MobileMenuKarl-May-Gesellschaft → Primärliteratur
Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XIV.

Ein Self-man.

Authentischen Schilderungen nacherzählt von Emma Pollmer.

1.

Das war damals ein munteres Leben da hinten im Westen, besser, viel besser als jetzt, das sage ich Euch, und darum könnt Ihr’s glauben! Die Rothhäute kamen um ein Beträchtliches weiter in das Land herein als heut zu Tage, und man mußte die Augen offen halten, wenn man sich nicht eines schönen Abends hinlegen und dann des Morgens im Himmel ohne Scalp erwachen wollte. Doch, das war nicht sehr schlimm, denn so ein vier bis mehr Indsmen kann man sich schon gut vom Leibe halten, aber es trieb sich neben ihnen auch allerlei weißes Gesindel da hinten herum, so was man hier im Osten Runners oder Loafers nennt, und diese Kerls waren bösartig und durchtrieben genug, um Einem mehr zu schaffen zu machen, als alle Indianer zwischen dem Missisippi und dem großen Meere zusammen genommen.

Besonders Einer machte von sich reden, der alle zehn Tausend Teufel im Leibe hatte und ein so verwegener Satan war, daß sein Ruf sogar hinüber in die alten Länder des europäischen Continentes gedrungen ist. Ich habe sogar gehört, daß man dort in allen Zeitungen von ihm schreibt. Ihr kennt ihn auch, und wenn ich Euch seinen Namen nenne, so werdet Ihr wissen, woran Ihr seid. Es ist nämlich der „Canada Bill“, der größte Gauner und Spitzbube der Vereinigten Staaten.

Er ist ein englischer Zigeuner und heißt eigentlich William Jones. Er kam nach Kanada und trieb einen ganz leidlichen Pferdehandel, bis er bemerkte, daß mit der Karte noch ein Weniges mehr zu verdienen sei. Er hatte ein Spiel gelernt, welches man drüben in Germany „Kümmelblättchen“ nennt — bei uns heißt es „three carde monte“ — und trieb mit demselben zunächst da droben in den Britischen Kolonien sein Wesen, bis er es zu einer solchen Meisterschaft gebracht hatte, daß er sich über die Grenze herüber zu den Yankee’s wagen konnte. Nun machte er den ganzen Norden unsicher, beutelte die pfiffigsten Gentlemen’s bis auf den letzten Penny aus und suchte dann den Westen auf, wo er neben dem Spiele noch allerlei Allotria trieb, die ihn zehnmal an den Strick gebracht hätten, wenn es von Rechten zugegangen wäre. Auch ich bin Einiges mit ihm zusammengekommen und habe dabei die Bekanntschaft eines berühmten Mannes gemacht, der — — na, Ihr werdet ja wohl hören, wen ich meine, und die Einleitung zu einer guten Geschichte darf nicht zu lang gezogen sein, sonst rufen

die Zuhörer „Stopp!“ und reiten davon, ehe man nur richtig angefangen hat.

Also, ich war noch etwas grün im Fache, aber eine gute Faust hatte ich doch, mein Auge war hell und offen, mein Wille gut und munter, die Büchse verstand ich ganz leidlich drauf zu halten, und mein Bowiekneif war schon Einigen zwischen die Rippen gefahren, die sich so einen Aderlaß nicht vermuthet hätten. Ich war am obern Arkansas auf Biber gewesen, hatte einen hübschen Fang gemacht, die Felle an einige Companiemänner, die mir begegneten, verkauft, und suchte mir nun eine passende Gelegenheit nach dem alten Missisippi, um wieder einmal unter Menschen zu kommen und Dieses und Jenes einzukaufen, da meine Ausstattung mit der Zeit so ziemlich fadenscheinig geworden war.

Mein Vorhaben hatte seine Schwierigkeiten, denn die Gegend, durch welche ich den Pfad schlagen mußte, war ganz verteufelt unsicher. Die Komanchen, Choctaws, Seminolen und Creeks lagen einander in den Haaren, bekämpften sich bis auf die Messerspitzen und behandelten jeden Weißen als gemeinschaftlichen Feind. Es galt also, aufzupassen. Mein Weg führte mich mitten durch das Kampfgebiet, und ich war ganz allein und nur auf meine eigne Vorsicht und Ausdauer angewiesen. Sogar ein Pferd mangelte mir; die Compagniemänner hatten es mir abgeschachert und ich mußte darum auf den zwei Beinen reiten.

Ich hielt so ungefähr auf Smoky Hill zu und konnte nach meiner Berechnung nicht mehr weit vom Arkansas sein. Ich traf immer zahlreichere Wasserläufe, die sich nach ihm hinzogen und stieß auf allerlei Gethier, welches nur an den Ufern großer Flüsse zu finden ist.

So drang ich durch den Urwald und sah mich schon nach einer passenden Lagerstelle um, denn es war schon ziemlich düster geworden, als ich plötzlich eine laute, tiefe Männerstimme vernahm, die mit mächtigem Schalle in das Dickicht hinein raisonnirte. Der Sprache nach war es ein Weißer, der sich so unvorsichtig vernehmen ließ; ich hatte also Nichts zu befürchten und drängte mich durch die Büsche hindurch der Stelle näher, an der er sich befand.

Was glaubt Ihr nun wohl, was ich erblickte?

Auf einem alten Baumstumpf, den ich in der Mitte einer kleinen Lichtung erblickte, stand ein Mann, fuhr mit den Händen in der Luft herum und hielt den Hikory- und Sykamorenstämmen eine Rede, die er nicht besser und schöner bei einem Meeting hätte anbringen können. Ich bin ein ziemlich eigener Kopf und gebe nicht viel auf das, was

mir vorgesprochen wird, aber der Mann hatte eine Stimme und eine Art des Ausdrucks, die mir das Lachen benahm, in das ich erst ausbrechen wollte, weil es mir verteufelt possierlich vorkam, daß Einer mitten im Urwalde den Käfern und Mosquito’s eine Predigt hielt.

Es war, wie gesagt, schon ziemlich düster, aber ich konnte ihn und sein Gesicht noch deutlich erkennen. Er war lang und stark, war frisch, derb und zähe wie ein echter Yankee, hatte eine scharf hervorspringende Nase, spiegelblanke Augen ohne Lug und Trug, einen breiten, scharfen Mund, ein eckiges Kinn und konnte trotz der Gutmüthigkeit, die ihm anzusehen war, doch vielleicht ein Weniges verschmitzt und listig sein, wenn er es für gut hielt.

Vor dem Stumpfe, auf welchem er stand, lag eine gewaltige Axt, eine gute Büchse und noch einiges Andere, was man in jenen Gegenden von Nöthen hat. Es war augenscheinlich, daß sich der Mann im Reden übte, und er schien mir ganz zu einem Self-man gemacht zu sein, der sich durch Kampf, Arbeit und Noth emporringt zu einer besseren Stelle als sie der Westen bietet.

„Ihr sprecht: Wir müssen darauf hin arbeiten, unsre Neger so in die Gewalt zu bekommen, daß sie, selbst wenn ihnen die Freiheit verkündet würde, aus reiner Furcht bei uns bleiben würden,“ declamirte er. „Was diese europäische Rasse, diese deutschen Yankee’s von Humanität und christlicher Liebe schwatzen, ist der reine Unsinn. Die Liebe soll regieren! Die Liebe —? pah — Die Peitsche muß regieren! So sagt Ihr, weil der Eigennutz Euer Herz verhärtet und zu Stein verwandelt hat. Ich aber sage Euch, es wird die Zeit kommen, in wel­cher — — —“

Er hielt mitten in seiner Rede inne. Ich war Etwas zu weit durch das Gebüsch getreten und er hatte mich bemerkt. Im nächsten Augenblicke war er vom Baumstumpfe herunter, hatte die Büchse zum Schuß erhoben und rief:

„Halt, Mann, keinen Schritt weiter! Wer seid Ihr?“

„Pa, legt das Schießzeug nur immer bei Seite. Ich habe keine Lust, Euch aufzufressen oder eine handvoll Blei in den Leib zu bekommen!“

Ein zweiter, schärferer Blick mußte ihn von der Friedfertigkeit überzeugen. Er nahm das Gewehr nieder und nickte mit dem Kopfe.

„So kommt her und sagt, wer Ihr seid!“

„Ich heiße Tim Summerland, Sir, Tim Summerland so lang ich lebe und werde mir von meinem ehrlichen Namen auch nicht die kleinste Ecke herunternehmen lassen. Und wie heißt Ihr?“

„Mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Ich habe ein Floß hier im Wasser und will damit hinab nach dem Süden. Was treibt Ihr hier?“

„Viel und Nichts. Ich habe mir einige Felle geholt und verkauft und möchte nun auch einmal da hinunter, wo Ihr hin wollt. Könnt Ihr mich vielleicht ein Stückchen mitnehmen?“

„Gern, wenn Ihr ein guter Kerl seid, mit dem man sich nicht schimpfiren muß, Tim Summerland. Ich habe

Fenzstangen gehauen, die im Süden gut bezahlt werden, und bin mit meiner Arbeit fertig. Der Beiman, welcher mit sollte, ist mir davon gelaufen, und Ihr seid mir also gern willkommen, wenn Ihr bei der Fahrt zuweilen eine Hand mit anlegen wollt.“

„Das versteht sich ja ganz von selber, Master Lincoln. Wie weit geht’s denn hinab?“

„Bis so weit, als ich die Stangen verkauft habe. Aber sagt, ist Euch die Büchse geläufig, die Ihr auf der Achsel habt? Es ist nicht recht geheuer hier, und zwei Männer sind wenig gegen einige Dutzend rother Burschen, wie sie jetzt am Wasser hin- und herschwärmen.“

„Sorgt Euch nur darum nicht, Sir! Ihr scheint ein verwegener Bursch zu sein, sonst würdet Ihr nicht so sorglos in den Wald hineinschreien, aber der Tim Summerland ist auch nicht aus schlechtem Holz gehackt, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Was habt Ihr denn zu predigen, Sir?“

„Nichts von Bedeutung! Es kommen Einem in der Einsamkeit so allerlei Gedanken, die Andern Nutzen bringen könnten. Da stelle ich mir denn vor, ich hätte diese Andern hier, und sage ihnen, was ich denke. Vielleicht kommt es noch einmal so weit, daß ich eine wirkliche Rede halte, die ich nicht in den Wind hineinstoße. Jetzt aber kommt mit zum Wasser. Da ist’s sicherer und bequemer. Es ist Alles zur Fahrt bereit, und bei guter Frühe schwimmen wir fort!“

Ich bemerkte zu meinem Erstaunen, daß wir bis an das Ufer des Flusses nur einige hundert Schritte zu gehen hatten. Da lag das Floß. Es war kunstgerecht zusammengefügt und trug eine schwere Menge junger Stämmchen, die dem Abraham ein schönes Geld einbringen konnten. Er hatte sich einen schönen Vorrath von Haar- und Federwild zusammengeschossen, so daß wir während der Reise wohl kaum zur Jagd gezwungen waren. Wir aßen also tüchtig Abendbrod und lagen dann mit unsern Pfeifen am Wasser und erzählten uns Allerlei Gutes und Schlimmes, wie man es so hier und da zu erleben bekommt.

Der Mann war nicht unrecht. Er hatte gar Vieles erlebt und über Alles gehörig nachgedacht. Darum brachte er Ansichten zum Vorschein, die mir einen ganz gehörigen Respect von ihm einflößten, und als wir uns „good night“ sagten, wußte ich, daß ich in eine ganz respectable Gesellschaft gerathen sei und mich meines Bootsmannes nicht zu schämen brauche.

Am andern Morgen wurde die Fahrt begonnen. Sie ging ganz gut von Statten, obgleich zuweilen ein Pfeil oder eine matte Kugel vom Ufer her zu uns herüberflog. Auf dem Wasser hatten wir Wenig oder gar Nichts von den Rothen zu fürchten, und wenn wir des Abends anlegten, so geschah es stets an einem Orte, von welchem wir die nöthige Sicherheit erwarten konnten.

Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XIV.

Ein Self-man.

Authentischen Schilderungen nacherzählt von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

So gelangten wir in die Nähe von Fort Gibson. Wir wollten da an das Land gehen, um unser Schießzeug gehörig in Ordnung zu bringen. Es war am hellen Mittag, als wir den Ort vor uns liegen sahen und wir wunderten uns nicht wenig, keine Schildwache oder ein sonstiges menschliches Wesen zu erblicken. Selbst den Schornsteinen entströmte kein Rauch; es lag daher die Vermuthung nahe, daß hier etwas Außergewöhnliches vorgefallen sei.

Aus Vorsicht legten wir das Floß nicht an die gewöhnliche Landestelle, sondern verfolgten unsern Weg noch ein Stück stromabwärts, als ob wir vorübergehen wollten, und hielten erst hinter einer Krümmung des Flusses auf das Ufer zu. Hier nahm Lincoln Büchse und Messer zur Hand und stieg an das Land.

„Ich werde recognosciren, Tim Summerland. Du lässest das Ankerseil lang aus und hältst Dich bereit, es sofort zu durchschneiden, wenn Du etwas Verdächtiges bemerkst!“

Damit war er zwischen den hohen Uferweiden verschwunden. Ihr müßt nämlich wissen, daß sich während unserer Fahrt das geläufige „Du“ bei uns eingeschlichen hatte. Ich bin heut noch stolz darauf und gebe es für kein Amt und keine Ehre hin.

Ich that, wie er befohlen hatte. Glücklicher Weise aber gab es keine Veranlassung, mit dem Flosse in die Mitte des Stromes zurückzugehen. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe er wieder erschien. Sein Gesicht hatte einen halb zornigen, halb pfiffigen Ausdruck.

„Tim, es giebt für uns zu thun. Jetzt kannst Du beweisen, daß Du kein schlechter Westmann bist!“

„Bin bereit dazu! Was hast Du gefunden?“

„Die Komanchen haben das Fort überfallen und Alles niedergemetzelt. Sie sind jetzt auf einem Zuge abwesend und haben nur eine Wache von zwölf Mann zurückgelassen. Die sind über den Brandy gerathen und liegen besinnungslos -

besinnungslos auf der Erde. Ich bin mitten unter ihnen gestanden, ohne daß sie sich gerührt haben. Komm, es giebt eine gute Ladung für uns!“

Es war ein kühner Gedanke, den er aussprach, und ich hatte nicht Lust, ihm abzurathen. In wenig Augenblicken hatten wir das Fort erreicht. Die überraschten Vertheidiger lagen zerstreut auf dem Boden, waren ausgeplündert worden und hatten ihre Kopfhäute lassen müssen. Es gab nicht viel darüber zu sagen. Wir traten in den Versammlungsraum, wo die Indianer ihren „Drink“ gehalten hatten. Sie hatten gezecht, bis sie nicht mehr konnten, und lagen nun in einem todesähnlichen Zustande um das Faß herum, welches umgestürzt war und seinen Inhalt über die Erde ergossen hatte.

„Binden!“ meinte Abraham Lincoln kurz.

Im Nu waren aus den Mantelhäuten der Rothen so viele Riemen geschnitten, als wir bedurften, und in weniger als einer halben Stunde befanden sich die Zwölf auf unserm Flosse, wo wir sie so fest an die Stämme schnürten, daß es für sie keine Möglichkeit zum Entrinnen gab. Für jetzt aber waren sie so betrunken, daß Keiner von ihnen die Veränderung bemerkt hatte, die mit ihnen vorgenommen worden war.

Dann kehrten wir wieder nach dem Fort zurück, um von den dort befindlichen Gegenständen zu retten, was zu retten war. Wir mußten uns dabei sputen, denn die Rückkehr der übrigen Indsmen konnte jeden Augenblick erfolgen, und dann waren wir verloren.

Ein Umstand mußte uns ausfallen. Die Getödteten waren sämmtlich ausgeplündert, und doch fanden wir nirgends einen der in ihrem Besitze gewesenen Gegenstände. Nachdem wir auch sie alle auf das Floß gebracht hatten, um sie später ohne Gefahr zu beerdigen oder mit den geborgenen Sachen in Kidron abzuliefern, standen wir schon im Begriff, vom Lande zu stoßen, als plötzlich zwei Schüsse

krachten. Sie waren auf uns gerichtet, aber schlecht gezielt gewesen; die eine Kugel pfiff mir am Ohr vorüber, und die andre riß Abraham einen Fetzen aus dem Aermel seines Büffelhemdes.

Augenblicklich waren wir wieder in das Land zurück und drangen durch die Weiden nach dem Orte vor, wo die Schüsse abgefeuert worden waren, wie ein über ihm schwebendes Wölkchen zeigte. Ein kleiner Sack lag dort am Boden. Wir ließen ihn ununtersucht, denn vor uns raschelten die Zweige, und wir mußten den Mann haben, der uns an’s Leben gewollt hatte.

Als wir den Rand des Strauchwerkes erreichten, sahen wir ihn laufen. Es war ein Weißer; er floh nach dem Fort zu, um hinter den Gebäuden desselben Deckung zu finden. Wir hatten, sobald die Schüsse gefallen waren, sofort nach unsern Büchsen gegriffen. Zu gleicher Zeit erhoben wir sie jetzt, und im nächsten Augenblicke stürzte der Getroffene mitten im Laufe zur Erde.

Wir eilten herbei. Er war durch die Brust geschossen und ohne Zweifel todt.

„Ah! Kennst Du den Mann, Tim Summerland?“ frug Lincoln, indem er ihn mit dem Fuße hin und her wandte.

„Habe ihn noch nicht gesehen!“

„Sieh’ ihn genau an, Tim. Wir haben einen berüchtigten Loafer ausgelöscht; es ist der Kanada Bill!“

„Der Kanada Bill? Ist’s möglich! Was hat er hier zu schaffen gehabt? Ich denke, er ist jetzt so da unten am Red River, wie die Leute sagten!“

„Er war überall, und auch hier, wie Du siehst. Wer weiß, welche Rolle er hier gespielt hat; er steht nun vor Dem, vor dem er es zu verantworten hat.“

Er bückte sich nieder, um ihn und seine Kleidung zu untersuchen. Es war keine Spur von Leben mehr in ihm vorhanden, und seine Taschen waren vollständig leer.

„Komm, Tim! Wir lassen ihn liegen, denn er ist’s nicht werth, daß wir uns seinetwegen noch länger der Gefahr aussetzen!“

Wir kehrten zu dem Sacke zurück. Er war schwer. Als wir ihn auf dem Flosse öffneten, fanden wir neben der Kasse des Forts einige Uhren, Ketten und Ringe und eine Menge werthvoller Kleinigkeiten darin, wie sie die Offiziere und Soldaten getragen hatten. Jetzt wußten wir, was der Kanada Bill bei dem Ueberfalle für eine Rolle gespielt hatte. Unser Floß hatte ihm als ein gutes Mittel geschienen, mit seinem Raube fort zu kommen. Alles Uebrige konnte ein Verhör mit den gefangenen Indianern aufklären, deren Erwachen wir mit gespannter Neugierde herbei wünschten, obgleich uns aus andern Rücksichten ihr jetziger Zustand willkommener sein mußte.

Wir stießen vom Lande und befanden uns bald wieder in Mitten der uns schnell vorwärtstragenden Strömung. Abraham Lincoln stand vorn am Flosse, um nach Snaks, Alligatoren und Indianern auszuschauen, in jenen Gegenden die drei größten Feinde des Schiffers. Ich ahnte damals -

damals nicht, daß er bald die erste Stelle auf dem Flosse der „Vereinigten Staaten“ einnehmen werde, um dasselbe sicher durch die ärgste der Stromschnellen zu führen, durch welche es jemals geschwommen ist. — —

2.

Wenn zwischen zwei Geschichten so einige Jahre in das Land gehen, so kann man auch beim Erzählen eine Pause machen. Es geht ja auch im Leben nicht Alles so glatt und hurtig ab, und zumal Unsereiner wird von den Winden hin- und hergeworfen, die bald von hier und bald von da herüberwehen und zumal dem Westmanne gar arg mitzuspielen pflegen.

Ich hatte das an mir selbst erfahren und war nach Vicksburg gekommen, um mich einmal so recht gehörig auszuruhen. Aber, pshaw! Das Trapperblut ist mit keiner Ruhe einverstanden als mit der, zu welcher Jeder einmal kommt, wenn er seine letzte Kugel verschossen und das feindliche Messer oder Blei gekostet hat. Es dauerte kaum eine Woche, so wurde mir die Zeit gewaltig lang, der Gedanke, wieder aufzubrechen, fing an, mir ernstlich zu schaffen zu machen, und ich stieg den lieben langen Tag am Strome hin und her, um nach irgend Etwas auszuschauen, was meinem Entschlusse eine bestimmte Richtung geben sollte.

So stehe ich denn am Quai oder wie sie das Ding dort nennen, und habe meine helle Freude an dem Menschengewühl, welches die ankommenden Steamer bringen und die abgehenden wieder mitnehmen, da sehe ich plötzlich ein Gesicht, sage ich Euch ein Gesicht, welches ich nicht vergessen konnte, obgleich schon fast zwanzig Jahre vergangen waren, seit ich es zum letzten Male vor mir gehabt hatte.

„Betty, Betty Kroner!“ rufe ich und dränge mich durch das Volk bis hin zu ihr. „Gott segne meine Augen; bist Du es, oder bist Du es nicht?“

„Tim,“ ruft sie, die Hände vor Freude und Verwunderung zusammenschlagend; „Tim Summerland, welch ein Glück, daß ich Dich finde!“

„Ja, ein Glück ists, Betty, ein verteufelt großes Glück! Weißt Du noch, damals, als ich Dich zur Frau haben wollte und Du mochtest nicht, sondern hattest den Fink Panschlaw lieber als mich? Es war doch eine verdamm — — eine schöne Zeit, wollte ich sagen, Betty! Du bist mit dem Panschlaw gelaufen, ich aber hab’ Dich nicht vergessen bis auf den heutigen Tag. Domm [Damn], es ist doch mit dem Dinge, was sie Liebe nennen, eine eigenthümliche Sache! Wie ist Dir’s gegangen, und wie kommst Du nach Vicksburg?“

Ihre Augen wurden plötzlich naß, sage ich Euch, so naß, daß ich mir beinahe auch mit der Hand in mein altes Gesicht fahren mußte, denn ich muß Euch sagen, daß mir Alles gleich ist, aber die Betty Kroner, die kann ich nicht weinen sehen.

(Fortsetzung folgt.)
Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XIV.

Ein Self-man.

Authentischen Schilderungen nacherzählt von Emma Pollmer.

(Fortsetzung.)

„Ach, Tim, mir ist’s schlecht gegangen,“ antwortete Betty Kroner unter Thränen, „und jetzt, da ist’s am Allerschlimmsten!“

Zounds, ist’s möglich?“ rief Tim Summerland aus. „Wer ist Schuld daran, Betty? Bringe ihn her und ich nehme sein Genick zwischen die Finger, daß er seiner Seele fünfzig Meilen weit nachlaufen muß, ehe er erfährt, daß er sie nicht wiederbekommt!“

„Ja, wenn ich ihn Dir nennen könnte, Tim; ich weiß ihn ja selber nicht!“

„So erzähle! Oder komm dort in den Store, da können wir sitzen und sind Keinem im Wege!“

Sie ging mit und begann ihre Erzählung.

„Panshlaw ist todt, Tim, schon viele Jahre; meine jüngste Tochter, die Ellen, zählt acht Jahre. Es war mir fast die Liebste von Allen, aber nun ist sie auch mit verloren!“

„Verloren? ’sdeath, hast Du denn Kinder verloren, Betty?“

„Ja, alle Vier,“ weinte sie leise aber heftig. „Ich zog mit Panshlaw nach New-Orleans, wo ich geblieben bin bis vor wenigen Wochen. Da rief mich die Schwägerin nach dem Norden, und ich brach mit den Kindern auf. Hier bin ich an das Land gegangen, um einen Einkauf zu machen, und als ich auf das Schiff zurückkam, waren sie fort. Ich konnte weiter Nichts erfahren, als daß ein gut gekleideter Mann sie abgeholt habe, um sie zu ihrer Mutter zu führen.“

„Bei meinem Bowiemesser, Betty, das ist eine verteufelt unglückliche Geschichte! Was werden wir thun?“

„Ich weiß es nicht, Tim! Ich bin im Policehouse gewesen; es hat Nichts geholfen. Ich habe die Stadt wohl Tag und Nacht durchstrichen; es ist vergebens gewesen. Nun ist mein Geld alle, weil ich die hohe Fahrt bezahlt habe, und ich bin in der fremden Stadt ohne alle Hülfe und allen Rath!“

„Beim Teufel, Betty, das ist nicht wahr! Oder hältst Du den Tim Summerland für Nichts, für gar Nichts?“

„Tim, verzeihe mir, ich weiß doch nicht, ob Du mir noch bös bist von damals her, und kenne doch auch Deine Verhältnisse nicht, ob Du mir helfen kannst!“

„Bös? Ich Dir? Wer Dich das glauben machen will, Betty, dem schlage ich den Kopf so breit, daß er ihn für eine alte Landkarte halten soll! Und meine Verhältnisse? Ich will Dir Etwas sagen, Betty: Tim Summerland hat keine

Verhältnisse, aber Geld hat er, viel Geld, und das wird er gern drangeben, um Deine Kinder aufzufinden!“

Die Sache war um ein Weniges schlimmer, als Ihr denken werdet. Die Betty war nämlich eine Freigegebene und hatte ein ziemlich Maaß von dunklem Blute in den Adern, das war nicht nur an Haar und Hautfarbe, sondern auch an den Nägeln deutlich zu sehen. Ihre Kinder hatten also dieselben Kennzeichen an sich, und wenn irgend ein Schelm sie vom Schiffe geholt und für seine Sclaven ausgegeben hatte, so war es nicht leicht, sie wieder zu bekommen, selbst wenn man wußte, wer’s gewesen war.

Vor allen Dingen brachte ich sie zu meinem Boarding-Manager, bei dessen Frau sie eine freundliche Aufnahme fand. Dann mußte sie mir Alles genau beschreiben und erzählen, und nun machte ich mich auf die Suche, um eine Fährte des Wildes zu entdecken, das ich noch gar nicht kannte.

Mein Suchen war tagelang vergebens, bis ich zufälliger Weise in den Boar-room des Washington-Hotels gerieth.

Es waren verteufelt noble Gentlemen’s hier, und der alte Tim Summerland wurde nicht zu wenig angestaunt, daß er es wagte, so eine „dearness-spelunc“ zu betreten. Aber er ist ein besserer Mensch als mancher Andere, der mit der Nase Löcher in den Himmel sticht, und ließ sich darum gar nicht irre machen.

Da auf einmal kommt Einer herein, der besser und gentlemanliker als sie Alle sieht, wirft einen Blick herum, als wolle er die Köpfe von den Rümpfen spießen und dreht sich schon wieder zum Gehen um, als er mich gewahrt. Da blitzt es in dem treuen Auge auf; er tritt zu mir heran und streckt mir die Hand entgegen.

„Tim Summerland, alter Rifler, welcher Sturm hat denn gar Dich in dieses Haus gejagt?“

„Linkoln [Lincoln], Abraham Linkoln [Lincoln], wahrhaftig, Ihr seid es mit Haut und Haar!“

„Du, Du, heißt es, Tim, grad so wie damals, als wir die zwölf Indsmen von Fort Gibson auf die Floßhölzer schnallten. Komm mit herauf in meinen Room, Du mußt erzählen!“

Denkt Euch, der Mann war während der Zeit, daß ich ihn nicht gesehen hatte, Kapitän und gar Lawyer geworden, so was man im alten Lande einen Advocaten nennt, und Alles ohne Schule und nur durch sich selbst. Jetzt hatte er ein Geschäft im Lande und hatte im Hotel gewohnt, wollte aber schon mit dem nächsten Steamer fort. Ich will des Teufels sein, wenn ich ihm nicht sofort die Geschichte von

der Betty erzählte. Er hörte aufmerksam zu, sagte aber Nichts und nickte nur einige Male zustimmend mit dem Kopfe, als sei ihm Alles schon bekannt.

Well, Tim,“ meinte er dann; „Du kommst jetzt grad an den rechten Mann und sollst die Kinder haben, wenn Du willst!“

„Ob ich will? Ich schieße Jeden nieder, der das Gegentheil behauptet, und laufe neunzig Mal um die Erde herum, wenn ich nur weiß, daß ich sie dabei irgendwo finde!“

„Gut, sehr gut! Wie also hat der Mann gesehen, mit dem sie vom Schiffe gegangen sind?“

„Wie jeder Andere! Carrirte Beinkleider, grauer Rock und gelber Panamahut, eine Nase, zwei Beine und — —“

„Und lahm, lahm ging er, nicht wahr, Tim?“

Zounds, der Stewart hat so Etwas gesagt, doch wußte er es nicht genau! Kennst Du den Kerl, Abraham?“

„Ein Weniges! Ich muß Dir nämlich sagen, daß ich beauftragt bin, einem Manne nachzugehen, den eine gewisse Jury gern bei sich sehen möchte. Er ist durch die Länder gegangen und Keiner hat ihn finden können. Ich aber bin ihm auf der Ferse. Er scheint zwischen hier und dem Missouri ein artiges Pecaninygeschäft zu treiben, nimmt braven Leuten die Kinder weg und verkauft sie in die untern Staaten, wo diese Waare gut bezahlt wird. Ich werde ihm das Handwerk legen. Willst Du mit?“

„Ich bin dabei! Wann geht es fort?“

„Sogleich!“

„Gut, ich bin fertig. Aber die Betty?“

„Bleibt hier. Wir gehen noch zu ihr und tragen Sorge, daß sie bis zu unserer Rückkehr nicht Noth zu leiden hat.“

„Linkoln [Lincoln], der Alligator soll mich fressen, wenn ich jemals vergesse, daß — — —“

„Schon gut, Tim! Ich bin ganz allein nur auf mich angewiesen, denn die Südstaatenmänner werden mir in meiner Angelegenheit nur feindlich entgegentreten. Wer weiß, ob ich nicht in schlimme Lagen komme, und da ist es mir ganz lieb, Jemand bei mir zu haben, auf den ich mich verlassen kann.“

Well done, so passen wir zusammen grad wie damals, als wir dem Kanada Bill unser Blei zu schmecken geben [gaben] und die Rothhäute in Kidren [Kidron] so prächtig ablieferten.“

„Was den Kanada Bill betrifft, Tim, so muß ich Dir sagen, daß er grad in dieser Gegend hier nicht selten zu finden ist. Er soll am Red River ein großes Sumpfland besitzen und dort viel Ebenholz zu seinem Vergnügen zu Tode peitschen. Das „three carde monte“ hat er nicht verlernt und erst kürzlich in St. Louis zwanzig Tausend Dollars damit gewonnen. Entweder habe ich mich da oben am Arkansas geirrt, und er ist es gar nicht gewesen, oder unsre Kugel ist nicht genug für ihn gewesen. Jetzt trink und rauch; ich will mich fertig machen!“

Es war ein wunderbares Zusammentreffen, Ihr Leute, und ich hatte meine helle Freude über ihn. Er war ein

Gentleman geworden, wie er nur so im Buche steht, und man konnte ihm schon ansehen, daß er es auch noch um ein Beträchtliches weiter bringen werde. Zu meiner Verwunderung zog er einen alten Trapperanzug aus dem Koffer und stand bald grad so vor mir, wie ich ihn im Walde getroffen hatte.

„Jetzt bin ich fertig, Tim. Man darf es hier nicht in die Welt hineinschießen, wer man ist und was man will. Den Koffer schicken wir zu Deiner Betty; die mag ihn behalten als Zeichen, daß wir wiederkommen.“

Das schnappte und klappte nur so Alles an ihm. Ein Stündchen später bestiegen wir den Steamer, suchten uns als einfache Westmänner ein Plätzchen auf dem Deck und machten es uns so bequem als möglich. Die Fahrt dauerte vier Tage. Ich frug nicht, wo wir aussteigen würden und bekümmerte mich auch nicht um das, was Linkoln [Lincoln] that und trieb. Ich wußte, daß er reden werde, wenn die rechte Zeit gekommen sei. Er hatte ein scharfes Auge auf Jeden, der das Schiff bestieg, obgleich es kein Anderer als nur ich allein bemerken konnte.

Da, es war in der Gegend von Game-city, brachte ein Boot einen Mann an Bord, welcher zwei Kinder bei sich hatte. Es war ihnen auf den ersten Blick anzusehen, daß sie Negerblut in den Adern hatten. Sie schienen sich sehr vor ihm zu fürchten und blieben in dem Winkel versteckt, nach welchem er sie führte.

„Das ist unser Mann!“ meinte Abraham leise.

Wirklich hinkte er ein Wenig, wenn auch die Kleidung nicht die beschriebene war. Er blieb bis zum Abende auf dem Schiffe, wo er dann mit den Kindern einen Kahn bestieg, welcher mitten im Strome auf ihn gewartet zu haben schien.

Bounce,“ sagte Linkoln [Lincoln]; „er hat sich vorgesehen und wird uns leicht entgehen. Laß sehen, was zu machen ist!“

Er ging zum Capitain und sprach Einiges mit ihm. In kurzer Zeit wurde ein Boot ausgesetzt; wir stiegen hinein, und von sechs Rudern getrieben, flog es in den Nebel hinein, in welchem der Kahn verschwunden war. Die Bootsleute hatten den Steamer wieder einzuholen und legten sich daher gewaltig auf das Holz. Die Leute im Kahne bemerkten uns nicht, obgleich wir fast zu gleicher Zeit mit ihnen das Ufer erreichten. Wir landeten an einer tieferen Stelle als sie und blieben ihnen wacker auf der Fährte.

Der Weg führte nach einer Pflanzung, welche in der Nähe des Stromes lag. Als der Mann das Camp, in welchem die Neger wohnten, erreicht hatte, stieß er einen Pfiff aus. Eine Gestalt erschien, die Peitsche in der Hand. Es war einer der Aufseher.

„Hier bringe ich zwei Neue. Gieb ihnen zu esse und laß sie mit den Andern spielen, damit sie nicht heulen. Sind sie aber nicht zu trösten, so zieh’ ihnen den Riemen über den Rücken!“

(Schluß folgt.)
Aus allen Zeiten und Zonen.
      
XIV.

Ein Self-man.

Authentischen Schilderungen nacherzählt von Emma Pollmer.

(Schluß.)

Unser Unbekannter ging dem Wohnhause zu. Wir erreichten es, um nicht gesehen zu werden, auf einem Umwege. Auf der Veranda befand sich Niemand; auch im Parlour war Niemand zu erblicken, doch schimmerte aus einem offenen Fenster des Erdgeschosses Licht. Wir schlichen uns herbei. Am Tische saßen drei Männer, der Angekommene unter ihnen. Der Zweite konnte der Pflanzer sein, und der Dritte, by god, das war der Kanada Bill, Zug für Zug und Haar um Haar, grad wie ich ihn droben am Arkansas zu meinen Füßen hatte liegen sehen.

„Und wie viel habt Ihr heut wieder, Willmers?“ frug er eben.

„Zwei. Es war eine harte Arbeit, fast so wie mit den Vier, die ich für Euch von Vicksburg mitbrachte. Sind sie gefüge geworden?“

„Tragt keine Sorge; Hunger und Peitsche thun weh. Mr. Thanny hier sieht schon darauf, daß er bei dem Kostgeld Nichts verliert. Morgen geht es fort nach dem Rad [Red] River. Sind die Zwei nach meinem Geschmack, so kaufe ich sie Euch noch ab und nehme sie mit.“

Lincoln zog mich in eine dunkle Ecke.

„Tim, hast Du verstanden?“

„So ziemlich.“

„Es ist der wirkliche Kanada Bill.“

„Der wirkliche.“

„Unser Schuß ist ihm doch nicht durch das Leben gegangen, und die Indsmen haben ihn mit ihren Kräutern geheilt.“

„So meine ich auch. Vielleicht erfahren wir heut von ihm, was die zwölf Schurken damals in Kidron so hartnäckig verschwiegen. Es war nur richtig, daß sie die Kugel bekamen.“

„Ich glaube nicht, daß wir Etwas erfahren; die Umstände sind nicht günstig. Tim Summerland, jetzt werde ich Deine Hülfe brauchen!“

„Ist mir recht.“

„Ich habe einen Verhaftsbefehl, aber er wird mir Nichts nützen.“

„Das ist möglich. Auf den Bill?“

„Nein auf den Andern, der sich hier Willmers nennen läßt.“

„Ah so!“

„Er raubt Mulattenkinder.“

„Und verkauft sie weiter?“

„So ists. Hier bei diesem Mr. Thanny hält er die Niederlage. Bill ist gekommen, um zu kaufen. Die Kinder Deiner Betty sind sein, sie befinden sich noch hier. Hast Du’s vernommen?“

„So viel ich’s brauche, ja.“

„Wie bringen wir sie los? Gutwillig bekommen wir sie nicht! Achtung vor dem Gesetze und meinem Befehl finden wir nicht; Hülfe und Unterstützung giebt es ja auch nicht — —“

„Hm, wie wär’s, wenn wir’s auch ohne Hülfe versuchten, Abraham? Ich habe eine verdammt gute Büchse, und das Uebrige ist auch nicht übel!“

„Ich dachte auch daran und bin dazu bereit, was meine Person betrifft; es giebt ja keinen andern Weg. Aber wenn es mißlingt, so sind wir verloren, und darum will ich Dich — —“

Silence, alter Lawyer! Ich thue mit, und damit stopp. Die Betty soll ihre Kinder wieder haben. Vor diesen Menschenkrämern fürchte ich mich nicht!“

„So mag es sein! Es ist noch nicht dagewesen, sicher nicht, aber wir zwei werden bis morgen die Herren dieser Pflanzung sein. Früh acht Uhr geht der Steamer Wilson aufwärts hier vorüber; ich habe erfahren, daß der Capitain Haller heißt und ein Deutscher ist. Einem solchen dürfen wir uns anvertrauen; er wird nicht dulden, denn sein Gastrecht wird uns schützen, so lange wir uns auf seinen Planken befinden. Ich kenne diese Deutschen, sie sind Ehrenmänner durch und durch und mögen von der Sclaverei Nichts leiden. Mach das Messer locker, nimm die Büchse herab und komm!“

Wir gelangten ungesehen und also auch unangefochten auf die Veranda, ebenso in das Parlour und hatten nun nur noch eine Thür zwischen uns und den Dreien. Lincoln stieß sie auf.

Good evening, Mesch’schurs!“ grüßte er, trat an das Fenster, warf die Jalousien herab und schloß die Flügel.

Ich blieb an der sofort verschlossenen Thür stehen und zog die Büchse an das Gesicht. Die Männer waren aufgesprungen, aber die Ueberraschung raubte ihnen die Sprache.

„Bleibt sitzen; ich werde Gesellschaft leisten!“

Den gespannten Revolver in der Hand, zog er sich den Schaukelstuhl herbei und ließ sich in demselben nieder.

„Damn, Master, was wollt Ihr hier?“ frug Kanada Bill. Er hatte sich zuerst gefaßt und griff mit der Hand nach dem Gürtel.

„Laßt das stecken, Bill! Ich gebe Euch mein Wort, daß ich Euch die Hand entzweischieße, wenn Ihr sie nicht augenblicklich wegnehmt!“

Bill folgte. Er sah, daß hier nicht zu spaßen sei.

„Ihr fragt, was ich hier will? Hm, ich möchte gern wissen, wie Ihr wieder aufgekommen seid, als Euch bei Fort Gibson meine Kugel niederstreckte. Mein Floß und der Sack waren wohl die zwei Schüsse werth, die uns Beide in’s Jenseits -

Jenseits schicken sollten. Ihr seht, ich habe eine kleine Rechnung mit Euch quitt zu machen!“

Cheer up, da habe ich Euch ja!“ rief er, frohlockend in die Höhe fahrend. „Ihr sollt mir jetzt Rede und Antwort stehen, daß — —“

„Schon gut! Setzt Euch, Bill, sonst kann ich meine Kugel nicht mehr halten! Also Ihr habt jetzt eingestanden, daß — —“

„Eingestanden? Nichts habe ich eingestanden; ich weiß nicht, was Ihr meint. Nur das weiß ich, daß Ihr ein verdammter Dedective seid, den ich gehörig heimschicken werde!“

„Ein Dedective bin ich nicht, wenigstens nicht für Euch, Bill, und heimgehen werde ich ganz von selbst, so bald es mir beliebt. Unsre Sache ist mehr privater Art. Also laßt Euch sagen, Ihr Herren: Dieser Mann dort an der Thür wird Euch die Waffen abnehmen, die Ihr vielleicht bei Euch habt. Ihr laßt das ruhig geschehen, denn ich werde Den, der eine widerspenstige Miene macht, sofort niederschießen!“

„Da habe ich zuerst ein Wort zu sprechen,“ meinte jetzt erst Thanny, der bisher bestürzt geschwiegen hatte. „Ich bin hier Herr im Hause. Wer mich überfällt, ist ein Räuber und wird gepackt. Ich rufe meine Leute!“

„Das sollt Ihr sogar thun, aber jetzt noch nicht. Tim Summerland, geh her. Nimm das Messer vor und zeige ihnen die Schneide!“

„Keine Sorge, alter friend! Wer sich nur rührt, der schmeckt die Klinge. Zeigt her, Mesch’schurs, ob sich ’was finden läßt!“

Sie hatten heillosen Respect bekommen und gehorchten. Nur Bill und Willmers hatten Waffen bei sich; der Erstere ein Messer, der Andre aber Messer und Revolver. Ich nahm die Sachen zu mir und kehrte an die Thür zurück.

„So, das war die Einleitung,“ lächelte Lincoln. „Nun kommt die Hauptsache, und ich werde der Reihe nach einem Jeden sagen, was ich ihm mitzutheilen habe. Die Andern haben zu schweigen, sonst mengt sich meine Kugel in das Gespräch! Mr. Willmers, ich kenne Euch. Ihr heißt eigentlich Jonas Forbisch und werdet mich auf einige Tage begleiten!“

Der Mann wurde blaß.

„Das ist eine Lüge, das ist nicht wahr! Ich heiße —“

„Stopp, wir sind fertig. Sprecht Ihr noch ein Wort, so ist es aus mit Euch. Die Vereinigte-Staaten-Bank wird ihren Clorc [Clerc] wiedersehen, der so schnell zu verschwinden wußte, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Nun zu Euch, Bill. Ich werde eine Frage an Euch richten; Ihr beantwortet sie mit Ja oder Nein. Sprecht Ihr ein Wort mehr oder zögert Ihr mit der Antwort länger als eine Minute, so schieße ich. Mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Merkt ihn Euch!“

„Was wollt Ihr?“

„Gebt Ihr mir freiwillig die geraubten Kinder heraus, welche Ihr von Forbisch gekauft habt, wenn ich Euch verspreche, Fort Gibson nicht zu erwähnen?“

„Ja,“ ertönte es nach einer Pause. „Ja, wenn —“

„Halt, sonst schieße ich! Ich spaße nie. Den Preis werdet Ihr zurück erhalten, wenn er sich noch bei Forbisch

findet. Und nun zu Euch, mein ehrenwerther Mr. Thanny. Ihr beantwortet meine Fragen der Wahrheit gemäß. Beim geringsten Widerstreben seid Ihr eine Leiche. Gehorcht Ihr, so wird Euch nicht das Geringste geschehen! Diese beiden Männer wohnen in Eurem Hause?“

„Ja.“

„Ihr habt die Waare des Mr. Willmers in Eurem Camp?“

„Ja.“

„Ich will Eure Handlungsweise nicht verurtheilen, aber Ihr werdet gut machen, was Ihr gefehlt habt; Schaden giebts ja nicht für Euch dabei. Ihr führt mich nach Forbisch’ Zimmer, wechselt aber dabei außer mir mit Niemandem Wort oder Miene, sonst seid Ihr verloren. Kommt! Tim, Du sorgst dafür, daß ich hier Alles so wiederfinde, wie ich es verlasse!“

„Versteht sich ganz von selbst!“

Ich hatte keinen leichten Stand, und die Abwesenheit Abrahams dauerte mir fast ein Wenig zu lange. Es war beinahe eine Stunde vergangen, als er zurückkehrte. Er kam allein. Seine Beredtsamkeit und die Beweise, welche sie in dem Zimmer des Clorcs vorgefunden hatten, waren ein Glück für uns. Der Pflanzer hatte versprochen, sich nicht in unsre Angelegenheit zu mischen, wenn er nicht behelligt werde, und Lincoln war so klug gewesen, ihm Vertrauen zu zeigen.

Mit den beiden Andern gab es noch ein hartes Stückchen Arbeit. Sie wurde glücklich vollendet, da der Pflanzer wirklich Wort hielt und uns keine Feindseligkeit in den Weg legte.

Am andern Morgen verließen wir mit dem gefesselten Forbisch und mehr als einem Dutzend Kindern die Farm, und nur der gewaltigen Persönlichkeit Abrahams hatten wir dieses glückliche Ergebniß zu verdanken. Kapitain Haller nahm uns auf. Zwar hatten wir unterwegs noch manchen kleinen Strauß mit unserm Gefangenen, aber es war nur gering gegen unser vorheriges Wagniß, und wir kamen wohlbehalten in Vicksburg an.

Ihr könnt Euch Betty’s Freude denken, als sie die Kinder wiedersah. Die andern waren schon unterwegs den Ihrigen zurückgegeben. Ich blieb in Vicksburg, und — na ja, die Geschichte von dem Fink Panschlaw, den sie lieber hatte als mich, ist vergessen; sie hat nun einen andern Mann, und der ist besser als der erste, denn er heißt Tim Summerland.

Lincoln aber ist mit seinem Clorc fort nach dem Osten. Ich habe ihn nie wiedergesehen, desto mehr aber von ihm gehört. Ihr kennt ihn Alle, und die ganze Welt kennt ihn. Booth hat ihn erschossen, der Teufel segne es ihm, aber er lebt doch fort in den Staaten, denn was er that, ist für Jahrhunderte gethan, und solch einen Abraham bekommt das Land nicht wieder. Und wenn ich so dasitze und an ihn denke, so klingts mir immer in den Ohren: „Du, Du, heißt es, Tim, grad so, wie damals!“ Ja, er war ein ganzer Mann, ein self-man, wie es keinen zweiten giebt, und darum hatte er das Herz auf dem rechten Flecke, war zäh grad wie Hickoryholz und weich dabei wie — wie — ja, wie es sonst eigentlich nur die Deutschen sind. Gott lohne es ihm!