MobileMenuKarl-May-Gesellschaft → Primärliteratur
83753.

Die Both Shatters.

Ein Abenteuer aus dem „wilden Westen“ von Karl Hohenthal.

I.

Die Prairie schob sich busenähnlich in den zurücktretenden Urwald hinein, und am äußersten Rande dieser „Bucht,“ wie die Jäger dergleichen Orte nennen, hatte die Gesellschaft, zu welcher ich gehörte, ihr Lager aufgeschlagen, um für einige Tage von den gehabten Anstrengungen auszuruhen und bei dieser Gelegenheit einiges „Fleisch zu machen.“ Es war uns auch gelungen, an eine Büffelheerde heranzukommen, und während die Andern sich eifrig mit den beiden Kälbern, die wir geschossen und zum Lager geschleift hatten, beschäftigten, hatte ich einen Ausflug hinaus in die Savanne unternommen, da „Swallow,“ mein braver Mustang, nicht in dem Grade der Ruhe bedurfte wie die andern Pferde.

Ich war am Morgen ausgeritten; die Sonne hatte jetzt schon seit einigen Stunden den Kulminationspunkt hinter sich, und ich beschloß eben umzukehren, als ich mehrere Hufspuren bemerkte, auf welche mein Weg im spitzen Winkel stieß. Ich stieg ab um sie zu untersuchen.

Es war eine eigenthümliche Fährte. In der Mitte derselben ließen sich die Hufeindrücke zweier Pferde deutlich erkennen; zu beiden Seiten waren je drei und drei, zusammen also sechs Andere geritten, und ein Siebenter hatte, bald zu Fuße und bald zu Pferde, bald hüben und bald drüben, seine Eindrücke hinterlassen. Den Fußspuren nach war es ein Indianer gewesen. Ich verglich das niedergetretene Gras der einzelnen Fährten und fand, daß die mittleren zwei Spuren vielleicht um eine Stunde älter waren als die andern, denn bei ihnen hatten sich die Halme bereits um ein Beträchtliches mehr erhoben, als bei den übrigen. Es war mir sofort klar, daß die Zwei von den Sieben verfolgt wurden, deren Spuren so frisch waren, daß sie kaum vor einer halben Stunde erst vorübergekommen sein konnten.

Da die Fährte ungefähr die Richtung verfolgte, in welcher unser Lager sich befand, so beschloß ich ihr zu folgen; die Sorge für die Meinigen erforderte dies. Wir befanden uns in der Nähe des Yellow-Stone-River, also im Gebiete der den Weißen feindlich gesinnten Sioux, und wenn wir auch so einige Dutzend tüchtiger Arme besaßen, so konnte ein Zusammentreffen mit den Indsmen doch nicht in unserem Wunsche liegen. Ich bestieg also „Swallow“ wieder und versetzte ihn in jene ausgiebige Gangart, welche im Südwesten Sobre-passo genannt wird und darin besteht, daß das Pferd je die beiden rechten oder linken Füße zugleich, den Vorderlauf jedoch immer höher als den Hinterlauf erhebt, was eine weit schnellere und doch sanftere Bewegung ergibt als das Traben.

So legte ich in kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, so daß ich den Verfolgern schon ziemlich nahe sein konnte, als ich plötzlich zwei Fußspuren bemerkte, welche von seitwärts herkamen und sich mit der Fährte, die ich nicht aus dem Auge gelassen hatte, vermischten. Wieder stieg ich ab um sie zu prüfen.

Sie rührten von zwei Weißen her; das stand fest, denn die Zehen waren nach auswärts gekehrt, und zugleich sah ich, daß die beiden Männer von sehr verschiedener Gestalt sein mußten, denn die Fußeindrücke des Einen waren bedeutend länger als die des Andern. Der Lage der Halme nach waren die Zwei erst vor wenigen Minuten hier gegangen. Ich stieg auf und folgte ihnen im Galopp, die Augen bald auf die Fährte und bald in die Ferne gerichtet, wo ich auch bald zwei schnell vorwärtseilende Punkte bemerkte, die, als ich näher kam, sich als menschliche Gestalten erwiesen.

Einmal rückwärts schauend erblickten sie mich und blieben halten, um mich mit zum Schusse erhobenen Büchsen zu erwarten.

83853.

Als ich so nahe war, daß ich sie genau zu betrachten vermochte, konnte ich mich eines Lächelns kaum erwehren.

Es waren zwei Männer, welche die Natur als schroffe Gegensätze neben einander gestellt zu haben schien.

Der Eine war klein, aber von einem ganz ungemeinen Körperumfange. Ein dichter struppiger Bart bedeckte sein Gesicht so, daß von dem letzteren nur eine fürchterliche, in allen Farben spielende Nase und zwei kleine, listig blinzelnde Aeuglein zu erkennen waren. Die verschobene Perrücke, welche auf seinem breiten Schädel lag, hatte jedenfalls seit langen Jahren weder Kamm noch Bürste gefühlt und glich einem umgekehrten und zerzausten Vogelneste. Auf ihr saß ein Ding, welches früher einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber alle Haare verloren und ganz das Aussehen eines umgestülpten faltenreichen Bärenmagens hatte. Der Jagdrock, in dem das Männlein stak, war jedenfalls für eine bedeutend längere Persönlichkeit angefertigt worden, denn er hing ihm fast bis an die Knöchel herab und ließ von der unteren Partie des possierlichen Trappers nur zwei vielfach zerrissene und zerfetzte Mokkassins erblicken.

Der Andere war fast um die Hälfte höher als sein Gefährte. Seine Glieder waren so dünn und lang gezogen, daß man befürchten mußte, sie könnten beim ersten Windstoße wie Fäden auseinandergetrieben werden. Alles an ihm war lang und dünn oder schmal: die Stirn, die Nase, die Lippen, das bartlose Kinn, der Hals, der Leib, die Arme und Beine; auf seinem Hinterkopfe balancirte ein eigenthümlicher Gegenstand, dessen hundertster Urenkel nach der Darwin’schen Lehre wahrscheinlich Hut zu nennen sein würde; das lederne Jagdwamms reichte ihm nur wenige Zoll über die dürren Hüften herab, und die unendlichen Beine staken in zwei weit heraufgezogenen Futteralen, von denen sich kaum entscheiden ließ, ob sie Strümpfe, Gamaschen oder Stiefel zu nennen seien.

Ihre Ausrüstung war ganz die bei einem Prairiejäger gewöhnliche und bot, außer der Büchse des Dicken, keinen Stoff für eine besondere Betrachtung. Diese aber sah einem im Walde abgebrochenen Prügel ähnlicher als einer Feuerwaffe. Das Holzzeug an ihr hatte durch Kerben, Sprünge und abgeschlagene Splitter seine ursprüngliche Gestalt verloren; Lauf, Schloß und Beschlag waren vom Roste zerfressen, und ein europäischer Schütze hätte wohl nur mit der größten Vorsicht einen Schuß aus ihr gewagt. Doch sah ich hier nicht das erste derartige Schießinstrument, mit dem ein Fremder absolut nichts anzufangen weiß, während der Besitzer aus dem alten verlaufenen Rohre sicher keinen andern als einen Meisterschuß thut.

„Stop, Sir,“ rief mich der Dicke an; „in welcher Absicht reitet Ihr hier in der alten Wiese spazieren?“

„Spazieren?“ wiederholte bekräftigend der Lange, indem er den Lauf seines Gewehres gerade auf meine Nase richtete.

„Thut Eure Gun’s (Flinten) beiseite, Mesch’schurs,“ antwortete ich. „Ich habe nicht die Absicht Euch aufzufressen!“

„Wollts Euch auch nicht gerathen haben, die two Sams anzubeißen, Sir! Würdet Nichts zu schmecken bekommen als ein paar runde Stücke Blei! Ihr seid doch jedenfalls nicht allein in der Savanne, schätze ich. Zu wem gehört Ihr?“

„Meine Gesellschaft liegt da vorn in einer „Bucht,“ fünf Meilen ungefähr von hier. Wir machen Fleisch, und ich bin ein wenig fortgeritten, um im richtigen Gang zu bleiben.“

„Das ist einen ganzen Kürbis (Trapperausdruck für viel oder sehr) unvorsichtig von Euch, Sir, schätze ich. Wißt Ihr nicht, daß es hier auf der alten Wiese Rothhäute gibt?“

„Rothhäute gibt?“ nickte bekräftigend der Lange.

„Haben seit mehreren Wochen keine Spur von irgend einem red-man zu sehen bekommen.“

„So könnt Ihr heut genug sehen, Sir. Die two Sams sind von Sieben verfolgt worden von den Big Horns herab, und ist wohl noch eine ganze Heerde Yankatous hinter ihnen her, schätze ich.“

„Ihr seid die beiden Reiter, deren Spur ich gesehen und verfolgt habe?“ frug ich erstaunt und besorgt zugleich, denn die Yankatous bilden den unversöhnlichsten und kriegerischsten Stamm der Sioux. „Wo habt Ihr denn Eure Thiere, und wie kommt Ihr zu Fuß auf Eure eigene Fährte zurück?“

Die Aeuglein des Kleinen blinzelten mit halb pfiffig, halb mitleidig entgegen.

„Sam Thick schätzt, Ihr seid ein Greenhorn (Neuling), Sir, da Ihr noch nicht wißt, was ein ächter rechter Westmann thut, wenn er sehen will, ob seine Spur verfolgt wird oder nicht! Er schlägt einen Bogen auf sie retour; ist sie frei geblieben, so liegts gut, findet er aber den Feind auf ihr, so weiß er nun doch, woran er ist und hat die Verfolger vor sich statt hinter sich. Seht Ihr das ein?“

„Danke für die Belehrung, Master; war nicht gerade nothwendig! Konnte mir nur nicht sagen, warum Ihr abgestiegen seid und Eure Thiere nun den Rothen schenkt.“

„Schenken? Zounds, seid Ihr verrückt, Sir?“

„Verrückt, Sir?“ schnarrte auch der Andere.

„Nun, Mesch’schurs?“

„Wären die „two Sams“ den Bogen geritten, so hätten sie die Yankatou sicher hinter sich behalten; sie haben aber ihre Pferde angehobbelt (an den Vorderbeinen gefesselt) stehen lassen, damit die dummen Indsmen denken, sie machen Lager und sind nur in den Wald gegangen, um Aeste für das Feuer zu holen.“

„Feuer zu holen,“ bestätigte das lange Echo.

„Ah!“ dehnte ich überrascht. „Ists weit von hier?“

„Blos einige Stecken (Trapperausdruck für nicht weit), schätze ich. Wie viel Mann zählt Eure Gesellschaft, Sir?“

„Zwölf.“

„Nur Weiße?“

„Ja. Könnt Ihr unsere Büchsen brauchen, Master?“

„Jetzt nicht, bei den Sieben; es ist zu spät. Aber Euch können wir gebrauchen. Wollt Ihr mit, oder fürchtet Ihr Euch?“

„Sehe ich so furchtsam aus?“

„Hm, Euer Pferd ist gut, sehr gut,“ meinte er mit bewunderndem Blicke auf Swallow, „aber der Mann, der Mann könnte besser sein, schätze ich. Ihr sitzt mir zu parademäßig im Sattel, Euer Rock hat weder Flick noch Flock, Euer Gürtel und was daran hängt, glänzt von Metall und Lack, und Eure Fowling-piece (Vogelflinte) ist so blank geputzt, als käme sie soeben erst aus dem Store. Seid doch wohl ein Greenhorn, Sir?“

„Greenhorn, Sir?“ ließ sich auch der Andere vernehmen.

Ich wußte, welches Vorurtheil der richtige Woodsmann gegen eine gut gehaltene Ausrüstung hat, und lächelte.

„Habt keine Sorge, Master Sam! Habt Ihr von einem gewissen Jake Hawkins in St. Louis gehört?“

„Sollte meinen! Er ist ja der beste Büchsenmacher in den Staaten!“

„Nun, von ihm ist diese Büchse, dieser Henrystutzen, der fünfundzwanzig Kugeln bei nur einmal Laden schießt, und diese beiden Revolver hat er auch gemacht. Und der Mann, der sie trägt, ist zwar kein Kentucky-Shooter, aber ein Deutscher, der heut nicht seinen ersten Schuß thun würde.“

„Behold, Sir, das läßt sich hören, schätze ich! Die Waffen sind gut, und Sam Thick hat schon gar manchen Mann aus Germany da drüben kennen gelernt, der den Grizzly in das Auge zu treffen wußte. Kommt mit; aber steigt vom Pferde, denn die Indsmen haben verteufelt gute Augen, und ein Mann hoch zu Roß ist leichter zu sehen als einer, der nur auf den Sohlen reitet!“

Ich stieg ab, nahm Swallow am Zügel und frug im Vorwärtsschreiten:

„Nun sagt auch Ihr wer Ihr seid, Master! Ich habe auch Auskunft über mich gegeben und muß natürlich wissen, wem ich meine Kugel leihen werde.“

„Wer wir sind, Sir? Hm, das wäre eine verteufelt lange Geschichte; aber ich heiße Sam, und Der hier heißt Sam, und darum werden wir von den Unsrigen nur die „two Sams“ genannt. Wir gehören zur Gesellschaft der „Both Shatters“ und haben da oben am Wasser unser Hide-spot (Versteck.)“

Ich blieb überrascht stehen und sah die beiden Männer staunend an. Die „Both Shatters,“ Vater und Sohn, waren die berühmtesten Jäger zwischen den Seen und dem mexikanischen Busen, Niemand kannte ihren eigentlichen Namen, Niemand wußte woher sie stammten, aber Jeder wußte irgend ein außerordentliches Abenteuer von ihnen zu erzählen. Sie waren die furchtbarsten Feinde der Indianer, und obgleich kein Fremder ihren Lagerplatz betreten hatte, sagte man sich doch, daß dort mehr Nuggets (größere Waschgoldstücke) und Indianerskalps zu finden seien, als man auf einen Ochsenkarren laden könne.

„Zu den „Both Shatters“? Ists wahr, Master?“

„Natürlich, Sir! Und wenn Ihr einmal mit ihnen zusammenkommt, so werden sie Euch gern von Sam Thick und Sam Thin erzählen, die immer beisammen sind und schon manchem rothen Schuft das Fell vom Kopf gezogen haben. Nicht wahr, Sam Thin, altes Coon?“

Coon ist Abkürzung von Raccoon, der Waschbär, und wird von den Jägern unter den verschiedensten Bedeutungen als Anrede gebraucht.

Sam Thin grunste zustimmend; Sam Thick aber hatte den Weg wieder aufgenommen, und so schritten wir, die Spur verfolgend, rüstig vorwärts.

Nach einiger Zeit sahen wir eine Waldzunge sich lang und

83953.

schmal in die Prairie hinausschieben. Die beiden Trapper wurden vorsichtiger. Sie verließen die Fährte, welche sich um die Zunge herumzog und eilten, zwischen den Vorbüschen so viel wie möglich Deckung suchend, rasch und in gerader Richtung auf die hochstämmigen Robinien und Weymouthskiefern zu. Als wir sie erreicht hatten, blieb Sam Thick halten.

„Heigh-day, Sir, das Schlimmste ist vorüber, schätze ich! Die Rothen konnten uns durchschaut und hier erwartet haben, wo sie vor unsern Kugeln sicher waren und uns ebenso sicher ausgelöscht (Trapperausdruck für getödtet) hätten. Aber die Hallunken sind wahrhaftig dümmer als ein Dickkopf von Coloured Gentleman (Neger) und werden nun untergehen (sterben) und ihre Felle geben müssen!“

„Geben müssen!“ bestätigte Sam Thin, indem er seinem Gefährten folgte, der sich vorsichtig bis an den gegenseitigen Rand der Zunge schlich. Draußen lag eine der schon erwähnten Buchten. Sie wurde ihrer Länge nach von einem Bache in zwei Hälften getheilt, dessen beide Ufer mit dichtem Weichholz bestanden waren; er kam aus der obersten Ecke der Bucht und verschwand, einen Winkel beschreibend, hinter der gegenüberliegenden Waldesecke. Ein Blick genügte mir, um zu sehen, daß die List der beiden schlauen Trapper vollständig gelungen sei.

Sie waren vorhin über den Bach gegangen, hatten hinter demselben ihre Thiere angehobbelt und dann den jenseitigen Theil des Waldes aufgesucht, um von da aus nach rückwärts ihren Bogen auf die Fährte zu schlagen. Unterdessen waren die Yankatous angekommen, hatten die beiden Pferde bemerkt und sich sofort wieder hinter das Wasser zurückgezogen, um die Rückkehr der Weißen zu erwarten, die dann verloren gewesen wären. Zuvor hatten sie, um sich von ihrer Sicherheit zu überzeugen, unsern jetzigen Standort untersucht, wie die deutlichen Spuren, welche wir bemerkten, bezeugten, und lagen jetzt keine zweihundert Schritte weit und ohne alle Deckung vor uns hinter den Büschen am Bache. Ihre Pferde hielten angepflockt in ihrer Nähe. Es war ein Glück, daß die Luft uns entgegenkam, sonst hätten uns die Thiere längst gewittert und verrathen gehabt.

„Sam Thin, altes Coon, siehst Du die Kupfermänner? Schau dort durch die Lücke, wenn Du Sehnsucht nach unseren Pferden hast! Sie haben sie nicht angerührt. Jetzt, Sir, die Büchse auf. Ihr nehmt den Ersten dort, ich den Zweiten und Sam Thin den Dritten, dann das Beil heraus und drauf! Ihr habt doch einen Tomahawk da unter dem Rocke?“

„Habe einen und zwei Schüsse in der Büchse; ich nehme also den Ersten und Vierten!“

„Gut, Sir! Ich schätze, daß sie verteufelt überrascht sein werden, wenn wir aus einer ganz anderen Richtung blasen als sie denken!“

Vier Schüsse krachten, und vier Indianer überschlugen sich, die drei Anderen fuhren empor, erblickten uns und sprangen zu den Pferden. Dem Ersten gelang es, das seinige zu erreichen; er riß den Pflock aus der Erde, schwang sich auf und sprengte davon. Ich warf mich auf den Nächsten, der auch schon im Begriffe stand, auf eines der Thiere zu springen. Er riß den Tomahawk vom Gürtel und holte zum Schlage aus, sank aber augenblicklich zur Erde nieder. Mein Messer war ihm bis an den Griff in die Brust gedrungen. Mich umblickend, bemerkte ich die beiden Jäger, welche auf dem Letzten lagen, der sich verzweifelt gegen sie wehrte. Hier war meine Hilfe jedenfalls nicht nöthig; aber der Entflohene durfte nicht entkommen.

„Swallow!“

Das brave Thier war unter den Bäumen halten geblieben. Auf meinen Ruf kam es augenblicklich herbeigetrabt. Ich saß auf und ritt um die Waldeszunge herum, wo ich den Indianer schon in ziemlicher Entfernung dahingaloppiren sah. Er legte denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Come on, Swallow!“

Das Wort genügte, um den Mustang in schnellsten Lauf zu versetzen; ventre à terre flog er vorwärts, so daß sich schon in den ersten Augenblicken zeigte, daß er dem Pferde des Wilden weit überlegen war. Von Sekunde zu Sekunde wurde die Entfernung zwischen uns Beiden geringer, bis ich ihm auf kaum zwanzig Pferdelängen nahe gekommen war. Er hatte mich erblickt und trieb sein Thier zur äußersten Eile an.

„Stop, Swallow!“

Der Mustang stand und vermied auch die leiseste Bewegung, denn ich zog den Stutzen aus der Sattelschleife und er wußte nun, daß ich schießen wolle. Der Schuß krachte, und der Indianer fiel vom Pferde. Während das Letztere reiterlos davonjagte, ritt ich zu dem Getroffenen heran. Die Kugel war ihm in den Hinterkopf

gedrungen; er war todt. Ich stieg ab und nahm ihm Messer, Beil und Munitionsbeutel als Siegeszeichen. Sein Gewehr hatte er in der „Bucht“ vor Schreck liegen lassen.

Als ich wieder im Sattel Platz nahm und unwillkürlich nach dem entkommenen Pferde ausschaute, erblickte ich in der Richtung der Fährte, aber noch in weiter Ferne, einen dunklen Haufen sich auf mich zu bewegender Gestalten. Ich nahm das Rohr vom Gürtel, schob es auf und beobachtete die verdächtige Erscheinung. Es waren Indianer, die unsern Spuren folgten, jedenfalls wohl die Yankatou, von denen Sam Thick gesprochen hatte. Ich wandte um und sprengte im Karriere zur Bucht zurück. Dort fand ich die „two Sams“ beschäftigt, den sechs Todten die Skalpe zu nehmen.

„Habt Ihr ihn, Sir?“ frug Sam der Dicke.

„Ja, hier sind seine Waffen.“

Die Antwort kam mir nur stockend zwischen den Lippen hervor, so war ich über das Aussehen des Mannes erschrocken. Während des Ringens mit dem Wilden hatte er nämlich Mütze und Perrücke verloren, und ich sah nun einen haarlosen Schädel, dessen nachgewachsene Haut in den fürchterlichsten Farben spielte. Sam Thick war skalpirt worden.

„Bihold, Sir, seht Euch wohl meinen Schädel an, schätze ich? Bin einmal den Yankatous in die Hände gerathen und um meinen Pelz gekommen, ließen mich dann für todt liegen, die Schufte. Sam Thin, das alte Coon, aber hat mich gefunden und mitgenommen. Mußte verteufelt viel ausstehen, ehe ich wieder zu Verstande kam, und bin dann hinuntergeritten nach Cheyenne zum Hairdresser, um mir dies Rattenfell zu kaufen, das Sie Perrücke nennen. Kostet mich damals vier volle Bündel Dickschwanzpelze (Biberhäute), ist aber bezahlt worden, hundertfach bezahlt, denn ich habe geschworen, daß die rothen Scoundrels für jedes zehnte Haar einen Skalp geben sollen. Habe auch schon einen ganzen Haufen beisammen, da droben im Hide-spot, und wird wohl noch größer werden, schätze ich. Hier nehmt Eure drei Skalps, Sir!“

„Danke, Mann! Bin noch nicht skalpirt worden und mag also das Zeug nicht haben, denn — —“

„Nicht?“ unterbrach er mich erstaunt. „Ihr habt be wiesen, daß Ihr kein Greenhorn seid — —“

„Kein Greenhorn seid,“ schalt auch der Dünne mit anerkennendem Kopfnicken ein.

„Und wollt die rothen Felle nicht?“

„Bin darüber anderer Meinung als Ihr! Uebrigens macht, daß wir von hier fortkommen! Es ist eine ganze Truppe Indianer hinter uns, die in zehn Minuten in der „Bucht“ sein kann.“

„Indsmen?“

(Schluß folgt.)
85054.

Die Both Shatters.

Ein Abenteuer aus dem „wilden Westen“ von Karl Hohenthal.

(Schluß.)

Der kleine Mann sprang mit einer Behendigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte, bis an die Spitze der Waldeszunge vor und blickte in die Prairie hinaus. Im Nu war er wieder zurück, schob drei der erbeuteten Skalpe unter den Gürtel, riß seine Waffen von der Erde empor und sprang über den Bach.

„Have care, Sam Thin, altes Coon, nimm die drei andern Felle und mach Dich davon. Die Yankatou’s kommen Dir sonst zwischen die ewigen Beine.“

Auch ich nahm meine Büchse auf, die ich vorhin weggeworfen hatte, und folgte den Beiden. Als ich die Büsche jenseits des Baches durchbrach, saßen sie schon im Sattel. Wir waren zum Widerstande viel zu schwach, denn ich schätzte die Zahl der Feinde auf gegen hundert, und durften uns unmöglich auf der offenen Prairie sehen lassen. So schnell wie möglich ging es an dem vielfach ausgebuchteten Waldesrande dahin, indem wir bald quer über die offenen Stellen jagten und bald zwischen den Büschen, Sträuchern und Bäumen hindurch die schmalen Waldesspitzen durchschnitten. Die Pferde der „two Sams“ erwiesen sich als vortrefflich, obgleich Swallow seine ganze Schnelligkeit nicht entwickeln durfte wenn ich ihnen nicht vorankommen wollte, und so ging der rasche Ritt eine ziemliche Weile lang, bis wir einen zweiten Wasserlauf erreichten, an welchem Sam Thick sein Thier parirte.

„Wollt Ihr noch zu den Euren, Sir?“

„Versteht sich, Master Sam! Ich habe nur wenig über zwei Meilen noch zu ihnen und darf sie nicht in Sorge über mich lassen. Ihr macht doch mit?“

„Nein. Wir sind hier auf dem Wege zu den „both Shatters“ und in einer Viertelstunde in Sicherheit. Reitet Ihr weiter, so bringt Ihr Euch und Eure Gesellschaft in Gefahr, schätze ich. Unsere Spuren verschwinden hier, die Eurigen aber bleiben und werden von den Indsmen entdeckt. Kommt mit! Es ist uns zwar verboten, Fremde nach dem Hide-spot zu bringen, Ihr aber habt eine Ausnahme verdient. Entscheidet rasch, Sir!“

„Rasch, Sir!“ bat auch Sam der Dünne.

„So gehe ich mit Euch!“

Dieser Entschluß war etwas rasch gefaßt, doch ließ er sich entschuldigen. Sollte ich die prächtige Gelegenheit, die „both Shatters“ kennen zu lernen, ungenützt vorübergehen lassen? Ich brachte wirklich die Meinen in Gefahr, wenn ich durch meine Spur die Wilden zu ihnen führte, und wenn, was mit Hilfe des Baches allerdings recht gut möglich war, unsere Spuren wirklich hier verschwanden, so ließ sich vom Hide-spot aus doch vielleicht ein Weg finden, auf welchem ich ohne Bedrohung ihrer Sicherheit zu ihnen gelangen konnte.

Wir lenkten unsere Pferde in das Wasser, um den Lauf desselben aufwärts zu verfolgen. Mich noch einmal umschauend, sah ich einige Zweige am Buschrande, durch den wir gekommen waren, sich bewegen und glaubte das dunkle Gesicht eines Wilden zwischen ihnen zu erblicken.

„Master Sam, schlagt einen andern Weg ein und verrathet Euern Hide-spot nicht, die Indsmen sind schon da!“

„Egad, Sir? Das ist nicht möglich, denn unser Vorsprung war zu groß. Folgt schnell, Ihr habt Euch getäuscht!“

Ich ritt hinter ihnen her, machte mich aber schußfertig und blickte fleißig zurück. Da sich jedoch nicht das geringste Verdächtige bemerken ließ, so beruhigte ich mich in dem Gedanken, daß mir nur meine aufgeregte Phantasie jenes Gesicht vorgemalt ha­be. —

II.

Das Bett des Baches war hart und felsig, so daß nicht der mindeste Eindruck eines Pferdehufes zurückblieb. Der Wald wurde dichter und immer dichter, trat vollständig bis an das Wasser heran und war so mit Unterholz bestanden, daß sich kein offenes Plätzchen finden ließ, an welchem wir hätten landen können. So ritten wir wohl eine Viertelstunde lang gegen den Wellenlauf, bis die ringsum herrschende Stille plötzlich unterbrochen wurde:

Who is there?“ rief uns eine Stimme an, ohne daß ich den Frager bemerken konnte.

„The two Sams, altes Coon!“ antwortete Sam Thick, indem

85154.

er mit dem Laufe seiner Büchse in das Buschwerk stach. „Mach’ auf, Jim Polter!“

Das, wie ich jetzt bemerkte, nur zum Maskiren des Einganges vorgesteckte Gesträuch verschwand von einer Stelle zur Rechten, und wir ließen unsere Pferde an das Ufer steigen.

Welcome, Sam, welcome! Zurück aus dem Cannon, Alle oder nur Ihr? Was, ein Fremder!“

„Wirsts nachher hören, Jim, nachher; aber mach’ das Loch zu; es sind Yankatous unten in der „Bucht;“ wollen uns ihre Felle bringen, wie ich schätze!“

Sofort brachte der Mann die Büsche wieder in ihre vorige Lage zurück; wir aber ritten weiter. Vor uns lag eine jener kleinen Lichtungen, welche man mit dem Namen storm-gap zu bezeichnen pflegt, und die dadurch entstehen, daß eine vom Winde gefaßte Riesenbauminsel ihre weniger hohe Umgebung mit niederreißt und so mitten im Urwalde einen Platz bildet, der mit Hilfe von Axt und Feuer in eines jener hiding-holes oder hide-spots umgewandelt werden kann, welche von den Jägern so gern als perennirender Lagerort und Versteck vor den Nachspürungen der Indianer benutzt werden.

Inmitten des freien Platzes brannte ein „weißes“ Feuer, um welches sich mehrere ächte Woodlandsgestalten in den bequemsten Stellungen versammelt hatten. Der Saum der Lichtung war vollständig undurchdringlich gemacht, und als mein Auge ihn rundum musterte, gewahrte ich im äußersten Hintergrunde eine kleine Blockhütte, unter deren Thür zwei Männer standen, die ihr Auge auf uns gerichtet hielten.

„Die Both Shatters, Sir,“ meinte Sam Thick, nach ihnen deutend. „Kommt, wir müssen zunächst zum Rapport zu ihnen!“

„Rapport zu ihnen!“ wiederholte der Lange, welcher seine Zusammengehörigkeit mit dem Dicken am Besten auf diese Weise in das Licht zu stellen glaubte.

Die beiden Männer kamen uns auf einige Schritte entgegen. Mochte die Fama auch übertreiben, so wie sie jetzt vor mir standen, war ihnen mehr als hundert Andern zuzutrauen.

Der Vater war eine wirklich hünenhafte Gestalt. Langes weißes Haar wallte ihm bis auf die breiten Schultern herab; der Strahl seiner großen blauen Augen war noch vom Alter nicht ermattet; Sturm und Wetter, Schnee und Regen, Hitze und Kälte hatten seine festen Züge gegerbt, und jeder Zollbreit seiner riesigen Figur zeugte von einer Kraft, die weder Zeit noch Anstrengung zu schwächen vermocht hatte.

Der Sohn war beinahe so hoch, jedenfalls aber ebenso reckenhaft wie er. Er trug sein dichtes schwarzes Haar lang gehalten und in einen Knoten geschlungen wie das der Indianer; sein volles, dabei aber scharfes Gesicht war von der Sonne, vielleicht auch von der Abstammung gebräunt, denn seine ausgewirkten Züge verriethen den Mestizen; das eng anliegende Elennwamms ließ seinen breiten Brustbau hervortreten, anstatt ihn zu verbergen, und jede seiner Bewegungen war plötzlich, gewandt und kräftig, wie diejenige des Jaguar, der den Feind vor sich sieht.

Der Beginn des Gespäches war ein ganz anderer, als ich erwartet hatte. Der Blick des älteren der „Both Shatters“ war von mir auf meinen Mustang gefallen.

„Swallow?“ rief er erstaunt; „wahrhaftig, es ist Swallow! Wie kommt Ihr zu dem Thiere, Sir?“ Seine Augen leuchteten mich an, als wolle er mich mit dem Verdachte, der in ihm aufstieg, versenken.

„Ich erhielt ihn von Winnetou, einem Häuptling der Apachen, mit dem ich ein Weniges am Rio Suanca zusammenkam.“

„Sein bestes Pferd hätte er Euch gegeben? Dann müßt Ihr ihm einen hochwichtigen Dienst geleistet haben!“

„Er war von einem Stämmlein Athabaskas überfallen und sollte an den Marterpfahl. Ich kam dazu und — na, das Andere könnt Ihr Euch denken! Ich bin dann mit ihm weit herumgestrichen, habe an ihm einen vortrefflichen Lehrmeister gehabt und beim Abschiede Swallow von ihm erhalten.“

„Ich kenne Euch nicht, Sir, und was Ihr erzählt kann ausgesonnen sein. Winnetou hat nicht einmal mir das Pferd angeboten; verkauft aber hätte er es um keinen Preis, denn das Thier findet seinesgleichen nicht, so weit die Savanne reicht, und wer auf ihm vor Josias Shatter erscheint, gilt als der Mörder des Apachen. Könnt Ihr Euch von diesem Verdachte reinigen?“

Ich trat um einen Schritt zurück und fuhr mit der Hand nach dem Messer.

„Sir, sagt dies Wort noch ein einziges Mal, und Ihr sollt Gelegenheit haben, die Schärfe meiner Klinge mit der Eures Bowiekneifes zu vergleichen! Wie soll ich hier am Yellow Stone den

Beweis liefern, daß mir Swallow vor einem Jahre am Rio Suanca geschenkt wurde?“

Sein Auge schien mir bis in die Seele dringen zu wollen.

„Es gibt einen Beweis. Hat Euch Winnetou lieb gehabt, so sind seine schweigsamen Lippen offen für Euch gewesen. Kennt Ihr seinen größten Feind?“

„Ihr meint Scha-tunga, den Häupling der Yankatou, der ihm die Schwester mordete, weil sie nicht sein Weib, sondern das eines weißen Jägers wurde?“

„Und wer war dieser weiße Jäger?“

„Josias Parker, ein Kentuckymann.“

Er streckte mir die Hand entgegen.

„Ihr habt die Probe bestanden; welcome, Sir! Aber wie kommt Ihr zu meinen „two Sams?““

„Laßt Euch das nachher erzählen, Cornel (statt Colonel, Oberst),“ fiel Sam Thick hier. „Ich schätze, daß ich Euch vorher Nothwendigeres zu berichten habe. Die Yankatous sind an den Big Horns über uns hergefallen, so daß nur ich entkommen bin und Sam Thin, das alte Coon; doch haben sie unsere Spur aufgenommen und sind hinter uns her bis unten in die „Bucht,“ wo sie auf unsere Kugeln warten.“

„Kugeln warten,“ nickte sein langer Kamerad.

’sdeath, ists möglich, Sam? Und Ihr habt Euch wirklich überrumpeln und abschlachten — — aber das sollst Du mir dann erzählen; jetzt vor allen Dingen unsere Sicherheit!“

Er hielt die Hand an den Mund und ließ den heulenden Ruf des Prairiehuhnes vernehmen. In nur wenigen Augenblicken standen neun wetterfeste Männer bei uns.

„Hört, Boys, die Yankatous sind in der „Bucht.“ Ein Jeder weiß, was er für diesen Fall zu thun hat. Sie haben unsere Leute droben im Cannon erschlagen; das Uebrige mögen Euch die Sams erzählen. Bill Hawkens, schnall den Gürtel fest und schleich Dich nach der Bucht; ich muß wissen, wie es dort steht. Die Wache am Thor wird verdoppelt und das „weiße“ Feuer „roth“ gemacht. Ihr aber, Sir, kommt herein und macht es Euch bequem nach Möglichkeit. Ihr werdet der Ruhe und noch manches Anderen bedürfen!“

Während die Anderen im Freien blieben, trat ich mit ihm in das Innere der Hütte. Es bestand aus nur einem einzigen Raum, dessen vier Wände eine seltsame und Schauder erregende Tapete besaßen; sie waren rundum von oben bis unten mit Indianerskalps behangen.

„Setzt Euch hier an den Tisch und langt ganz nach Belieben zu, Sir! Ich habe mit den „two Sams“ zu sprechen und bin nachher gleich wieder bei Euch!“

Er trat hinaus. Ich musterte den Raum. Ueber den langen Haaren der Kopfhäute war ein ganzes Arsenal von in der Prairie gebräuchlichen Waffen befestigt. Ich begann die Skalpe zu zählen: zehn — zwanzig — fünfundzwanzig — dreißig — — — ich hörte auf zu zählen und wandte mich ab. Ich sah hier ein schlagendes Beispiel von der wilden Energie, mit welcher gegen eine dem Untergange geweihte und in den letzten Todeszuckungen liegende Menschenrasse der vernichtende Stoß geführt wird. Ich konnte vor Grauen nicht essen, trotz des Hungers, den ich gefühlt hatte.

Nach einiger Zeit trat Josias Shatters wieder ein.

„Die „two Sams“ haben mir Alles erzählt, was vorgefallen ist. Ich danke Euch, Sir, für den Beistand, den Ihr ihnen geleistet habt! Man sieht es ihnen kaum an, daß sie meine besten Jäger sind.“

Er nahm auf einem Beete [Bette] in meiner Nähe Platz.

„Ihr habt nicht gegessen?“

„Ich konnte nicht,“ antwortete ich mit einem unwillkürlichen Blick auf die Tapete.

„Pah! Wer nach dem Westen geht, muß vor allen Dingen das Gefühl in den Mississippi werfen. Ich bin Josias Parker, der Kentuckymann, von dem Ihr vorhin spracht. Ich will Euch keine lange Geschichte erzählen, wie sie hier ja Jeder an sich selbst erleben kann, aber Scha-tunga hat mir den Bruder lebendig am Pfahl gebraten, mein Weib und zwei Kinder geraubt, skalpirt und den Coyoten vorgeworfen, mich selbst gehetzt und verfolgt bis auf den heutigen Tag, und dafür habe ich ihm und seinem Stamme Vernichtung und den Tod geschworen. Die Yankatous waren stark und mächtig; geht jetzt und fragt, wie viel Köpfe sie noch zählen! Die „Both Shatters“ haben Wort gehalten. Heut wagt er sich an mein storm-gap, aber er und seine rothen Mörder, sie werden hier Nichts finden als den Tod. Seht her!“

Er trat an die hintere Wand und öffnete eine Thür; sie führte hinaus in den dichtverschlungenen Urwald. Er trat hinaus und zog an einer Büffelhautschnur: der vordere Eingang fiel in die

85254.

starken Riegel. Dann nahm er eine Lunte vom Nagel und drehte sie in ein kleines im Boden der Hütte befindliches Loch.

„Begreift Ihr das, Sir?“

Ich nickte nur. Die Vorrichtung war angebracht, um den Feind in die Blockhütte zu locken, darin einzuschließen und, während der Besitzer nach hinten entkam, in die Luft zu sprengen. Die dack [dark] and bloody grounds sind kein Boden für die Blume des Erbarmens.

„Droben in den Big Horns liegt Gold in Massen; ich entdeckte da ein Cannon mit Nuggets so groß wie Taubeneier. Die Hälfte meiner Mannschaft war dort stets thätig, den Reichthum auszubeuten, damit wir nach Scha-tungas Tod das Nöthige haben, um im Osten leben zu können. Ich bin reich; das Gold liegt hier im Hide-spot vergraben. Er hat die Leute jetzt entdeckt, überfallen, gemordet und den beiden glücklich Entkomme­nen — — —“

Draußen erscholl der Schrei des Prairiehuhnes und gleich darauf ein Schuß. Er sprang auf, trat zur Thür und öffnete sie durch eine mir unsichtbare Vorrichtung. Mehrere Schüsse krachten. Auch ich eilte an den Eingang und kam gerade zur rechten Zeit, um die Wilden in hellen Haufen vom Bache aus auf die Lichtung dringen zu sehen. Das Gesicht, welches ich gesehen hatte, war also doch ein wirkliches gewesen. Man war uns vorsichtig gefolgt und hatte dabei den heimlichen Eingang entdeckt. Der arme Bill Hawkens war jedenfalls unterwegs abgefaßt und „ausgelöscht“ worden.

„Heigh-ho, das kommt zu schnell!“ rief der überraschte Trapper und riß das Punk-Feuerzeug vom Brette. Im Nu glimmte die Lunte am Boden. Dann stieß er die hintere Thür auf „Schnell, Sir, helft mir die Waffen retten!“ Während draußen auf der Blöße die Jäger hinter wirr durcheinander liegenden Stämmen Deckung suchten und den Feind mit wohlgezielten Salven im Zaume hielten, griffen wir in höchster Eile die Waffen von den Wänden herab und trugen sie hinaus in den Wald unter ein dort angebrachtes Roof (Schutzdach).

Die eingetretene kurze Dämmerung ging schnell in den dunklen Abend über. Das Feuer, welches erst nach Gewohnheit der Weißen von großen Scheiten genährt und darum „weißes“ Feuer genannt, hochauf gelodert hatte, war jetzt niedergesunken, weil man es nach Art der Rothhäute geschürt hatte, welche die Aeste stets nach und nach in den Brand schieben, um sich durch Rauch und Flamme nicht zu verrathen. Die Wilden konnten daher die versteckten Weißen nicht erkennen, und empfingen deren Kugeln, ohne selbst einen sichern Schuß zu haben. Da klang die tiefe Stimme ihres Häuptlings über die Lichtung, und auf seinen Befehl rissen sie die Tomahawks heraus und stürzten sich auf die Stämme, hinter denen die Trapper lagen.

„Away, Boys, herbei zu mir!“ rief da Josias Shatter. Die Jäger sprangen auf und eilten herbei, auf den Fersen gefolgt von den Indianern, welche hinter ihnen in das Blockhaus drangen.

„Fort, fort, hinaus in den Wald!“ gebot Josias, indem er mit mächtigen Beilhieben die Rothen abhielt, den Seinen zu folgen.

Ich sah jetzt zum ersten Male, weshalb er „Shatter,“ der Zertrümmerer, genannt wurde. Er schlug nicht mit der Schneide, sondern mit dem Kopfe seiner fürchterlichen Waffe, und jeder Hieb zerschmetterte den Schädel des Getroffenen unfehlbar in knirschende Stücke. Die Weißen eilten alle an ihm vorüber und durch die hintere Thür; sein Sohn folgte und ich diesem; dann sprang auch er hinaus, schlug die Thür zu und schob zwei mächtige Riegel vor. Nachdem er einige Sekunden lang durch ein Loch in den Raum, welchen die Wilden mit betäubendem Wuthgeschrei erfüllten, zurückgeblickt hatte, zog er die Schnur und der vordere Eingang war geschlossen.

„Die Hütte ist voll; vorwärts, Boys, um das Hide-spot herum und in den Bach!“

Er stürmte voran und wir folgten. Wer seine Waffe abgeschossen hatte, nahm aus dem geborgenen Vorrathe eine oder mehrere frisch geladene auf. Ein schmaler Pfad war von Außen um den Saum der Lichtung ausgehauen. Seine Mündung wurde am Bache durch einige Büsche verdeckt. Wir drangen hindurch, stiegen in das Wasser und standen einige Augenblicke später an dem unbewachten Eingange zum storm-gap.

Da ertönte eine Detonation, welche die Erde unter uns erzittern machte; eine riesige Feuersäule stieg trichterförmig da auf, wo die Blockhütte gestanden hatte, und riß die Trümmer derselben mit sich in die Höhe. Sämmtliche Indianer hatten sich dort gesammelt, um ihre eingeschlossenen Gefährten zu befreien; die Explosion erfaßte auch die Meisten von ihnen, und kaum waren die Trümmer ringsum wieder auf der Erde aufgeschlagen, so rief Josias:

„Drauf auf die Uebrigen! Gebt erst Feuer und greift dann zu Messer und Beil!“

Die Salve wirkte furchtbar, und dann fielen die vor Schreck besinnungslosen Wilden fast widerstandslos unter den wuchtigen Streichen der Trapper.

„Schürt das Feuer wieder hoch, Boys; wir müssen sehen!“ befahl der Kolonel. Die langen grauen Haare wehten ihm mähnenartig um den Kopf; seine Augen sprühten vor Kampfeslust, und wen sein Beil erreichte, der war verloren. Der Sohn stand ihm zur Seite und zeigte sich seines Namens würdig; sein Tomahawk fand nicht weniger Opfer als der des Vaters.

„Ho — ho — hi!“ erklang da der aufmunternde Schlachtruf des feindlichen Anführers, den das Hinschlachten der Seinen ergrimmte. Er wollte sich auf Josias stürzen und mußte an mir vorüber. Ich faßte ihn an dem hoch aufgethürmten und mit Federn verzierten Haarschopfe, riß ihn zurück und holte zum Schlage aus.

„Halt, Sir; es ist Scha-tunga, der gehört mir!“ rief mir der Kolonel zu und umfaßte den Indianer mit beiden Armen. Es entstand ein fürchterliches Ringen. Die beiden Männer standen fest, als seien ihre Beine in die Erde gewurzelt; kein Hieb, kein Schlag fiel, kein Stich oder Stoß wurde geführt, aber ihre Muskeln arbeiteten mit unheimlicher Anspannung; wer den Halt verlor, war dem Andern verfallen. Da sprang Sam Thick herbei; wir andern Alle waren engagirt und hatten mit unseren eigenen Gegnern zu thun.

Cheer up, Kornel, haltet ihn fest. Er soll mir jetzt meine Perrücke bezahlen!“

Er warf den Tomahawk von sich, zog mit der Rechten das Bowiemesser, faßte Scha-tunga mit der Linken bei den Haaren, drei rasche blitzesschnelle Schnitte — ein kräftiger Ruck — er hielt die Kopfhaut des lebendig Skalpirten in der Hand. Dieser sank mit einem unartikulirten Schrei zur Erde.

Ein entsetzliches Geheul erscholl aus den Kehlen der Wilden. Sie sahen ihren Anführer gefallen, drangen mit Aufbietung aller Kraft auf uns ein, warfen, stießen, schlugen und drängten uns bei Seite und schnellten in weiten Sprüngen dem Eingange zu, um zu entkommen. Wir wandten uns zur Verfolgung.

Die wilde Jagd ging den Bach hinab. Er war so schmal, daß höchstens zwei Männer neben einander Platz fanden. Es gab keine Zeit für Vorsicht und Behutsamkeit. Wir schossen vorwärts so schnell wie ein Jeder vermochte. Wer stürzte, blieb im Wasser liegen, bis die Andern über ihn hinweggesprungen waren.

Da krachte weit vorn ein Schuß — noch einer — ein dritter. Was war das? Das Wuthgeheul der Indianer erhob sich von Neuem.

„Drauf, Boys, immer drauf! Ich weiß nicht, was es ist, aber sie müssen auf Widerstand gestoßen sein. Nehmt sie dazwischen!“

Wieder ging es vorwärts. Jetzt hatten wir sie erreicht. Vorn krachten noch immer die Schüsse, erst kräftig, aus Büchsen, dann stechend und fein, aus Revolvern; dann arbeitete nur der stille aber rastlose Stahl.

„Immer ruhig weiter, Jungens,“ hörte ich da eine tiefe Baßstimme vor uns; „sie sind auch im Rücken festgenommen. Wenn wir durch sind, werden wir ja sehen, auf wen es die Hallunken abgesehen hatten!“

Ich kannte diese Stimme. Sie gehörte dem alten Fallensteller, welchen meine Gesellschaft zum Anführer gewählt hatte.

„Will Rawley,“ rief ich ihm zu, „haltet fest und laßt ja Keinen durch!“

„Hallo, das ist ja unser Sir aus Germany, den wir suchen! Come on, Jungens, wir müssen zu ihm hin!“

Nach einigen Minuten stand er vor mir und schüttelte mir freudig die Hände.

„Alle Wetter, Sir, war das eine Angst und Sorge um Euch und dann eine Arbeit, erst unten in der „Bucht“ und dann auch jetzt hier oben! Wo habt Ihr denn gesteckt?“

„Wartet bis nachher, Master Rawley; jetzt gibts Anderes zu thun!“

Auch die übrigen Jagdgenossen traten herbei und gaben mir ihre Freude über unser Wiedersehen zu erkennen. Die Indianer waren vollständig besiegt und beinahe aufgerieben, da es nur Wenige fertig gebracht hatten, durch die dichten Buschränder zu entkommen. Wir überzeugten uns zunächst, daß die im Bache liegenden Wilden wirklich todt waren, und kehrten dann nach dem storm-gap zurück, um nach unsern Wunden zu sehen, denn einen so glücklichen Ausgang der Kampf auch für uns genommen hatte, es gab doch Keinen, der nicht mehr oder weniger verletzt gewesen wäre.

Das Feuer brannte „weiß“ und hoch und beleuchtete mit

85354.

flackerndem Lichte die Stätte des Ueberfalles und der Verwüstung. Josias begrüßte die neuen Gäste, die zu so passender Zeit gekommen waren, mit dankbarer Herzlichkeit. Die Sorge um mich hatte sie auf die Pferde und hinaus in die Prairie getrieben. Dort war ihnen das entflohene Pferd des von mir getödteten Indianers begegnet; sie hatten die Fährte desselben zurückverfolgt, waren auf die Spuren der Yankatous gestoßen und von ihnen bis an den Bach geführt worden, wo die Indsmen ihre Pferde unter Bedeckung zurückgelassen hatten. Eben war diese letztere von ihnen niedergestoßen worden, als sie die Explosion vernahmen und vom Schall und Flammenscheine den Weg nach dem Orte gezeigt bekamen, wo ihre Hilfe vielleicht zu gebrauchen war.

Auch ich erzählte, während mir der Kolonel selbst die kleine Wunde verband, welche ich von einem Messer am Arme empfangen hatte.

„Nun glaube ich es von ganzem Herzen, Sir, daß Ihr Winnetou zum Lehrmeister gehabt habt,“ meinte er, als ich geendet hatte. „Ich werde ihm von Euch erzählen, denn ich sehe ihn wieder. Meinen Schwur habe ich erfüllt und werde nun nach dem Osten ziehen. Zuvor aber will ich erst einmal über die Mountains steigen und dem Häuptling der Apachen berichten, daß der Mörder seiner Schwester gefallen ist.“

Da traten die „two Sams“ herbei, welche diese Worte gehört hatten.

„Nehmt mich mit, Kornel,“ bat der Dicke. „Ich muß Winnetou sehen und schenke Euch den Skalp Scha-tungas dafür!“

„Ich mag von keinem Skalp mehr wissen, Sam. Mein Eisen hat dem Mörder das schwarze Herz durchbohrt; seine Haut magst Du behalten. Doch wenn Du willst, so gehst Du mit!“

Thank you, Sir! Und Sam Thin, das alte Coon?“

„Soll auch mit, denn Ihr Beide gehört ja zusammen.“

Heigh-day, so ists richtig, Kolonel; Ihr werdets nicht bereuen; denn auf dem Wege da hinunter gibts noch verteufelt viel Rothhäute, und ich schätze, daß sogar die „Both Shatters“ da die Büchsen der „two Sams“ gebrauchen können!“

„Gebrauchen können!“ nickte Sam Thin bedächtig, indem er eine höchst zufriedene Miene machte, auch ferner bei seinem Kolonel bleiben zu kön­nen. —