überfallen, und wenn wir dann gefangen sind, kann er mich töten, ohne für seine Tuareghaut den kleinsten Ritz zu riskieren. Das ist sein Gedanke, und darum läßt er klugerweise mich einstweilen in Ruhe.“

„Wenn man Dich so sprechen hört, Sihdi, muß man unbedingt denken, daß Du das Richtige triffst. Das Klügste würde wohl sein, Dich zum drittenmale zu bitten, mich unter Deinen Schutz zu nehmen.“

„Wenn ich das thue, begebe ich mich höchst wahrscheinlich in eine Lage, in welcher ich selbst des Schutzes bedarf. Deine Bitte ist also ein Aufforderung an mich, mich Deinetwegen einer Gefahr auszuset­zen — —“

Ich wurde in meiner Rede unterbrochen, denn in diesem Augenblicke ertönte die laute Stimme des Schech el Dschemali:

„Auf, Ihr Gläubigen, zum Nachtgebete, denn es ist dunkel geworden, und der letzte Schein des Tages versank vollständig hinter den Enden der Erde!“

Die Männer knieten, nach der Gegend von Mekka gerichtet, abermals nieder, befeuchteten Hände, Brust und Stirn mit Wasser und beteten ihm nach.

2. In den Magarat ess ssuchur.

Illustration2

Als das Gebet, das letzte des Tages, zu Ende war, stand der Schech el Dschemali auf und befahl den Leuten, die Kamele zu beladen, weil jetzt aufgebrochen werden solle.

„Wohin?“ fragte der Handelsherr.

„Nach den Felsengrotten natürlich,“ lautete die Antwort.

„Wäre es nicht besser, wenn wir doch direkt nach der Oase Seghedem ritten?“

„Das sagst Du, weil Kara Ben Nemsi, dieser Christ, auch lieber dorthin will?“

„Ja.“

„Wenn Du auf die Ansicht eines Giaur mehr gibst, als auf das Wort eines gläubigen Moslem, so reite hin; es wird Dich niemand halten. Wir aber machen den Umweg über die Grottenberge, weil uns unser Leben teurer ist als die Dummheit eines Ungläubigen.“

„Meine Diener müssen mit mir gehen!“

„Müssen? Sie sind keine Sklaven, sondern freie Männer, und Du hast mir versprechen müssen, Dich nach meinen Weisungen zu richten. Wir stimmen ab, und dann wirst Du ja sehen, ob sie Dir und dem Christen oder ihrer Klugheit folgen wollen.“

Die Abstimmung wurde vorgenommen, und es stellte sich heraus, daß alle außer dem Kaufmanne, mir und meinem Diener bereit waren, dem Khabir zu folgen. Abram Ben Sakir kam zu mir, um sich zu entschuldigen und mich zum viertenmale zu bitten, ihn nicht zu verlassen.

Eben als er sich von mir entfernte, um diese Probe anzustellen, hörten wir ein Geräusch, welches sich uns von Westen her näherte. Es waren die Schritte von Kamelen, und bald sahen wir trotz der Dunkelheit eine Reiterschar vor uns auftauchen. Auch wir wurden gesehen, denn eine laute Stimme rief:

„Wakkif — halt! Es sind schon Leute an dem Brunnen. Greift zu den Gewehren!“

Da antwortete unser alter Schech el Dschemali:

„Es ist Friede. Wir sind weder Krieger noch Räuber. Kommt herbei, und labt Eure Tiere und Euch selbst an der Flüssigkeit des Wassers.“

„Seid Ihr eine Kaffilah?“ 1)

„Ja.“

„Woher und wohin?“

„Von Bilma nach Murzuk [Mursuk].“

„Wieviel Männer zählt Ihr?“

„Vierzehn.“

„So macht uns Raum! Aber wenn Du gelogen hast, wird Dir Dein Kopf vom Halse fallen.“

Sie kamen vorsichtig vollends heran. Der von ihnen, welcher gesprochen hatte, ritt einige Kamelslängen voran, überschaute den Platz und sagte dann zu seinen Leuten:

„Es ist wahr; es sind nur vierzehn Männer; wir können also ohne Sorge sein. Kommt herbei!“

Er bediente sich der arabischen Sprache, aber in einer Weise, die in ihm einen Tedetu 2) vermuten ließ. Als sie von ihren Kamelen stiegen, zählte ich sie; es waren gerade zwanzig Mann. Sie schienen eine Frau oder ein Mädchen bei sich zu haben, denn eines ihrer Kamele trug ein Tachtirwan 3), eines jener verhangenen, leichten Bambusgestelle, deren lange, bebänderten und bewimpelten Stangen besonders des Nachts eine außerordentlich phantastische Erscheinung bilden.

Der Anführer der neuangekommenen Karawane schien ein sehr kriegerischer Mann zu sein, denn er plazierte seine Leute so, daß im Falle feindlicher Absichten von unserer Seite sie gegen uns im Vorteile waren. Seine Waffen bestanden aus einer langen Flinte, zwei Wurflanzen, einem Säbel und wahrscheinlich auch Messern oder Pistolen. Ich konnte nicht genau unterscheiden, was er in den Gürtelschnuren stecken hatte. Der Schech el Dschemali begrüßte ihn mit einem Sallam und fuhr dann fort:

„Du siehst, daß Du nichts bei uns zu fürchten hast, und wirst uns verzeihen, daß wir wissen möchten, wer Ihr seid.“

Der Gefragte antwortete in stolzem Tone:

„Wir sind Tibbu vom Stamme der Reschade und wollen nach Abo reiten.“

„Vom Stamme der Reschade? So seid Ihr doch die Todfeinde der Tuareg von Asben?“

„Ja, das sind wir. Allah verdamme sie!“

„Und kommt aus Westen, wo sie wohnen!“

„Ja, daher kommen wir.“

„So müßt Ihr sehr mutige Männer sein. Wenn sich so eine kleine Zahl von Kriegern in das Land der Todfeinde wagt, so — — —“

1) Handelskarawane. – 2) Einzahl von Tibbu. – 3) Frauensänfte.

Er wurde durch einen Ruf unterbrochen, welcher aus dem Tachtirwan erklang. Dieser Ruf bestand aus drei oder vier Worten, welche ich nicht verstand; es schien berberisch zu sein; da mir aber nur der Dialekt der Beni-Mezab-Berber bekannt war, so vermutete ich, daß die Worte der Tuaregsprache angehörten. Und ganz eigentümlich, kaum waren sie erklungen, so stand der Khabir, dem ich mißtraute, nach einigen schnellen Schritten bei dem Tachtirwan und sprach seinerseits eine Frage aus, die ich auch nicht verstand; eine weibliche Stimme, es konnte aber auch die eines Knaben sein, antwortete hinter den Vorhängen; da aber sprang der Anführer der Tibbu hin, faßte den Khabir bei dem Arme, riß ihn fort und fuhr ihn zornig an:

„Was hast Du hier bei dem Sitze meiner Omm Bent zu suchen? Weißt Du nicht, daß dies verboten ist? Mache Dich fort von dieser Stelle!“

Omm Bent heißt Mutter der Tochter und soll Frau bedeuten, denn das eigentliche Wort für Ehefrau spricht ein Muhammedaner niemals aus. Der Khabir stand eine Weile unbeweglich, als ob er irgend eine innere Erregung niederzukämpfen habe; sein Gesicht war wegen der Dunkelheit nicht zu erkennen; dann antwortete er in ruhig sein sollendem Tone, dem ich aber einen Zwang anhörte:

„Omm Bent? Ich habe die Stimme für die eines Knaben gehalten?“

„Es ist kein Knabe, und wenn es einer wäre, meinst Du, daß er Dich gerufen habe? Wer und was bist Du denn eigentlich?“

„Ich heiße Omar Iba Amarah und bin der Khabir dieser Karawane.“

„Welchem Stamme gehörst Du an?“

„Den Beni Riah, und weil ich der Khabir, also der Diener dieser Kaffilah bin, glaubte ich, einen Dienst erweisen zu können; nur darum ging ich zu dem Tachtirwan.“

„Das mag sein; aber wir brauchen Deine Dienste nicht. Wann reitet Ihr fort von hier?“

„Wir standen eben im Begriff, aufzubrechen.“

„Auch wir wollen uns nicht verweilen, denn wir haben Eile, nach Abo zu kommen. Da Ihr friedliche Leute seid, können wir bis in die Oase zusammenreiten, denn bis dahin ist unser Weg der eurige.“

„Wir reiten nicht nach Seghedem, weil die Tuareg diese Oase und die ganze, östlich vor ihr liegende Gegend besetzt haben.“

Der Tedetu schien zu erschrecken, denn er fuhr einige Schritte zurück und rief aus:

„Die Tuareg, diese Hunde? Weißt Du das gewiß?“

„Ja, denn ich komme von Seghedem; ich war der Khabir einer Kaffilah, welche sie dort überfallen haben, und bin der einzige, der entkommen ist. Wir werden Seghedem vermeiden und in einem Bogen nach Westen den Brunnen Ishaya erreichen. Ostwärts können wir nicht ausweichen, weil dort die Imoscharh auch streifen.“

Wieder sagte er Imoscharh anstatt Tuareg. Es fiel mir auf, daß er den letzten Satz besonders stark betonte. Der Weg der Tibbu führte ostwärts. Warum warnte er sie vor dieser Richtung? Er hatte doch erst nicht gesagt, daß die Tuareg auch diese Gegend besetzt hielten! Was es vielleicht seine Absicht, die Tibbu zu veranlassen, mit uns nach den Magarat ess ßuchur zu reiten? Und wenn es so war, welchen Grund hatte er dazu? Hatte er den Ruf aus dem Tachtirwan verstanden? Dann war er ganz gewiß das, wofür ich ihn hielt, also ein Targi. Dieser Khabir wurde mir immer verdächtiger.

Der Tedetu fragte ihn weiter aus und erfuhr von ihm dasselbe, was er uns erzählt hatte; dann winkte er seine Leute zusammen, beriet sich eine Weile mit leiser Stimme mit ihnen, so daß wir nichts verstehen konnten, und wendete sich dann wieder an den Khabir:

„Weißt Du vielleicht, von welchem Stamme die Tuareg sind, von denen Du sprichst?“

„Nein. Ich verstehe auch kein Wort von der Sprache dieser Imoscharh. Aber als sie uns überfielen, hörte ich zwei Worte rufen, und ich habe gehört, daß beim Angriffe stets der Name des Stammes und des Anführers gerufen wird: Kelowi und Rhagata.“

„Allah, Allah, das stimmt! Rhagata heißt der Amghar 1) der östlichen Kelowi-Tuareg, und ich weiß allerdings, daß er mit seinen Kriegern auf Raub ausgezogen ist. Allah sei Dank, daß er mir erlaubt hat, mit Dir zusammenzutreffen, denn sonst wären wir alle trotz unserer Tapferkeit von den Tuareg getötet worden! Ihr wollt also durch die Magarat ess ßuchur? Das ist ein schlimmer Weg! Glaubst Du, daß wir glücklich und unbelästigt nach dem Brunnen Ishaya kommen können?“

„Ich bin überzeugt, daß uns kein einziger Targi auf diesem Wege begegnen wird.“

„Ich könnte dann von Ishaya aus mich östlich wenden und so der uns drohenden Gefahr entgehen. Ehe ich mich aber entschließe, mit Euch zu reiten, muß ich genauer wissen, wer Ihr seid.“

„Mich kennst Du schon. Unsere Kaffilah gehört diesem Handelsmanne aus Mursuk, welcher Abram Ben Sakir heißt; die Leute, welche sich bei ihm befinden, sind friedliche Kameltreiber, welche er gemietet hat. Dort sitzt ein Mann, der erst gestern mit seinem Diener zu ihnen gestoßen ist. Er ist ein Giaur, ein Christ, wird Kara Ben Nemsi genannt.“

„Pfui! Ein Christ ist unter Euch? Wie kann man da mit Euch reiten! Wer einen solchen Hund bei sich duldet, der fordert Allahs Zorn heraus! Ich werde mir diese stinkende Bakku 2) einmal betrachten.“

Er kam herbei, bog sich zu mir nieder und starrte mir in das Gesicht. Ich blieb sitzen, ohne mich zu bewegen. Er trat wieder zurück, spuckte aus und sagte:

„Er hat das Angesicht eines Mannes, aber die Seele eines Feiglings, sonst hätte er nicht geduldet, daß ich ihm den Blick der Verachtung gab. Der Löwe läßt den Schakal in seiner Fährte gehen und ist zu stolz, sich nach ihm umzudrehen. So mag dieser Giaur mit uns reiten, sich aber ja stets hinter uns halten, wenn er nicht will, daß ich ihn wie ein Ungeziefer mit meinem Fuße zertrete!“

Ich ließ diese Beleidigung ruhig über mich ergehen, weil ich es nicht für angezeigt hielt, auch ihm zu zeigen, daß ich nicht der war, für den er mich hielt.

Jetzt ließ Abram Ben Sakir seine Kamele beladen. Während dies geschah, nahm er Gelegenheit, sich an den Khabir zu machen. Ich sah sie mit einander sprechen; dann kam er zu mir und sagte:

„Sihdi, er kennt die Haussasprache; er hat mir in derselben mehrere Antworten gegeben.“

„So ist er ein Targi.“

„Ich möchte es doch noch nicht glauben. Der Anführer der Tibbu würde ihn durchschauen. Man sieht ihm doch an, daß er ein großer Krieger ist.“

„Irre Dich nicht! Dieser Tedetu muß selbst froh sein, wenn er nicht durchschaut wird.“

„Wie meinst Du das?“

„Räuber und Räuber; sie sind Todfeinde und von ganz gleichem Werte.“

„Ich verstehe Dich nicht.“

„Ist auch nicht notwendig. Du würdest doch nichts ändern können.“

„Wirst Du mit uns reiten, obgleich Du Dich nur in unsern Spuren halten darfst?“

„Wer sagt das?“

„Der Tedetu.“

„Er hat mir nichts zu befehlen; ich bin ein freier Mann und werde reiten, wie es mir beliebt.“

Er ging kopfschüttelnd von dannen; ich aber führte mein Hedschihn zum Wasser, um es noch einmal tüchtig trinken zu lassen. Die Tibbu, welche sich dort befanden, wichen vor mir wie vor einem Aussätzigen zurück.

Das Aufladen ging unter dem häßlichen Geschrei der Lastkamele vorüber; dann bestiegen die Reiter ihre Tiere und der Zug setzte sich in Bewegung, indem ein Kamel hinter dem andern den Brunnen verließ. Die Lasttiere waren in der Weise zu einer Einzelreihe vereinigt, daß man das Halfter jedes nachfolgenden an den Schwanz des vorangehenden gebunden hatte. Voran ritt der Khabir; ihm folgte der Schech es Dschemali und diesem der Tedetu, welcher sich neben dem

1) Oberste Scheik. – 2) Wanze.

Tachtirwan hielt; hinter ihm kamen seine Tibbu, und an diese schloß sich Abram Ben Sakir, der Kaufmann, an der Spitze seiner langen Kaffilah. Ich wartete, bis sie eine Strecke fort waren, und ritt ihnen dann mit Kamil langsam nach. Die Sterne leuchteten jetzt so, daß ich die Karawane nicht aus den Augen verlieren konnte.

„Nun sind wir gezwungen, hinter diesen Leuten zu reiten!“ klagte mein tapferer Diener. „Warum hast Du Dir diesen Befehl erteilen lassen, Sihdi? Bin ich nicht ein Beni Dscherar vom Ferkah Ischelli und sollte eigentlich stolz an der Spitze des Zuges reiten?“

„Wer hindert Dich daran? Reite vor, wenn Du Lust dazu hast!“

„Ohne Dich nicht. Du weißt, daß ich Dich in mein Herz geschlossen habe und Dich nicht allein in der Verachtung stecken lasse, welche Dir zu teil geworden ist. Aber sag, denkst Du vielleicht, daß wir es mit jenen Menschen zu thun bekommen werden?“

„Ja, und zwar vielleicht sehr bald, zunächst mit Khabir.“

„Du bist also überzeugt, daß er ein Targi ist?“

„Ja. Er hat die Absicht, die Kaffilah in das Verderben zu führen. Ich bin überzeugt, daß die Tuareg in der Magarat ess ßuchur stecken und sie überfallen wollen. Diese Leute rennen blind in ihr Verderben; aber es ist doch möglich, daß sie noch im letzten Augenblicke auf meine Warnung hören.“

„Und wenn sie aber nicht hören?“

„So will ich versuchen, wenigstens Abram Ben Sakir zu retten. Die Gefahr, in welche ich mich begebe, ist sehr groß, denn der Khabir brennt darauf, sich an mir zu rächen; aber es handelt sich nicht bloß um den Khabir und die Tuareg, sondern auch um die Tibbu. Durch diese finden wir wahrscheinlich den Weg zur Rettung, falls wir auch in die Hände der Tuareg geraten sollten.“

„Meinst Du? Die Tibbu sollten Dich retten, Dich, den Christen? Sie werden doch selbst überfallen werden, wie Du denkst!“

„Ja, aber sie haben etwas bei sich, was uns zur Hilfe dienen kann, wenn wir sie brauchen sollten, den Tachtirwan.“

„Diese Sänfte könnte uns von Nutzen sein?“

„Sie weniger als ihr Inhalt. Wahrscheinlich sitzt ein Knabe darin.“

„Allah! Was hast Du für Gedanken, Sihdi! In diesem Tachtirwan sollte ein Knabe sein?“

„Ja, ein Tuaregknabe, der von den Tibbu geraubt worden ist.“

Er wollte etwas sagen, brachte aber vor Erstaunen kein Wort hervor; erst nach einiger Zeit fand er die Worte:

„Ein Tuaregknabe! O, Sihdi, Du bist ein Ssa’ir, 1) welcher sich Dinge ausdenkt, die ganz unmöglich sind!“

„Das denkst Du nur. Die Tibbu leben in Todfeindschaft mit den Tuareg. Wenn sich zwanzig von ihnen so heimlich in das Gebiet der letzteren geschlichen haben und mit einem so streng und eng verhängten Tachtirwan zurückkehren, da weiß man, wie man sich das zu erklären hat. Oder meinst Du, daß dieser Tedetu zu einem so gefährlichen Ritt ins Feindesland seine Omm Bent, sein Weib mitgenommen habe?“

„Nein, das sicher nicht.“

„Er hat irgend einem Scheik der Tuareg den Sohn geraubt; das ist das Allerschlimmste, was man einem Feinde anthun kann, der Khabir hat es auch entdeckt.“

„Welch ein Ereignis, welch ein Abenteuer! Willst Du den Knaben befreien?“

„Was ich thun werde, weiß ich jetzt noch nicht; der geeignete Augenblick wird es entscheiden. Ich will Abram Ben Sakir glücklich nach Mursuk bringen und ihn, wenn er in Gefahr gerät, herausholen. Warten wir ab, wie unser jetziger Ritt verlaufen wird! Wenn Du Angst hast, kannst Du Dich von mir trennen und nach Seghedem reiten.“

„Angst? Was denkst Du von mir, Sihdi! Auch wenn die Tuareg und die Tibbu gar nicht wären, müßtest Du zugeben, daß ich viel für Dich wage, weil es keine gefährlichere Gegend als die Magarat ess ßuchur geben kann. Mitten in der Wüste liegt er Raml el Helahk, der „Sand das Verderbens“, -

1) Dichter.

Verderbens“, ein See, der anstatt mit Wasser mit so leichtem Sand gefüllt ist, daß jedes Geschöpf, welches hineingerät, viele hundert Fuß zur Tiefe sinkt und wie in einem Meere ertrinken oder ersticken muß.“

„Wirklich?“ fragte ich überrascht. Ich glaubte, was er sagte, denn der Reisende Adolf von Wrede hat im Bahr ess Ssafy in der Wüste el Ahqaf einen ähnlichen Sandsee gefunden, in dem ein Kilogewicht an einer sechzig Faden langen Schnur verschwand. Kamil, mein Diener, erzählte mir noch viel von Menschen und Kamelen, welche in diesem Raml el Helahk untergegangen seien, und von den Geistern, die in der Magarat ess ßuchur ihr Wesen treiben sollten; dabei verging die Zeit, und es wurde Mitternacht, als die Sterne am hellsten leuchteten und ich die Entfernung absichtlich kürzte, welche uns bisher von der Kaffilah getrennt hatte. Ich wollte jetzt zeigen, daß es nicht meine Absicht sei, immer hinter der Karawane herzureiten. Wir trieben unsere Tiere an und erreichten bald die hintersten Kamele. An der langen Reihe derselben vorüberreitend, kamen wir an den Tibbu vorbei, die uns zornige Rufe zuwarfen. Der Tedetu hörte die schnellen Schritte unserer Kamele und drehte sich um. Er sah uns kommen und rief uns in befehlendem Tone zu:

„Zurück mit Euch!“

Wir gehorchten nicht.

„Zurück, zurück,“ wiederholte er, „sonst zeige ich Euch, wohin Ihr gehört!“

Er hatte die Drohung noch nicht ganz ausgesprochen, so hatten wir ihn schon hinter uns und waren auch an dem Khabir und dem Schech el Dschemali vorübergeschossen. Einige Augenblicke später krachte es hinter uns, und ich fühlte den Luftdruck einer an meinem Kopfe vorbeifliegenden Kugel. Sofort hielt ich mein Hedschihn an, und Kamil that dasselbe mit dem seinigen. Wir warteten, bis die Spitze des Zuges und einholte.

„Wer hat auf mich geschossen?“ fragte ich.

„Ich,“ antwortete der Tedetu. „Wenn Ihr nicht augenblicklich zurückweicht, bekommst Du die zweite Kugel!“

„Die mich ebenso wenig treffen wird wie die erste. Du kannst nicht schießen; ich werde Dir zeigen, wie man es machen muß. Kamil, steig ab von Deinem Tiere!“

Er sprang herunter. Der Tedetu war mir jetzt bis auf einen Schritt seines Kamels nahe gekommen, an dessen Sattelknopfe die beiden Wurflanzen hingen. Ich streckte den Arm aus und griff nach ihnen.

„Hund, was willst Du mit meinen Lanzen!“ schrie er mich an.

„Dir zeigen, wie man schießen muß. Paß auf!“

Ich gab Kamil die eine Lanze; er mußte sich so weit entfernen, bis ich Halt sagte, und sie dann emporhalten. Dann zog ich beide Revolver und gab alle zwölf Schüsse auf die Lanze ab, die Kamil nun dem Tedetu bringen mußte.

„Schau sie an!“ forderte ich diesen auf. „Zwölf Schüsse und zwölf Löcher.“

Er betrachtete den Schaft und brachte vor Erstaunen kein Wort hervor. Der Zug war natürlich halten geblieben. Jetzt mußte Kamil die zweite Lanze so weit von mir in den Sand stecken, daß ich sie im Sternenscheine eben noch sehen konnte. Mein Kamel stand unbeweglich; es war das Schießen gewohnt; ich brauchte nicht abzusteigen.

„Zähle die Schüsse!“ gebot ich dem Tedetu und legte den Henrystutzen an, welcher fünfundzwanzig Schüsse hatte. Ich zielte sehr sorgfältig und gab einen Schuß immer ein wenig höher ab als den andern.

„Wieviel Schüsse?“ fragte ich.

„Fünfzehn,“ antwortete der Tedetu, der sich nicht erklären konnte, daß ich sovielmal hatte schießen können, ohne zu laden.

„Schau nun die Lanze an!“

Sie wurde ihm gebracht. Er fühlte mit den Fingern nach den Löchern und zählte sie.

„Maschallah! Fünfzehn Löcher!“ rief er geradezu erschrocken aus. Dieser Christ ist ein Sahir 1), und seine Flinte ist eine Bundukije es magiza 2). Sie hat Kugeln ohne Zahl in ihrem Laufe!“

1) Zauberer. – 2) Wunderflinte.

„Du hast recht gesprochen,“ stimmte ich bei. „Und sovielmal ich schießen kann und so sicher, wie ich treffe, so weit gehen meine Kugeln auch. Was sind alle Eure Waffen gegen diese meine Gewehre! Du hast mir nach dem Leben getrachtet und nach mir geschossen; ich will Dir dieses Mal verzeihen, weil ich ein Christ bin, der selbst seinem Feinde Gutes erweist; aber wagest Du es ein zweites Mal, mir Böses zu thun, so eröffne ich Dir und den Deinen in zwei, drei Augenblicken die Pforte zur Brücke des Todes, und kein Prophet und kein Khalif wird Euch das Leben retten können. Ich bin Kara Ben Nemsi, ein Christ, und Du sollst mich kennen lernen!“

Er antwortete mit keiner Silbe; tiefes Schweigen beobachteten auch die andern; auf meinen Wink bestieg Kamil sein Tier wieder, und wir ritten weit voran, ohne daß uns jemand wieder zu hindern wagte. Natürlich lud ich die Revolver sofort wieder und ergänzte auch die fünfzehn Patronen des Repetierstutzens.

Von jetzt an ritten wir, wie es uns beliebte, bald voran, bald seitwärts, bald hinterdrein, doch immer so, daß uns keine hinterlistige Kugel in den Rücken kommen konnte. Bis zum Morgengebete ging es durch sandige Wüste; dann wurde Halt gemacht. Als wir nach zwei Stunden der Ruhe wieder aufgebrochen waren, veränderte sich das Terrain. Die Wüste blieb uns zur linken Hand liegen; rechts aber wuchsen nach und nach immer höher werdende, sonderbare Felsengebilde empor, welche bald buchtförmig und bald vorgebirgeartig sich aneinander schlossen und, da wir uns ihnen nicht weit genug näherten, uns in Zweifel ließen, ob sie ganz aus Naturformationen bestanden oder ihre eigenartige Bildung teilweise auch menschlichen Händen zu verdanken hatten. Es gab da Mauern, Säulen, Zinnen und Erker, Fensteröffnungen, große, bogenförmige Thoreingänge wie zu künstlichen Gängen und Hallen. Ein Anblick, der mein ganzes Interesse in Anspruch nahm. Gern wäre ich näher geritten; aber ich wollte mich von der Karawane nicht lange und weit entfernen, weil es mir ahnte, daß wir uns bald da befanden, wohin der Khabir uns haben wollte.

Wir ritten Stunde um Stunde, und die fremdartigen Felsen begleiteten uns fort und fort zur rechten Hand; sie wollten kein Ende nehmen. Eine Stunde vor Mittag war die Hitze so groß geworden, daß Menschen und Tiere nach Ruhe lechzten. Da schoben sich die Felsen soweit vor, daß wir ihren weitesten Ausläufer berührten. Die Spitze desselben war ausgebuchtet und bildete eine hufeisenförmige Rundung, welche von allen Mitgliedern der Karawane außer mir als außerordentlich geeignet zum Lagern gehalten wurde. Die Reiter stiegen ab und befreiten die Packkamele von ihren Lasten. Ich freilich konnte zu diesem Orte kein Vertrauen haben, denn falls hier ein Überfall beabsichtigt war, so brauchten die Angreifer nur die Öffnung des Hufeisens zu verschließen; dann waren alle, die sich im Innern der Bucht befanden, in ihre Hände gegeben. Ich sagte aber nicht, denn ich wußte, daß doch niemand auf mich hören würde.

Als alle lagerten, trieb mich die Vorsicht eine Strecke hinaus in die Wüste, von wo ich, zurückgewendet, die Felsenumgebung des Lagerplatzes überblicken konnte. Es fiel mir auch sofort etwas auf. Nördlich von uns, vielleicht eine gute Gehviertelstunde entfernt, schwebten mehrere Nusura es sahra 1) über den Felsen, welche abwechselnd auf- und niedergingen, sich aber nicht entfernten. Ich kehrte schnell in das Lager zurück und ging zu dem Khabir, neben dem soeben der Tedetu stand.

„Wir müssen fort von hier,“ sagte ich. „Die Tuareg halten gar nicht weit von hier, um uns zu überfallen.“

„Wer hat Dir das gesagt?“

„Die Geier, welche über ihnen schweben.“

„Können Geier sprechen?“ fragte er höhnisch.

„Für mich, ja, denn ich verstehe ihre Sprache.“

„Ich werde Dich beruhigen. Ich bin der Khabir und habe für die Sicherheit der Kaffilah zu sorgen; ich werde gehen und nach den Feinden suchen, die Du Dir einbildest. Komm mit!“

Das war sehr pfiffig von ihm, denn wenn ich mitging, fiel ich noch vor den andern in die Hände der Tuareg. Ich setzte List gegen List und antwortete:

1) Wüstengeier.

„Das ist Sache der Anführer. Der Tedetu mag Dich begleiten; er ist ein berühmter Wüstenkrieger, ich aber bin hier fremd; seinem scharfen Auge kann man Glauben und Vertrauen schenken und er wird mir bei Eurer Rückkehr sagen, ob ich Recht oder Unrecht gehabt habe.“

Ich erreichte meinen Zweck; der Tedetu erklärte sich bereit dazu, und dem Khabir schien es gleich zu sein, wer der erste war, der in die Hände der Tuareg fiel, der Anführer der Tibbu oder ich. Sie entfernten sich mit einander, um zu rekognoscieren. Das Resultat wußte ich im voraus: Der Tedetu wurde ergriffen, und dann kamen die Tuareg, um das Lager zu überfallen.

Ich ging nun zu Abram Ben Sakir, um ihn zu warnen und ihn aufzufordern, den gefährlichen Platz mit mir zu verlassen. Es war vergeblich; er schenkte mir keinen Glauben, sondern lachte über meine Besorgnis. Ich gab es also auf, die kostbare Zeit an ihn zu verschwenden, ließ ihn also sitzen und war nun nur auf mich, auf Kamil und auf einen dritten bedacht, nämlich auf den Insassen des Tachtirwan, denn wenn mich meine Ahnung nicht betrog, so hatte der Knabe, falls es einer war, bei der Befreiung des Kaufmanns eine Rolle zu spielen.

3. Isa Ben Marryam akbar.

Illustration3

Die Tibbu hatten den Tachtirwan vom Kamele genommen und an den Felsen gestellt, wo zufälligerweise ein tiefer Riß, der bis zur Erde niederreichte, in das Gestein einschnitt. Tierspuren, welche ich gleich mit dem ersten Blicke bemerkte, bewiesen mir, daß dieser Riß gangbar sei. Ich durfte mich der Sänfte nicht nähern; sie wurde streng bewacht; das, was ich thun wollte, mußte heimlich geschehen. Ich verließ also das Lager, wendete mich nach der Außenseite des Felsens und ging an demselben hin, bis es eine Spalte gab, in welche ich eindrang. Sie hatte eine ziemlich gerade Richtung und war so breit, daß ich ihr unschwer folgen konnte. Bald bemerkte ich, daß ich mich nicht geirrt hatte; es war derselbe Riß, an welchem im Innern des Hufeisens der Tachtirwan stand. Niemand beachtete das, und ich konnte, hinter einer Ecke kauernd, die Sänfte deutlich sehen.

Ich kehrte wieder in das Lager zurück und führte mit Kamil unsere Kamele hinaus und so um die Ecke, daß sie von den Tuareg, wenn sie kamen, nicht gesehen werden konnten. Wir banden ihnen die Vorderbeine zusammen, sodaß -

sodaß es ihnen nicht möglich war, sich zu legen, aber nur leicht, damit die Schlingen schnell zu lösen waren, denn wir durften, sobald der von mir erwartete Fall eintrat, keine Augenblick verlieren.

„Was hast Du vor, Sihdi?“ fragte mich Kamil.

„Die Flucht,“ antwortete ich. „Ich will aber den Knaben mitnehmen, der in dem Tachtirwan gefangen und wahrscheinlich auch angebunden ist.

Also höre, was ich Dir sage! Ich rechne, daß es nicht mehr lange dauert, bis die Tuareg kommen; eher kann ich mich des Knaben nicht bemächtigen. Siehst Du dort den Riß? Er führt durch den Felsen nach der Sänfte, und ich verstecke mich jetzt darin. Du aber gehst wieder hier um die Ecke und ein Stück vom Lager in die Wüste hinaus. Von da aus mußt Du die Tuareg kommen sehen. Du verhältst Dich ganz ruhig, sprichst mit keinem Menschen und verrätst kein Wort, auf wen Du wartest. Aber sobald Du sie kommen siehst, schlägst Du Lärm und läufst dann hierher, um auf mich zu warten. Die Ankunft der Feinde wird eine große Verwirrung hervorbringen, welche ich dazu benutze, den Knaben aus der Sänfte zu holen. Wenn ich mit ihm hierher komme, hast Du den beiden Tieren bereits die Fesseln von den Beinen gebunden und stehst nicht bei Deinem, sondern bei meinem Kamele, weil ich mit dem Knaben, der sich wahrscheinlich wehren wird, nicht in den hohen Sattel kann. Ich gebe ihn Dir; Du hältst ihn fest, bis ich oben sitze, und reichst mir ihn dann hinauf. Habe ich ihn, so kletterst auch Du in den Sattel und wir reiten auf und davon. Wenn Dich nun jemand fragt, wo ich bin, wirst Du sagen, daß ich — — —“

„Ich weiß schon, was ich sage, Sihdi,“ unterbrach er mich. „Habe keine Sorge um meine Geistesgegenwart! Mach nur Du keinen Fehler, damit wir nicht trotz unserer Verwegenheit doch noch von den Tuareg erwischt werden!“

Er ging, und ich kroch wieder in den Spalt, dem ich soweit folgte, bis ich, wieder hinter der Ecke versteckt, den Tachtirwan vor Augen hatte. Das Messer nahm ich schon jetzt in die Hand, um die vermuteten Fesseln des Knaben unverweilt zu durchschneiden.

Zufälligerweise kam Kamil in meinen sehr engen Gesichtskreis; ich sah, daß er sich langsam schlendernd hinaus in die Wüste entfernte und dort, nach Norden gerichtet, stehen blieb. Eben wollte ich mich fragen, wielange ich wohl zu warten haben würde, da drehte er sich um, kam in weiten Sprüngen zurückgerannt und schrie:

„Reiter kommen, viele Reiter kommen! Eilt herbei, Ihr Leute, und seht, wer sie sein mögen! Doch nicht etwa die Tuareg, von denen mein Sihdi gesprochen hat!“

Soviele Menschen es im Lager gab, soviele liefen vor dasselbe hinaus; es blieb kein einziger in demselben, und der Tachtirwan stand völlig unbewacht. Im nächsten Augenblicke war ich bei ihm und riß, mich um weiter nichts anderes kümmernd, die Vorhänge auseinander. Meine Vermutung bestätigte sich; ich sah einen dunkelhäutigen, schwarzhaarigen Knaben, der vielleicht fünf Jahre alt sein mochte und gefesselt war. Einige schnelle Messerschnitte machten ihn frei; dann faßte ich ihn, zog ihn heraus und eilte in den Spalt zurück, indem ich hinter mir schreien hörte:

„Die Tuareg, die Tuareg! Schnell auf die Kamele, schnell und fort!“

„Sei still, und habe keine Angst; ich rette Dich!“ raunte ich dem Knaben arabisch zu, weil ich der Sprache der Tuareg nicht mächtig war. Entweder verstand er mich doch, oder es war aus Angst, daß er keine Bewegung machte.

Ich glitt so rasch wie möglich durch den Spalt. Draußen stand Kamil schon bei meinem Kamele. Ich reichte ihm den Knaben und kletterte in den Sattel. Da hörten wir schon die ersten Schüsse fallen. Er gab mit den Knaben hinauf, sprang zu seinem Kamele, war mit affenartiger Behendigkeit oben, und dann ritten wir, von niemandem gesehen, davon, während das Geschrei und Getöse des Kampfes hinter uns erscholl.

Wir nahmen keineswegs denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, denn da hätte man uns gesehen, sondern wir folgten der vorgestreckten Felsenspitze nach den Bergen hin und wendeten, als wir sie erreicht hatten, uns an ihrem

Fuße wohl zwei volle Stunden lang hin, bis wir eine Stelle erreichten, welche mir für meine Zwecke passend erschien. Es gab da eine natürliche Rampe, welche zwar schmal, aber so allmählich zur Höhe führte, daß sie von unsern Kamelen passiert werden konnte. Sie führte uns oben auf eine Felsenbastei, von der ich zu meiner Freude nach schneller Untersuchung erkannte, daß sie weder von einer andern Höhe beherrscht wurde, noch auf einem andern Wege, als der erwähnten Rampe aus, betreten werden konnte. Hier waren wir sicher, denn wir hätten uns hier gegen eine ganze Schar von Feinden leicht verteidigen können, gar nicht gerechnet, daß wir in dem Knaben eine Geisel besaßen, durch welche wir uns alles erzwingen konnten, was wir wollten. Es gab sogar einen, wenn auch spärlichen Pflanzenwuchs für die Kamele, welche sich auch gleich darüber hermachten.

Ich wendete meine Aufmerksamkeit dem Knaben zu, der auf einem Steine saß und mich halb ängstlich, halb vertrauend anblickte. Es war ein hübscher, dunkler Junge mit Glutaugen, deren Glanz allerdings jetzt vor Durst, Hunger, Angst und Leid erblichen war.

„Sprichst Du arabisch?“ fragte ich ihn.

„Targhia und arabisch,“ antwortete er zu meiner Freude, und man darf sich darüber, daß er sich in zwei Sprachen, allerdings in nur kindlicher Weise, ausdrücken konnte, nicht wundern, weil in jenen südlichen Gegenden der Mensch sich weit schneller entwickelt als bei uns.

„Wie nennt man Dich?“ forschte ich weiter.

„Khaloba.“

„Wer ist Dein Vater?“

„Rhagata, der oberste Scheik der Kelowi.“

So hatte meine Ahnung mich also nicht getäuscht; er war der Häuptlingssohn der Tuareg, welche uns überfallen hatten. Ich erfuhr von ihm, wie er in die Hände der Tibbu geraten war. Als sein Vater mit den Kriegern fortgeritten war, hatte sich ein, natürlich angeblicher, Haussa eingestellt und um Gastfreundschaft gebeten; man hatte sie ihm gewährt; aber des Nachts, als alles schlief, hatte er sich des Knaben bemächtigt und ihn weit, weit fortgeschafft bis zu einer Stelle, wo neunzehn Männer mit einem Tachtirwan gewartet hatten. Dieser Knabenräuber war der Anführer der Tibbu, der nicht bloß mit den Kelowi-Tuareg in Todfeindschaft, sondern außerdem mit ihrem Scheik in Blutrache stand und darum den allerdings höchst verwegenen Coup ausgeführt hatte, sich des einzigen Sohnes seines Blutfeindes zu bemächtigen und ihm dadurch den allerschmerzlichsten Schlag zuzufügen. Der Kleine fragte mich, ob ich ihn zu seinem Vater zurückbringen wolle, und ich antwortete ich, daß ich das allerdings und sehr gern thun würde. Mein Plan war folgender: Ich nahm mit Sicherheit an, daß die Tuareg in unserm Lager geblieben seien, und wollte heute Abend hin, um ihrem Anführer zu sagen, daß sein Sohn in meiner Gewalt, ich aber bereit sei, ihn gegen den Kaufmann Abram Ben Sakir, seine Leute und alles, was ihm gehörte, umzutauschen. Ich war überzeugt, daß er, wenn auch nach einigem Zögern, darauf eingehen würde. Kamil sollte indessen den Knaben hier bewachen, den ich nicht eher auszuliefern beabsichtigte, als bis meine Bedingungen erfüllt wären und mir außerdem die Gewißheit zugesprochen worden sei, daß man mich und Kamil als freie Männer und Freunde des Stammes betrachten und behandeln werde.

Nachdem wir ein sehr frugales Mahl zu uns genommen hatten, legte ich mich schlafen. Kamil mußte wachen und mich bei Einbruch der Dämmerung wecken. Ich bestieg mein Kamel und ritt fort, nachdem ich dem Hasenfuße auf das dringlichste eingeschärft hatte, ja recht kühn und verwegen in seinem Winkel auszuharren.

Der abendliche Ritt ging ohne ein störendes Ereignis vor sich, bis ich mein Ziel erreichte. Um das Feuer saßen die Sieger, gegen achtzig Tuareg, und in der Nähe lagen die gefesselten Gefangenen, unter denen sich, wie ich später zu meiner Freude bemerkte, auch der unverletzte Kaufmann Abram Ben Sakir aus Mursuk befand. Ich ging furchtlos auf das Feuer zu, ohne die große Aufregung zu beachten, welche mein unerwartetes und freiwilliges Erscheinen hervorbrachte. Die Gefangenen riefen einander vor Erstaunen zu. Am Feuer sprang einer auf und schrie:

„Das ist Kara Ben Nemsi, der Christenhund, der mich geschlagen hat! Ergreift und bindet ihn! Er soll mir die Mißhandlung mit den Qualen der Dschehennah 1) bezahlen!“

Es war der Khabir, der das sagte. Vor Erstaunen über mich vergaß man, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Da wollte er mich selber packen; ich gab ihm einen Stoß, daß er zurückflog und fragte:

„Wo ist Rhagata, der Anführer dieser Tuareg?“

„Ich bin es,“ antwortete ein kühn und finster aussehender Mann, neben dem der Khabir, der also doch ein Targi war, gesessen hatte. „Bist Du wirklich der Christenhund, von dem mir dieser mein Botschafter erzählt hat, so hat Dich der Wahnsinn hierher zurückgetrieben. Der Rächer wird Dich fassen und unter tausend Qualen töten!“

„Urteile nicht zu schnell! Ein Christ fürchtet nicht die Rache eines Moslem, denn Isa Ben Marryam 2) ist mächtiger als Muhammed.“

Diese Worte riefen laute Rufe des Grimmes hervor, und Rhagata schrie mich wütend an:

„Du wagst es, den Propheten zu lästern, gegen den Euer Isa nichts ist als ein Lufthauch, der nichts gilt? Wir werden Dich — — —“

„Schweig!“ unterbrach ich ihn lauter, als er gesprochen hatte. „Höre erst, was ich Dir zu sagen habe! Du hast einen Knaben, welcher Khaloba heißt?“

„Ja,“ antwortete er erstaunt.

„Dieser Knabe ist Dir geraubt worden, und niemand kann ihn Dir wiedergeben als nur ich allein, der Christ. Kein Muhammed kann ihn Dir bringen und keiner Eurer Khalifen weiß ihn zu finden. Jetzt töte den Christen, wenn Dir’s beliebt. Hier hast Du mich!“

Ich ging zwischen den Tuareg hindurch und setzte mich neben ihrem Anführer nieder. Man kann sich denken, welchen Eindruck dieses Verhalten und meine Botschaft hervorbrachten! Man wollte mir natürlich nicht glauben; aber ich erzählte und zeigte dann einen kupfernen Suwar 3) vor, den ich dem Knaben abgestreift und als Beweis mitgebracht hatte. Nun fand ich Glauben, und der Grimm der Tuareg richtete sich gegen die Tibbu, die aber alles leugneten und von einem Targiknaben nichts wissen wollten. Es begann nun eine lange, lange Verhandlung, bei welcher ich fast mehr als alles aufbieten mußte, um meinen Zweck zu erreichen. Endlich, endlich aber kam ich zum Ziele. Meine und Kamils Person sollten heilig sein wie auch all unser Eigentum; Abram Ben Sakir und seine Leute sollten die Freiheit und alles, was ihnen abgenommen worden war, zurückerhalten; für die Tibbu aber konnte ich nichts erreichen. Dafür aber sollte ich jetzt in Begleitung einiger Tuareg fortreiten und den Knaben holen. Dieses Übereinkommen wurde auf alle mögliche Weise festgemacht und von den Tuareg mit so heiligen Schwüren belegt, daß ich unmöglich an eine Hinterlist glauben konnte. Das einzige Bedenken bereitete mir der Khabir, weil er höchst bereitwillig einstimmte, obgleich er vorher eine so große Lust zur Rache gezeigt hatte.

Wir ritten fort und brachten nach vier Stunden den Knaben zu seinem Vater; natürlich hatte ich Kamil jetzt auch bei mir. Die Freude, welche Rhagata über das Wiedersehen mit seinem Sohne zeigte, vergrößerte mein Vertrauen und verminderte meine Vorsicht. Den Tibbu wurde blutige Rache geschworen, und ich bekam nur Dank zu hören und freundliche Blicke zu sehen; ich schenkte den Tuareg, welche zuweilen hinter mir vorübergingen, keine Beachtung mehr und bekam plötzlich einen Kolbenhieb auf den Kopf, der mir die Besinnung raubte.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich mit Kamil gefesselt und ausgeraubt bei den andern Gefangenen, und vor mir stand der Khabir, welcher, als er sah, daß ich die Augen aufschlug, mir höhnisch zurief:

„Jetzt hast Du, was Dir gehört, verfluchter Christenhund! Du bist mein und sollst sterben, wie tausend Teufel Dich nicht sterben lassen könnten!“

Der Scheik hörte diese Worte, kam herbei und sagte mit demselben Hohne:

1) Hölle. – 2) Jesus, Sohn Mariens. – 3) Armring.

„Jetzt behaupte noch einmal, daß Dein Isa mächtiger sei als Muhammed. Rufe ihn doch an, daß er Dich befreien und vom Tode erretten möge!“

Mein Kopf schmerzte mich außerordentlich; ich versuchte, das zu überwinden und antwortete:

„Sprich die beiden Namen nicht nebeneinander aus! Isa Ben Marryam ist Gottes Sohn, der Heiland der Welt und der göttliche König der Wahrheit und Gerechtigkeit. Schande aber über einen Propheten, bei dem Ihr die heiligsten Eide schwört, um sie dann zu brechen!“ — Ich schloß die Augen und achtete weder auf die Fußtritte, die ich wieder erhielt, noch auf die Drohungen, welche mir zugerufen wurden. Man mußte doch endlich von mir lassen. So lag ich lange, lange Zeit, als plötzlich etwas Weiches über meine Wange strich und eine leise Stimme mir in das Ohr flüsterte:

„En’ taijib — Du bist gut!“

Ich öffnete die Augen und sah den Knaben neben mir knieen, der meine Wange mit der Hand geliebkost hatte. Das durfte nicht gesehen werden, und er huschte schnell und heimlich wieder fort. En’ taijib; wie wohl that mir dieses Wort aus Kindermund! Wie lange aber, so flucht auch dieser Mund mit auf das Christentum!

Mein tapferer Kamil lamentierte mir die Ohren voll; er lag neben mir; ich hörte nicht auf sein Jammern, und so wurde er endlich still und schlief ein, sowie ich auch. Wir wurden aber durch das Morgengebet bald wieder aufgeweckt, und dann sahen wir, daß die Vorbereitungen zum Weiterritte getroffen wurden. Man hob uns auf Reitkamele und band uns da fest; dann ging es fort, in langsamem Schritte, weil wir Lasttiere bei uns hatten, die keine guten Läufer sind.

Der Weg ging südwestlich mitten in die Wüste hinein; es regte sich kein Lüftchen; der Himmel war rein und ließ einen ganz gewöhnlichen Saharatag erwarten; es sollte aber anders kommen. Noch zu Mittag ahnte niemand, welche Gefahr sich hinter und zusammenzog. Wir hatten da Halt gemacht, um die heißesten Stunden vorübergehen zu lassen; da kam der Scheik zu mir, sah mir mit frechem Blicke in das Gesicht, deutete mit der Hand weitaus nach links und sagte:

„Da draußen liegt er Raml el Helahk, das fürchterliche Meer des Sandes, welches keinen Menschen wiedergibt, dessen Fuß hineingerät. Wir haben beschlossen, Dich in demselben langsam versinken zu lassen, und sind begierig, zu erfahren, ob Dein Isa Ben Marryam seinen Anbeter erretten wird.“

War es wirklich seine Absicht, mich dieses fürchterlichen Todes sterben zu lassen, oder wollte er mir nur Angst machen? Ich würdigte ihn keines Wortes, und er ging enttäuscht und mich verfluchend davon.

Als die Sonne sich merklicher zu neigen begann, wurde wieder aufgebrochen. Wir waren noch keine halbe Stunde unterwegs, so bemerkte ich, daß alle Kamele, auch die Lasttiere, ganz von selbst einen schnelleren Schritt annahmen, worauf außer mir niemand acht zu haben schien. Gewohnt, meinen Augen nichts, selbst die geringste Kleinigkeit nicht, entgehen zu lassen, sah ich dann, daß die Tiere ohne Ausnahme sich etwas südlicher wenden wollten, als sie geleitet wurden; es gab also ein wenig nordwärts hinter unserm Rücken irgend etwas, was sie beeinflußte. Ich drehte mich um, soweit es mir die Banden zuließen, und erblickte in der angegebenen Richtung ein kleines, leichtes, spinnwebartiges Gewölk. Ich wußte sofort, was uns drohte, denn ich kannte die Anzeichen der verschiedenen Wüstenwinde ganz genau.

„Auf, Ihr Männer!“ rief ich laut nach vorn. „Beeilt Euch, an einen geschützten Ort zu kommen, denn der Sandsturm naht sich hinter uns!“

Meine Mahnung wurde zuerst verlacht; aber schon nach zwei, drei Minuten wurden die Gesichter ernster. Das Wölkchen war größer und dunkler geworden, und die Kamele beeilten sich noch mehr als vorher. Nun wurde zu den Peitschen gegriffen, und die Karawane bewegte sich so schnell, wie die Kamele laufen konnten, vorwärts. Die Wolke wurde immer größer und dunkler; bald nahm sie den ganzen Himmel hinter uns ein. Herrgott, wir waren auf den Tieren festgebunden! Was sollte aus uns werden, wenn sie sich niederwerfen!

„Losbinden, losbinden!“ schrie ich überlaut.

„Nein, nicht losbinden!“ ertönte die Stimme des Scheiks. „Mögen sie alle im Sande umkommen und hinab zur Dschehennah fahren!“

Da erfaßte mich ein Grimm, der mir doppelte, ja mehrfache Kräfte verlieh; ein Druck der angespannten Muskeln, und der eine Strick riß entzwei, gleich darauf auch der andere; wahrscheinlich hatten sie schadhafte Stellen gehabt; ich war nicht mehr gefesselt und trieb mein Tier zur äußersten Anstrengung an. Vor mir ritt der Khabir: ich mußte ein Messer haben. Ich holte ihn ein; die Leiber unserer Kamele berührten sich fast; ich packte ihn mit der Linken, zog ihn herüber, riß ihm mit der Rechten das Messer aus dem Gürtel heraus und gab ihm dann einen Stoß, daß er von dem Kamele stürzte, welches ohne ihn ledig weiterjagte. Eine Minute später war ich bei Kamil, den ich im vollen Vorwärtsstürmen losschnitt, dann bei Abram Ben Sakir, bei dem auch nur zwei Schnitte genügten, ihn von den Stricken zu befreien; an andere noch zu denken, gab es keine Zeit mehr, denn hinter uns erklang ein brausender Tubaton, und als ich mich umblickte, sah ich eine scheinbar von der Erde bis zum Himmel reichende dunkle Mauer, welche uns bald einholen mußte. Das war der aufgewühlte Sand, der uns begraben konnte.

Schon begann es, auch vor uns finster zu werden. Jetzt hatte mich der Sturm erreicht; er packte mich, als ob er mich von dem Kamele stürzen wolle; ich hielt mich am Sattelknopfe fest; er trieb das Tier fast noch schneller vorwärts, als es laufen konnte. Noch war der Sand nicht da, sondern nur der Sturm; vielleicht gab es noch Rettung. Und da, da sah ich vorn die fliehenden Reiter sich zerstreuen; sie hatten den Saum des Warr erreicht. Es gab da großes Gestein und Felsenstücke, hinter denen man sich verbergen und Atem holen konnte. Ich brauchte mein Tier gar nicht zu lenken; es wurde von seinem Instinkte geführt. Es rannte nach einem solchen Felsen und warf sich hinter demselben so schnell nieder, daß ich kaum vorher aus dem Sattel springen konnte. Ich schob mich zwischen das Kamel und den Stein hinein und steckte den Jackenzipfel in den Mund und wickelte das Turbantuch um den Kopf. Kaum war dies geschehen, so hatte mich der Sand erreicht; er fiel wie eine zusammenstürzende Wand auf mich; dann gab es keine Sinne und keine Wünsche mehr, als nur das Bedürfnis, Atem zu holen.

Ob ich etwas hörte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls soviel, daß ich gar nichts hörte. Und wie lange das währte? Das weiß ich auch nicht. Aber plötzlich war es ganz unheimlich ruhig um mich her, und neben mir begann das Kamel, sich zu bewegen. Ich versuchte, mich aufzurichten; es ging schwer, aber doch. Als ich aufgestanden war, sah ich, welch eine Last von Sand auf mir gelegen hatte; wie erst bei denen, welche keinen Schutz gefunden hatten. Er steckte auch in allen Öffnungen des Körpers, in der Nase, in den Ohren, sogar im Munde, trotz der Umhüllung, und fein wie Pudermehl. Ich hatte die Augen unter dem Tuche fest zugehabt, und doch war mir dieses Mehl auch unter die Lider gekommen; ich hatte lange zu thun, wenigstens soviel von ihm zu entfernen, daß ich keine Schmerzen mehr fühlte. Dann sah ich mich im Kreise um.

Überall Steine und hinter denselben Kamele und Menschen, die sich aus dem Sande wühlten. Mein Tier war auch aufgestanden. Geradezu gefährlich war die Lage der Gefangenen, welche festgebunden gewesen waren. Ihre Kamele hatten sich mit ihnen niedergeworfen, und jetzt nach dem Aufstehen hingen die Armen in allen möglichen halsbrecherischen Stellungen an den Leibern ihrer Tiere. Ich watete durch den Sand, um sie, einen nach dem andern, zu befreien, indem ich sie losschnitt. Die Tuareg ließen dies geschehen; sie hatten alle mit sich selbst zu thun. Und wenn mich jemand hätte hindern wollen, es wäre vergeblich gewesen. Ich war nicht mehr gefesselt und hatte ein Messer; ich konnte mich wehren. Freilich, wenn ich meine Gewehre gehabt hätte, so — — — ah, meine Gewehre! Die hatte der Scheik. Wo steckte dieser? Ich suchte ihn mit den Augen und sah ihn hinter einem Felsen hervortreten; er hatte keine Waffe bei sich und sich nur eben erst aus dem Sande gewühlt. Er verließ den Felsen, hinter dem er gelegen -

gelegen hatte und ging von einem seiner Leute zu dem andern. Ich vermutete, daß er sich nach seinem Sohne erkundigte, der nicht zu sehen war, und benutzte diese Gelegenheit. Je weiter er sich von seiner Stelle entfernte, desto mehr näherte ich mich ihr, bis ich sie erreicht hatte und neben seinem Hedschihn stand. Binnen einer Minute war ich im Besitze aller meiner Gegenstände und entfernte mich. Es fehlte nur noch der Haïk, den ich aber auch noch bekommen mußte.

Der Sandsturm war glücklicherweise kein ganz gefährlicher gewesen und hatte nur kurze Zeit angehalten. Es war niemand eigentlich an seinem Körper zu Schaden gekommen, und bald sahen wir sogar draußen von Nordosten her eine bewegliche Linie, die sich uns näherte; das waren die Lastkamele mit ihren Treibern, die den Sturm auch leidlich überstanden hatten.

In Angst und Sorge befand sich nur einer, nämlich der Scheik, der seinen Sohn nicht fand. Er fragte und jammerte überall herum, ohne ihn zu entdecken. Der Knabe war nicht hier, sondern verschwunden. Der Sand konnte den Tachtirwan mit seinem hoch aufragenden Stangenwerke unmöglich bedeckt haben; man hätte ihn also sehen müssen.

Ich fand mich mit Abram Ben Sakir und seinen Leuten, auch mit Kamil zusammen. Jeder von ihnen hatte Grausiges zu berichten, doch mußten wir dem Sandsturme dankbar sein, weil er durch das Messer des Khabir unser Befreier geworden war. Es stand natürlich bei uns fest, uns keinesfalls wieder gefangen zu geben, obgleich ich bis jetzt der einzige war, der seine Waffen wieder hatte.

Eben langten die Lasttiere an, als der Scheik sich uns näherte.

„Ihr seid frei, und Du hast Deine Gewehre?“ fragte er betroffen. „Ich werde Euch sogleich wieder fesseln lassen, Ihr Hunde!“

Er drehte sich zurück, um seine Tuareg herbeizurufen; ich aber ließ es nicht soweit kommen, sondern ich faßte ihn von hinten, riß ihn nieder, kniete auf ihn, setzte ihm das schnell aus dem Gürtel gezogene Messer auf die Brust und befahl ihm in drohendem Tone:

„Schweig, Schurke! bei dem geringsten Laute, den Du hören lässest, fährt Dir meine Klinge in das Herz! Und bewege Dich ja nicht, wenn Dir Dein Leben lieb ist! Du sollst jetzt die, welche Du Hunde nennst, kennen lernen!“

Das war ihm so überraschend gekommen, und er sah und hörte mir den Ernst meiner Drohung so deutlich an, daß er sich nicht rührte und auch kein Wort hören ließ.

„Wenn Ihr gerettet sein und nicht wieder in die Hände der Tuareg fallen wollt, so gehorcht mir augenblicklich!“ befahl ich den um uns stehenden Leuten des Handelsherrn. „Ich halte ihn fest; bindet ihm die Arme und die Beine!“

Sie thaten es. Als es geschehen war, fragte ich den Scheik:

„Hat Dir Dein Kundschafter, der unser Khabir sein wollte, gesagt, daß ich Zaubergewehre besitze?“

„Ja,“ stieß er zornig, aber doch nicht ohne Angst hervor.

„So wißt, daß Ihr verloren seid, wenn Du es wagst, mir jetzt zu widerstreben. Ich will weder Euer Leben noch sonst etwas von Euch; ich fordere nur, daß Ihr das Versprechen haltet, welches Ihr mir gestern Abend gegeben habt. Bist Du bereit dazu, so gebe ich Dich wieder frei und krümme keinem Deiner Tuareg ein Haar; weigerst Du Dich aber, so bekommst Du augenblicklich das Messer, und dann schieße ich jeden Targi nieder, der uns näher als fünfhundert Schritte kommt. Entscheide Dich schnell! Ich zähle bis zehn; bei zehn ist die Frist vorüber, und ich stoße zu.“

Ich entblößte seine Brust, setzte ihm die Messerspitze sehr fühlbar auf die nackte Haut, legte ihm die Linke um den Hals und zählte:

„Wahid — — itnehn — — telaht — — arba — — chams — — — — —“

„Halt ein; halt ein!“ rief er aus. „Du bist kein Moslem, aber auch kein Christ, sondern ein Teufel, ein wahrer Teufel, und ich muß Dir gehorchen.“

„Wir sind also frei und bekommen alles, aber auch alles wieder, was uns gehört?“

„Ja.“

„Denke aber nicht, daß Du uns jetzt abermals ein Versprechen gibst, welches Du später nicht zu halten brauchst!

Du gibst jetzt den Befehl, daß Deine Leute sich augenblicklich wenigstens tausend Schritte weit von uns entfernen. Zehn von ihnen aber dürfen einzeln und nach und nach herkommen, um uns unsere Kamele und alles übrige Eigentum zu bringen. Erst wenn dies geschehen ist und wir nicht den geringsten Gegenstand vermissen, gebe ich Dich frei, und Ihr setzt Euern Weg fort, während wir zurückreiten. Bist Du einverstanden oder nicht? Bedenke, daß ich nur bis fünf gezählt habe! Ich zähle jetzt weiter.“

Ich drückte ihm die Messerspitze fester auf die Brust, er ließ es aber nicht so weit kommen, sondern bat:

„Thu das Messer weg! Ich werde thun, was Du von mir gefordert hast.“

„Das Messer bleibt genau so, wie es ist, auf Deiner Brust, bis ich sehe, daß meine Bedingungen erfüllt worden sind, und wird Dir beim geringsten Zweifel, zu dem Du mir Veranlassung gibst, in das Herz fahren. Also hüte Dich vor jeder Hinterlist!“

Die meisten der Tuareg hatten sich jetzt um die angekommenen Lastkamele versammelt. Einer von ihnen kam herbeigelaufen und rief uns schon von weitem zu:

„Wo ist der Scheik? Es ist — —“

Er hielt mitten in der Rede inne und blieb erschrocken stehen, denn auf einen Wink von mir hatte sich unser Kreis gegen ihn geöffnet, und er sah den Scheik gebunden im Sande liegen und mich mit dem Messer auf ihm knieen.

„Faz’allah!“ stieß er hervor. „Ihr seid nicht mehr gefesselt, und da liegt — — —“

„Euer Scheik, wie Du siehst,“ unterbrach ich ihn. „Wenn Du sein Leben und das Eure retten willst, so komm herbei, und höre, was er Dir zu sagen hat!“

Er näherte sich vollends, langsam und mit unsichern Schritten, und es war nun mehr als interessant, wie der eine, innerlich bebend vor Grimm, seine Befehle erteilte, und der andere sie, gewiß ebenso wütend, entgegennahm und sich dann entfernte, um sie auszuführen. Wir sahen die Tuareg beisammenstehen, indem sie sich mit lautem Geschrei und unter lebhaften Gestikulationen mit einander berieten. Dann kamen zehn von ihnen in einer lang ausgezogenen Einzelreihe, um uns unsere Gegenstände, zu denen natürlich auch die Kamele gehörten, zu bringen, während die andern sich weit über die von mir geforderte Entfernung zurückzogen. Es fehlten noch verschiedene Sachen, auch mein Haïk; ich bestand aber fest darauf, daß uns alles bis auf den wertlosesten Gegenstand zurückzugeben sei, und sie mußten sich fügen. Als wir endlich alles beisammen hatten, sagte der Scheik:

„Nun könnt Ihr nichts mehr von uns fordern, und ich werde erfahren, ob Du Dein Wort hältst oder nicht. Laß mich los!“

„Ein Christ hält stets sein Wort,“ antwortete ich; „ein Muhammedaner aber bestreicht die Bärte seines Propheten und seiner Khalifen mit Lügen und falschen Schwüren. Du siehst, daß diese Männer ihre Gewehre wieder erhalten und geladen haben; wenn Du sie zwingst, loszugehen, wird jede Kugel einen von Euch treffen. Macht also, daß Ihr uns schnell aus den Augen kommt.“

„Wir müssen noch bleiben, denn mein Sohn fehlt noch.“

„So suche eiligst, denn wir verlassen dieses Warr auf keinen Fall eher, als bis wir uns überzeugt haben, daß Ihr nicht die Absicht habt, zurückzukehren.“

Bei diesen Worten band ich ihn los. Er stand vom Boden auf, um sich zu entfernen, blieb aber schon nach einigen Schritten stehen, drehte sich nach mir um, hob die rechte Hand wie zum Schwur empor und sagte im Tone des unversöhnlichsten Hasses:

„Du bist der erste Ungläubige, der mich bezwungen hat, und wirst der einzige sein und bleiben. Flieh fort aus diesem Lande, flieh ja fort, denn sobald mein Auge Dich wieder treffen sollte, wird mein erster Blick den Tod für Dich bedeuten. Allah verfluche Dich!“

Er ging. Als er seine Tuareg erreichte, schienen sie ihn mit Vorwürfen zu empfangen, was allerdings gar nicht zu verwundern war. Dann zerstreuten sie sich, um nach dem kleinen Khaloba zu suchen. Wir freuten uns dieses glücklichen Ausganges unsers Abenteuers und lagerten mit unsern Kamelen zwischen den Steinen und sahen zu, wie die Tuareg

vergeblich nach dem verschwundenen Knaben suchten. Ich hätte ihnen gern dabei geholfen, denn sein freundliches „En’taijib, Du bist gut,“ klang mir noch immer in den Ohren; aber ich durfte es nicht wagen, mich unter diese rachsüchtigen Menschen zu mischen. Sie schienen endlich eine Spur gefunden zu haben, denn sie rannten nach ihren Kamelen, stiegen auf und jagten in südlicher Richtung davon. Wir hörten dabei ihre Rufe, verstanden aber wegen der Entfernung die einzelnen Worte nicht, doch war es mir, als ob sie mehr nach Schreck als nach Freude klängen.

Als sie fort waren, warteten wir noch eine halbe Stunde; dann nahmen wir an, daß sie nicht zurückkehren würden, und machten uns zum Aufbruche bereit. Eben wollte ich mein Kamel besteigen, da rief Kamil, indem er mit der Hand südwärts deutete:

„Warte noch, warte, Sihdi! Da unten kommen Reiter.“

Es war so, wie er sagte. Wir sahen acht oder zehn Männer auf Kamelen kommen, und zwar im eiligsten Laufe ihrer Tiere. Bald erkannten wir sie; es waren Tuareg, deren Scheik ihnen voranritt. Was wollten sie? Uns etwa eine Falle stellen? Ich nahm meinen Stutzen zur Hand, um sie nicht heranzulassen.

„Schieß nicht, schieß nicht; es ist Friede, es ist Friede!“ rief der Scheik mit überlauter Stimme.

Seine Begleiter blieben halten; er allein kam herbei. Da senkte ich den Lauf des Gewehres; er war uns unschädlich. Ungefähr fünfzig Schritte von uns hielt er sein Kamel an und bat:

„Laß mich hin zu Dir, Sihdi! Ich komme nicht als Feind, sondern als Flehender, denn Du allein kannst Hilfe bringen, nur Du allein!“

„Komm her!“

Er trieb sein Tier vollends heran, stieg aber nicht ab, sondern blieb im Sattel sitzen. Ich war aufs höchste gespannt auf das, was er von mir wollte; es konnte nichts Gewöhnliches sein, denn die Züge seines Gesichtes waren vor Angst verzerrt, und seine Brust rang nach Luft.

„Steig auf, steig auf und komm mit mir, komm schnell mit mir!“ rief er mir zu. „Wir wissen nicht, was wir thun sollen, und nur Du allein kannst ihn retten, Khaloba, meinen Knaben.“

„Was ist mit ihm geschehen? Wo befindet er sich?“

„Mitten im Sande des Verderbens. Der Sturm der Wüste hat ihn in er Raml el Helahk getrieben, aus welchem kein Allah und kein Prophet ihn retten kann.“

„Und da soll ich ihn retten können, ich, der Giaur?“

„Ja, nur Du, nur Du allein! Ihr Christen wißt alles; Ihr kennt alle Höhen und Tiefen der Möglichkeit; Eure Augen erblicken das Unsichtbare, und vor Euern Händen kann nichts verschwinden, was sie halten wollen.“

Sprach er die Wahrheit, oder log er, um mich ins Garn zu locken? Ich sah ihn forschend an. Nein, dieses Gesicht konnte nicht lügen. Die Todesangst, welch in demselben lag, war nicht gemacht. Da gab es kein Mißtrauen und kein Zaudern. Ich stieg auf mein Kamel. Zwar wollte das Mißtrauen mir wieder und wieder aufsteigen; aber „en’ taijib, en’ taijib — Du bist gut, Du bist gut,“ so klang die Stimme des Knaben noch lauter als die Stimme des Zweifels und Verdachtes in meinem Herzen und wir flogen vorwärts, der Rettung des Verunglückten oder — — dem neuen Verderben entgegen. Bald erreichten wir die Stelle, wo die Felsen auseinandertraten. Da hielten die Tuareg. Ihre Kamele lagen im Sande, mit den Köpfen alle nach uns gewendet und der Gefahr, die sie kannten, die Rücken zugekehrt. Der erste Blick zeigte mir die ganze Lage.

Vor mir sah ich die Ränder einer fast zirkelrunden, riesigen Felsenschüssel, deren Durchmesser ungefähr zwei Kilometer betrug; ihre Tiefe war natürlich unbekannt, mußte aber sehr bedeutend sein, denn die Steinränder fielen fast genau senkrecht ab. Welche Flüssigkeit diese Schüssel enthielt, war jetzt nicht zu sagen; ihr Inhalt schien aus einem nassen, außerordentlich feinen und leichten Sande zu bestehen, der keine Last zu tragen vermochte, wenigstens nicht den Fuß eines Menschen oder Tieres. Man denke sich, daß dieses Riesengefäß erst nur Wasser oder sonst eine Flüssigkeit enthalten hatte. Dann war der Sand von den Wüstenstürmen -

Wüstenstürmen herbeigetrieben worden. Der schwere, also untere Teil einer solchen Sandsturmmauer wie die heutige, war von den hohen Felsenrändern abgehalten worden; der hoch oben in den Lüften fliegende, leichte, feine, fast unwägbare Staub aber war über sie hereingedrungen und auf die Flüssigkeit niedergesunken, ohne unterzugehen, weil er nicht schwerer war als sie. So dachte ich mir das Entstehen dieses Sandsees, und ich glaube nicht, daß ich mich dabei irrte. Wehe dem, der hineingeriet! Ich sah, wohl vierzig Ellen vom „Ufer des Verderbens“ entfernt, den Tachtirwan auf diesem Abgrunde des Todes liegen, eine Folge seiner leichten Bauart, der dünnen Stoffe, aus denen er bestand, und der langen, phantastisch bewimpelten Stangen, die zu beiden Seiten weit hinausragten, ihn trugen und so verhinderten, daß er unterging. Drin saß Khaloba, der Tuaregknabe. Er war so klug, sich nicht zu bewegen, rief aber unausgesetzt um Hilfe. Kaum erblickte er mich, so jammerte er mir zu:

„Ta’ al, ta’ al, ja Sihdi! Hallisni min el mot; meded, meded — komm, komm, o Sihdi! Rette mich von Tode; zu Hilfe, zu Hilfe!“

„Ich komme; ich komme!“ antwortete ich, indem ich aus dem Sattel sprang. „Halte Dich nur ruhig, damit Du das Gleichgewicht nicht verlierst!“

Die Tuareg standen stumm. Sie hielten ihre Augen erwartungsvoll auf mich gerichtet, finstre Augen zwar, in denen aber jetzt nichts von Haß und Rachgier zu sehen war. Ihr Anführer hatte sich auch vom Kamele geschwungen. Als er meine Worte hörte, faßte er meine beiden Hände und rief entzückt aus:

„Du willst zu ihm, Du willst? Du hältst es also für möglich, ihn zu retten?“

„Bei Gott ist alles möglich,“ antwortete ich. „Die Gefahr ist allerdings groß; aber wenn der Allmächtige mir beisteht, bringe ich Dir Deinen Sohn herüber; sollte es jedoch in seinem Ratschlusse anders beschlossen sein, so werde ich mit dem Knaben untergehen.“

„Du wirst nicht untergehen, sondern Khaloba retten; Allah ist allmächtig, und Muhammed ist groß. Betet das, Ihr Männer, betet das mit mir!“

Dieser Aufforderung Folge leistend, wendeten sich die Tuareg nach Osten, erhoben ihre Hände und riefen dreimal:

„Allah ’l khudra el ilahija we Muhammed kebir — Allah ist die Allmacht, und Muhammed ist groß!“

Ich hatte nichts, gar nichts sagen und die Gefahr, in welcher der Knabe schwebte, zu nichts ausnützen wollen; aber Muhammed anrufen und als groß preisen lassen, was fiel mir auch nicht ein; darum wendete ich mich, als die Tuareg nun schwiegen, mit lauter Stimme, so daß alle es hörten zu dem Scheik:

„Muhammed kebir? Er ist groß? So bin ich also umsonst herbeigekommen? Wohlan, so wollen wir warten und zusehen, wie Muhammed Deinen Knaben herüberholen wird!“

Ich setzte mich, als ob uns gar nichts dränge, gemächlich wieder in den weichen, tiefen Sand. Da ergriff er mich bei der Schulter, um mich aufzuziehen und schrie:

„Ne’uhzu billa! Um Gottes willen, was thust Du da! Du setzest Dich nieder und hast doch vorhin selbst gesagt, daß kein Augenblick zu verlieren sei!“

„Das ist auch jetzt noch meine Meinung, und ich hoffe, daß Muhammed, dessen Hilfe Ihr angerufen habt, nicht anders denkt; er mag sich beeilen, sonst ist Dein Sohn verloren! Was ich vermag, das vermag ich nur als Werkzeug eines Höhern, und dieser Höhere heißt nicht Muhammed, sondern Isa Ben Marryam.“

„So sei barmherzig, und rette meinen Sohn im Namen dieses Deines Isa Ben Marryam!“

„Nachdem Ihr Muhammed angerufen habt? Nein! Soll en Nisr 1) sich herniedersenken, wenn el Aßfur 2) gerufen worden ist? Da draußen schwebt ein junger Anhänger Muhammeds über dem Rachen des Todes, und hier stehen achtzig Muminin 3), denen kein Prophet die Kraft und den Mut gibt, ihn zu retten, während ein einzelner Christ im

1) Adler. – 2) Sperling. – 3) Gläubige.

Vertrauen auf Isa Ben Marryam das grauenvolle Werk wagen will. Und da fragst Du noch, wer mächtiger und größer sei, Isa oder Muhammed? Du scheinst die Lehren Euers Propheten nicht zu kennen. Hat er nicht gesagt, daß Isa Ben Marryam am Ende der Tage herniederkommen werde auf die Moschee der Ommajaden in Damaskus, um zu richten alle Lebendigen und alle Toten? Ist da nicht Seligkeit und Verdammnis in die Hand meines Isa gelegt? Nenne mir dagegen die Macht, die Euerm Muhammed gegeben ist! Keine!“

„Sihdi, wie quälst Du mich! Du streitest über den Glauben und dort schwebt mein Sohn — — o Allah, Allah, Allah! Siehst Du nicht, daß der Tachtirwan wankt, daß er umstürzen und versinken wird!“

Er rief diese Worte nicht, sondern er brüllte sie in der größten Angst. Der Knabe sah, daß ich mich niedergesetzt hatte; er schrie lauter als vorher um Hilfe und bog sich dabei so weit aus der Sänfte heraus, daß sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Die Tuareg fielen alle in den Schreckensruf des Vaters ein, welcher mich jetzt bei beiden Schultern nahm und mich anflehte:

„Steh auf; steh auf, und hilf, Sihdi! Wenn Du den Sohn unsers Stammes rettest, werden wir Isa Ben Marryam die Ehre geben!“

„Ruft ihn an, so wird er helfen!“

„Wie sollen wir rufen?“

„Habt Ihr vorhin gesagt: Muhammed kebir, 1) so ruft jetzt dreimal: Isa Ben Marryam akbar!“ 2)

Da wendete er sich an seine Leute:

„Ihr habt gehört, was dieser Sihdi von uns fordert. Muhammed hat selbst gesagt, daß Isa Ben Marryam alle Lebendigen und alle Toten richten werde; er ist also der Herr des Gerichtes und des ewigen Lebens. Stimmt mit mir dreimal ein in den Ruf: Isa Ben Marryam akbar!“

Ich hatte viel, ja mehr als zu viel verlangt; aber die Angst um den Knaben erfüllte alle Anwesenden, und so erhoben sie wie vorhin die Hände, und es erklang dreimal der Ruf im Chore, der noch bei keinem von ihnen über die Lippen gekommen war. Nun erst stand ich auf und sagte:

„Keine Stange reicht bis hin, und kein Strick kann bis dorthin geworfen werden; ich muß mir ein Kellek 3) bauen, welches mich hintragen wird.“

„Ein Kellek? Woraus?“ fragte der Scheik erstaunt.

„Hast Du nicht darüber nachgedacht, warum ich vorhin das Zelt Abram Ben Sakirs mitnahm? Hast Du gemeint, daß ich es auf dem todbringenden Raml el Helahk aufschlagen wolle? Das Floß muß sehr leicht, sehr lang und sehr breit sein, wenn es mich tragen soll und ich nicht versinken will. Das mitgebrachte Zelt und das Deinige, welches ich hier sehe, sie beide werden mir das leichte Leinen liefern, und aus den Zeltstangen fertigen wir das Gerippe des Flosses. Vorher aber muß ich sehen, wie tief die Flut des Sandes ist und welche Tragkraft sie besitzt.“

Ich nahm eine Zeltstange und ging, mit derselben vorsichtig vor jedem Schritte den Boden sondierend, auf den Rand des Sees zu, den man, weil eben alles, alles Sand war, nicht unterscheiden konnte. Jeder unvorsichtige Schritt konnte mir den Tod bringen. Bald fühlte ich mit der Stange, daß der Boden vor mir schwand; ich kniete nieder und fuhr mit der Stange in die Sandflut; es gab keinen Halt. Hierauf wurden mehrere Seile zusammengebunden, mit einem Stein an dem einen Ende. Ich ließ den Stein hinab; die Seile hatten eine Länge von wenigstens zwanzig Metern; sie liefen ab, ohne daß der Stein Grund fand; der Sandsee war also gleich an seinem Rande so tief, daß wir diese Tiefe nicht messen konnten; es wurde mir nun doch ein wenig unheimlich zu Mute, denn vom Schwimmen konnte keine Rede sein. Wenn das Floß sich nicht bewährte und ich in den Sandbrei geriet, war ich verloren, weil eben die Konsistenz dieses Breies mir die Bewegungen des Schwimmens nicht erlaubte.

Nun ging es an die Herstellung des Flosses, für dessen Konstruktion es kein Modell gab; ich mußte den geeignetsten Bau dieses Fortbewegungsmittels selbst erfinden. Auch ein passendes Ruder mußte ich mir ausdenken; die gewöhnliche

1) Ist groß. – 2) Ist größer. – 3) Floß.

Form war nicht nur nicht zu brauchen, sie konnte mir sogar gefährlich werden. Ich fertigte mir ein nur hinten anzuwendendes Stoßruder, welches aus einer Zeltstange bestand, an welche rechtwinkelig ein Leinwandrahmen befestigt war. Dieses Ruder war mir nur zur Hinfahrt nötig; bei der Rückfahrt sollte ich gezogen werden, und zwar mittelst einer langen Leine, die ich an das Floß festband, während ihr anderes Ende in den Händen der Tuareg blieb.

Die Herstellung des Flosses und des Ruders erforderte eine lange Zeit, und es kostete uns unzählige Zurufe an den Knaben, ihn bei Geduld, Hoffnung und Mut zu erhalten. Endlich waren wir fertig; aber das Schwierigste war damit noch nicht geschehen, denn das Allerschwerste war die Einschiffung. Das Leinwandfloß war notwendigerweise hoch elastisch; es gab nach und „schwappte“ in allen seinen Teilen; das Bestehen desselben war allein an sich ein lebensgefährliches Wagnis; ich benahm mich dabei so vorsichtig wie noch nie, und es gelang. Sie schoben das Floß mit Stangen vom Ufer ab, und ich konnte das Ruder anwenden. Wie glücklich war ich, als ich sah, daß es sich bewährte! Vierzig Ellen weit! Mit einem Boote im Wasser eine Kleinigkeit, einige Ruderschläge, hier aber in dem zähen Höllenbrei eine todesangstvolle Arbeit von einer vollen halben Stunde! Ich hatte mich oft, sehr oft in Gefahren befunden, aber nie dabei das gefühlt, was ich jetzt empfand. Dieses wahrhaft teuflische, nervenzerreißende Schmatzen, Klatschen, Pfauchen und Blasenwerfen der schlammigen Masse, durch oder über welche ich mich fortzuschieben hatte! Haben mir jemals die Haare zu Berge gestanden, so ist es damals gewesen. Der Strick, welchen ich vom Ufer aus hinter mir nachzog, bildete keine gerade Linie, sondern er wand sich wie eine Schlange dem Flosse nach. Und auch die Tuareg hatten Angst; das zeigte mir ihr Wehegeschrei, wenn mein haltloses Fahrzeug einmal das Gleichgewicht verlor. „Isa Ben Marryam akbar!“ so klang es immer und immer hinter mir her.

Endlich, endlich war ich dem Tachtirwan so nahe, daß ich beinahe mit ihm zusammenstieß.

„Rette mich, o rette mich, Sihdi!“ flehte der Knabe.

„Habe keine Sorge!“ antwortete ich. „Wenn Du nur ruhig sitzen bleibst und das Gleichgewicht nicht verlierst, so bringe ich Dich glücklich hin zum Vater. Sollte der Tachtirwan schwanken, so neigst Du Dich schnell nach der Seite, die ich Dir zurufe.“

Ich hatte einen dünnen, nicht zu schweren Strick an die Vorderseite meines Rahmens befestigt und aus dem andern Ende eine Schlinge gemacht. Diese warf ich nach der untern Querstange des Tachtirwans. Wie gut war es, daß ich geübt im Lassowerfen war, sonst hätte ich mich stundenlang resultatlos bemühen können, denn ich durfte weder aufstehen noch von meinem Sitze nur einen Fuß breit fortrücken. Die Schlinge faßte gleich beim erstenmale.

„Zieht, Ihr Männer, zieht, aber langsam, nur sehr langsam!“ rief ich nach dem Ufer hin.

Sie folgten meiner Aufforderung; die Seilschlange spannte sich an; mein Floß bewegte sich rückwärts, und der Tachtirwan folgte nach. Er war zwar zu leicht gewesen, als daß er hätte untergehen können, aber als Fortbewegungsmittel taugte er weniger als nichts; er schwankte außerordentlich und wäre ganz gewiß gekentert, wenn ich nicht an diesen Umstand gedacht gehabt und zwei weitere Schnüre mitgebracht hätte. Ich warf die Schlingen derselben rechts und links um die äußersten Enden der obern Querstange und konnte nun, bald hüben und bald drüben ziehend, der Sänfte einen bessern Halt verleihen. Glücklicherweise war der Knabe so besonnen, sich nach Bedürfnis so zu neigen, wie ich es ihm zurief, und es mir dadurch zu erleichtern, den Tachtirwan im Gleichgewicht zu halten.

Dennoch ging die Fahrt zurück viel langsamer als meine Herfahrt, und wir brauchten die Zeit von drei Viertelstunden, ehe mein Floß das Ufer erreichte. Der Vater riß den Knaben an sein Herz; die Tuareg jubelten überlaut; ich aber ging still zur Seite und faltete die Hände; ich hatte nicht mit

ihnen, sondern mit Einem, dem Einzigen, dem Allbarmherzigen zu sprechen, dem ich die Erlösung aus dem entsetzlichen Schlunde des Verderbens verdankte, dessen Gefährlichkeit mir erst jetzt, da ich ihm entronnen war, richtig und voll zum Bewußtsein kam. Da hörte ich hinter mir die Stimme des Scheiks:

„Er betet. Er ist ein Christ und gibt Allah zuerst die Ehre; wir aber schreien wie die Wahnsinnigen und denken nicht an den Herrn der Allmacht, der die Errettung sandte. Ist er nicht frömmer, als wir sind? Laßt uns ihn erfreuen, indem wir seinem großen Mu’awin danken!“

Und dreimal erscholl es laut aus achtzig Kehlen:

„Isa Ben Marryam akbar!“

Dann kam er zu mir, umarmte und küßte mich und sagte:

„Sihdi, wir haben viel an Dir verbrochen; sage mir, wie wir es sühnen können! Wir werden es thun. Verlange meine beste Stute, meine zehn besten Kamele; verlange, was Du willst; Du sollst alles, alles haben!“

Mir seine beste Stute anzubieten, das war eine wirklich großartige Dankbarkeit! Alle lauschten, was ich verlangen würde.

„Ja, ich werde etwas von Dir erbitten,“ antwortete ich, „und wenn Du mir das gewährst, wirst Du meinen Dank und Allahs Wohlgefallen haben.“

„Sag, was es ist!“

„Verdamme niemals wieder einen Christen! Glaube mir, der Himmel steht uns weiter offen als Euch! Muhammed hat Euch den Haß und die Rache, Isa uns aber die Liebe und die Versöhnung gebracht. Jener war ein Mensch und Sünder so wie wir, Dieser aber wahrer Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Ihr watet in Blut und vernichtet um eines Wortes willen Eure eigenen Brüder; wir aber lieben selbst unsere Feinde und wagen unser Leben für die, welche nach dem unserigen trachten. Kein Moslem, kein Freund, kein Verwandter, nicht einmal sein eigener Vater wollte es wagen, Deinen Sohn zu retten; der Feind, der Christ, war sofort bereit dazu, obgleich Du ihn beleidigt, bedroht und verflucht hattest. Denke nach; denke an Dein eigenes Beispiel, an das, was Du heute erlebtest! Der Glaube der Christen muß doch ein besserer, ein schönerer sein als der, den Muhammed Euch brachte. Wir nennen Muhammed den Nebi kadib, den falschen Propheten; ich kann nicht verlangen, daß Du von ihm auch so denkst, aber ich bitte Dich, wenigstens nicht mehr zu glauben, daß ein Moslem hoch über einem Christen stehe. Die Liebe ist das Erkennungszeichen des allein wahren Glaubens; wer sie besitzt und übt, der ist weit sicherer Gottes Kind als der, dessen Herz im Haß und in der Rache lebt.“

Er sah lange still vor sich nieder, reichte mir dann die Hand und sagte:

„Deine Worte sind wie Perlen, die ich nie gekannt habe und nun plötzlich finde; ich will sie in meinem Herzen aufbewahren; vielleicht werde ich dadurch reich. Ich sagte Dir, Du seist der erste Christ, der mich besiegt habe, und solltest der einzige und letzte sein, dem dies gelungen sei. Jetzt hast Du mich abermals besiegt, erst durch die Waffen, jetzt durch die Versöhnung. Ich danke Dir für diese Niederlage, denn sie demütigt mich nicht und gibt mir einen Freund. Willst Du mein Freund, mein Bruder sein, hochgeehrt von meinem ganzen Stamme und hochwillkommen in allen unsern Häusern, Hütten und Zelten?“

„Ja, ich will, sehr gern.“

„So wollen wir diesen Ort des Verderbens verlassen und zu Abram Ben Sakir zurückkehren, um dort Lager zu machen und nach den Gesetzen der Wüste Blutsbruderschaft zu schließen. Dein Gebet „Isa Ben Marryam akbar“ hat meinen Sohn vom Tode errettet; Dein Freund ist mein Freund, und mein Feind sei auch Dein Feind; Du hast mein Herz, und ich habe das Deinige, denn Du hast mir die Liebe anstatt der Rache gebracht. Allah jabarik fik — Gott segne Dich!“ — — —

Zierleiste