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DieRose von Kaїrwan.

Fleuron ia

Erzählung aus drei Erdtheilen von Karl May.

Fleuron ib
Osnabrück.Verlag von Bernh. Wehberg.1894.
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Alle Rechte vorbehalten.

                   

Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.

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Inhalts-Verzeichniß.

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Erste Abtheilung:Seite

Ein Kaper. . . . . . . . . . . . .1

Zweite Abtheilung:

Der Pfahlmann. . . . . . . . . . . .122

Dritte Abtheilung:

Eine Befreiung. . . . . . . . . . . .242

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Erste Abtheilung.Ein Kaper.

I.

Es war am Maternustage des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: „Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen.“ Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, cumulirenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminirt wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echo’s zu vertausendfachen schienen.

Der prasselnde Regen goß in solcher Tüchtigkeit herab, daß ihm keine Kleidung länger als eine Minute zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein Einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, welche durch Wein- und Olivenpflanzungen -

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Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war leicht und sommerlich gearbeitet; vom Regen vollständig durchdrungen, legte es sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im Mindesten zu geniren. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguß hinein, und seine elastischen Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, welcher nicht die geringste Veranlassung, sich zu beeilen, hat.

Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Thüre desselben waren je zwei in einander gesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen: „Cabaret du roussillon.“

Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemüthlich vor dem Häuschen stehen, schob die Mütze in das Genick, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau.

„Cabaret du roussillon!“ Ob dieser Roussillon wohl ächt sein wird? Das Haus sieht nicht darnach aus. Nasser werde ich nicht, wenn ich weiter gehe, und ich weiß dann ganz genau, daß ich es mit reinem Gotteswasser zu thun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Weine soll man es nicht finden. Ich werde also weiter segeln und erst in Beausset vor Anker gehen.“

Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Thür sich öffnete und eine Person erschien, in welcher man sofort den Wirt erkannte.

„Eh, mon cher, wohin wollen Sie?“ erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. „Ist es vielleicht geradezu Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruche ertrinken zu wollen?“

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„Das weniger,“ antwortete der Wandersmann. „Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruche aus Ihren Fässern.“

„Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack, und ich bin nicht der Mann, welcher einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.“

„So will ich Ihrem Worte glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Hollah, ein neuer Mann an Bord!“

Diese letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel macht, und dann auf dem Stuhle Platz nahm, den ihm der Wirth herbeigezogen hatte.

In dem kleinen Raume sah es außerordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Convents erfüllt, und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirthe gehörte nur ein einziger Gast dem Civile an; dies war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes, welcher im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J. H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er mußte ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Muthe begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt. Es waren damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben, und man hatte von sämmtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereides verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Be-ginne

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Beginne unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die bisherige Zeitrechnung ab; am 10. November führte die Pariser Commune den Dienst der Vernunft ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalconvent, daß es keinen Gott mehr gebe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Convent, daß kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiß ein Beweis außerordentlichen Muthes, sich im Ordenskleide unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, welche sehr leicht verhängnißvoll werden konnte.

Ein bärtiger Sergent-major war der Erste, welcher den eingetretenen Fremden anredete:

„Holla, Bürger, woher des Weges?“

„Ein wenig von der Durance herunter.“

„Und wohin, he?“

„Nach Beausset hinein.“

„Was willst Du dort?“

„Einen Freund besuchen. Hast du vielleicht etwas dagegen?“

„Hm! Vielleicht, vielleicht auch nicht.“

„Aaah!“

Er stieß diesen Laut nur langsam und leise aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, einer ironischen Stimmung sprechender Luft zu machen. Er legte die Beine über einander, schlug die Arme über der Brust zusammen und blickte den Sergent-major mit ein paar Augen an, in denen Alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählen, aber diese hohe Stirn, diese breiten Schläfen, die dichten Brauen, der mächtige Blick, die scharfe

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Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloß gelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das Alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen.

„Was wunderst Du Dich da, Bürger?“ frug der Unteroffizier. „Glaubst Du, daß zum Hauptquartiere in Beausset ein Jeder Zutritt habe, dem es beliebt?“

„Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst Du vielleicht, Bürger Sergent-major, daß Du es bist, den man um die Erlaubniß zu fragen hat?“

„Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist Dein Name, Bürger?“

„Surcouf,“ antwortete der Gefragte mit einem etwas malitiösen Zug um seine Mundwinkel.

„Der Vorname?“

„Robert, Robert Surcouf.“

„Was bist Du?“

„Seemann.“

„Ah, drum tappst Du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den Du besuchen willst?“

„Der Bürger Grenadier Andoche Junot.“

„Andoche Junot,) der Advokat gewesen ist?“

„Ja, derselbe.“

„Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst Du ihn?“

„Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde.“

) Derselbe Junot, welcher später Herzog von Abrantes wurde.
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„Das stimmt! Du bist legitimirt, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Compagnie; ich werde Dich zu ihm bringen. Vorher aber magst Du mit uns trinken.“

„Was habt Ihr für Sorten?“

„Nur eine: Roussillon; aber ist stark und lieblich zugleich. Probire ihn!“

Der Wirth brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränkes, und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich dies lachend gefallen; er gab zu, daß man das Glas immer von Neuem füllen ließ und wieder austrank, und als der Wirth wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nöthig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich großer Jubel; der Wirth mußte von Neuem füllen, und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergent-major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf:

„Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas, und trinke auf das Wohl des Convents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!“

Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme:

„Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Weine ist Wahrheit, und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des heiligen Vaters in Rom, den die Heerscharen des Himmels beschützen werden!“

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Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergent-major schmetterte es ihm aus der Hand, so daß es am Boden in Stücke zerschellte.

„Was fällt Dir ein, Bürger Confrère!“ rief der Unteroffizier. „Weißt Du nicht, daß in unserm schönen Frankreich der alte saint-père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man auch Euch selbst hinaus mit Allem, was Ihr uns weis gemacht habt! Ich befehle Dir, Deinen Toast zu widerrufen!“

Da drängte sich ein Anderer, ein Tambour-major, hinzu:

„Halte-là, Alter! Warum zerschlägst Du ihm das Glas? Bürger Wirth, gieb ein neues, volles her! Dieser da gehört ganz sicherlich zu denen, welche sich weigern, den Bürgereid zu leisten. Wir werden ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er sie nicht besteht!“

Der Wirth brachte das Verlangte; der Tambour-major drückte dem Priester das gefüllte Glas in die Hand und befahl ihm:

„Jetzt trinke mir zu, Bürger, und rufe laut: „Es lebe die Republik; nieder mit dem Papste!““

Der Bedrängte zeigte nicht die mindeste Angst. Sein Angesicht war bleich, aber seine Augen blitzten, als er, das Glas erhebend, rief:

„Es lebe der heilige Vater; nieder mit den Feinden Frankreich’s und den seinen!“

Da erhob sich unter der rohen Horde ein wüstes Geschrei; zwanzig Hände streckten sich aus, den muthigen Bekenner seines Glaubens zu ergreifen, um ihn zu mißhandeln, aber man kam nicht dazu: der Fremde hatte sich herbeigedrängt. Niemand konnte sagen, wie es kam, aber

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er stand plötzlich vor dem Priester, den er mit seinem Leibe deckte, und rief mit lächelnder Miene:

„Bürger, wollt Ihr mir einen Gefallen thun?“

„Welchen?“

„Seid so gut und ringt erst mir das Wasser aus der Jacke, ehe Ihr Euch an diesem Gottesmann vergreift!“

Sie begriffen wirklich seine Absicht nicht sogleich; sie wurden irre an dem Lachen seines Auges und an der Freundlichkeit seines Tones; aber in diesem Auge und in diesem Tone lag Etwas, was sie stutzen machte.

„Deine Jacke?“ frug der Sergent-major. „Was haben wir mit dieser zu thun? Gehe auf die Seite, Bürger Surcouf; wir wollen diesem Heuchler eine Litanei einpauken, die er nicht vergessen soll!“

„So erlaubt wenigstens, daß ich erst einen Schluck mit ihm trinke!“

Er nahm dem Priester das Glas aus der Hand und fragte ihn:

„Wie ist Dein Name, frommer Vater?“

„Ich werde Bruder Martin genannt,“ antwortete der Gefragte.

„Eh bien, Bruder Martin, so erlaube, daß ich mit Dir trinke auf Dein Wohl, auf das Wohl aller muthigen Männer, welche sich nicht fürchten, die Wahrheit zu bekennen, auf das Wohl meiner schönen Bretagne, wo ich geboren bin, auf das Wohl meines Vaterlandes, auf den Sieg unsers Glaubens und auf das Wohl aller ehrwürdigen Diener der heiligen Kirche, welche Gott der Herr beschützen möge!“

Er setzte das Glas an die Lippen und trank es bis zur Nagelprobe aus. Einige Sekunden lang herrschte tiefe Stille in der Stube, die Stille der Ueberraschung, dann

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aber brach der Sturm los. Alle Stimmen schrien, und alle Fäuste ballten sich; man drängte sich zornig heran, aber der lange Tambour-major breitete die Arme aus und hielt die Andern zurück.

„Halt, Bürger Kameraden!“ rief er. „Der Soldat muß bei jedem Angriffe nach bestimmten Regeln verfahren. Dieser Mensch, der sich Bürger Surcouf nennen läßt, scheint mir kein Seemann, sondern ein verkappter Emissair des Papstes zu sein. Wir wollen ihn einmal auf die Bank legen und mit dem Stock befragen. Bürger Sergent-major, faß an!“

Die beiden starken Menschen streckten die Hände aus, um Surcouf zu erfassen, flogen aber — so schnell der Eine in diese und der Andere in jene Ecke, daß Niemand eigentlich begreifen konnte, wie es geschehen war. Ein Schrei der Wuth erscholl ringsum, und nun ließ sich Keiner mehr halten, sich auf die beiden Angegriffenen zu werfen. Da aber ertönte ein lautes Krachen; Surcouf hatte ein Bein vom Tische gebrochen und schlug damit einen so regelrechten Achter, daß sofort Zwei, am Kopfe scharf getroffen, zu Boden stürzten, die Anderen aber sich schleunigst zurückzogen.

„Glaubt Ihr nun, daß ich Seemann bin?“ lachte er. „Ein Schiffer weiß so ein petit levier) schon zu gebrauchen! Ist das der Dank, daß Ihr meinen Wein getrunken habt, Ihr Memmen, die Ihr Euch an zwei Männer wagt, weil Ihr über Dreißig zählt? Kommt her, und legt den Robert Surcouf auf die Bank, wenn Ihr könnt!“

„Drauf auf sie!“ brüllte der Sergent-major.

) Handspeiche, Brechstange.
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Surcouf ließ das Tischbein wieder wirbeln; aber die Hinteren drängten die Vorderen, und es hätte gewiß ein Unglück gegeben, wenn nicht eben jetzt eine helle, scharfe, gebieterische Stimme von der Thür her gerufen hätte:

„Cessez à l’instant! Was geht hier vor?“

Draußen vor den Fenstern sah man einen kleinen Reitertrupp halten, und unter der Thür stand derjenige, welcher gesprochen hatte. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt; sein hageres, scharf geschnittenes Gesicht zeigte eine bronzene Färbung; die breite Stirn bedeckte ein Tressenhut, und die Gestalt war in einen weiten Regenrock gehüllt. Beim Anblick dieses Mannes zogen sich die Angreifer erschrocken zurück, indem sie mit der tiefsten Ehrerbietung salutirten. Er mochte vierundzwanzig Jahre zählen; sein bartloses Gesicht blieb vollständig regungslos, aber sein mächtiges Auge blitzte im Kreise umher und blieb dann auf demjenigen haften, welcher unter den Anwesenden die höchste Charge bekleidete:

„Bürger Tambour-major, berichte!“

Der Genannte, dem bereits der Angstschweiß auf die Stirne zu treten begann, erzählte in kurzer, soldatischer Weise:

„Hier ist ein Pfaffe, mon Colonel, und ein päpstlicher Emissair, welche uns beleidigten.“

„Und darauf antwortet Ihr mit Schlägen! Welcher ist der Emissair?“

„Der mit dem Tischbeine.“

„Woher weißt Du, daß er ein Emissair ist?“

„Ich vermuthe es.“

„Très bien, Bürger Tambour-major. Du bist fertig; nun mag auch Er sprechen!“

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Surcouf trat einen Schritt vor und blickte dem Offizier furchtlos in die Augen.

„Mein Name ist Surcouf, Bürger Colonel; darf ich um den Deinigen bitten?“

„Ich heiße Bonaparte,“ erklang es kalt und stolz.

„Also ich heiße Surcouf, Robert Surcouf, bin Seemann und wollte nach Beausset, um meinen Freund Andoche Junot, den Advokat und Bürger Grenadier, zu besuchen. Ich trat hier ein, ließ diese Bürger Soldaten Wein auf meine Rechnung trinken, bis sie von diesem würdigen Priester verlangten, daß er auf das Verderben seines höchsten Oberhauptes, des heiligen Vaters, trinken solle. Er that es nicht, und darum wollten sie ihn schlagen. Er ist ein Mann des Friedens und kann sich nicht wehren; darum brach ich dieses Tischbein ab und habe ihn vertheidigt. Nun halten sie mich für einen Emissair. Ein braver Seemann aber wird einen Jeden vertheidigen, welcher von einer Uebermacht unschuldig angegriffen wird. Es sind noch viele Tischbeine hier!“

Ueber das Gesicht des Obersten zuckte ein leises, ganz leises Lächeln, welches aber sofort wieder verschwand. Er wandte sich zu den Soldaten:

„Bürger Tambour-major, Du marschirst sofort mit den Andern in den Arrest!“

Das Wort war kaum gesprochen, so salutirten sämmtliche „Bürger Soldaten“ und marschirten zur Thür hinaus. Dann drehte sich der Oberst wieder zu den beiden Andern herum. Sein Wort galt zunächst dem Priester:

„Wer bist Du?“

„Ich bin Bruder Martin vom Orden der Missionäre des heiligen Geistes,“ lautete in bescheidenem Tone die Antwort.

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„Es sind alle Orden aufgehoben. Hast Du den Bürgereid geleistet?“

„Nein. Mein Eid gehört nur der heiligen Kirche.“

„Das wird sich finden!“ Und sich zu dem Seemann wendend, fuhr er fort: „Surcouf? Ich muß diesen Namen bereits gehört haben! Ah, hast Du den Namen „the runner“ gehört?“

„Ja. Das war das englische Avisoschiff, welches ich durch die Klippen bringen sollte, aber mit Fleiß und Absicht auf die Bank laufen ließ.“

Der Oberst maß den jungen Mann mit einem kurz aufleuchtenden Blick.

„Ah, das wärst also Du? Wirklich? Weißt Du, Bürger Surcouf, daß Dein Leben an einem Haare hing!“

„Ich weiß es; aber sollte ich den Feind in den Hafen bringen? Ich sprang, sobald der Runner auflief, über Bord und kam glücklich an’s Land, obgleich die Kugeln mir um den Kopf pfiffen. Die Engländer schießen schlecht, sehr schlecht, Bürger Colonel!“

„Wir werden in diesen Tagen sehen, ob Du Recht hast. Warum nimmst Du Dich eines Priesters an, der den Bürgereid nicht leisten will?“

„Weil dies meine Pflicht ist. Ich bin ein guter Katholik; ich habe mit ihm auf das Wohl des heiligen Vaters getrunken.“

„Ah, quelle inconsidération! Mußtest Du das thun? Brauchtest Du mir dies zu sagen, Bürger Surcouf? Ich sah, daß Du einige Soldaten beschädigt hast?“

„Ja, mit dem Tischbeine hier.“

„Gut. Der Fall soll untersucht und bestraft werden. Auch Ihr Beide seid arretirt. Man wird Euch nach

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Beausset bringen; doch sollst Du Deinen Freund Junot zu sehen bekommen. Adieu!“

Der kleine Offizier wandte sich scharf auf dem Absatze um und verließ die Stube. Eine Minute später ritt er mit seinen Begleitern davon; er befand sich jedenfalls auf einer Recognoscirung. Zu gleicher Zeit aber traten drei Militairs ein, welche den Beiden sagten, daß sie ihnen nach Beausset zu folgen hätten.

„Das werden wir thun,“ meinte Surcouf, indem er sein Tischbein bei Seite legte. „Beausset war ohnedies mein Ziel.“

„Aber das meinige nicht,“ antwortete Bruder Martin. „Ich wollte hinauf nach Sisteron.“

„Dorthin kannst Du auch morgen gehen, mein frommer Bruder. Bis dahin magst Du in Beausset mein Gast sein; vorher aber wollen wir hier mit drei tapferen Bürgern noch ein Glas trinken. Ich finde diesen Roussillon sehr gut und muß ja auch mein Tischbein bezahlen.“

Der wackere Seemann schien sich in seine Gefangenschaft sehr leicht zu finden. Es war ihm nicht die mindeste Abnahme seiner guten Laune anzumerken, und als dann später aufgebrochen wurde, ertrug er den strömenden Regen mit derselben Geduld, mit der er ihn vorher ertragen hatte.

Beausset ist noch heute ein kleiner Ort von nicht viel über 3000 Einwohnern. Es giebt dort eine Wollenweberei, und in der Umgebung wird ein gutes Olivenöl und ein leidlicher Rothwein gebaut. Als die beiden Gefangen Gefangenen dort anlangten, wurden sie nach dem Hause geführt, in welchem der Oberstkommandirende, General Cartaux, sein Quartier aufgeschlagen hatte, und dort in eine

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enge, dunkle Kammer eingesperrt, deren einziges Fenster durch den Laden dicht verschlossen war.

„So, hier liegen wir vor Anker,“ meinte Surcouf. „Leider giebt es weder Hängematte noch Daunenbett. Wir müssen uns mit dem Bewußtsein fügen, daß man uns bald aus dieser Koje erlösen wird.“

„Ich wenigstens habe das nicht zu hoffen,“ seufzte Bruder Martin.

„Nicht? Warum?“

„Weißt Du nicht, Bürger Surcouf, daß es jetzt in Frankreich kein größeres Verbrechen giebt, als dem Willen des Convents zu trotzen? Ich habe meinen priesterlichen Eid abgelegt und kann keinen anderen schwören. Ich sehe böse Tage für mich kommen, aber ich bleibe meinem Schwure treu.“

Da ergriff Surcouf die Hände des Gefährten, und seine Stimme klang ganz anders als bisher, indem er nun in bewegtem Tone sagte:

„Das vergelte Dir Gott, Bruder Martin! Viele, Viele sind abgefallen; aber noch Mehrere sind freiwillig in die Verbannung gegangen oder bleiben muthig im Lande, um mit der Hyder des Unglaubens und der Vergewaltigung zu kämpfen. Ich bin nicht der sorglose Mann, der ich scheine. Ich sehe eine Zeit kommen, in welcher man auch das Allerheiligste verleugnen wird, nachdem man vorher das Heilige beschimpfte, eine Zeit, in welcher es starker Geister und gewaltiger Arme bedarf, um das Vaterland vor der Herrschaft des Schreckens zu befreien und unserm Volke die ihm von Gott angewiesene Stellung unter den Nationen zu erhalten. Es wird große Kämpfe geben; es werden Ströme Blutes fließen; es wird ein

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gigantisches Ringen des Einen gegen Alle sein. Das Weizenkorn, welches unter dem Unkraute der Revolution verborgen liegt, wird aufgehen, doch werden dunkle Wolken es beschatten, und Stürme es knicken wollen. Da gilt es, wach und munter zu sein; da gilt es, sich bei Zeiten im Kampfe zu üben und zu stählen, damit ein Jeder an seinem Platze sei, wenn die Kräfte gemessen werden. Ich bin ein Sohn des Vaterlandes, und auch ich habe die Pflicht, treu und stark zu ihm zu halten in aller Noth und Gefahr. Darum habe ich mich ihm zum Dienste angeboten, aber man hat mich abgewiesen, weil ich offen bekenne. daß ich nicht zu denen gehöre, welche den Stuhl Petri stürzen und Christum abermals an das Kreuz schlagen möchten. Wegen einer offenen Rede habe ich aus Paris flüchten müssen; ich ging an andere Orte und wurde wieder abgewiesen; nun komme ich nach Toulon, um den letzten Versuch zu machen. Ich werde mit den Generalen Cartaux und Doppet sprechen; ich werde auch mit diesem Colonel Bonaparte reden; er hat das Gesicht eines Mannes, welcher wachsen wird; vielleicht erreiche ich hier am letzten Orte, was mir anderwärts versagt worden ist.“

Der Priester hielt seinen Blick erstaunt auf den Sprecher gerichtet. Dieser junge Mann war auf einmal ein ganz Anderer geworden; der fröhliche, sorglose, unbekümmerte Jüngling stand plötzlich da als ein Mann, dessen Auge prophetisch in die Ferne blickte, dessen Rede begeistert von den Lippen floß, und dessen Aufgabe auf ein großes Ziel gerichtet war.

„Mein Sohn“, sagte Bruder Martin, „ich höre aus Deinem Munde Worte eines Mannes, dessen Weg zur Höhe führen muß. Was auch die Zukunft Dir beschieden haben mag, sei stets der ewigen Wahrheit eingedenk, daß

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der Mensch nichts Gutes thut als nur in Gott, und daß er einen Richter hat für jeden Gedanken, jedes Wort und jede That, die er vollbringt. Dein Fuß wird nicht gewöhnliche Pfade wandeln; laß Dich bei jedem Schritte von dem Lichte leiten, welches kein Konvent und keine Revolution verlöschen kann.“

Nach diesen Worten herrschte längeres Schweigen. Die beiden Gefangenen hätten sich Vieles zu sagen gehabt, aber der Augenblick war zu weihevoll, als daß ein profanes Wort ihn hätte stören dürfen.

Nach längerer Zeit wurde die Thüre geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum kommandierenden General zu führen. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, daß man ihn als Verräther behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf frug ihn, was er dagegen zu thun entschlossen sei.

„Was soll ich thun?“ frug er. „Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwertes. Es wird mir gehen wie so vielen andern; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.“

„Ah, Du würdest nicht in Paris, sondern bereits schon unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!“

„Wie wolltest Du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!“

„Aber ich werde es nicht immer sein. Der General wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissair sei oder

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nicht. Sobald er einsah, daß ich ein ehrlicher Seemann bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, welche diese guten Bürger Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urteilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuße sein.“

„Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tage sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da vielleicht über Gap oder Embrunn Embrun und Briançon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!“

„Über Gap und Embrun? Oh malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf der Erden wandelt! In diesen beiden Festungen muß ein Jeder hängen bleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und übrigens wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Conventstruppen, welche schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhause einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!“

„Der Wirt dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.“

„Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräther geworden. Ueberhaupt giebt es von hier aus auf dem Landwege kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.“

„Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntnis der Gelegenheiten auf ein sicheres Schiff?“

„Durch mich, durch Robert Surcouf. Verstanden?“

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Thür wurde abermals geöffnet, und es trat ein Grenadier herein, in

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welchem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, daß er nur drei Tage später Sergent wurde. Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 dictierte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde. „Prächtig,“ rief Junot, „so brauchen wir keinen Streusand!“ Durch dieses Wort wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da nicht wieder aus den Augen, so daß Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Commandant von Paris wurde.

Dieser Grenadier, welcher jetzt wohl nicht ahnte, daß er einst eine Herzogskrone tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wiederzusehen. Er erfuhr, daß dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe, und daß er nun auch von General Cartaux abfällig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts thun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und mußte die Beiden dann ihrem Schicksale überlassen.

Erst am Nachmittag des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, welche den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von welcher aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden.

Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier übergeben, und der Convent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generale Cartaux und Doppet als unfähig; der Eine war ein Maler und der Andere ein

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Arzt gewesen; sie waren im Atelier und Lazareth an ihrem Platze, nicht aber vor den gewaltigen Außenwerken eines so großartigen Waffenplatzes, und darum hatte man den jungen Napoleon Bonaparte gesandt, um den beiden Generalen beizustehen.

Der kleine Corse hielt soeben neben den beiden Obergeneralen, als Surcouf zu ihm geführt wurde. Er beachtete den Gefangenen gar nicht und schien nur in das Gespräch vertieft, welches er mit seinen zwei Vorgesetzten führte.

„Und ich kann dennoch nicht von meiner Ueberzeugung abgehen,“ sagte er. „Wenn wir so fortfahren, werden wir nach einem Lustrum immer noch unverrichteter Sache vor Toulon liegen. Was sind unsere Geschütze gegen die Feuerschlünde der Festung und der Flotte! Wir müssen so schnell wie möglich weiteres Belagerungsgeschütz aus Marseille und den andern Waffenplätzen kommen lassen. Wir dürfen nicht nur die Befestigungen der Stadt beschießen, sondern wir müssen vor allen Dingen die feindlichen Schiffe mit glühenden Kugeln bewerfen. Haben wir die Flotte vernichtet und vertrieben, so kann sich die Stadt unmöglich lange mehr halten. Geben Sie mir Vollmacht, so verspreche ich, daß Toulon sich in vierzehn Tagen in unseren Händen befindet.“

„Nur nicht sanguinisch!“ erwiderte Cartaux in hochfahrendem Tone. „Selbst wenn die Flotte weichen muß, wo haben wir die Mittel, Befestigungen wie Fort Malbosquet, Balagnier und Eguilette zu bezwingen?“

„Man schaffe nur zunächst Geschütz und Munition herbei, verstärke die Belagerungsarmee bis auf vierzigtausend Mann und versehe diese Verstärkungen mit den

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nothwendigen Requisiten. Ich habe das Terrain noch nicht genau studiren können, aber es muß ein Punkt zu finden sein, welcher die feindlichen Werke dominirt, und von diesem aus werden wir den Gegner zu bezwingen wissen.“

Surcouf hatte diese Worte gehört; er trat mit zwei raschen Schritten an die drei Offiziere heran und sagte:

„Pardon, Bürger! Dieser Punkt ist bereits gefunden.“

Cartaux machte eine strenge, zurückweisende Geberde; auch Doppet drehte sich stolz zur Seite. Napoleon aber überflog den Sprecher mit einem Blitze seines Auges und meinte:

„Du bist sehr kühn, Bürger Surcouf! Wenn Offiziere sprechen, hat ein jeder Andere zu schweigen, besonders wenn er gar ein Gefangener ist. Welchen Punkt meinst Du?“

„Bürger Colonel, siehe dort den Platz zwischen beiden Häfen der Stadt. Wenn Du ihn besetzest, so kannst Du die feindliche Flotte in ihrer ganzen Ausdehnung bestreichen. Die Stadt muß sich in zwei oder drei Tagen ergeben, sobald Du ihre Werke von dort aus mit Vierundzwanzigpfündern und Mörsern demolirst. Das Auge wird Dich lehren, daß von diesem Punkte aus Fort Malbosquet sehr leicht zu bombardiren ist.“

Bonaparte setzte das Fernrohr an und musterte die betreffende Gegend. Als er es wieder absetzte, bewegte sich kein Zug seines ehernen Gesichtes. Er blickte lange auf den Horizont hinaus; dann aber wandte er sich plötzlich zu den beiden Generalen:

„Dieser Mann hat Recht, vollkommen Recht. Ich ersuche die Bürger Generale, seinen Rath, welchen ich mit

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meiner Ueberzeugung unterstütze, in schnelle Erwägung zu ziehen!“

„Den Rath eines Arrestanten!“ rief Cartaux. „Schäme Dich, Bürger Colonel!“

Auch auf diese beleidigende Antwort zuckte keine Wimper in Napoleons Gesicht, aber seine Stimme klang scharf und schneidig, als er entgegnete:

„Allerdings schäme ich mich, messieurs, aber nicht über den Rath, welcher uns ertheilt wurde, sondern darüber, daß bis jetzt noch nicht gefunden worden ist, was dieser Bürger auf den ersten Blick bemerkte. Ich bin gewohnt, jeden nützlichen Rath anzunehmen, er komme, von wem es auch sei, und bitte, den betreffenden Punkt schleunigst besetzen und befestigen zu lassen. Wenn uns die Engländer zuvorkommen, so muß es uns außerordentliche Opfer kosten, die Unterlassung wieder auszugleichen.“

„Colonel!“ brauste Cartaux auf. Er wollte mehr sagen, Doppet aber ergriff ihn beim Arme und zog ihn fort.

Bonaparte blickte ihnen mit finsterer Miene nach.

„Man wird dennoch thun müssen, was ich will,“ murmelte er, und zu Surcouf gewendet, fuhr er fort: „Dein Plan ist gut, Bürger; ich danke Dir! Wo hast Du diesen Scharfblick her, Du, ein Matrose?“

„Matrose?“ lachte der Gefragte. „Ein Schüler der See-Akademie und des Bureau des longitudes! Der Seemann hat ebenso seine Strategie und Taktik, wie der Offizier des Festlandes. Bürger Colonel, ich freue mich, mit Dir sprechen zu können. Ich bin Dein Gefangener; Du wirst mich vielleicht bestrafen, weil ich einigen unnützen Burschen den Schädel geklopft habe; ich werde diese Strafe

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auf mich nehmen; aber wenn ich sie verbüßt habe, so werde ich Dich abermals aufsuchen, dann habe ich Dir eine Bitte vorzutragen.“

„Sprich sie aus!“

„Heute nicht. Erst muß ich die Strafe hinter mir wissen.“

Bonaparte runzelte leicht die Stirn.

„Du sprichst sehr kategorisch! In Deinem Alter ist man gern bescheiden, weil man da erst im Begriffe steht, das Leben zu beginnen.“

„Bürger,“ lächelte der Getadelte, „Du beginnst es also vom Colonel an, denn wir werden wohl die gleichen Jahre zählen.“

Napoleon beachtete diesen Einwurf nicht und fuhr fort:

„Du hast allerdings Strafe verdient, denn Du hast Dich an den Soldaten des Convents vergriffen; aber um des Rathes willen, welchen Du uns gegeben hast, soll Dir verziehen sein. Jetzt nun wirst Du wohl Zeit finden, Deine Bitte auszusprechen, Bürger Surcouf?“

„Ich danke Dir, Bürger Colonel! Meine Bitte ist sehr kurz; sie lautet: gieb mir ein Schiff!“

Der kleine Corse blickte erstaunt den Seemann an.

„Ein Schiff?“ rief er verwundert. „Was willst Du mit dem Schiffe, und woher soll ich es nehmen?“

„Hier lies zunächst diese Papiere!“

Er zog sein Portefeuille hervor, nahm eine Anzahl groß gesiegelter Zeugnisse hervor und gab sie Napoleon. Dieser las eines nach dem andern und gab sie ihm dann mit einer sehr nachdenklichen Miene zurück.

„Ausgezeichnet!“ nickte er. „Bürger Surcouf, es wird wenig Männer Deines Alters geben, welche sich des

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Besitzes solcher Papiere rühmen können. Du bist klug und kühn; der Convent wird wohlthun, Dich im Auge zu behalten.“

„Pah, der Convent will mich gar nicht haben!“

„Warst Du in Paris?“

„Ich war dort; ich war in Le Havre; ich war in Brest, in Nantes, in La Rochelle, in Bordeaux, Marseille und Lyon; ich war bei allen Marinebehörden bis hinauf zum Minister und habe nur das Eine gehört, daß ich unfähig bin.“

„So sind Deine Zeugnisse eine Lüge.“

„Sie enthalten die Wahrheit; aber die Männer, bei denen ich war, segeln im Nebel, ohne die Augen zu öffnen. Ich habe Alles gethan, um sie sehend zu machen; ich habe ihnen meine Ansichten entwickelt; ich habe ihnen den Vorhang der Zukunft gelüftet — sie wollten blind bleiben.“

Jetzt lächelte Bonaparte, aber wie ein Riese, welcher einen Zwerg von Heldenthaten sprechen hört.

„Welches sind die Ansichten, die Du ihnen entwickelt hast?“ fragte er.

„Es sind die Ansichten eines einfachen Mannes, der sich durch kein Blendwerk täuschen läßt. Die republikanische Form unserer Regierung steht im Gegensatze zu den Regierungsformen der uns umgebenden Länder; unsere Interessen sind den ihrigen feindlich entgegengesetzt, und der Ausgleich kann nicht auf dem Wege des Friedens geschehen. Ferner giebt es im Innern der Republik selbst tausend noch ungezügelte Kräfte und Mächte, welche eine gewaltige Expansionskraft besitzen; eine einzige dieser Kräfte ist im Stande, den noch unfertigen Bau augenblicklich -

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augenblicklich zu zertrümmern. Die Religion ist das Herz der Nation; die Republik will sich dieses Herz herausreißen; sie wird zum Selbstmörder werden; sie wird sterben; aber ihr Tod wird kein sanfter, sondern ein fürchterlicher sein. Damit habe ich bewiesen, daß Frankreich vor großen Kämpfen steht, vor Kämpfen nach außen und vor Kämpfen nach innen. Hierzu bedarf es einer Land- und Seemacht, welche nicht nur sich in gutem Vertheidigungszustande befindet, sondern nöthigenfalls auch zum Angriffe schreiten kann. Wir haben ein tapferes Heer und gute Generale, aber was wir nicht haben, das ist eine genügende Flotte. Seeleute hat Frankreich genug, aber es mangelt an Kriegsschiffen und an Seeoffizieren, welche die Fähigkeit besitzen, die kriegerischen Traditionen unserer Feinde zu Schanden zu machen — — —“

„Und ein solcher Offizier bist Du?“ unterbrach ihn Napoleon.

„Ja,“ antwortete der Gefragte mit offener Miene. „Man gebe mir ein Schiff, und ich werde es beweisen!“

„Du sprichst sehr stolz, Bürger Surcouf, und läufst Gefahr, daß man Dein Selbstbewußtsein für Prahlerei nimmt. Wer einen Kahn zu steuern vermag, ist doch noch nicht ein geborenes Genie zur See!“

Es lag etwas wie Geringschätzung in dem Tone, in welchem diese Worte gesprochen wurden; Surcouf fühlte das, und seine Stimme klang schärfer denn vorher, als er entgegnete:

„Bürger Colonel, Du sprichst in dieser Weise zu mir, weil Du siehst, daß ich noch nicht das Alter besitze, um Mitglied des Rathes der Alten zu sein. Das ist ein schlechter Mann, der mehr von sich hält, als er ist, aber ein

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noch viel schlechterer Mann ist derjenige, welcher nicht weiß, was er zu leisten vermag. Wenn ein Maler oder Arzt General werden kann, so ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß ein Seemann ein Schiff zu führen vermag. Wir stehen in einer Zeit, welche Altes zerschmettert, um Neues zu schaffen. Die Kämpfe, denen wir entgegengehen, erfordern jugendliche Kräfte. Warum soll ich abgewiesen werden?“

„Weil Du Dir erst verdienen mußt, was Du begehrst. Was hast Du für den Staat geleistet? Du magst ein guter Seemann sein; Du magst dies im privaten Leben auch bewiesen haben; der Marinebehörde aber bist Du unbekannt und darfst nicht erwarten, daß man Dir ein Schiff anvertraut, ohne Dich vorher kennen gelernt zu haben.“

„Aber man will mich nicht kennen lernen; man will keinen Offizier, der den Glauben hat, daß sein Schiff ebenso von Gottes Hand wie von den Winden geleitet wird.“

„So ändere Deinen Glauben!“

Surcouf trat einen Schritt zurück und rief:

„Bürger Bonaparte, Du scherzest! Ich bin ein Katholik und bleibe es. Ich bin ein Franzose und bleibe es, trotzdem mir von England Anerbietungen gemacht worden sind, welche mir die Erfüllung meiner sehnlichsten Wünsche verheißen. Ich werde stets nur für mein Vaterland, niemals aber gegen dasselbe kämpfen, und giebt man mir kein Schiff, so nehme ich es mir!“

Napoleon machte eine abweisende Geberde.

„Das träumst Du nur!“ meinte er scharf.

„Robert Surcouf träumt nie, Bürger Colonel! Du bist der Letzte, auf den ich meine Hoffnung setzte. Gieb mir wenigstens -

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wenigstens ein kleines Fahrzeug, aus welchem ich einen Brander herstellen kann, und Du sollst sehen, daß ich das feindliche Flaggenschiff in die Luft sprenge!“

„Hier, im Hafen von Toulon?“

„Ja.“

„Ah, nun bin ich wirklich überzeugt, daß Du träumst! Bürger Surcouf, gehe; Deine Dienste werden nicht gebraucht!“

„Ist dies Dein letztes Wort?“

„Mein letztes!“

„So habe ich meine Schuldigkeit gethan und kann nun nach Belieben handeln. Es wird eine Zeit kommen, in welcher Frankreichs Ruhm zur See zusammenbricht, in welcher man vergebens ausschaut nach einem Manne, der unsere Flagge siegreich steigen lassen könnte; aber dieser Mann wird fehlen. Dann, ja dann wird man sich des Bürgers Surcouf erinnern; man wird ihn rufen, doch er wird diesem Rufe nicht Folge leisten.“

„Ah, Dein Traum wird zum Fieber! Man wird Dich niemals rufen, denn Du wirst niemals zu verwenden sein. Und wäre ich selbst es, der hier zu entscheiden hätte, so würde ich der Letzte sein, der Deinen Namen nennt. Frankreich braucht Männer und besonnene Köpfe, aber nicht Knaben und Phantasten. Heut hast Du gesprochen, und bereits morgen wirst Du vergessen sein!“

Da trat Surcouf hart an den Offizier heran und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter.

„Bürger Bonaparte, ich will Dir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten; ich sage Dir offen, daß ich Dich für einen Mann halte, der seinen Weg machen wird; auf diesem Wege aber wird Dir einst Robert Surcouf begegnen,

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und dann wirst Du bedauern, daß Du ihn so schnell vergessen hast. Wir sind geschieden für ewige Zeiten; vorher aber sage mir noch Eins: Was wirst Du mit Pater Martin, meinem Gefährten, thun?“

„Darnach hast Du nichts zu fragen. Er hat sich gegen die Verordnungen des Convents gesträubt und wird seine Strafe leiden.“

„Er hat Gott mehr gehorcht als den Menschen, und darum wird ihn Gott beschützen. Versucht es immerhin, den Ewigen abzusetzen; es wird Euch schwer werden, gegen den Stachel zu lecken!“ —

II.

Am Abend desselben Tages saß Pater Martin allein in seiner Kammer. Es war ihm gesagt worden, daß sein Gefährte frei sei und nicht wieder zurückkommen werde. Draußen vor dem Orte donnerten die ehernen Stimmen der Geschütze trotz der herrschenden Dunkelheit, und in dem Hofe erklang der regelmäßige Schritt der Schildwache, welche vor dem Fenster des Gefängnisses Wache zu halten hatte.

In den Gassen von Beausset und besonders vor dem Hauptquartiere standen Gruppen von Soldaten, welche sich über die nächtliche Kanonade unterhielten. Es war dies ein Zeichen, daß mit dem Obersten Bonaparte ein neuer Geist in die Belagerungsarmee getreten sei, und man gab

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sich der Hoffnung hin, daß man einen baldigen Erfolg bemerken werde.

Da kam sporenklirrend ein Offizier die Gasse herab und trat in das Haus. Er schritt direkt durch den Flur hinaus nach dem Hofe und blieb vor dem Posten stehen.

„Bürger Soldat, wie heißest Du?“ fragte er kurz und barsch.

„Etienne Girard,“ antwortete der Gefragte salutirend.

„Nun wohl, Bürger Girard, öffne mir die Thür, welche zu dem Gefangenen führt!“

Der Soldat gehorchte ohne Widerrede. Der Offizier blieb vor dem Eingange stehen und befahl dem Priester:

„Bürger Martin, folge mir! Du sollst die Ehre haben, vor dem General zu erscheinen, welcher Dich draußen in der Schanze sprechen will.“

Der Gefangene erhob sich und verließ still und gehorsam die Kammer. Der Offizier schob dem Soldaten ein versiegeltes Papier in die Hand und gebot ihm:

„Hier die Bescheinigung, daß Du mir den Gefangenen übergeben hast, Bürger Girard. Du wirst sie dem Bürger Colonel Bonaparte einhändigen, sobald er zurückgekehrt ist; für jetzt aber bist Du abgelöst.“

Er entfernte sich mit dem Priester und schritt mit ihm an den Militärgruppen vorüber, zur Stadt hinaus. Draußen aber änderte er die Richtung und schwenkte links ab in das Feld hinein; an einer einsam gelegenen Stelle angekommen, blieb er halten.

„Bürger Martin, Du stehst vor Deinem Richter,“ sprach er mit derselben strengen Stimme, mit der er vorher gesprochen hatte.

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Der Priester blickte auf.

„Du?“ frug er. „Du wolltest mein Richter sein?“

„Ja. Aber ich bin Dir ein gerechter Richter; ich spreche Dich frei.“ Und in völlig verändertem Tone setzte er lachend hinzu: „Vraiment, sogar dieser gute Pater Martin hat mich nicht erkannt!“

Bei dieser Stimme fuhr der Priester überrascht empor.

„Surcouf, Robert Surcouf, ist es möglich!“ rief er.

„Pst, leise!“ warnte der Andere. „Da drüben giebt es Leute, welche sich sehr für uns interessiren.“

„Aber wie kommst Du zu mir? In dieser Uniform? Weißt Du, daß Dein Spiel ein sehr gewagtes ist?“

„Gewagt? Ah pah! Diese Herren Maler, Aerzte, welche es sich beikommen lassen, den General zu spielen, sind mir nicht gefährlich; aber vor diesem kleinen Colonel Bonaparte muß man sich ein wenig in Acht nehmen. Du fragst, wie ich zu Dir komme. Glaubst Du etwa, daß Robert Surcouf der Mann ist, einen guten Bekannten sitzen zu lassen? Und diese Uniform? Haha, sieh’ sie Dir einmal genauer an! Es ist der Rock eines Douanier, eines Zollwächters, der ihn ausgezogen hat, weil er ihn auf dem Schafotte nicht mehr brauchte. Ich habe auch gute Freunde und Bekannte, auf welche ich mich verlassen kann. Ich werde ein wenig hinein nach Toulon gehen, um zu sehen, was zu machen ist.“

„Thu dies ja nicht. Du wagst Dein Leben!“

„Sorge Dich nicht um mich. Ich weiß ganz genau, was ich wage. Jetzt handelt es sich ganz allein um Dich. Du bist frei. Wohin gedenkst Du Dich zu wenden?“

„Ehe ich Dich traf, hatte ich die Absicht, die

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italienische Grenze zu erreichen. Drüben wird man für mich sorgen.“

„Du sollst sicher hinüberkemmen hinüberkommen, mein guter Pater Martin. Ich habe da einige wackere Leute, welchen Du nach Frejus folgen wirst; sie werden Dich auf einem Fahrzeuge hinüber bringen.“

Er stieß einen leisen Pfiff aus, worauf zwei Gestalten aus dem Dunkel der Nacht auftauchten.

„Hier ist der würdige Pater Martin, Ihr Leute. Ich übergebe ihn Euch, weil ich weiß, daß er in Euern Händen ebenso sicher ist, wie in den meinigen. Und nun gebt mir meinen Rock, und nehmt diesen dafür zurück. Und jetzt, frommer Vater, wollen wir Abschied nehmen. Wir werden Beide dieses Land verlassen, aber unsere Wege werden wohl nie wieder zusammentreffen. Beten Sie für mich, denn das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist, und ich werde es ja brauchen können!“

„Gott segne Dich, mein Sohn! Ich — — —“

Er sprach nicht weiter, denn Surcouf war bereits im Dunkel der Nacht verschwunden, hatte ihm aber vorher Etwas in die Hand gedrückt. Der Priester fühlte, daß es Geld war; er mußte den beiden Schiffern folgen, ohne es zurückweisen zu können.

Eine halbe Stunde später kehrte Bonaparte von der Schanze in das Quartier zurück, und Etienne Girard beeilte sich, ihm das Schreiben zu überreichen. Es enthielt allerdings eine Empfangsbestätigung; es lautete:

„An den Bürger Colonel Bonaparte.

Ich bestätige hiermit den richtigen Empfang eines Mitgefangenen, des frommen Parter Pater Martin. Ich habe ihm die Freiheit gegeben, um ihn ungerechten Richtern

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zu entziehen und dem Bürger Bonaparte zu zeigen, daß der Bürger Sureouf Surcouf nicht blos zu träumen, sondern auch zu handeln vermag. Er hat versprochen, sich ein Schiff zu holen, weil man ihm keines giebt, und er wird sein Wort halten.

Robert Surcouf.“

Bonaparte ließ sich von dem Soldaten das Geschehene berichten und starte starrte dann lange auf die Zeilen nieder. Sollte er den überlisteten Posten bestrafen? Nein. Er winkte schweigend, und der Mann trat ab. Der Colonel traf nicht einmal Anstalten, den Entflohenen zu verfolgen. Es wurde über die ganze Angelegenheit kein Wort gesprochen.

Napoleon hatte übrigens Anderes zu thun, als sich um die Wiederhabhaftwerdung eines Flüchtlings zu bekümmern, dessen Besitz ihm nicht den mindesten Vortheil brachte. Die beiden Generäle Cartaux und Doppet gaben nämlich die Besetzung des Punktes, auf welchen sie durch Surcouf aufmerksam gemacht worden waren, nicht zu; desto klüger aber waren die Engländer, welche plötzlich die Wichtigkeit des Ortes erkannten, 4000 Mann hinlegten und ihn mit furchtbaren Verschanzungen versahen. Diese Befestigungen waren so stark, daß sie den Platz Kleingibraltar nannten.

Voll Aerger über diesen Fehler fertigte Bonaparte einen Bericht an den Convent ab, in Folge dessen der Oberbefehl im November dem tapfern und einsichtsvollen Dugommier übertragen wurde. Dieser erkannte, welchen Mann er in dem kleinen Corsen besaß, und gab seinen Vorschlägen offenes Gehör. Es wurden ganz in der Stille die nöthigen Vorkehrungen getroffen, welche volle drei

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Wochen in Anspruch nahmen; dann begann ein dreitägiges, entsetzliches Bombardement auf Kleingibraltar, welches dann im Sturme gewonnen wurde.

Unter den Bewohnern der Stadt herrschte natürlich eine große Aufregung. Viele Tausende hatten sich an dem Aufstande gegen den Convent betheiligt und die Engländer willkommen geheißen, als die Flotte derselben kam, um Toulon im Namen Ludwigs des Siebzehnten in Besitz zu nehmen. Sie Alle waren verloren, wenn die Vertheidigung nicht gelang. O’Hara, der Stadtkommandant, machte die riesigsten Anstrengungen, um die Belagerung abzuweisen; aber als Kleingibraltar verloren war, erkannte er, daß nun alle Mühe vergebens sei. Auch der Befehlshaber der englischen Flotte, Admiral Lord Hood, erklärte, daß Toulon nun nicht mehr zu halten sei, und verließ den Hafen. Er kreuzte draußen auf der Rhede und nahm die Truppen nebst denjenigen Einwohnern auf, welche sich compromittirt hatten. Wohl an die vierzehntausend Menschen verließen auf diese Weise die Stadt, um sich der Rache des Convents zu entziehen, von dem man wußte, daß er nicht zur Milde geneigt sein werde.

In einem engen Gäßchen, unweit des inneren Hafens gelegen, gab es eine Taverne, welche nur von Matrosen besseren Schlages besucht wurde. Oncle Carditon, wie der Wirth genannt wurde, war ein anständiger Mann, welcher alles Gesindel von seinem Hause fern zu halten wußte. Dabei war er ein guter Christ und ein eifriger Patriot, welcher die Revolution haßte.

Es war einen Tag vor dem Sturme auf Kleingibraltar, als ein fremder Mann in die Taverne trat. Er trug die Kleidung eines englischen Marinematrosen und

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zeigte auch die ganze Ungenirtheit dieser Leute, denn er legte, nachdem er sich gesetzt hatte, die schmutzigen Füße auf den mit einem weißen Linnen gedeckten Tisch und stieß, mit der Faust aufschlagend, einen lauten Fluch aus, um den Wirth herbeizurufen.

Dieser trat heran und erkundigte sich in aller Höflichkeit nach dem Begehr des Gastes.

„Wein!“ sagte dieser.

„Habt Ihr ein Gefäß bei sich Euch?“

„Ein Gefäß? Was! Giebt es für die Gäste hier keine Gläser, he?“

„Für die Gäste, ja. Aber beim Verkaufe über die Straße hat ein Jeder sein Glas mitzubringen.“

„Wer sagt Euch denn, daß ich den Wein mit fortnehmen will? Ich bin Gast und werde ihn hier trinken.“

„Wenn Ihr von meinem Weine trinken wollt, so müßt Ihr ihn allerdings mit fortnehmen, denn hier trinken könnt Ihr ihn nicht. Wer mein Gast sein will, der hat sich so zu betragen, daß ich mich seiner nicht zu schämen brauche.“

„Ah! Und meiner müßt Ihr Euch wohl schämen?“

„Allerdings. In meinem Hause thut man die Beine hübsch unter den Tisch.“

„Und wenn mir dies nicht gefällt?“

„So könnt Ihr gehen, oder ich führe Euch hinaus.“

„Was gilt die Wette: ich lasse die Beine, wo sie sind, und bin Euch doch willkommen!“

„Daran denkt kein Mensch! Ich ersuche Euch, schleunigst abzusegeln!“

„Auch wenn man mich hierher bestellt hat?“

„Wer?“

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„Robert Surcouf.“

„Surcouf? Der? Einen Engländer? Ah, das ist etwas Anderes. Erlaubt, daß ich Euch ein Glas bringe!“

„Nun, wer hat Recht?“ lachte der Fremde. „Jetzt aber sehe ich ein, daß ich an die richtige Adresse gekommen bin, und werde manierlicher sein. Habt keine Sorge, Oncle Carditon, ich bin kein Engländer, sondern ein Kind unserer guten Bretagne; ich war nur gezwungen, mich in dieser Verkleidung durch die Feinde hindurchzuschmuggeln. Ist Surcouf daheim?“

„Er ist da. Welchen Namen soll ich ihm nennen?“

„Bert Ervillard!“

„Ervillard!“ rief der Wirth erfreut. „Wirklich? O, warum sagtest Du das nicht gleich!“

„Weil ich zum Spaße sehen wollte, ob Du wirklich ein so großer Brummbär bist, wie man sagt, Oncle Carditon.“

„Es ist nicht so schlimm; aber ich kann nun einmal die Engländer nicht leiden. Wo hat Dich unser Bote getroffen?“

„In Tropez. Surcouf wußte genau, daß ich dort zu finden war. Hat er etwas gefunden?“

„Ich weiß es nicht. Er ist sehr verschwiegen, was ich nicht tadeln kann.“

„Wie ich ihn kenne, ist er bereits im Klaren. Ich bin erst vor zwei Stunden angekommen und weiß dennoch bereits, was ich thun würde. Da sah ich zum Beispiel eine Brigantine, scharf auf den Kiel gebaut, schmuck wie eine Taube und glatt wie ein Falke; sie hatte zwanzig Stückpforten und schien ganz vor Kurzem vom Stapel gekommen zu sein. Das wäre eine Prise, he!“

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Der Wirth lächelte geheimnißvoll schelmisch.

„Du meinst „the hen“, welche da drüben vor Anker liegt? Ja, ein feines Schiff! „La poule“ würde besser klingen als „the hen“, das ist wahr. Na, wer weiß, was sich ereignen kann! Surcouf sagte, daß ihm nichts zu schwer sei, wenn Du ihm helfen würdest. Ich glaube, daß er Dir den Posten eines Ersten Offiziers zugedacht hat. Komm, ich will Dich zu ihm führen!“

Dieses Gespräch war laut geführt worden, da kein Gast zugegen war. Der Wirth führte Ervillard eine Treppe empor, und als er zurückkehrte, bekam er weitere Arbeit, da ein Trupp Hafenarbeiter Zutritt genommen hatte und seine Dienste in Anspruch nahm. Kurze Zeit später trat ein Mann herein, welcher in stolzer Haltung die vordere Stube durchschritt und in dem hinteren Zimmer verschwand, welches den Aufenthalt der Kapitäns und Steuerleute bildete. Er besaß eine hohe, plumpe, ungeschlachte Gestalt, und sein aufgedunsenes Gesicht hatte jene spirituose Färbung, welche man vorzugsweise an Schnapstrinkern zu beobachten pflegt.

In dem Angesichte des Wirthes zuckte es eigenthümlich, als er, ohne erst auf die Bestellung zu warten, dem neuen Gaste ein großes Glas voll Cognac nachtrug. Er grüßte ehrerbietig, aber ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht doch einen verstohlenen Blick belauscht, der auf eine ganz andere Gesinnung schließen ließ.

„Nun?“ frug der Gast kurz, nachdem er den Inhalt seines Glases auf einmal hinabgegossen hatte.

„Ich habe nachgesehen, Kapitän, und — — —“

„Still!“ gebot ihm der Andere. „Laß Deinen

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Kapitän bei Seite! Es braucht Niemand zu hören, wer ich bin. Also Du hast nachgesehen?“

„Ja.“

„Und — —?“

„Es wird gehen.“

„Das denke ich auch.“

„Nur müssen Sie sich mit genug Arbeitskräften versehen. Die Mauer ist sehr schwer zu durchbrechen, und lange Zeit darf der Vorgang doch nicht in Anspruch nehmen.“

„Das ist richtig. Hast Du Niemand, der helfen kann?“

„Nein. Ich will überhaupt dabei ganz aus dem Spiele bleiben. Ich darf nicht das Geringste wissen, verstehen Sie? Es würde um mich geschehen sein, wenn man ahnte, daß ich im Einverständnisse bin.“

„Das läßt sich denken. Aber woher die Leute nehmen! Diese Bürger Soldaten schießen so sicher, daß ich bereits den dritten Theil meiner Leute eingebüßt habe. Wie viele Personen werden erforderlich sein?“

„Zwanzig ganz sicher.“

„Ah, und ich habe nicht vierzig! Ich brauche überhaupt neue Hände an Deck, und hier ist Niemand zu bekommen. Weißt Du Keinen, der Lust hat, es einmal auf einem Engländer zu versuchen? Ich zahle Dir für Jeden eine Guinee.“

„Hm, vielleicht; aber ein Engländer ist es nicht.“

„Ein Franzose?“

„Ja, doch er hat es sehr eilig, aus dem Lande zu kommen.“

„Das ist mir sehr lieb; solche Leute sind am besten zu brauchen; dazu ist ja die Schiffsordnung vorhanden. Wo ist der Kerl?“

„Hm! Er muß noch hier im Hause sein. Und

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wenn ich nicht irre, hat er auch einige Kameraden, welche sich vielleicht bereden lassen, auch an Bord zu gehen.“

„So schaffe ihn mir einmal herbei, aber schnell; ich habe nicht viel Zeit. Vorher jedoch bringe mir eine ganze Flasche Cognac; denn ein guter Schluck macht solche Leute willfährig.“

Der Wirth brachte das Bestellte und stieg dann abermals die Treppe empor. Dort oben gab es ein kleines, verstecktes Zimmer, an dessen Thüre Oncle Carditon klopfte. Es wurde geöffnet, und zwar von Surcouf, welcher sich mit Ervillard ganz allein in dem Raume befand.

„Was giebt es?“ fragte der Erstere.

„Er ist da,“ antwortete der Wirth.

„Wer? Der Kapitän?“

„Ja,“ antwortete Oncle Carditon. „Er arbeitet uns ganz außerordentlich in die Hände. Er braucht Matrosen und hat mir eine Guinee versprochen für einen Jeden, den ich ihm verschaffe.“

„Ah, Bert Ervillard, was meinst Du dazu? Willst Du Erster Offizier auf „the hen“ werden?“

Die Augen des Gefragten strahlten vor Vergnügen, als er antwortete:

„Robert Surcouf, Du kannst Dich auf mich verlassen. Sage mir, was ich zu thun habe!“

„Es freut mich, daß Du Dein Auge grad so wie ich auf „the hen“ geworfen hast. Sie ist die schmuckste Seglerin, welche ich jemals gesehen habe, und darum soll sie unser werden. Ihr Kommandant ist der Kapitän zur See, William Harton. Er muß große dienstliche Fehler begangen haben, da man ihm nur diese Brigantine anvertraut. Ueberhaupt ist er kein ehrlicher Seemann, sondern

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ein Spitzbube, dem wir auf die Finger klopfen werden. Er weiß, daß Toulon nicht zu halten ist und daß die ganze Flotte in einigen Tagen den Hafen verlassen wird; natürlich sticht auch er in See, will aber vorher erst einen Coup ausführen, welcher an und für sich schändlich ist, uns aber trefflich zu Statten kommt. Das Haus unsers Oncle Carditon stößt nämlich an die Banque orientale, in deren Kellern sich bedeutende Summen vermuthen lassen. Das Eigenthum der Bank steht natürlich unter öffentlichem Schutze; von außen ist demselben nicht beizukommen. Da hat sich nun dieser ehrliche Kapitän an Oncle Carditon gemacht, um ihn vorsichtig auszuforschen. Carditon ist scheinbar auf seine Absichten eingegangen, und so haben Beide beschlossen, von der Taverne aus mit Brechwerkzeugen in die Keller einzudringen. Das soll in der Nacht geschehen, bevor die Flotte den Hafen verläßt. Bei Oncle Carditon darf man natürlich nichts finden; den ihm gehörigen Antheil will der Kapitän in Barcelona deponiren. Was sagst Du dazu, Bert Ervillard?“

„Ich sage, daß dieser William Harton ein großer Schurke und ein noch größerer Dummkopf ist. Es gehört eine ungeheure Albernheit dazu, unsern Oncle Carditon für so albern zu halten, auf ein solches Geschäft einzugehen.“

„Das ist richtig. Ich glaube, dieser Kapitän hat einen großen Theil seines Verstandes vertrunken. Die Sache ist jedoch sehr vortheilhaft für uns. Um die Mauern zu bewältigen, braucht er eine ziemliche Anzahl kräftiger Arme; er wird dazu seine eigenen Leute nehmen und also die Brigantine von Männern entblößen; ist dies geschehen, so werden wir handeln.“

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„Sind wir zahlreich genug?“

„Habe keine Sorge! Ich habe eine Anzahl braver Bursche, welche sich zwar zerstreut in der Stadt befinden, aber in einer Viertelstunde zur Stelle sind, wenn ich sie brauche. Jetzt nun sagt uns Oncle Carditon, daß der Engländer Matrosen brauche. Willst Du Dich melden, Bert Ervillard? Wenn Du mit einigen von meinen Jungens an Deck der Brigantine kommen könntest, so wäre das Unternehmen schon zur Hälfte gelungen.“

„Ich bin bereit dazu.“

„So hast Du keine Zeit zu verlieren. Als Engländer darfst Du ihm natürlich nicht kommen. Sage ihm, daß Du einige Bekannte in der Nähe hast, welche auch gern einige Meilen Wasser zwischen sich und Frankreich bringen möchten. Am besten würde es sein, wenn er euch für Landratten hält; er kann dann weniger leicht Mißtrauen schöpfen. Laß Dir von Oncle Carditon ein anderes Habit geben, und komme dann wieder herauf!“ —

Während sich dies in der Taverne begab, rollte der Donner des Bombardement über die Stadt und die Rhede hin; er schwieg selbst während der Nacht nicht still, und am andern Morgen rüsteten sich die Truppen des Convents zum Sturme. Es war noch dunkel, als Dugommier und Napoleon ihre Colonnen gegen die Werke von Kleingibraltar führten. Das Tirailleurfeuer und die Kartätschen der Engländer wütheten in der Weise unter den Franzosen, daß Dugommier, der sonst so Unerschrockene, sich mit den Worten „Wir sind verloren!“ zurückzog. Napoleon hatte sich aber im fürchterlichsten Kugelregen einen Weg in die feindlichen Redouten gebahnt, und bald befand sich Kleingibraltar in seinen Händen. Dann erstürmte er die beiden

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Forts Balagnier und Eguillette, und es erschienen die Deputirten des Convents, um ihm ihren Dank auszusprechen. Er hatte heute die erste große Stufe zum Consulate und zum Kaiserthrone erstiegen.

Admiral Hood zog sich zurück. Zunächst lichteten die größeren Schiffe die Anker; dann sollten die kleineren folgen. Die Rheden und das Meer waren von Schaluppen und Fahrzeugen bedeckt, welche sich mit Truppen und fliehenden Einwohnern an Bord des Geschwaders begaben. Unterdessen dauerte die Kanonade ununterbrochen fort, welche gegen die übrigen Befestigungswerke gerichtet war. Die Erde zitterte unter dem Donner der Geschütze; die See schäumte unter den peitschenden Schlägen von tausend Rudern, und die Luft zischte hinter den zahllosen Geschossen, welche sie nach allen Richtungen durchkreuzten. In der Stadt herrschte eine fieberhafte Aufregung. Man war auf den Gassen und Straßen derselben seines Lebens nicht sicher. Wer den Convent zu fürchten hatte, der floh, und wer zurückblieb, der verbarrikadirte sich in seinem Hause aus Furcht vor den Marodeurs, welche in größeren oder kleineren Trupps ihr räuberisches Handwerk trieben.

Diejenigen Schiffe, welche noch in dem innern Hafen lagen, mußten an den Befestigungen vorüber, welche sich jetzt in den Händen der Conventtruppen befanden. Mehrere von ihnen wurden von den Artilleristen Napoleons in den Grund gebohrt; darum blieben die übrigen zurück, um den Schutz der Nacht zu erwarten, wo sie meinten, mit größerer Sicherheit auslaufen zu können. Zu ihnen gehörte auch die Brigantine „the hen“.

Als der Abend hereingebrochen war, stellte sich der

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Kapitän Harton bei Oncle Carditon ein. Es befand sich kein einziger Gast in der Taverne, denn es gab Niemand, der Zeit und Lust gehabt hätte, in dieser Zeit der Not die Seinen zu verlassen, um nach alter Gewohnheit beim Glase zu sitzen.

„Wie steht es; ist Alles sicher?“ frug er den Wirth.

„Alles,“ antwortete dieser.

„Und drüben in der Bank?“

„Man hat Wächter in die oberen Räume gestellt, nach unten aber können diese nicht. Uebrigens ist die Kanonade so stark, daß kein Lauscher Ihre Arbeit vernehmen kann. Haben Sie genug Leute mit?“

„Ja. Oeffnen Sie Ihren Keller; sie werden gleich kommen. Im Weiteren aber werden Sie sich nicht um uns bekümmern!“

„Hier ist der Schlüssel. Und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es nicht bin, der Sie belästigen wird. Aber sagen Sie vorher eins: haben Sie die versprochenen Männer an Deck bekommen?“

„Ja. Es sind Elf, zwar lauter junge, unbefahrene Leute, die nur deshalb zu Schiffe gehen, weil ihnen hier der Boden unter den Sohlen brennt; aber ich bin doch froh, sie bekommen zu haben. Andere sind weniger glücklich wie ich, und die neunschwänzige Katze ist der beste Lehrmeister, den es giebt.“

„Sie verwenden sie doch nicht zu dem jetzigen Unternehmen?“

„Fällt mir gar nicht ein! Sie sind mir nicht sicher genug; auf meine Theerjacken aber kann ich mich verlassen.“

Er nahm den Schlüssel und ging hinaus. Der Wirth nickte befriedigt vor sich hin und brummte:

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„Wirst Dich wundern, alter Spitzbube! Wie gut, daß er den Bert Ervillard an Bord gelassen hat; dieser wird mit den zehn Kameraden schon dafür sorgen, daß „the hen“ in die rechten Hände kommt.“

Nach einiger Zeit vernahm er draußen das Geräusch zahlreicher Schritte, und wenige Minuten später trat Robert Surcouf ein.

„Gefangen!“ lachte er. „Jetzt, Oncle Carditon, gieb uns noch einen guten Schluck; dann brechen wir auf.“

„Stecken sie fest?“

„Fest! Wir haben so viele Tonnen auf die Thür gewälzt, daß sie diese vom Keller aus gar nicht zu öffnen vermögen. Auch habe ich dafür gesorgt, daß sie von der Bank aus gut empfangen werden. Es sind über zwanzig Männer; „the hen“ ist also entblößt, und so zweifle ich nicht, daß unser Streich gelingen wird.“

„Ihr werdet sofort in See stechen?“

„Nein. Robert Surcouf ist kein Einbrecher, der nur im Dunkel der Nacht sein Wesen treibt. Ich werde am hellen Tage und mit offener, französischer Flagge den Hafen verlassen.“

„Das würde keine Kühnheit mehr, sondern Wahnsinn sein!“

„Desto sicherer wird es gelingen. Habe Dank für Deine Hilfe, mein guter Oncle Carditon. Du wirst von mir und den Meinigen bald hören!“

Draußen im Flure standen gegen dreißig Männer, welche sich am Tage über in den obern Räumen des Hauses versammelt hatten. Sie tranken auf das Gelingen ihres Vorhabens und verabschiedeten sich dann vom Wirthe. Mit Surcouf an der Spitze begaben sie sich an das Wasser,

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wo sie die Boote fanden, auf denen Kapitän Harton mit seinen Leuten angekommen war. Sie bestiegen dieselben und ruderten auf „the hen“ zu. Sie hatten die Brigante noch nicht ganz erreicht, so hörten sie, daß an Bord derselben Jemand ein Liedchen pfiff.

„Das ist das Zeichen,“ flüsterte Surcouf. „Die Unsrigen haben ihre Schuldigkeit gethan und sich in den Besitz des Fahrzeuges gesetzt.“

„Ahoi, Brigantine!“ rief er jetzt.

Da bog sich ein Kopf über die Regeling des Schiffes herab, und die Stimme Bert Ervillards frug:

„Boote ahoi! Welche Männer sind es?“

„Die richtigen!“ antwortete Surcouf.

„Grâce à Dieu! Laßt die Treppe herab, Jungens! Der Kapitän kommt.“

Die Ankommenden stiegen an Bord und zogen dann die Boote nach. Bert Ervillard hatte die Besatzung des Schiffes hinunter in den Kielraum gelockt und dort eingeschlossen. Die Brigantine befand sich in der Gewalt Surcoufs, und eine nähere Untersuchung ergab, daß ihre Ausrüstung bis auf das Allerkleinste eine ganz vorzügliche war. Der schwierigste Theil der Aufgabe freilich war noch zu lösen: es galt, das so leicht eroberte Fahrzeug nun auch zu behaupten.

Während der Nacht versuchten mehrere Schiffe, an den Batterien der Franzosen unbemerkt vorüberzukommen, aber die Kanoniere waren aufmerksam und ließen sich nicht täuschen. Surcouf blieb ruhig vor Anker liegen und verwendete auch den ganzen Vor- und Nachmittag nur darauf, die Brigantine für seine Zwecke einzurichten und ihr den möglichst hohen Grad Seetüchtigkeit zu geben. Durch

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einen Boten, den er in die Taverne sandte, erfuhr er, daß die Engländer noch immer als Gefangene im Keller steckten und auch nicht eher hervorkommen dürften, als bis „the hen“ in See gegangen sei.

Endlich am späten Nachmittag gab das Admiralsschiff den noch in den Häfen befindlichen Fahrzeugen das Zeichen, schleunigst die See zu suchen, und zu gleicher Zeit sah man die Besatzung von dreizehn französischen Orlogschiffen, welche sich an dem Aufstande gegen den Convent betheiligt hatten, ihre Fahrzeuge verlassen, um sich an Bord der Engländer zu begeben.

Bei diesem Anblick ballte Surcouf die Faust.

„Treulose Feiglinge!“ sagte er zu Bert Ervillard, seinem Lieutenant. „Wir wagen das Leben, um dem Feinde eine kleine Brigantine abzunehmen, und sie lassen neun Linienschiffe und vier Fregatten im Stiche, eine ganze Flotte, mit welcher ich diese Engländer um die Erde jagen würde!“

„Sie verdienen an die große Raa gehängt zu werden!“ antwortete Ervillard. „Aber ein Trost ist es, daß ihre Schiffe der Nation verbleiben werden, denn der Convent wird sie schleunigst in Besitz nehmen.“

„Meinst Du wirklich? Ich sage Dir, daß auf jedem dieser Schiffe bereits die Lunte brennt; in kurzer Zeit wirst Du dreizehn riesige Flammen leuchten sehen.“

„Ist es nicht möglich, wenigstens eines davon zu retten und in Besitz zu nehmen?“

Surcouf schüttelte den Kopf.

„Ich thue es nicht. Der Convent hat mich abgewiesen; ich habe kein Recht, mich eines seiner Schiffe zu bemächtigen, und also auch keine Verpflichtung, ihm eines

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derselben zu retten. Uebrigens sind wir zu wenig Mannen, mit einem Orlogschiff zu manövriren; unsere kleine Brigantine entspricht meinen Zwecken viel besser, und ich halte es für gerathener, dem Feinde ein Fahrzeug vor der Nase wegzunehmen, als den Retter zu spielen, wenn ich weiß, daß ich statt des Lohnes nur Undank ernte. Ich habe diesem Colonel Bonaparte gesagt, daß Frankreichs Flagge sich senken werde; er hat mich ausgelacht; aber bereits heute beginnt die Trauer unserer Marine, denn das Meer wird dreizehn ihrer besten Schiffe im Werthe von vielen Millionen verschlingen. Vielleicht denkt der Colonel, wenn er die Flammen lodern sieht, an mich, obgleich er mich so schnell vergessen wollte.“

Er wandte sich ab, um vor Anbruch der Nacht noch einmal alle Räume und die ganze Ausrüstung des Schiffes durchzumustern, denn es galt, des Fahrzeuges selbst in den kleinsten Einzelheiten mächtig zu sein.

Der Abend neigte sich auf die unglückliche Stadt, und kaum hatte sein Dunkel die Umrisse der Plätze und Straßen umhüllt, so ertönte ein Donnerschlag, welcher Erde und Wogen erbeben machte: das Hauptmagazin war explodirt und in die Luft geflogen, und zu gleicher Zeit stiegen aus dem Zeughause fünf mächtige Flammensäulen zum Himmel empor. Kaum war dies geschehen, so liefen an den Masten der dreizehn französischen Kriegsschiffe züngelnde Feuerschlangen empor.

Die ganze Stadt und die Häfen wurden von diesen gewaltigen Feuern tageshell erleuchtet. Alles, was Ruder und Segel besaß, flüchtete hinaus auf die offene See, und nur die Brigantine blieb ruhig liegen. Sie war von den eroberten Forts aus ganz gut zu erkennen; man konnte

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von diesen Punkten aus sogar die Bemannung erkennen, welche sich auf den Raaen und im Takelwerke befand, um den Anblick des feurigen Panoramas besser genießen zu können. Das Verhalten dieses Fahrzeuges mußte natürlich auffallen; man konnte sich keinen Grund denken, weshalb sich dieser Engländer nicht auch in Sicherheit brachte, und behielt ihn scharf und mißtrauisch im Auge, bis nach einigen Stunden die Flammen erloschen und die Dunkelheit sich wieder über Land und See ausbreitete.

Bereits mit Tagesanbruch stand Napoleon in einer der den Hafen beherrschenden Batterien. Er hatte während der Nacht nicht geschlafen, desgleichen auch General Dugommier, welcher an seiner Seite sich befand. Sie hatten die Fernrohre an den Augen und beobachteten das Fort La Malgue, welches ihnen noch Sorgen bereitete. Es schien verlassen zu sein, aber man konnte annehmen, daß es vorher unterminirt worden sei. Bei dieser Gelegenheit richtete Napoleon sein Glas auch auf die Brigantine, welche sich soeben aus dem aufsteigenden Nebel abzuzeichnen begann.

„Was ist das!“ rief er. „Bürger General, welcher Name hat gestern am Buge dieser Brigantine gestanden, welche uns soviel zu denken giebt?“

„The hen,“ antwortete der Gefragte.

„Man hat während der Nacht diesen Namen überstrichen und geändert. Das Wort ist ganz deutlich durch das Rohr zu erkennen.“

Der General richtete sein Glas, las und schüttelte den Kopf.

„Unbegreiflich!“ meinte er. „Da steht geschrieben

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„le faucon“; es ist aus der englischen „Henne“ ein französischer „Falke“ geworden. Was hat dies zu bedeuten?“

„Nichts anderes, als eine List, ein Verrath gegen uns.“

„Pah, dieses kleine Fahrzeug kann uns nichts thun! Ah, jetzt hißt es die Segel. Mille tonnerre, die Wimpel haben französische Farbe! Man hebt den Anker; die Morgenluft bläht die Leinwand; die Brigantine will in See stechen!“

„Das will ich ihr verbieten!“ meinte Napoleon.

Er trat an eine der Kanonen, deren Lauf er eigenhändig richtete; dann lächelte er, seiner Sache gewiß:

„Sie muß in Schußlinie vorüber. Man wird sehen, ob der Bürger Bonaparte noch zu schießen vermag.“

Der General gab mit der Hand ein verneinendes Zeichen.

„Der Mann da auf dem Hinterdecke kommt mir nicht wie ein Engländer vor. Ich bin kein Seemann, aber das sehe ich, daß sich das Schiff in ausgezeichneten Händen befindet; es gehorcht wie ein Vollblutpferd dem leisesten Steuerdrucke. Uebrigens beobachtet uns der Kapitän ebenso durch das Rohr, wie wir ihn.“

Bonaparte nahm sein Glas abermals vor und blickte hindurch; dann zog er es rasch vom Auge, wischte es ab und schaute noch einmal nach dem Befehlshaber der Brigantine. Dieser hatte ihn durch das Rohr erkannt, schwang sich in den Wanten empor und schwenkte grüßend seine Mütze.

„Er salutirt zu uns herauf,“ meinte der General. „Er muß einen von uns Beiden kennen.“

„Ich bin es, den er kennt,“ antwortete Bonaparte.

„Ah! Wer ist es?“

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„Bürger General, das ist eine Geschichte, welche ich erzählen werde, wenn mir mehr Muße dazu bleibt. Dieser junge Mensch wollte von dem Convente ein Schiff haben; man hat es ihm verweigert, und nun hat er sich selbst eins genommen, und zwar mitten aus der englischen Flotte heraus.“

„Außerordentlich, ganz außerordentlich! Wie hat er dies angefangen?“

„Mir unbegreiflich!“

„Wir werden es erfahren. Er hat jedenfalls die Bemannung zu überwältigen gewußt. Ein kühner Bursche! Leider aber wird er seinem Verderben entgegengehen. Draußen liegen die englischen Schiffe: sie werden ihn zusammenschießen.“

„Leider! Hätte er den Namen des Schiffes nicht so augenfällig verändert, so wäre es ihm möglich, hindurch zu kommen.“

Jetzt kam die Brigantine in das Bereich der Batterie. Mit einem lauten Commandorufe brachte Surcouf seine Leute hinauf auf die Raaen, wo sie, sich die Hände reichend, Parade bildeten. Zu gleicher Zeit flog die französische Flagge empor, und aus den Stückpforten krachte die gebräuchliche Zahl der Begrüßungsschüsse. Dies Alles geschah mit einer solchen Gewandtheit und zierlichen Genauigkeit, daß selbst der sonst so kalte Bonaparte hingerissen wurde. Er kommandirte Feuer und gab mit geladenen Kanonen Antwort auf den Gruß des Mannes, den zu vergessen er sich vorgenommen hatte. Natürlich waren die Kugeln jetzt nicht gezielt; sie flogen weit an der Brigantine vorüber, welche mit graziöser Schwenkung dem Bereiche der Batterie entsegelte.

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Kaum war sie vorüber, so wurde ein Mann am Bug herabgelassen, der sich mit der Inschrift zu schaffen machte. Jetzt sahen die beiden in der Redoute befindlichen Offiziere, daß der ursprüngliche Name nicht vertilgt, sondern nur mit einem Papier überklebt worden war, auf welchem die beiden Worte „le faucon“ standen. Diese Worte wurden jetzt entfernt, und nun kam wieder der frühere Name „the hen“ zum Vorschein.

„Ah diable, er hat uns betrogen!“ rief General Dugommier. „Die ganze Scene war nur Komödie, um unangefochten an der Batterie vorüber zu kommen. Man hat ihm kein Schiff gegeben, und nun ist er zu dem Feinde übergegangen.“

„Das glaube ich nicht,“ antwortete Napoleon. „Dieser Surcouf ist keines Verrates an seiner Nation fähig, denn er ist eigenthümlicher Weise ein frommer Christ und guter Katholik. Diese Art von Leuten hat neben anderen Eigenschaften auch die, daß man auf sie rechnen kann. Ich glaube eher, daß er beabsichtigt, die Engländer zu düpiren.“

„Das werden wir sehen, sobald er in den Bereich ihrer Kanonen kommt.“

Die Brigantine flog mit vollen Segeln und zierlich sich zur Seite neigend über die Rhede dahin. Draußen kreuzten die Dreimaster der Engländer; man konnte mit dem bloßen Auge jedes einzelne Schiff erkennen. Am deutlichsten war das Flaggenschiff zu unterscheiden, auf welchem sich Admiral Hood in eigener Person befand. Die Brigantine hielt grad auf dasselbe zu; sie wurde noch immer von den Fernrohren der beiden Offiziere verfolgt.

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„Er segelt das Signalschiff an; er ist wirklich ein Abtrünniger,“ sagte General Dugommier.

„Wir wollen noch warten,“ meinte Napoleon. „Diese Episode ist wirklich hochinteressant!“

„Könnte er sich in die Nähe des Flaggenschiffes wagen, wenn er den Engländern wirklich entkommen will?“

„Das scheinbar Schwierigste ist zuweilen just das Leichteste. Ah, was ist das?“

„Die Leute, welche wieder durch die Luken heraufsteigen?“

„Ja. Sie gingen vor zwei Minuten hinab; jetzt, da sie zurückkehren, tragen sie die Uniform englischer Seeleute. Mir ahnt, was dieser verteufelte Surcouf beabsichtigt. Wenn meine Vermuthung in Erfüllung geht, so ist dieser junge Bretagner allerdings ein Mann, dem man ein Schiff hätte anvertrauen sollen!“

Die Wangen des kleinen Corsen rötheten sich; die Brigantine nahm jetzt sein regstes Interesse in Anspruch. Er dachte nicht an Toulon, an die gewaltigen Werke, welche vor ihm lagen, sondern er sah nur das kleine Fahrzeug, welches keck und kühn den stolzen Linienschiffen Englands in die Zähne segelte.

„Der Mensch wird doch nicht so verrückt sein, zu glauben, daß er an diesem Punkte die Linie durchbrechen kann!“ hob der General wieder an. „Er müßte sich weiter nach Ost halten, um dem Feinde den Wind abzugewinnen.“

„Wer weiß, welcher Berechnung er folgt! Vielleicht hat er trotz der kurzen Zeit „the hen“ genau genug kennen gelernt, um zu wissen, was er mit ihr wagen kann. Voilà, da dreht das Flaggenschiff bei! Er hat das Zeichen gegeben, daß er mit dem Admirale reden will.“

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Jetzt kam ein Augenblick der größten Spannung. Das Flaggenschiff hatte beigedreht, indem es den einen Theil seiner Segel voll im Winde ließ, den andern aber so braßte, daß der Wind von außen empfangen wurde. Nun hätte man erwarten sollen, daß die Brigantine ihre Segel fallen ließe, statt dessen aber setzte Surcouf ein Sternsegel nahe am Winde bei und ließ den Helmstock des Steuerruders an der Leeseite festbinden. Dadurch wurde der Vordertheil des Schiffes der hohen See zugekehrt, und die beiden Fahrzeuge trieben einander langsam entgegen.

Napoleon sah durch das Rohr Surcouf auf dem Hinterdecke stehen, in englischer Uniform und das Sprachrohr in der Hand, aber in einer solchen Haltung, daß man vom Flaggenschiff aus sein Gesicht noch nicht zu sehen vermochte. Kaum noch fünf oder sechs ihrer eigenen Längen war die Brigantine von dem Dreimaster entfernt, da winkte Surcouf mit dem Rohre. Sofort riß der Mann am Steuer das Tau vom Ruder, und das Sternsegel wurde gerefft: „the hen“ nahm frischen Wind und kam wieder in schnelle Fahrt. Statt anzuhalten, strich sie mit ziemlicher Schnelligkeit an dem Dreimaster vorüber. Napoleon sah, daß Surcouf abermals den Arm erhob. In diesem Augenblick legte sich die Brigantine schwer zur Seite und die französische Flagge flog empor. Zunächst erblickten die beiden Offiziere einen lichten Rauch, welcher der Breitseite des kleinen Fahrzeuges entquoll; dann sahen sie das große, stolze Flaggenschiff bis an die Spitze seiner Masten erzittern, und einige Augenblicke später hörten sie den Donner der Kanonen, mit denen der kühne Bretagner das Orlogschiff begrüßt hatte.

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Eine Minute nachher faßte die Brigantine vollen Wind, und ehe man auf dem Linienschiffe sich von seinem Erstaunen erholt hatte, war sie bereits aus sicherer Schußweite gekommen. Man sah, welche Verwirrung dieses außergewöhnliche Intermezzo auf dem Admiralsschiffe hervorrief; es wendete und jagte dem Flüchtling eine Breitseite nach, aber ohne zu treffen; dann flogen Signale an den Leinen empor, welche von den anderen Schiffen beantwortet wurden, und bald befanden sich alle verfügbaren Fahrzeuge auf der Jagd nach dem verwegenen Zwerge, welcher es gewagt hatte, den Riesen zu täuschen und mit ihm anzubinden.

„Ah, excellent, excellentissime!“ rief General Dugommier, indem er tief aufathmete. „Dieser Mensch ist wirklich ein kleiner Teufel, der alles Lob verdient.“

„Lob?“ erwiderte Bonaparte. „Bürger General, was dieser Robert Surcouf geleistet hat, ist über alles Lob erhaben; ich, Napoleon Bonaparte, sage, daß er eine Schlacht gewonnen hat. Ich wünsche von Herzen, daß er entkommt. Stände ich an der Spitze der Marineangelegenheiten, so würde ich ihn zurückrufen, um ihm eine Flotte anzuvertrauen. Ich habe mich in diesem Genie getäuscht!“ —

Drei Tage später trat ein korsischer Fischer aus Calvi bei ihm ein. Dieser hatte die Brigantine „le faucon“ getroffen und von dem Befehlshaber derselben einen Brief erhalten, um ihn bei Napoleon abzugeben. Derselbe lautete:

„An den Bürger Colonel Bonaparte. Ich habe mein Wort gehalten und mir ein Schiff genommen. Wenn Gott mich beschützt, so daß ich unbeschädigt an Gibraltar

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vorüberkomme, wird man bald Weiteres von meinen Träumen hören. Robert Surcouf.“

Napoleon Bonaparte faltete das Papier langsam und nachdenklich zusammen. Und doch ahnte er nicht, daß er einen der größten Fehler seines Lebens begangen hatte, als er diesem Manne seine Protection verweigerte. — —

III.

Seit den letzterzählten Ereignissen waren sieben Jahre vergangen. Napoleon hatte in Italien seine Adler steigen lassen, in Aegypten seine Siege erfochten und war erster Consul geworden. Der kleine Corse regierte mit Cambacérès und Lebrun das Land, war aber in Wirklichkeit der einzige Regent Frankreichs.

Die Prophezeihung Prophezeiung Robert Surcoufs hatte sich erfüllt. Die Nation war von inneren Kämpfen zerrissen und von äußeren Kriegen geschwächt worden; zu Lande war ihr der Sieg treu geblieben, zur See aber hatte sie sich stets schwach gezeigt. Napoleon war ein großer Feldherr, aber ein schlechter Admiral; es fehlte an einem Geiste, welcher berufen gewesen wäre, ein Bonaparte zur See zu sein.

Die Marine war Frankreichs schwächste Seite, und darum war England der gefürchtetste Gegner desselben. Der eines großen Geistes würdige Plan Napoleons, England in Aegypten und Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit des Admirals Brueys gescheitert, welcher sich

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trotz seiner Uebermacht von Nelson bei Abukir schlagen ließ. Das stolze Albion beherrschte alle Meere; sein Krämersinn übte auf die Schifffahrt aller Nationen einen Druck, der sich kaum ertragen ließ. England schrieb Gesetze vor und änderte dieselben nach Belieben; es trachtete nach dem Monopole des Handels, nach der Beherrschung des Weltverkehres und erzwang sich auf diesem Wege des Druckes und der Pressung ungeheure Summen, mit denen es wieder im Stande war, sich die Kabinete zu erkaufen und die Regierungen also von sich abhängig zu machen.

England schien unverwundbar zu sein. Es besaß neben Nelson Hunderte von Seemännern, denen Frankreich nicht einen Einzigen entgegenstellen konnte; es lachte der Anstrengungen seiner Feinde; es erlaubte sich die brutalsten Eingriffe in das Völkerrecht; es konnte dies ungestraft thun; es konnte die aufrichtig gemeinten Friedensanerbietungen des ersten Consuls mit verächtlichem Schweigen oder mit beleidigenden Floskeln beantworten, denn der einzige Franzose, den es fürchtete, wirklich fürchtete, schwamm in einem kleinen, unansehnlichen Fahrzeuge auf fernen Meeren und hatte sich selbst aus seiner Heimat verbannt, weil er von derselben verstoßen worden war und da draußen in der Fremde Menschen gefunden hatte, die ihn liebten und verehrten, die ohne seinen Schutz nicht leben konnten und ohne seine Hülfe elend umgekommen wären. Und dieser Einzige war kein Anderer als Robert Surcouf, der kühne Sohn der Bretagne. —

Es war an einem lichten Sommertage. Die Sonne Indiens neigte sich dem Untergange entgegen, so daß die Schatten der Masten riesenhaft über die Wogen fielen. Während des Tages hatte die glühende Hitze nicht einen

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erfrischenden Windhauch aufkommen lassen, jetzt aber erhob sich ein leises Lüftchen, welches von Viertelstunde zu Viertelstunde immer stärker wurde und im Hafen von Pondischery die warmen Fluthen zu kräuseln begann.

Pondischery, ursprünglich eine französische Colonie, war den Franzosen 1793 von den Briten abgenommen und dem Nabob von Karnatik übergeben worden. Man hatte die Festungswerke geschleift und auch in übriger Beziehung alle französischen Erinnerungen zu verlöschen gesucht. Gerade jetzt lag der Hafen voller Schiffe; der in dieser Jahreszeit herrschende Südwestmonsun hatte sie herbeigeführt und bot ihnen treffliche Gelegenheit, ihren Weg nach Osten weiter fortzusetzen. Es waren Fahrzeuge aller Nationen vorhanden, nur kein französisches; denn den Schiffen dieser Nationalität erschwerte man durch allerlei Schikanen die Einfahrt, und ein Kriegsschiff derselben brauchte den Versuch, hier die Anker zu werfen, gar nicht zu machen.

Etwas weiter vom Lande entfernt, als die anderen Schiffe, lag eine kleine Brigg mit Schoonertakellage. Es war ein Yankee, welcher die Aufmerksamkeit der anwesenden Kapitäns nicht wenig in Anspruch nahm. Die Brigg hatte die neue amerikanische Bauart; Bauart: scharfes, bis an die Gallion verlängertes Vordertheil, schmale Brust und ungewöhnlich schlanken Körper. Sie zeichnete sich jedenfalls durch ihre feinen Wasserlinien und eine Schnelligkeit aus, welche man recht gut auf sechzehn bis siebzehn Seemeilen für die Stunde annehmen konnte. Diese Brigg war gewiß ein ausgezeichneter Küstenfahrer; aber es gehörte ein kühner, trefflicher Seemann dazu, sich mit einem so leicht dem Kentern ausgesetzten Fahrzeuge über den großen Ocean

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zu wagen. Und dieser Seemann war noch so jung; er konnte kaum dreißig Jahre zählen. Er hatte Wein und Spirituosen geladen, welche er gegen Opium und Indigo umzutauschen beabsichtigte; er hatte aber seine Ladung noch keinem angeboten.

Ganz in der Nähe dieser Brigg lag ein Engländer, ein großes, dreimastiges Kauffahrteischiff. Es hatte hier ausgezeichnete Geschäfte gemacht und wollte morgen den Anker lichten; für heut’ Abend aber gab der Kapitän seinen Handelsfreunden ein Abschiedsfest, zu welchem auch die Kapitäns der nahe liegenden Schiffe geladen waren.

Als der Abend hereingebrochen war, ließ der Engländer einige Raketen steigen, worauf die Geladenen von ihren Schiffen stießen, um bei ihm an Deck zu kommen. Auch der Amerikaner stellte sich ein. Vom Lande kamen die Gäste herbeigerudert und brachten ihre Frauen und Töchter mit. Eine Musikkapelle war schon an Bord. Nach kurzer Zeit klangen die lustigen Weisen derselben über die Wogen dahin. Das Vorderdeck war zum Tanzen geräumt, und im Hintertheile stand die lange Speisetafel nebst den Buffets, an denen man sich nach Belieben erfrischen konnte.

Am muntersten ging es während der Tafel zu. Toast verdrängte Toast; die Herren waren bereits ein wenig angeheitert und ließen sich nach Seemannsart mehr gehen, als es eigentlich die Anwesenheit der Frauen gestattet hätte. Natürlich wurden allerlei merkwürdige Seegeschichten erzählt; ein Jeder hatte etwas Ungewöhnliches erlebt, und es kam manche Münchhauseniade zum Vorscheine, über welche herzlich gelacht wurde. Aber man erzählte auch Ernsthaftes, z. B. von berühmten Kaperschiffen. Bei diesem

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Thema schlug einer der Kapitäns mit der Faust auf den Tisch und sagte:

„Geht mir mit Euren Kapers und Privateers! Sie alle sind doch nichts gegen den „Falken am Aequator“. Wer unter Euch hat ihn gesehen?“

Keiner antwortete, und der Sprecher fuhr fort:

„So bin ich es allein, der ihm begegnet ist.“

„Begegnet? Wirklich?“ rief es rundum. „Still! Ruhig! Erzählt, Kapitän! Wie sah er aus? Was that er? Welches Schiff hatte er?“

„Das war vor zwei Jahren, unter fünf Grad nördlicher Breite und ungefähr auf der Länge von Adaman. Wir hatten einen Sturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe, und das will viel sagen. Der Tag war finster wie die Nacht; der Orkan schien aus allen Richtungen auf uns einzufahren; der Himmel hing bis auf das Wasser nieder, und die Wogen stiegen bis in die Wolken empor. Da plötzlich sahen wir beim Scheine der Blitze ein fremdes Fahrzeug, dessen Schnabel gerad gegen unseren Bug gerichtet war. Seine Segel glänzten weiß wie das Federfell eines Schwanes, und — glaubt’s oder glaubt’s nicht— der Halunke hatte kein einziges Reff gelegt; er fuhr mit voller Leinwand auf uns ein. Es war ein zweimastiges Fahrzeug, ungefähr so was man eine Brigantine nennt. Natürlich hatte ich Angst vor dem Zusammenprall und befahl dem Manne am Steuer, einen Strich abzufallen. Da schoß der Fremde an uns vorüber, so nahe, daß ich ihn mit der Hand greifen konnte. Ich nahm das Sprachrohr an den Mund und rief ihn an: „„Schiff ahoi! Welches Fahrzeug?““ Ich sah keine Menschenseele auf dem Deck; ein einziger Mann hing in den Backbordwanten. Dieser

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brauchte kein Rohr; er legte die eine Hand an den Mund und rief herüber, als ob das Brüllen des Sturmes nur ein leises Säuseln sei: „„Der Falke des Aequators, Kapitän Surcouf. Gebt ihm Eins! Feuer!““ — Da erst sehe ich drüben die französische Flagge und unter ihr die blutrothe wehen; es thun sich sechs Geschützpforten auf, und wir bekommen die Kugeln in den Rumpf, während der Franzose im Dunkel des Wetters verschwindet. Na, wir haben die Löcher verstopft und weiter keinen großen Schaden gehabt; aber wenn der Kerl bei solchem Sturme den Spaß nicht lassen kann, wie mag es dann erst gehen, wenn er bei sicherer See einmal Ernst macht!“

„Ja,“ meinte einer der Zuhörer, „er soll ein entsetzlicher Kerl sein. Admiral Seymur sagte von ihm: „„Er hat eine jährliche Rente von 365 gekaperten Schiffen,““ und das ist genug gesagt. Er segelt mit seinem Zweimaster die größten Schiffe an und soll selbst ein Orlogschiff ersten Ranges nicht fürchten.“

„Oho!“ rief der Kapitän, welcher den Wirth machte. „Mir sollte er nicht kommen; ich würde ihn schlimm heimschicken, so wahr ich James Sarald heiße!“

„Sprecht nicht zu viel, Kapitän!“ warnte Einer. „Kennt Ihr die Angriffsweise dieses Robert Surcouf?“

„Nun?“

„Er ist kein Seeräuber; er zeigt Euch ganz ehrlich seine Flagge und kommt an Euch heran, ohne einen Schuß zu thun. Bord an Bord aber, springt er mit zwanzig Mann zu Euch an Deck. Wehrt Ihr Euch, so braucht er seine Waffen; ergebt Ihr Euch aber, so geschieht Euch kein Leid. Er führt Euer Schiff nach dem Hafen der nächsten französischen Colonie, wo es im Namen Frankreichs mit Beschlag -

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Beschlag belegt wird. Ihr erhaltet richtige Bescheinigung und Reisegeld, um nach Hause zu kommen.“

„Weiter nichts? Mit zwanzig Mann? Pah!“

„Lacht ja nicht, Kapitän Sarald!“ rief ein Anderer. „In der Nähe des Ambra-Vorgebirges hat er mit zwanzig Mann den „Bananian“ geentert, ein Schiff der ostindischen Compagnie mit 26 Kanonen schwersten Kalibers und über 200 Mann Besatzung, alle gut bewaffnet.) Ich mag ihm nicht begegnen!“

„Und ich wünsche nun gerade, ihm zu begegnen!“ behauptete Sarald.

„Sprecht diesen Wunsch nicht aus, denn er könnte in Erfüllung gehen!“ meinte sehr ernst der Amerikaner, welcher bisher schweigend zugehört hatte. „Es soll mit Surcouf nicht zu scherzen sein.“

„Oh, Ihr mögt Euch vor ihm fürchten, Ihr mit Eurer Nußschale,“ antwortete Sarald; „ich aber würde ihm nur mit der neunschwänzigen Katze antworten.“

Der Yankee lächelte, indem er kopfschüttelnd bemerkte:

„Darauf könnte sehr leicht eine Gegenantwort erfolgen, die noch schlimmer als die Katze wirkt. Was aber meine „Nußschale“ betrifft, so dürfte sich dieselbe mehr Respekt erwerben, als Euer Dreimaster.“

„Oho! Soll das eine Beleidigung sein?“

„Ich bin Euer Gast und pflege einen Gastfreund zu ehren, aber nicht zu beleidigen. Um Euch jedoch zu beweisen, daß ich auf meine Nußschale stolz sein kann, will

) Diese That ist geschichtlich wahr, so unglaublich sie auch klingen mag.
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ich Euch einmal ein Maneuvre von ihr zeigen, welches mir nicht leicht Einer nachmachen soll.“

„Was wäre das?“

„Paßt auf!“

Er trat an die Regeling, legte die Hand an den Mund und rief nach Lee hinüber, wo in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Faden seine Brigg lag:

„Ahoi, Ervillard!“

„Ahoi!“ antwortete es durch ein Sprachrohr von drüben herüber.

„Anker auf!“

„Aye, Sir!“

„Bei allen Stürmen,“ meinte der, welcher vorhin die Begegnung mit dem „Falken“ erzählt hatte, „Kapitän, Ihr habt ja eine wahre Posaunenstimme, fast wie damals Surcouf, als er mir die sechs Kugeln gab!“

Die Versammlung war im höchsten Grade begierig, was geschehen werde. Man erhob sich und drängte nach der Leeseite, um die Brigg zu beobachten. Man sah, daß sie den Anker hob und ihre Leinwand entfaltete; dann rief der Yankee:

„Mylords und Myladies, darf ich bitten, mir einmal nach dem Achterbord zu folgen? Ich kann dort am besten mein Maneuvre erklären.“

Sie folgten ihm ohne Ausnahme nach dem hochgebauten Hintertheile des Schiffes, so daß sich vom Spriet bis an den Besaan nur die Musikanten befanden, einige Matrosen ausgenommen, welche die Gäste zu bedienen hatten; die anderen Deckhände befanden sich im Unterraume, wo sie sich heut’ beim Grog gütlich thun durften.

„Seht,“ meinte der Yankee, „wie meine Brigg dem

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einen Segel gehorcht. Ein unvergleichliches Fahrzeug! Ein solcher Segler würde für Surcouf passen. Aber à propos, es wurde vorhin nicht geglaubt, daß er mit zwanzig Burschen ein Schiff mit zweihundert Mann und sechsundzwanzig Kanonen weggenommen hat. Was ist wohl schwieriger, Mylords, ein solches Schiff zu nehmen oder mitten in einem besuchten Hafen mit zwanzig Mann einen gut bewehrten Dreimaster zu entern?“

„Das Letztere ist geradezu unmöglich!“ antwortete ein alter Seemann, der wohl bereits über fünfzig Jahre lang die See gepflügt hatte.

„Wirklich, Kapitän? Es soll Leute geben, die auch dieses Stück dem Surcouf zutrauen.“

„Mit zwanzig Mann?“

„Ja. Wir haben ja gehört, daß er die Gewohnheit hat, nur mit zwanzig Mannen anzugreifen. Aber das sollen auch Burschen sein, die sich nicht fürchten, die Großmutter des Teufels aus der Hölle zu holen. Seht, da kommt die Brigg! Wie malitiös sie herantänzelt, gerade als ob sie sich über den mächtigen Dreimaster lustig machen wollte, der kleine David über den Goliath!“

„Aber was soll das?“ frug Kapitän Sarald. „Was soll die Brigg so nahe bei mir?“

„Es ist das Maneuvre, zu welchem ich Euch hier auf dem Achterdeck versammelt habe. Seht, jetzt ist sie da; sie läßt das Segel fallen, und nun springen meine Jungens an Deck.“

„Aber ich frage noch einmal, wozu dieses Maneuvre? Was sollen Eure Jungens an meinem Bord?“

„Zählen Sie einmal! Es werden genau Zwanzig sein. Meine Herren und Damen, ich gebe mir die Ehre, mich

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Ihnen vorzustellen. Ich bin kein Amerikaner, der Weine und Spiritus geladen hat. Ich habe geladen einige hundert Enterbeile, verschiedene Zentner Pulver, ein ganzes Arsenal vortrefflicher Waffen und zwanzig Kanonen, bei denen genug Leute stehen, um diesen guten Dreimaster in den Grund zu bohren. Mein Name ist Robert Surcouf!“

Es läßt sich nicht beschreiben, welche Wirkung diese Worte auf die Versammlung hervorbrachten. Die harten, unerschrockenen Männer, die so manchen Gefahren furchtlos in das Auge geschaut hatten, verstummten vor dem Namen, den sie so soeben gehört hatten. Sie blieben sogar unbeweglich, als einige der Leute Surcoufs aufs Schleunigste die Luken besetzten, damit die Matrosen des Kauffahrers nicht an Deck kommen könnten. Kapitän Sarald faßte sich zuerst.

„Robert Surcouf?“ fragte er. „Seid Ihr wirklich Surcouf?“

„Ich bin es. Und diese Brigg ist der „Falke des Aequators“. Sehen Sie meine Leute an, Messieurs! Dieselben werden sehr höflich mit Ihnen sein, so lange Sie es verdienen; an demjenigen aber, welcher zu widerstreben wagt, werden sie die Schärfe ihrer Waffen erproben. Bedenken Sie, daß Sie es mit zwanzig Burschen zu thun haben, welche nicht gewöhnt sind, ihre Feinde zu zählen, und bedenken Sie, daß hier an der Seite dieses Schiffes zwanzig Kanonen auf mein Kommando warten, dieses Schiff in den Grund zu schießen. Sie haben von Surcouf gehört, aber Sie haben ihn noch nicht gesehen; heut’ soll Ihnen die Ehre zu Theil werden, ihn kennen zu lernen. Es sind Frauen an Bord, und Robert Surcouf ist ein Franzose. Ein Franzose wird nie die Achtung und Ehrerbietung -

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Ehrerbietung verletzen, welche er Frauen schuldig ist. Darum will ich heut’ einmal nicht daran denken, daß Sie die Feinde meines Volkes sind, und daß mein Schiff ein Kaper ist, dem Sie verfallen sind. Was ich verlange, können Sie leicht gewähren. Ich wünsche, daß meine braven Jungens an dem Feste Theil nehmen dürfen, welches Sie geben; ich wünsche ferner, daß ihnen ein Tänzchen erlaubt sei mit den Frauen, welche das Fest verschönern. Wenn Sie mir dies gewähren, so verspreche ich Ihnen, daß Ihnen kein Haar auf Ihrem Haupte gekrümmt wird, daß Sie nicht den mindesten Verlust zu erleiden haben, und daß unser geselliges Beisammensein so fröhlich enden wird, wie es begonnen hat. Surcouf hat lauter anständige Männer an Bord; der Letzte seiner Leute ist ein Cavalier. Jetzt haben Sie zu entscheiden. Thun Sie es schnell!“

Er verbeugte sich und trat einige Schritte zurück, um mit den beiden Pistolen zu spielen, welche er aus der Tasche zog. Die Männer, welche ohne Ausnahme waffenlos waren, steckten verlegen und flüsternd die Köpfe zusammen; die Weiblichkeiten aber betrachteten mit furchtsamer Neugierde den berühmten Privateer und seine Untergebenen, welche, bis an die Zähne bewaffnet, das Achterdeck von dem übrigen Raume abgesperrt hielten.

Die Berathung der Männer war bald zu Ende, und der Aelteste von ihnen nahm das Wort:

„Kapitän Surcouf, wir gestehen Ihnen, daß Sie uns in eine zweifelhafte Lage gebracht haben. Unsere Pflicht wäre es, mit Ihnen zu kämpfen; halt!“ — unterbrach er sich, als er sah, daß Surcouf bei dem letzten Worte die Hähne seiner Pistolen aufzog — „lassen Sie mich ausreden! Wir sollten eigentlich mit Ihnen kämpfen; aber

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Sie selbst sagen mit Recht, daß die Gegenwart unserer Frauen und Töchter einige Rücksicht erfordert. Es soll daher zwischen uns ein Waffenstillstand geschlossen werden, welcher bis zum Anbruch des Morgens dauert; dagegen verlangen wir jedoch, daß das uns von Ihnen gegebene Versprechen buchstäblich erfüllt werde!“

„Es wird erfüllt; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,“ antwortete Surcouf. „Doch werden Sie mir eine nothwendige Bedingung gestatten. So lange ich mich bei Ihnen befinde, darf kein Mensch ohne meine ausdrückliche Erlaubniß an Bord kommen, noch von Bord gehen oder sonst etwas unternehmen, was meine Sicherheit gefährdet und Sie dadurch in Gefahr bringen würde. Mein Schiff bleibt längsseite bei dem Ihrigen liegen, um die Erfüllung meiner Bedingungen zu überwachen, und sobald die Sonne am Horizont steht, ist der Waffenstillstand abgelaufen. Reichen wir uns als Ehrenmänner zum Zeichen des Einverständnisses die Hände!“

Diese Bedingungen wurden angenommen, und ein Jeder bekräftigte durch Handschlag, sie zu halten. Nun gab Kapitän Sarald ein Zeichen, und die Musik begann auf’s Neue. Männer und Weiber durften das Vorderdeck wieder betreten; Freund und Feind mischte sich unter einander. Die Leute des „Falken“ zeigten sich gegen die Frauen so zart und anständig, daß das Vergnügen nicht durch den geringsten Hauch getrübt wurde.

Endlich, lange nach Mitternacht, gab Surcouf während einer Pause das Zeichen, daß er sprechen wolle. Man bildete einen Kreis um ihn.

„Messieurs und Mesdames,“ sagte er, „ich stehe im Begriffe, mich von Ihnen zu verabschieden. Ich danke

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Ihnen für die Ehre, welche Sie mir durch die Erlaubniß, an Ihrem Vergnügen Theil zu nehmen, erwiesen haben; noch mehr aber danke ich Ihnen dafür, daß ich nicht gezwungen worden bin, von meinen Waffen Gebrauch zu machen. Ich liebe den Frieden, doch fürchte ich den Kampf nicht. Hätten Sie meine Vorschläge abgewiesen, so lebten Viele von Ihnen nicht mehr, und dieses Schiff befände sich jetzt als meine Prise auf dem Wege nach einem französischen Hafen. Suchen Sie unter Ihren Bekannten meine Bitte zu verbreiten, mir nicht unvorsichtig zu widerstreben, wenn ich meine Flagge zeige. Das Schiff, welches ich einmal als Feind betrete, verlasse ich entweder als Sieger, oder es fliegt mit mir und seiner Bemannung in die Luft; dies ist das Geheimniß meiner Unüberwindlichkeit. England bereitet meinem Vaterlande einen fortdauernden, unersetzlichen Schaden; zürnen Sie also nicht mir, wenn man Repressalien gebraucht. England hat uns die besten Schiffe unserer Marine genommen oder zerstört; verdenken Sie es nicht mir, wenn nun auch ich ein jedes britische Fahrzeug nehme, welchem ich begegne. Wir scheiden jetzt in Frieden; wünschen wir um Ihretwillen nicht, daß wir uns auf offener See wiedersehen, denn dann würde ich es sein, welcher aufspielen läßt, aber zu einem weniger friedlichen Tanze. Kapitän Sarald mag jedoch überzeugt sein, daß sein Schiff der einzige Engländer ist, den Robert Surcouf betreten hat, ohne ihn in’s Schlepptau zu nehmen. Er hat dies den Frauen zu verdanken. Leben Sie wohl!“

Fünf Minuten später flog der „Falke“ mit vollen Segeln hinaus in die offene See; die Kapitäns kehrten auf ihre Fahrzeuge zurück, um die Erfahrung reicher, daß

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Frankreich einen Seemann besitze, der für einen höheren Wirkungskreis geboren sei.) Er hatte in ihnen neue und eifrige Verbreiter seines Ruhmes gefunden.

Wenig über eine Woche später ging in Pondischery die Nachricht ein, daß Robert Surcouf auf der Höhe von Colombo ein englisches Handelsvollschiff weggenommen habe. Darauf sei er einer Corvette mit fünfundzwanzig Kanonen begegnet, die ihm die Prise wieder abnehmen wollte; aber er habe auch diese Corvette geentert und dann beide Schiffe nach Isle de France gebracht. Diese vollständig verbürgte Nachricht trug nicht dazu bei, die Furcht vor dem kühnen Kaper zu vermindern. Das indische Gouvernement traf Maßregeln über Maßregeln; es sandte Kriegsschiffe aus, um Surcouf zu fangen oder zu tödten; es setzte sogar einen hohen Preis auf seinen Kopf, aber diese Bemühungen blieben ohne allen Erfolg.

Napoleons Plan, England in Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit seines Admirals gescheitert. Und hier brachte ein einzelner Mann, der nur ein kleines Fahrzeug befehligte, einen Schrecken über alle indischen Besitzungen des stolzen Albion, einen Schrecken, welcher den Handel Englands ungemein schädigte, da man sich mit reicher Fracht kaum mehr in jene Breiten getraute und die Versicherungsbanken ganz bedeutende Prämien forderten, ehe sie die Garantie einer Ladung übernahmen, welche nach dem Jagdgebiete Surcoufs bestimmt war.

Natürlich war der Ruf seiner Thaten längst nach Frankreich gedrungen, besonders durch den Gouverneur von

) Auch der Ballabend auf dem englischen Dreimaster ist geschichtliche Thatsache.
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Mauritius, bei welchem er seine Prisen zu deponiren pflegte, und von welchem auch die daraus gelösten Summen nach Paris übermittelt wurden. Man ward auf ihn aufmerksam; die Marinebehörde trat unter der Hand mit ihm in Unterhandlung; sie ließ ihm durch dritte und vierte Stelle immer höher steigende Anerbietungen machen; er aber that, als ob er diese Offerten nicht verstehe oder nur für eine leere Phrase halte.

Da plötzlich tauchte das Gerücht auf, daß ein berühmter englischer Parteigänger mit Kaperbriefen nach Indien gekommen sei, um sich den auf Surcouf gesetzten Preis zu verdienen. Er hatte sein Schiff „Eagle“ (Adler) genannt, um anzudeuten, wie sehr er dem „Falken“ überlegen sein werde. Dieser Kapitän hieß Schooter, hatte eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich und war besonders berüchtigt durch die Härte, mit welcher er die Disciplin seines Schiffes handhabte.

Die Wahrheit dieses Gerüchtes bewährte sich, denn man hörte sehr bald, daß Schooter einige kleine französische Kauffahrer weggenommen hatte. Die Mannschaft derselben hatte er über die Klinge springen lassen, trotzdem sie völlig unbewaffnet in seine Hände gefallen war. Diese Grausamkeit verstieß gegen alles völkerrechtliche Uebereinkommen und rief die Mißbilligung aller menschlich Denkenden hervor; noch entrüsteter aber wurde man über ihn, als man erfuhr, daß er einen förmlichen und zwar mitleidslosen Krieg mit allen Menschen führe, die Franzosen waren. Er suchte die Inseln und Küsten des Indischen Meeres förmlich ab, und fand er in irgend einer Niederlassung einen Ansiedler französischer Nationalität, so war es um diesen und sein Eigenthum geschehen. Ganz

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besonders hatte er es auf die Missionäre katholischen Bekenntnisses abgesehen. Fiel ein solcher Glaubensbote in seine Hände, so war derselbe unbedingt verloren; man erzählte sich sogar, daß er solche Gefangene gewöhnlich den wilden Inselbewohnern ausgeliefert habe, wo sie vor dem Tode die raffinirtesten Leiden zu erdulden gehabt hätten. Auf diese Weise verschwand damals mancher Priester der Mission, welcher sich vereinzelt in jene Breiten gewagt hatte, und während er auf Borneo, Celebes oder Timor einem fürchterlichen Schicksale erlag, glaubten die Seinen ihn so lange auf einer jener Inseln in voller, christlicher Thätigkeit, bis sie nach Jahren ihn endlich für verschwunden erklären mußten.

Die letzte dieser Thaten hatte Schooter an demjenigen Theile der Küste von Java verrichtet, welcher der Insel Bali gegenüber liegt. Um diese Zeit lag in dem kleinen javanischen Hafen Kalima ein kleiner Klipper vor Anker, an dessen Brust man den Namen „Jeffrouw Hannje“ lesen konnte. Nach diesem Namen zu urtheilen, schien er niederländischer Nationalität zu sein, trotzdem sein Bau sehr von dem in Holland gebräuchlichen abwich. Es kümmerte sich übrigens kein Mensch um ihn, denn Kalima war damals erst im Entstehen begriffen, und man hatte mehr zu thun, als sich um die Schiffspapiere eines friedlichen, kleinen Seefahrers zu bekümmern.

Der bedeutendste Ansiedler Kalimas war ein gewisser Davidson, welcher mit dem Kapitän der „Jeffrouw Hannje“ Geschäfte haben mußte, denn dieser hatte sich bei ihm einlogirt, während seine Leute ohne Ausnahme an Deck hatten bleiben müssen. Die beiden Männer saßen in einer offenen Veranda, deren Blätterdach genügenden Schutz vor

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den Sonnenstrahlen bot, rauchten feine Sumatra und lasen in den neuesten Zeitungen, deren Datum aber trotzdem mehrere Monate älter war. Damals bedurfte es fast eines Vierteljahres, um eine europäische Zeitung nach Java zu expediren.

„Also hört, Kapitän, der Napoleon ist zum lebenslänglichen Consul ernannt worden,“ bemerkte der Ansiedler.

„Ich las es bereits vorhin,“ nickte der Angeredete, welcher kein Anderer als Surcouf war. „Man wird nächstens die Nachricht erhalten, daß er König oder Kaiser geworden ist.“

„Sprechen Sie im Ernste?“

„Vollständig! Dieser Consul Bonaparte ist ein Mann, der nicht auf halbem Wege stehen bleibt.“

„Ah, Sie sind ein Bewunderer von ihm?“

„Nein, obgleich ich anerkenne, daß er ein Genie ist. Ich diene meinem Vaterlande und achte einen Jeden, welcher sich bemüht, dasselbe von dem Drucke Englands zu befreien. In diesem Punkte besitzt der Consul meine vollste Sympathie. Nur weiß ich nicht, ob er den allein richtigen Weg zum Ziele einschlagen wird. Die Macht Englands wurzelt in seinen Colonien und in dem Vorrang, welchen es sich in Angelegenheiten des Welthandels angemaßt hat. Man nehme ihm diese Colonien; man führe seinen merkantilischen Einfluß auf das richtige Maß zurück; man schwäche seine Verbündeten und stärke seine Gegner; was weiß ich noch! Ich bin nicht Consul, und es genügt ja, wenn nun er das Richtige trifft. Die Hauptsache aber ist die Schaffung einer Flotte, welche Achtung zu gebieten vermag. Der Consul ist seinem Lande

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und seinem Volke die Politik des Friedens schuldig. Und wenn er dies beherzigt, so kennt er nur einen einzigen wirklichen Feind, und dieser heißt England. Dieser Gegner aber ist erfolgreich nur zur See zu bekämpfen.“

„Wie Sie es im Kleinen thun, Kapitän. Uebrigens muß es für einen Mann von Ihren Fähigkeiten mit einer gewissen Ueberwindung verbunden sein, friedliche Kauffahrer wegzunehmen.“

„Warum? Meinen Sie vielleicht, weil dieses Verfahren der Piraterie ähnlich sieht? Kennen Sie einen größeren Piraten, als England? Es untersucht und confiscirt nach Belieben die Handelsschiffe friedlicher Mächte; es schließt die Häfen der Nationen nach Gutdünken; es tödtet den Handel und dadurch das Gewerbe der Völker; es macht auf diese Weise Millionen fleißiger Arbeiter brodlos, nur um Alles an sich selbst zu reißen. Was es im Großen thut, thue ich im Kleinen; während es gegen Nationen sündigt, welche kein Verschulden trifft, operire ich ehrlich und offen gegen einen Feind, der sich ebenso rücksichtslos wie unversöhnlich zeigt. Verurtheilen Sie mich, wenn Sie es können! Hat England nicht Hunderte von Kapern unter Segel? Und was für Männer sind dies? Denken Sie nur an den nichtswürdigen Schooter, welcher kein Mensch, sondern ein Teufel ist! Sollen wir die Waffen senken, um uns feig und wehrlos ersticken zu lassen? Und wenn ich dies thun wollte, so dürfte ich es nicht, denn ich habe heilige Verpflichtungen zu erfüllen. Auf meinem Schiffe befinden sich vierzig wackere Männer, welche ich zu ernähren habe, und glauben Sie ja nicht, daß dies meine ganze Familie ist! In Bengalen habe ich Greise, welche in den französischen Colonien dienten

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und nun von den Engländern nichts empfangen; ich habe zahlreiche Ansiedlersfamilien, welche durch die englischen Coloniekriege zu Grunde gerichtet wurden; ich habe arme Franzosen, welche mittellos in die Fremde gingen, weil sie durch die Revolution vertrieben wurden, und die nun etwas Geld brauchen, um ein wenig Land urbar zu machen; ich habe fromme Männer, welche unter die Heiden gingen, um das Wort Gottes zu predigen, durch die Kälte und den Unglauben der gegenwärtigen Richtung aber ihre Subsistenz bedroht sehen. Nun wohl, ich bin ihrer Aller Versorger. Ich gebe den Invaliden Pensionen, den zu Grunde Gerichteten Entschädigungen, den Ansiedlern Unterstützungen, den Missionären Schutz und Lebensunterhalt. Frankreich thut es nicht, wenn ich es nicht thue; in Paris wird keiner der Briefe geöffnet, in welchen die in der Ferne befindlichen Kinder des Landes vergeblich um Hülfe flehen. Was soll aus ihnen werden, wenn Robert Surcouf die Waffe niederlegt und dann gezwungen ist, seine Hand von ihnen zu ziehen!“

Davidson sprang auf, um dem braven Seemann seine Hand zu reichen. „Kapitän, ich weiß das Alles,“ rief er, „denn ich selbst bin es ja, durch dessen Hand so viele Ihrer Gaben fließen. Frankreich hat keine Ahnung, welchen Mann es hier in diesem Winkel der Erde besitzt, und — — —“

Er wurde unterbrochen; es trat ein Matrose Surcoufs herein und meldete seinem Herrn, daß der „Eagle“ am Ostende der Insel vorgestern eine Pflanzung überfallen und einen Priester mit sich genommen habe.

„Wer sagt es?“ frug der Kapitän.

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„Soeben hat ein holländischer Sluger) Anker geworfen, von dem erfuhren wir es.“

„So ist es keine Erfindung. Sehen Sie, Davidson, daß ich nicht ruhen darf! Dieser Mensch will sich den Preis verdienen, den die Herren Engländer auf meinen Kopf gesetzt haben; ich aber habe seine Spur bis heute vergeblich gesucht. Jetzt finde ich sie, und nun will ich ihm meinen Kopf zeigen. Adieu, Davidson. Ich lasse Alles im Stich, denn ich weiß, daß wir uns baldigst wiedersehen.“

Der seltene Mann eilte in einer Stimmung, welche man fast Begeisterung nennen mochte, nach dem Hafen und auf sein Schiff. In weniger als einer Viertelstunde segelte er bereits aus dem kleinen Hafen hinaus, und kaum hatte er Kalima hinter sich, so ließ er zwei Männer am Bug herab, welche den Namen „Jeffrouw Hannje“ überstreichen mußten. Dies war in kurzer Zeit geschehen, und dann wurde der eigentliche Name des Fahrzeuges, „le faucon“,✽✽) wieder angebracht.

Der Wind wehte günstig, und so erreichte der „Falke“ bereits nach drei Stunden die Ostspitze Javas, wo die betreffende Niederlassung zu suchen war. Zwischen hier und der Insel Bali hindurch auf Kap Butur zuhaltend, gewahrten sie am Ausflusse eines Baches die Trümmer mehrerer verbrannter Hütten liegen, neben welchen einige Leute bereits beschäftigt waren, neue zu errichten. Surcouf -

) Zweimaster mit Gaffelsegel und einer Schraube als Auxiliarkraft.
✽✽) Surcouf nannte sein Schiff zuweilen auch nach seiner Heimat, der Bretagne „le breton“.
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Surcouf ließ die Segel fallen, fuhr möglichst nahe an das Land und bestieg sodann ein Boot, um sich zur Küste rudern zu lassen. Die Leute waren aufmerksam auf das Schiff und das nahende Boot geworden und hatten sich schleunigst in den Schutz eines nahen Eisenbaumwaldes zurückgezogen. Als der Kapitän landete, sah er wohl verbrannte Hütten, verwüstete Gärten, zerstörte Felder, aber keinen Menschen, welcher ihm Auskunft zu geben vermochte. Erst nach langem Rufen vernahm er aus der Ferne einen menschlichen Ton als Antwort und dann hörte er die Frage:

„Was ist das für ein Schiff?“

„Ein Franzose,“ antwortete er.

Er hatte aus Vorsicht unterlassen, die Flagge aufzuziehen. Auf seine Antwort jedoch rauschte es bald in den Büschen, und er sah einen Mann hervortreten, welcher einen kräftigen Knüttel in der Rechten hielt.

„Kommen Sie näher und fürchten Sie sich nicht,“ sagte der Kapitän. „Ich bin ein Freund aller friedfertigen Leute und werde Ihnen nichts Schlimmes sondern nur Gutes erweisen. Uebrigens sehen Sie ja, daß ich allein bin. Meine beiden Ruderer sind im Boote zurückgeblieben.“

Da kam der Fremde näher. Er war eine hohe, breite, muskulöse Gestalt mit einem intelligenten Gesichte, in welchem jedoch ein Zug tiefer Schwermuth vorherrschend zu sein schien. Bekleidet war er nur mit dünnen, weißen Hosen und mit einer weißen Blouse.

„Ihr Fahrzeug kam uns verdächtig vor,“ entschuldigte er sich; „darum zogen wir uns zurück.“

„Was an meinem Schiffe hat Ihren Verdacht erregt?“ frug Surcouf.

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„Hm, eben nichts Bestimmtes. In diesen Breiten sind vier Schiffe unter zehn ganz sicher Seeräuber, und nach den Erfahrungen, welche wir gemacht haben, ist es eine Kunst, Vertrauen zu besitzen.“

„Ich habe gehört, daß der „Eagle“ hier gewesen ist. Sie gehören natürlich zur hiesigen Ansiedlung?“

„Erst seit vorgestern. Ich gehörte zur Bemannung des „Eagle“ und habe die Gelegenheit benutzt, am Lande zurückzubleiben.“

„Ah!“ machte Surcouf erstaunt. „Sind mit Schooter gefahren?“

„Leider! Er hat mich gepreßt, und es ist mir schlecht genug ergangen, ehe es mir gelang, mich zu salviren.“

„Wenn das so ist, so sehen Sie sich einmal mein Schiff an. Hier haben Sie mein Rohr dazu.“

Der Mann nahm das Fernrohr; kaum aber hatte er dasselbe auf die Brigg gerichtet, so nahm er es mit einem lauten Ausrufe des Erstaunens wieder vom Auge:

„Le faucon! Ist es möglich! Le faucon, Kapitän Robert Surcouf?“

„Allerdings. Surcouf bin ich selbst.“

„Sie, Sie sind es! O Herr, dann segne ich die Stunde, in welcher ich vom „Adler“ entflohen bin, denn nun weiß ich, daß dieser fürchterliche Schooter seinen Lohn empfangen wird!“

„So weit es in meiner Macht liegt, soll er ihn erhalten. Erzählen Sie!“

„Erlauben Sie mir vorher, die Andern zu benachrichtigen, damit sie nicht länger in Sorge sind.“

Er entfernte sich und kehrte bald mit zwölf Personen,

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acht Erwachsenen und vier Kindern zurück, welche Surcouf mit Jubel willkommen hießen.

Die kleine Colonie hatte aus zwei verheiratheten Holländern, drei Franzosen, einem Belgier und einem Schweden bestanden. Bei dem Ueberfall war der Letztere, welcher sich zur Wehr gesetzt hatte, getödtet worden.

„Ich denke, es ist auch ein Priester bei Euch gewesen?“ frug Surcouf.

„Allerdings,“ lautete die Antwort. „Er kam von Djokjokarta, um sich mit den Javanesen zu beschäftigen, welche hier in der Nähe in den Wäldern wohnen.“

„So war er ein Missionär?“

„Ja; er war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes. Wir mußten ihn Vater Martin nennen.“

„Ah!“ rief Surcouf, indem er von dem Steine emporfuhr, auf welchem er sich niedergelassen hatte, „Vater Martin vom Orden des heiligen Geistes? Das ist wunderbar! Den kenne ich; der darf unmöglich in den Händen dieses Menschen bleiben! Erzählt!“

Der entflohene Seemann übernahm es, den Bericht zu liefern.

„Wir lagen vor Palembong,“ sagte er, „als wir hörten, daß der „Falke“ jedenfalls an der Nordküste von Java kreuze. Kapitän Schooter hatte geschworen, den „Falken“ zu bekommen, und lichtete sofort die Anker. Wir segelten der Küste entlang, ohne Ihr Schiff zu entdecken, Kapitän, sichteten aber dafür diese kleine Niederlassung. Schooter recognoscirte sie durch das Rohr und gewahrte einen Priester. Dies war für ihn sofort der Grund, die Ansiedlung zu überfallen.“

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„Wie kann die Anwesenheit eines Priesters die alleinige und genügende Ursache einer so traurigen That sein?“ rief Surcouf.

„Ich weiß nicht; aber Thatsache ist es, daß Schooter beim Anblick eines Priesters in Wuth geräth. Man erzählt sich, daß er selber früher Mitglied eines Ordens gewesen sei. Er ist ein Irländer und soll aus einem schlimmen Grunde Protestant geworden sein. Damit hängt sein Priesterhaß zusammen, der bei ihm zur wirklichen Manie geworden ist. Er ist der gottloseste Mensch, den ich gesehen habe, ein unmäßiger Trinker, ein lästerlicher Flucher, ein Barbar gegen seine Untergebenen. Ich bin ein Deutscher und gehörte zu einem jener unglücklichen Regimenter, welche von ihren Fürsten an die Engländer verkauft wurden, um in Amerika die Ideen der Freiheit und Gerechtigkeit ausrotten zu helfen. Ich mußte meine Braut und meine Eltern im Stiche lassen und desertirte, wie so Viele, die nicht für eine Nation kämpfen wollten, welche nur die eine Politik verfolgt, sich wie ein Blutegel an dem Wohlstande anderer Völker vollzusaugen. Das war mein Unglück. Ich konnte nicht in das Vaterland zurück; die Braut heirathete einen Andern; die Eltern starben, und mein Erbtheil wurde confiscirt. Ich ging zur See. Seit dieser Zeit habe ich alle Meere befahren, bis ich mich am Kap niederließ. Da kamen vor fünf Jahren die Engländer und nahmen es in Besitz. Ich zog mit Anderen weiter an der Küste hinauf, wo wir uns niederließen. Vor zwei Monaten ankerte Kapitän Schooter bei uns. Wir hielten ihn für einen Kauffahrer, und ich ging an Bord, um mit ihm über die Preise des Schlachtviehes, welches er von uns kaufen wollte, zu verhandeln.

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Wir wurden nicht einig, und zur Strafe dafür, daß ich ihm nicht zu Willen sein konnte, behielt er mich als Matrose an Bord. Ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens bei ihm zugebracht und nach jeder Gelegenheit zur Flucht gesucht; erst vorgestern ist sie mir gelungen. Er beorderte dreißig Mann an das Land, um diese Ansiedelung zu überfallen, den Priester gefangen zu nehmen und die Wohnungen nach ihrer Beraubung niederzubrennen. Diese braven Leute flohen. Ein Einziger hielt nebst dem Priester. Der Erstere wurde niedergeschossen, und der Letztere, welcher hatte vermitteln wollen, wurde gebunden auf das Schiff geschleppt. Es gelang mir, nach dem Eisenbaumwalde zu entkommen, und diese Leute haben mich bereitwillig bei sich aufgenommen, trotzdem ich vom Schiffe der Piraten zu ihnen kam.“

„Welchen Plan verfolgen Sie nun in Beziehung auf Ihre weitere Zukunft?“

„Ich werde suchen, nach meiner kleinen Besitzung am Kap zurückzukommen. Vorher aber bitte ich Sie, mich mit an Bord zu nehmen. Ich wünsche dabei zu sein, wenn Sie mit Schooter Abrechnung halten.“

„Diesen Wunsch erfülle ich Ihnen gern. Was für ein Schiff ist der „Adler“?“

„Ein Orlog-Kutter von dreißig Kanonen; doch macht er nur dreizehn Meilen in der Stunde. Wenn Sie keine Zeit versäumen, Kapitän, so werden Sie ihn in der Mangkassarstraße finden. Er pflegt seine Gefangenen den wilden Dayaks, welche die Sakuruberge auf Borneo bewohnen, zu übergeben und dafür Goldsand einzutauschen. Bei diesen Gelegenheiten landet er auf einer Insel der Sakurubai -

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Sakurubai. Die Dayaks bezahlen weiße Gefangene sehr theuer, um sie mit vornehmen Todten lebendig zu begraben oder ihren Götzen als Opfer darzubringen.“

Diese Mittheilung trieb Surcouf zur höchsten Eile an. Zwar landete er vorher noch verschiedene Sämereien, Werkzeuge und andere Gegenstände, welche er den Ansiedlern schenkte, um ihrer zerstörten Niederlassung wieder aufzuhelfen; dann aber ging er sofort in See, um noch vor Nacht den nördlichen Theil des Sundameeres zu gewinnen und, dort kreuzend, dem „Eagle“ den südlichen Ausgang aus der Mangkassarstraße zu verlegen. Dies gelang ihm vollständig, und da er während der Nacht kein Schiff in Sicht bekam, so ging er am Morgen zwischen Borneo und den Balabalagan-Inseln nach Norden.

Er wußte, daß er einem Feinde entgegenging, so gefährlich, wie er noch keinen getroffen hatte, und daß ihm ein Kampf bevorstand, der voraussichtlich in einem wilden Zerfleischen bestehen werde. Dennoch war er guten Muthes; er wußte, daß sein Schiff dem „Eagle“ an Manövrirfähigkeit überlegen sei; er sah, daß seine Leute sich in der besten Stimmung befanden, und er glaubte an die Möglichkeit, daß irgend ein Umstand eintreten könne, der einen blutigen Kampf vermeiden lasse.

So kam er am Mittag an Koti Lama vorüber und kreuzte mit günstigem Winde immer weiter nach Norden — links lag Borneo und rechts Celebes — ohne daß ihm ein Schiff begegnet wäre. So war er sicher, den „Adler“ noch vor sich zu haben, da Schooter den „Falken“ an der Küste von Java suchen und also durch die Mangkassarstraße nicht hinauf in das Sulu-Meer, sondern wieder zurück nach der Sunda-See gehen würde.

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Die Sonne stand bereits am Horizont, als der „Falke“ die südliche Spitze der Sakurubai erreichte. Jetzt galt es, vorsichtig zu sein. Surcouf stieg zum Masthaupte empor, um die Bai mit seinem guten Fernrohre abzusuchen. Da sah er im Norden eine Insel vor sich liegen, und in einem kleinen Busen am Westufer derselben ragten die Masten eines Schiffes empor, dessen Segel beschlagen waren, ein Zeichen, daß es während der Nacht diese Stelle nicht verlassen würde. Um nicht gesehen zu werden, ließ er augenblicklich wenden und hinter der ihn verbergenden Landspitze Anker werfen.

Dort blieb er, bis es dunkel geworden war. Dann wurde der Anker wieder gelichtet, und der „Falke“ steuerte nach Nord bei Ost, um an der unbewachten Seite an die Insel zu kommen. Die Nacht war finster, so finster, daß man kaum eine Schiffslänge weit zu sehen vermochte. An Deck brannte kein einziges Licht. Es war die größte Vorsicht geboten, und als Surcouf glaubte, auf gleicher Höhe mit der Insel angekommen zu sein, ließ er gerade auf West wenden. Er folgte dieser Richtung, indem er nur so viel Segelwerk beibehielt, als nothwendig war, um das Fahrzeug langsam fortzubewegen. Als er die richtige Zeit gekommen glaubte, setzte er die Barkasse aus, welche mit umwickelten Rudern von dem „Falken“ her die Bahn zu sondiren hatte.

So erreichte man die Ostseite der Insel, wo die Barkasse eine kleine Einbuchtung entdeckte, in welcher der Schooner vor Anker gehen konnte. Dies war kaum geschehen, so bestieg Surcouf mit zwanzig Mann die Boote, um die Südseite der Insel zu umfahren, und ließ die Uebrigen zur Bewachung des Schiffes zurück. Da sämmtliche -

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sämtliche Ruder genügend umwickelt waren, so verursachten sie kein Geräusch, und auch unter den Männern selbst herrschte die tiefste Stille.

Der Kapitän fuhr in der Schaluppe den Andern voran. Alle waren nur mit Messer und Enterbeil bewaffnet, weil Surcouf die Absicht hegte, die Boote in gehöriger Entfernung zurückzulassen und dann den „Adler“ anzuschwimmen; doch ist das Enterbeil die gefährlichste Waffe in der Hand eines kräftigen Seemannes. Sie waren noch nicht zehn Minuten lang gefahren, so sahen sie die Schiffslaterne des gesuchten Fahrzeuges leuchten. Surcouf gab ein Zeichen, zu halten, und glitt leise aus der Schaluppe in das Wasser.

Es war notwendig, zu recognosciren, denn noch wußte man nicht, ob es auch wirklich der „Eagle“ sei, und wenn er es war, so galt es, zu erfahren, ob sich alle Mannen an Bord befanden und in welcher Weise die Wache gehandhabt wurde. Surcouf war ein ausgezeichneter Schwimmer; er zertheilte die Fluth, ohne dieselbe mehr als ein Fisch zu bewegen. In der Nähe des Schiffes tauchte er und kam erst hart an der Wand desselben wieder empor. Er umschwamm es langsam und vorsichtig und überzeugte sich, daß es der „Adler“ sei. Das Schiff stand nur an einem Anker, und zwar an dem am Krahnbalken befindlichen Nachtanker, und neben dem Tau hing die Ankertalje bis in das Wasser nieder.

Surcouf zog an der Talje und bemerkte, daß sie oben angefixt sei und ihn also tragen werde. Er griff sich empor und hütete sich dabei sehr, durch ein Anstreifen an der Bugwand das kleinste Geräusch zu verursachen. Als sein Auge in Bordhöhe gelangte, bemerkte er, daß

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sich nur zwei Männer an Deck befanden, nämlich die Vorder- und Hinterdeckwache. Er hatte genug gesehen, glitt wieder hinab und kehrte zu seinen Booten zurück. Er schwamm zunächst nicht zu seiner Schaluppe, sondern zur Barkasse, welche Lieutenant Ervillard befehligte und zu deren Bemannung auch der Deutsche gehörte, welcher sich vorher auf dem „Eagle“ befunden hatte. Als dieser hörte, unter welcher Bewachung der Kapitän den Piraten gefunden hatte, bat er, der Erste an Deck sein zu dürfen, was ihm auch sofort gewährt wurde.

Nun ward eine kurze Berathung gehalten, deren Ergebniß darin bestand, daß Surcouf mit dem Deutschen und dem Lieutenant zunächst allein an Bord klettern wollte, um die beiden Wachen zu beschleichen und sie unschädlich zu machen; dies sollte durch einfache Knebelung und nur im äußersten Falle durch Tödtung geschehen; dann erst sollten die Anderen nachfolgen, indem sie, an der Ankertalje kletternd oder am Ankertaue reitend, emporkämen. Sodann hatte man den Kapitän und die Offiziere zu überrumpeln, die Waffen- und Pulverkammer zu besetzen, und nach diesen Vorbereitungen durfte man hoffen, mit der Bemannung leichter fertig zu werden.

Nachdem einem Jeden seine Rolle zugetheilt worden war, wurden die Boote an die Inseln gerudert, wo sie unter der Aufsicht eines einzigen Mannes zurückblieben. Die Uebrigen, mit dem Kapitän grad zwanzig Mann, gingen in das Wasser und schwammen, Einer immer hinter dem Andern, dem Engländer entgegen, den sie auch wirklich unbemerkt erreichten. Eine Minute später standen die Drei bereits hinter der Bugverkleidung. Die Vorderdeckwache lehnte am Fockmaste, ihnen den Rücken zukehrend.

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„Er steht gut,“ flüsterte Surcouf dem Deutschen zu. „Leise hinan, und nimm ihm die Kehle fest zusammen. Er darf keinen Laut ausstoßen!“

Der Angeredete schlich sich nach dem Maste; ein rascher Griff seiner kräftigen Hände genügte, und in den nächsten Sekunden hatte die Wache einen Knebel vor Mund und Nase und war mit Armen und Beinen an den Mast gebunden. Die Hinterwache wurde ebenso glücklich überrascht, und nun gab Surcouf den unten im Wasser harrenden Leuten das Zeichen, emporzuklettern. Dies geschah so vorsichtig, daß diejenigen, welche am Ankertaue emporritten, nur ein fast ganz unmerkliches Neigen des Buges hervorbrachten. Kaum waren Alle an Deck, so schlich ein Jeder sofort nach seinem Posten.

Der Kapitän ließ sich mit dem Lieutenant von dem Deutschen nach der Kapitänskajüte führen. Die Thür derselben war von innen verriegelt, und Surcouf klopfte leise.

„Wer ist’s?“ erscholl drinnen die schläfrige Frage.

„Der Lieutenant,“ antwortete Bert Ervillard in englischer Sprache.

„Was giebt’s?“

„Pst, Capt’n, redet nicht laut! Es muß an Bord irgend eine Teufelei los sein, die wir belauschen können. Steht auf, und kommt schnell!“

„Ah! Bin gleich fertig!“

Man hörte seine hastigen Bewegungen und das Klirren einer Waffe; zugleich sah man durch eine schmale Ritze, daß er Licht machte.

„Vorsicht!“ flüsterte Surcouf. „Er darf nicht schießen, sonst weckt er alle Mannen. Nimm Du sofort seine beiden

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Hände, während Du, Ervillard, ihn bei der Gurgel fassest. Das Uebrige besorge ich.“

Jetzt wurde der Riegel zurückgeschoben, und die Thür öffnete sich. In ihrem hellen Raume war Schooter mit vollster Deutlichkeit zu erkennen; er hatte einen Degen umgelegt und trug in jeder Hand eine Pistole, deren Hähne glücklicher Weise noch nicht gespannt waren. Ehe sein Auge die auf der Kajütentreppe herrschende Dunkelheit zu durchdringen vermochte, war er sowohl an beiden Händen als auch am Halse gepackt. Die Pistolen entfielen ihm; ein leises Gurgeln drang aus seiner Kehle; dann wurde er in die Kajüte zurückgedrängt, auf sein Lager gelegt, gebunden und geknebelt.

Ganz denselben Verlauf nahm die Ueberwältigung des Lieutenant in der Backbordkoje; der Deutsche, welcher jeden Winkel des Schiffes ganz genau kannte, diente als Führer. Hierauf versicherte man sich der Waffen- und Munitionsvorräthe. Bis hierher war Alles ganz glücklich abgelaufen, und da der Deutsche versicherte, daß die Bemannung sich unbewaffnet in ihren Hängematten befinden werde, so wurden die vorgefundenen Gewehre geladen, und dann stieg man durch die Vorderluke hinab in das Mannschaftsquartier.

Hier brannte eine Lampe, deren Schein den niedrigen, dumpfen Raum mit den vielen Hängematten nur nothdürftig erleuchtete. Das Passiren der schmalen, knarrenden Treppe konnte nicht mit der gewünschten Geräuschlosigkeit vor sich gehen; die Leute des „Eagle“ wurden aufmerksam, und einer derselben stieß verdrießlich einen Fluch aus. Er glaubte, es sei die abgelöste Deckwache, fuhr aber doch sehr schnell aus seiner Hängematte empor, als er sah,

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daß die Störung nicht von den beiden Kameraden, sondern von einer ganzen Anzahl Unbekannter herrührte.

Er rief die Andern wach, doch schon stand Surcouf mit den beiden vorgehaltenen Pistolen des Kapitäns am Eingange und gebot mit donnernder Stimme:

„Ein Jeder an seinen Platz! Ich bin Kapitän Surcouf, und Euer Schiff ist bereits in meiner Gewalt. Wer es wagt, sich zu wehren, den lasse ich einfach an die Fockraa hängen!“

Bei der Nennung dieses Namens sanken die Arme wieder nieder, welche sich bereits erhoben hatten; Keiner der gefürchteten Bemannung des „Eagle“ hatte den Muth oder die Geistesgegenwart, ein Wort zu sagen. Die Sache war ihnen so unglaublich, so unmöglich, und doch sahen sie den gefürchteten Privateer mit seinen Leuten vor sich; es gehörte Zeit dazu, das zu begreifen, zumal ihr Schiff nicht geentert worden war, und sie an den nassen Kleidern der Franzosen erkannten, daß diese schwimmend herbeigekommen seien. Surcouf fuhr fort:

„Ihr habt Euch ohne Bedingung zu ergeben und einzeln hinauf an Deck zu steigen. Vorwärts, marsch!“

Er faßte den ihm zunächst Stehenden bei der Schulter und schob ihn nach der Treppe hin; der Mann gehorchte ganz verblüfft, und dieses Beispiel wurde von den Andern nachgeahmt. Sie stiegen in Zwischenräumen — Einer hinter dem Andern — nach oben und sahen sich dort empfangen genommen und gefesselt, ehe sie sich noch gänzlich in ihrer Lage zurecht gefunden hatten. Dann wurden sie hinunter in den Ballastraum gebracht, wo sie unter der scharfen Aufsicht einer Wache standen.

Jetzt ließ Surcouf Raketen aus der Pulverkammer

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kommen; ihr aufsteigendes Licht und ein einziger gelöster Kanonenschuß sollten den „Falken“ benachrichtigen, daß der „Eagle“ sich in den Händen der Sieger befinde. Diese Zeichen wurden bemerkt, und nach einer halben Stunde, während welcher Surcouf eine eingehende Besichtigung des „Eagle“ vornahm, kam der Schooner herbei und warf neben dem Engländer den Hauptanker. Nun wurden auch die drei zurückgelassenen Boote herbeigeholt, und das Unternehmen gegen den „Adler“ war geglückt beendet.

Jetzt galt es nur noch, den entführten Missionär ausfindig zu machen. Kein einziger Mann der Schiffsbesatzung hatte Auskunft über ihn gegeben; Alle hatten vielmehr jeder Bitte und jeder Drohung ein halsstarriges Stillschweigen entgegengesetzt. Nun wurde der Lieutenant vernommen; auch dieser schwieg. Darum schickte Surcouf nach dem Kapitän, welcher noch immer gefesselt in seiner Kajüte lag, und empfing ihn an Deck, von sämmtlichen Leuten des „Falken“ umgeben.

Mehrere jetzt an den Masten aufgehängte Laternen verbreiteten ein genügendes Licht, um den berüchtigten Mann genau in Augenschein nehmen zu können. Er hatte eine lange, hagere, vornüber gebeugte Gestalt und ein Gesicht, dessen Physiognomie nichts weniger als Vertrauen erweckend war. Man hatte ihm den Knebel abgenommen und die Füße entfesselt; die Hände aber blieben gebunden.

Er schien von dem, was ihn betroffen hatte, und dessen Tragweite er noch gar nicht kannte, keineswegs niedergeschlagen zu sein, sondern sein Auge blitzte, und sein Gesicht war geröthet vor Zorn, als er, in den Kreis tretend, mit barscher Stimme frug:

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„Was geht hier vor? Wer ist es, der es wagt, sich auf meinem Schiffe als Herr zu geberden?“

„Auf Ihrem Schiffe, Mr. Schooter?“ antwortete Surcouf. „Ich denke, daß es das meinige ist!“

„Ah, welche Frechheit! Wer sind Sie?“

„Ich bin Robert Surcouf, Unterthan der französischen Republik, und das Schiff, dessen Licht Sie hier über Steuerbord sehen, ist der „Falke“, dessen Bekanntschaft Sie so gern machen wollten. Ich hoffe, Sie danken es mir aufrichtig, daß ich Ihnen die Mühe erspare, noch längere Zeit erfolglos nach mir zu suchen!“

Als der Kapitän diesen Namen hörte, erbleichte er; doch war dies das einzige Zeichen seines Schreckens, denn er antwortete in stolzem Tone:

„Robert Surcouf? Hm! Ja! Ach, ich erinnere mich jetzt, diesen Namen irgendwo einmal gehört zu haben. Sind Sie Seemann?“

„Ich will dies nicht behaupten, hoffe jedoch, daß man mich für einen Seemann hält.“

„Was haben Sie an Bord des „Eagle“ zu suchen?“

„Ich suche Kapitän Schooter — — —“

„Nun wohl, der bin ich. Was weiter?

„Ferner suche ich einen Missionspriester, welchen Sie vor einigen Tagen von Java entführt haben. Sie werden die Güte haben, mir seinen Aufenthalt zu nennen!“

„Ich werde diese Güte nicht haben, Herr! Ich pflege —“

„Pah!“ unterbrach ihn Surcouf jetzt mit barscher Stimme. „Was Sie zu pflegen belieben, das ist hier vollständig gleichgültig; jetzt gilt nur das, was mir beliebt. Ich ersuche Sie, Robert Surcouf nicht für einen

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Mann zu halten, mit welchem man Komödie spielen darf. Ich halte Sie nicht für wahnsinnig und nehme also an, daß es Ihnen nicht an Einsicht mangelt, Ihre gegenwärtige Situation vollständig zu begreifen. Werden Sie mir sagen, wo sich der Missionspriester befindet, oder nicht!“

„Einem Surcouf antwortet Kapitän Schooter nicht!“

„Nun wohl; Sie sind mein Gefangener. Da Sie sich weigern, dem Kapitän Surcouf die verlangte Auskunft zu geben, so wird er Ihnen den Mund öffnen müssen. Lieutenant Ervillard, ein Tauende! Dieser Mann erhält dreißig scharfe Hiebe auf den bloßen Rücken!“

Bei diesem Befehle trat Schooter hastig einen Schritt weiter vor.

„Was sagen Sie da?“ rief er, vor Grimm bebend. „Schlagen wollen Sie mich lassen! Mich, einen Offizier! Den Kapitän des „Eagle“, vor dem noch jeder Feind gezittert hat!“

Surcouf zuckte die Achsel sehr gleichmüthig und antwortete:

„Hoffentlich zählen Sie mich und meine braven Jungens nicht zu den Leuten, von denen Sie gefürchtet worden sind. Ja, ich werde Ihnen den Mund mit guten Hieben öffnen lassen!“

Schooter antwortete zunächst nur mit einem heisern Schrei; dann aber rief er:

„Mensch, das wagst Du nicht! Noch giebt es ein Völkerrecht! Ich bin kein Seeräuber, sondern ein Privateer, der mit vollgültigen Kaperbriefen versehen ist. Und wenn diese nicht geachtet werden, so ist Kapitän Schooter der Mann, ihnen Achtung und sich selbst Genugthuung zu

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verschaffen. Zittern Sie vor meiner Rache! Sie haben mein Schiff genommen; nun wohl, ich kann nichts dagegen haben, obgleich meine Schlafmützen dies fürchterlich büßen sollen; aber Sie müssen mich im nächsten Hafen abliefern, und dann, dann werde ich Ihnen zeigen, was es heißt, einem Manne von meiner Qualität mit dem Tauende zu drohen!“

„Ich sehe doch, daß Ihr Zorn Ihren Anstand auf eine sehr ungünstige Weise beeinflußt,“ antwortete Surcouf. „Eigentlich habe ich hier keinem einzigen Menschen gegenüber meine Befehle und Handlungen mit Gründen zu belegen, aber in Rücksicht auf Ihr krankhaftes Denkvermögen will ich mich doch zu einer Erklärung herbeilassen. Ja, es giebt ein Völkerrecht, aber eben dieses Völkerrecht verbietet einem Kaper, ein Pirat zu sein; jedem ehrlichen Kapitän aber gebietet es, einen Piraten auch als Pirat, das heißt, als Seeräuber zu behandeln. Ob Sie mit Kaperbriefen versehen sind, ist mir durchaus gleichgültig; ich habe die Beweise, daß Sie wehrlose Ansiedler überfielen und friedliche Seefahrer tödteten, obgleich dieselben sich Ihnen ohne Widerstand ergaben; daß Sie sogar einen Krieg, einen Vernichtungskrieg gegen fromme Priester führen, welche keine anderen Waffen besitzen, als Worte der Liebe oder der Ermahnung. Ihre Briefe kann ich also nicht achten, denn Sie sind kein Privateer, sondern ein Seeräuber. Auch Genugthuung muß ich Ihnen versagen, da kein Dieb und Räuber satisfaktionsfähig ist. Ihre Rache fürchte ich nicht. Und endlich will ich Ihnen noch bemerken, daß ich keineswegs gezwungen bin, Sie im nächsten Hafen abzuliefern; ich bin vielmehr berechtigt und sogar verpflichtet, einen jeden Seeräuber ohne Weiteres

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baumeln zu lassen. Mit Ihnen habe ich bereits zu viele Worte gemacht. Ihr Schicksal ist einfach folgendes: Beantworten Sie mir meine Frage, so werde ich geneigt sein, Sie dem Gouverneur der nächsten mir im Curse liegenden französischen Besitzung als eingefangenen Piraten auszuliefern; bleiben Sie jedoch bei Ihrem Schweigen, so lasse ich Sie zunächst auspeitschen, sodann kielholen und endlich, wenn auch das zu keinem Ergebniß führt, an die Raa hängen.“

„Versuchen Sie es!“ rief Schooter sinnlos vor Wuth. „Es soll Ihnen schlecht bekommen!“

„Lieutenant Ervillard, vorwärts!“ gebot Surcouf.

Auf einen Wink des Lieutenant wurde Schooter von sechs kräftigen Fäusten gepackt und nach dem Vorderdeck geschafft.

„Bei Gott, er wagt es!“ hörte man Schooter rufen. „Führt mich zurück; ich werde die Antwort geben!“

Er wurde zurückgebracht und gestand, daß er heute am Morgen den Priester den wilden Sakuru-Dayaks übergeben habe.“

„Welchen Preis haben Sie erhalten?“ frug Surcouf.

„Den Beutel mit Goldstaub, den Sie in meiner Kassette finden,“ lautete die Antwort.

„Wo wohnen diese Dayaks?“

„Eine Stunde weit, von der Mündung des Flüßchens aufwärts.“

„Gut! Ich habe Ihnen nur noch zu sagen, daß ich Sie allerdings ausliefern werde, falls es mir gelingt, den Gesuchten unbeschädigt zurückzuerhalten; ist ihm aber das Geringste geschehen, so werden Sie dennoch aufgeknüpft. Ich handle also in Ihrem eigenen Interesse, wenn ich Sie

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auffordere, mir einen Ihrer Leute zu nennen, der geeignet ist, als Ihr Bote zu den Dayaks zu gehen; den Beutel soll er mitbekommen, doch werden ihn zwei meiner Männer begleiten, welche gewohnt sind, mit diesen Wilden zu verkehren. Nennen Sie den Namen!“

„Untersteuermann Harcroft.“

„Das genügt. Nun will ich Ihnen noch einen braven Mann vorstellen, der an sich selbst erfahren hat, daß Sie Seeräuber sind, und dem wir es verdanken, daß wir so schnell und erfolgreich in Ihr Kielwasser gekommen sind.“

Er gab einen Wink — die Leute traten aus einander — die Gestalt des Deutschen war zu sehen!

„Holmers! Schurke!“ rief der Gefangene und erhob die Fäuste, um sich trotz seiner gefesselten Hände auf den Genannten zu werfen; doch wurde er sofort gefaßt und auf Befehl des Kapitäns hinüber nach dem „Falken“ gebracht.

Sobald der Morgen zu grauen begann, stieß ein Boot ab, um die drei Boten an das Festland zu bringen. Der Untersteuermann Harcroft hatte ausgesagt, daß er es sei, welcher mit Karima, dem Häuptlinge der Dayaks, zu verhandeln gehabt hatte, und die beiden ihm beigegebenen Männer verstanden das Malayische hinlänglich, um ihrem Auftrage genügen zu können.

Es war ausgemacht worden, daß Surcouf bis Mittag warten, dann aber, falls sie noch nicht zurückgekehrt seien, annehmen wollte, daß er ihnen zu Hilfe kommen müsse. Auch Holmers, der Deutsche, erzählte, daß er bei dem vorigen Aufenthalte Schooters hier mit am Lande gewesen sei und die Gegend genügend kenne, um als Führer dienen zu können. Nach seinen Angaben konnte der Kapitän einen

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Situationsplan entwerfen. Er hatte überhaupt diesen Mann trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins bereits lieb gewonnen. Holmer’s Trübsinn war eine Folge seiner Sehnsucht nach dem Vaterlande, welches er von ganzer Seele liebte und zu dem er doch nicht mehr zurückkehren durfte. Als Deserteur sah er sich verurtheilt, sein Haupt dereinst in fremder Erde zur Ruhe zu legen.

Die abgelaufene Frist verstrich, ohne daß die drei Boten zurückkehrten, und sah sich Surcouf zu einer kriegerischen Expedition an das Land verpflichtet. Er übergab dem Lieutenant das Commando der beiden Schiffe und stellte sich selbst an die Spitze der zwanzig Männer, welche zur Landung ausersehen waren. Sie wurden mit guten Waffen ausgerüstet und mußten trotz der hier herrschenden Hitze drei Anzüge über einander tragen, um das Eindringen der vergifteten Pfeile der Dayaks zu erschweren. Die Schiffe verließen die Insel und warfen in der Nähe des Festlandes Anker, damit sie die Küste desselben nöthigen Falles mit ihren Kanonen bestreichen könnten. Dann stießen die Boote ab, um an der Bucht zu landen, welche von einem kleinen, hier in das Meer mündenden Flüßchen gebildet wurde.

Das Ufer zeigte nur einen schmalen, sandigen Strich ohne Pflanzenwuchs; dann aber begann ein dichter Urwald, dessen Schlinggewächse das Fortkommen sehr erschwerten. Da fiel zum Beispiele sogleich ein beinahe hundert Fuß hoher Baum in die Augen, der einen Umfang von vielleicht zwanzig Fuß haben mochte. Seine weiße Rinde war rissig, und seine Früchte hatten die Größe einer Pflaume. Das war der fürchterliche Antschar),

) Antiaris toxicaria.
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dessen Milchsaft schon durch seine Ausdünstung sehr schmerzhafte Geschwülste hervorbringt; es ist der berüchtigte Upas, von dem so viel Schreckliches gefabelt wird. Er soll ganz allein im „Todesthale“ auf Java stehen und die Luft meilenweit so verpesten, daß kein Baum, kein Strauch, kein Gras gedeiht und alle lebenden Wesen in seiner Nähe dem Tode verfallen. Das ist nicht wahr; vielmehr findet er sich in den dichtesten Wäldern, und man hat sich nur vor der Berührung mit seinem Gifte und vor dem längeren Einflusse seiner Ausdünstung zu hüten. An ihm kletterte eine fast armsdicke Schlingpflanze empor, welche bis in bedeutende Höhe völlig astlos war, dann aber zwischen ihren eliptischen Blättern grünlich-weiße Blumen zeigte, welche einen jasminartigen Geruch ausströmten. Das war der javanische Brechnußbaum), dessen Wurzelrinde einen giftigen Saft gewinnen läßt, welcher unter den Namen Upas tschettek oder Upas radscha bekannt ist; er führte nach der geringsten Verwundung heftige Convulsionen und einen schmerzhaften Tod herbei. In der Nähe wuchsen ganze Massen einer fünf Fuß hohen Pflanze, welche ellenlange, weich behaarte Blätter und einen röthlich weißen Blüthenstrauß trug. Es war der indische Galgant✽✽). Auch wilder Cassamumar-Ingwer✽✽✽) und die strauchige Beißbeere) wuchsen da. Aus diesen fünf Pflanzen nebst einigen anderen bereiten die Bewohner des indischen Archipels ihr berüchtigtes Pfeilgift, über welches schon so viel Wahres und Unwahres erzählt worden ist. Die Bereitung geschieht auf folgende Weise: Man nimmt

) Strychnos Tieute. ✽✽) Alpinia galanga. ✽✽✽) Zingiber cassamumar. †) Capsicum.
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ein Quantum Antscharsaft, den zehnten Theil davon Saft der Galgant-Alpinie, eben so viel Saft des Cassamumar-Ingwers und des Arons, den Saft einer Zwiebel, etwas fein gepulverten schwarzen Pfeffer und vermischt das innig mit einander. Hierauf giebt man nach Umständen den Wurzelrindensaft der javanischen Brechnuß dazu und den Samen der Beißbeere, welcher ein starkes Aufbrausen verursacht. Hat das Brausen aufgehört und ist die Mischung filtrirt, so ist das Gift fertig. Wird dasselbe in nicht zu großen Quantitäten genossen, so erregt es in der Regel nur ein heftiges Erbrechen, kommt es jedoch mit dem Blute in Berührung, so wirkt es schnell tödtlich.

Daß der dichte Wald auch von gewaltigen Thieren belebt sei, zeigte den Seeleuten eine breite Rhinozerosspur, welche längs des Flüßchens aufwärts führte und in welche mehrere andere mündeten. In diese lenkte der Führer Holmers ein. Die Gefährlichkeit der Lage erforderte die Bildung einer Vorhut, und darum sandte Surcouf fünf Mann voraus, welche den Weg und dessen Umgebung auszuspähen hatten.

Man war beinahe eine halbe Stunde lang vorgerückt, als von dieser Vorhut das Zeichen gegeben wurde, daß etwas Auffälliges in Sicht sei. Schnell rückten die Anderen nach und gelangten an eine Stelle, wo sich ganz am Ufer des Flüßchens mehrere Rhinozeroswege vereinigten und also ein verhältnißmäßig freier Platz gebildet wurde. Dieser war abgeschlossen rechts durch den Fluß, links durch den dichten Urwald und vorn durch — eine mehrfache Reihe bewaffneter Dayaks, welche außerdem auch das andere Ufer des Wassers besetzt hielten. Sie hatten die Europäer

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bereits gesehen, schwangen ihre Spieße und Blasrohre und erhoben ein mächtiges Geschrei.

„Da,“ meinte der Oberconstabel, welcher mit einer Flinte und einer riesigen Keule bewaffnet war, „da haben sie sich uns in das Fahrwasser gelegt. Ich denke, wir segeln sie über den Haufen, Kapitän!“

„Nein,“ antwortete der Gefragte. „Noch wissen wir nicht, ob sie uns freundlich oder feindlich gesinnt sind.“

Er ließ die Mehrzahl seiner Leute zurück und schritt mit Holmers und noch drei Anderen vorwärts, bis er sich nur noch in einer Entfernung von vierzig Schritten von den Malayen befand. Er durfte sich sicher fühlen, da die Zurückgebliebenen die Dayaks ganz gut mit ihren Kugeln erreichen konnten. Als die Letzteren sein Manöver bemerkten, traten auch von ihnen Fünf vor. Der Eine von ihnen erhob den Wurfspieß und rief:

„Ada tuan-ku?“

Diese Worte bedeuten: „Welcher ist mein Herr?“ Sie enthielten eine Höflichkeit, und es ließ sich vermuthen, daß die Dayaks nicht die Absicht hegten, feindlich vorzugehen. Surcouf hatte sich so viel des Malayischen angeeignet, daß er antworten konnte:

„Ich bin der Anführer dieser Männer. Was führt Euch an diese Stelle?“

„Wir wollen Dich empfangen,“ lautete die Antwort.

„Woher wißt Ihr, daß wir kommen?“

„Die drei Männer, welche Du uns sandtest, haben es uns gesagt.“

„Wo sind sie?“

„Es sind nur noch Zwei; sie sind bei uns gefangen.“

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„Warum?“

„Sie haben uns einen Mann getödtet. Sie kamen zu uns, um den Pendgadschar Pengadschar) zurückzuverlangen; ich bin der Häuptling; sie wollten mir mein Gold wiedergeben, ich aber verlangte ein Gewehr mit Blei und Pulver. Sie wollten nicht, und als sie den Pengadschar erblickten, ergriffen sie ihn, um mit ihm zu entfliehen. Wir traten ihnen entgegen; da nahm der Eine sein Messer und erstach den Sohn meines Bruders. Mein Bruder war nicht da, darum ergriff ich meinen Spieß und stach den Mann in die Hand; er starb, denn dieser Speer ist in das Tapu-Upas getaucht. Nun haben wir die zwei Uebrigen gebunden; sie liegen in meiner Hütte, und Du kannst sie sehen.“

Die Worte dieses Mannes klangen genau so, als ob er die volle Wahrheit gesagt habe. Die Boten Surcoufs hatten unvorsichtig gehandelt und die Malayen gereizt.

„Und was verlangt Ihr jetzt für den Pengadschar? frug nun Surcouf.

„Das, was ich gesagt habe, denn ich rede nicht mit zwei Zungen. Aber den Todten mußt Du uns bezahlen.“

„Er ist bereits bezahlt, denn Du hast seinen Mörder getödtet; doch erlaube ich Dir, einen Preis zu fordern. „

„Das wird sein Vater thun, welcher bei seiner Leiche in der Hütte sitzt. Du wirst mit uns gehen müssen.“

„Versprichst Du uns volle Sicherheit?“

„Ja. Ihr werdet meine Gäste sein.“

Sie wurden weiter flußaufwärts geführt, bis sie ein

) Lehrer, Missionär.
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Thal erreichten, unter dessen Bäumen die primitiven Wohnungen der Dayaks standen. In der größten derselben, welche dem Häuptlinge gehörte, sollte die Berathung geschehen, zu welcher sich die Angesehensten versammelten. Auch der Bruder des Häuptlings erschien; er hatte sich mit allerlei Zeichen seiner Trauer behangen und blieb während der ganzen Verhandlung stumm. Natürlich gegehrte begehrte Surcouf vor allen Dingen, den Missionspriester und die beiden Boten zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt.

Als der Priester gebracht wurde, erkannte der Kapitän sofort den Pater Martin in ihm. Dieser blieb am Eingange stehen, freudig erstaunt, so viele Europäer hier zu sehen, von deren Anwesenheit er auf eine glückliche Wendung seiner Lage schließen konnte. Als sein Blick auf den Kapitän fiel, schien er in seiner Erinnerung vergeblich nachzusuchen.

„Ich heiße Surcouf,“ begann der Kapitän.

„Robert Surcouf! Kapitän Surcouf! Jetzt erkenne ich Sie trotz Ihres mächtigen Bartes und der sonnverbrannnten Farbe. Kommen Sie in meine Arme, mein muthiger Wohlthäter!“

Der Inhalt ihrer kurzen Unterredung läßt sich denken. Pater Martin war glücklich nach Italien entkommen und hatte dann Europa verlassen, um in Indien für die Bekehrung der Heiden thätig zu sein. Er erzählte in seiner schlichten Weise, daß er viel Ungemach überwunden habe, das Schlimmste aber sei ihm an Bord des „Eagle“ widerfahren, wo man die heilige Religion gelästert und ihren Diener auf die boshafteste Weise verspottet habe. Schließlich sei er gar noch verkauft worden, um bei irgend einem

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Begräbnisse als Todtenopfer geschlachtet zu werden. Surcouf versprach ihm natürlich seine Befreiung, erzählte ihm von der Gefangennahme Schooter’s, und der Priester pries Gottes Güte, welche ihm so augenfällig in seinem alten Beschützer abermals einen Retter gesandt hatte.

Als die zwei Boten gebracht wurden, waren es die beiden Leute des „Falken“; der am Upasgifte Gestorbene war also der englische Untersteuermann gewesen, welcher, wie seine Begleiter aussagten, so unvorsichtig kühn gehandelt habe, um sich das Wohlwollen Surcouf’s zu erwerben.

Nun begann die Unterhandlung mit den Dayaks. Häuptling Karima schien kein Freund von Umschweifen zu sein, und so wurde bis zur Einigung nicht viel überflüssige Zeit verschwendet. Seine klare, prompte Einleitung lautete:

„Wir wollen über unsere Feinde siegen, und dazu brauchen wir Waffen, wie die Euerigen sind. Ich werde Dir sagen, was Du uns geben sollst: eine Büchse und Pulver und Blei für den Getödteten; eine Büchse und Pulver und Blei für den Pengadschar, wenn er nicht hier bleiben will. Bleibt er bei uns, so soll er uns das lehren, was wir nicht wissen. Die Dayaks da oben in den Bergen und im Innern der Insel haben keine Gedanken; wir aber erkennen, daß Ihr viel weiser seid, als wir; wir wollen von Euch lernen und mit Euch einen Bund schließen. Wenn Du das thust, so werde ich Dir Goldsand und schöne Steine zeigen, welche wir in den Bergen finden, und Du sollst mir sagen, wie viele Flinten, Pulver und Blei, Beile und Messer Du uns dafür geben kannst. Auch Tücher und Kleider möchten

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wir gern. Dann scheiden wir in Frieden und werden uns freuen, wenn Du wiederkommst oder uns einen Boten sendest.“

Surcouf war ganz erstaunt ob dieses ebenso friedfertigen wie Gewinn verheißenden Anerbietens.

„Das ist nicht Zufall, das ist Gottes Schickung!“ meinte der Priester. „Der Herr hat diesen Häuptling bei der Hand erfaßt, um ihn auf den rechten Weg zu leiten, und mir giebt er einen Fingerzeig für den Ort einer segensreichen Wirksamkeit. Kapitän Surcouf, ich bleibe hier! Wollen Sie dafür sorgen, daß ich mit der Welt in Verbindung bleibe?“

„Gern, ich verspreche es Ihnen!“

Surcouf wandte sich an den Häuptling:

„Du hast klug und weise gesprochen, wie ein Mann, welcher der Häuptling Vieler werden wird. Das Land, aus dem ich komme, kann Dir Alles bieten, was Du brauchst: Schutz gegen Deine Feinde, Waffen, Kleider, Geräthe aller Art. Deine Worte haben mich zu Deinem Freunde gemacht. Ich werde Dir Alles geben, was Du verlangt hast. Einige meiner Leute können gehen, um es zu holen. Ich werde Dir eine Büchse, Pulver und Blei für diesen Pengadschar geben, trotzdem er wünscht, hier bei Dir zu bleiben. Willst Du ihn als Deinen Gast behalten und beschützen, so werde ich Dir außerdem noch zwei Gewehre, drei Pistolen, drei eiserne Töpfe zum Kochen, ein rothes und ein blaues Kleid für Dich, einen Spiegel, welcher dreimal größer ist, als Dein Kopf, und allerlei andere Sachen geben. Willst Du mir nun den Goldsand und die Steine zeigen?“

Karima gab einen Wink, und bald brachten drei Männer das Gewünschte in Säckchen herbei. Der Goldsand -

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Goldsand war rein und wog vielleicht zwanzig Pfund, und die Steine waren ächte Diamanten, manche von der Größe einer dicken Erbse.

„Was verlangst Du dafür?“ fragte Surcouf.

„Herr, sage selbst, was Du denkst!“

„Gut! Ich werde Dir dafür geben eine — — höre! — eine Kanone!“

Es war erstaunlich, welche Wirkung dieses Zauberwort auf alle Hörer hervorbrachte. Die braunen Gesichter der Malayen glänzten vor Wonne, und ihr Häuptling rief:

„Herr, eine Kanone, ist’s möglich?“

„Ich sage es ja! Eine Kanone mit hundert großen Kugeln und Pulver zu hundert Schüssen.“

„Oh, so bist Du der beste Freund, den wir besitzen, denn nun müssen alle unsere Feinde vor uns zu Schanden werden.“

„So sind wir also einig. Macht Euch bereit, mich auf das Schiff zu begleiten; dort sollt Ihr Alles erhalten, was ich Euch versprochen habe!“

In kurzer Zeit setzte sich ein ziemlich langer Zug in Bewegung, und bald mußten die Boote vom Schiffe abstoßen, um die Kameraden und Dayaks an Bord zu bringen. Dort erhielten sie eine Einpfünder-Drehbasse nebst Munition und alles sonst Versprochene.

Surcouf blieb drei Tage in der Sakurubucht, dann nahm er von den Malayen und dem Priester, welchen er mit allem Nöthigen reichlich versehen hatte, einen herzlichen Abschied.

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IV.

Die Französische Revolution hatte ihren Kreislauf vollendet.

Aus dem Consulate war ein Kaiserthum geworden, und der groß gewordene kleine Corse hatte sich mit einem prunkvollen Hofstaate von Großoffizieren und Großwürdenträgern umgeben. Ganz Europa hörte auf seine Stimme, und nur das stolze Albion verschmähte es, ihm ein Liniensystem in der Partitur des politischen Concertes zu gestatten. Wie sein Stern emporgestiegen war, so sollte er auch wieder sinken und verschwinden, plötzlich, aus dem Nichts in das Nichts — ein Meteor, welches keine Rückkehr feiert.

Die Häfen Frankreichs waren von England seit mehreren Jahren so nachdrücklich blockirt worden, daß es kaum einmal einem französischen Schiffe gelang, die See zu gewinnen. Diese Sperre legte natürlich den Handel Frankreichs vollständig auf das Trockene. Uebrigens hatte Frankreich fast alle seine Colonien an England verloren und damit ganz unersetzliche Verluste erlitten. Frankreich hätte nun diese Schläge zu verhüten oder an den Gegner zurückzugeben vermocht, aber Napoleon war kein Seemann und hegte bereits damals den großartigen, später so traurig verunglückten Plan, England in Indien über das eroberte Rußland hin anzugreifen. Dazu bedurfte er einer mächtigen Völkercoalition im Herzen Europas, auf welche er sein ganzes Augenmerk richtete, anstatt einen kürzeren

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weniger kostspieligen und weniger unsicheren Weg einzuschlagen.

Seine Versuche, an der Küste Großbritanniens zu landen, waren stets gescheitert. Es fehlte an einer tüchtigen Flotte und an Männern, deren Namen man neben dem der damaligen britischen Admirale hätte nennen können. Das Erbauen neuer Schiffe erforderte bedeutende Summen, aber sobald sie in See gingen, wurden sie von den Engländern weggenommen. Und doch hätte sich bereits im Jahre 1801 Napoleon einer Erfindung bemeistern können, durch welche er England in Furcht versetzt haben würde. Robert Fulton, der berühmte amerikanische Mechaniker, war nach Paris gekommen, um zu beweisen, daß es möglich sei, Schiffe mittelst der Kraft des Dampfes zu bewegen. Er stellte daselbst im Verein mit dem damaligen amerikanischen Vertreter in Paris, Kanzler Livingston, verschiedene Versuche an, welche aber nicht beachtet wurden. Aus diesem Grunde ging er nach England, wo er auch keinen Beifall fand. Dennoch ließ er sein Projekt nicht fallen und kehrte zwei Jahre später nach Paris zurück.

Er brachte auf der Seine sein erstes Versuchs-Dampfboot in Gang, wurde aber von keiner Seite unterstützt. Er wandte sich direkt an den ersten Consul, und es wurde ihm eine Audienz gestattet. In einem Zimmer der Tuilerien standen Beide einander gegenüber, der Held des Dampfes und der Heros der Schlachten.

„Man sieht ein,“ sagte Fulton nach einer längeren Debatte über seine Erfindung, „daß die Dampfkraft der Schifffahrt von ungeheurem Nutzen sein und sie auf ungeahnte Weise heben wird. Die Entfernungen werden schwinden, die Schwierigkeiten sich vereinfachen, die Gefahren -

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Gefahren und Unglücksfälle sich vermindern. Die Manövrirfähigkeit eines Schiffes muß sich verzehnfachen, wenn sie nicht mehr von Wind und Segelwerk abhängig ist. Derjenige Fürst, welcher die ersten Kriegsdampfer baut, wird jeder Marine der Welt überlegen sein.“

Der Consul hatte schweigsam und mit einem sarkastischen Lächeln um den Mund zugehört. Jetzt ergriff er Fulton beim Arme und zog ihn an’s Fenster. Auf die vor demselben wogende Menge der Passanten deutend, frug er in einem sehr ironischen Tone:

„Sehen Sie die neue Erfindung, welche viele dieser Leute zwischen den Lippen tragen?“

„Ich sehe sie,“ antwortete Fulton. „Es ist die Cigarre, welche man jetzt auch in Frankreich zu rauchen beginnt.“

„Nun wohl! Alle diese Raucher sind lebendige Dampfmaschinen. Sie entwickeln Dampf, weiter nichts!“

„Ich wage zu bemerken, daß der Rauch nicht mit dem Dampfe zu verwechseln ist. Es ist nicht Dampf, was bei dem Rauchen einer Cigarre entsteht.“

Bei diesem Einwande zogen sich die Brauen des ersten Consuls unmuthig zusammen; er war es nicht gewohnt, sich von einem schlichten Mechanikus corrigirt zu sehen; darum klang seine Stimme schroffer als bisher:

„Dampf oder Rauch, das bleibt sich gleich! Wie kann dem Rauche einer Cigarre die Kraft innewohnen, ein Schiff zu treiben? C’est drôle — es ist lächerlich!“

Fulton wagte jetzt keine abermalige Berichtigung, aber er entgegnete in dem rücksichtsvollsten, höflichsten Tone:

„Ich wiederhole jedoch und behaupte nachdrücklich,

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daß derjenige Herrscher, welcher die ersten Dampfschiffe besitzt, in kurzer Zeit Herr der Meere sein wird. Einem solchen Erfolge gegenüber sind die Kosten einiger Versuche verschwindend klein zu nennen. Ich erinnere an Englands Haß gegen Frankreich. Wenn der Beherrscher der französischen Nation eine Dampferflotte besäße, so würde er in London den Engländern Gesetze vorschreiben können.“

Napoleon trat von dem Fenster, an welchem Beide stehen geblieben waren, zurück und meinte in seinem kältesten Tone:

Mon ami, ich pflege meine Chancen nicht dem Dampfe anzuvertrauen. Ich sehe mich über Ihr Object vollständig informirt und muß mich ablehnend verhalten.“

Eine stolze verabschiedende Handbewegung sagte Fulton, daß die Audienz beendet sei.

Fulton ging. Er war um eine große Hoffnung ärmer geworden. Der Consul aber ahnte nicht, daß er als verbannter Kaiser einst dieser Stunde bedauernd gedenken würde.

Aber schon wenig über ein Jahr später sollte er an sie erinnert werden. Der unterdessen Kaiser gewordene Bonaparte hatte in der Nähe von Boulogne und außerdem bei Utrecht eine bedeutende Heeresmacht zusammengezogen, um in England zu landen. In Folge dessen wurde die Bewachung der französischen Häfen von den Engländern auf eine Weise verschärft, daß keinem französischen Schiffe das Entschlüpfen gelingen wollte. Außerdem kreuzten in den Frankreich begrenzenden Meerestheilen englische Flotten, welche jedes ihnen begegnende Fahrzeug anhielten und durchsuchten; war es ein Franzose oder hatte es für Frankreich geladen, so wurde es weggenommen.

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Diese Calamität machte dem Marineminister ungeheuer zu schaffen; er hatte fast täglich Conferenzen mit dem Kaiser, die gewöhnlich mit beiderseitiger Erregung endigten.

Während einer dieser turbulenten Besprechungen, als eben wiederum die Rede von der strengen Blockade der sämmtlichen Häfen war, sagte der Minister:

„In dieser Misère ist es eine um so größere Freude, zu erfahren, daß es doch noch Männer giebt, deren Muth und Geschicklichkeit der Aufmerksamkeit dieser britischen Seebären gewachsen ist.“

Der Kaiser blickte auf.

„Was ist’s?“ fragte er. „Hat Hugues etwas getan?“

Admiral Hugues, war nämlich einer von den wenigen französischen Seemännern, welche zuweilen glücklich operirten.

„Nein,“ antwortete der Minister. „Es ist etwas Anderes; es ist fast ein kleiner Seeroman.“

„Sprechen Sie, so wenig ich mich sonst für Romane interessire!“

„Von dem englischen Geschwader des Commodore Dancy ist eine Fregatte auf Belle-Isle gegenüber Le Palais gelandet, um die kleinen Ortschaften der Insel zu beängstigen. Während die Mannschaften sich am Lande befinden, kommt eine kleine Brigg herangesegelt, zeigt die englische Flagge, legt sich Seite an Seite mit der Fregatte, nimmt sie weg, zieht die französische Flagge auf und segelt davon. Am andern Morgen kommt dieselbe Fregatte, hinter sich die Brigg mit niederhängender Flagge, als habe sie dieselbe genommen, ganz wohlgemuth an das englische Blockadegeschwader vor Brest gesegelt; sie läßt ganz stolz vom hohen Top die englischen Farben wehen,

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und da ein jeder Kapitän die Fregatte kennt, so denkt man, sie sei von Commodore Dancy mit irgend einer Botschaft an den Commandanten des Geschwaders gesandt und habe unterwegs das französische Schiff genommen. Sie salutirt, und alle Schiffe des Geschwaders antworten. Sie segelt das Flaggenschiff an und thut, als wolle sie beidrehen; da aber plötzlich sinkt die englische Flagge und die französische fliegt empor, bei der Brigg ebenso. Beide jagen dem englischen Flaggenschiffe, einem Linienschiff von hundert und zwanzig Kanonen, die Kugeln einer Breitseite in den Riesenleib, strengen im Nu alle Segel an und kommen glücklich unter den Schutz der Batterien von Le Goulet). Die Engländer, welche natürlich sich zur schleunigen Verfolgung aufgemacht hatten, wurden von den Kugeln der Batterien gezwungen, umzukehren.“

Die Augen des Kaisers leuchteten.

„Das ist ein Heldenstück, an das man nicht glauben kann!“ rief er.

„Sire, ich erzähle eine Thatsache!“

„Ich selbst bin allerdings Zeuge eines ähnlichen Heldenstückes gewesen. Ein ganz junger Seemann nahm ein englisches Fahrzeug und segelte damit ganz offen durch die Flotte des Admirals Hood. Dieser Mann hieß Robert Surcouf und ist derselbe, von dessen indischen Thaten man mit jeder Post auch Neues hört. Ihr Held muß übrigens die Küste der Bretagne und den Hafen von Brest ganz genau kennen.“

„Dies ist der Fall, denn er ist in der Bretagne geboren.“

) Die enge Einfahrt in die Rhede von Brest.
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„Auch Robert Surcouf ist ein Breton. Wie ist der Name Ihres Mannes? Es ist sehr nothwendig, ihn sich zu merken, denn man wird seinen Besitzer brauchen können.“

„Majestät haben ihn bereits zweimal genannt.“

„Ah! Surcouf ist es? Wirklich Surcouf?“

„Er selbst, Sire.“

„Dann glaube ich an die Wegnahme der Fregatte. Es ist dies ein Meisterstück, welches ihm Niemand nachmachen wird. Man wird diesen Mann festzuhalten suchen, ihm einstweilen ein Linienschiff und dann eine Escadre geben. Bemerken Sie sich das; es ist mein Wille!“

„Ich danke Ew. Majestät in seinem Namen. Er bringt uns nicht nur die eroberte Fregatte, sondern auch Berichte, Briefe und Gelder von Isle de France und Isle Bourbon. Der Gouverneur von Isle de France meldet mir, daß er in den letzten drei Monaten elf Schiffe von Surcouf überkommen hat, welche dieser kühne Parteigänger den Engländern wegnahm. Frankreich hat Surcouf nicht nur diese außerordentliche Schädigung des Feindes, sondern auch die durch den Verkauf dieser Prisen und die Verwerthung ihrer Ladungen erlangten großen Summen zu verdanken. Ich gestatte mir die Bemerkung, daß ich überzeugt bin, dieser noch so junge Breton könnte den Engländern furchtbar werden, wenn man ihm erlaubte, sich an der rechten Stelle zu befinden. Und dabei ist er bescheiden und anspruchslos, wie ich selten einen Mann von seinen Verdiensten gefunden habe.“

„Wie, Sie kennen ihn?“ frug der Kaiser rasch.

„Verzeihung, Sire! Ich vergaß, zu sagen, daß er mich gestern um eine Audienz bat, die ich ihm heut gewährte.“

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„So befindet er sich in Paris?“

„Er ist hier, um einen Prozeß gegen den Gouverneur von Isle de France zu betreiben, welcher sich weigert, ihm den Erlös einiger Prisen auszuzahlen.“

„Wie hoch ist die Summe?“

„Gegen anderthalb Millionen Francs. Er hat gegen den Gouverneur bereits einen ähnlichen Proceß gewonnen, wo sich der gesetzgebende Körper für Surcouf entschied. Es handelte sich dabei um rund siebenmalhunderttausend Francs.“

„Solch ein Kaper verdient ja ungeheuere Summen!“

„Nur ein Kaper von dem Unternehmungsgeiste und der Einsicht Surcouf’s. Aber Majestät mögen geruhen, an die Summen zu denken, welche er braucht, um stets seetüchtig zu sein. Uebrigens weiß man genau, daß Surcouf nicht einen Franken für sich behält; er ist der Vater, der Freund, der Schatzmeister unserer indischen Ansiedelungen, welche leider so oft allein nur auf seinen Schutz und seine Freigebigkeit angewiesen sind.“

„Wird er seinen Prozeß gewinnen?“

„Ich zweifle keinen Augenblick!“

„So kann ich diese Angelegenheit selbst begleichen, ohne der Gerechtigkeit durch eine décision arbitraire Eintrag zu thun. Kann man diesen Surcouf einmal wie durch Zufall sehen?“

„Ich habe mit ihm zu sprechen. Wollen Ew. Majestät befehlen, wann dies bei mir zu geschehen hat?“

„Elf Uhr morgen. Sie werden dafür sorgen, daß er pünktlich ist. Wie steht es mit seinem Antheile an der Fregatte?“

„Man ist bereits daran, das Fahrzeug zu taxiren.“

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„Man kann dies unterlassen; ich selbst werde Surcouf entschädigen!“ — — —

In der Vorstadt Poissoniêre stand ein Gasthaus. Es war zwar kein feines Hôtel, aber eine recht angenehme Auberge, und der Wirth desselben pflegte, wie allen seinen Besuchern bekannt war, sich nur mit anständigen Gästen zu befassen. Es war der gute Oncle Carditon, der einem Jeden, welcher es hören wollte, sehr ausführlich erzählte, daß er zuvor eine Taverne in Toulon besessen habe, doch mit Hülfe des berühmten Kapitän Surcouf in seinen Verhältnissen so weit vorwärts gekommen sei, daß er nach Paris ziehen und sich die hübsche Auberge kaufen konnte.

Seit gestern abend befand sich Oncle Carditon in einer sehr gehobenen Stimmung und zugleich in einer ungewöhnlichen Geschäftigkeit: Robert Surcouf hatte Quartier bei ihm genommen, und zwar nicht allein, sondern mit seinem Lieutenant Bert Ervillard, seinem Segelmeister Holmers und noch einigen Leuten des „Falken“. Dieser liebe Besuch mußte natürlich auf das Beste und Sorgsamste bedient werden, und darum ist es kein Wunder, daß Oncle Carditon für Andere nicht gar viel Zeit übrig hatte.

Der gute Oncle Carditon war außerordentlich stolz auf Surcouf. Trotz seiner Geschäftigkeit fand er doch Zeit, den Stammgästen zu erzählen, daß Kapitän Surcouf gestern sofort nach seiner Ankunft zum Minister gefahren sei, und daß auch vorhin ein reich gallonirter Diener desselben einen Brief für Surcouf gebracht habe. Es sei noch nie ein Gast bei ihm eingekehrt, der mit den Ministern des Kaisers verkehrt hätte, und es könnten sehr viele vornehme Hôtels genannt werden, deren Gäste noch

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nie mit einem Minister gesprochen und noch weniger ihn besucht oder gar einen Brief von ihm empfangen hätten.

Als der Kapitän von einem Spaziergange zurückkehrte, brachte ihm Oncle Carditon diesen Brief in eigener Person auf einem feinen Glasteller, denn der gute Oncle dachte sich, daß der Brief eines Ministers anders zu behandeln sei, als ein Papier aus gewöhnlichen Händen. Surcouf öffnete und fand die Weisung, sich am nächsten Vormittag präcis halb elf Uhr bei dem Chef des Marinewesens einzufinden.

Als der Kapitän des „Falken“ am andern Morgen das Hôtel des Ministers betrat, wurde er direkt nach dessen Arbeitszimmer geführt. Er wußte, daß dies eine Auszeichnung für ihn sein solle, doch nahm er dieselbe so gleichmüthig hin, als ob er es gar nicht anders erwartet habe. Der hohe Beamte empfing ihn mit der ausgesuchtesten Höflichkeit.

„Ich habe Sie nicht rufen lassen,“ begann er, „um über Ihre Angelegenheit mit Ihnen zu verhandeln, sondern um mich von Ihnen über einige nautische Fragen, welche die von Ihnen mit Vorliebe befahrenen Gegenden betreffen, unterrichten zu lassen. Es sind eben jetzt so wenig Männer gegenwärtig, von denen ich die gewünschte Auskunft erhalten könnte, daß ich Ihre Anwesenheit nicht unbenützt vorübergehen lassen darf.“

Und nun brachte er eine Anzahl Seekarten zum Vorscheine, über welche eine nach und nach immer lebhaftere Unterhaltung geführt wurde. Surcouf hatte Gelegenheit, seine reichen Erfahrungen in seiner stillen, anspruchslosen Weise zur Geltung zu bringen, und der

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Minister verbarg es keineswegs, daß ihn der junge Seemann — je länger desto mehr — interessirte.

Da öffnete sich plötzlich die Thür, und der Diener meldete den Kaiser, welcher zu gleicher Zeit mit der Meldung eintrat.

„Excellenz,“ sagte er, „ich komme persönlich, um eine höchst wichtige Angelegenheit selbst — — ah!“ unterbrach er sich, „Sie sind beschäftigt?“

„Ich bin zu Ende und stehe Ew. Majestät überhaupt zu jeder Stunde zur Verfügung,“ lautete die Antwort.

Der Kaiser hatte Surcouf scharf in das Auge gefaßt, um zu sehen, welchen Eindruck die plötzliche Gegenwart des Lenkers Frankreichs auf ihn machte. Wenn er geglaubt hatte, den Kapitän in Verlegenheit zu bringen, so hatte er sich getäuscht, denn dieser zuckte mit keiner Miene, und die Farbe seiner tief gebräunten Wangen blieb ganz die gleiche; er trat nur mit einer tiefen, respektvollen Verbeugung zur Seite und richtete dann seinen Blick auf den Minister, da er erwartete, verabschiedet zu werden.

„Kapitän Surcouf, Majestät,“ stellte dieser ihn vor.

„Kapitän?“ frug Napoleon kalt. Und dann fügte er mit scharfer Stimme, als beabsichtige er, einen Verweis zu ertheilen, hinzu: „Wer hat Sie zum Kapitän gemacht?“

Dieser Ton und diese Frage, welche einen Andern verblüfft hätte, brachte den Gefragten nicht im mindesten aus der Fassung; er antwortete ruhig, aber mit einem beredteren Blick, als die Demuth ihn erfordert hätte:

„Frankreich nicht, Sire, sondern der Seegebrauch. Frankreich gab mir kein Schiff; da nahm ich mir ein

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solches und wurde von diesem Augenblick an Kapitän genannt. Diejenigen, welche mich mit diesem Worte beehren, wissen vielleicht kein anderes, welches ihnen passend erscheint; denn die Zeit, in welcher es genügte, einen Jeden einfach „Bürger“ zu nennen, ist vorüber.“

Er hatte den Ausfall des Kaisers parirt und ihm dafür zwei Hiebe zu gleicher Zeit gegeben. Daß sie getroffen hatten, zeigte das kleine Fältchen, welches sich über der Nasenwurzel Napoleon’s bildete.

„Sehnen Sie diese Zeit zurück?“ frug dieser mit jener Kürze, welche er anzuwenden pflegte, wenn er einem Andern in den Grund der Seele zu blicken beabsichtigte.

Diese Frage war verfänglich, doch Surcouf antwortete ruhig:

„Ich ersehne vor allen Dingen das Glück meines Vaterlandes; in jener Zeit war Frankreich nicht glücklich; möge es jetzt anders werden!“

„Was verstehen Sie unter dem Glück eines Volkes, insbesondere unter dem Glück der französischen Nation?“ frug Napoleon mit einem überlegenen Lächeln.

„Nichts Anderes, als was ich unter dem Glück der Menschheit verstehe: innerliches und äußerliches Wohlbefinden.“

„Und was ist dazu erforderlich?“

„Ein friedliches Regiment und eine freie Bahn für alle redlichen Erzeugnisse des Geistes und der Hände.“

„Und wenn dieses friedliche Regiment nicht möglich ist?“

„So erzwinge man es durch würdige Mittel, welche klug und kraftvoll anzuwenden sind. Kein Friede ohne vorherigen Kampf.“

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„Halten Sie die Kaperei auch für eines dieser würdigen Mittel!“ fragte der Kaiser lächelnd.

„Nein,“ erklang die aufrichtige Antwort. „Es wird die Zeit bald kommen, welche dieses beklagenswerthe Institut verurtheilt, und alle seefahrenden Nationen werden sich zur Abschaffung desselben vereinigen. Ich selbst bin Kaper, doch ohne daß mich mein Gewissen verurtheilt, denn ich habe mich zu jeder Zeit bestrebt, bei meinem Thun alle Härten zu vermeiden und es so einzurichten, daß daraus ein Segen für brave Menschen entspringt. Ich darf mich frei von Schuld und Unrecht fühlen, denn ich bin der Wurm, welcher sich unter dem Fuße des Feindes krümmt, der Wurm, dem nicht das Gebiß des Löwen oder die Pranken des Bären gegeben sind.“

„Aber dennoch ein sehr respektabler Wurm,“ konnte Napoleon sich nicht enthalten, zu bemerken. „Man hat zuweilen von Ihnen gehört. Warum treten Sie nicht in die Marine ein?“

„Weil die Marine nichts von mir wissen wollte.“

„Vielleicht hat sie ihre Ansicht geändert. Sie müssen sich darnach erkundigen!“

„Wer mir seine Thür zeigt, kann nicht erwarten, daß ich es bin, der ihn um Eintritt bittet. Man hat mich allerdings bemerken lassen, daß man mit meinen kleinen Erfolgen zufrieden ist; auch sind mir von anderen Nationalitäten zuweilen Anträge zugegangen, doch habe ich keine Veranlassung, eine Aenderung meiner Gesinnung eintreten zu lassen. Ich habe für mein Vaterland gekämpft, obgleich es mich von sich stieß; ich werde demselben treu bleiben zu aller Zeit, selbst dann, wenn es mir nichts Anderes bietet, als bisher.“

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„Der vermeintliche Undank des Vaterlandes ist bereits für Viele der Sporn zu hohem Wirken gewesen; auch Sie werden sich nicht beklagen. Man sagt, daß Sie einen Prozeß führen?“

„Man enthält mir mein wohlerworbenes Eigenthum vor, welches ich zum Nutzen derjenigen zu verwenden habe, welche auf keine andere Hilfe rechnen können.“

„Ich bin überzeugt, daß Sie Gerechtigkeit finden. Ich sehe hier Karten liegen. Hat Excellenz Ihre Erfahrungen in Anspruch genommen?“

„Ich hatte das Glück, einige kleine Antworten geben zu dürfen.“

„Die jedoch für mich von großer Bedeutung waren,“ ergänzte der Minister. „Kapitän Surcouf ist der Mann, an welchen man sich wenden muß, wenn man sich über unsere indischen Angelegenheiten orientiren will.“

„Auch ich interessire mich für diese Angelegenheiten sehr, bemerkte der Kaiser. „Ich werde Sie einmal sehen und Ihnen die Stunde mittheilen lassen.“

Mit einer Handbewegung gab er das Zeichen, daß Surcouf entlassen sei.

Einige Tage später staunte Oncle Carditon nicht wenig, als vor seiner Thür ein Wagen hielt, aus welchem ein Adjutant des Kaisers stieg. Dieser fragte nach dem Kapitän Surcouf, und als er hörte, daß derselbe nicht anwesend sei, befahl er dem Wirth, Surcouf zu sagen, daß seine Majestät geruhen würden, ihn morgen zur Mittagszeit zu empfangen.

Der Wagen war längst wieder verschwunden, da stand der gute Oncle Carditon noch immer mit offenem Munde vor der Thür. Welch eine Ehre für seine Auberge! -

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Auberge! Das mußte er sogleich seinen Stammgästen erzählen, obgleich er eigentlich gar keine Zeit dazu hatte.

Am andern Tage stand Surcouf einige Minuten vor der angegebenen Zeit in den Tuilerien und wurde Punkt 12 Uhr vor den Kaiser geführt. Dieser empfing ihn in demselben Raume, in welchem Robert Fulton seine verunglückte Audienz gehabt hatte. Der Kaiser warf einen seiner durchdringenden Blicke auf die stattliche Gestalt des Sohnes der Bretagne und erwiderte dessen tiefe Verneigung nur mit einem kaum bemerkbaren Senken seines Kopfes.

„Kapitän Surcouf,“ begann er, „ich habe mich Ihrer Angelegenheit angenommen. Man wird Ihnen die streitige Summe auszahlen, sobald Sie dieselbe begehren.“

Er schwieg, als erwarte er, eine Fluth von Dankesworten zu vernehmen. Der Seemann aber sagte einfach:

„Sire, ich danke! Ich hatte die Richter Frankreichs für so gerecht gehalten, daß meine Angelegenheit Ew. Majestät nicht hätte belästigen sollen.“

„Ich verstehe Sie nicht,“ fiel der Kaiser rasch ein. „Ihre Angelegenheit ist durch mich zwar schneller, aber ganz mit demselben Resultate erledigt worden, welches sie durch den richterlichen Spruch gefunden hätte. Ganz ebenso ist es mit der von Ihnen den Engländern abgenommenen Fregatte, deren Werth bereits taxirt worden ist. Nehmen Sie dieses Portefeuille! Es enthält genau die Summe, welche Sie zu fordern haben.“

Er griff nach der Brieftasche, welche auf einem neben ihm stehenden Tischchen lag, und reichte sie ihm entgegen. Surcouf nahm sie unter einer dankbaren Verbeugung und sagte:

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„Ich danke abermals, Majestät! Auf diese Weise bin ich eines längern thatlosen Aufenthaltes in Paris überhoben und kann zur Erfüllung meiner Pflichten zurückkehren.“

„Sie wollen Frankreich verlassen?“

„Ja.“

„Jetzt, wo alle Häfen gesperrt sind und kein Schiff auszulaufen vermag!“

„Sire,“ lächelte Surcouf, „ich bin eingelaufen trotz der Blockade und werde auch wieder die See gewinnen.“

„Eh bien! Kann ich Ihnen einen Wunsch erfüllen?“

„Es giebt sogar zwei Wünsche, welche ich Ew. Majestät zu Füßen legen möchte. Der erste betrifft meinen braven Lieutenant Bert Ervillard. Er ist einer der tüchtigsten Seeleute, welche ich kenne, obgleich er kein hohes Alter hat. Ich habe noch kein feindliches Schiff betreten, ohne Meister desselben zu werden, und er ist der Gefährte meiner Siege; er würde der Marine Frankreichs von großem Nutzen sein.“

„Will er Sie verlassen?“

„Er weiß nichts davon, daß ich von Ew. Majestät ein Schiff für ihn begehre.“

„Er soll die Fregatte erhalten, welche er mit Ihnen den Engländern entführt hat! Und Ihre zweite Bitte?“

„Sie betrifft meinen Segelmeister. Er ist ein Deutscher und gehörte zu den zwölftausend Hessen, welche für England in Nordamerika bluten sollten. Er wollte aber gegen die Union nicht kämpfen und entfloh. Da ihm als Deserteur die Rückkehr in das Vaterland nicht möglich war, verlor er eine geliebte Braut, ein nicht unbedeutendes Vermögen und mußte verzichten, seinen Eltern die Augen

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zuzudrücken. Er wurde Seemann, befuhr alle Meere, wurde von dem berüchtigten Kapitän Schooter gepreßt und entkam dann glücklich zu mir, wobei er mir den „Eagle“ in die Hände lieferte. Seit jener Zeit hat er Frankreich viele Dienste geleistet, denn bei jedem feindlichen Schiffe, welches ich nahm, ist er der Vorderste gewesen. Er sehnt sich, in die Heimath zurückzukehren, und hat mich dringend gebeten, Ew. Majestät sein Gesuch um Ihre allerhöchste Befürwortung zu unterbreiten.“

„Kapitän, ich habe in dem Vaterlande dieses Mannes nichts zu befehlen; aber um Ihretwillen soll er heimkehren dürfen. Ich werde diesen Wunsch der betreffenden Stelle zu erkennen geben; dabei aber mag er selbst eine Bittschrift an seine heimathliche Behörde gehen lassen, und ich bin überzeugt, daß dieses Gesuch nicht abschlägig beschieden wird. Sind Sie zufrieden gestellt?“

„Ich empfinde die Gnade Ew. Majestät mit herzlicher Dankbarkeit!“

„Und für sich selbst, haben Sie da keinen Wunsch?“

„Sire, geben Sie meinem Vaterlande den Frieden, dessen es bedarf; gewähren Sie ihm, was es braucht, um glücklich zu sein, so sind meine heißesten Wünsche erfüllt!“

„Sie verlangen für sich nichts und für Ihr Vaterland doch mehr, als ich vielleicht zu geben vermag. Man darf nicht sanguinisch sein. Zum Wohle des Vaterlandes hat ein jeder Einzelne nach Kräften beizutragen. Sie selbst haben scheinbar genug gethan, aber es giebt eine Sphäre, in welcher Sie noch Besseres leisten könnten. Soll Ihnen dieselbe verschlossen bleiben?“

„Majestät, die Frage macht mich glücklich, aber dennoch muß ich mit einem bittern „Ja“ antworten.“

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„Warum?“

„Ich bin ein Seemann, ein Krieger, aber ich werde niemals ein Kriegsknecht sein können. Ich beklage den Feldherrn, der den Krieg nur um des Krieges willen führt; der Krieg ist eine traurige Nothwendigkeit; er soll geführt werden, wenn ihn ein großer Zweck erheischt, und nur so, daß dieser Zweck auch erreicht wird. Wäre dies nicht der Fall, so würde ich als Offizier meinen Abschied fordern oder nehmen.“

„Ah, ich sehe, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe! Sie wollen mir einen Rath ertheilen, wie damals vor Toulon!“

„Ich bin nicht zum Ratgeber eines Kaisers berufen. Zum Bürger Colonel Bonaparte konnte ich ohne Bedenken sprechen, heut’ aber darf ich nur der Gründe gedenken, welche mich abhalten, in die Marine zu treten, und mich zwingen, ein „Privateer“ zu bleiben.“

„Surcouf, Sie können sprechen, ja Sie sollen sprechen! Ich werde Ihre Offenheit ohne Zorn entgegennehmen. Sie wissen, daß man sagt, ich habe die Absicht, in England zu landen?“

„Ich weiß, daß Sie Ihre Truppen bei Boulogne zusammenziehen; aber ich weiß ebenso gut, daß diese Truppen nicht nach England kommen werden.“

„Ah! Sie behaupten kühn!“

„Meine Behauptung hat triftige Gründe. Wo hat Frankreich die Seemänner, welche es vermögen, uns den Weg nach England zu öffnen, indem sie die Engländer von unsern blockirten Häfen vertreiben und ihre Flotten in den Grund schießen? Wo sind die Schiffe, welche dazu gehören? Es bedarf langer Jahre, Jahre des

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Friedens, um Frankreichs Seemacht von den Wunden zu heilen, die ihr geschlagen worden sind. Frankreich muß mit allen anderen Nationen Frieden haben, um sich auf den großen Schlag vorbereiten zu können, mit dem es Englands Uebermuth demüthigt, denn Frankreich hat keinen andern Feind als nur diesen einzigen: — England. Sire, warum haben Sie Robert Fulton von sich gewiesen? Ohne Prophet zu sein, behaupte ich, daß in wenigen Jahren der Dampf die riesigsten Schiffe über alle Meere treiben wird. Dann werden Sie bedauern, die Gelegenheit, der mächtigste Monarch zu sein, von sich gestoßen zu haben!“

„Pah, Fulton! Er ist ein Träumer, und seine Träumerei scheint ansteckend zu sein, da sie sogar Ihren Kopf ergriffen hat.“

„Majestät haben mich aufgefordert, zu sprechen, und können überzeugt sein, daß ich nichts sage, von dessen Wahrheit ich nicht ganz durchdrungen bin. Ich bin kein Höfling, sondern ein nüchterner Seemann, und wenn ich Phantasie besitzen sollte, so will ich sie jetzt nur gebrauchen, um zu denken, ich spreche nur zu dem Bürger Colonel Bonaparte. Ein eigennütziges Interesse treibt mich nicht, denn ich werde nach Indien zurückkehren, wo Hunderte meiner bedürfen. Mein Schiff ist der kleine „Faucon“; auch ich will klein bleiben; auch ich habe etwas vom Falken an mir: ich muß mich frei bewegen können, mein Flug muß nur von meinem eigenen Willen abhängig sein; ich bin ein schlechter Untergebener.“

Der Kaiser hatte ruhig zugehört. Kein Zug seines ehernen Angesichtes verrieth, was er bei den Worten

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Surcoufs dachte; jetzt aber spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, und er meinte fast scherzend:

„Surcouf, Ihre Heimat ist die rauhe Bretagne, und Sie sind ein ächter Sohn derselben: derb, offen, kühn, fromm, treu und dabei ein klein wenig unhöflich oder gar rücksichtslos. Aber der Bürger Colonel Bonaparte hat einst Wohlgefallen an Ihnen gefunden und wünscht jetzt, ein halbes Stündchen mit Ihnen zu verplaudern. Folgen Sie mir!“

Er schritt voran, und der Kapitän trat hinter ihm in ein anderes Kabinet. — —

Eine volle Stunde war seitdem vergangen, und von Minute zu Minute ließ sich Oncle Carditon an der Thür sehen, um den Herrn Kapitän ja sofort empfangen zu können. Und je länger es dauerte, desto freudiger glänzte das Gesicht des Wirthes, denn welch’ eine Ehre für seine Auberge, daß sein Gast die kostbare Zeit des Kaisers so lange in Anspruch nehmen durfte!

Endlich kehrte Surcouf zurück. Sein Gesicht war sehr ernst, aber er nickte doch dem Oncle Carditon freundlich zu und begab sich sodann hinauf in seine Wohnung. Ervillard und Holmers hatten auf ihn gewartet; sie kamen sogleich, um sich nach dem Resultate der Audienz zu erkundigen.

„Du warst so lange bei dem Kaiser?“ frug der Lieutenant.

„Allerdings, Herr Kapitän!“

„Wie? Was? Welchen Kapitän meinst Du?“

„Den Fregattenkapitän Bert Ervillard, dem ich hiermit herzlich gratulire!“

Ervillard begriff nicht eher, als bis Surcouf ihm

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seine Ernennung ausführlich erzählte. Aber der Eindruck war ein anderer, als er gedacht hatte.

„Trittst auch Du in die Marine?“ erkundigte sich der Lieutenant.

„Nein; ich kehre nach Indien zurück.“

„So gehe ich mit! Ich bleibe bei Dir; sie mögen ihre Fregatte behalten!“

„Das wird sich schon noch finden! Uebrigens hat mir der Kaiser höchst eigenhändig unser Prisengeld ausgezahlt. Laß sehen, wie viel es ist!“

Napoleon hatte kaiserlich honorirt und als Surcouf sagte, daß auch sein Prozeß bereits günstig entschieden sei, verdoppelte sich die Freude, an welcher Holmers herzlich Theil nahm.

Surcouf reichte ihm die Hand.

„Segelmeister,“ sagte er, „auch Deine Sache steht gut. Du wirst heimkehren dürfen, denn der Kaiser will Dein Gesuch befürworten.“

Der Deutsche weinte vor Freude; auch die Anderen waren gerührt, und Surcouf gestand:

„Heut’ habe ich einen Kampf zwischen Ehrgeiz und Principientreue bestehen müssen. Der Kaiser geht nicht nach England; ich glaube vielmehr, daß seine Rüstung Oesterreich und Rußland gilt. Ich sollte eine Escadre im Mittelmeere befehligen und habe es abgeschlagen, weil ich nur in England den einzigen Feind Frankreichs erkenne und gegen keine andere Macht kämpfen werde.“

„So hat er Dich wohl im Zorne entlassen?“ frug nun Ervillard.

„Nein, sondern in allen Gnaden. Er ist ein großer Geist, ein gewaltiges Genie, aber er wird untergehen, -

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untergehen, weil er sein Ziel auf einem durchaus falschen Weg sucht.“ —

Und wieder am nächsten Tage wurde Oncle Carditon aus seinem Gleichmuthe gerissen, denn es erschienen mehrere Equipagen, aus denen reich uniformirte Herren stiegen. Sie ließen sich die Wohnung Surcouf’s zeigen, und eine halbe Stunde später erzählte der Oncle allen seinen Gästen athemlos, daß Kapitän Surcouf vom Kaiser das Kreuz der Ehrenlegion und einen von kostbaren Steinen funkelnden Degen erhalten habe. Welche Ehre abermals für die Auberge! Es gab große und größte Hôtels, in denen kein einziger Gast den goldenen, fünfstrahligen Stern und einen Ehrendegen erhalten hatte!

Eine Woche später reiste Surcouf nach Brest. Es gelang ihm, die Engländer zu täuschen und mit seinem „Falken“ in See zu stechen.

Bert Ervillard ging nur nach Brest mit; er hatte dem selbstlosen Drängen seines bisherigen Kapitäns nachgegeben und sich entschlossen, das Kommando der Fregatte zu übernehmen.

Der Segelmeister Holmers blieb noch kurze Zeit in Paris bei Oncle Carditon wohnen, bis er dann die Erlaubniß erhielt, nach seiner Heimat zurückzukehren. Surcouf hatte dafür gesorgt, daß dieser Mannn Mann keine Noth zu leiden brauchte. — — —

(Schluß der ersten Abtheilung.)

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Zweite Abtheilung.Der Pfahlmann.

I.

Zwischen Texas, Neu-Mexiko, dem Indianer-Territorium und dem nach Nordosten streichenden Ozarkgebirge liegt eine weite Landesstrecke, über welche die Natur nicht weniger Schauer gelegt hat, als wie dergleichen die asiatische Gobi oder die afrikanische Sahara dem Menschen furchtbar machen. Kein Baum, kein einsamer Busch giebt dem brennenden Auge einen willkommenen Anhaltspunkt; kein Hügel, keine einzige namhafte Erhöhung unterbricht die todesstarre, eintönige Ebene; kein Quell erquickt die lechzende Zunge und bringt Errettung vor dem Verschmachten, dem Jeder anheimfällt, der aus der Richtung geräth und den Weg verfehlt, welcher nach den Bergen oder einer der grünenden Prairien führt. Sand, Sand, wieder Sand und nichts als Sand ist hier zu sehen, und nur zuweilen stößt der kühne Jäger, der sich in diese Oede wagt, auf eine Strecke, welcher ein vorübergehender Regen

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eine scharfe, stachelige Kaktusvegetation entlockt hat, die der Fuß meidet, weil sie ihn verletzt, die Thiere verwundet und keinen Tropfen Saft enthält, welcher die glühende Zunge nur auf einen Augenblick zu kühlen vermöchte.

Und doch durchziehen einige wenige Straßen dieses furchtbare Land. Der Mensch ist Meister der Schöpfung und macht sich selbst ihre starrsten, widerstrebendsten Punkte unterthan. Hinauf nach Santa Fé, an die Creeks, Springs und Goldfelder der Felsenberge und hinunter über den Rio Grande nach dem reichen Mexiko führen sie; aber es sind keine Straßen, wie die Civilisation sie dem Verkehr bietet, sondern was man so nennt, besteht in nichts als dürren Stangen, die man von Zeit zu Zeit in den Sand gesteckt hat, um die Richtung anzuzeigen, welcher der langsam dahinschleichende Ochsenkarrenzug oder der schnellere Trapper und Pfadfinder zu folgen hat. Wehe dem, der diese Zeichen, von denen dieser Theil des Südwestens den Namen Llano estacado erhalten hat, verfehlt oder wenn sie von wilden Indianerhorden oder räuberischen Jägerbanden entfernt wurden, um ihn in die Irre zu führen. Er ist verloren! —

Weit, wie der unermeßliche, endlose Ozean, breitete sich die Wüste aus; glühend brannte die Sonne hernieder, und über dem heißen Sande zitterte ein flackernder Schein, das darüber hinschweifende Auge schmerzend und blendend. Fünf lebende Wesen waren in der trostlosen Einöde sichtbar; sichtbar: ein Reiter, sein Pferd und drei Aasgeier, welche hoch in der Luft den beiden Ersteren folgten, als ob sie nur des Augenblicks warteten, an welchem Beide vor Erschöpfung zusammensinken und ihnen zur willkommenen Beute werden sollten.

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Der Wanderer war ein noch junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren. Er trug die gewöhnliche Tracht der Prairiejäger, ein ledernes, ausgefranstes Jagdhemd, ebensolche Leggins und Mokkassins und auf dem Kopfe einen Filzhut, dessen Farbe und Gestalt errathen ließen, daß sein Besitzer schon seit geraumer Zeit nicht mit der Civilisation in Berührung gekommen sei. Seine bleichen, erschöpften Züge, früher vielleicht geist- und lebensvoll, seine trüben, gläsernen Augen, seine blonden, wirr herniederhängenden Haare und die krampfhaft um die Büchse geballte Hand ließen errathen, daß er kaum mehr vermöge, den Entbehrungen und Anstrengungen des Rittes Widerstand zu leisten.

Ebenso ermattet wie er war auch sein Pferd. Es war, das konnte man sofort erkennen, ein aus der Heerde herausgefangener Mustang, vor wenigen Tagen jedenfalls noch voll Muth, Kraft und Ausdauer, jetzt aber gebrochen und bis auf den letzten Rest seiner Kräfte abgetrieben. Die Zunge hing ihm trocken zwischen den auseinanderklaffenden Zähnen hervor, die Augen schienen mit Blut unterlaufen, und nur mechanisch schleppte es sich Schritt um Schritt in dem tiefen Sande weiter.

So war es schon seit Tagen gegangen. Er hatte mit einer Gesellschaft von Westmännern Santa Fé verlassen, um über das Ozarkgebirge Arkansas zu erreichen, war jedoch von einem Trupp Comanchen überfallen worden und dankte es nur der Vorzüglichkeit seines Pferdes, daß er als der Einzige ihnen entkommen war. Sie hatten ihn bis in die Steppe verfolgt, sonst hätte er sich sicherlich nicht ohne Begleitung in dieselbe gewagt; er kannte ihre Gefahren und hatte sie noch nie betreten, Grund genug,

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sich nur deshalb zu dem verzweifelten Ritte zu entschließen, weil hinter ihm der sichere Tod drohte.

Schon seit gestern früh hatten die Stangen aufgehört, und er besaß keine anderen Wegweiser als den Kompaß und die Gestirne des Himmels. Seit drei Tagen war kein Tropfen Wassers über seine glühenden Lippen gekommen und mit einem trostlosen Blicke beobachtete er die Geier, welche sich immer weiter niedersenkten, je langsamer und strauchelnder die Bewegungen seines erschöpften Pferdes wurden.

Es stand endlich still und war nicht weiter fortzubringen; es zitterte an allen Gliedern und drohte, bei der ersten erzwungenen Anstrengung umzusinken.

„Also bis hierher und — jedenfalls — nicht weiter!“ murmelte der Fremde in deutscher Sprache, an diesem Orte eine Seltenheit. „Giebt’s denn keine Rettung für mich und Dich, mein braves Thier?“

Er suchte den Horizont vergebens nach einer rettenden Erscheinung ab und stand schon im Begriffe, abzusteigen, als ihn das Verhalten des Pferdes aufmerksam werden ließ. Die schlaffen Nüstern hatten sich plötzlich erweitert und gespannt, und jetzt erhob sich auch der bisher gesenkte Kopf zu jenem bezeichnenden Schnauben, mit welchem das ächte Prairienpferd die Nähe eines feindlichen Wesens verräth.

Der Wanderer zog sein Fernglas hervor, um den Gesichtskreis genauer abzusuchen, und bemerkte, daß die Geier ihn verlassen hatten und westwärts von ihm über einem Punkte schwebten, welcher sich langsam fortbewegte. Das mußte ein Mensch sein.

„Gott sei Dank!“ seufzte er auf. „Das giebt vielleicht -

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vielleicht Hülfe. Komm, mein braves Thier, komm! Nimm Dich noch einige Minuten zusammen, bis wir den Mann da drüben erreichen!“

Er stieg ab, ergriff die Zügel und schleppte sich und das Pferd vorwärts, und zwar so, daß seine Richtung und diejenige des Mannes, den er gesehen hatte, in einem spitzen Winkel zusammentreffen mußten. Als er sich ihm näherte, erkannte er zu seinem Erstaunen, daß dieser Mann ein Fußgänger war. Dies Erstaunen war sehr gerechtfertigt, denn jeder Westmann weiß, daß ein Mensch in dem Llano estacado ohne Pferd verloren ist.

Der Andere erblickte ihn jetzt und blieb stehen, um ihn herankommen zu lassen. Er war unbewaffnet und hatte am Riemen einen Flaschenkürbis umhängen. Als sie sich einander genug genähert hatten, rief er dem Reiter entgegen:

„Heigh-day, ist das ein Wunder und eine Freude, einen lebenden Menschen hier in dieser trostlosen Oede zu sehen! Aber sagt einmal, Sir, seid Ihr ein ehrlicher Mann, oder gehört Ihr zu den Kerls, die man hier noch mehr als anderswo zu meiden hat?“

„Das Erstere, das Erstere! Ihr habt nichts zu besorgen. Ich habe mich verirrt und bin dem Verschmachten nahe. Habt Ihr vielleicht Wasser in Eurem Kürbis?“

„Nur noch einen Schluck.“

„Gebt her, gebt her, sonst falle ich um!“

„Hm! Es geht mir fast ebenso, aber dennoch sollt Ihr den Schluck haben. Ihr habt ein ehrliches Gesicht. Da, nehmt!“

Er hielt ihm den Flaschenkürbis hin, und der Andere sog begierig den geringen Rest bis auf den letzten Tropfen ein.

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„Thank you!“ sagte der Reiter. „Nun habt aber Ihr nichts zu trinken.“

„Werden bald Etwas bekommen, Etwas, was hier außerordentlich selten ist.“ Dabei zeigte er nach einem kleinen Wölkchen, welches sich eben jetzt über den Horizont erhoben hatte. „Aber sagt, Sir, wer seid Ihr, und wie kommt Ihr nach dem gefährlichen Llano estacado?“

„Ich komme von Santa Fé, bin den Comanchen echappiert und wollte hinauf nach den Bergen, um über den Red Revier River nach Arkansas zu gehen. Mein Name ist Richard Forster, und meine Heimath ist Frankfurt Frankfort in Kentucky.“

„Richard Forster? — Frankfurt Frankfort in Kentucky? — By god, Sir, dann sage ich Euch hundertfachen Dank für dies Zusammentreffen! Ihr seid der berühmte Mann, der die schönen Lieder macht, die weit über die Staaten hinaus gedruckt und gelesen werden?

Der Andere nickte lächelnd.

„Richtig gerathen! Ich bin der Mann, der „Savannenbilder“ dichten wollte und deshalb in die Prairie ging, um sich von den Kojoten beinahe auffressen zu lassen.“

Er stand jetzt gerade und aufrecht da, die Arme in die Hüften gestemmt, eine echte, rechte Kentuckygestalt. Die blonden Locken, lange Zeit ungepflegt, hingen ihm lang auf die breiten Schultern herab; die tiefblauen Augen glänzten wieder lebensvoll und die erst so bleichen, männlich schönen Züge begannen sich wieder zu röthen.

„Oder von den Comanchen aufspießen und am Pfahle martern zu lassen. Auch ich bin vor Kurzem ein Weniges mit ihnen zusammengekommen, Sir, und wurde von ihnen

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verfolgt bis in dieses verdammte Sandmeer, wo sie wieder umkehrten. Ich glaube, es war dieselbe Truppe, die auch Euch zwischen die Pfeile nahm.“

„Möglich! Aber nun will ich dieselbe Frage aussprechen, die Ihr mir vorhin vorlegtet.“

„Ihr? Sagt nur immer Du, Sir! Ich bin weder Präsident noch Gouverneur und mag von Ihr nichts hören. Wie ich heiße? Tim Summerland, so ist mein Name, seit ich lebe, und so wird er auch bleiben, bis ich meinen Skalp verliere, oder von irgend einem Grizzly mit Haut und Haar verschlungen werde. Habt Ihr vielleicht von Bill Summerland gehört, dem Lawyer?“

„Meinst Du den berühmten Advokaten Bill Summerland in Stenton, Arkansas?“

„Denselben. Er ist mein Bruder und zu ihm wollte ich. Ich hätte ihm eine verteufelte hübsche Ladung von Goldstaub und Nuggets mitgebracht, die ich droben am Canadian geholt hatte, aber die Pfahlmänner haben sie mir abgenommen.“

„Die Pfahlmänner?“

„Ja, die Pfahlmänner. Oder wißt Ihr noch nicht, welchen Schuften man diesen Namen giebt? Es giebt allerlei Gesindel, welches aus gewissen Gründen die Staaten verlassen mußte und hier sicher vor den Armen der Jury zu sein scheint. Es zieht in verschiedenen Trupps umher, plündert, mordet, treibt allen möglichen Unfug und hat es ganz besonders auf die Voyageurs und Karawanen abgesehen, welche gezwungen sind, die Todessteppe zu durchschneiden. Um diese irre zu führen, ziehen sie die Pfähle heraus und entfernen sie, oder stecken sie in falscher Richtung ein. Ist dann der Wanderer halb verschmachtet, so

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fallen sie über ihn her und — nun ja, jetzt wißt Ihr, warum man sie die Pfahlmänner nennt. Als wir die Spanisch-Piks und den Canadian verließen, waren wir über die zwanzig wohlbewehrten Westleute. Sie alle fielen unter den Tomahawks und Pfeilen der Comanchen, bis auf mich und noch Zwei. Wir konnten uns nur durch den Llano estacado retten und hatten bereits das größere Stück derselben zurückgelegt, als die Pfähle aufzuhören begannen. Dies mahnte uns zur Vorsicht; aber trotz aller List und Achtsamkeit wurden wir überrumpelt. Es war mitten in der Nacht. Ich entkam im Dunkeln aus dem Handgemenge, aber so, wie Ihr mich hier seht, ohne Pferd und Waffen. Nur den Flaschenkürbis mit dem Wasser rettete ich. Aber der alte Tim Summerland wird schon wieder zu einer Büchse und einem Pferd kommen.“

Er hielt inne. Der Nomade des Westens ist meist ein schweigsamer Gesell, und Tim Summerland hatte die längste Rede seines Lebens gehalten. Der gute Mann sah nichts weniger als gentlemanlike aus; die Strapazen hatten seinen Körper und noch mehr seine Kleidung mitgenommen, aber sein Gesicht zeigte eine jener nicht seltenen Trapperphisiognomien Trap­per­phy­siog­no­mien, in welchen sich der Ausdruck ungemeiner List und Verschlagenheit mit dem der Ehrlichkeit und Treue paart.

„Was die Büchse betrifft, so kann schon jetzt geholfen werden“, meinte Forster. „Ich habe außer meinem Doppelläufer einen famosen Stutzen dort am Sattel hängen, den Du haben kannst, Tim; für Munition und Proviant ist gesorgt; nur Wasser, Wasser, das ist nöthig, nicht blos für uns, sondern noch vielmehr für mein Thier, ohne welches wir verloren sind. Aber, Gott sei Dank, Du hast Recht

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gehabt; die Wolke wächst zusehends; sie nimmt schon fast den halben Himmel ein, und ich glaube, vor dem Verschmachten sind wir nun sicher!“

„Das ist so gewiß wie meine Mütze! In fünf Minuten kommt der Guß, Sir, das könnt Ihr glauben, denn Tim Summerland ist nicht zum ersten Mal in der Todessteppe und kennt ihre Launen wie seinen Kugelbeutel. Macht nur, daß Ihr das Pferd anpflockt und das Pulver verwahrt, sonst ists um Beides geschehen.“

Er nahm seine Mütze ab. Es war eine Kopfbedeckung, die ihres Gleichen suchte. Von ihm selbst vor langen Jahren mittelst Hirschsehnen aus einem Stück Bärenfell zusammengenäht, hatte sie wohl schon ursprünglich eine außergewöhnliche Form besessen; dann waren ihr im Laufe der Zeit die Haare bis auf einige zerstreute Troddeln abhanden gekommen, die lang und schmutzig braun an der nackten Haut hingen wie Blutegel, die sich in das Fell verbissen hatten; tausendmal vom Regen durchnäßt und ebenso oft von der Sonne wieder getrocknet, hatte das Prachtstück jetzt eine geradezu unbeschreibliche Gestalt angenommen und lag auf dem Kopfe, wie eine ausgedorrte Qualle oder ein Stück ausgelaugte und ausgebratene Dachpappe, welches die Hitze in Halbkugelform gezogen hat. Solche Ausrüstungsstücke sind in der Prairie gar nichts Seltenes; sie haben dem Besitzer ihre guten Dienste geleistet, werden von ihm heilig gehalten und selbst dann nicht abgelegt, wenn er auf kurze Zeit mit der Civilisation in Berührung kommt.

Zwar war die Luft jetzt noch schwüler als vorher, aber die beiden Männer fühlten sich schon durch die Hoffnung auf den Regen gekräftigt, und auch das Pferd hielt

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den Kopf schnaubend in die Höhe. Sein Instinkt ließ es die nahe Rettung erkennen. Es wurde fest angepflockt; Forster sorgte dafür, daß Proviant und Munition nicht von der Nässe erreicht werden konnten, und kaum war dies geschehen, so brach es los, nicht allmälich allmählich, wie in anderen Zonen, sondern plötzlich wie eine See, der die vom Himmel stürzt und Alles in die Erde schlagen will. Die Jäger tauchten bei dem ersten Drucke der furchtbaren Tropfenmasse förmlich auf den Boden nieder; dann aber hielt Summerland seine Mütze verkehrt dem niederströmenden Elemente entgegen. In wenigen Augenblicken war sie gefüllt.

„Cheer up, Sir, nehmt Euren Hut, und macht’s wie ich! Auf Euer Wohl und dasjenige des alten Tim Summerland!“

Er goß das Wasser, trotzdem es verschiedene Ingredienzen in der Kopfhaut vorgefunden hatte, in den weitgeöffneten Mund, schnalzte mit der Zunge, als habe er einen Humpen echten New-Hampshire-Whiskey ausgeleert, und hielt die Bärenhaut wieder empor, um den labenden Trunk zu wiederholen.

Forster folgte der Aufforderung. Die trotz der dichten und ausgetrockneten Kleidung bald bis auf die Haut durchdringende Nässe wirkte auf seinen Körper wie Balsam auf eine offene Wunde. Die ganze Fülle der früheren Kraft und Freudigkeit kam über ihn, und auch das Pferd wieherte laut und schlug vorn und hinten aus, um die Rückkehr des beinahe entwichenen Lebens zu erkennen zu geben.

Weit über eine Stunde lang gossen die Schleußen

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des Himmels ihre Ströme unvermindert hernieder, dann hörte die Fluth ebenso plötzlich auf, wie sie begonnen hatte.

’sdeath, war das eine Sündfluth!“ meinte Summerland. „Ich wollte, die ganze Comanchen- und Pfahlmännersippschaft wäre darin ersoffen, wie der König Belsazar im rothen Meere, als er die Egypter erschlagen wollte. Wie ist’s Euch, Sir?“

„So gut und wohlig, als säße ich in irgend einer „dearness spelunk“ von St. Louis oder Cincinnati“, antwortete der Gefragte mit einem heiteren Lächeln über die geschichtliche Verwechslung, deren sich sein Gefährte schuldig gemacht hatte. „Ich fühle mich so vollständig erfrischt und munter, daß ich sofort aufsteigen und davonreiten möchte.“

„Wird auch das Beste sein! Jetzt ist die Luft kühl und stärkend; das müssen wir benutzen, benutzen. Come on, setzt Euch auf; wir wollen machen, daß wir aus dieser verteufelten Steppe heraus und in ein Land kommen, wo es ein wenig Gras und einige Bäume giebt!“

„Willst Du nicht zuvor ein Stück Fleisch nehmen? Ich bin damit zur Genüge versehen.“

„Gebt her! Doch das läßt sich im Gehen thun.“

„Im Gehen! Nein, Du sollst auf das Pferd. Ich bin besser auf den Füßen.“

„Meint Ihr etwa, Tim Summerland, der alte Trapper und Goldsucher, setzt sich wie St. Mary auf den Esel und läßt Euch als Joseph daneben herhumpeln bis in den Distrikt Mesopotamien hinein? Da irrt Ihr Euch gewaltig. Ich habe eine Portion Wasser bekommen und werde laufen wie ein Cheyennehäuptling. Das Thier ist Euer; darum müßt Ihr reiten!“

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Well, so wechseln wir ab. Aber die Richtung, Tim, über die müssen wir uns doch vorher einigen!“

„Nord und Süd kenne ich genau und Ihr jedenfalls auch; aber das ist nicht genug. Die Hauptsache ist, zu wissen, nach welcher Gegend wir das grüne Land am Schnellsten erreichen.“

„So sag Deine Meinung. Du kennst ja den Estacado besser als ich.“

„Hm, wenn die Pfähle nicht fortgewesen wären, so könnte man sich leicht entscheiden; so aber muß man sich sehr besinnen, um nicht vielleicht gar noch tiefer in die Wüste zu gerathen.“

„Ich schlage Nordostnord vor. In dieser Richtung sah ich vorhin einige Coyoten laufen. Kein Raubthier kann lange ohne Wasser sein, und ich vermuthe, daß dorthin welches zu finden sei und in Folge dessen Vegetation und Futter für das Pferd.“

„Ihr seid ein Dichter, Sir, und solchen Gentlemen ist nicht viel Praktik zuzutrauen, weil sie gewöhnlich ganz wo anders zu Hause sind, als gewöhnliche Menschenkinder, die keine Verse machen. Das hätte ich beinahe auch von Euch gedacht; jetzt aber muß ich Abbitte thun, denn ich sehe, daß Ihr das Auge dort habt, wo es hingehört. Vorwärts also, nach Nordostnord!“

„Nimm vorher den Stutzen und mein Bowiemesser; die Büchse und den Tomahawk behalte ich für mich. Auch muß ich laden. Man kann nicht wissen, was Einem begegnet.“

All right! Gebt her, ich werde Eurem Schießzeuge keine Schande machen.“

Nach einem kurzen Aufenthalt des Ladens verließen

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sie den Ort, der ihnen so verhängnißvoll hätte werden können. Das Pferd war vollständig munter und wohlauf und trug seinen Reiter mit der früheren Leichtigkeit; doch war zu denken, daß dies nur eine vielleicht bald vorübergehende Folge des Regenbades sei. Es hatte seit längerer Zeit kein Gras gehabt, und die zurückgekehrten Kräfte konnten nur durch ein baldiges Futter erhalten werden.

Dennoch hielt es brav aus bis gegen Abend, wo alle Anzeichen verriethen, daß es wieder zu ermatten beginne.

Summerland blieb stehen und streckte den Kopf vor; ein eigenthümlicher Geruch machte ihn aufmerksam. Auch Forster sog die Luft ein.

„Kaktus,“ meinte er, „wir müssen ihm ausweichen.“

„Ausweichen? Das fällt dem Tim Summerland gar nicht ein. Gerade hin zu ihm müssen wir; das ist so sicher wie meine Mütze.“

„Warum?“

„Weil er durch den Regen saftig geworden ist —“

„Hast Recht, Tim“, fiel Forster ein, um die Blöße zu vermeiden, die er sich beinahe gegeben hätte. „Die Schale mit den Stacheln herunter, wird er vielleicht vom Pferde gefressen.“

„Wenn es die richtige Art ist. Also immer gerade aus!“

In kurzer Zeit war die Kaktusoase erreicht. Die Pflanzen hatten meist Kugelform, und nach dem Schälen blieb das innere Fleisch zurück, welches das Pferd zwar zu anderer Zeit verschmäht hätte, jetzt aber mit Begierde fraß. Als es seinen Hunger gestillt hatte, wurde der Ritt wieder aufgenommen und bis in die späte Nacht

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hinein fortgesetzt. Jetzt waren Menschen und Thier so ermüdet, daß man Rast halten mußte.

Aber kurz nach Tagesanbruch ging es schon wieder weiter, und zu Mittag zeigten sich zur unermeßlichen Freude der beiden Männer zwischen dem Sande einzelne vertrocknete Exemplare des kurzen, lockigen Büffelgrases. Je weiter sie kamen, desto geschlossener wurde die Vegetation, und endlich trat die Steppe ganz zurück, um der grünenden Prairie Platz zu machen.

Jetzt waren sie gerettet. Das Pferd schwelgte förmlich in dem saftigen Futter, und die Jäger streckten sich in das frische kühle Grün, sich mit einer wahren Wollust dehnend und streckend. Dann wurde beschlossen, noch vor Nacht womöglich einen blaugrauen Streifen zu erreichen, welcher sich am nördlichen Horizonte sichtbar machte. Es mußte Buschwerk oder gar eine vortretende Waldparthie sein, was trotz der nahen Wüste möglich war, falls dort ein Wasserlauf vorhanden war.

Die Sonne stand schon ziemlich tief, als man das Ziel erreichte. Es war ein allerdings sehr lichtes Wildkirschengebüsch, von vielen Rasenplätzchen unterbrochen, sich weiterhin aber immer mehr verdichtend, bis sich in der Ferne einzelne Baumkronen über ihm zeigten.

„Fare well, Hunger, Durst, Hitze und Elend!“ meinte Summerland. „Da oben beginnt der Wald und — seht Ihr die Linien über ihm, Sir? Das sind Berge; das ist — by god, jetzt weiß ich, wo wir sind; ich kenne diese Hügel und da drüben fließt der Bee-fork, der in den Red River geht, das ist so sicher wie meine Mütze!“

„So reiten wir noch bis zum Wald; wir haben noch

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Licht genug, um ihn zu erreichen und eine gute Stelle zum Lagern auszuwählen.“

Dieser Vorschlag wurde befolgt. Immer die gerade Linie einhaltend, drangen sie durch das Buschwerk vor. Summerland saß zu Pferde. Forster schritt voran, das Auge zwischen der Ferne und dem Boden getheilt. Man befand sich jetzt auf wegsamem Gebiet und mußte also wieder auf feindliche Begegnungen gefaßt sein. Da plötzlich blieb er stehen und bückte sich zur Erde, um das Gras einer sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen. Auch Summerland stieg ab und betrachtete aufmerksam die geknickten und niedergebogenen Halme.

„Eine Fährte! Eins, zwei, — fünf — acht, neun Reiter mit eins, zwei — vier, fünf Lastthieren. Stimmt es, Sir?“

„Ja. Neun einzelne Spuren und fünf Eindrücke von Thieren, die zusammengekoppelt sind. Es sind keine Indianer, sondern Weiße, denn sie ritten nicht einzeln hinter, sondern sorglos durch und neben einander. Folgen wir ihnen oder nicht?“

„Warum nicht? Wir müssen ihnen nach zu unserer eigenen Sicherheit!“

„Dann aber langsam; sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier vorbei. Wär’s länger, so hätten sich die Halme wieder emporgerichtet.“

Das Pferd jetzt am Zügel führend und die Spur scharf im Auge behaltend, bogen sie rechts ein und beobachteten dabei, stets Deckung suchend, das vor ihnen liegende Terrain. Die Truppe konnte ja bereits Halt gemacht haben und die Verfolger früher bemerken, als es räthlich war.

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Da führte die Fährte über einen Platz, der vermöge seiner sandigen Beschaffenheit die Hufeindrücke in größter Deutlichkeit und Treue zeigte. Die Männer mußten sich vollständig sicher gefühlt haben, sonst hätten sie solche Zeichen ihrer Anwesenheit ganz gewiß vermieden.

„God bless my soul, Gott schütze meine Seele,“ klang der halblaute Ausruf Summerlands, „das sind die Pfahlmänner, die meine Nuggets geholt haben. Vierzehn waren es; fünf haben wir kalt gemacht, bleiben neun; das stimmt wie meine Mütze!“

„Woher willst Du so genau wissen, daß sie es sind, Tim?“

„Woher? Na, seht Ihr denn nicht diese Hufspur im Sande, die — ach so, Ihr könnt das ja gar nicht wissen! Schaut diesen rechten Hinterfuß. Ist er an der linken Seite nicht etwas kürzer als an der andern?“

„Allerdings.“

„Dieser Eindruck stammt von meiner alten Fuchsstute. Wenns nicht so ist, so will ich durch und durch gespießt sein! Sie hat sich einmal einen Dorn ins Leben getreten, der ausgeschwärt ist; der Fuß ist vollständig heil geworden, doch hat sich die eine Seite des Hufes hinten etwas aufwärts gekrümmt, so daß der Sand nie eine vollständige Spur empfängt, selbst jetzt nicht, wo das arme Thier über die Gebühr beladen ist, wie Ihr an der Tiefe und vorderen Schärfe der Eindrücke seht. Ich muß den Fuchs wieder haben und kostet es mich das Leben! Seid Ihr dabei, Sir?“

„Natürlich! Die Burschen haben die Stangen entfernt und uns dem Tode nahe gebracht, gar nicht zu rechnen, daß Du von ihnen überfallen und beraubt worden

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bist. Sie müssen eine ernste Lehre bekommen, obgleich ich ohne Noth nicht gerne einem Menschenkinde an das Leben gehe.“

„Zounds! Sind sie uns nicht auch daran gegangen? Tim Summerland ist eine alte, gute Haut, das könnt Ihr glauben; er hat noch niemals einen Elephanten oder Wallfisch [Walfisch] todtgebissen, aber bei solchem Gesindel kennt er kein Erbarmen. Meine Stute will ich haben, meine Nuggets dazu, eine Büchse, ein Messer, einen Tomahawk, etwas Munition und so weiter, vielleicht auch einige Maß Spitzbubenblut, wenns nicht anders geht, und — aber verzeiht mir eine Frage, Sir, es sind ihrer neun, wir zählen blos zwei — und ich kenne Euch noch nicht? —“

„Keine Sorge, Tim“, lachte Forster, indem er das schöne Ebenmaß seiner hohen und ungewöhnlich kräftigen Gestalt emporstreckte. „Ich bin ein Kentuckymann und wenn Du mich nicht kennst, so hast Du wohl schon Andere gesehen, die zwischen dem Ohio und den Cumberlands zu Hause sind!“

„Well, Sir! Dort giebt es keine Hasen; dort sind die zweitatzigen Bären daheim, und ich denke, daß Ihr Eure Pranken auch zu gebrauchen wißt. Vorwärts also. Wir wollen über sie kommen, wie Simson über die Pharisäer, Sadduzäer und Colosser. Vielleicht hat er auch noch die Epheser und Philipper erschlagen, denn ist man einmal im Zuge, so kommt es auf ein Volk mehr oder weniger nicht an!“

Sie folgten der Fährte weiter. Einzelne Bäume unterbrachen das niedere Buschwerk, wurden nach und nach immer häufiger und schlossen sich endlich zum mäßig

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dichten Walde, unter dessen Baumkronen die Eindrücke immer in gerader Linie hinführten.

Da machte sich ein brenzlicher Geruch bemerkbar.

„Stopp!“ meinte Summerland. „Sie haben sich gelagert und ein Feuer angezündet. Wartet ein wenig, ich bin gleich wieder hier!“

Er führte das Pferd bis an den Saum des Waldes zurück und pflockte es hier in der Wiese Weise zwischen mehreren Büschen an, daß es weder gesehen werden, noch entfliehen konnte. Dann kehrte er zurück und sagte:

„Jetzt gilt es, unbemerkt an sie zu kommen. Folgt mir!“

Er huschte von Baum zu Baum, Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, vollständig unhörbar vorwärts. Forster folgte ihm in derselben Weise. Nach einiger Zeit bemerkten sie einen hellen Rauch, welcher sich durch das Laubdach einen Ausgang suchte, und dann auch das Feuer, um welches alle Neun Platz genommen hatten. Summerland lehnte an einer Fichte, deren umfangreicher Stamm Beiden vollständige Sicherheit bieten konnte. Er winkte den Gefährten zu sich heran.

„Sie haben die Thiere noch nicht entschirrt und keine Wache ausgestellt. Welch’ horrible Unvorsichtigkeit!“ flüsterte er.

„Wo sind die Pferde?“

„Dort drüben hörte ich schnaufen. Ich brauche Waffen; sind welche dort, so braucht kein Tropfen Blutes zu fließen; kommt!“

Sie schlichen sich weiter bis in die unmittelbare Nähe der Pferde, die keinen verdächtigen Laut hören ließen, weil sie sich noch nicht in freier Bewegung befanden.

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„Seht Ihr dort meinen Fuchs? Er hat wirklich die Beutel mit den Nuggets noch über dem Rücken hängen. Und dort der Rappe hat eine vollständige Jagdausrüstung auf dem Packsattel. Ich nehme Beide. Ihr auch eins oder zwei, und die andern schneiden wir los. Go on, jetzt schnell!“

Er glitt vorwärts, schnitt im Vordringen einige Lassos durch und gab den Thieren einen Schlag, daß sie laut wiehernd davonstürmten. Dann sprang er auf den Fuchs, ergriff den Rappen beim Zügel und sah sich nun erst nach Forster um. Dieser hatte so schnell gehandelt, daß fast sämmtliche Pferde verschwunden waren. Er selbst saß auf einem Braunen und machte eben Miene, den Platz zu verlassen, als lautes Geschrei ertönte und die Pfahlmänner zwischen den Bäumen hervorsprangen.

Der Vorderste von ihnen war ein breitschulteriger, schwarzbärtiger Gesell, der sich sofort auf Forster stürzte.

„Der Anführer, Master Dichter“, rief Summerland, seinen Stutzen auf zwei Andere abdrückend. „Gebt ihm genug!“

Der Tomahawk Forsters sauste durch die Luft, und der Schwarze brach zusammen, mitten in die Stirn getroffen.

„Huzza, so wars gut. Jetzt fort!“

Sie wandten sich zur Flucht. Schüsse krachten hinter ihnen, laute Flüche erschallten; der Wald wirkte hindernd auf ihre Eile, dennoch aber erreichten sie unverwundet die Büsche, zwischen denen Summerland das Pferd zurückgelassen hatte.

„Schnell heraus mit ihm, und dann weiter, Sir! Ehe sie die Pferde wiederbekommen, wird es Nacht, und

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sie können erst morgen unserer Fährte folgen. Aber fangen sollen sie Tim Summerland und seine Stute nicht, das ist so sicher wie meine Mütze!“

II.

Im Staate Arkansas und an dem gleichnamigen Flusse liegt einige Stunden oberhalb Little Rock die Stadt Stenton. Obgleich ihr Ursprung nur um einige Jahrzehnte zurückweist, bildet sie doch, an der Einmündung zweier kleiner Seitenflüsse liegend, den Knotenpunkt eines außerordentlich regen Land- und Wasserverkehrs. Mit echt amerikanischer Schnelligkeit ist Haus an Haus, Straße an Straße gewachsen, und wo vor kurzer Zeit der wilde Sohn der Prairie sein Roß im Wasser des Stromes tränkte, dehnt jetzt sein „weißer Bruder“ sich in den weichen Flaumen und freut sich des Segens — vielleicht auch des Fluches der Gesittung, die einen ganzen, nach Millionen zählenden Menschenstamm erbarmungslos von der Erde streicht.

Da, wo einige Meilen vor der Stadt die Berge zur Ebene niedersteigen, tummelte eine Kavalkade junger Herren und Damen ihre muthigen Pferde in dem elastischen, von gelben Helianthusblüthen durchschossenen Grase. Der einzige, ältere Mann, der sich bei der Gesellschaft befand, zeichnete sich zugleich auch durch sein Aeußeres von allen Uebrigen aus. Von ungemein dicker Statur, saß er auf

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einem Schimmel, der ihm an Körperumfang jedenfalls ebenbürtig war. Die Bewegungen der beiden so wohl zusammenpassenden Wesen hatte etwas Dickhäuterähnliches an sich, zu welchem die grellen Farben, in die sich der Reiter gekleidet hatte, außerordentlich possirlich standen. Er trug ein gelbes Beinkleid, rothkarrirte Weste, lichtblauen Rock und einen breitkrämpigen, in schwarz und weiß geflochtenen Pferdehaarhut. Unter dem breitumlegten, steif gestärkten Hemdkragen war ein grün und lila gestreiftes Tuch in einen imposanten Knoten geschlungen und schickte seinen wohlgefalteten Zipfel bis auf die kostbaren Berloquen herab, welche klingend an der dicken Uhrkette baumelten. Das jetzt vom Ritte geröthete und mit großen Schweißperlen bedeckte Gesicht hatte einen höchst gutmüthigen Ausdruck, doch konnte der eigenthümlich scharfe Zug um den Mund auch eine bittere Beimischung bedeuten und der kurze, dicke Nacken ein Zeichen hartnäckiger Ausdauer sein.

Eben machten er und sein Schimmel eine keuchende Anstrengung, einer der Damen zu folgen, die, als die gewandteste von Allen, mit tollen Kapriolen und Zickzackwendungen umherfegte, während ihr langer, blauer Schleier hoch in den Lüften flatterte. Wer sie eine reizende Erscheinung nennen wollte, hätte viel zu wenig gesagt; eine so wundervolle Schönheit durfte nicht jetzt während des kühnen Rittes, sie mußte im Augenblicke der Ruhe und Beschaulichkeit beobachtet und dem Herzen eingezeichnet werden.

„Halt ein, halt ein, Marga“, stöhnte der Bunte. Der Schimmel hatte eine fürchterliche Anstrengung gemacht und wirklich einen Satz fertig gebracht, der seinen Reiter

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vollständig aus der Contenance warf. „Du brichst den Hals, und ich, ich brech — brrr, stopp, ohohoho, Du höllische Bestie!“

Einer der Herren eilte herbei und half ihm wieder in eine sattelfeste Stellung.

„Der Schimmel hat zu gute Pflege, Master Olbers. Laßt ihm etwas weniger Hafer geben, dann wird er nicht so unmäßig in die Welt hineinspringen.“

„Der Hafer ist nicht schuld, sondern das böse Beispiel, welches selbst die besten Sitten verdirbt. Der Gaul verträgt seine Portion Körner ohne alle Aufregung eben so leicht, wie ich meine Flasche Madeira, die ich mir nicht nehmen lasse. Aber bei Eurem Springen und Jagen kann auch die zuverlässigste Kreatur unmöglich ruhig bleiben. Ich bitte Euch dringend, Sir, reitet hin zu meiner Tochter, und sagt ihr, daß ich sofort in Ohnmacht falle, wenn sie noch ein einziges ventre — à — terre riskiert!“

„Laßt ihr das Vergnügen, Master. Es hebt den Muth, stärkt die Gesundheit, macht gewandt und, ganz unter uns gesagt, läßt Miß Marga in einen einem Lichte erscheinen, dem kein wahrer Gentleman zu widerstehen vermag.“

„Licht hin, Licht her; ich lobe mir die Sicherheit meiner gesunden Glieder, Master Wilson. Da seht einmal den Mann, der dort herüberkommt. Sein Pferd geht Schritt um Schritt, als hätte es die Blüthen zu zählen, die es niedertritt, und wahrhaftig, es nimmt sich sogar hier und da ein Maul davon auf; er läßt das geduldig geschehen, hängt dabei vornüber im Sattel, als wolle er in die Mähne beißen, und scheint es ganz gleich zu nehmen, ob er heute nach Stenton kommt oder morgen. Der

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ist kein solcher Wagehals wir Ihr und Marga, und für die erste Rippe, welche er sich bricht, will ich Euch getrost baare fünfzigtausend Dollars versprechen!“

„Meint Ihr?“ frug der Andere, mit einem forschenden Blick auf den noch fernen fremden Reiter. „Ich meine sehr, daß Ihr die Dollars bald verlieren könntet, denn der Mann hat jedenfalls schon mehr als eine Rippe gewagt.“

Hoëh! Er sieht ganz und gar nicht darnach aus.“

„Das meint Ihr, weil Ihr noch nie die Prairie betreten habt. Ich wette ganz dieselbe Summe, daß er ein richtiger Westmann ist, der noch andere Ritte, als Ihr gesehen habt, unternommen und dem Tode täglich in das Auge geschaut hat. Ich kenne das, denn meine Besitzungen in Texas grenzen an die Savanne, und ich habe Gelegenheit, diese Leute zu beobachten und sogar ein wenig mitzuthun. Gerade seine gebeugte Haltung kennzeichnet ihn als Jäger; so sitzen sie Alle zu Pferde, denn anders wäre das ewige Reiten gar nicht auszuhalten.“

„Ein Prairiejäger? Ein Halbwilder? Den müssen wir anreden. Eine Unterhaltung mit ihm wird unseren Damen sicher viel Spaß machen.“

„Ich denke auch. Laßt mich nur machen!“

Der Sprecher war ein noch ziemlich junger und schöner Mann, dessen dunkel sprühende Augen ganz prächtig zu dem tiefschwarzen, wohlgepflegten Vollbarte standen. Er war mit beinahe übermäßiger Eleganz gekleidet und saß mit seltener Leichtigkeit zu Pferde. Der breite Panamahut war ihm ein wenig aus der Stirn in den Nacken gerutscht und ließ eine dunkelrothe Narbe sehen, welche sich von der Nasenwurzel bis unter die Haare zog. Einige

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laut gerufene Worte von ihm brachten die Gesellschaft zusammen.

„Meine Ladies und Gent’s, ein Pläsir erwartet uns. Dort kommt ein Biberhauthaggler, den wir ein wenig ins Gebet nehmen wollen. Der Mann hat wohl noch nie eine wirkliche Lady gesehen und wird in schauderhafte Verlegenheit gerathen über die Zumuthung, uns Red und Antwort stehen zu sollen.“

Der Vorschlag wurde von der übermüthigen Versammlung mit Freude angenommen; nur die Tochter des Bunten protestirte dagegen.

„Laßt ihn ruhig vorüber, Gentlemen! Der Mann hat Euch nichts gethan und könnte sich verletzt fühlen!“

„Verletzt?“ lachte Wilson. „Er soll es für eine Ehre halten, von so feinen Leuten angesprochen zu werden. Ich werde ihm das begreiflich machen!“

Er wandte sein Pferd dem Reiter entgegen; die Andern folgten, und Marga war also gezwungen, sich ihnen anzuschließen, doch hielt sie sich zurück. Das Unternehmen des reichen Plantagenbesitzers stand im Widerspruche mit ihrer Art und Weise, zu denken und zu empfinden.

Der Fremde war jetzt bis in Hörweite herangekommen, und ein mit dem Leben und den Gestalten der Prairie Unvertrauter würde geglaubt haben, daß die Gesellschaft noch gar nicht von ihm bemerkt worden sei, so unverwandt hielt er den Blick auf den Hals seines Pferdes gerichtet.

„Good day, Mann“ rief Wilson. „Schlaft und träumt Ihr, oder sind Euch Eure letzten zwei Sinne abhanden gekommen?“

Der Gefragte richtete sich blitzschnell in die gerade

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Stellung empor, und es war eigenthümlich, mit welchem Blicke sich die Beiden begegneten. Das tiefblaue Auge des Jägers bohrte sich förmlich stechend in das Gesicht seines Gegenübers, und das dunkle Auge des Letzteren leuchtete wie unter einem plötzlichen Erkennen auf und warf einen vernichtenden Strahl unter die zerwalkte Hutkrempe des in ein schmutziges und arg zerfetztes Lederhabit gekleideten Reiters.

„Good day, Ladies und Mesch’schurs“ antwortete dieser mit voller, sonorer Stimme. „Ich träumte von dem Llano estacado und von abhanden gekommenen Stangen und Nuggets. Good bye!“

Er machte Miene, seinen Weg fortzusetzen, Wilson aber verlegte ihm denselben.

„Halt, nicht weiter, bis Ihr erklärt, was diese Antwort zu bedeuten hat!“

Er war blaß geworden, aber sein Auge funkelte, und die Narbe auf seiner Stirn schwoll zu doppelter Dicke an.

„Halt?“ frug der Andere mit einem überlegenen Lächeln. „Wer will es wagen, einem freien Manne unter freiem Himmel Halt zu gebieten? Wer will ihm das Wort befehlen, das er nur freiwillig giebt?“

„Ich will es, Bursche! Was soll Deine Rede bedeuten? Sprich sofort oder — —“

Er erhob drohend die Reitpeitsche. Die Absicht, den unscheinbaren Mann zur Zielscheibe eines muthwilligen Spaßes zu machen, hatte so schnell zur drohenden Gefahr geführt, daß keiner der Anwesenden Zeit fand, sie abzulenken.

„Oder — —?“ donnerte der Jäger, die langen, wirren, blonden Locken schüttelnd, wie ein Löwe seine

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Mähne. Er nahm mit der Linken die Zügel empor, und in demselben Augenblick schien dreifaches Leben sein scheinbar zu keiner schnellen Bewegung fähiges Pferd zu durchströmen. „Hinweg mit der Peitsche!“

„Heraus mit der Antwort!“ schallte es ihm entgegen.

„Hier ist sie.“

Ein leiser Schenkeldruck und der Mustang schnellte bis dicht an Wilson heran; im nächsten Augenblicke sank dieser, von einem fürchterlichen Faustschlage getroffen, aus dem Sattel in das Gras hinab. Der kraftvolle Mann, der jetzt so plötzlich von Geist und Feuer sprühte, riß sofort das Roß wieder herum und blitzte Einen nach dem Andern mit seinem vor Zorn sich dunkelfärbenden Auge an.

„Will einer von dem Gentlemen noch Antwort haben?“

Niemand regte sich, denn jeder der Herren mußte erkennen, daß diese Antwort augenblicklich und ganz in der vorhergehenden Weise erfolgen werde.

„Keiner? Well, so sind wir eigentlich fertig. Doch will ich Euch warnen vor dem Wagniß, je wieder einen braven Westmann für den passenden Gegenstand eines Possenspiels zu halten; sein kleiner Finger ist mehr werth als Ihr Alle; er sieht schon in der Ferne, was Ihr wollt, und weiß genau, wer lachen wird.“

Schon stand er im Begriff fortzureiten, da zügelte er sein Thier bis vor Marga heran. Sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an; seine Hand zog ehrerbietig den Hut vom Kopfe; bewundernd glitt sein Blick über die holde, lichtvolle Erscheinung des Mädchens, und seine Stimme klang weich und halblaut:

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„Dank, Mylady! Ihr wart die Einzige, die nicht spotten wollte, und seid einer besseren Gesellschaft werth. Good bye!“

Mit dem vollen Anstand eines wohlgeschulten Ladiesmann bedeckte er sich wieder, zog den gelockerten Büchsenriemen fester an und ritt in kurzem, eleganten elegantem Galopp davon.

Nicht ein einziges Mal sah er sich um, trotzdem es seinen Blick mit Gewalt nach rückwärts zog. Er hatte hier zum ersten Male in ein Mädchenangesicht geblickt, von dem er sich gestand, daß er es nie vergessen werde. Als er die Stadt erreichte, stieg er in dem Gasthause ab, dessen Schild ihm zuerst entgegenglänzte, übergab sein Pferd dem Stallkeeper und begab sich in den Trinkraum, wo er die allgemeine Aufmerksamkeit durch die Hast erregte, mit welcher er nach den ausliegenden Zeitungen griff. Ein Trapper, der zu lesen versteht, kann beinahe als ein Mirakel betrachtet werden. Nach einiger Zeit winkte er dem den Boardkeeper zu sich heran.

„Wer ist Mutter Smolly?“

„Kennt Ihr Mutter Smolly nicht, Master? Dann müßt Ihr noch niemals hier gewesen sein! Sie war das schönste Mulattenmädchen weit und breit, wurde freigegeben und heirathete einen reichen Mississippihändler, dessen Wittwe sie nun ist. Sie ist die ehrbarste Frau der ganzen Stadt und überall als der Engel aller Nothleidenden bekannt; darum wird sie von Jedermann nicht anders als Mutter Smolly genannt.“

Er dankte für die Auskunft und las noch einmal die Annonce, welche ihn zu seiner Frage veranlaßt hatte:

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„Ein wahrer Gentleman kann bei Mutter Smolly feine Wohnung mit Bibliothek und guter Kost erhalten.“

Diese Offerte hatte, vielleicht gerade wegen ihrer sonderbaren Fassung, etwas Anziehendes für ihn. Er erkundigte sich noch nach der Wohnung der Mulattin, die nicht angegeben war, und beschloß, sie aufzusuchen.

Das Haus, welches ihm bezeichnet wurde, lag in einer der schönsten und ruhigsten Straßen Stentons. Er klingelte am Entrée des Parterres, und aus der sich öffnenden Thürlücke sah ein allerliebstes, dunkles Gesicht hervor.

„Ist die Mutter Smolly daheim, mein Kind?“

„Ja. Ich will sie rufen!“

„Nein, melde mich an“, lächelte er über das Mißtrauen, welches seine Kleidung hervorgerufen hatte. „Ich habe längere Zeit mit ihr zu sprechen.“

„So bitte ich, zu warten!“

Nach längerer Zeit und jedenfalls erst nachdem die Dienerin der Herrin den Besuch in das Einzelnste beschrieben hatte, wurde er eingelassen, aber auch nur bis in den Vorsaal, wo ihn eine dralle, außerordentlich sauber gekleidete Frau empfing, die vielleicht vierzig Jahre zählen mochte und deren Gesichtsfarbe ihre Abstammung von irgend einer hübschen coloured-Lady verrieth.

„Verzeihung, Mylady, wenn — —“

„Mutter Smolly, nicht anders, wenn ich bitten darf!“ fiel sie ihm schnell in die Rede.

„Gut also, Mutter Smolly! Ich las da eine Annonce, daß Ihr eine feine Wohnung mit guter Kost zu vergeben habt.“

„Allerdings. Aber habt Ihr auch gelesen, an wen?“

„An einen wahren Gentleman.“

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„Also nicht an einen von den Vielen, die sich so nennen, ohne es zu sein, sondern an einen, den ich mit Recht so nennen darf.“

„Diese Sorte ist hier im Südwesten außerordentlich selten, Mutter Smolly.“

„Dann bleibt mein Logis unvermiethet. Ich nehme in mein Haus nur Leute, denen ich außer einer strengen Wirthin auch eine gute Mutter Smolly sein darf. Hat Euch Jemand geschickt?“

„Nein. Ich selbst beabsichtigte, bei Euch zu wohnen, wenn Eure Räumlichkeit mir und meine Person Euch gefällt.“

Sie konnte ein leises Lachen nicht zurückhalten.

„Meine Wohnung würde Euch sicher gefallen; aber sagt mir doch einmal, Master, wer und was Ihr seid! Ich vermuthe, ein Jäger oder Fallensteller.“

„Meinem gegenwärtigen Aeußern nach, ja. Ich komme vom Felsengebirge und habe seit dort weder Kleider noch Wäsche wechseln können. Ich wollte das erst thun, wenn ich hier eine Heimath gefunden habe.“

„Weshalb hier in Stenton?“

„Weil sich hier die Druckerei befindet, in welcher ich Einiges veröffentlichen will.“

„So seid Ihr eigendlich eigentlich ein Gelehrter oder wohl gar ein Dichter?“

„Vielleicht. Ich unternehme meine Reisen nur des Wissens wegen. Mein Name ist Richard Forster.“

„Rich — — Forst — — bitte, bitte, Sir, tretet doch hier herein!“

Sie riß eine Thür auf, schob ihn mehr, als er ging, in ein sehr hübsch eingerichtetes Zimmer, zog von einem

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Konsolegestell unter mehreren Büchern einen in Sammt gebundenen Band heraus und hielt ihm das Titelblatt desselben vor.

„Herzensklänge, Sir; habt Ihr diese Lieder gedichtet?“

„Sie sind von mir!“

„Ist’s möglich! Mein Mann war ein Deutscher; er hat eine ganz werthvolle Bibliothek hinterlassen, und seine liebsten Bücher waren die Eurigen. Ich kann sie nicht lesen, aber ich kenne ihre Titel und habe sie als Heiligthum hier in meinem Zimmer aufbewahrt. Ihr sollt die Wohnung haben, Ihr müßt sie nehmen. Kommt, ich will sie Euch zeigen!“

Es war auf einmal eine ganz außerordentliche Lebhaftigkeit über sie gekommen. Sie sprang voraus, eine Treppe empor, und öffnete ihm drei Räume, die alle Ansprüche eines gebildeten Mannes zu befriedigen vermochten.

„Hier das Schlafzimmer, hier das Wohnzimmmer mit Balkon, und hier die Bibliothek, in welcher Ihr arbeiten könnt. Ich vertraue die Bücher keinem Menschen lieber an, als Euch!“

„Gut, ich wohne hier, und der Preis?“

„Jetzt nicht davon, später. Seht nur erst, ob es Euch auch wirklich gefällt! Ich lasse Euch gar nicht wieder fort, und was Ihr braucht, werde ich Euch sofort besorgen.“

„Was die Wäsche und Aehnliches betrifft, ja; da muß ich sogar um Eure Hülfe bitten, meine gute Mutter Smolly; das Andere werde ich aber wohl selbst übernehmen -

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übernehmen müssen. Auch mein Pferd, welches im Hotel steht, erfordert meine Anwesenheit.“

„Das lassen wir holen. Ich habe im Hinterhause eine ganz prächtige Stallung, die Euch sicher zufriedenstellen wird.“

Bis der Abend hereinbrach, war mit Hülfe des Konfektioners, Kleiderhändlers und Friseurs ein vollständig anderer Mensch aus Forster geworden, und die Wirthin schlug verwundert die Hände zusammen, als er herabkam, um sich ihr in dieser neuen Fassung vorzustellen.

Dann begab er sich zum Buchhändler und Druckereibesitzer, welcher zugleich Herausgeber der hiesigen Morgen- und Abendpost war und ihn mit Auszeichnung empfing. Hier erkundigte er sich nach der Privatwohnung des Advokaten Summerland. Er hatte sich in Preston am Red River von dem braven Tim getrennt, um noch einen Ausflug in das Indianer-Territorium zu machen und wollte den ersten Tag nicht vorübergehen lassen, ohne ihn aufgesucht zu haben. Leider aber fand er ihn nicht daheim; er war, wie das Mädchen berichtete, mit ihrer Herrschaft für den ganzen Abend zum Bankier Olbers geladen.

Er kehrte nach Hause zurück, um sich mit der Bibliothek des verstorbenen Mississippihändlers zu beschäftigen. Während dieser Unterhaltung bemerkte er, daß die zweite Etage des gegenüberliegenden großen Hauses hell erleuchtet war. Man konnte von dort aus recht wohl seine Zimmer übersehen; er schloß also die Gardinen.

Drüben war eine zahlreiche Gesellschaft um die Tafel, an welcher Marga präsidirte, versammelt. Unter den Anwesenden befanden sich, Wilson abgerechnet, sammtliche sämmtliche Theilnehmer der heutigen Reitparthie, und auch Bill Summerland -

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Summerland mit Frau und Bruder. Dieser Letztere hatte aus Rücksicht für die Seinen heute auf die gewohnte Trapperkleidung verzichtet und sich in eine salongerechtere Gewandung geworfen; doch war ihm recht gut anzusehen, daß er sich in derselben außerordentlich unbehaglich fühlte. Er war nicht der Mann, sich an einem solchen Orte fehlerlos zu bewegen, aber das genirte ihn ganz und gar nicht, denn er wußte, daß alle diese geputzten Herren und Damen im Gegensatze zu ihm in der Prairie noch viel unbehülflicher gewesen sein würden, wie er hier in den glänzenden Räumen des reichen Goldmannes, die er noch niemals betreten hatte. Er war ja eigentlich die Hauptperson der anwesenden Versammlung, die nicht müde wurde, sich von der Erzählung seiner Abenteuer unterhalten zu lassen.

Er stand jetzt bei der Schilderung der Todessteppe.

„Ja, Mesch’schurs, es ist ein kleiner Unterschied zwischen hier und dort. Und wißt Ihr, wen ich dort getroffen habe? Einen Dichter, ja, schaut mich nur verwundert an, einen Dichter, aber nicht einen solchen, der zwischen Himmel und Erde hängt und hilflos mit den Beinen zappelt, sondern einen echten Busineßman, der auf jedem Fleck, wo man ihn hinstellt, es mit dem Besten aufzunehmen versteht.“

„Wie heißt er?“ frug der dicke Bankier, der ein großer Literaturfreund war und nicht gern eine Gelegenheit, seine Belesenheit merken zu lassen, ungenützt vorübergehen ließ.

„Forster, Richard Forster, wenn es Euch recht ist. Seine Reime sind weich wie Butter, seine Fäuste aber hart wie Stahl. Er ist ein Kerl wie ein Riese und hat

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ein Herz wie ein Kind; darauf kann ich schwören wie auf meine Mütze!“

„Forster, der Germanist! Dort sitzt seine größte Verehrerin“, meinte er, auf seine Tochter zeigend. „Sie hat seine Gedichte bei Mutter Smolly kennen gelernt. Er ist wirklich bedeutend in seinem Genre; groß aber könnte er nur im Englischen werden.“

„Im Englischen?“ frug Tim Summerland. „Ich weiß nicht, ob er deutsch oder englisch zugeschlagen hat, aber gut waren seine Hiebe, das könnt Ihr glauben. Ich habe es gesehen, als wir meine Nuggets wieder holten und die Geschichte müßt Ihr noch hören!“

Er fuhr in seinem Berichte fort, den er mit der Bemerkung schloß:

„Und wenn Ihr ihn sehen wollt, so kann dies vielleicht schon bald geschehen. Als wir am rothen Flusse von einander gingen, hat er mir versprochen, nach Stenton zu kommen. Er war blos in die Prairie gezogen, um ein Buch voll Reime über sie zu machen, und will es hier drucken lassen. Reime über die alte große Wüste, ein verteufelt sonderbarer Gedanke! Als ich zum ersten Male hineinritt, war ich ein Greenbeak von achtzehn Jahren; jetzt bin ich ein alter Junge und niemals aus ihr herausgekommen, aber ich will, so lange ich noch lebe, nichts als Truthahnbussard und Büffelboutins verzehren, wenn ich einen einzigen Reim über sie fertig bringe, geschweige ein ganzes Buch voll von ihnen! Und da soll er nicht groß sein, Master Olbers? Seht ihn Euch erst an, und dann sagt, ob Ihr etwas Kleines an ihm findet!“

Die Tafel wurde aufgehoben, und die Gäste zerstreuten sich in die verschiedenen Zimmer. Marga war

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der Erzählung des alten Trappers aufmerksam gefolgt. Ihr waren während derselben die verschwundenen Stangen und Nuggets aufgefallen, und unwillkürlich brachte sie Beides mit der Antwort des Jägers in Verbindung, der heute dem muthwilligen Wilson eine so derbe Lehre gegeben hatte. Dieser Letztere hatte in Folge des erhaltenen Schlages am Abend nicht erscheinen können. Was hatten die überraschten Blicke zu bedeuten, mit welchen sich die Gegner gemessen hatten? Sie konnte die hohe, stolze Gestalt des Fremden nicht aus dem Sinn bringen. Mit welcher Schwere hatte seine Stimme den Feind getroffen, und wie weich und warm war sie dann ihr entgegengeklungen! Sie suchte einige Augenblicke unbelauschten Zusammenseins mit Tim Summerland zu ermöglichen.

„Sagtet Ihr nicht, daß Forster nach Stenton kommen will?“

„Yes, das habe ich gesagt, Miß.“

„Könnt Ihr mir seine Person beschreiben?“

„Sehr genau. Figur lang, breit und kräftig, Haare blond und lang, Bart ebenso, Augen blau, Mund klein, Zähne gut, Kleidung ein Jagdrock, ausgefranst und zerrissen, Leggins, ausgefranst und zerfetzt, Moccassins, ausgefranst und zersprungen, Hut, ein Stück Filz ohne Gestalt und Farbe, Pferd, ein Brauner mit weißem Stern, Waffen, eine Doppelbüchse, ein Stutzen, Messer, Tomahawk und Lariat, besondere Kennzeichen, macht Lieder und schlägt Pfahlmänner todt. So, nun könnt Ihr ihn steckbrieflich verfolgen lassen, so genau ist die Beschreibung.“

Sie wußte jetzt genug; das seltsame Signalement paßte genau auf den fremden Jäger.

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„Werdet Ihr ihn uns einmal zuführen, wenn er da ist, Master Summerland?“

„Wenn Ihr es wünscht, Miß, so bringe ich ihn so gewiß wie meine Mütze.“

„Ich halte Euch beim Wort!“

Er wandte sich wieder der Gesellschaft zu, und sie trat an das Fenster, wo der Vater stand.

„Mutter Smolly muß vermiethet haben,“ sagte dieser.

„Wirklich? Dann ist es erst heute geschehen. Als ich sie gestern besuchte, stand das Logis noch leer.“

„Sie scheint also doch einen „wahren Gentleman“ gefunden zu haben, wie ihr Ausdruck in der Morgenpost lautet. Die Fenster sind erleuchtet, und hinter den Gardinen bewegte sich ein männlicher Schatten.“

Der, von welchem dieser Schatten herrührte, hatte in der Bibliothek manches Buch gefunden, welches nicht ohne Werth für ihn war, und dachte erst zu ungewöhnlich später Stunde daran, die Ruhe aufzusuchen. Als er das dunkle Wohnzimmer betrat, bemerkte er, daß drüben im gegenüberliegenden Hause die Lichter des zweiten Stockes erloschen seien. Jetzt waren einige Fenster des ersten Stockes erleuchtet; die Vorhänge waren zurückgezogen; die Altanthüre stand offen, und durch diese glänzte die große, lichtverbreitende Kuppel einer Lampe, welche auf dem Sophatische stand. Eine weibliche Gestalt in weißem, luftigem Gewande glitt wie schwebend durch das Gemach. Sie trat an den Tisch; das blendendhelle Licht fiel auf ihre hohe, volle Gestalt, doch da sie von ihm abgewandt stand, so konnte er von ihrem Gesicht nichts sehen. Unbeweglich hielt er seinen Blick auf sie gerichtet, indem

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er erwartete, daß sie sich mehr seitwärts wenden werde. Jetzt erhob sie ein Buch, schlug es auf und hielt es dem Lichte näher, und weißer als ihr Gewand, weißer als das Papier glänzte wie ein selbstleuchtender Gegenstand ihre Hand zu ihm herüber.

Schnell holte er ein Opernglas herbei, welches er auf dem Schreibtische gesehen hatte, und eilte, dasselbe vor sein Auge haltend, hinaus auf den Balkon, wo er in der Dunkelheit nicht bemerkt werden konnte. Da stand die Unbekannte nun so klar und deutlich vor ihm, als befinde er sich in ihrer unmittelbaren Nähe. Ihre Hand fesselte wieder seinen Blick. Er hatte schon manche schöne Hand gesehen, vielleicht auch eine von ihnen besungen, wie weit aber blieb all seine Poesie gegen diese Wirklichkeit zurück! Wie graziös berührten sich ihre langgestreckten, spitz zulaufenden Finger an dem Papiere; wie leicht und schön gebogen hob sich das Handgelenk, und wie reizend schaute der Arm aus der durchsichtigen Spitzenhülle hervor! Es war ihm, als brauche er sich nur vorzubeugen, um seine Lippen auf diese Lilienhand zu drücken, so nahe, so deutlich sah er sie vor sich. Und immer noch wollte die Eigenthümerin derselben sich nicht wenden, immer noch konnte er Ihr ihr nicht in das Angesicht schauen! Ob die Schönheit ihrer Züge wohl mit der ihrer Hand im Einklang stand? Ihr Kopf war klein und edel geformt, und zwischen den reichen braunen Locken, die über die Schultern herniederfielen, schaute ein zierlicheres Ohr hervor, als er in seinem Leben jemals gesehen hatte.

Es durchfluthete ihn ein vollständig fremdes Gefühl. Es war ihm, als harre er auf eine Seligkeit, die ihm von Minute zu Minute vorenthalten werde; seine Ungegeduld -

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Ungeduld steigerte sich immer mehr und — da, da drehte sie sich halb um, und er erblickte dasselbe wunderbare schöne Angesicht, welches heute einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte.

„Sie ist’s; ich hab’ es geahnt!“

Heiße Wogen drängten sich nach seinem Herzen; war es von dem zu scharfen Sehen durch das Glas? Ein Taumel, ein der Trunkenheit ähnlicher Zustand wollte ihn erfassen. Er kannte die Macht weiblicher Schönheit, aber er hatte sie noch nicht an sich selbst erfahren; jetzt zitterte ihr Einfluß ihm durch das tiefste Leben, und er hätte um keinen Preis der Erde die Fülle von Ahnungen und unbewußten Wünschen, welche seine Brust schwellten, hingegeben.

Da nahm sie die Lampe und trat in das Nebengemach. Die weißen Gardinen, welche die dortigen Fenster verhüllten, ließen nur noch ihren Schatten sehen, welcher auch bald verschwand, als sie das Licht verlöschte.

Noch lange stand er, ob gedankenvoll oder gedankenlos, er selbst hätte es nicht sagen können. Nicht ihre Schönheit allein hatte ihn begeistert; das Vornehme und Edle ihres Aeußeren und die Reinheit, welche sie umwebte und umschwebte, wie das Licht die Sonne, hatte ihn gefangen genommen.

„Schlaf wohl, du herrliches, du unvergleichliches Wesen!“ flüsterte er aus überschwellendem Herzen und trat wieder in die Bibliothek zurück. Es trieb ihn hin zum Schreibtisch, es lenkte seine Hand zur Feder, und bald flossen die glühenden Stanzen auf das Papier, so

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glockentönig und farbenprächtig, wie sie nur die erste, alles Irdische überlodernde Liebe zu diktiren vermag. Er nahm das Blatt und las es wiederholt.

„Meine beste Arbeit, vielleicht die einzige gute und untadelhafte von allen. Nicht ich habe sie geschrieben, sondern die himmlische Macht, die sich heute mir zum erstenmale offenbarte. Was thue ich? Darf ich oder nicht? Noch ist die Redaktion mit der Zusammensetzung des Morgenblattes beschäftigt — ja, es wird gewagt!“

Er griff zum Hute und verließ trotz der späten Nachtstunde das Haus, um sich zur Druckerei zu begeben. Sein Beitrag wurde willkommen geheißen, und befriedigt kehrte er zurück. In der vom Monde nicht beschienenen Thornische standen zwei Personen, mit denen er in der Eile seines Ganges nicht allzuzart karambolirte, eine hohe männliche und eine zierliche weibliche.

„Wer da?“ fragte er.

„Ich bin’s.“

„Wer ist das?“

„Sarah.“

„Welche Sarah?“

„Das Mädchen von Mutter Smolly.“

„Ach so. Gute Nacht!“

Die kleine, niedliche Terzerone hatte also einen Anbeter. Forster wollte in den undeutlichen Umrissen seiner Gestalt etwas Bekanntes finden, konnte aber die beiden Leute unmöglich noch mehr belästigen. Er stieg zu seiner Wohnung empor und schlief nach langer Zeit zum ersten Male wieder zwischen schwellenden Federn. Seine Ruhe war so tief und fest, daß es dem Gotte des Traumes

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versagt blieb, sie mit den glücklichen Bildern zu durchweben, die den Schläfer noch im Entschlummern umgaukelt hatten.

III.

Trotz des festen Schlafes erwachte Forster doch schon früh am Morgen. Die Toilette war schnell beendet, und dann trat er an das Fenster, um nach seinem schönen Gegenüber zu forschen. Er fand alle Fenster geschlossen; die Balkonthüre war noch wie am Abend offen. Nun ließ er seine Vorhänge zusammenfallen, und zwar so, daß er seine Beobachtungen anstellen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Er hatte noch nicht lange gewartet, so bewegten sich die Vorhänge, und die unverkennbare, reizende Hand erschien, um sie zurückzulegen und das Fenster zu öffnen.

Nur wenige Augenblicke war es dem Lauscher gestattet, die Erscheinung des Mädchens anzustaunen, und doch waren sie hinreichend, ihr Bild in jeder reizenden Einzelheit zu umfassen. Hätte er sie nie wiedergesehen, dies Bild würde ihn doch als Ideal weiblicher Schönheit bis über das Grab hinaus begleitet haben. Schlank und hoch war ihre Gestalt; über der formvollendeten Brust hob sich auf einem schneeig zarten Halse ihr kleiner, wunderbar schön geformter Kopf, dessen glänzendes, dunkelbraunes Haar das edle Oval ihres Gesichtes einrahmte und in

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schweren, ungezwungenen Locken auf die schwellenden Schultern niederfiel. Ihre Züge waren fein geschnitten, zierlich gebogen ihre schöne Nase, prächtig gezeichnet ihre Korallenlippen, und unter den graziös geschwungenen dunklen Brauen schauten ein Paar hellbraune, seelenvolle Antilopenaugen hervor. Ihre ganze Erscheinung war ungezwungen vornehm und ihre Bewegungen zeigten selbstbewußte Ruhe und angenehme Leichtigkeit.

Nachdem sie die Gardinen zurückgeschoben, das Fenster geöffnet und einen Blick auf die Straße geworfen hatte, trat sie in das Zimmer zurück und verschwand vor Forsters Augen. Die Schläge seines Herzens hatten sich verdoppelt und ein Verlangen, eine Sehnsucht ihn erfaßt. erfaßt, wie noch nie in seinem ganzen Leben.

Schon wollte er wieder von dem Fenster zurücktreten, da schwebte es wieder wie eine Nebelwolke durch den Salon der Glasthüre zu, und in blüthenweißem, duftigem Morgengewande trat sie heraus auf den Balkon. Sie blickte hernieder auf die Straße, legte ihr Battisttuch auf das Eisengeländer des Altans, senkte den schön gerundeten Arm darauf, um sich auf denselben zu stützen und ließ ihre reizenden Hände übereinandergelegt von der Balustrade herabhängen.

Er stand wie festgebannt vor dem wundervollen, zauberischen Bilde. Sie war schöner, als Alles, was er vorher gesehen; sie war lieblicher und anmuthiger als Alles, was seine Phantasie ihm bisher vorgegaukelt hatte; sie war eine Fee, eine Göttin, von Wolken umgeben.

Nach dem Frühstücke erschien sie wieder und ließ sich, ihrem anwesenden Vater gegenüber, auf dem rothsammetnen Armsessel nieder, den ein sauber in Weiß gekleideter -

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gekleideter Negerknabe für sie hinstellte. Dann breitete der letztere die Zeitungen aus, deren Lektüre die Beiden vornahmen. Forster stand wieder beobachtend am Fenster; er hätte so stehen können, in Liebe und Wonne versunken, bis in alle Ewigkeit.

„Der dicke Gentleman scheint ihr Vater zu sein. Er blickt überrascht empor; er scheint etwas Interessantes in dem Journale gefunden zu haben. Jetzt lächelt er und giebt ihr das Blatt. Sollte es mein Gedicht sein? Wenn sie es liest, muß sie sofort wissen, daß es nur an sie gerichtet sein kann!“

Er nahm das Glas vor das Auge. Es waren seine Strophen; zwar konnte er die einzelnen Lettern nicht deutlich unterscheiden, aber er sah es an der Stellung des Satzes, daß die Stelle, auf welcher ihr Auge ruhte, nichts anderes, als ein Gedicht enthielt. Eine tiefe Röthe breitete sich über ihr Gesicht von der Stirne bis zum Nacken herab.

„Sie hat es gelesen!“ flüsterte Forster mit freudebebender Stimme. „Sie liest es wieder. O, wenn sie wüßte, wie so innig der Dichter sie mit seiner ganzen Seele umfangen hält; wenn sie es doch fühlen könnte, wie selig sein Puls in diesem Augenblicke für sie klopft und wogt!“

Unbeweglich, wie an sie gezaubert, hielt er seinen Blick auf sie geheftet und suchte in ihren prächtigen Augen und auf ihren frischen Lippen die Worte zu lesen, welche sie zu ihrem Vater sprach. Sie rief einen kurzen Befehl in den Salon hinein; der Negerknabe brachte eine Scheere herbei. Sie nahm dieselbe, schnitt das Gedicht aus der Zeitung heraus und gab diese ihrem Vater zurück. Den

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Ausschnitt aber faltete sie zusammen und verbarg ihn an ihrem Busen.

Bei diesem Anblicke schoß es Forster glühend durch die Adern; jeder Nerv erbebte ihm in seligem Entzücken, und seine Hand, welche das Glas hielt, zitterte unter dem wonnigen Schauer, der seine hochathmende Brust durchzog.

Da klopfte es an seine Thür; die kleine, hübsche Terzerone seiner Wirthin brachte ihm das Verzeichniß, aus welchem er sich die Speisekarte dieser Woche zusammenstellen sollte. Sie war eine jener stillglühenden Schönheiten, welche der Vermischung der schwarzen mit der weißen Rasse ihr genußsüchtiges Dasein verdanken. Er war unwillig über diese Störung, ließ sich aber davon nichts merken. Er versprach, die gewünschte Zusammenstellung sofort vorzunehmen. Sie zog sich bis an die Thür zurück, zögerte jedoch, das Zimmer zu verlassen.

„Wünschest Du noch etwas?“

„Eine Bitte, Mylord Forster“, antwortete sie erröthend.

„So sprich!“

„Ihr habt mich heute Nacht an der Thüre getroffen mit einem Gentleman — —“

Ihm fiel ein, daß der Mann etwas ihm bekannt Vorkommendes an sich gehabt hatte, und er beschloß, sich zu orientiren.

„Ein Gentleman? Welcher Gentleman stellt sich des Nachts mit einem Dienstboten unter das Thor?“

„Es ist so, Mylord; er ist ein Gentleman, ich kenne ihn genau, denn er ist mein — mein — —“

„Dein Geliebter?“

„Ja“, antwortete sie leise, indem eine tiefe Gluth

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ihren dunklen Teint durchleuchtete. „Die Herrin darf aber nichts davon wissen, und da — da wollte ich Euch ersuchen, ihr zu verschweigen, daß Ihr mich mit ihm gesehen habt!“

Well! Wer ist denn dieser Gentleman, der Dir das kleine Herz bethört?“

„Ich nenne ihn Tom, Mylord? Mylord!

„Und wie heißt er noch?“

„Das soll ich verschweigen; Euch aber will ich es sagen. Er heißt Tom Wilson und ist ein sehr reicher Plantagenbesitzer in Texas. Er ist sehr oft drüben bei Bankier Olbers und hat mich durch das Fenster gesehen und sehr lieb gewonnen.“

„Olbers? Ist dies der dicke Herr, welcher jetzt dort auf dem Balkon sitzt?“

„Ja, und die Lady ist Miß Margareth, seine Tochter, die sehr oft zu meiner Herrin kommt und Marga genannt wird.“

Forster wußte nun auf einmal, wem sein so lebhaftes Interesse gehörte. Ein Gedanke durchblitzte ihn.

„Hat Dein Geliebter eine Narbe über der Stirn?“

„Ja. So kennt Ihr ihn, Mylord! Er hat sie von einem Indianer bekommen.“

„Woher weißt Du, daß er reich ist?“

„Er hat mich einmal mit in seine Wohnung genommen und mir eine ganze Menge Nuggets und Goldstaub gezeigt. Er wird nächstens verreisen.“

Das Mädchen war mittheilsam geworden. Forster mußte dies benutzen, denn was er hier erfuhr, konnte ihm von Nutzen sein.

„Wohin?“

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„Nach Mexiko zu seinem Bruder.“

„Ah! Warum so weit?“

„Sein Bruder, welcher Alkalde in Morelia ist, hat ihm geschrieben, daß er ein großes Geschäft mit ihm machen will. Ich habe den Brief gelesen.“

„Wie heißt der Alkalde? Natürlich auch Wilson!“

„Nein, denn er ist nur der Stiefbruder und heißt Antonio Molez.“

„Was für ein Geschäft soll es sein?“

„Das stand nicht dabei. Werdet Ihr meine Bitte erfüllen, Mylord?“

„Ja, doch nur unter der Bedingung, daß Du auch Deinem Geliebten nichts von unserer Unterredung sagst!“

„Habt Dank; ich werde schweigen.“

Sie ging, und Forster eilte an das Fenster zurück. Marga und ihr Vater hatten den Balkon bereits verlassen. Er setzte sich an den Schreibtisch und fertigte den Küchenzettel. Dann machte er Toilette zum Ausgehen. Er wollte den braven Summerland besuchen und hatte während dieser Beschäftigung nicht bemerkt, daß die heimlich Geliebte, jetzt in schwarze, rauschende Seide gekleidet, ihre Wohnung verließ, und über die Straße herüber das Haus von Mutter Smolly betreten hatte. Diese war eine Freundin von ihrer verstorbenen Mutter gewesen, hegte eine große Zuneigung zu dem schönen Mädchen und empfing sie mit freundlichen Vorwürfen.

„Aber, mein Kind, wo denkst Du hin? Gestern den ganzen langen Tag nicht auf einen einzigen kleinen Augenblick zu mir herüberzukommen! Hast Du denn Deine alte, gute Tante Smolly ganz vergessen?“

„Ja, Tantchen, Du bist ganz entsetzlich alt! Aber

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vergessen habe ich Dich trotzdem nicht, sondern mich im Gegentheil recht sehr nach Dir gesehnt. Ich hatte schon am Vormittage für die Abendgesellschaft unendliche Vorbereitungen zu treffen und mußte, denke Dir nur, nach Tische um des garstigen Wilson willen, den Papa so unbegreiflich protegirt, mit spazieren reiten. Konnte ich da kommen? Und dann die langweilige Soiree, die mir unerträglich gewesen wäre, wenn nicht Wilson gefehlt und Tim Summerland so interessant erzählt hätte.“

„Du scheinst diesen Wilson gar nicht gern zu haben?“

„Nein, Tante, noch viel weniger als ungern. Kannst Du Dir denken, warum?“

„Wie sollte ich!“

„Er hat bei Papa angedeutet, daß er nur meinetwegen in Stenton verweile, und dieser forderte mich auf, so freundlich wie möglich gegen ihn zu sein; er beabsichtige ein ganz bedeutendes Unternehmen mit ihm, und wünsche, ihn durch engere Bande an sich zu fesseln. Soll mich das nicht ärgern?“

„Gewiß! So etwas ist allerdings höchst ärgerlich, wenn man sich für den Betreffenden nicht zu interessiren vermag. Aber warte nur, Marga, es kommt schon noch die Zeit, daß — —“

„Daß Du Deine Zimmer vermiethest. Nicht wahr, Tante Smolly, das wolltest Du sagen?“

„Eigentlich nicht, Du Schelm; aber da Du auf dieses Thema kommst, so mußt Du erfahren, daß ich gestern endlich doch vermiethet habe.“

„An einen wahren Gentleman?“

„Ja. Soll ich Dir sagen, wie er heißt?“

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„Natürlich. Ich muß doch wissen, wer in Deinem Hause wohnt!“

Die Mulattin schlug den Gedichtband auf und hielt ihr das Titelbild triumphirend entgegen.

„Hier steht sein Name. Lies ihn, aber recht laut!“

„Richard Forster! Tantchen, ist es möglich? Wohnt er bei Dir?“

„Bei mir!“ nickte sie mit gewichtiger Miene.

„Aber wie ist das gekommen?“ frug das Mädchen, vor freudiger Verwunderung die Hände zusammenschlagend.

„So ganz unerwartet, daß ich einen geradezu unverzeihlichen Fehler gemacht habe, mein Kind. Denke Dir, Tante Smolly ist unhöflich und rücksichtslos gewesen, unhöflich und rücksichtslos zum ersten Male in ihrem Leben, unhöflich und rücksichtslos sogar gegen den wahrsten Gentleman, den es geben kann, gegen Deinen Lieblingsdichter und denjenigen meines seligen Mannes!“

„Das ist doch gar nicht denkbar!“

„Man sollte es meinen, und doch ist es mir passirt. Ich gäbe sehr viel darum, wenn es nicht geschehen wäre! Das war nämlich so: Sarah kommt herein und sagt, daß ein Mann mich zu sprechen wünsche, der ganz zerfetzt und zerrissen gehe und das Aussehen eines ganz gefährlichen Landstreichers habe. Natürlich empfange ich ihn nicht im Parlour, sondern im Vorsaale, finde auch die Worte des Mädchens vollständig gerechtfertigt und bin also höchst verwundert, als er nach meinem Logis fragt. Ich will ihn kurz abweisen, komme jedoch nicht dazu, und erfahre im Laufe des Gesprächs, wer er ist. Denke Dir den entsetzlichen Schreck, den ich bekam. So einen Mann für einen Strolch anzusehen, und auf diese beleidigende Weise zu

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empfangen. Natürlich suchte ich mein Vergehen schleunigst wieder gut zu machen, aber es ist beinahe zu groß, als daß er es mir verzeihen könnte.“

In diesem Augenblicke erscholl die Glocke, und das Mädchen trat herein.

„Master Forster bringt die Speisekarte, Ma’am. Soll er herein?“

„Natürlich, sofort, stets, wenn er kommt; merke Dir das für immer, Sarah!“

Marga blickte sich um, als suche sie ein Versteck, hinter welchem sie sich verbergen könne; es war zu spät, denn der Angemeldete stand bereits unter der Thür. Ein Freudenblitz zuckte über sein Gesicht, als er sie erblickte, doch faßte er sich schnell.

„Good morning, Myladies,“ grüßte er mit jener Feinheit in Blick, Ton und Bewegung, welche nur welterfahrenen Personen eigen ist. „Verzeihung, daß ich mir den Zutritt gestatte!“

„Nicht Verzeihung, sondern Dank schulden wir Euch, Sir. Ihr trefft mich in lieber Gesellschaft“, fuhr Mutter Smolly, ihre junge Freundin vorstellend, fort; „Miß Margareth Olbers, eine ganz besondere Freundin germanischer Poesie.“

„Dann bin ich glücklich, Euch auf einem so herrlichen Gebiete begegnen zu dürfen, Miß,“ erwiderte er mit einer gewandten Verbeugung gegen Marga und einem Blicke, in welchem sich neben vollster Hochachtung eine aufrichtige Bewunderung aussprach.

„Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte, als die gestrige,“ hauchte sie in holder Verlegenheit.

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„Wollen wir Frieden schließen?“ frug er, ihr unwillkürlich die Hand entgegenstreckend.

„Gern!“

Sie legte ihr wunderbares Händchen in seine Rechte; er zog es an seine Lippen. Bei dieser Berührung flog ein dunkles Karmin über ihr Gesicht, und Beiden war es, als ströme durch die verschlungenen Hände eine magische Gewald Gewalt über, welche ihre Herzen in einen seligen Rapport versetzte.

„Ihr habt Euch gestern bereits gesehen?“ frug die Mulattin erstaunt.

„Im Vorüberreiten, Mutter Smolly,“ erwiderte er, „der er. Der mehr als bescheidene Westmann konnte nicht erwarten, daß solche Lippen sich seiner noch erinnerten. Herzlichen Dank dafür, Miß!“

„O“, lächelte Marga, „ein gewisser Tim Summerland hatte sich Mühe gegeben, diese Erinnerung wach zu erhalten!“

„Tim Summerland? Ist er Euch bekannt?“

„Er war gestern am Abend bei uns und unterhielt uns mit der Erzählung seiner Abenteuer, in denen ein tapferer, umsichtiger Jäger dieselbe Stellung einnimmt, wie der Dichter Forster in der germanischen Literatur der Vereinigten Staaten.“

Sie hatte ihre Fassung vollständig wiedergewonnen und sprach mit einer Sicherheit und aufrichtigen Verbindlichkeit, welche ganz ihrer königlichen Gestalt, ihrem edlen Wesen paßte und jeden Gedanken ausschloß, daß ihre Worte dazu bestimmt seien, ein gewöhnliches Compliment oder gar eine wohlfeile Schmeichelei auszusprechen.

Er erhob höflich abwehrend die Hände.

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„Der Jäger that, was der einfachste Trapper gethan haben würde, und der Dichter, den zu erwähnen Ihr so gütig wart, weiß nur zu gut, welche Schwächen seine Arbeiten zeigen, weil sein einsames Leben von keinem Strahl der Liebe und des Glückes erwärmt und erleuchtet wurde. Der Vater starb vor seiner Geburt, und der Mutter raubte derselbe Augenblick das Leben, welcher ihm das Dasein gab; kein Schwesterauge bewachte seine Schritte; keine Freundin ist ihm genaht, und dennoch vermag nur zarte, innige Frauenweise die Härten des Mannes zu mildern, und gerade der Dichter bedarf eines Pulses, der mit dem seinen klopft und die Begeisterung in das Herz strömt, ohne welche kein Meisterwerk zu schaffen ist.“

Er wußte selbst nicht, wie er zu diesen Worten kam. Der Augenblick lockte sie seiner innersten Ueberzeugung ab, wie nach der Sage der Gruß der Sonne die Säule zum Ertönen bringt.

„Wer als Dichter so viele Herzen höher schlagen macht, darf versichert sein, daß auch die Beste sich nicht weigern würde, an seinem Glücke theilzunehmen,“ antwortete Marga.

Kaum aber hatte sie geendet, so senkten sich ihre zarten, langbewimperten Lider, und eine Gluth schoß über ihre Wangen. In unbeschreiblicher Verlegenheit wurde sie gewahr, was sie gesagt hatte. Was mußte er, der sicher jedes einzelne Wort zu wägen verstand, von ihr denken!

„Wie zum Beispiel wir es thun werden“, verschlimmerte Mutter Smolly die Situation. „Daß mein Mann ein Deutscher war, habe ich bereits gesagt; auch

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Marga’s Mutter stammt aus Germany. Die beiden Verstorbenen waren einander verwandt, auch im Geiste, in allen ihren Anschauungen und Neigungen, und wir sind treue Erben von ihnen.“

„So sprecht Ihr deutsch?“ frug Forster das Mädchen.

„Lieber noch als englisch. Ich habe mit Mama fast nie anders gesprochen. Jetzt leider ist mir dieser Genuß seltener gestattet. Mein Vater pflegt keinen Privatverkehr mit Deutschen und spricht selbst nur englisch.“

„So muß ich vielleicht den bereits gehegten Gedanken, mich ihm vorzustellen, sinken lassen. Ich bin im Besitze einiger Werthpapiere, um deren Realisirung ich ihn ersuchen wollte, da er mir als der entgegenkommendste Geschäftsmann Stentons empfohlen wurde.“

„Darf ich bemerken, daß ich von seinem privaten Verkehr sprach? Und die Ausschließung der Deutschen ist nicht die Folge eines Grundsatzes, sondern des bloßen Zufalles.“

„So darf ich diese Vorstellung wagen?“

Sie sah sich in neue Verlegenheit versetzt, denn hinter dieser Frage verbarg sich eine andere, die sie weder bejahen konnte noch verneinen mochte. Es verstand sich ja ganz von selbst, daß eine Einladung die nothwendige Folge einer solchen Vorstellung sein werde.

„Sie wird kein Wagniß sein“, klang es als Antwort, während ihr Blick den Boden suchte.

Er sah, daß er verstanden worden war; daher erfüllte ihn die an sich so unverfängliche Zustimmung mit Entzücken. Gern hätte er die Unterhaltung fortgesetzt, aber er durfte nicht unbescheiden sein, übergab das Speiseregister und empfahl sich dann. Mutter Smolly

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begleitete ihn hinaus auf den Flur. Als sie zurückkehrte, stemmte sie in komischer Entrüstung die Arme in die Seiten und rief:

„Was soll mir denn das heißen? Begegnet bist Du ihm, und ich habe kein Wort davon erfahren! Das ist straffällig, das muß fürchterlich gerochen werden!“

„Verzeihung, bestes Tantchen, ich hatte noch gar keine Zeit, Dir das interessante Intermezzo zu berichten, obgleich ich nur zu diesem Zwecke herüberkam!“

„Gut, so beichte, aber hübsch ausführlich, das will ich Dir rathen. Komm, setze Dich zu mir auf den Divan! Du sagtest zu ihm: „Eine Begegnung, welche friedfertiger sein dürfte als die gestrige.“ Euer Zusammentreffen muß also ein sehr feindseliges gewesen sein!

Marga erzählte; es war ihrer Rede anzuhören, wie gern sie das that. Das Ereigniß stand noch lebhaft vor ihren Augen, und sie schilderte es in den Farben, welche sie unbewußt aus dem Herzen lieh. Als sie geendet hatte, meinte die Mulattin:

„Das ist ja ein ganz außerordentlicher Mann! Aber so sind diese Deutschen, mild, nachgiebig und duldsam, mehr als jeder Andere, aber nur bis zu einem gewissen Punkte; wird dieser verletzt, so giebt es eine Explosion, der Niemand zu widerstehen vermag. Wilson wird sich die Lehre merken.“

„Und sich rächen. Er ist mir immer mit auffallender Auszeichnung begegnet, dennoch vermuthe ich in ihm einen Charakter, der zur Vorsicht mahnt. Mein Vertrauen könnte er niemals gewinnen.

Unterdessen schritt Forster die Straße dahin und gelangte in das Haus Summerlands, wo er erfuhr, daß

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die Brüder sich in den Leseklub begeben hätten. Es war die Stunde, in welcher dessen Mitglieder sich in die Morgenblätter vertieften, und Tim war aus Anhänglichkeit für den Advokaten mitgegangen, obgleich es ihm leichter gewesen wäre, einen Bären zu erlegen, als eine Zeile zu buchstabiren. Forster folgte ihnen. Er durchschritt langsam die kleinen Cabinets, in welche sich die einzelnen Leser aus dem Saale, wo störendes Geräusch nicht zu vermeiden war, zurückgezogen hatten.

In einem dieser Zimmer hingen die Statuten des Vereines aus. Er trat vor die eingerahmte Schrift, um einen Punkt zu suchen, der ihn darüber belehrte, ob der Eintritt Fremden gestattet sei. Die dicken Läufer, welche den Fußboden bedeckten, hatten seine Schritte unhörbar gemacht, so daß seine Gegenwart in dem Nebenraume, aus welchem die halblauten Stimmen zweier Männer durch die dünne Portière klangen, unbemerkt blieb. Ohne es zu beabsichtigen, vernahm er jedes Wort ihrer Unterhaltung.

Well, Sir, Ihr habt mich vollständig überzeugt, daß bei dem Geschäfte ein außerordentlich hoher und sicherer Gewinn zu erzielen ist. Texas hat schon öfters die kräftigsten Versuche gemacht, sich von Mexiko loszusagen, immer aber wurde es durch die Uebermacht der Truppen niedergeworfen. Jetzt ist man in Washington entschlossen, ihm die nachdrücklichste Hilfe zu gewähren, und die Folge wird sein, daß das herrliche, reiche und fruchtbare Land zur Union schwören muß. Ein Strom von Einwanderern wird sich über dasselbe ergießen und der Preis des Bodens sich in kurzer Zeit um das Zwanzig- und Mehrfache steigern. Wer die Mittel besitzt, einige

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Grants von genugsamer Ausdehnung zu bekommen, kann sich Millionen verdienen. Zwar sind die Eurigen bedeutend, aber wenn Ihr mir gestattet, Master Wilson, eine Summe, welche ich gerade verfügbar habe, beizuschießen, so wird Euer Vortheil nur vergrößert werden.“

„Wie hoch ist sie?“

„Vierzig-, vielleicht auch fünfzig- oder sechzigtausend Dollars, welche ich Euch in guten Wechseln auf Galveston mitgeben werde. Zwar waren mir Eure Verhältnisse bisher unbekannt, aber die Empfehlung, welche Ihr mir von Harris und Thomson, Jefferson City, vorlegtet, genügen genügt vollständig, Euch mein ganzes Vertrauen zu erwerben. Wann werdet Ihr reisen?“

„So bald wie möglich. Es ist keine Zeit zu verlieren; die Verhältnisse, mit welcher welchen wir rechnen, sind öffentliche, und es sollte mich wundern, wenn nicht auch noch Andere als wir auf die gleiche Speculation verfielen.“

„Dieser Gedanke liegt allerdings nahe. Verfügt Euch mit mir in meine Wohnung, wo wir die Angelegenheit sofort in Ordnung bringen können.“

„Und Eure Tochter, Master Olbers?“

„Ist mir zu lieb, als daß ich mehr als eine Andeutung gegen sie aussprechen sollte. Sie ist vollständig frei, wie ich sicher weiß, und Ihr seid ja ein Gentleman, dem es nicht schwer fallen kann, die Zuneigung eines Mädchens zu erringen. Meine Zustimmung habt Ihr, und das Uebrige ist ganz Eure Sache.“

Sie erhoben sich und verließen den Ort, ohne Forster, welcher hart an der Wand stand, zu bemerken. Es war der dicke Bankier und der Mann, welcher gestern den so

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wirkungsvollen Faustschlag erhalten hatte. Wilson also war sein Name. Forster dachte an die Gestalt in der Thornische.

„Tom Wilson, der Geliebte von Sarah; er ist’s; es ist kein Zweifel möglich! Und sollte ich mich irren, wenn ich ihn für jenen Schurken halte, der die Pfahlmänner anführte? Er trägt sich anders, doch dieses Gesicht ist nicht zu verwechseln, und die Narbe erhöht die Gewißheit. Aber wie kommt er zu der Empfehlung von Harris und Thomson? Er kann während der Zeit unmöglich in Jefferson gewesen sein. Und selbst wenn ich mich in Allem irrte, ein Schelm ist er, wie sein gestriges Verhalten und die Liebschaft beweist, welche er mit der Terzerone unterhält, während er nach der Hand von Marga trachtet. Ich werde ihn entlarven!“

Er durchwanderte die Enfilade der Zimmer weiter und fand bald die Gesuchten. Tim Summerland saß, ihm abgekehrt, am Tische und durchstöberte die Bilder eines illustrirten Journals. Der gestrige Salonanzug war ihm zu unbequem; er hatte ihn mit einer, allerdings neuen, Trapperkleidung vertauscht, doch auf dem Kopf, wirklich, da saß die alte Mütze, die ihres Gleichen suchte. Er hatte sich unmöglich von ihr trennen können.

Forster trat an ihn heran und schlug ihn mit der Hand auf die Schulter. Der Getroffene sprang pfeilschnell in eine kampfbereite Boxerhaltung empor.

„Was schlagt Ihr mich, Master? Wollt Ihr einige gute Stöße sehen?“

Die Veränderung, welche mit dem Aeußeren seines Gefährten vorgegangen war, ließ ihn diesen nicht sofort erkennen.

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„Deine Stöße kenne ich, Tim Summerland; behalte sie nur für Dich, alter Junge!“

Der Trapper riß die Augen auf, sprang dann auf ihn zu und warf die Arme um ihn, als wolle er ihn zu Mehl zerdrücken.

„Der Dichter, by god, der Dichter; er ist’s, so gewiß wie meine Mütze. Hat sich der Mensch herausgeputzt, daß einem ordentlich die Augen übergehen. Hier Bill, hast Du ihn; fang ihn auf, und quetsche ihn ein wenig in Deine Pranken, denn er ist der beste Freund, den ich habe!“

Er schob ihn dem Bruder zu, welcher ihn mit gleicher Herzlichkeit begrüßte. Der Advokat war einer jener selfmade-men, die sich durch eigene Kraft und mit Ueberwindung der größten Schwierigkeiten aus der Tiefe in eine geachtete Stellung emporzuringen wissen. Er hatte es bis zu einem der berühmtesten Rechtsmänner der Vereinigten Staaten gebracht und sicherlich jeden größeren Rechtsfall von Arkansas und dem umliegenden Gebiete zu verhandeln. Auch ihm war Forster aus der Lektüre von dessen Werken längst bekannt.

„Wenn Ihr nicht bald gekommen wärt, Sir“, meinte Tim, „so hätte ich mich wieder davon gemacht. Es weht hier zwischen den Häusern und Palästen eine Luft, die ich nicht vertragen kann. Jetzt aber muß ich schon noch einige Zeit aushalten.“

An ein Studiren der Zeitungen war nicht mehr zu denken. Der Advokat bot Forster in liebenswürdigster Weise unbeschränkte Gastfreundschaft an; dieser schlug aus und bat nur um die Erlaubniß, seinen Gefährten nach Herzenslust -

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Herzenslust besuchen zu dürfen, konnte sich aber einer darauffolgenden Einladung zum Diner nicht entziehen.

Hierauf verließ man den Klub und trennte sich. Forster schritt dem Bankiershause zu und ließ sich von einem Klerk beim Chef desselben anmelden. Er wurde in das Kabinet geführt, wo Olbers und Wilson noch über ihre Spekulation verhandelten. Beide konnten eine Ueberraschung beim Anblicke des jungen Mannes nicht verbergen; nur äußerte sie sich in verschiedener Art. Wilsons Auge flammte auf, doch wandte er sich schnell ab und trat an das Fenster, um dem Eingetretenen das Studium seiner Züge zu entziehen. Olbers blickte noch einmal auf die Karte in seiner Hand, durch welche die Anmeldung geschehen war.

„Euer Name ist Richard Forster, Sir?“

„Ja. Ich komme, um eine Bitte auszusprechen. Wollt Ihr so freundlich sein, diese Papiere zu prüfen?“

Der Bankier ergriff sie und überflog sie mit einem raschen Blicke.

„Sie sind gut.“

„Ich wünsche einen Theil des Betrages in klingende Münze zu verwandeln, das Uebrige aber hier zu deponiren, um es später bei meiner Abreise in Wechseln zu erheben.“

„Ich stehe gern zu Diensten, Sir! Ist Euch ein Master Summerland bekannt?“

„Tim Summerland wohl? Ich traf mit ihm in dem Llano estacado zusammen und habe ihn soeben hier wieder aufgesucht.“

„So ist auch meine Vermuthung richtig, daß Ihr

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der Verfasser der poetischen Werke seid, unter denen derselbe Name steht, den Eure Karte zeigt?“

Forster verneigte sich zustimmend.

„So wird es mir ein Vergnügen sein, Euch auch anders als geschäftlich begegnen zu können. Bitte, betrachtet meine Wohnung als die Eurige! Meine Tochter wird sehr erfreut sein, Euch kennen zu lernen.“

„Ich hatte bereits die Ehre, der Miß durch Mutter Smolly, meine Wirthin, vorgestellt zu werden.“

„Ah! Ihr wohnt bei Mutter Smolly? Das ist mir angenehm, denn so sind wir Nachbarn und können uns ohne große Schwierigkeit genießen. Seid Ihr vielleicht für den heutigen Abend bereits engagirt?“

„Nein.“

„So bitte ich um Eure Gegenwart. Wir werden ganz unter uns sein: ich, Marga und dieser Herr, den ich mir erlaube, Euch vorzustellen — — Master Tom Wilson, Plantagenbesitzer in Texas.“

Er hatte jede Erwähnung des gestrigen Ereignisses vermieden. Wilson wandte sich mit einer halben Wendung zurück und machte eine kalte vornehme Verbeugung. Forster erwiderte dieselbe in der frostigsten Weise, die ihm möglich war.

„Ich werde kommen, Sir, wenn es mir gelingt, mich von dem guten Tim zu trennen, der sehr ernsten Beschlag auf mich legen wird.“

„So bringt ihn mit; er wurde gestern bereits bei mir eingeführt und wird mir gern willkommen sein.“

Das war es, was Forster gewünscht hatte. Er wurde von Olbers zum Kassirer begleitet, erhielt das Baargeld und den Depositenschein und verließ das Comptoir.

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„Ein verteufelter Schnitzer, den Ihr gestern begangen habt, Master Wilson“, meinte der Bankier, als er wieder in das Kabinet zurückgekehrt war. „Dieser Mann ist kein Anderer als der Jäger, den Ihr attackirtet; er muß eine ganz miserable Ansicht über uns bekommen haben!“

„Ist mir gleich! Ich habe niemals nöthig gehabt, um die Freundschaft eines Reimeschmiedes zu buhlen, und werde das auch hier nicht thun. Daß Ihr ihn für heute Abend eingeladen habt, ist mir nichts weniger als angenehm. Ich glaubte, Marga allein zu haben, um mit ihr ins Reine zu kommen, und nun werden diese beiden Menschen mir die Gelegenheit verderben.“

„Diese Besorgniß ist unnöthig, denn ich werde sie so in Beschlag nehmen, daß Euch vollkommen Freiheit bleibt, Eure Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Jetzt nun zu unserer Spekulation zurück!“

Es wurde beschlossen, daß Wilson schon morgen reisen solle. Nachdem der Kontrakt gefertigt und unterzeichnet war, erhielt er die Papiere und verließ das Haus. Bereits hatte er einige Straßen durchschritten, um seine Wohnung zu erreichen, als er Sarah aus einem Laden treten sah. Nach einigen Schritten stand er bei ihr.

„Ich habe sehr nothwendig mit Dir zu sprechen. Willst Du mir heut die Thür zu Deinem Room wieder offen lassen. lassen?“

„Wann?“

„Sobald es dunkel ist. Ich komme nur auf einige Augenblicke, kehre aber später wieder.“

„Ich werde den Schlüssel anstecken.“

Er nickte und ging. Bei sich angekommen, zog er

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die Papiere aus der Tasche und warf sie mit triumphirender Miene auf den Tisch.

„Der Wurf ist gelungen. Fünfzigtausend Dollars in der Tasche; die Nuggets der armen Teufel, die wir in der Todessteppe zum Kukuk schickten, dazu gerechnet, bin ich nun mit den nöthigen Mitteln versehen, den Gentleman zu spielen. Wenn dieser Olbers wüßte, daß die Empfehlung von Harris und Thomson aus meiner eigenen, gewandten Feder stammt! Und doch, wenn ich Marga bekomme, soll er die Summe nicht verlieren und sein ehrliches Theil vom Gewinn erhalten; ich bin ja dann sein einziger Erbe. Spielt mir aber dieser Dichterling einen Streich, so verschwinde ich auf Nimmerwiederkehr. Marga ist eine Venus, eine Göttin, die selbst einen kälteren Mann, als ich bin, verrückt machen könnte, aber Sarah, ja, dieses Mädchen ist ein allerliebstes Spielzeug, voll Vertrauen und Opferwilligkeit und so hübsch dazu, daß man sich auf einige Zeit bei ihr für den Verlust der Bankierstochter entschädigen könnte. Ich werde ihr den Wunsch, mit mir gehen zu dürfen, auf jeden Fall erfüllen. Sie muß sich als Knabe verkleiden und für meinen Diener gelten.“

Er ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und schwelgte in den Gedanken der Genüsse, die ihm bevorstanden.

„Dieser Forster ist ohne allen Zweifel der Schurke, dem ich meine Narbe verdanke. Und er hat mich ebenso gut wieder erkannt, wie ich ihn; das ist aus seiner gestrigen Anspielung auf den Llano estacado und die Nuggets zu ersehen. Er wird sich alle Mühe geben, mir zu schaden, aber es soll ihm nicht gelingen! Ehe ich

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fortgehe, werde ich Abrechnung mit ihm halten und ihm die beiden Hiebe bezahlen, die er auf mich geführt hat.“

„Und dieser Tim Summerland, der heute mit erscheinen wird“, fuhr er nach einer Pause fort, „ist jedenfalls der andere Mensch, der uns damals die Thiere und einen Theil des Goldes raubte. Ich bin begierig, ob auch er mich erkennen wird. Ich bin auf alle Fälle gesichert. Noch ist keine Anzeige gegen mich erfolgt, und wenn ich ja gezwungen bin, zu verschwinden, so wird man mich doch nur unten in Texas suchen, wo ich durch meine Abwesenheit glänzen werde. Dann, wenn es mir mit Hilfe meines Bruders gelingt, die Grants zu erwerben, so verkaufe ich sie an Ort und Stelle wieder und gehe mit Sarah nach Brasilien. Dort mag sie bei mir sein, bis mir eine Andere besser gefällt!“

Er packte Verschiedenes ein, um die zu seinem Vorhaben nöthigen Einkäufe zu machen. Sobald es dunkel geworden war, begab er sich, in einen weiten Reisemantel gehüllt, unter welchem er ein Packet trug, zum Hause der Mutter Smolly. Er trat sofort ein, stieg zwei Treppen empor und öffnete eine Thür, welche zu einem kleinen Raum führte, der Sarah als Schlafkabinet angewiesen war und alle ihre Habseligkeiten enthielt. Es war vollständig dunkel darin, doch fand er sich sehr gut zurecht.

Nach kurzer Zeit trat das Mädchen ein.

„Bist Du da?“ flüsterte sie.

„Ja, mein süßes Herz“, antwortete er, sie umschlingend und an sich drückend. „Ich bin gekommen, Dir eine frohe Botschaft mitzutheilen.“

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„Welche?“ frug sie, seine Liebkosung stürmisch erwidernd.

„Ich gehe fort. Willst Du mit?“

„O wie gern! Mit Dir gehe ich, wohin Du mich nur immer führest. Wann reisest Du ab?“

„Schon heute.“

„Das ist zu schnell. Ich muß doch Zeit haben, mich vorzubereiten, und auch mit der Herrin sprechen.“

„Du brauchst keine Vorbereitung, denn ich habe bereits für Alles gesorgt. Und der Herrin darfst Du gar nichts sagen, sonst läßt sie Dich nicht fort.“

„Aber sie ist so gut; ich darf doch nicht so undankbar sein und sie heimlich verlassen.“

„So ist sie Dir wohl lieber als ich?“ frug er in vorwurfsvollem Ton.

„Wie darfst Du nur so denken! Du bist mir lieber als Alles, was ich kenne, und für Dich will ich alles thun, was Du von mir verlangst. Ich gehe mit, auch heute!“

„Das habe ich nicht anders erwartet, Sarah, und Du wirst es nicht bereuen, denn jetzt erst beginnst Du zu leben und die Genüsse kennen zu lernen, welche Dir hier versagt bleiben würden. Doch nicht als Mädchen darfst Du mich begleiten; das würde uns hindern, in steter Nähe zu verkehren und unser Glück bis zur Neige zu genießen.“

„Nicht als Mädchen! Wie sonst?“

„Als Knabe. Hier in diesem Packet befindet sich alles Erforderliche. Der Anzug wird Dir prächtig stehen.“

„Als Knabe?!“ meinte sie, geschmeichelt und erfreut, indem sie sich noch inniger an ihn schmiegte. „O, wie

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hübsch wird das sein. Ich werde Dein Diener sein und Dich keinen Augenblick allein lassen.“

„Aber ein großes Opfer wirst Du mir bringen müssen, mein liebes Kind.“

„Befiehl nur; es ist mir keins zu groß.“

„Dein Haar, Dein herrliches Harr Haar werde ich Dir abschneiden müssen, denn es würde verrathen, daß Du kein Knabe, sondern das schönste Mädchen der Vereinigten Staaten bist.“

„Schneide es nur immer ab. Ich gebe es gern hin für das Glück, von Dir so innig geliebt zu sein.“

„Wie lange mußt Du heute bei Mutter Smolly sein?“

„Bis zehn Uhr, dann bin ich frei.“

„So sorge, daß ich von da an das Haus offen finde, und kleide Dich sorgfältig um, damit ich nicht zu warten brauche. Es wohnt seit gestern ein Master Forster bei Euch?“

„Ja, ein sehr schöner und auch sehr lieber Gentleman.“

„Ah, ich merke, daß es Zeit ist, Dich von hier fortzunehmen. Du mußt auch ihn bedienen?“

„Ja. Seine Zimmer sind mir von der Herrin übergeben worden, und ich führe einen separaten Schlüssel zu ihnen, damit ich während seiner Abwesenheit meine Arbeit verrichten kann.“

„Sorge dafür, daß dieser Schlüssel hier ist, wenn ich komme.“

„Warum? Mußt Du in die Zimmer?“ frug sie arglos.

„Ja. Man kann von ihnen hinüber zu Olbers

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schauen, und ich muß Einiges da drüben beobachten, ehe ich das Haus verlasse. Jetzt aber leb wohl, Sarah, und führe Alles genau aus, was ich Dir gesagt habe!

Nach einer innigen Umarmung stieg er, den Mantel zurücklassend, die Treppen wieder hinab und stand nach einigen Augenblicken wieder in dem Salon des Bankiers.

Er war der erste der Geladenen und fand Marga allein vor.

„Good evening, Miß. Master Olbers hat mir erlaubt, den letzten Abend, der mir für Stenton zugemessen ist, in Eurer Nähe zu verbringen. Darf ich mir einbilden, daß meine Gegenwart Euch nicht unangenehm ist?“

„Die Einbildung ist eine weitverbreitete, aber schlimme Angewohnheit, Sir, und mein Gewissen läßt mir niemals zu, sie zu unterstützen!“

Er zog die Spitze seines Schnurrbartes durch die Zähne und entgegnete:

„Kein Mensch lebt von etwas Anderem, als von dem, was er sich einbildet. Das ganze Dasein ist ein Koulissenspiel, zu dem die Täuschung ihre Lichter spendet. Reichthum und Schönheit, Geist, Macht und Ehre kommen und gehen, und nur der ist glücklich, der den Augenblick ausbeutet. Der jetzige ist einer der schönsten meines Lebens und ich darf ihn nicht vorüberlassen, ohne dies Euch gestanden zu haben.“

Marga wollte antworten, wurde aber ihrer Rede durch den Eintritt des Vaters enthoben. Zugleich mit ihm erschienen Forster und Summerland. Ersterer hatte Letzterem kein Wort über Wilson mitgetheilt; das Verhalten des Gefährten sollte ihm sagen, ob sein Verdacht auch nicht dem kleinsten Irrthume unterworfen sei.

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Der Trapper eilte auf das Mädchen zu und ergriff mit einfacher Herzlichkeit ihre Hand.

„Da habt Ihr mich wieder, Miß, und bin ich Euch nicht willkommen, so dürft ihr Ihr mich fortjagen, ohne daß ich Euch bös darüber bin!“

„Bleibt nur da, mein lieber Master Summerland; ich sehe Euch herzlich gern!“

Sie reichte auch Forster ihr Händchen entgegen.

„Ein deutsches Willkommen, ohne Kompliment und Phrase, Sir!“

Er wollte sich auf die zarten Finger niederbeugen, fuhr aber auf halbem Wege wieder empor. Neben ihm war ein Wort erklungen, welches für diese Umgebung verpönt sein sollte.

Zounds, Donnerwetter, wer ist denn das?“ Tim Summerland hatte sich von Marga hinweg zu Wilson gewandt und bei dessen Anblick diese Worte ausgestoßen. „Master Forster, seid doch so gut und seht einmal dieser Physiognomie in das Auge! Kennt Ihr ihn?“

„Wer ist es, Tim?“

„Ich will mich auf der Stelle zerhacken und einpökeln lassen, wenn das nicht der Pfahlmann ist, der uns überfiel und dem Ihr später den Tomahawk über den Schädel zogt! Was hat der Mensch bei Euch zu schaffen, Master Olbers?“

Der Bankier kam nicht zur Antwort, Wilson kam ihm zuvor.

„Ist dieser Mann wahnsinnig?“ donnerte er. „Noch ein einzig solches Wort, und ich sorge dafür, daß er die Zwangsjacke erhält? erhält!

„Oder Du die Handschellen!“ erwiderte der Trapper

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in demselben Tone. „Hätte ich Dich, Du Bube, an einem anderen Orte gefunden, so wärst Du in fünf Minuten in den Händen des Sheriffs.“

„Genire Dich nicht! Trotzdem Dich Master Olbers geladen hat, soll Dir der Sheriff begreiflich gemacht werden. Da, nimm hin!“

Marga stieß einen Angstruf aus, und der Bankier retirirte in die Ecke des Salons. Wilson hatte die Faust erhoben; er trug bereits die Reisewaffen bei sich; ein Bowiemesser blitzte in seiner Rechten, während die Linke in die Brusttasche fuhr, um den Revolver hervorzunehmen. Aber schon stand Forster hinter ihm, faßte ihn bei den Hüften und schmetterte ihn mit solcher Gewalt an die Flügelthür, daß diese anfsprang aufsprang und er in den Korridor stürzte. Ehe noch Jemand bei ihm sein konnte, hatte Wilson sich wieder emporgerafft und sprang die Treppen hinab.

Niemand machte Miene, ihn zu verfolgen. Marga lag auf dem Sopha, und Forster kniete bei ihr. Der Bankier zitterte am ganzen Körper und hielt sich an der Lehne eines Stuhles fest. Tim Summerland war nach dem Tische gesprungen, auf welchem die Wasserflasche stand; die Besorgniß um die liebenswürdige Miß war bei ihm größer als der Wunsch, seinen Feind in die Hände zu bekommen; er wußte ja sicher, daß dieser ihm nicht entgehen werde. Hat der Westmann einmal die Spur seines Gegners gefunden, oder diesen gar, wie hier, gesehen, so ist er niemals um den Erfolg bange.

„Master Summerland, was habt Ihr gethan!“ klagte Olbers. „So ein Verdacht war wirklich nichts als Wahnsinn!“

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Er erhielt keine Antwort; die beiden Männer waren zu sehr um Marga beschäftigt, als daß sie seine Worte hätten beachten mögen. Diese schlug die Augen auf. Was hatte das sonst mit keinerlei Schwäche behaftete Mädchen ohnmächtig gemacht? Ganz ohne Wollen gab sie in ihren ersten Worten Antwort auf diese Frage. Ihr erster Blick fiel auf Forster.

„Ihr lebt; er hat Euch verwundet?“ lispelte sie.

Es durchrieselte ihn bei diesen Worten mit süßem Schauer. War sie nur aus Besorgniß um ihn so schwach gewesen? Er konnte nicht anders, er mußte ihre beiden Hände nehmen und seine Stirn auf einen Augenblick darüber neigen.

„Wir sind alle unverletzt, Miß, und in Besorgniß nur um Euch!“

„O, nun ist Alles gut! Ich sah das Messer blinken und hatte fürchterliche Angst.“

„Die Dir wohl nur ohne Grund bereitet wurde,“ fiel ihr Vater ein.

„Ohne Grund, Sir?“ rief Summerland beleidigt. „Glaubt Ihr etwa, ich wüßte eine Mirage, eine Savannenspiegelung, nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden? Ich weiß nicht, wie der Kerl sich bei Euch nennt und eingeschlichen hat, aber daß er nicht nur ein Pfahlmann, sondern sogar ihr Hauptmann war, von dem ich Euch gestern erzählte, das ist so sicher wie meine Mütze. Fragt da den Dichter. Der muß ihn gerade so wie ich erkannt haben, und vielleicht traut Ihr ihm mehr als mir!“

Olbers blickte den Genannten fragend an.

„Tim hat die Wahrheit gesagt, Sir,“ bestätigte dieser.

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„Ich habe ihn gleich gestern erkannt, als ich Euch begegnete. Ihr werdet Euch meiner Antwort erinnern, die von Nuggets und der Todessteppe sprach, und Miß Marga wird mir bezeugen, daß ich sie einer besseren Gesellschaft werth hielt.“

„Beweise, gebt mir Beweise, Gentlemen!“

„Ich glaubte, Sir, der beste Beweis würde in unserm Zeugnisse bestehen; ich bin nicht gewohnt, die Unwahrheit zu behaupten. Doch ich bin auch zu Mehrerem bereit!“

„Verzeiht, wenn ich Euch unwissentlich beleidigte! Ich habe Gründe, Wilson mein volles Vertrauen zu schenken, und Eure Anklage ist so schrecklich, daß ich sie nicht zu fassen vermag. Was wißt Ihr Weiteres?“

„Ihr habt heut mit ihm ein Geschäft abgeschlossen, welches die Erwerbung texanischer Empressarias Empressarios betrifft?“

„Woher wißt Ihr das?“

„Und ihm die Erlaubniß ertheilt, sich der Zuneigung von Miß Marga zu versichern?“

„Seid Ihr allwissend?“

„Wenigstens so weit, daß ich der Person dieses Mannes vollständig sicher bin. Er wirbt um Eure Tochter und unterhält zugleich ein zärtliches Verhältniß mit Sarah, dem Dienstmädchen meiner Wirthin. Nun sagt, ob er Eures Vertrauens werth ist!“

„Könnte es möglich sein!“

„Ich selbst habe sie gestern Abend mit meinen guten Augen gesehen, und gleich heut Morgen bat sie mich um Verschwiegenheit. Ist Euch mein Wort genug?“

„Allerdings. Mein Gott, wenn Ihr Euch nicht irren solltet, so droht mir ein ganz ansehnlicher Verlust! Ich

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habe heut mit ihm kontrahirt und ihm fünfzigtausend Dollars überwiesen.“

„Vielleicht kommt unsre Warnung nicht zu spät. Wißt Ihr genau, daß die Empfehlung von Harris und Thomson, Jefferson City, echt gewesen ist! ist?

„Auch davon seid Ihr unterrichtet? Sie ist echt. Ich habe sie genau geprüft.“

„Aber keine besondere Anfrage gehalten? Ein Mann wie er schreckt vor keiner Fälschung zurück. Wir müssen ihn festnehmen lassen!“

„Seid Ihr wirklich Eurer Sache so gewiß?“

„Ja. Und um Euch Gelegenheit zur Sicherung zu geben, bin ich trotzdem bereit, einige Stunden zu warten. Schickt nach dem Telegraphen; die Antwort wird in Kurzem hier sein und Euch Ueberzeugung bringen.“

„Ihr habt Recht, Sir! Aber ich werde nicht schicken, sondern selbst gehen und die Antwort gleich erwarten. Bei einer so bedeutenden Summe muß ich mich doch zur Vorsicht entschließen.“

„So werde ich gehen und seine Wohnung bewachen; er wird zur Flucht entschlossen sein und darf uns nicht entgehen.“

„Stopp, Master Forster,“ fiel hier Summerland ein; „dazu bin ich ebenso der richtige Mann wie Ihr. Bleibt nur hier! Oder wollt Ihr die liebe Miß verlassen, da auch der Vater geht?“

„Ja, bleibt!“ bat Olbers. „Marga darf in solchen Verhältnissen nicht ohne Schutz sein!“

Sie gingen. Der Bankier nach dem Telegraphenbureau und Summerland nach der Wohnung Wilsons, die er sich von dem Ersteren bezeichnen ließ.

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Der Gesuchte war, als er das Haus verließ, eine Strecke die Straße hinabgeeilt, dann aber dieselbe hinübergegangen und an der anderen Seite zurückgekehrt. Es war noch zu früh, als daß er Sarah in ihrem Raume hätte antreffen können, dennoch aber stieg er hinauf und wartete, bis sie kam. Er war ihr bei der Verwandlung in einen Knaben und beim Einpacken derjenigen Gegenstände, welche sie mitnehmen wollte, behülflich.

„Ist Mutter Smolly noch wach?“ fragte er.

„Nein.“

„Und die Hausthür?“

„Ist offen. Außerdem hab ich den Schlüssel hier.

„Auch den für Forsters Zimmer?“

„Ja.“

Er nahm beide und gebot ihr dann:

„Geh jetzt, Sarah; man darf uns nicht beisammen sehen. Oberhalb des Fährhauses in den Weiden erwartest Du mich!“

„Ich folge Dir; aber bitte, komme bald!“

Sie hatten eine Lampe brennen. Sarah sah in ihrem Anzuge wirklich allerliebst aus. Er nahm sie in die Arme und küßte sie wiederholt auf die Lippen.

„Ich komme bald; nun aber geh!“

Als sie fort war, blies er das Licht aus, schloß den Raum ab und schlich sich zur ersten Etage nieder. Dort öffnete er Forsters Entrée, schloß von innen wieder zu und begann, die Zimmer zu untersuchen. Es war dies ohne Lampe recht gut möglich, da das Licht der Gaslaternen durch die Fenster fiel und auch die Kandelaber in Olbers Salon ihren Schein herüberwarfen.

Seine Nachforschung war gleich im Anfang vom

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Glück begünstigt. Er begann mit der Bibliothek, sah den Schreibtisch, an dessen Schubladen die Schlüssel steckten, und öffnete. Eine geschlossene Brieftasche lag auf einigen Geldrollen in einem der Fächer. Er öffnete sie und trat näher an das Fenster.

„Gefunden! Hier der Depositenschein nebst einigen unvermutheten Wechseln und dort das Baargeld, welches er von Olbers bekam. Ich habe genug und nur mit ihm noch abzurechnen!“

Er verschloß alles wieder und trat dann hinter die Gardinen, um das vis-à-vis zu beobachten. Im Salon waren die Lichter erloschen; an ihrer Stelle brannte in dem Balkonzimmer der untern Etage eine Lampe. Die Personen, welche sich hier befanden, mußten hinter dem Lichte sitzen, da er keine Spur eines Schattens bemerkte.

„Ob er noch drüben ist?“

Seine Frage sollte sofort beantwortet werden. In der Helle des Lichtes erschien Marga und hinter ihr Forster. Sie traten heraus auf den Balkon und stützten sich hart neben einander auf das Geländer desselben. Sie schienen nach Jemanden auszuschauen.

„Teufel, wie vertraut sie sind, so allein, so nahe! Da, bei Gott, er legt den Arm an ihre Taille, leise zwar und verzagt, aber doch. Und sie leidet es! Ist’s so gemeint? Komm heim, Bube. Hast Du zu viel Feuer in den Adern, so soll Dir geholfen werden. Ich werde Dich ein wenig schröpfen! — Wer ist der dicke Mensch, der dort gelaufen kommt? Wahrhaftig Olbers! Wo ist er gewesen? Auf der Polizei? Und wo steckt dieser armselige Tim Summerland, der sich nicht sehen läßt? Jetzt treten sie zurück!“

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In dem Balkonzimmer mußte jetzt ein lebhaftes Gespräch stattfinden; die Schatten zeigten eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit. Dann verließen Olbers und Forster das Haus; der eine schritt dem Innern der Stadt zu, der andere ging in der Richtung fort, in welcher Wilsons Wohnung lag.

„Was haben sie vor? Jedenfalls meine Verfolgung. Sie sollen sich verrechnen!“

Es verging eine beträchtliche Zeit, ehe sich einer der Genannten wieder sehen ließ. Da kam ein Fiaker, hielt vor dem Hause drüben an und lenkte dann herüber. Forster war ausgestiegen. Er verschwand in dem Bankierhause, verließ dasselbe aber bald wieder und schritt über die Straße herüber.

„Er kommt. Nun ist es Zeit!“

Er bog sich nieder und kroch unter den Schreibtisch. Draußen wurde die Thür aufgeschlossen; Forster trat ein und setzte die Lampe in Brand. Er zog die Wäsche hervor, öffnete den Kleidersekretair und ging ans Einpacken.

Die Abwesenheit Olbers und Summerlands hatte ihm selige Augenblicke ermöglicht. Marga war vom Divan aufgestanden und auf ihn zugetreten, um ihn zu fragen:

„Ist wirklich keine Täuschung möglich, Sir?“

„Nein. Er selbst hat ja durch sein Verhalten den Beweis geliefert, daß wir uns nicht irrten. Wer in einer solchen Lage keine andere Vertheidigung kennt, als durch Messer und Revolver, muß sich seiner Schuld bewußt sein. Und durch seine Flucht hat er den Beweis vollständig besiegelt.“

„Welch ein Mensch! Und in so gefährlicher Nähe haben wir uns so lange befunden, ohne alle Ahnung des

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Schlimmen, was uns drohte! Dieses Messer, es war fürchterlich!“

Die Erinnerung an die blitzende Klinge hatte beinahe dieselbe Wirkung wie der furchtbare Augenblick selbst. Sie wankte, suchte mit der Hand eine Stütze und fand dieselbe nicht. Er trat näher und hielt sie mit seinem Arme aufrecht. Sie sank mit ihrem Köpfchen an seine Schulter und schloß die Augen. Er legte den Arm fester um sie und bog sich zu ihrem erbleichten Gesicht herab. Alle Pulse, alle Fasern klopften und bebten in ihm.

„Miß Marga!“

Es war ein wunderbar seliger Ton, in welchem diese beiden Worte erklangen. Ihre volle, weiche Gestalt zuckte leise zusammen; ihre Lider öffneten sich, und mit unbeschreiblichem Ausdrucke traf ihr Blick seine nahen, vor Glück strahlenden Augen.

„So möchte ich Euch halten und stützen jetzt und immerdar, so lange ein Gedanke mich bewegt und ein Hauch des Lebens in mir wohnt!“

Er wagte es nicht, die Hohe, Reine inniger zu umschlingen; eine solche Bewegung dünkte ihm der unverzeihlichste Verrath an dem Vertrauen, mit welchem sie sich an ihn lehnte. Sie hatte die Augen wieder geschlossen; die Blässe ihres Gesichtes wich; es röthete sich vom zartesten Ton bis zum tiefsten Purpur. Die Schwäche war verschwunden; sie bedurfte der Stütze nicht mehr, und dennoch verweilte sie regungslos in ihrer jetzigen Stellung, und ein wonniges Lächeln kämpfte mit dem Zuge holder Scham, der von den zarten Schläfen niederstieg. Da ergriff er ihre beiden Hände und geleitete sie zu dem Divan zurück. Dort ließ er sie sanft in das sammtene Polster

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gleiten und nahm an ihrer Seite Platz. Noch immer lag ihr Kopf an seiner Schulter; er strich ihr mit der Hand liebkosend über die glänzende, weiche Lockenfülle und ward nicht müde, ihre königliche Gestalt und ihre bezaubernden Züge mit einem Auge zu umfassen.

So saßen sie lange, lange an einander. Keines sprach ein Wort; es hätte wie eine Entweihung heiliger Herzenssabbathstille geklungen; aber Beide wußten, daß ihre Seelen sich zu eigen seien von nun an und für alle Zeit.

Da endlich rang sich ihr Blick in süßer Verwirrung unter den langsam sich hebenden Wimpern hervor, und zaghaft leise erklang es:

„Papa muß bald kommen!“

„Verzeihung, Marga! Die Wonne mißt nie den Augenblick; ich hatte ihn vergessen.“

„Könntet Ihr doch auch das Gestern so vergessen!“

„Nie, niemals werde ich dies vermögen, denn gestern ging der Stern mir auf, deß Strahl den Reichthum einer heiß ersehnten Welt erschließt. Darf er mir auch ferner leuchten?“

„Dem Dichter glänzen Sterne, die kein Anderer kennt; ein Strahl des irdischen Himmels darf sich nicht zu ihm verirren!“

„Und doch würde er eine solche Verirrung mit tausend Leben bezahlen, wenn sie ihm zur Verfügung ständen. Marga, sei mein Strahl, mein Licht, mein Stern; ich will nur Dich, nur Dich und entsage allen Sonnen, die neben Dir und um Dich kreisen!“

Sie schnellte empor, als wolle sie ihm entfliehen.

„Marga verzeiht! Ich werde gehen!“

Auch er erhob sich. Schon war sie fern von ihm;

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sein Wort zog sie zurück. Sie wandte sich, eilte auf ihn zu und ergriff seine Hände.

„Ich bin für Euch zu arm, zu klein und gering; ich darf die Strophen lesen, die Ihr schreibt, und mich von ihrem Geist erheben, von ihrer Schönheit bezaubern lassen; doch das Recht an Eurer Schöpfung, an Eurem Ruhm, welches die Liebe giebt, ist mir versagt!

Sie fühlte seine Hände erkalten.

„So fahre er hin, dieser Ruhm! Ich werfe ihn von mir und entsage Allem außer der Erinnerung an den schönen Traum, aus dem ich jetzt erwache. Fare well, Hoffnung, Glück und Stern; der Dichter stirbt; der Jäger aber verschwindet im Westen wie das Licht, dem die finstere Nacht zu folgen hat!“

Er zog seine Hände aus den Ihrigen und schritt der Thüre zu. Sie stand unbeweglich, bis er durch dieselbe verschwunden war. Da aber kam doppeltes Leben über sie.

„Richard!“

Er konnte den Angstruf unmöglich hören. Sie eilte ihm nach und erreichte ihn an der untern Treppe.

„Nicht so, nicht so!“ stieß sie hervor. Ihre Hand, welche die Korridorlampe ergriff, bebte, daß der Cylinder erklang. „Ihr dürft den Posten, auf welchen Papa Euch stellte, nicht verlassen, bis er zurückkehrt. Kommt, laßt uns ihn erwarten!“

Er sah ihre Aufregung, ihre Bangigkeit und konnte nicht anders, er mußte ihr folgen. Sie trat in das Balkonzimmer, nachdem sie den Befehl ertheilt hatte, die Flammen des Salons zu verlöschen.

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„Warum wolltet Ihr gehen, Sir! Ich hatte Euch noch so viel zu bitten.“

„Sprecht, Miß!“

„Ihr dürft nicht dem Leben entsagen; Ihr sollt den Ruhm festhalten und vergrößern. vergrößern, den Ihr Euch erworben habt!“

„Der Ruhm ist kalt; kein Lorbeer wärmt, wenn das Herz erstarren will. Soll es leben, so braucht es Liebe, nichts als Liebe!“

Sie faltete die Hände über die Brust und blickte zu Boden.

„Liebe! Ich habe sie nie gekannt, denn Kindesliebe ist nicht die, welche Ihr meint. Das Frauenherz ist weich und kennt kein anderes Gefühl; aber kann sie auch das Herz des Mannes in so kurzer Zeit sich unterthänig machen?“

„Gott ist die Liebe, Miß, und Beide sind allmächtig! Sie kommt, sie ist da und gebietet im Augenblicke über die verborgensten Gedanken und die offensten Thaten des Menschen. Wer sie aus dem Herzen reißt, vernichtet dieses und mit ihm sich selbst.“

Sie legte ihre Hände flehend auf seinen Arm.

„O, thut das nicht; ich müßte mir ewig zürnen!“

Noch ehe er zu antworten vermochte, hatte sie das Zimmer verlassen und war auf den Balkon getreten. Er folgte ihr und nahm neben ihr Platz, ohne zu ahnen, daß der entflohene Pfahlmann in seinem eigenen Zimmer stehe und ihn beobachte.

„Nur zürnen, Miß? Wäre der Zorn das Einzige, was Ihr fühlen würdet?“

„Nein, noch viel, viel mehr!“ hauchte sie.

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„Was noch? O bitte, sagt es mir!“

Sie fühlte, über das Geländer gebeugt, die Berührung seines Armes und machte keine Bewegung, sich demselben zu entziehen.

„So Schreckliches, daß ich keinen Namen dafür finde.“

„Marga, darf ich lieben und hoffen?“

„Dort kommt Papa!“ Sie trat in das Zimmer zurück. Ihr Auge leuchtete, und ihre Wangen glühten. „Bin ich denn dieser Liebe, dieser Hoffnung werth?“

„Marga, mein Leben, meine Seligkeit! Wäre ich der Größte unter den Großen der Erde, ich würde dennoch in Demuth um das kleinste Wörtchen bitten, wie ich es hören möchte!“

Der Bankier trat ein. Er war so aufgeregt, daß er die ungewöhnliche Haltung der Beiden gar nicht beachtete.

„Ihr habt Recht gehabt, Sir!“ keuchte er mit fliegendem Athem. „Die Empfehlung war gefälscht. Wir müssen den Schurken haben!“

„Wir werden ihn bekommen, selbst wenn es ihm gelungen wäre, für jetzt zu entwischen. Ist er aber nach seiner Wohnung gegangen, was er sicher gethan hat, wenn er nicht vorher auf das Geschehene vorbereitet war, so wird Tim Summerland ihn sicher nicht aus dem Auge lassen. Ihr waret doch jedenfalls schon beim Prokurator oder auf der Polizei?“

„Nein, noch nicht! Ich habe in meinem Grimm und der Eile gar nicht daran gedacht!

„So müßt Ihr das Versäumte sofort nachholen. Ich gehe unterdessen zu Tim, um Euch dort zu erwarten.

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Wir haben es mit einen einem ebenso raffinirten wie verwegenen Manne zu thun und dürfen keine Zeit verlieren!“

Sie gingen, und Marga blieb allein zurück. Sie nahm auf dem Sopha Platz und öffnete ihr Album. Hier war das Gedicht verborgen, welches sie aus der Zeitung geschnitten hatte. Sie las es wieder und immer wieder.

„Ich undankbare Thörin! Solch ein Glück, solch eine Seligkeit sich beinahe zu verscherzen! Ja, er hat Recht, die Liebe kommt, sie ist da und gebietet; so war’s bei mir, so war’s bei ihm, und jedes Zagen ist Sünde. O Mutter, könntest Du doch leben und sehen, wie froh, wie unendlich froh das Herz Deines Kindes ist!“

Sie bog sich in die weiche Lehne zurück, schloß die Augen und träumte süße, holde Bilder, die ihrem selig ahnenden Herzen entstiegen. So lag sie lange, lange. Da erklangen draußen Schritte; es klopfte, und ehe sie sich noch erhoben hatte, stand der Geliebte vor ihr. Er sah den Zeitungsausschnitt in dem geöffneten Album liegen und wußte nun, daß sie sich nur mit ihm beschäftigt habe.

„Ich komme als Bote. Wilson ist seither nicht in seiner Wohnung gewesen. Die Policemen suchen ihn an den Orten, wo er zu verkehren pflegte, und da er ihnen persönlich unbekannt war, muß sich Papa an der Nachforschung betheiligen. Er läßt bitten, nicht in Sorge um ihn zu sein. Auch ich werde mit Summerland nach ihm suchen, vermuthe jedoch, daß er Stenton bereits verlassen hat. In diesem Falle weiß ich genau, wohin er sich wendet, und werde ihm noch in der Nacht folgen. Darf ich dann um die Freundlichkeit bitten, mich bei Mutter

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Smolly zu entschuldigen, von der ich doch unmöglich Abschied nehmen kann.

„Ihr wollt fort, ihm nach, wollt Euch in die Gefahr begeben, von ihm — nein, nein, das darf ich nicht gestatten, das kann ich unmöglich zugeben! Bleibt, Sir, bleibt, und überlaßt die Verfolgung des Bösewichts der Polizei!“

Er lächelte glücklich und überlegen dabei.

„Gegenüber einem offenen Feinde, und das ist er mir nun, kenne ich keine Gefahr. Auch ist meine Abreise ja noch nicht sicher bestimmt; es ist ja möglich, daß er die Stadt noch nicht verlassen hat; dann fällt er gewiß in unsere Hände, und ich bleibe hier.“

„So versprecht mir, auf alle Fälle noch einmal hier vorzusprechen! Ich bleibe wach, bis Papa kommt und ich genaue Nachricht habe.“

„So werde ich wiederkehren. Bis dahin aber — gute Nacht!“

Er reichte ihr die Hand. Sie sah seinen bittend-fragenden Blick und fühlte seinen leisen Versuch, sie an sich zu ziehen. Sie schlang aus eigenem Antriebe die Arme um ihn.

„Richard, erhalte Dich mir. Schone Dich, wenn Du ihn triffst!“

Ihre Lippen trafen die seinen in einem leisen, schnellen Kusse, dann entschlüpfte sie ihm in das Nebengemach.

Dort vertauschte sie das Salonkleid mit einem bequemen Negligé und hatte eben diese Beschäftigung beendet, als sie bemerkte, daß er in seine Wohnung gegangen sein müsse, da die Fenster derselben erleuchtet

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waren. Jedenfalls verließ er diese bald wieder; sie wollte ihn sehen und begab sich auf den Balkon.

Nach einiger Zeit öffnete sich auch drüben die Thür zum Altane, und er trat heraus, um nach Summerland zu blicken, der ihn abholen sollte. Er winkte grüßend mit der Hand herüber, und sie erhob die ihrige zur Antwort, stockte aber mitten in der Bewegung. Ein Schatten glitt an den zwei Fenstern des Studirzimmers vorüber und im nächsten Augenblick sah sie im Innern des nach dem Balkon offenen Raumes das Gesicht Wilsons erscheinen.

Ein jäher Schreck durchzuckte sie, aber im Moment hatte sie sich wieder gefaßt, erhob den Arm und rief:

„Wilson hinter Dir!“

Er wandte sich um, keinen Augenblick zu früh, denn schon stand der Genannte hinter ihm und hatte das Messer zum Stoße gezückt.

„Hilfe, Hilfe!“ schrie Marga in wahrer Todesangst. Sie sah nur noch, daß die beiden Männer auf dem Altane mit einander rangen, dann sprang sie in das Zimmer zurück, die Treppe hinab, über die Straße hinüber und flog dort athemlos zu seiner Wohnung empor. Sie trat gerade in dem Momente ein, als Forster den Balkon verließ.

„Richard, wo ist er? Ich tödte ihn!“

Beim ersten Angriffe Wilsons war sie in Ohnmacht gefallen, hier aber zeigte sie sich über alles Erwarten muthig und geistesgegenwärtig. Der eine Kuß hatte sie verpflichtet, für den Geliebten Alles, selbst das Leben zu wagen.

„Fort. Ein Sprung vom Altane hat ihn gerettet,

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während ich ihn loslassen mußte, um das Messer zu entfernen.“

„Du blutest! Er hat Dich verwundet! Um Gott, zeige schnell her!“

„Es ist nichts, Marga, zwei kleine Fleischwunden. Laß mich, ich muß ihm nach!“

„Nicht um die ganze Welt!“

Er wollte ihr enteilen; obgleich ihn ihr Hiersein mit namenlosem Entzücken erfüllte; sie aber hing sich so fest an ihn, daß er Gewalt hätte brauchen müssen, um loszukommen.

„Bitte, Marga, er wird mir entgehen!“

„Laß ihn, laß ihn! Ich müßte vor Sorge sterben, wenn ich Dich so von mir ließe. Komm, entferne den Rock; laß mich die Wunden sehen!“

Er sah, daß hier jeder Widerstand vergeblich sei, und folgte ihrem Gebote. Wilson hatte ihm einen Schnitt in die Linke und einen Stich in den Arm versetzt. Beide waren nicht gefährlich, verursachten aber eine heftige Blutung. Er blickte ihr lächelnd zu, als sie diese zu stillen versuchte und dann einen kunstgerechten Verband anlegte.

„So“, meinte sie, als sie fertig war, „jetzt ist keine Besorgniß mehr nöthig, Du böser, lieber Mann. Aber ohne Deine Marga wärst Du ihm nachgesprungen und hättest Dich unterwegs vielleicht gar verblutet.“

„Nein, ohne meine Marga wäre ich schon früher ein Kind des Todes gewesen, denn ohne Deinen Warnungsruf hätte mich sein Messer hinterrücks getroffen. Wie soll ich Dir danken, Du herrliches, entzückendes Wesen!“

Er zog sie mit herzlicher Innigkeit an sich.

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„Damit, daß Du mich immer, immer so lieb behältst wie jetzt!“ flüsterte sie, sich zärtlich an ihn schmiegend.

Sie war so reizend in dem duftigen Gewande, daß er für Augenblicke den Flüchtling vergaß und nur Liebe und Seligkeit von ihren Lippen trank. Doch nicht lange, sa so ertönten draußen Schritte und Summerland trat ein. Er machte nicht wenig erstaunte Augen, als er das Mädchen erblickte, und es wurde ihm in kurzen Worten Alles mitgetheilt.

„Er ist hier gewesen? Damn! Hat er Euch bestohlen, Sir?“

„Weiß nicht, Tim, habe auch keine Zeit mehr, darnach zu forschen; hat er es gethan, so werde ich es schon merken. Jetzt aber müssen wir hinter ihm her.“

„Natürlich. Aber nehmet einen Revolver mit oder so etwas Aehnliches; der Kerl darf nicht mit Seide angefaßt werden!“

Sie verließen die Wohnung. Forster begleitete Marga bis in die ihrige und schloß sich dann dem auf ihn wartenden Gefährten an.

„Wohin jetzt?“ frug dieser.

„Nirgends hin als wieder in mein Haus. Ich werde nach dem Dienstmädchen sehen, das mir soeben eingefallen ist. Ohne Sarah hat er nicht zu mir gekonnt; sie muß uns Aufschluß geben und das Weitere wird sich dann schon finden!“

All reihgt right, Sir! Dieser Gedanke ist nicht schlecht; Master Wilson mag einstweilen laufen, meinetwegen bis Babylon, wo die Weiden standen, welche die sieben fetten

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Kühe des Königs Pharao wegfraßen, wir holen ihn doch noch ein und helfen ihn ihm zu einem guten Stricke; das ist so sicher wie meine Mütze!“

IV.

Ein steifer Nordost wehte und schwellte die Segel der Vereinigten-Staaten-Brigg „Union“, daß sie vor dem Winde über die Wogen dahinflog, graziös zur Seite geneigt und sich den scharfen Bug mit großflockigem Gischte beschäumend.

Sie war nach Vera Cruz bestimmt, um Farbehölzer nach Galveston zu bringen, und hatte nur zwei Passagiere an Bord, die eben jetzt an der Reiling standen und einer Tintorera zuschauten, welche seit Kurzem dem Schiffe folgte. Diese gefräßigste und gefährlichste aller Haifischarten liebt die Nähe der Küste und war somit ein sicherer Beweis, daß das Ziel der Reise nicht mehr fern sei.

Der Eine der Passagiere war in ein hequemes bequemes Grau gekleidet und trug den in diesen Breiten gebräuchlichen Panamahut; der Andere stack in einem ausgefransten Habit von Büffelhaut und trug auf dem Kopfe eine Mütze, die während der ganzen Fahrt die muntere Aufmerksamkeit der Matrosen erregt hatte. Beide waren im Passagierbuche als Mr. Richard Forster und Mr. Tim Summerland eingetragen und schienen außerordentliche Eile zu haben, nach Vera Cruz zu kommen.

„Seht nur das Ungethüm, Sir, was für einen

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Rachen und welch große Augen es hat. Wer zwischen solche Zähne kommt, der ist nicht so glücklich wie der Prophet Elias, der drei Monate und sechs Tage im Bauch eines Walfisches zubrachte, bis ihn dieser auf den Libanon speite! Und Ihr meint wirklich, daß es Leute giebt, die nur mit dem Messer in der Faust in das verteufelte Wasser springen, um sich mit dem Ungethüm herumzubalgen? Ich danke für eine solche Passion. Ich will doch lieber zwischen eine Heerde angeschossener Büffell Büffel gerathen, als mich von einem solchen Viehzeug verschlingen lassen und dann extra ersaufen! Das Wasser ist ganz gut, das haben wir ja in dem Llano estacado gesehen, aber in solchem Haufen beisammen wie hier ist es eine gefährliche Erfindung, und ich will froh sein, wenn ich einige Quadratschuh festen Boden unter mir habe!“

„Das wird noch vor Abend der Fall sein, Tim, wie mir der Kapitän sagte. Und wenn es mit der Postverbindung klappt, so sind wir morgen schon in Mexiko.“

„Das soll mich freuen! Aber ungeheuer ärgerlich würde es sein, wenn wir uns auf falscher Fährte befänden und umsonst über die mechante Pfütze herübergeschwommen wären.“

„Man darf diese Möglichkeit nicht außer Rechnung bringen, doch glaube ich, richtig zu vermuthen, wenn ich meine, daß wir diesen reichen Plantagenbesitzer aus Texas bei seinem Bruder, dem ehrenwerthen Alkalden Don Antonio Molez, finden werden.“

„Wenn es so ist, Sir, so jage ich ihm gleich im ersten Augenblicke mein Messer in den Leib für den Diebstahl, den er an Euch verübt hat.“

„Ich glaube sehr, daß wir Beide, Olbers und ich,

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wieder zu dem Unsrigen kommen. Sarah sagte, daß sie eine ganze Menge Goldstaub und Nuggets bei ihm gesehen habe, und dieser Werth wird mehr als hinlänglich gewesen sein, die Kosten seiner Reise zu decken. Die Papiere des Bankiers hat er natürlich gegen andere vertauscht.“

Jetzt trat der Kapitän hinzu. Forster hatte zu seiner Freude einen Studiengenossen in ihm gefunden und ihm daher die Veranlassung zu seiner Reise und ihren Zweck mitgetheilt.

„Wie lang fahren wir noch, Williams?“

„In zwei Stunden sind wir im Hafen. Hier hast du das Rohr. Gestern schnitten wir den Wendekreis und doublirten dann die Höhe von Tampico. Der Streifen vor uns ist die Küste vom wahren Kreuze.“

Wirklich erkannte Forster einen dunklen Streifen, welcher den Horizont abschloß.

„Kennst Du den Fahrplan der Post?“

„Nein. Jedenfalls wirst Du nicht lange zu warten brauchen. Du glaubst also wirklich, den Kerl in Morelia zu finden?“

„Wahrscheinlich. Behaupten aber kann ich es nicht.“

„Ich möchte annehmen, daß er in Texas ist. Er muß dort bekannt sein, sonst hätte er nicht so viel von dem Lande gesprochen, welches eine solche Ausdehnung besitzt, daß er trotz der Sorge um eine etwaige Verfolgung seine Spekulation dort ins Werk zu setzen vermag. Denke nur daran, daß es kein Vereinigten-Staaten-Territorium, sondern eine mexikanische Provinz ist und seine Auslieferung langwierige Unterhandlungen voraussetzen würde, während welcher ihm eine Flucht zehnmal gelingen könnte.“

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„Deine Ansicht in Ehren, aber ich kann mich ihr nicht anschließen. Sein ganzes Aeußere deutet auf spanische Abkunft, und Mexiko ist ihm jedenfalls bekannter als Texas; sein Bruder lebt dort, den ich keineswegs für seinen Stiefbruder halte. Master Wilson wird wohl ursprünglich ein Sennor Molez gewesen sein. Zwar glaube ich auch wie Du, daß er auf die Ausführung seiner Spekulation nicht verzichten werde; aber die Grants sind in Texas und nur mit Mühe und durch langwierige Vermittelung, in Mexiko aber aus erster Hand und viel billiger zu haben. Vielleicht steht er in Beziehung zu einer bei der Verwaltung der Staatsländereien betheiligten Persönlichkeit oder hofft, durch den Alkalden in eine solche zu treten. Gelingt ihm sein Vorhaben, so wird er keineswegs nach Texas ziehen, sondern die Grants sofort mit Gewinn zu verkaufen suchen und sich dann für immer unsichtbar machen.“

„Well, Sir, so ist’s richtig“, meinte Summerland; „aber wir werden dafür sorgen, daß er ein wenig mehr als ehrliche Leute sichtbar sein wird, nämlich fünf Ellen hoch am Stricke, wenn ihn mein Messer nicht etwa schon vorher gekitzelt hat!“

„Wie lange bleibt die „Union“ im Hafen liegen?“

„Das ist unbestimmt“, antwortete Kapitän Williams; „je nach der Leichtigkeit, mit welcher es mir gelingt, die Ladung zusammenzubringen. Willst Du wieder mit retour?“

„Ich würde mit Niemandem lieber fahren als mit Dir.“

„So spute Dich, Deinen Mann zu fangen, und bringe ihn gleich mit, damit ich seine interessante Bekanntschaft mache!“

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„Wenn ich dies könnte! Zwar bin ich mit polizeilichen Vollmachten versehen, aber auf diese hin stehen mir leider nur die Behörden der Vereinigten Staaten zu Diensten. In Mexiko gelten sie gleich Null.“

Die Voraussetzung des Kapitäns ging in Erfüllung. Nach nicht viel mehr als zwei Stunden warf die „Union“ zwischen der von Meereswogen umspielten Felsenfeste San-Juan de Ullao [Ulloa] und der alten Stadt Vera Kruz die Anker. Die beiden Passagiere nahmen vom Kapitän Abschied, ließen sich nach der breiten Hafentreppe rudern, stiegen dieselbe empor und schritten über den mit Menschen angefüllten Platz dem Zollgebäude zu.

Nachdem sie dort ihre Obliegenheiten erfüllt hatten, erfuhren sie, daß die Post schon in kurzer Zeit abgehe, und verließen mit derselben die ungesunde baumlose Sandebene der Küste, um sich nach der alten Kaiserstadt Mexiko zu begeben. Schon am Nachmittage des folgenden Tages warfen sie den ersten Blick von den Bergen, welche das Thal und den prächtigen See von Tenochtitlan umschließen, auf die schöne Stadt, rollten zu derselben hinunter und wurden von dem Rosselenker vor einem der ersten Hotels abgeliefert, dessen Wirt sich über die exquisite Kopfbedeckung Summerlands zwar zu verwundern schien, die Herren aber mit großer Höflichkeit empfing.

Sie mußten für heute hier bleiben, um sich von der unbequemen Fahrt auszuruhen und eine Gelegenheit nach Morelia abwarten. Es nahte die Dämmerung, jene Zeit, in welcher die Bevölkerung der Hauptstadt sich auf dem beliebtesten Vergnügungsort Mexikos zu ergehen pflegt. Es war immerhin der möglichste Fall, daß Wilson in Mexiko sein konnte. Er hatte einen Vorsprung von nur

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einem Tage, und dann war anzunehmen, daß er jetzt diesen Ort, die Alameda, auch besuchen werde. Sie beschlossen daher, sich getrennt dahin zu begeben, um nach ihm zu forschen.

Summerland ging zuerst. Forster wußte, daß er der vornehmen und schönen Welt der Stadt begegnen werde, und machte sorgfältige Toilete Toilette. Er hatte von dem Hotel nicht weit bis zu dem Gitterthore dieser öffentlichen, mit Parkanlagen, Springbrunnen und Ruheplätzen versehenen Promenade, und war gleich beim Eintritte überrascht von dem prächtigen Schauspiele, welches sich ihm bot.

Die Großen und Reichen Mexiko’s durchschritten lustwandelnd die sauberen Wege der Alameda, und die reichen, strahlenden Toiletten der Damen zeugten genugsam von dem Luxus, an welchen sich die Nachkommen der spanischen Eroberer gewöhnt hatten. In Seide rauschend, von luftigen Spitzengewändern umwogt, mit der reizenden malerischen Basquina angethan und mit Diamanten und Perlen geschmückt, promenirten die schönen Frauen und Mädchen, theils nach altem Brauche verhüllt, theils auch mit offenem Visir, und dann enthüllten die zurückgeworfenen Mantillen den ganzen Zauber ihres reichsten Schmuckes, ihrer funkensprühenden schwarzen Augen. Elastisch und leicht wiegten sie sich auf ihren wunderbar zierlichen Füßen; geschmeidig war jede Bewegung ihres Körpers, und das Fächerspiel, in welchem diese Damen die höchste Virtuosität besitzen, entfaltete seine größte Beredsamkeit. Wie ein Gewinde von Blumen des sonnendurchglühten Tropenlandes schwebte der Strom dieser reizenden Neuspanierinnen durch den Park, und zwischen ihnen

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hervor prunkten die reichen Uniformen der Militärs und die minder strahlende Tracht der nicht militärischen Stände. Je mehr die Sonne sich zu den westlichen Gebirgen herniedersenkte, je feuriger im Süden die eisigen Spitzen der beiden Vulkane erglühten, desto größer und zahlreicher wurde die Menge, die sich hier spazierend bewegte oder auf den Ruheplätzen niedergelassen hatte. Sie sind reizend und schön, diese Mexikanerinnen, intrigant und untreu in der Ehe, wild und unbändig in ihrer Leidenschaft, sei es in Liebe, sei es in Haß, und wehe dem, welcher ihrer Gluth mit kalter Ruhe begegnet oder sich eines Treubruches schuldig macht; dann scheuen ihre kleinen, weißen Hände nicht vor dem Dolche zurück, und sie wissen ihn so sicher zu führen, daß er sein Ziel fast niemals verfehlt.

Forster wanderte langsam unter ihnen dahin und musterte jeden Begegnenden, denn eine innere Stimme sagte ihm, daß er die Reise nicht umsonst gemacht habe. Er mußte bemerken, welches Aufsehen seine prächtige, in vornehmer Nonchalance dahinschreitende Gestalt hervorrief. Hunderte von Augen blieben an ihm hängen, und ebenso viele Fächer versuchten, ihre Sprache an ihn zu richten. Er mußte an das reine, heilige Wesen denken, welches er in Stenton zurückgelassen hatte, und glitt mit gleichgültigem Blicke über diese Aufmerksamkeit hin.

Eine außerordentlich reich und vornehm gekleidete Dame begegnete ihm am Arme eines viel älteren, jedenfalls den höhern Ständen angehörenden Herrn. Sie war eine Schönheit, wie man sie nur selten zu finden vermag, und warf im Vorüberschreiten einen langen, vielsagenden Blick auf ihn. Eine Minute später kehrte er am Ende

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des Weges wieder um und hatte noch keinen großen Theil der Promenade wieder zurückgelegt, so erblickte er sie wieder. Auch sie hatte sich gewandt. In seiner Nähe hielt sie den Fächer, von ihrem Begleiter unbemerkt, küssend an die Lippen und traf ihn mit der ganzen Gluth ihres großen, wie aus verborgenen Tiefen hervorleuchtenden Auges.

Wie durch Zufall entfiel der Fächer ihrer Hand. Forster hob ihn auf und überreichte ihr ihn. Er war von außerordentlich feiner Arbeit und reich mit kostbaren Steinen geschmückt. Sie nahm ihn und berührte dabei mit ihren kleinen Fingern seine Hand.

„Dank, Sennor! Seid Ihr ein Fremder, da Ihr so allein promenirt?“

Er verbeugte sich zustimmend gegen sie und ihren Begleiter, welcher diese Bewegung mit vornehmer Zurückhaltung erwiderte.

„So ist es, Donna“, antwortete er im reinsten Spanisch.

„Und wie findet Ihr Mexiko?“

„Es ist die Heimath der Feen, das Land der Seligkeit, von welchem die Dichter erzählen, daß keiner zurückkehre und Jeder verloren sei, der seine Grenzen einmal überschreite.“

„So seid Ihr auch verloren?“

„Ich bin gefeit von einer mächtigen Zauberin!“ lächelte er, sich tief verneigend, und trat zurück.

Ein unbeschreiblicher Blick traf ihn, in welchem die Bewunderung mit dem Zorn über den Etikettenfehler rang, den er durch die Abbrechung des durch List herbeigeführten Gespräches begangen hatte. Dann rauschte sie davon.

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Er verließ den Platz nicht eher, als bis dieser sich beinahe entleert hatte und er nun sicher war, daß der Gesuchte nicht hier gewesen sei. Um einige Straßen der Stadt im Lichte des Abends zu betrachten, kehrte er nicht zurück nach dem Hotel, sondern schlug einen Umweg ein, der ihn nach dem Innern des Häusermeeres führte. Schon war er, sich die verschiedene, oft wirklich schöne, oft auch bizarre Architektur der Häuser betrachtend, einige Straßen vorwärts gekommen, als sein Blick ein schmales Gebäude streifte, und an einem der oberen Fenster haften blieb. Es war geöffnet, und ein unverhüllter Frauenkopf blickte aus ihm auf die Straße herab. Er zog sich unter das Thor, an welchem er eben vorüberschreiten wollte, zurück und verwandte kein Auge von dem Gesichte, welches er mit größter Deutlichkeit erkannte.

„Welch ein Zufall! Sarah, die Terzerone! Wo die ist, muß auch Wilson sein!“

Er wartete, bis der Kopf sich zurückgezogen hatte, und trat dann in das Haus. Seinem Aeußeren nach konnte es nur von gewöhnlichen Leuten bewohnt sein, und er brauchte also keine große Rücksicht zu nehmen, sondern trat sofort in das Zimmer, welches das Parterre enthielt. Es war ziemlich ärmlich, aber sauber ausgestattet. Eine alte Frau erhob sich aus dem Sessel, in welchem sie halb schlummernd geruht hatte.

„Verzeiht, Matrina, daß ich Euch störe. Nicht wahr, hier über Euch wohnt Don Carlo Piscaldo, den ich suche?“

Er hatte den ersten, besten Namen gewählt, der ihm eingefallen war.

„Don Carlo Piscaldo, Sennor? Nein, der wohnt nicht hier, hat auch nie bei mir gewohnt. Meine Zimmer

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gehören einem Don Tomasio, der mit seinem Weibchen erst gestern hier angekommen ist und Mexiko auch gleich wieder auf einige Tage verlassen hat.“

„Das stimmt; es muß also nur eine Namensverwechselung vorliegen. Dank, Matrina, ich muß die Donna sprechen!“

Er verließ die Stube, stieg die schmale Treppe empor und klopfte. Ein leiser Ruf erklang und er trat ein.

Sie war’s! Das Auge auf die Thür gerichtet, erkannte sie ihn sofort, wie der Schreck zeigte, welcher ihr Gesicht trotz seines dunklen Teints erbleichen ließ.

„Mylord Forster!“ rief sie, mit den Händen den Tisch erfassend, an welchem sie stand.

„Ich bin es, Sarah! Warum erschrickst Du?“

„Ich — ich — erschrak nicht. Es — es war nur die Freude!“

„Wirklich? So erlaube, daß ich mich setze. Wo ist Master Wilson, der sich hier Tomasio nennt?“

„Nach Morelia zu seinem Bruder.“

„Wann kommt er zurück?“

Ihr ungewisser Blick suchte in seinem Gesichte zu lesen.

„Sarah, die Wahrheit!“ gebot er ernst.

„In vier oder fünf Tagen.“

„Was thut er dort?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wo hat er seine Effekten?“

„Hier.“

„Briefe und sonstige Schreibereien?“

„Auch hier.“

„Zeig einmal her!“

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„Das darf ich nicht, Sir. Er hat sie eingeschlossen, denn auch ich darf sie nicht sehen.“

„Wo sind sie?“

„Hier in der Komode.“

„Schön; so helfe ich mir selbst!“

Er ergriff den Kaminhaken, stemmte ihn in die Fuge des Kastens, und sprengte das Schloß auf. Sie wagte nicht, Widerstand zu leisten, und versuchte auch kein Wort der Einwendung mehr. Tief unter der Wäsche versteckt, fand er eine Brieftasche und ein zusammengebundenes Packet mit allerlei Skripturen. Er öffnete die Erstere; ein triumphirendes Lächeln flog über sein Gesicht; sie enthielt seinen Depositenschein, die gestohlenen Wechsel und Olbers’ sämmtliche Anweisungen im Werthe von fünfzigtausend Dollars. Wilson hatte sich doch nicht sicher gewußt, und die Verwerthung bis später aufgeschoben. Er nahm die Brieftasche zu sich und öffnete dann das Packet.

Es enthielt in Schriftübungen und einer kleinen Monogramm- und Stempelsammlung den sichern Beweis, daß der Besitzer sich sehr eingehend mit Fälschungen beschäftigt habe. Auch einige Briefe waren dabei. Er öffnete die Bogen und überflog ihren Inhalt. Der letzte zeigte ein neues Datum und schien Forsters ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.

Als er ihn gelesen hatte, legte er die übrigen Papiere wieder an ihre Stelle zurück und frug, den Brief in die Tasche schiebend:

„Hat er zu Dir von dem Grafen Hernano gesprochen?“

„Kein Wort.“

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„Du sagtest mir in Stenton, daß er viel Goldstaub und Nuggets besitze?“

„Er hat in New-Orleans Einiges davon verkauft; das Andere befindet sich im untern Kasten.“

Auch dieser wurde aufgesprengt. Er enthielt mehrere schwere Beutel, die einen nicht geringen Werth repräsentirten.

„Alles geraubt. Er soll auch nicht ein Körnchen davon behalten!“

„Geraubt?“ frug sie erschrocken. „Nein, das hat Tom nicht gethan!“

„Er hat es gethan, Sarah: Master Olbers fünfzigtausend Dollars, mir mehrere Tausend und dieses Gold von Goldgräbern, die er ermordet hat.“

„Ermordet? Mein Gott, Sir, ich höre wohl nicht recht!“

„Du hörst sehr recht. Er ist ein Mörder, Räuber und Fälscher und aus Stenton bei Nacht und Nebel entflohen, weil die Polizei ihn suchte. Die Narbe hat er nicht von einem Indianer, sondern von mir. Ich traf ihn in der wilden Prairie mitten unter Mördern und gab ihm den Hieb, von welchem die Narbe stammt.“

„Nein, nein, das ist nicht möglich, Mylord Forster!“

Sie warf sich auf das Sopha und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er beschloß, den sichersten Trumpf auszugeben.

„Nicht blos das, sondern noch viel mehr. Auch Dich hat er betrogen.“

„Mich? Niemals!“

„Er hat, während er zu Dir ging, um die Hand

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von Miß Marga angehalten. Ich selbst habe dabei gestanden; es war am Tage seiner Flucht.“

Sie sprang empor. Ihr Auge blitzte.

„Ist’s wahr, Sir? Könnt Ihr es beschwören?“

„Ja, Sarah! Er hat Dich nur mitgenommen, um Dich später treulos zu verlassen.“

„Der Bube!“

Ihr südliches Naturell begann, sich im Zorn zu offenbaren.

„Er hat keine Plantage, keinen Fuß breit Land in Texas; er lebt nur vom Verbrechen und wird auch Dich ins Verderben führen.“

„Mich, Mylord Forster? Nein, das wird er nicht!“ Sie ballte die kleinen Fäuste. „Ich habe ihn lieb gehabt wie mein Leben; aber ich glaube Euch; er hat Miß Marga gewollt und nun ist meine Liebe hin. Sobald er zurückkehrt, werde — — —“

„Er kehrt nicht zurück zu Dir, Sarah, denn Du wirst sofort mit mir das Haus verlassen.“

„Das darf ich nicht, denn er hat mir streng befohlen, daheim zu bleiben, bis er kommt.“

Er lächelte.

„Du scheinst Deine Lage nicht zu begreifen! Daß Du Mutter Smolly ohne ihre Erlaubniß verlassen hast, will ich nicht verurtheilen; es war Undank, aber kein Verbrechen. Aber, Sarah, Du bist mit einem Raubmörder geflohen und hast ihn in seinem Thun unterstützt, bist also vor dem Gesetz seine Mitschuldige — verstehst Du nun, weshalb Du mit mir gehen mußt? Als meine Gefangene!“

„Gefangene?“ schrie sie. „Ich habe nicht das Geringste verbrochen!“

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„Und mein Geld, das er mir raubte, ehe er Stenton verließ? Ich traf ihn in meinem Zimmer; er wollte mich mit dem Messer tödten, brachte mir aber nur zwei Wunden bei und entkam.“

„Ist das wahr? Er verlangte Euren Schlüssel, weil er von Eurem Zimmer aus etwas in Olbers Haus beobachten wollte.“

„Der Schlüssel war Dir anvertraut und gehörte nicht in seine Hände. Er hat mich beraubt und verwundet.“ Er streifte den Aermel seines Rockes empor. „Sieh hier den Schnitt und den Stich; Du bist Mitschuldige an dem Raube und Mordversuch.“

Sie erbleichte so tief, als es bei der Farbe ihrer Haut möglich war, und stierte ihn wie geistesabwesend an. Erst nach einer langen Pause vermochte sie, Worte zu finden.

„Das ist ja entsetzlich, Sir; das ist ganz fürchterlich! O Gott, hätte ich ihm doch nie geglaubt, hätte ich doch Mutter Smolly nie verlassen? Giebt es keine Rettung für mich, Sir?“

„Vielleicht, wenn Du mir Alles aufrichtig mittheilst!“

„Ich werde es thun, Mylord Forster. Fragt; ich will auf Alles Antwort geben.“

Er stellte ein eingehendes Verhör an und erfuhr, was zu wissen nöthig war. Er fühlte inniges Mitleid mit der Verführten, die keine andere Schuld als ihre Liebe trug.

„Willst Du mir gehorchen, Sarah, so kann noch Alles gut werden!“

„Befehlt nur, Sir! Ihr werdet sehen, daß ich auch das Schwerste thue.“

„So packe ein, was Dir gehört. Du gehst mit mir.“

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Mit zitternder Hast suchte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Er nahm alle Werthsachen Wilsons an sich und verließ heimlich mit ihr das Haus. Die Wirthin durfte nicht in den Stand gesetzt werden, irgend welche Auskunft zu ertheilen. Das Hotel war bald erreicht, und der schon längst zurückgekehrte Summerland erstaunte nicht wenig, als er das Mädchen bemerkte. Forster erzählte ihm Alles, nachdem er für ein Zimmer gesorgt hatte, in welches Sarah sich zurückziehen mußte.

„Alle Wetter, Sir, das ist ja ein ganz vortrefflicher Fang. Und der Brief, was steht in dem?“

„Das will ich Dir erklären. Schon in den ältesten Zeiten der spanischen Herrschaft in Mexiko pflegte die Regierung große Länderstrecken an Privatpersonen zu vergeben, entweder unter der Bedingung, binnen gewisser Jahre eine bestimmte Anzahl Menschen darauf anzusiedeln, oder sie verkaufte sie ihnen für eine sehr geringe Summe, die mit dem Werthe des Landes in gar keinem Verhältnisse stand und gewöhnlich in die Privattasche eines höheren Beamten floß. Hier nennt man solche Stücke Landes Empressarios, bei uns im Norden aber Grants. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß man noch jetzt, wo man die Empressarios aus Geldnoth billig vergiebt, eine Legua von viertausendfünfhundert Acker für den Preis von noch lange nicht tausend Dollars weggiebt und ein einziger Mann oft zehn bis fünfzehn Leguas in dieser Weise von der Regierung billig ersteht. Der Verkauf dieser Grants liegt nun in den Händen des Grafen Don Ventura Hernano, und der brave Alkalde schlägt in diesem Briefe seinem Bruder, zwar nicht in deutlichen Worten, aber doch so, daß man die Andeutungen zu verstehen vermag, einen

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Streich vor, der den Grafen zur willigen Abtretung eines größeren Landstriches führen soll. Er begiebt sich, wie hier steht, wöchentlich einmal auf eines seiner Güter, welches in der Nähe von Morelia liegt; die Gräfin begleitet ihn gewöhnlich, und bei einer solchen Gelegenheit sollen Beide überfallen und gefangen werden. Dabei erscheint Wilson als Retter und befreit den Grafen, während die Gräfin zurückbehalten wird, um ein Lösegeld zu erzielen, welches den Antheil der Helfershelfer bildet.“

„Ein verteufelt sauberer Plan, Sir, den man nur so einem spanischen Schuft zutrauen kann. Warum aber hat Wilson diesen Brief nicht vernichtet?“

„Das frage ich auch. Bei jeder schlimmen That giebt es einen Fehler, der sie an das Licht bringen kann. Wir sind vollständig geborgen, denn wir haben den Raub wieder und noch mehr dazu; ich konnte unter den hiesigen Verhältnissen nicht anders handeln. Eigentlich also könnten wir sofort zurückkehren, aber ich muß diesem Wilson das Handwerk legen und werde morgen mit dem Frühesten zum Grafen gehen, um ihm die Angelegenheit vorzutragen.“

All reight right! Wir begleiten ihn und nehmen die Schufte sammt dem Retter beim Skalp, das ist so sicher wie meine Mütze! Aber das Mädchen?“

„Bleibt hier bis zu unserer Rückkehr. Ich bin überzeugt, daß wir ihr von jetzt an trauen können.“

„So legt Euch schlafen, Sir, damit wir morgen nicht etwa den Spaß versäumen!“

Sie gingen zur Ruhe mit dem glücklichen Bewußtsein, gleich in den ersten Stunden mehr erreicht zu haben, als sie jemals ahnen konnten.

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Am andern Morgen erkundigte sich Forster nach dem Palaste des Grafen. Dort hörte er, daß dieser bereits vor einer Stunde mit der Gräfin abgereist sei. Sofort begab er sich zu einem Pferdehändler, sorgte für drei gute, ausdauernde Reitthiere und einen Führer, und hielt mit ihnen schon nach kurzer Zeit vor dem Hotel. Tim Summerland war sofort bereit. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Anschlag des Alkalden konnte möglicherweise schon heute ausgeführt werden. Sarah schwor, zu bleiben und bis zu ihrer Rückkehr nicht einmal an das Fenster zu treten; dann ging er fort.

Der Führer war ein junger und, wie es schien, recht zuverlässiger Bursche, der auch ganz gut zu reiten verstand.

„Nach Morelia hin will ich Euch dienen, Sennor!“ meinte er, als sie die Stadt im Rücken hatten; „aber nach Queretaro und Quanajuato wäre ich nicht mitgegangen.“

„Warum?“

„Diese Gegend ist seit einiger Zeit verrufen durch die Braveros,) welche dort herumlungern und Niemanden ungeschoren vorüberlassen. Erst vor acht Tagen haben sie eine ganze Mula✽✽) überfallen und die Reisenden niedergemacht. Santa Maria, was half es, daß man Reiter gegen sie schickte! Sie haben sich zurückgezogen und werden es in Kurzem noch schlimmer treiben als vorher.“

Forster wurde bedenklich. Er mußte unwillkürlich diese Braveros mit dem Unternehmen Wilsons in Verbindung bringen und gab seinem Thiere die Sporen.

) Räuber. ✽✽) Maulthierkarawane.
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Bald erreichten sie das schäumende Wasser von St. Jago, über welches eine alte, halb eingestürzte Brücke führte. Die Gegend wurde öder, der Weg immer weniger betreten und verlor sich endlich ganz in sandiges Geröll. Mitten im Jagen hielt Forster die Augen auf den Boden gerichtet, auf welchem sich die Hufspuren dreier Pferde zeigten. Hier war jedenfalls der Graf mit seiner Dame und einem Diener geritten.

Nach und nach zeigten sich wieder Büsche und immergrüne Nadelhölzer, und dann nahm ein Wald sie auf, unter dessen weit auseinanderstehenden Riesenbäumen sie ihre Eile nicht zu mindern brauchten. Da war es Forster, als vernehme er den Hilferuf einer weiblichen Stimme. Auch Summerland hatte ihn gehört.

Go on,“ rief er, „sie haben den Grafen, und wir haben sie. Vorwärts, Sir!“

Die Pferde bekamen die Sporen und flogen pfeilschnell über den weichen Boden, der ihre Hufschläge beinahe unhörbar machte. Da, nach kaum einer Minute, sahen sie eine Dame in den Händen mehrerer im Gesicht geschwärzter Männer, während zwei männliche Gestalten sich muthig gegen eine beträchtliche Uebermacht vertheidigten. Forster zog den Revolver. Auf dem Kampfplatze angekommen, warf er sich vom Pferde, sprang an die Seite der Dame und drückte los. Zwei der Männer fielen, der dritte entsprang. Jetzt wandte er sich gegen die Uebrigen und riß das Messer heraus. Summerland arbeitete schon mitten unter ihnen, und auch der Führer that seine Schuldigkeit. Der Muth der Beiden hatte den seinen angefeuert. Die Banditen waren von dem nachdrücklichen Angriffe so überrascht, daß ihr Widerstand

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schnell erlahmte. Sie flohen unter Zurücklassung ihrer Todten und Verwundeten in den schützenden Wald.

Jetzt erst warf Forster einen schärferen Blick auf die Geretteten und erkannte mit Verwunderung den Herrn und die Dame, mit denen er gestern auf der Alameda gesprochen hatte. Der Graf war leicht verwundet, die Gräfin aber bereits wieder wohlauf.

„Ihr seid’s, Sennor?“ frug sie. „Dann hat Euch Eure mächtige Zauberin herbeigeführt!“

Auch der Graf trat herbei. Er zeigte nicht die geringste Spur seiner gestrigen vornehmen Zurückhaltung.

„Nehmt meinen besten Dank, Sennores, für die rechtzeitige Hilfe, welche Ihr uns brachtet! Ohne Euch, das ist sicher, wären wir verloren gewesen.“

„Wir müssen den Dank zurückweisen, Don Hernano, denn es drohte Eurem Leben keine Gefahr; man wollte sich mit einem Lösegeld begnügen,“ antwortete Forster.

„Woher wißt Ihr das, und wie kommt Ihr als Fremder zu meinem Namen?“

„Das erlaubt, Euch später zu erklären! Jetzt müssen wir vor allen Dingen trachten, aus der Nähe dieses Ortes zu kommen. Wo sind die Pferde?“

Die beiden Thiere des Grafen und der Gräfin lagen erschossen am Boden; das Pferd des Dieners hatte, wie auch die andern drei nach ihm, das Weite gesucht. Summerland machte sich sofort mit dem Diener und dem Führer auf, sie einzufangen, während die Gräfin nach der Wunde ihres Gemahls sah und Forster sich beschäftigte, die Sättel von den gefallenen Pferden zu schnallen. Die Verletzung zeigte sich ganz ungefährlich; die Pferde wurden nach einiger Mühe herbeigeschafft, auf eines derselben der Damensitz -

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Damensitz befestigt, und dann verließ man, der Diener und der Führer zu Fuß, die Stätte.

Die Besitzung des Grafen lag nicht allzuweit entfernt; man erreichte sie nach kaum einer halben Stunde und konnte nun in voller Ruhe das Geschehene besprechen.

Im elegantesten Salon, den es nur geben konnte, saß Forster mit Summerland und den beiden Gatten zusammen. Die Gräfin, welche eine starke, furchtlose Natur sein mußte, machte die Honneurs, als sei sie eben von dem Besuche einer Freundin zurückgekehrt, und nur der Graf, dessen Alter eine größere Empfänglichkeit für dergleichen gewaltsame Eindrücke zur Folge haben mußte, hatte sich noch nicht vollständig erholt und dachte mit Schaudern an die Gefahr, in welcher er geschwebt hatte.

„Vor allen Dingen, Sennores, laßt mich Eure Namen kennen lernen,“ bat er.

„Der meinige ist Forster, Richard Forster, Frankfort, Kentucky, Vereinigte Staaten, und dieser Sir ist mein Jagd- und Reisegefährte Tim Summerland — — — Savannen und Prairien, Vereinigte Staaten,“ setzte er lächelnd hinzu.

„Und Euer Charakter, Don Forster?“

„Ich — — schreibe Bücher, Sennor, eine Beschäftigung, welche mich oft zwingt, mir auf Reisen den nöthigen Stoff zu holen.“

„So wollt Ihr über Mexiko schreiben?“

„Nein. Für diesesmal folge ich einer anderen Intention, die mit dem heutigen Vorfalle in sehr genauer Verbindung steht. Gestattet, sie Euch mitzutheilen!“

Er erzählte nun in Kürze, was dem Grafen zu wissen nöthig war, und schloß dann mit der Bemerkung:

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„Damit habe ich den Beweis geliefert, daß Ihr Euch in keiner Lebensgefahr befandet und wir Euch nur in unserem Interesse folgten. Wir müssen also jedes Recht auf irgend eine Verpflichtung unbedingt zurückweisen.“

„Nein, Sennores,“ protestirte der Graf lebhaft, „das dürft Ihr nicht! Ich befand mich in Lebensgefahr, dafür zeugt meine Verwundung, und Ihr hättet recht gut zurückkehren und Eure Aufgabe für gelöst betrachten können, wenn Ihr nicht erfahren hättet, was mir drohte.“

„Mein Gemahl hat vollständig Recht,“ schloß sich auch die Gräfin an. „Was hätte ich nicht in der Gefangenschaft Schreckliches zu erdulden gehabt, alle unberechenbaren Umstände, welche mein Leben in Gefahr bringen konnten, auch abgerechnet. Ich fühle mich Euch, Sennor Forster, verbunden, wie noch keinem Andern, und werde eine so heilige Verpflichtung mir nicht rauben lassen! Wir werden Euch sehr dringend ersuchen, während Eures Verweilens in Mexiko unsere Gastfreundschaft nicht zurückzuweisen!“

„Das versteht sich ganz von selbst, Sennores, und ich hoffe, hier ganz bestimmt keine Fehlbitte zu thun,“ fügte der Graf hinzu.

„Und dennoch müssen wir danken! Unser Weg geht unverweilt nach Morelia, wo wir bestimmt unsern Mann treffen, der verhindert war, sein Rettungswerk zu spielen. Er hat dasselbe jedenfalls hinter einem Busche hervor ausführen wollen und ist von den entflohenen Braveros von dem Mißlingen des Unternehmens benachrichtigt worden; er wird schleunigst den Alkalden aufsuchen, und dort müssen wir mit ihm Abrechnung halten.“

„Verzeiht, Sennor Forster! Er hat hier im Lande

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einen Raubüberfall verursacht und verfällt also unter Herbeiziehung der Vereinigten-Staaten-Gesandtschaft unsern Gesetzen. Diese sind in einem solchen Punkte streng, und mit dem, was sie von ihm übrig lassen, mögt Ihr immer Abrechnung halten. Auf diese Weise versichere ich mich zweier Gäste, deren seltenen seltene Eigenschaften ich von ganzem Herzen anerkenne.“

„Aber,“ warf Forster ein, „er wird entkommen, wenn nicht sofort gehandelt wird!“

„Die Handlung ist bereits im rührigsten Verlaufe. Ich habe gleich nach unserer Ankunft einen zuverlässigen Boten nach Morelia geschickt und werde jetzt, da ich den Zusammenhang besser kenne, einen zweiten abreiten lassen, der Alles ebenso besorgen wird, als ob wir selbst an Ort und Stelle seien. Zugleich sind eine Anzahl Arbeiter in den Wald gegangen, um sich der Gefallenen zu versichern. Ich habe sehr begründete Ursache, zu glauben, daß wir es mit denselben Männern zu thun haben, welche die Gegend von Queretaro heimsuchten.“

Er erhob und entfernte sich. Summerland konnte es in dem fein ausgestatteten Raume unmöglich länger aushalten; er trat auf die Veranda. Nach kurzer Zeit kehrte der Graf zurück und meldete: „Die Staffette ist fort, und nun könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß die Polizei der ganzen Umgegend in Alarm gesetzt und ihre Schuldigkeit thun wird. Ihr dürft also getrost hier bleiben.“

„Ich für meine Person, Don Hernano, darf vielleicht zusagen; mein Begleiter aber muß unbedingt nach Mexiko zurück.“

„Giebt es hierfür einen Grund?“

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„Einen sehr triftigen. Die Wohnung, welche Wilson miethete, muß bewacht werden, und zwar von Jemand, der ihn persönlich genau kennt. Er kehrt auf alle Fälle dorthin zurück, wenn wir nicht schon hier seiner habhaft werden.“

„So muß ich allerdings meine Zustimmung geben. Sennor Summerland soll von mir einige Zeilen an die Polizei erhalten, welche ihm dann mit allen Kräften zu Gebote stehen wird. Jetzt aber laßt Euch Eure Zimmer anweisen, Don Forster, damit Ihr Euch ausruhen könnt!“

Forster lächelte über den Gedanken, daß er nach dem kurzen Ritte der Erholung nöthig habe; die Gräfin erhob sich.

„Folgt mir, Sennor, und erlaubt, daß ich selbst Euch geleite!“

„Gestattet zuvor einen kurzen Augenblick!“

Er trat unter die Thür zur Veranda.

„Tim, Du mußt sofort nach Mexiko zurück!“

„Well, Sir, das ist mir außerordentlich angenehm; ich bin verteufelt wenig auf gräfliche Weise einstudirt!“

„Unser Führer mag Dich begleiten. Du erhältst von Don Hernano ein Schreiben an die Polizei, welches Du übergiebst, und bewachst das Haus, wo Wilson sein Zimmer hat. Ich kenne den Namen der Straße nicht, doch kannst Du bei Sarah alles erfahren. Ich kann nicht sagen, wenn [wann] ich Dir folgen werde; wenn Du ihn siehst, so laß ihn nicht wieder aus den Augen!“

All reight right, Master Forster; tragt keine Sorge um mich. Ich werde aufpassen, wie die Kundschafter im Lande Kanaan, als sie die große Traube fanden und hinüber nach Mesopotamien schleppten.“

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Forster wandte sich zurück und stellte sich nun der Gräfin zur Verfügung. Diese führte ihn in ein Zimmer, welches wahrhaft fürstlich ausgestattet war und an ein höchst bequem eingerichtetes Schlafkabinet stieß.

„Darf ich hoffen, daß es Euch genügen wird?“

„Vollkommen, Sennora. Ich habe ja überhaupt gar nicht die Absicht, Euch Störung und ungewöhnliche Mühewaltung zu bereiten!“

Sie entfernte sich. Er trat an das Fenster und blickte hinaus in den herrlichen Garten, wo eine reiche, südliche Vegetation in den buntesten Farben prangte.

Es ging ihm beinahe wie Tim Summerland; er fühlte sich unwohl an diesem Orte. Er verließ nach kurzer Zeit das Zimmer wieder und begab sich in den Garten. Von hier aus bemerkte er, daß man die im Walde liegen gebliebenen Braveros brachte. Er eilte zu der Gruppe, welche die geschwärzten Gestalten umgab, und erfuhr, daß man nur die Todten angetroffen hatte, während die Verwundeten verschwunden waren.

Auch der Graf trat hinzu und gebot:

„Wascht ihnen die Gesichter! Vielleicht finden wir ein bekanntes unter ihnen.“

Man leistete dem Befehle Folge, und kaum hatten die Züge der ersten der fünf Leichen ihre ursprüngliche Farbe erhalten, so rief einer der Arbeiter:

„Per dios, der Alkalde von Morelia!“

„Ja, er ist’s, ich kenne ihn,“ bestätigte der Graf. „Wie kommt ein solcher Beamter unter die Banditen?“

Forster bog sich nieder, um die Kleidung des Mannes, dem eine seiner Kugeln in die Brust gedrungen war, zu untersuchen. Er öffnete die Knöpfe derselben und bemerkte, -

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bemerkte, daß das Leben noch nicht völlig aus ihm gewichen sei.

„Habt Ihr nicht bemerkt, daß er noch athmet? Wasser herbei.

Die Brustwunde war tödtlich; die Kugel mußte in die unmittelbare Nähe des Herzens eingedrungen sein. Bei der Untersuchung des kleinen Loches, welches ihren Weg bezeichnete, zuckte der Verwundete schmerzhaft zusammen. Forster ließ sich dadurch nicht stören. Gerade dieser Schmerz war am Besten geeignet, das geschwundene Bewußtsein, wenn auch nur auf kurze Augenblicke, zurückzurufen. Wirklich öffneten sich die geschlossenen Lider, sanken schwer wieder nieder und erhoben sich dann zum zweiten Male, um dem Blicke Raum zu geben, die Umgebung zu erfassen.

Der Graf bog sich zu ihm nieder und sagte:

„Antonio Molez, der Tod hat Euch ergriffen. Wollt Ihr ohne Bekenntniß sterben?“

Der Gefragte schwieg. Er mußte sich erst auf das Gefragte besinnen. Dann hauchte er:

„Vergebt!“

Forster zog den Brief aus der Tasche und hielt ihm diesen vor die erstarrenden Augen.

„Habt Ihr das geschrieben?“

„Ja.“

„Wo ist Euer Bruder?“

„Im Walde. Er — wollte — — den Grafen befreien.“

„Ihr seht, Don Hernano, daß ich Euch die Wahrheit mittheilte.“ Dann wandte er sich wieder zu dem Sterbenden: „Wohin kehrt er aus dem Walde zurück?“

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„Ich — weiß es nicht. Santa Madonna — bitte für mich — ich sterbe. Ich wollte — reich werden — mein Amt schützte mich — — ich bin der Anführer der — — —“

Sein Oberkörper erhob sich unter einer konvulsivischen Bewegung; ein Blutstrom entquoll seinem Munde; er sank todt zurück.

„Gott sei seiner Seele gnädig! Er war der Anführer der Braveros und hatte seinen schlimmsten Streich gegen mich gerichtet. Ich vergebe ihm!“ sprach der Graf.

Die andern Vier waren ohne Leben; die fünf Leichen wurden bis auf Weiteres unter Verschluß gebracht.

Beim Diner, welches die drei Personen im Speisesaale vereinigte, war der Ueberfall natürlich Hauptgegenstand des Gespräches. Don Hernano sann lange auf eine Art und Weise, seine Erkenntlichkeit zeigen zu können, ohne unzart zu sein. Da endlich kam ihm ein Gedanke, und er mußte es bewundern, nicht sofort auf denselben verfallen zu sein. Der Zweck des Ueberfalls war gewesen, sich die Gunst des Grafen zu erwerben, um durch ihn in den Besitz billiger Ländereien zu kommen. Konnte dieser Zweck nicht jetzt zum Mittel werden, den Retter zu belohnen? Er schien kein reicher Mann zu sein, und das Geschenk von einigen Leguas guten Landes verursachte dem Grafen ja nicht die mindeste Schwierigkeit. Er faßte den Entschluß, diesen Gedanken auszuführen und die bezüglichen Papiere sofort bei seiner Ankunft in Mexiko ausfertigen zu lassen.

Da erschallten eilige Huftritte vom Thore her; die beiden nach Morelia gesandten Boten kehrten zurück und traten bald in den Speisesaal.

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„Nun?“ frug der Graf, in ihren Gesichtern eine wichtige Botschaft lesend.

„Wir haben ihn.“

„Ah! Das ist ja über alles Erwarten schnell gegangen.“

„Er traf eben ein, als die Polizei das Haus des Alkalden besetzt hatte.“

„Leistete er Widerstand?“

„Ganz wüthend. Er war vorzüglich bewaffnet und hat einige der Leute verwundet.“

„Und wo befindet er sich jetzt?“

„Im Gefängnisse, von wo er morgen nach dem vorläufigen Verhöre nach Mexiko transportirt werden soll.“

„Gut, Ihr könnt abtreten!“ Da wandte er sich zu der Gräfin und Forster. „Ich muß den Menschen sehen und reite nach aufgehobener Tafel nach Morelia. Wollt Ihr mit, Don Forster?“

„Auf jeden Fall.“

„Man wird unsere Ankunft willkommen heißen. Er ist nicht persönlich bekannt, und Ihr könnt also seine Person feststellen. Uebrigens sind wir ja bei der Untersuchung gegen ihn sehr betheiligt, so daß es die Arbeit des Beamten sehr erleichtert, wenn wir zugegen sind.“

„Soll ich von dem Ritte ausgeschlossen werden?“ frug die Gräfin.

„Ich denke, Du wirst lieber hier bleiben, als Dich der Berührung eines solchen Menschen aussetzen!“

Sie sah ein, daß ihr Gemahl Recht hatte, und so blieb sie daheim, während er und Forster in Begleitung eines Dieners fortritten. In Morelia angekommen, begaben sie sich zu dem Stellvertreter des Alkalden und

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theilten demselben, der schon wußte, was mit Wilson geschehen war, mit, daß sie sich in dieser Angelegenheit an ihn wenden müßten, weil sein Vorgesetzter als Anführer einer Räuberbande erwischt und getödtet worden sei. Er gerieth darüber in das größte Erstaunen und führte sie, als er sich von demselben erholt hatte, nach dem Gefängnisse, um Wilson einem vorläufigen Verhöre zu unterwerfen. Dort angekommen, sagte der Graf zu Forster:

„Bleibt hier vor der Thür stehen, Sennor, und laßt uns erst allein hinein!“

„Warum?“

„Um ihn zu überraschen und zu überführen.“

„Wird das zweckdienlich sein, Don Hernano?“

„Gewiß! Er hat keine Ahnung davon, daß Ihr hier seid, und wird wahrscheinlich leugnen und sich für einen Andern ausgeben. Wenn ich Euch dann rufe, so wird ihn der Schreck über Eurem Euren Anblick so überwältigen, daß ich erwarte, von ihm ein vollständiges Geständniß zu hören.“

„Wird nicht der Schreck ganz derselbe sein, wenn ich gleich mit Euch hineingehe?“

„Nein; ich verstehe das. Laßt mich also nur machen, was ich will!“

Forster fand an diesem Vorschlage keinen Gefallen, mußte aber dem Grafen zu Willen sein. Dieser ließ von dem Vice-Alkalden das Gefängniß aufschließen und trat mit ihm hinein; die Thür wurde hinter ihnen zugezogen.

Forster lauschte. Er hörte erst ruhige Stimmen; dann erscholl plötzlich ein Hilferuf und gleich darauf ein zweiter. Er eilte an die Thür und riß sie auf. Da lag der Stellvertreter des Alkalden blutend am Boden, und

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eben drang Wilson, mit einem gezückten Messer in der Hand, auf den Grafen ein, um ihn zu erstechen und dann zu entspringen. In demselben Augenblicke stand Forster bei ihm, riß ihm das Messer aus der Faust, packte ihn mit den beiden Händen an den Hüften, hob ihn in die Höhe und warf ihn mit solcher Kraft zu Boden, daß alle seine Glieder krachten und er besinnungslos liegen blieb.

„Seid Ihr verletzt?“ fragte der Dichter dann den Grafen, ihn besorgt anblickend.

Dieser hatte vor Entsetzen seine Fassung verloren, und es dauerte eine ganze, ganze Weile, ehe er zu antworten vermochte:

„Nein; aber der da ist verwundet.“

Bei diesen Worten zeigte er auf den Beamten, der sich eben jetzt vom Boden erhob. Er hatte einen Stich erhalten, der seinem Herzen gegolten hatte aber in Folge einer schnellen, abwehrenden Bewegung durch den Arm gegangen und glücklicher Weise nicht gefährlich war. Die Gewalt des Stoßes hatte den Getroffenen zu Boden geworfen.

„Wie konnte das möglich sein?“ fragte Forster den Verwundeten.

„Er verstellte sich,“ antwortete der Gefragte. „Er zeigte sich erst ganz ruhig und entriß mir dann plötzlich das Messer.

„War er denn nicht gefesselt?“

„Nein.“

„So ein gefährlicher Mensch!“

„Kann ich dafür, Sennor?“

„Er mußte unbedingt gebunden werden, weil er

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sich bei seiner Gefangennahme in so außerordentlicher Weise zur Wehr gesetzt hat!“

„Ich war nicht dabei und kann also nichts dafür. Desto strenger aber werden wir nun mit diesem Hallunken verfahren.“

„Ja,“ stimmte der Graf bei; „er soll so gefesselt werden, daß er sich nicht zu rühren vermag. Ich will für heute nichts mehr mit ihm zu thun haben und verzichte darauf, ihn in’s Verhör zu nehmen. Er mag augenblicklich gefesselt und dann noch heut unter einer zahlreichen und sichern Bewachung nach der Hauptstadt geschickt werden, wo man ihm den Proceß machen wird. Schon der Umstand, daß er ein Pfahlmann ist, muß ihm das Leben kosten; dazu kommt, daß er uns ermorden wollte; er ist rettungslos verloren. Ich setze natürlich voraus, daß Ihr ihn recognoscirt, Sennor Forster.“

„Das thue ich,“ antwortete der Genannte.

„Er ist also wirklich der Tom Wilson, dem Ihr nach Mexiko gefolgt seid?“

„Ja.“

„Gut, so sind seine Tage gezählt, und er soll gewiß nicht wieder Gelegenheit finden, sich an seinen Mitmenschen oder ihrem Eigenthume zu vergreifen.“

Er gab die nöthigen Befehle, und dann wurde der Rückweg nach der Besitzung Don Hernanos angetreten.

Dieser sprach unterwegs von nichts Anderem als von seiner unauslöschlichen Dankbarkeit dafür, daß Forster ihm abermals das Leben gerettet hatte, und als sie ihr Ziel erreichten, floß er gegen die Gräfin von dem Lobe seines Gastes über. Diese mochte nun doch einsehen, daß ihr früheres, freies Verhalten Forster gegenüber nicht das

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richtige gewesen sei, und gab sich nun zurückhaltender, zeigte ihm aber eine so aufrichtige Hochachtung, daß er ihr früheres Wesen gern vergaß.

Am andern Tage kehrte das gräfliche Paar mit Forster nach Mexiko zurück, worauf sofort die nöthigen Schritte gethan wurden, Wilson der wohlverdienten Strafe entgegen zu führen. Forster und Tim Summerland, der Graf und die Gräfin zeugten gegen ihn, auch Sarah, die Terzerone, mußte ihre Aussage thun, welche seine Belastung so vervollständigte, daß er zum Tode verurtheilt wurde. Die hohe Stellung und der Einfluß des Grafen hatten zur Folge, daß man mit dem Mörder in aller Kürze verfuhr, und er wurde schon am Tage nach dem Urtheilsspruche hingerichtet.

Forster war natürlich durch diesen Proceß in der Hauptstadt festgehalten worden und während dieser Zeit der Gast des Grafen gewesen, während Tim Summerland, dem es in dem gräflichen Palais zu fein gewesen wäre, mit Sarah im Hôtel gewohnt hatte.

Während dieser ganzen Zeit war kein Wort von Dankbarkeit wieder gefallen; aber als nun die Stunde der Abreise kam und Forster und sein treuer Gefährte sich von dem gräflichen Paare verabschiedeten, händigte Don Hernano Jedem von ihnen ein verschlossenes Couvert ein und sagte:

„Was wir Euch zu verdanken haben, Sennores, das wißt Ihr eben so gut wie wir; wir brauchen es Euch nicht erst zu sagen oder Euch daran zu erinnern. Wir werden es Euch nie vergessen. Wenn Ihr wieder nach Mexiko kommt — und ich hoffe, daß dies sicher geschehen wird — so sucht uns ja wieder auf; Ihr werdet uns

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herzlich willkommen sein. Damit Ihr bis dahin zuweilen an uns denken möget, geben wir Euch ein kleines Andenken mit, von dem wir meinen, daß es Euch ein wenig Freude bereiten wird. Doch knüpfen wir eine Bedingung daran. Werdet Ihr sie erfüllen?“

„Wenn wir können, ganz gewiß,“ antwortete Forster, und Tim stimmte bei.

„Ihr könnt es. Wir bitten Euch nämlich, diese Couverts nicht eher zu öffnen, als bis Ihr Euch auf hoher See befindet; wollt Ihr uns das versprechen?“

„Ja, obgleich uns da die Gelegenheit entgeht, für diese uns jedenfalls werthvolle Gabe Dank zu sagen.“

„Dank darzubringen, ist nicht Eure, sondern unsere Pflicht. Reist also in Gottes Namen! Ich werde durch gute Begleitung dafür sorgen, daß Ihr sicher und ohne Unfall den Hafen erreicht.“

Er schüttelte ihnen die Hände in herzlichster Weise, und auch die Gräfin verabschiedete sie auf eine Art, welche ein voller Beweis ihrer Dankbarkeit und Hochachtung war; sie zeigte sich jetzt ganz anders als damals bei der ersten Begegnung auf der Alameda. Der Charakter Forsters, den er seiner deutschen Abstammung verdankte, hatte ihr imponirt. —

Einige Tage später schwammen die beiden Gefährten mit Sarah auf den Fluthen des mexikanischen Golfs dem Mississippi entgegen. Sie waren des Abends an Bord gegangen, und von dem Ritte nach der Küste ermüdet, so daß sie sich sofort zur Ruhe begaben und an nichts Anderes, auch nicht an die Couverts gedacht hatten. Am nächsten Morgen machte Forster, nach dem nachdem er aufgestanden war, eine Promenade auf dem Deck; da

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kam Tim Summerland aus seiner Cabine und förmlich auf ihn zugesprungen. Er hielt ein Papier in der Hand und rief ihm schon von Weitem zu, indem sein Angesicht vor Entzücken geradezu strahlte:

„Sir, habt Ihr schon Euer Couvert geöffnet?“

„Nein,“ antwortete Forster.

„Dann macht es schnell auf, schnell! Ihr werdet ein Wunder lesen!“

„Was für eins?“

„Das will ich noch verschweigen, denn ich will die Augen sehen, die Ihr dabei macht. Also schnell, schnell, schnell!“

Er faßte ihn am Arme und zog ihn fort, nach der Kajüte, welche Forstern angewiesen war. Dort öffnete dieser den Umschlag, zog die Bogen, welche er enthielt, hervor, entfaltete sie und — — — stand allerdings für den ersten Augenblick vollkommen starr und wortlos da.

„Nicht wahr, das ist ein Geschenk!“ jubelte Tim. „Ihr habt auch einen Grand Grant?“

Forster konnte zunächst nur nicken.

„Auch ich habe so ein Dings da, eine ganze Legua; das sind über viertausend Acker Land; ich bin also ein reicher Kerl, ein steinreicher Kerl, das ist so gewiß wie meine Mütze!“

Forster war noch viel reicher bedacht worden, denn die Documente in seinen Händen machten ihn zum Besitzer von zehn, sage zehn Leguas. Das war eine wahrhaft königliche Dankbarkeit, die allerdings dem Grafen nichts gekostet hatte.

Die wieder Beschenkten konnten sich in diesen ihren plötzlichen -

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plötzlichen Reichthum fast nicht finden, und Forster fühlte zwar sich auch über den Besitz an sich glücklich, noch viel, viel mehr aber darüber, daß er nun, ohne eigennützig zu erscheinen, an die Vereinigung mit der Geliebten denken durfte. Mit welcher Freude, welcher Sehnsucht blickte er da nun seinem Ziele entgegen!

Und noch eine Person gab es, welche fast dieselbe Sehnsucht fühlte, nämlich Sarah, die Terzerone. Sie sah ein, welchen Fehler sie begangen hatte, und bereute ihn aufrichtig. Mutter Smolly war ihr stets eine gute nachsichtige Herrin gewesen, ja sogar mehr Mutter als Herrin, und sie hatte ihr mit solchem Undanke gelohnt. Wie gern kehrte sie zu ihr zurück! Freilich fragte es sich sehr, ob sie wieder Aufnahme finden würde. Sie bat Forster, ihr Fürsprecher zu sein, und er versprach ihr, sein Möglichstes zu thun.

Endlich war die lange See- und Flußfahrt zu Ende. Sie hatten ihr Ziel erreicht und verließen den Steamer. Am Hause des Advokaten, wo Tim Summerland natürlich wieder bei seinem Bruder wohnen wollte, fragte er Forster:

„Wie nun, Sir? Ihr tretet doch mit herein?“

„Heute nicht, Tim. Morgen komme ich, Dich zu besuchen. Behalte meine Sachen jetzt bei Dir; ich werde sie abholen lassen.“

Er ging mit Sarah weiter. Die Druckerei, an welcher der Weg vorüberführte, war erleuchtet. Er hatte sich auf eine Ueberraschung Margas vorbereitet und trat ein, um ein Gedicht für das Morgenblatt zu geben. Es wurde sofort acceptirt.

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Im Hause des Bankiers war man zur Ruhe gegangen, wie die Fenster zeigten, aber bei Mutter Smolly war noch Licht.

„Ich gehe nicht hinein, Sir, ich fürchte mich!“ meinte Sarah.

„So warte im Flur, bis Du gerufen wirst.“

Er klingelte. Die Wirthin selbst erschien unter der sich öffnenden Thür.

„Wer — Himmel, Sir, ist’s möglich!“ rief sie aus.

Fast wäre ihr vor freudiger Ueberraschung das Licht aus der Hand gefallen.

„Es ist wirklich und also auch möglich, meine beste Mutter Smolly. Habt Ihr mein meine Zimmer vielleicht anderweitig vermiethet?“

„Vermiethet? Wo denkt Ihr hin! Ich hätte sie zehn Jahre lang für Euch reservirt. Aber tretet ein, schnell; Ihr müßt von der weiten Reise ja ganz entsetzlich ermüdet sein!“

Sie führte ihn in den Salon, wo sie erwartungsvoll ihm gegenüber Platz nahm.

„Wie ist es denn gegangen, Sir? Habt Ihr ihn gefunden? Habt Ihr Sarah gesehen? Ich habe in dieser Zeit mehrere Mädchen gehabt, aber alle wieder entlassen müssen.“

„Ich habe ihn gefunden.“

„Wirklich? Und Euer Geld?“

„Habe ich wieder, und auch die fünfzigtausend Dollars von Master Olbers.“

Sie schlug verwundert die Hände zusammen.

„Das ist ja ganz außerordentlich; das muß ich hören; bitte; erzählt, Sir!“

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Er erfüllte ihre Bitte in möglichster Kürze. Als er am Schlusse bemerkte, daß die Terzerone draußen stehe, sprang sie auf und eilte hinaus.

„Sarah!“

„Ma’am!“

„Wirst Du mir wieder fortgehen?“

„Nie!“ weinte das Mädchen.

„So bleib, und denke daran, daß es nirgends so gut ist, wie bei Mutter Smolly!“

Zu Forster zurückgekehrt, berichtete sie ihm von Marga, die täglich herübergekommen sei und nur von ihm gesprochen habe.

Er hörte mit glücklichem Lächeln zu, bat sie, seine Ankunft morgen früh noch zu verschweigen, und begab sich dann hinauf in seine Wohnung, wo er bald dem wohlverdienten Schlafe in die Arme sank.

Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Drüben waren die Fenster und die Balkonthüre geöffnet. Marga saß, mit einer Arbeit beschäftigt, auf dem letzteren, und er bemerkte, wie fleißig ihre Augen zu seinem Fenster herüberschweiften.

Da kam auch der Bankier und brachte die Zeitungen. Sie theilten sich die Blätter und lasen.

„Wie schön sie ist, wie schön, rein und gut!“ dachte Forster.

Er machte so schnell wie möglich Toilette, nahm dann das Opernglas und stellte sich beobachtend hinter die Gardine. Da zuckte sie zusammen; eine tiefe Röthe glitt über ihr schönes Angesicht; die Hand fuhr nach dem

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Herzen, und ihre Augen flogen herüber zu ihm. Im Nu stand er auf dem Balkon und grüßte.

„Papa!“ rief sie so laut, daß er es hörte, und erhob zeigend den Arm.

Olbers blickte herüber und sprang überrascht vom Stuhle empor.

„Sir — ah, herüber, herüber, schnell, schnell!“

Forster nickte zustimmend und verließ den Balkon. Drüben kamen ihm Vater und Tochter bereits auf dem Korridore entgegen. —

„Willkommen, Master Forster! Kommt nur rasch herein! Wie ist’s gegangen?“

Er trat ein, zog die Brieftasche hervor und öffnete sie.

„Wollt Ihr einmal diese Papiere betrachten, Master Olbers?“

„Ja. Ah — meine Wechsel und Anweisungen. Ist’s möglich? Marga, es ist nichts verloren, kein Penny, kein einziger!“

„Auch ich habe mein Geld wieder. Und hier, bitte, lest einmal dies!“

Der Bankier warf einen Blick auf die Bogen, riß sie ihm dann aus der Hand und trat damit zum Fenster.

„Grants, Empressarios — zehn volle Leguas!“ rief er erstaunt. „Master Forster, das ist ja unglaublich; das ist ja ein ganzer Staat, ein ganzes Territorium!“

„Und doch ists wahr! Das Land kostet mich keinen Dollar; ich habe es geschenkt erhalten.“

„Geschenkt? Einen Werth von Millionen? Erzählt, wenn ich es glauben soll!“

Er mußte berichten und that es mit der größten Ausführlichkeit. -

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Ausführlichkeit. Mit athemloser Spannung hörte man ihm zu. Als er geendet hatte, erhob sich Olbers und ergriff seine Hand.

„Master Forster, Ihr seid nicht nur ein Dichter, sondern auch ein ganzer Mann. Marga, wer hätte das gedacht, als wir ihn zum ersten Male trafen! Ihr seid reich, zehnmal reicher als ich, Sir. Wie soll ich Euch danken? Mit Geld kann ich es nicht!“

Da erhob sie sich von ihrem Sitze. Im Vollgefühle des Glückes, welches seine Rückkehr ihr bereitete, überwand sie die weibliche Scheu und trat an Forsters Seite.

„Papa, ich weiß, wie wir ihm danken können“, sagte sie unter tiefem Erglühen. „Darf ich es Dir zeigen?“

„Thue es, mein Kind!“

Da schlang sie die Arme um den Geliebten und bot ihm die schönen, vollen Lippen zum Kusse dar.

„So, Papa! Darf es so sein und bleiben?“

Der Bankier war so überrascht, daß er die Antwort vergaß. In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür und Tim Summerland trat ein.

„Wer wollte mich denn besuchen und ist aber nicht gekommen?“ fragte er. „Daheim ist er auch nicht, und da — — by good god, die haben sich beim Kopfe! Da ist der alte Trapper überflüssig!“

Er wollte sich schleunigst zurückziehen, wurde aber von Olbers, der sich mittlerweile in die Gegenwart zurückgefunden hatte, noch rechtzeitig beim Arme ergriffen.

„Bleibt, Master Summerland, denn wir haben Verlobung, jetzt zwar nur unter uns, aber die Sache wird wohl auch noch festlicher arrangirt werden!“

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„Verlobung?“ lachte der Trapper. „Na, dazu gebe ich auch meinen Segen auf der Stelle; denn, Master Olbers, diese Zwei da passen zu einander so gut und vielleicht sogar noch besser als Jakob und Judith, um die er volle vierzehn Jahre gefreit hat, die Monate und Tage gar nicht mitgerechnet; das ist so sicher wie meine Mütze!“ — — —

(Schluß der zweiten Abtheilung.)

(242)

Dritte Abtheilung.Eine Befreiung

I.

Ich war von Tripolis nach Mursuk, der Hauptstadt der Provinz Fezzan, gekommen und bei dem reichen, jüdischen Handelsherrn Manasse Ben Aharab, an welchen ich gute Empfehlungen hatte, abgestiegen. Er nahm mich mit großer Gastfreundlichkeit auf und that es nicht anders, ich mußte in seinem Hause wohnen und wurde in demselben geradezu wie ein Sohn gehalten. Das bedeutete einen außerordentlichen Vorzug, denn er war nicht nur reich, sondern auch sehr stolz und lebte außerordentlich zurückgezogen, vielleicht auch aus dem Grunde, weil die Bevölkerung von Mursuk meist aus Muhammedanern besteht, von denen der Jude bekanntlich noch viel geringer als der Christ geachtet wird. Der Moslam erklärt Christum für den größten Propheten und kann es dem Juden nicht vergessen, daß seine Vorfahren Isa Ben Marryam d.i. Jesus, den Sohn Mariens, gekreuzigt haben.

Manasse war Wittwer und hatte ein Kind, eine

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Tochter, welche Rahel hieß. Sie mochte, als ich mich bei ihm befand, fünfzehn Jahre zählen, war aber, dem südlichen Klima angemessen, körperlich und geistig nicht nur vollständig entwickelt, sondern sogar vielleicht das schönste Mädchen, welches ich jemals gesehen habe. Ihre Schönheit war weit und breit berühmt und da sie eigentlich aus Sokna stammte, woher ihr Vater vor einigen Jahren nach Mursuk gezogen war, so wurde sie allgemein die „Rose von Sokna“ genannt.

Ich hatte schon unterwegs, als ich in Sokna einen Tag ruhte, von ihr gehört und will aufrichtig gestehen, daß ich neugierig war, zu sehen, ob sie diesen Namen wirklich verdiene. Und ja, sie trug ihn mit vollem Rechte. Als ihr Vater mich zu ihr führte, fanden wir sie auf einem rothsammetnen Polster liegen, welches sich rundum an die vier Wändes des Gemaches schmiegte. Sie trug eine weite, weißseidene Frauenhose, welche mit goldenen Spangen an die feinen Knöchel befestigt war und um die Hüften von einem blaßblauen, reich in Gold gestickten Gürteltuche festgehalten wurde. Die nackten, rosig schimmernden Füße steckten in niedlichen, violettseidenen Pantöffelchens. Um den Oberkörper schloß sich eine eng anliegende dunkelblauseidene Jacke, welche anstatt der Knöpfe von schwergoldenen Ketten zusammengenestelt war. Das blauschwarze, dichte Haar hing in langen, schweren Zöpfen weit herab; Nadeln mit großen, silbernen Knöpfen glänzten in demselben und über die Stirn breitete sich ein loses Diadem von Goldstücken verschiedener Größe. An den kleinen Händen funkelten Ringe von gewiß sehr hohem Werthe.

Das aber war es nicht, was mir imponiren konnte.

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Es giebt verschiedene Arten von Reichthum. Man kann reich sein an Erfahrung, an Ehren, an Bildung — auch an Geld, und dieser letztere Reichthum hat an sich keinen Werth für mich. Aber dieses Gesicht! Ich unterlasse es, dasselbe zu beschreiben, denn was ich erzähle, soll keine Liebesgeschichte sein, doch auf diesen prächtig gezeichneten Lippen lagerte der Ausdruck stolzer Reinheit und weiblicher Güte, und aus den mandelförmig geschnittenen, großen, dunklen Augen leuchtete ein ruhiger, offener, selbstbewußter Blick, welcher erkennen ließ, daß die „Rose von Sokna“ auch in Beziehung auf ihren Geist und ihr Gemüth mehr als ein gewöhnliches Mädchen sei.

Sie erhob sich bei unserem Eintritte und sah mich forschend an. Vor diesem Auge, wie sie es so auf mich richtete, konnte sich gewiß ein unedler Character verbergen.

„Das ist der deutsche Effendi, dessen Ankunft mein Geschäftsfreund in Tripolis mir gemeldet hat,“ sagte ihr der Vater.

Da reichte sie mir die Hand und sprach:

„Du bist uns sehr willkommen, Effendina. Der Brief, welchen wir erhielten, hat uns viel von Dir erzählt. Wir erfuhren, daß Du weit über die Erde gewandert bist und weit mehr erlebt und erfahren hast, als viele andere Menschen. Ich habe mich auf Dein Kommen gefreut, denn wir leben hier sehr einsam, weil wir Niemand haben, dem wir Freund sein möchten. Bleib recht, recht lange in unserm Hause, dessen Wirthin ich bin! Ich werde mich bemühen, daß es Dir bei uns gefallen möge.“

Ich wurde Du genannt, weil wir arabisch sprachen. Ihr Wunsch ging in Erfüllung: es gefiel mir außerordentlich bei Manasse Ben Aharab und seiner Tochter.

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Er that alles Mögliches, mich zu halten und sie war trotz ihrer Jugend eine vortreffliche Wirthin, wie ich sie hier in der afrikanischen Oase nicht gesucht hätte.

Ich kam aus der Heimath, war vorher in Nordamerika gewesen und wollte nun tief in die Sahara hinein. Das durfte nicht plötzlich geschehen, wenn ich nicht meine Gesundheit schädigen wollte. Ich mußte, wie der Kunstausdruck ja lautet, mich trainiren und erst kurze und dann immer weitere Ausflüge unternehmen, um mich wieder an das Wüstenklima zu gewöhnen. Jedem dieser Ausflüge ging ein besorgter Abschied voran, besorgt, weil man wohl glaubte, daß ich nicht zurückkehren würde, und kam ich dann wieder, so sah ich, daß die Freude darüber ebenso groß wie aufrichtig war. Wie wurde ich gebeten, mich zu schonen, mich ja nicht in Gefahr zu begeben! Ich habe auf meinen Reisen viel Güte, viel Liebe gefunden und kann wohl sagen, daß die Erinnerung an dieses gastliche Haus in Mursuk mit zu meinen schönsten gehört.

Natürlich brauchte ich auf diesen Ausflügen einen Begleiter; so wenigstens dachten Manasse und Rahel, während ich ebenso gern allein geritten wäre. Meine Erfahrung und meine guten Waffen genügten mir. Mein Wirt hatte mir einen Diener empfohlen, welcher Ali genannt wurde. Dieser war noch jung, vielleicht dreiundzwanzig Jahre alt und ein sehr brauchbarer Mensch. Er sprach mehrere arabische Dialecte, hatte keinen Familienanhang, der ihn örtlich binden konnte, war treu, ergeben und, was die Hauptsache ist, sehr ehrlich und hatte sich sehr bald — ich möchte fast sagen — förmlich in mich verliebt. Nun, das schadete nichts; das konnte mich nur

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freuen, und ich will gern zugeben, daß ich ihm auch gewogen war.

Einen Fehler besaß er, der mir aber mehr Spaß als Verdruß bereitete; er hatte einige Bücher gelesen und hielt sich in Folge dessen für einen sehr gelehrten Menschen. Es kam nicht selten vor, daß er selbst mich belehren wollte. Auch für einen großen Helden hielt er sich, wozu ich freilich der Wahrheit gemäß bemerken muß, daß er allerdings Muth besaß. In Folge dieses seines Selbstbewußtseins war er mit dem einfachen Namen Ali nicht zufrieden und ging, wie dies dort so Sitte ist, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit auf seine Vorfahren zurück. Wenn er einmal über eine vermeintliche Nichtachtung in Harnisch gerieth, hing er, um zu imponiren, seinem Namen diejenigen seiner nächsten Ahnen an. Dann hieß er nicht bloß Ali, sondern Ali el Hakemi Ibn Abba er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal. Je länger so ein Name ist, desto größer ist die Ehre für den Betreffenden; wer aber die Namen seiner Vorfahren nicht kennt, wird nicht geachtet. Dazu kam, daß Batal so viel wie „Held“ bedeutet; man kann sich also denken, welch gewichtigen Nachdruck er auf dieses Schlußwort legte.

Was meinen Namen betrifft, so wurde ich nicht bei meinem eigentlichen, sondern, wie auf meinen früheren Reise, Kara Ben Nemsi genannt. Kara heißt „schwarz“ und Ben Nemsi „Sohn der Deutschen“. Ich trug einen dunklen Bart und war ein Deutscher; daher dieser Name.“

Den letzten Ausflug vor meiner definitiven Abreise wollte ich nach dem Wadi Kouhr machen, ein ziemlich weiter

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Ritt, der über eine Woche in Anspruch nahm. Wadi heißt Thal und auch Fluß. Meist sind damit diejenigen Wasserläufe gemeint, welche sich zur Regenzeit bilden und dann wieder versiechen. Diese Flüsse sind zuweilen gefährlich. Der Regen in den Tropen ist ein ganz anderer als bei uns. Er gießt nicht nur, sondern er fällt wie eine geschlossene Masse vom Himmel herab; im Nu bildet sich der Fluß und stürzt sich wie eine vorwärtsschießende Mauer das Thal hernieder. Befindet sich in demselben ein Zeltlager, so ist Alles verloren, was nicht augenblicklich fliehen oder gerettet werden kann. Wir standen jetzt kurz vor Beginn der Regenzeit.

Man darf sich nämlich die Sahara nicht als ein ununterbrochenes und ödes Sandmeer denken. Ja, es giebt da schier endlose Sandflächen; aber es erheben sich auch einzelne Berge oder Höhenzüge, welche hohe, steinigte Plateaus tragen. Und Wasser ist auch vorhanden. Wo ein Quell zu Tage tritt, da bildet sich eine Oase mit der üppigsten Vegetation. Oft braucht man nur einige Meter tief zu gehen, um auf Wasser zu treffen, welches freilich meist von keiner guten Beschaffenheit ist; doch wird es um so besser, je tiefer man gräbt; das haben die Franzosen durch ihre artesischen Brunnen bewiesen. Vor Jahrhunderten war die Saharah weit mehr bevölkert und bebaut als jetzt. Noch heut trifft man in der trostlosen Oede auf Römerbauten, welche leider nun der wandernde Sand verschüttet hat.

Interessant sind die Bijara mektumin d. i. geheimen Brunnen, an denen vorüber oder sogar über welche man reiten kann, ohne zu ahnen, daß man sich in so großer Nähe des ersehnten Elementes befindet. Ein weitab von

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der Karawanenstraße streifender Beduine entdeckt durch Zufall einen wasserhaltigen Ort, gräbt den Sand auf, füllt seinen Schlauch, tränkt sein Kameel, breitet seine Decke über das schmale Loch und wirft den Sand wieder darauf. Von nun an besitzt er einen Punkt, an welchem er rasten und sich erholen kann, und hält denselben geheim. Er verräth ihn nur dann, wenn er Nutzen davon haben kann. Diese heimlichen Brunnen befinden sich meist im Besitze von Räubern oder auch ganzen Raubkarawanen, denen ein solcher Bir (Brunnen) große Sicherheit bietet, da sie dann nicht nöthig haben, die an den Karawanenwegen liegenden Brunnen aufzusuchen und sich dabei in Gefahr zu begeben. —

Meine freundliche Wirthin hatte mich vor unserem Aufbruche mit allem Nöthigen versehen, ohne daß es mich Etwas kostete. Beritten waren wir leidlich, denn ich hatte zwei gute Reitkameele gekauft, sogenannte Hedschihns, während das Lastkameel (Dschemel) genannt wird. Freilich mußten sie außer uns auch noch die Wasserschläuche tragen, weil ich angewiesen war, sparsam zu sein, und also kein Dschemel kaufen wollte. Es gab, wie gewöhnlich, einen längeren Abschied mit herzlich gemeinten Bitten und Ermahnungen.

„Effendina“, fragte Rahel, „wirst Du auch Wort halten und wiederkommen?“

„Ich habe noch nie mein Wort gebrochen,“ antwortete ich. „Nach zehn Tagen sehen wir uns wieder.“

„Ich will Dir glauben, denn Du bist ein Almani (Deutscher), und ich weiß, daß kein Almani lügt. Aber sei ja vorsichtig, und nimm Dich in Acht. Dein jetziges Ziel liegt nahe der Gegend, wo das Gebiet der räuberischen

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Tibbu beginnt. Wenn Du mit ihnen zusammenträfest, wärest Du verloren.“

„Laß Dein Herz keine Sorge um mich tragen, o Blume der Oase! Ich fürchte mich nicht.“

„Ja, ich weiß gar wohl, daß Du Dich nicht fürchtest,“ meinte sie eifrig; „aber Du bist verwegen, Effendina. Du hast den Löwen und sogar den schwarzen Panther geschossen, welcher weit gefährlicher ist; Du hast mit vielen, vielen Feinden gekämpft und bist stets Sieger gewesen; aber Dein Körper zeigt noch heut die Narben der Wunden, welche Du bekommen hast, und wie leicht kann ein Messer oder eine Kugel tiefer gehen, als bisher. Versprich mir, daß Du vorsichtig sein willst; gieb mir Deine Hand darauf!“

„Hier ist die Hand; ich verspreche es.“

Sie nahm meine Hand in ihre beiden kleinen Hände, sah mir mit feuchten Augen in das Gesicht und fuhr fort:

„Du weißt, daß wir Dich lieb gewonnen haben und sehr, sehr traurig sein würden, wenn Dir ein Unglück geschähe. Denke ja daran, Effendina!“

„Sei gewiß, daß ich dies keinen Augenblick vergessen werde, o schönste der Rosen von Sokna!“

„Nicht dieses Wort! Du weißt, daß Du mich nicht so nennen sollst. Von Dir mag ich das nicht hören. Du sollst nur denken, daß ich gut und Deine Freundin bin; das Andere ist nicht nöthig. Allah jebarik fik; Allah jesellimak — Gott segne Dich; Gott erhalte Dich!“

Nach diesen Worten wendete sie sich ab und entfernte sich. Ihr Vater entließ mich in derselben Weise; dann ritten wir an den Palmen-, Granaten-, Oliven-, Feigen- Pfirsich- und Aprikosengärten der Stadt vorüber und zum

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Thore hinaus. Zwischen Wassermelonenfeldern ging es dann ostwärts weiter, wo bald die Vegetation verschwand und unsere Kameele im Sande zu waden begannen.

Was unsere Kleidung und Waffen anbetrifft, so trug ich aus Erfahrungsgründen Hose, Weste und Jacke von einem leichten, dunkelgrauen Stoffe und darüber den mantelartigen weißen Haik mit Kapuze. An den Turban hatte ich zum Schutze der Augen vorn einen blauen Schleier befestigt. Ali war ähnlich gekleidet. Er besaß außer einem Messer und seinen zwei Pistolen eine lange, einläufige arabische Flinte. Ich hatte meine lang und oft bewährten Waffen bei mir: das Bowiemesser, zwei Revolver, den schweren Bärentödter, aus welchem eine gutgezielte Kugel genügte, um einen Löwen niederzustrecken, und endlich den, wie ich wohl sagen darf, berühmt gewordenen Henrystutzen, aus welchen ich fünfundzwanzig Schüsse abgeben kann. Der Erfinder dieses Gewehrs hat nur zwölf Stück davon angefertigt; elf sind mit ihren Besitzern in den nordamerikanischen Prairien verloren gegangen; mein Exemplar ist das letzte und einzige, welches es noch giebt.

Für unsere Anzüge hatte ich dunkelgrau gewählt, weil diese Farbe das Anschleichen am Besten gestattet, das unbemerkte Herankommen an den Feind. Dieses Anschleichen ist eine gar nicht so leichte Kunst, wie man vielleicht denken mag; ich habe derselben viele, viele Male mein Leben und auch dasjenige meiner Gefährten zu verdanken gehabt und war überzeugt, daß sie mir auch während meiner jetzigen Reise Nutzen bringen werde; die Farbe des Anzuges mußte mich dabei unterstützen.

Die ersten drei Tage unsers Rittes verliefen in so erwünschter, glücklicher Weise, daß ich weiter nichts über

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dieselben zu erwähnen habe. Das Wadi Kuohr liegt in der libyschen Wüste, südöstlich von Mursuk und südwestlich von der Oase Kufarah. Die libysche Wüste ist der Theil der Sahara, welcher bekannt ist als der unwegsamste und gefährlichste. Uns machte sie zwar ein tiefernstes, aber doch kein feindseliges Gesicht.

Wir hatten seit Mursuk keinen Menschen zu sehen bekommen und wünschten auch nicht, Jemandem im Wadi Kouhr zu begegnen. In jenen Gegenden muß man sich gewöhnen, in jedem Menschen, den man trifft, einen Feind zu erblicken. Nach dem Wadi aber mußten wir, denn dort gab es Wasser, und wir mußten unsere Schläuche, welche leer geworden waren, wieder füllen. Uebrigens kannte ich das Wadi nicht, und auch Ali war noch niemals da gewesen.

Schon wollte sich der dritte Tag zur Rüste neigen; wir waren so schnell geritten, daß wir nach meiner Berechnung das Ziel unbedingt vor Nacht erreichen mußten, wenn wir keine falsche Richtung eingeschlagen hatten, und doch ließ sich nichts sehen, was auf die Nähe des Wadi hätte schließen lassen können. Schon wollte Ali bedenklich werden; er fragte:

„Effendi, wir hätten doch einen Führer mitnehmen sollen. Wenn wir heut das Ziel verfehlen, wissen wir nicht, nach welcher Richtung es zu finden ist, und stehen vor dem Tode des Verdürstens.“

„Habe keine Sorge,“ antwortete ich ihm. „Ich weiß mich schon zurecht zu finden. Da, schau hinauf gen Himmel, grad vor uns! Da giebt es ein Zeichen, daß wir uns auf dem richtigen Wege befinden. Kennst Du die beiden Vögel, welche da ihre Kreise ziehen?“

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„Ja, es ist ein Schahin (Falke) mit seiner Frau. Sollte der wirklich die Nähe des Wadi bedeuten?“

„Gewiß; leider aber auch die Nähe von Menschen. Der Schahin folgt gern den Karawanen, und aus der Richtung, in welcher er dort oben fliegt, kann man folgern, wohin sich unten die Karawane bewegt, obgleich man sie noch nicht zu sehen vermag. Diese beiden Falken schweben langsam im Kreise; sie bewegen sich nicht fort, folglich sind die Menschen unter ihnen nicht im Reiten begriffen, sondern sie lagern.“

„Allah! Wie Du das so sicher sagen kannst! Du bist wirklich kein ganz dummer Kerl, Effendi; dieses Lob muß ich Dir geben. Was das zu bedeuten hat, wirst Du wohl wissen?“

„Ja, nämlich nicht viel.“

„Ajjuha — oho! Ich bin ein Mann, der Alles kennt, was es auf Erden giebt; ein solches Lob aus meinem Munde ist also ein Vorzug, der nicht Jedem zu Theil wird. Ich hoffe jedoch, daß Du nicht darüber stolz wirst und Dich überhebst, denn die Bescheidenheit ist die größte Zierde wahrhaft großer und gebildeter Männlichkeit. Auch der Prophet ist, was Du als Christ aber nicht wissen kannst, niemals stolz gewesen.“

„Da verwechselst Du wohl Euern Muhammed mit Isa Ben Marryam, unserm Gottessohne. Meinst Du übrigens nicht, daß die Bescheidenheit auch Dir zur Zierde gereichen würde?“

„Allerdings,“ nickte er. „Besitze ich sie etwa nicht?“

„Ist es bescheiden, wenn Du behauptest, Alles zu kennen, was es auf Erden giebt?“

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„Ja, denn ich habe mich nicht überhoben, sondern die Wahrheit gesagt. Das wirst Du zugeben.“

„Im Gegentheile, ich bestreite es.“

„Bestreiten? Effendi, willst Du mich beleidigen? Bring mir doch einmal Etwas, was ich nicht kenne!“

„Hast Du unsern Weg nach dem Wadi gekannt? Kennst Du meinen Vater, meine Mutter? Nenne mir doch einmal ihre Namen!“

Da fuhr er sich mit der Hand hinter das Ohr, kratzte sich dort verlegen und antwortete:

„Du verlangst zu viel von mir, Effendi. Wie kann ich alle Menschen, die Väter ihrer Ahnen und die Urahnen ihrer Großväter kennen! Ich habe gesagt, daß ich Alles kenne, aber nicht, daß ich allwissend bin. Doch schau, kommt dort nicht ein Reiter geritten?“

Wir hatten das Wadi vor uns zu suchen; er deutete aber nach rechts, nach Süden, wo ich allerdings zu gleicher Zeit mit ihm den Reiter erblickt hatte. Dieser wollte jedenfalls auch nach dem Wadi; aber als er uns sah, hielt er sein Kameel für einen Augenblick an und verließ dann seine bisherige Richtung, um auf uns zuzulenken.

Als er uns so nahe gekommen war, daß wir ihn und sein Thier deutlich erkennen konnten, sah ich, daß er ein vornehmer und reicher Mann sein müsse, denn er ritt ein graues Bischarihnhedschihn, eines jenes Reitkameele, welche kaum zu kaufen sind. So ein Hedschihn kann, wenn es eine Stute ist und überhaupt veräußert wird, nach deutschem Gelde dreißigtausend Mark und noch mehr kosten. Ich hatte früher ein solches Thier geritten und mit demselben an einem Tage zwischen neunzig und hundert Kilometer zurückgelegt. Ihren Namen haben diese

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Hedschihns von den Bischarinommaden, welche am oberen Nile wohnen. In der Sahara werden sie meist von den Tibbu gezüchtet, welche daraufhin bekannt sind, daß sie die schönsten Reitkameele besitzen.

Und zu diesem Volke der Tibbu schien der Reiter zu gehören, welcher jetzt auf uns zukam. Seine Hautfarbe war fast so dunkel wie diejenige eines Negers; man hätte ihn leicht für einen solchen halten könnten, wenn er nicht eine gerade Nase und weniger aufgeworfene Lippen gehabt hätte. Seine Gestalt schien, so weit der weiße, faltige Burnus dies erkennen ließ, lang und schlank, aber sehr kräftig zu sein; sein schwarzes Haar hing ihm in langen Zöpfen auf den Rücken herab. Anstatt des Turbans trug er ein rotes Keffije (Kopftuch); eine lange, einläufige Flinte lag quer vor ihm auf dem Sattel. Zehn Schritte vor uns hielt er sein Hadschihn an, machte eine leichte Handbewegung nach der Brust und grüßte:

„Sallam! Wohin geht Euer Weg?“

Sein Blick ruhte finster und forschend auf uns. Der Mann gefiel mir nicht. Wenn der Beduine so kurz grüßt, ist das stets ein sicheres Zeichen, daß er keine freundlichen Absichten hegt.

„Sallam,“ antwortete ich also ebenso kurz. „Wir wollen nach dem Wadi Kouhr.“

„Kennst Du es?“

„Nein; ich war noch niemals dort.“

„So weiß aber dieser Dein Begleiter den Weg?“

„Auch nicht.“

„Maschallah — Wunder Gottes! Wie habt Ihr Euch da zurecht finden können?“

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„Allah ist der Führer der Seinen. Wer ihm vertraut, geht niemals irr.“

Er machte eine verächtliche Armbewegung und bemerkte:

„Allah wohnt im Himmel. Er wird nicht vor Dir hergeritten sein, um Dir den Weg zu zeigen. Woher komme Ihr?“

„Von Mursuk.“

Es ging, als ich diesen Ort nannte, wie ein schnelles Leuchten über sein Gesicht; dann fragte er:

„Wohnt Ihr dort?“

„Nein. Ich habe mich nur dort ausgeruht.“

„Wie lange?“

„Fünf Wochen.“

„So wirst Du dennoch die Stadt und ihre Bewohner kennen gelernt haben. Hast Du vielleicht einen jüdischen Tagir (Kaufmann) gesehen, welcher Manasse Ben Aharab heißt?“

„Ja. Ich war sein Gast und habe bei ihm gewohnt.“

Wieder bemerkte ich dieses blitzartige Leuchten, welches über sein Gesicht zuckte. Dann erhellten sich seine bisher finsteren Züge, und er sagte in viel freundlicherem Tone:

„Danke Allah, daß dem so ist; Manasse ist mein Freund, und da Du der seinige bist, heiße ich Dich willkommen. Folge mir!“

Er hatte nur zu mir gesprochen, wohl weil er errieth, in welcher Stellung sich Ali zu mir befand. Diesen schien das zu ärgern, denn als der Fremde jetzt sein Kameel wendete, ergriff er schnell das Wort:

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„Halt, warte noch! So rasch, wie Du meinst, geht das nicht. Wir müssen wissen, wer Du bist.“

Da drehte sich der Angeredete wieder nach uns um, betrachtete ihn mit zusammengezogenen Brauen und fragte:

„Wer bist denn Du, daß Du so zu mir zu sprechen wagst?“

„Wagst? Ist es ein Wagniß, mit Dir zu reden? Ich kenne keinen Menschen, vor dem ich mich zu fürchten hätten, denn ich bin Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en Nasafi Ibn Sadek Kamil el Batal! Verstanden? El Batal, el Batal!“

Er wiederholte diesen Beinamen und betonte ihn stark, weil das Wort, wie bereits bemerkt „der Held“ bedeutet. Der Fremde ließ ein leises Lächeln um seine Mundwinkel sehen und antwortete:

„Ja, el Batal; ich höre es, Du bist der Nachkomme dieses Mannes; aber der Enkel oder Urenkel eines Helden kann ein großer Feigling sein. Was bist Du denn?“

„Ich? Ich bin ein großer Krieger und ein großer Alim (Gelehrter). Es giebt auf Erden keine Wissenschaft, die meinem Auge verborgen wäre. Wie ist Dein Name, und zu welchem Stamme gehörest Du?“

Das Lächeln des Andern wurde stärker und, wie es mir schien, zugleich verächtlicher; er antwortete ihm nicht, sondern wendete sich zu mir:

„Ist dieser Mann mit dem langen Namen Dein Freund, Dein Bruder oder vielleicht Dein Diener?“

„Das Letztere,“ antwortete ich der Wahrheit gemäß und innerlich erstaunt über den Scharfblick, der er durch diese Frage verrieth.

„So sag ihm, daß ein freier Mann sich nicht von

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einem Menschen, welcher bezahlt wird, ausfragen läßt. Du bist der Herr, und Dir will ich Auskunft geben: Ich bin ein Tedetu und werde Tahaf genannt. Und nun komm; ich werde Dich zu meinen Leuten führen.“

Er wendete abermals um und ritt davon. Während wir ihm folgten, drängte Ali sein Kameel nahe an das meinige und raunte mir zu:

„Was hast Du gethan, Effendi! Du hast mein Angesicht schamroth gemacht. Mußtest Du ihm sagen, daß ich Dein Diener bin?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Warum?“

„Weil ich nie lüge, und weil Du Dich für einen großen Gelehrten ausgabst, Prahlhans. Wer mehr von sich sagt, als was er kann und was er ist, dem kann es nichts schaden, wenn er an die Wahrheit erinnert wird.“

„So giebst Du also nicht zu, daß ich ein Gelehrter bin?“

„Nein.“

Um weiteren Vorwürfen zu entgehen, lenkte ich mein Kameel von ihm weg und an die Seite des Tedetu. Tedetu ist die Einzahl von Tibbu; ein Einzelner vom Tibbuvolke wird also nicht Tibbu, sondern Tedetu genannt; ich hatte also ganz richtig vermuthet, als ich annahm, daß er zu den Tibbu gehöre. Er beobachtete mich, als ich nun neben ihm ritt, scharf von der Seite her. Ich sah, daß sein Blick besonders an meinen beiden Gewehren hing. Solche Waffen waren ihm natürlich unbekannt. Er schien ein sehr schweigsamer Mensch zu sein, und auch ich hielt es nicht für nöthig, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Erst nach längerer Zeit fragte er:

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„Du wirst unser Gast sein und kennst meinen Namen. Willst Du mir nicht den Deinigen nennen?“

„Ich heiße Kara Ben Nemsi.“

„Ben Nemsi? So bist Du wohl aus einem fremden Lande?“

„Ja, aus dem Belad el Alman (Deutschland).“

„Also kein Fransawi (Franzose)?“

„Nein.“

„Ich habe von dem Belad el Alman gehört. Es regiert da ein großer Sultan, welcher Wi-hel (Wilhelm) heißt und die Franzosen besiegt hat. Diese sind unsere Feinde; darum ist jeder Almani unser Freund, und meine Leute werden sich freuen, Dich zu sehen. Natürlich bist Du auch ein Krieger?“

„Eigentlich nicht.“

„Was denn? Ich sehe doch, daß Du viele Waffen trägst.“

„Ich habe sie nur, um mich zu vertheidigen, wenn ich angegriffen werde. Ich bin ein Musannif (Schriftsteller), also ein Mann des Friedens.“

Da maß er mich mit einem halb verächtlichen, halb mitleidigen Blick und rief aus:

„Allah erhalte Dir den Verstand! Du trinkst daheim schwarze Tinte und trägst hier zwei Flinten auf dem Rücken. Hat Dir die Gluth der Sonne das Gehirn verbrannt? Wer kein Krieger ist, ist auch kein Mann. Ein Musannif muß bei den alten Weibern sitzen. Du bist doch stark und kräftig; der Prophet muß Dich schlecht erleuchtet haben!“

Das war grob. Ich antwortete:

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„Ich verlange kein Licht von ihm, denn ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.“

Ich wußte recht gut, was ich wagte, indem ich ihm das so offen sagte. Dieser Mann mit dem stolzen Auge und dem verächtlichen Lächeln irrte sich in mir. Ich ritt mit so bescheidener Miene neben ihm her; wahrscheinlich lernte er mich recht bald anders kennen. Er drängte sein Hedschihn ein Stück von mir weg und rief aus:

„Allah bewahre mich! Ein Christ bist Du, ein verdammter Giaur, den der Teufel — — —“

„Uskut — schweig!“ unterbrach ich ihn, indem ich mich im Sattel aufrichtete. „Du hältst Deinen Glauben und den meinigen für den richtigen. Wenn Du mich ungläubig nennst, kann ich Dich mit demselben Rechte ebenso heißen. Ich thue es aber nicht, weil wir Christen gewöhnt sind, höflich zu sein. Einen Giaur laß ich mich nicht nennen; das merke Dir ja!“

Er sah ganz erstaunt zu mir herüber; ein solches Auftreten hatte er mir nicht zugetraut. Er fragte:

„Was wolltest Du dagegen thun? Etwa mich erschießen?“

„Nein.“

„Was denn?“

„Eine Kugel ist ein Beleidiger nicht werth. Ich würde Dich einfach mit dieser meiner Faust vom Kameele schlagen.“

Das war nach den Gebräuchen der Tibbu eine todeswürdige Beleidigung. Ein Schlag mit der Hand oder mit einem Gegenstande, der keine Waffe ist, und auch die blose Androhung eines solchen Hiebes ist eine Kränkung, welche nur mit Blut abgewaschen werden kann. Er

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fuhr auch sofort mit der Hand unter den Burnus und rief, indem er eine Pistole hervorzog:

„Mich schlagen? Das muß — — —“

Aber noch schneller als er hatte ich den Revolver in der Hand, zielte auf seinen Kopf und fiel ihm in die Rede:

„Weg mit der Pistole! Sobald Du sie auf mich richtest, fahren Dir zwei oder drei Kugeln in den Kopf! Ich werde Dir beweisen, daß ein Muasannif nicht bei den alten Weibern zu sitzen braucht, sondern auch ein tapferer Mann sein kann. Ich habe Dich beleidigt, weil Du vorher mich beleidigtest; wir sind also quitt. Ist Dir das nicht recht, so bin ich sofort bereit, vom Kameele zu steigen und mit Dir zu kämpfen, wie es sich unter Kriegern ziemt!“

Es ging eine ganz eigenthümliche Bewegung über seine erregten Züge; dann steckte er die Pistole zurück und sagte in erzwungen ruhigem Tone:

„Wohlan, Du hast Recht. Wir haben uns gegenseitig beleidigt und sind nun quitt, weil Du mein Gast sein sollst. Reiten wir weiter!“

Diese schnelle Beruhigung war eine nur scheinbare; ich ließ mich durch sie nicht täuschen und wußte genau, daß, selbst wenn er mir vorher freundlich gesinnt gewesen wäre, was aber gewiß nicht der Fall war, ich nun in ihm einen unversöhnlichen Feind erworben hatte. Am Liebsten hätte ich mich von ihm getrennt; das ging aber nicht an, denn er ritt nach dem Wadi, wo wahrscheinlich seine Tibbu lagerten, und ich mußte auch hin, weil wir Wasser brauchten, welches mehrere Tagereisen weit an keinem andern

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Orte zu finden war. Ich hegte die Ueberzeugung, daß wir einer großen Gefahr entgegengingen, doch hatte ich ganz und gar keine Lust, mich vor derselben zu fürchten.

II.

Nach einiger Zeit sahen wir am Horizonte erst die Kronen und dann die schlanken, hohen Schäfte von Dattelpalmen auftauchen; die bisher ganz ebene Gegend war hügelig geworden, freilich, was man dort Hügel zu nennen pflegt, und mehrere Zeltreihen standen im Schatten dieser Palmen oder zogen sich an den Hügeln hin. Es gab sogar eine bescheidene Anzahl von Erdhütten, welche wohl das eigentliche Dorf bildeten. Sie lagen am Rande des jetzt wasserleeren, ganz trockenen Wadi, dessen Grund und Wände aber an vielen Stellen so zerwühlt und zerrissen waren, daß ich annahm, es müsse zu gewissen Zeiten nicht nur Wasser, sondern sogar Hochfluth in demselben geben.

Als wir vielleicht noch tausend Männerschritte von dem Dorfe entfernt waren, trieb der Tetedu sein Hedschihn plötzlich mit dem Lenkstabe in der Weise an, daß es im schnellsten Gange vorwärtsschoß.

„Effendi, der hat etwas vor!“ meinte Ali. „Wollen wir ihm nicht rasch nach?“

„Nein,“ antworte ich, indem ich im bisherigen Schritte weiterritt.

„Aber das, was er beabsichtigt, kann nichts Gutes

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sein! Er gefällt mir nicht. Du weißt, Allah hat mich mit großer Menschenkenntniß ausgestattet, und ich habe diesem Tahaf in die verborgensten Tiefen seines Herzens geblickt; es sieht ganz schwarz da unten aus, und er hat das Gesicht eines Abu Hossein (Fuchses), welcher beißen will. Warum bleibt er nicht bei uns? Warum reitet er fort? Jedenfalls nicht, um unsern wohlverdienten Ruhm zu verkünden und die uns gebührende Ehrerbietung für uns zu verlangen. Ich ersuche Dich also dringend, unsere Kameele ihre Beine auch schneller schleudern zu lassen!“

„Das würde weder Zweck noch Erfolg haben.“

„O wehe, Effendi, wie schwer fällt es Dir doch, nachzudenken! Wo man einen Zweck hat, da giebt es auch einen Erfolg, und wo ein Erfolg da ist, da hat es stets auch einen Zweck vorher gegeben.“

„Hier kann weder von dem einen noch von dem andern die Rede sein. Der Tedetu meint es entweder schlecht mit uns oder nicht; reiten wir ihm nach, so erreichen wir doch nichts weiter, als daß wir in ersterem Falle seine bösen Absichten doch nicht verhindern können und in letzterem Falle uns blamiren und ihn beleidigen.“

Jetzt hatte Tahaf das Dorf erreicht. Wir sahen, daß er auf die Bewohner desselben, die in den Zeltgassen standen, einsprach. Einige von ihnen entfernten sich; sie hatten jedenfalls Aufträge von ihm erhalten; er aber wendete sein Hedschihn um, kam uns entgegen und meldete mir, als er uns erreicht hatte:

„Ich bin vorangeeilt, um Dein Nahen zu verkündigen. Der ganze Duar (Zeltdorf) ist voller Freude, einen Gast von Deiner Wichtigkeit begrüßen zu dürfen.“

„Ich danke Dir,“ antwortete ich kühl. „Ich erbitte

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mir nichts, als die Erlaubniß, mir Wasser schöpfen und mich am Rande des Brunnens ausruhen zu dürfen. Ist dies geschehen, so werden wir weiter reiten.“

„Effendi, sind Dir die Gesetze der Wüste unbekannt? Weißt Du nicht, daß es eine todeswürdige Beleidigung ist, eine gastfreundliche Einladung zurückzuweisen.“

„Ich bin nicht eingeladen worden.“

„So thue ich es jetzt. Du sollst der Gast sein; ich bitte Dich darum!“

„Wessen Gast?“

„Derjenige des ganzen Duars.“

Das klang so schön, kam mir aber, der ich Erfahrung hatte, verdächtig vor. Der Gast des ganzen Dorfes? Damit war gar nichts gesagt; das durfte mir nicht genügen. Dann konnte, wenn ich der Hülfe bedurfte, mich Einer an den Andern weisen, und Keiner brauchte sich meiner wirklich anzunehmen. Ganz anders aber dann, wenn ich der Gast eines bestimmten Mannes war; dieser durfte mich nicht verleugnen, sondern er mußte sich auf alle Fälle und unter allen Umständen meiner annehmen. Dennoch that ich, als ob ich erfreut über das Anerbieten des Tedetu sei. Ich wollte nicht schon im Augenblicke meiner Ankunft ausgesprochenes Mißtrauen zeigen; es war jedenfalls später auch noch Zeit dazu. Es konnte mir nur zum Vortheile gereichen, wenn ich für unbefangener gehalten wurde, als ich war.

Bekommen Wüstenbewohner den Besuch von Freunden und Bekannten, so geht es, der Sitte gemäß, bei dem Willkommen sehr laut her. Man reitet ihnen entgegen und feuert Freudenschüsse ab. Das ist das sogenannte La’b el Barut oder Schießpulverspiel. Kommen aber

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Fremde, so verhält man sich ruhig, um sie nicht etwa zu erschrecken, da sie, die Unbekannten, das Schießen ernst und für ein feindseliges Verhalten nehmen könnten. Darum knallte keines der Gewehre, und es ertönte keine laute Stimme, als wir in das Lager einritten; aber alle Zelte und Hügel hatten sich geleert und die Bewohner derselben, alt und jung, Männer und Frauen, Jünglinge, Mädchen und Kinder, drängten sich herbei, uns zu betrachten. In keinem Gesichte war ein feindlicher Zug zu bemerken; aber ich sah auch keine Spur der Freude, von welcher der Tedetu gesprochen hatte.

Dieser leitete uns nach der äußersten Zeltreihe, aus welchem Grunde, das erkannte ich erst später. Die Männer, welche wir da erblickten, hatten ein ernstes, wortkarges Aussehen und waren, obgleich sie sich daheim und in Frieden befanden, bis an die Zähne bewaffnet. Die Frauen trugen keine Schleier; die Beduinin liebt es nicht, ihr Gesicht zu verhüllen; ihre Gesichter sahen welk und verlebt aus, denn das Weib der Wüste hat alle Arbeit allein auf dem Nacken und altert darum schnell. Aber unter den jungen Mädchen gab es einige, welche man mit Wohlgefallen betrachten konnte. Ihr Haar war mit bunten Bändern und Perlenschnüren in lange, hinten herabhängende Zöpfe geflochten; in ihren Ohren trugen sie schwere Ringe, an den Handgelenken mancherlei Spangen und über den Knöcheln kupferne Ringe, welche man sah, weil die Röcke oder Schalwars (Frauenhosen) nur dorthin reichten und die Füße unbekleidet waren. Schön, zierlich waren diese nackten Füße freilich nicht, sondern breit ausgetreten, und an mancher Zehe sah ich die mehr als deutlichen Spuren der Verwüstung, welche der böse Wüstenfloh anrichtet.

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Er gräbt sich unter die Fußnägel und läßt dort seine Brut zurück, welche bei der dadurch entstehenden, ebenso häßlichen wie schmerzhaften Zehengeschwulst nur dadurch entfernt werden kann, daß man sie mit dem Messer herausgräbt.

Ich war von meinen früheren Reise her gewöhnt, ein freundliches „Marhaba“ (Willkommen) zu hören, doch fand sich hier kein Mund, der dieses Wort ausspach. Und doch sollte ich der Gast des ganzen Dorfes sein! Da hätten sie doch eigentlich alle „Marhaba“ rufen müssen!

Als der Tedetu sein Hedschihn niederknieen ließ, um aus dem Sattel zu steigen, that Ali dasselbe, und auch ich sprang von dem meinigen herab. Der Erstere ertheilte einen Befehl, den ich nicht verstand, weil er sich dabei der Tibbusprache und nicht des Arabischen bediente; aber ich sah sogleich, was er geboten hatte, denn es traten einige Männer herbei, um sich unserer Kameele zu bemächtigen. Ich wehrte ab und fragte:

„Was wollen sie mit den Thieren?“

„Zur Tränke schaffen,“ antwortete Tahaf.

„Das pflege ich stets selbst zu thun.“

„Du selbst?“ fragte er verwundert. „Das ist doch nicht Deiner hohen Würde gemäß!“

„Es entspricht der Würde Jedermanns, nicht nur gegen die Menschen gütig zu sein, sondern auch das Thier, welches ihm gehört, mit Aufmerksamkeit zu erfreuen.“

„Aber er braucht trotzdem nicht selbst die Arbeit eines Knechtes zu verrichten!“

„Soll ich Deine freien Krieger für Knechte erklären, indem ich ihnen diese Arbeit auftrage? Das sei ferne

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von mir! Wo ist der Brunnen? Wir werden unsere Thiere selbst hinführen!“

Er zog die Brauen finster zusammen, drehte sich zu seinen Leute um und warf ihnen einige Tibbuworte zu. Dies benutzte ich, dem neben mir stehenden Ali rasch zuzuflüstern:

„Thu ganz genau das, was ich thue!“

Er nickte und nahm seine lange Flinte in die Rechte, so wie ich meinen schweren Bärentödter hatte. Den Henrystutzen trug ich am Riemen über dem Rücken. Mein Verdacht hatte sich zur Gewißheit gesteigert. Die Zeltreihe, an deren Eingang wir standen, schien von Personen bewohnt zu sein, welche ausgesprochene Tibbugesichter hatten, und sich dadurch von den meisten andern Dorfbewohnern unterschieden. Das waren wilde und, wie es schien, gewaltthätige Kerls, denen ich nicht weniger als Alles zutrauen konnte. Es fiel mir auf, daß die Insassen der übrigen Zelte zwar beobachtend nahe standen, aber doch nicht ganz herankamen. Es war, als ob diese äußere Zeltreihe gar nicht zum eigentlichen Dorfe gehöre. War der Tedetu etwa ein Fremder hier? Er wendete sich, kaum daß ich meinem Diener die wenigen Worte zugeraunt hatte, wieder nach mir um und sagte in einem keineswegs freundlichen Tone:

„Wir können unmöglich dulden, daß Du so niedrige Dienste verrichtest. Dein Diener mag sein Kameel tränken; er mag gehen; Du aber wirst das Deinige uns überlassen, denn Du bist unser Gast, der Gast des ganzen Duars.“

Ah, Ali sollte gehen; man wollte uns von einander trennen! Darum antwortete ich:

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„Ali el Hakemi bleibt bei mir! Und der Gast eines ganzen Dorfes soll ich sein? Bin ich ein so gefräßiger Kuku Kuschu (Kuckuck), den fünfzig andere Vögel füttern müssen? Ich will der Gast eines einzigen Mannes sein, und den werde ich mir selbst auswählen. Wo ist der Scheik el Beled, der Aelteste des Duar?“

„Willst Du bei ihm einkehren?“

„Ja. Wo befindet er sich?“

„Hier.“

„Wo hier?“

„Da, wo ich stehe. Ich bin es selbst, und Du sollst bei mir wohnen. Komm also mit!“

„Du?“ fragte ich im Tone des Unglaubens, denn ich hatte ihn bereits vorhin für einen Fremden gehalten, und als er sich jetzt, und zwar nicht mit leiser, sondern lauter, erregter Stimme, die jenseits der Zeltreihe gehört werden konnte, für den Scheik ausgab, bemerkte ich, daß dort Viele ihre Augen auf einen alten, ehrwürdig aussehenden Mann richteten, welcher selbst verwundert oder gar mißbilligend dreinschaute. Ich nahm sofort an, daß dieser Greis der Scheik sei; daher mein fragendes „Du?“

„Ja, ich!“ versicherte der Tedetu mit Nachdruck. „Also komm!“

Er ergriff mich am linken Arme, um mich mit sich fortzuziehen. Ich aber blieb fest stehen und sagte:

„Erlaube zunächst, mich erst einmal da drüben zu erkundigen!“

Ich deutete bei diesen Worten zu dem Greise hinüber; da aber gab er seinen Leuten einen sehr entschiedenen Wink und rief zornig aus:

„Willst Du mich beleidigen, indem Du meiner Versicherung -

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Versicherung keinen Glauben schenkst! Ich bin der Scheik, also vorwärts mit Dir!“

Er faßte mich wieder an, um mich nun mit Gewalt fortzuziehen und zugleich wurde ich mit Ali von den Tibbu umringt, welche uns vorwärts drängten; es waren wohl an die zwanzig Mann. Das konnte ich mir denn doch nicht gefallen lassen, wenn es nicht um uns geschehen sein sollte. Darum forderte ich in drohendem Tone:

„Laßt ab, und gebt uns frei, sonst schaffen wir uns Bahn!“

Die Kerls lachten mich laut aus und schoben weiter, und der Tedetu antwortete, ebenso höhnisch lachend:

„Komm nur, Knabe! Deine Bahn schreibe ich Dir vor!“

Da faßte ich den Bärentödter mit beiden Fäusten, legte ihn mir trotz des dichten Gedränges vorn quer über den Leib, daß er links und rechts hervorragte, und drehte mich mit einer raschen, kräftigen Bewegung um. Dadurch wurden der Tedetu und einige Andere von dem Kolben und dem Laufe der Büchse gefaßt und fortgeschleudert. Ich bekam Luft und benutzte dies sofort, das Gewehr um den Kopf zu wirbeln und zu rufen:

„Schreib einmal vor, Betrüger! Ob ich Dir folgen werde!“

„Lakkadam, lakkadam — vorwärts, vorwärts, drauf!“ brüllte er wüthend. „Entreißt ihm das Gewehr!“

Sie wollten ihm gehorchen, bekamen aber solche Kolbenhiebe, daß sie noch weiter zurückwichen als vorher. Nun war ich gewiß, mir eine Gasse bahnen zu können, und rief meinem Ali zu:

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„Komm, rasch, eng hinter mir her!“

Der Tedetu war der Anstifter dieses harten Tanzes, folglich mußte ihn der Taktstock treffen. Ich fällte den Kolben und stieß ihm denselben in die Seite, daß er lautlos zusammenbrach; die hinter ihm Stehenden wichen zurück; noch drei, vier tüchtige Stöße und Hiebe, der Weg aus dem Menschenknäuel öffnete sich, und ich sprang, von Ali gefolgt, fort, zwischen den zwei nächsten Zelten hindurch und zu dem alten Manne hinüber, den ich für den Dorfältesten hielt. Das Volk, welches bei ihm stand, hatte sprachlos vor Erstaunen zugesehen und wich jetzt schnell zurück, aus Angst, auch Hiebe zu bekommen. Ich hielt bei ihm an und fragte ihn:

„Inte el Scheik — bist Du der Scheik?“

„Aiba, Sihdim — ja, mein Herr,“ antwortete er.

„Jalla, dakilah ya Scheik, — wohlan, ich bin der Beschützte, o Scheik!“

„Dakilah bardi ya Scheik — auch ich bin der Beschützte, o Scheik!“ rief auch Ali, ihn bei der linken Hand nehmend, während ich seine Rechte ergriffen hatte.

Der Alte war ganz erstaunt, anstatt Hiebe zu bekommen, um Schutz angerufen zu werden, faßte sich aber schnell, zog seine Hände aus den unserigen, legte die eine mir und die andere Ali auf den Kopf und erklärte mit lauter Stimme:

„Ahdahn meftihn, ya ridschal; haida dachli, haida dachli — macht die Ohren auf, Ihr Männer; dieser ist mein Schützling, und dieser ist mein Schützling!“

Die Tibbu waren uns heulend und fluchten nachgesprungen, um sich unser auf alle Fälle, selbst unter Aufbietung äußerster Gewalt, zu bemächtigen; aber als

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sie diese Worte hörten, blieben sie stehen und thaten keinen weiteren Schritt vorwärts, denn das Wort Dakilah ist selbst dem rohesten Wüstenbewohner ein heiliges Wort, dessen Bedeutung er kennt und unbedingt achtet. Es öffnet den Bedrängten selbst in der größten Todesnoth und mitten unter Feinden einen Rettungsweg. Wer sich im Kampfe mit einer überlegenen Zahl von Gegnern befindet, ruft einem derselben, womöglich dem ältesten, das Wort Dakilah = ich bin der Beschützte, zu, und sofort wird dieser sich seiner annehmen und ihn gewiß mit dem größten Nachdrucke gegen Jedermann, selbst gegen die eigenen Freunde und Verwandten in Schutz nehmen. Der Beduine nimmt sich selbst seines Todfeindes für den Augenblick an, wenn dieser ihm dies Zauberwort zuruft und, was dabei freilich die Hauptsache ist, sich mit seinem Körper in Berührung setzt. Ich und Ali hatten die Hände des Scheiks ergriffen, sonst hätte die Anrufung uns nichts genützt.

Dieser heilig gehaltene Brauch ist bei den ewigen Fehden jener Völker von einer großen, die Härten mildernden Bedeutung. Selbst die Blutrache muß augenblicklich schweigen, wenn das Opfer, bevor es von dem siegreichen Rächer den Todesstoß erhält, diesem das Wort Dakilah zuruft und es ihm dabei gelingt, ihn zu berühren. Freilich wird der Ueberlegene sich alle Mühe geben, diese Berührung unmöglich zu machen, aber es genügt das kürzeste und geringste Anhaften irgend welchen Körpertheiles. Wenn der um Schutz Flehende z. B. den, welcher ihn beschützen soll, nicht mit den Händen zu erreichen vermag, so braucht er nur den Versuch zu machen, ihn anzuspeien; gelingt ihm dies, so ist er gerettet, denn

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der Speichel ist ein Theil des Körpers, und es hat also eine gegenseitige Berührung stattgefunden.

Also die Tibbu blieben stehen und wagten sich nicht weiter zu uns heran. Der Scheik rief ihnen gebieterisch zu:

„Weicht zurück! So lange diese beiden Männer sich im Bereiche unsers Duars befinden, dürft Ihr sie nicht antasten, denn Ihr seid unsere Gäste, und sie sind es auch!“

Sie wendeten sich ab und entfernten sich, indem sie nach ihrer Zeltreihe gingen, wo ich ihren Anführer liegen sah, niedergeworfen von meinem Kolbenstoße; er war noch nicht wieder zu sich gekommen. Sie hoben ihn auf, um ihn nach seinem Zelte zu schaffen, wohl schwerlich unter menschenfreundlichen Wünschen für meine Person!

Jetzt wendete sich der Scheik wieder zu mir und Ali und erklärte uns:

„Diese Tibbu kamen heut in unser Duar, um Wasser zu nehmen und bei uns zu lagern. Sie sind Räuber, wie wir vermuthen, und gehen uns nichts an. Willst Du das glauben, Herr?“

„Ich glaube es,“ antwortete ich.

„Wir sind Nachkommen der alten, berühmten Uëlad Sliman,“ fuhr er fort. „Da wir keine Reichthümer besitzen, brauchen wir diese Räuber nicht zu fürchten; Du aber scheinst wohlhabend zu sein. Nimm Dich in Acht!“

„Auch ich bin nicht reich; ich trage keine Schätze bei mir, würde mich aber auf keinen Fall vor ihnen fürchten, wie Du wohl gesehen hast.“

„Ich habe es gesehen. Du hast klug, vorsichtig und kraftvoll gehandelt, sie Dir aber zu Todfeinden gemacht;

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sie werden Dir nach dem Leben trachten und nicht eher ruhen, als bis sie es Dir genommen haben.“

„Sie werden es nicht bekommen!“

„Du sprichst sehr stolz. Doch, so lange Du Dich hier bei uns befindest, bist Du sicher. Ihr wollt also unsere Gäste sein?“

„Die Deinigen, ja.“

„So tretet in mein Zelt, und nehmt fürlieb mit meiner Armuth. Ihr seid die Beschützten, und wir werden Eure Kameele tränken und füttern, wenn Ihr sie uns anvertraut.“

„Dir überlassen wir sie gern, denn Dein Angesicht ist ein ehrliches, und was Dein Mund redet, das ist wahr.“

Er führte uns in sein Zelt, dessen Ausstattung allerdings nicht auf Reichthum schließen ließ. Wir bekamen zum Willkommen Wasser, mit Dattelsaft vermischt, und dann sahen wir, daß ein Hammel geschlachtet wurde, der am Spieße gebraten werden sollte.

Das Zelt bestand aus zwei Abtheilungen. In der einen saßen wir mit dem Scheik, und in der anderen hörten wir sein Weib hantiren. Sie war als „Müllerin“ beschäftigt, indem sie Negerhirse zwischen zwei Steinen zu Mehl zerrieb. Noch war der Braten nicht fertig, da trat einer der Dorfbewohner herein und meldete:

„Es ist einer von den Tibbu draußen, der mit Dir sprechen will, o Scheik.“

„Er mag hereinkommen,“ antwortete dieser.

„Das will er nicht.“

„Warum nicht?“

„Er hat mit Dir allein zu reden.“

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„Worüber?“

„Über diese Deine Gäste.“

„So muß ich erst recht verlangen, daß er hereinkomme, denn sie haben das Recht, zu hören, was von ihnen gesprochen wird.“

„Und wenn er nicht kommt?“

„So mag er gehen.“

„Die Tibbu werden Dir darüber zürnen!“

„Mögen sie!“

„Und sich dafür rächen!“

„Das kann ich nicht ändern. Der Prophet und das Gesetz der Wüste gebieten, den Gast zu achten und zu beschützen. Dieses Gebot werde ich erfüllen, und sollte es mir das Leben kosten.“

Der Mann entfernte sich. Ich hatte mich in dem Scheik nicht getäuscht; er war ein braver, ehrlicher Beduine, auf den wir uns verlassen konnten. Wir hörten einen halblauten Wortwechsel draußen; dann kam der Tedetu herein. Er beehrte mich und Ali mit keinem Blicke und fuhr den Scheik in zornigem Tone an:

„Warum kamst Du nicht hinaus, wie ich Dir sagen ließ?“

„Weil ich der Oberste meines Lagers und der Herr und Besitzer dieses Zeltes bin und nichts Anderes thue als das, was mir beliebt. Ich ehre meine Gäste!“

„Auch wir sind Deine Gäste, die Du zu achten hast!“

„Wohnt Ihr in meinem Zelte? Habt Ihr vielleicht das „Dakilah“ zu uns gesagt?“

„Das brauchen wir nicht. Wir sind freie Tibbu, die keinen Menschen um Etwas zu bitten brauchen. Wir

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sind gewohnt, zu befehlen und daß man diesen Befehlen Gehorsam leistet.“

Er legte bei diesen Worten die Hand an den Griff seines Messers, und seine Miene wurde noch drohender als vorher. Ich sah, daß der Scheik sich eingeschüchtert fühlte; er sagte aber doch, seiner Würde gemäß:

„Befehlt, wo Ihr wollt, doch hier in meinem Duar nicht! Was hast Du mir mitzutheilen?“

„Tahaf, unser berühmter Anführer, sendet mich. Er verlangt die Auslieferung dieser beiden Giaurs.“

Bei diesen Worten zeigte er auf mich und Ali, doch ohne uns eines Blickes zu würdigen.

„Ich bin kein Giaur, sondern ein gläubiger Anhänger des Propheten!“ fuhr Ali auf, doch dem Tedetu beliebte es, diesen Worten nicht die geringste Beachtung zu schenken.

„Willst Du mein Gesicht schamroth machen?“ fragte der Scheik. „Welches Gesetz erlaubt, einen Gast auszuliefern?“

„Es giebt kein Gesetz, welches einen Giaur beschützt!“

„Ich bin kein Giaur!“ wiederholte Ali zornig.

Jetzt beachtete der Tedetu den Einwand doch: er warf dem Sprecher die verächtlichen Worte zu:

„Du hast zu schweigen! Wer einem Ungläubigen dient, der ist nicht nur ein Giaur, sondern sogar noch viel verächtlicher als ein solcher. Also, giebst Du sie heraus?“

Diese Frage war wieder an den Scheik gerichtet. Er antwortete in nicht ganz zu verbergender Verlegenheit:

„Das könnt Ihr nicht von mir verlangen!“

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„Wir verlangen es aber! Diese räudigen Anhänger einer anderen Lehre sollen erfahren, daß — — —“

Er wurde unterbrochen. Ali, welcher, wie bereits bemerkt, kein feiger Bursche war, sprang auf und rief, indem er ihm in die Rede fiel:

„Schweig! Ich bin kein Anhänger einer falschen Lehre. Weißt Du, wer ich bin? Mein Name lautet Ali el Hakemi Ibn Abbas er-Rumi Ben Hafis Omar en-Nasafi Ibn Sadak el Batal. Wer mich beleidigt, den werde ich es — — —“

„Schweig Du, Giaur!“ schnitt ihm nun seinerseits der Tedetu die Rede ab. „Ihr seid stinkende Hunde, die von den Hyänen und Geiern zerrissen werden müssen!“

Ich hatte bisher gethan, als ob mich die Unterredung oder vielmehr der Streit gar nichts angehe; nun aber mußte ich einschreiten, sonst war trotz des guten, ehrlichen Willens des Scheikes zu befürchten, daß er aus Angst vor den Tibbu nachgiebig werden könne. Ich stand also mit einer raschen Bewegung auf, stellte mich vor den Tedetu hin und sagte in warnendem und dabei festem Tone:

„Höre, Mann, wag nicht zu viel! Es ist mir zwar sonst sehr gleichgültig, was ein Mensch, wie Du bist, redet, aber Giaur und Hund, diese Worte kann ich nicht vertragen. Wiederholst Du nur noch einmal eins von diesen, so gebe ich Dir eine Ohrfeige, daß Du augenblicklich fühlen sollst, wer den rechten, wahren Glauben hat, Du oder ich!“

Was ich erwartet hatte, daß auf diese todeswürdige Beleidigung erfolgen werde, das geschah: er riß sein Messer aus der Hüftschnur und schrie mir wüthend zu:

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„Du bist ein Hund, der Sohn eines Hundes und der Enkel eines Hundesohnes! Hier hast Du meine Klinge!“

Er holte zum Stoße aus. Mit einem von unten herauf geführten Hiebe schmetterte ich ihm das Messer aus der Hand, und als er sich schnell nach demselben bückte, schlug ich ihm meine Faust in das Genick, daß er zusammenbrach.

„Um Allahs willen, was hast Du da gethan!“ rief voller Angst der Scheik, indem er nun auch von seinem Sitze auffuhr. „Die Tibbu werden es an Dir und uns blutig rächen!“

„Fürchte Dich nicht!“ antwortete ich ruhig. „Sie werden Euch nichts thun, denn ich werde Euch beschützen.“

„Du — — — uns — — —?“ fragte er erstaunt.

„Ja. Erst stand ich unter Deinem Schutze, und nun stehst Du unter dem meinigen. Glaubst Du etwa, ich habe mich aus Angst vor diesen Tibbu zu Euch gerettet? Das denke ja nicht! Ich bin gewöhnt, mich selbst zu beschützen, und nur deshalb Euer Gast geworden, um das Recht zu besitzen, Euch von diesen Hallunken zu befreien.“

„Du — — — uns — — —?“ wiederholte er ganz in demselben ungläubigen und erstaunten Tone wie vorher.

„Ja, ich Euch!“

„Wie wäre das möglich! Du bist mit uns, und wir sind mit Dir verloren. Sie werden keine Gnade walten lassen!“

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„Ich verlange keine Gnade von ihnen; sie aber werden froh sein, wenn sie die meinige erlangen.“

„Ja, so ist es; dieser mein Sihdi (Herr) hat Recht,“ stimmte mir Ali bei. „Er fürchtet sich vor keinem Menschen und vor keinem Thiere; er hat den Löwen geschossen und den schwarzen Panther ganz allein und mitten in der Nacht getötet. Er ist über den Salzsee des Verderbens geritten und in demselben eingebrochen, ohne sein Leben zu verlieren; er schießt mit seinen Gewehren tausendmal, ohne daß er zu laden braucht. Hast Du noch niemals seinen Namen gehört? Du mußt ihn kennen, denn er ist schon oft in der Wüste gewesen und hat noch niemals einer Raubkarawane seinen Rücken gezeigt.“

Diese allerdings außerordentlich übertriebene Schilderung meiner Vorzüge und Thaten brachte eine Wirkung hervor, die ich nicht für möglich gehalten hätte: der Scheik erhob mit einer Bewegung der Ueberraschung seine Hände, zog die Brauen erwartungsvoll und hoch empor und fragte:

„Wie ist dieser Name? Schnell, sag ihn mir!“

„Er heißt Emir Kara Ben Nemsi Effendi und ist — — —“

„Kara Ben Nemsi Effendi!“ fiel ihm der Uëlad Sliman in die Rede. „Allah akbar, Gott ist groß! So ist dieser Dein Effendi der Fremdling, welcher über die Salzkruste des Schott Dscherid nach Kbilli geritten ist?“

„Derselbe.“

„Der dann den Krumir über den Schott gejagt und ihn gefangen genommen hat?“

„Ja.“

„Der später in der Mahara er rad, in der Höhle

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des Donners, den schwarzen Panther erschossen hat, um das Kind des Dschellad zu erretten?“

„Er ist es.“

„Handullillah, Preis und Dank sei Allah! Da weiß ich allerdings, daß wir nichts zu fürchten haben. Ich bin in jenen Gegenden gewesen und habe mir von diesem Emir Kara Ben Nemsi viel, sehr viel erzählen lassen; ich weiß, daß er Zaubergewehre besitzt und von keinem Feinde jemals überwunden werden kann, sondern sie alle besiegt.“

Und sich zu mir wendend, fuhr er fort:

„O, Effendina, verzeihe mir, daß ich Angst hatte! Ich wußte nicht, was für einen Gast ich in meinem armen Zelte habe. Nun ist es grad so gut, als ob kein einziger Tedetu vorhanden wäre.“

„So ist es allerdings,“ antwortete ich, um ihn in seinem Vertrauen zu bestärken und dadurch von seiner Sorge zu befreien. „Ihr habt von dieser Tibbuschaar nichts zu befürchten. Du wirst gleich sehen, wie ich mit diesem Menschen hier umspringen werde, der es gewagt hat, mich zu bedrohen.“

Es ist kaum glaublich, wie in jenen Gegenden, wo die Nachrichten nur von Mund zu Mund gehen können, die Fama eine ganz gewöhnliche That, ein ganz alltägliches Vorkommniß zu vergrößern vermag. Jeder Erzähler fügt Etwas hinzu, und da die Phantasie des Beduinen eine außerordentliche ist und er sich überhaupt sehr gern in Ueberschwänglichkeiten ergeht, so wird aus einer einfachen Begebenheit bald ein großartiges Ereigniß und aus diesem Ereignisse dann eine ungeheuerliche Heldenthat, welcher Jedermann Glauben schenkt, obgleich jedes Kind einsehen

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müßte, daß eine solche That rein unmöglich ist. So war aus meinem Repitirstutzen ein Zaubergewehr geworden, aus welchem ich tausendmal hinter einander schießen konnte, ohne laden zu müssen. So lächerlich dies klang, so lieb war es mir, weil mir im Falle einer Gefahr diese Fabel mehr Schutz bot, als die Waffe selbst.

Der besinnungslos am Boden liegende Tedetu begann, sich zu regen; ich knüpfte seine Hüftschnur los und band ihm mit derselben die Arme fest an den Leib. Er kam zu sich, wollte auf und konnte nicht; er starrte eine Weile fassungslos um sich; dann kam ihm die Erinnerung dessen, was geschehen war. Er machte abermals eine Anstrengung, aufzustehen und als auch dies keinen Erfolg hatte, weil er sich seiner Hände nicht bedienen konnte, stieß er einen Fluch aus und fauchte mich katzenraubthierartig an:

„Was hast Du mit mir vor, Du Hund? Warum hast Du mich gebunden? Gieb mich augenblicklich frei, wenn Dich Tahaf, unser Anführer, nicht vernichten soll!“

„Hund?“ antwortete ich, bückte mich nieder, faßte ihn mit der Linken bei der Achsel, hob ihn auf, gab ihm mit der Rechten zwei kräftige Ohrfeigen und ließ ihn wieder niederfallen. „So, Bube, werde ich Dir diese Sprache abgewöhnen; merke Dir es!“

Die Wuth trieb ihm beinahe die Augen aus dem Kopfe; zwischen seinen Lippen erschien rother Schaum; er wollte sprechen, brachte aber kein Wort hervor; es war nur ein unartikulirtes Lallen zu hören. Hätte er gekonnt, so hätte er mich augenblicklich zerrissen.

„Und nun paß auf, was ich Dir sage!“ fuhr ich fort. „Dein Anführer fordert meine Auslieferung; wahrscheinlich will er mich kennen lernen, weil er mich noch

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nicht kennt. Das kann aber auch ganz gut und leicht geschehen, indem ich hier im Zelte bei meinem Gastfreunde bleibe. Ich werde Dich jetzt gehen lassen, damit Du diesem Tahaf folgende Antwort bringst: Ich bin der Gast des Scheikes und bleibe hier; Ihr habt nicht um Gastfreundschaft gebeten und geht also fort. Ihr habt Euch das Recht, hier zu lagern, angemaßt und ich werde Euch zeigen, daß Ihr es nicht besitzet. Ich befehle Euch, dieses Duar augenblicklich zu verlassen.“

„Zwing uns doch!“ zischte er mich an. „Wir werden Dich vernichten und in die Dschehennah schicken!“

„Ja, ich zwinge Euch und wenn Jemand von uns in die Dschehennah geht, so werdet Ihr es sein.“

Ich zog ihn wieder empor, deutete zur Zeltthür hinaus und erklärte ihm:

„Siehst Du Euer größtes Zelt da drüben? Es ist jedenfalls dasjenige, welches Tahaf gehört. An der Querstange sind acht Trinkgefäße aus Kürbisschale an dünnen Riemen aufgehängt. Ich werde diese Riemen mit meiner Zauberbüchse zerschießen, so daß die Kürbisse herunterfallen. Paß auf, ich thue es!“

„Das kann kein Mensch!“

„Ich kann es sogar, ohne daß ich lade.“

Ich legte den Stutzen an und zielte kurz. Acht Schüsse und es hing kein Kürbiß mehr an der Stange.

„Maschallah! Allah ja ’lam el Geb — Gottes Wunder! Allah kennt das Verborgene!“ rief der Tedetu aus, ganz baff vor Erstaunen. „Wahrhaftig, das ist ein Zaubergewehr, welches nur der Scheïtan (Teufel) für Dich angefertigt haben kann. Gott verbrenne Dich!“

„Nicht mich, sondern Euch wird er verbrennen. Siehst

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Du, daß Eure Männer kommen und das Wunder anstaunen? Geh’ jetzt zu ihnen und sag’ Tahaf, daß er fortziehen soll! Ich werde hier in diesem Zelte verborgen sein und aus demselben zu Euch hinüberschießen. Um Euch Zeit zu geben, die Zelte abzubrechen und die Kameele zu satteln, werde ich Euch eine Viertelstunde erlauben, doch nicht mehr; seid Ihr dann noch nicht zum Aufbruche fertig, so schieße ich, erst ein Kameel, dann einen Mann, dann wieder ein Kameel und wieder einen Mann, bis Ihr entweder fort oder alle erschossen seid mit sammt Euern Thieren.“

Er sah mir starr in das Gesicht; er hätte gern einen Zweifel oder eine Drohung ausgesprochen, wagte es aber nach dem Vorangegangenen nicht.

„Also geh, und melde es! Beim Barte Eueres Propheten, ich halte Wort!“

„Wir werden uns wehren!“ stieß er jetzt doch hervor.

„Und dabei untergehen! Du hast gesehen, wie schnell ich schieße. Ehre Ihr herüberkämet, hätten meine Kugeln Euch von der Erde weggefressen. Warne Deine Tibbu ja, und sag’ ihnen, daß ich Jeden von ihnen, der nur zehn Schritte von Eurem Zelten nach uns herüber macht, augenblicklich erschießen werde. Ihr habt nach der anderen Seite abzuziehen. Geh!“

„So kann ich nicht gehen,“ wandte er ein.

„Warum nicht?“

„Weil meine Arme gebunden sind.“

„Nur aufstehen konntest Du nicht, da ich Dich aber aufgerichtet habe, kannst Du trotz Deiner Fesseln gehen!“

„Sollen meine Gefährten sehen, daß ich überwältigt und beschimpft worden bin?

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„Ja, das sollen sie; das ist Deine Strafe. Wärest Du höflich gewesen, so könntest Du jetzt frei von hinnen gehen. Du hast diese Behandlung durch Deinen „Giaur“ und „Hund“ verschuldet.“

Er zögerte noch.

„Marsch fort!“ befahl ich ihm und schob ihn zur Thür hinaus.

Er that einige Schritte, wendete sich dann um und knirschte mir grimmig zu:

„Allah verderbe Dich in die tiefste Dschehenna hinab!“ Hierauf setzte er seinen Weg wankenden Schrittes fort.

„Du wagst viel, Effendi!“ warnte mich der Scheik.

„Es ist hier von keinen Wagnissen die Rede.“

„O doch!“

„Inwiefern?“

„Wenn sie nun alle plötzlich herüberkommen!“

„Stehe ich nicht hier mit der Zauberbüchse in der Hand? Und wenn sie noch so rasch wären, meine Kugeln würden doch noch schneller sein. Du brauchst keine Sorge zu haben.“

„Bedenke, wie wüthend Tahaf sein wird!“

„Seine Wuth ist ohnmächtig; ich fürchte ihr nicht.“

„Ja, wir fürchten weder ihn noch seine Wuth,“ stimmte Ali bei. „Wir sind groß und erhaben in allen Dingen.“ Wir kennen alle Wissenschaften und alle Dinge im Himmel und auf Erden und sogar Alles, was sich unter der Erde befindet. Niemand kann uns widerstehen!“

Der Prahlhans! Mir war gar nicht so wohl so Muthe, wie ich mich stellte. Ja, ich fürchtete mich freilich nicht; ich wußte, daß ich mit Hülfe meines Henrystutzens mit allen diesen Tibbu fertig werden würde, wenn ich sie tödten wollte; aber das wollte ich nicht.

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Ein Menschenleben zerstört man nicht so leichten Herzens. Wenn ich mich so kaltblütig stellte, so rechnete ich auf die Angst, die sie vor meinem Gewehre haben würden; das war meine ganze Ueberlegenheit.

Ich sah den Tedetu zu den Seinen treten, welche alle vor dem einem Zelte standen und die Flaschenkürbisse betrachteten. Sie staunten natürlich darüber, ihn in Fesseln zu sehen. Er erzählte. Sie gestikulirten heftig und schrieen dazu. Sie griffen nach ihren Waffen und schienen herüberkommen zu wollen. Da steckte ich den Lauf meines Gewehres zu dem Zelte hinaus; sie sahen das und blieben halten. Sie beriethen, und kamen zu keinem Ergebnisse. Entweder nahmen sie meine Drohung nicht ernst, weil sie den Stutzen noch nicht kannten, oder ihr Stolz sträubte sich dagegen, vor einem einzelnen Menschen davonzulaufen.

So vergingen fünf Minuten — zehn Minuten — eine Viertelstunde. Wenn ich meinen Zweck erreichen wollte, so durfte ich nicht schwach, nicht nachsichtig sein. Sie mußten erfahren, daß ich mein Wort hielt. Ein Kameel mußte zum Opfer fallen. Schade um das Thier, aber es ging nicht anders.

Ich zielte auf eines ihrer Thiere und drückte ab; es brach augenblicklich zusammen. Ein vielstimmiger Wuthschrei war die Antwort, doch machten sie noch immer keine Anstalt, die Zelte abzubrechen. Nun gut! Ich trat vor das Zelt hinaus und rief hinüber:

„Hört, Ihr Söhne vom Tibbustamme! Ich habe gesprochen, und werde nun handeln. Dieses Mal sei noch das Leben geschont, ich will nur verwunden, nicht tödten.

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Beim nächsten Male aber giebt es keine Gnade. Meine Kugel trifft Tahaf in den rechten Ellenbogen.“

Zugleich mit dem letzten Worte krachte ein Schuß. Tahaf zuckte zusammen und schrie laut auf. Die Kugel war ihm genau durch den Ellenbogen gegangen. Im nächsten Augenblicke war kein Tedetu mehr zu sehen. Sie hatten sich hinter ihre Zelte retirirt, welche sich bald darauf zu bewegen begannen; man brach sie also ab. Meine Strenge hatte endlich die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht. Ich hätte freilich noch strenger sein und Tahaf erschießen können, wenn mir ein Menschenleben weniger gegolten hätte.

Ich spielte trotz alledem ein gewagtes Spiel. Meine Gegner waren nicht nur wilde Tibbu, sondern die brutalsten Muhammedaner, die es nur geben kann; dazu kam, daß ich ihren Anführer verwundet hatte. Es war fast ein Mirakel zu nennen, daß sie nicht trotz meines vielschüssigen Gewehres herübergerannt kammen, um mich umzubringen. Mein Verhalten gegen ihren Boten mußte einen solchen Eindruck auf sie hervorgebracht haben, daß sie sich doch vor mir, dem einzelnen Manne, fürchteten.

Das war mir aber noch nicht genug; die augenblickliche Angst konnte schwinden, so daß sie den Angriff auf mich doch noch versuchten; ich mußte sie im Athem halten, indem ich noch eines ihrer Kameele erschoß. Sie brauchten ihre Thiere so nothwendig, daß sie dann gewiß kein weiteres meinen Kugeln aussetzten. Ich wartete also nur noch eine oder zwei Minuten und gab dann den nächsten Schuß ab, welcher sein Ziel so genau wie die vorigen traf.

Als das Kameel niederstürzte, antwortete abermals

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ein vielstimmiger Schrei; dann wurde es für kurze Zeit sehr ruhig; man schien zu berathen. Hierauf trat ein Tedetu hinter dem Zelte hervor, hob wie abwehrend die Arme in die Höhe und rief aus:

„Halt ein! Schieß nicht mehr! Wir reiten fort.“

„Aber schnell, sonst schieß ich dennoch!“ antwortete ich, indem ich das Gewehr im Anschlage behielt.

Jetzt arbeiteten sie außerordentlich schnell an dem Niederlegen der Zelte und dem Zusammenbinden der Leinwand und der Stangen. Dabei konnten sie sich nicht verstecken; sie mußten sich sehen lassen, so daß es mir leicht gewesen wäre, noch einige von ihnen zu erschießen. Das that ich natürlich nicht; ich war vielmehr froh, daß sie nichts Feindseliges gegen mich unternahmen. Ich stand zwar im Innern des Zeltes, aber der Lauf meines Gewehres, welches aus demselben hervorragte, mußte ihnen die Stellung, welche ich einnahm, verrathen, so daß es Jedem von ihnen leicht gewesen wäre, mich aus einem verborgenen Hinterhalte aus mit seiner Kugel zu treffen. Doch wagte Keiner, dies zu thun, ein sicheres Zeichen des Respectes, in welchen ich mich bei ihnen gesetzt hatte.

Nach kurzer Zeit waren sie fertig und beluden ihre Kameele mit den Zelttheilen und sonstigen Geräthschaften, worauf Sie aufstiegen und davonritten. Tahaf war der Letzte von ihnen. Ich sah, daß er sich seinen zerschossenen Ellbogen hatte verbinden lassen. Wegen dieser Verwundung konnte er nicht ohne Hülfe in den Sattel steigen; er mußte sich dabei unterstützen lassen. Als er oben saß, drehte er sich nach dem Zelte, in dem ich mich befand, um, erhob den unverletzten linken Arm, machte eine Faust und rief in drohendem Tone zu mir herüber:

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„Allah rhinalek — Gott verfluche Dich! Wir müssen jetzt weichen; aber wir sehen Dich wieder, und dann werde ich mit Dir Abrechnung halten!“

„Schieß ihn nieder, Sihdi,“ forderte Ali mich auf.

„Nein,“ antwortete ich, indem ich das Gewehr senkte, welches ich bis jetzt hoch gehabt hatte.

„Warum nicht? Er hat Dich bedroht!“

„Drohungen schaden nichts.“

„Er wird sie aber ausführen!“

„Das wird ihm nicht gelingen.“

„Effendi, sei nicht allzu zuversichtlich!“ warnte mich der Scheik. „Kennst Du diese Tibbu genau?“

„Ich kenne sie.“

„So mußt Du wissen, daß dieser Tahaf nicht ruhen wird, bis er sich gerächt hat!“

„Seine Rache erreicht mich nicht!“

„O doch! Wenn Du so unbesorgt bist, wird sie dich ganz sicher treffen. Weißt Du, was Du vergossen hast?“

„Sein Blut.“

„Ja, sein Blut. Und kennst du das Gesetz der Rache?“

„Ich kenne es.“

„So sag, wie es lautet!“

„Es heißt: Ed dem b’ed dem, en nefs b’en nefs — Blut um Blut, Gleiches mit Gleichem.“

„Richtig! Er wird Dein Blut von Dir fordern. Soll ich Dir sagen, welchen Plan er haben wird?“

„Nein, denn ich weiß es, ohne daß es mir gesagt wird.“

„Nun?“

„Er wird uns heut in der Nacht überfallen wollen.“

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„Ja, diesen Vorsatz hat er ganz gewiß gefaßt. Wir müssen uns auf einen Angriff vorbereiten. Am Besten ist’s, wir brechen unsere Zelte auch ab und entfernen uns, bis die Tibbu diese Gegend verlassen haben.“

„Das ist nicht nöthig!“

„Nicht? Sie werden aber ganz gewiß in dieser Nacht kommen, um sich zu rächen.“

„Ich werde Euch beschützen. Verlaß Dich auf mich!“

Er schüttelte langsam den Kopf und sagte:

„Effendi, Du weißt, daß ich von Dir gehört habe und Dich für einen sehr tapfern Krieger halte; aber wie kannst Du, ein einzelner Mann, unser ganzes Duar in Schutz nehmen?“

Da fiel Ali schnell ein:

„Wie er das thun kann? Das laß nur Sache meines Sihdi sein! Er weiß stets ganz genau, was er zu thun hat. Er und ich, wir Beide sind die größten Helden, die es in der großen Wüste giebt, und wenn wir versprechen, daß wir Euch beschützen werden, so könnt Ihr sicher sein, daß — — —“

„Daß es für Dich viel besser ist, zu schweigen, als solche Reden zu halten,“ unterbrach ich ihn.

Und mich an den Scheik wendend, fuhr ich fort:

„Ich muß zunächst erfahren, wo die Tibbu lagern werden; ich werde ihnen also folgen. Dazu taugen unsere Kameele nichts. Willst Du mir zwei Pferde leihen?“

„Gern. Aber warum zwei?“

„Weil ich nicht allein reite; es soll mich einer von Deinen Kriegern begleiten.“

„Welcher?“

„Das magst Du selbst bestimmen. Er muß ein

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tapferer, listiger und gewandter Mann sein und die Sprache der Tibbu gut verstehen.“

„Warum das?“

„Weil ich sie belauschen möchte.“

„Um Allahs willen, thut das nicht, denn sie werden Euch bemerken und erwischen!“

„Nein. Ich habe gelernt, mich einem Feinde ganz unbemerkt zu nähern.“

Er hatte keine Ahnung von der Art und Weise, in welcher z. B. ein nordamerikanischer Indianer seinen Gegner beschleicht und belauscht, und es dauerte noch einige Zeit, ehe er Denjenigen bestimmte, der mich begleiten sollte. Am liebste hätten ich Ali mitgenommen; aber dieser war der Tibbusprache nicht so mächtig, wie ich es für nothwendig hielt. Eben verschwanden die Tibbu am östlichen Horizonte, als wir uns auf die Pferde setzten und ihnen nachritten. Ich hatte mein Fernrohr mitgenommen, weil ich es brauchte, um die Tibbu aus so weiter Entfernung zu beobachten, daß sie mich nicht zu sehen vermochten.

Der Uëlad Sliman, den mir der Scheik mitgegeben hatte, war zwar ein noch ziemlich junger Mann, doch stellte es sich heraus, daß die Wahl eine sehr gute gewesen war.

Mit Hülfe des Fernrohres konnte ich den Tibbu vollständig unbemerkt folgen. Es verstand sich ganz von selbst, daß sie die östliche Richtung nur eingeschlagen hatten, um uns zu täuschen. Als ich dies meinem Begleiter sagte, antwortete er:

„Da hast Du ganz recht, Effendi, denn Kairwan liegt doch nicht im Osten von hier.“

„Kairwan?“ fragte ich. „Wie kommst Du denn auf diesen Ort zu sprechen?“

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„Kennst Du diese Stadt?“

„Ich bin in der Nähe gewesen.“

„Aber nicht drin?“

„Nein.“

„Das glaube ich, denn das wäre ein Wagniß gewesen, welches Du wahrscheinlich mit dem Tode bezahlt hättest.“

„Wieso?“

„Weil Kairwan zu den Städten der Gläubigen gehört, die kein Nichtmuhammedaner betreten darf. Jemand, der dort als Christ oder Jude erkannt wird, ist unbedingt verloren. Wie die Anhänger des Propheten nach Mekka und Medina pilgern, so gehen sie auch nach Kairwan. Die Okba-Moschee dort ist eines der heiligsten Gotteshäuser des Islam, das allerheiligste in Afrika, denn in ihr liegt El Waib begraben, welcher der Busenfreund und stetige Gefährte des Propheten war. Wer Kairwan besucht hat, darf sich ebenso gut Hadschi nennen, als ob er in Mekka oder Medina gewesen wäre.“

„Was haben diese Tibbu damit zu thun?“

„Was? Hast Du nicht den grünen Sandschak) gesehen, welcher über dem Zelte Tahafs wehte?“

„Allerdings.“

„Und daß nicht nur die Tibbu, sondern auch ihre Kameele ihre Mesabih✽✽) an den Hälsen hängen hatten?“

„Auch das.“

„Nun, daraus konntest Du erkennen, daß sie auf der Hadsch✽✽✽) nach Kairwan begriffen sind.“

) Fahnen des Propheten. ✽✽) Rosenkränze. ✽✽✽) Pilgerreise.
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„Gut! Kairwan liegt in Tunis, nordwestlich von hier. Wenn die Tibbu nach Osten reisen, so wollen sie uns täuschen. Sie werden einen Bogen reiten und über Süden nach dem Wadi zurückkehren. Paß auf!“

„Das denke ich auch, Effendi. Ich möchte sogar sagen, daß ich den Ort kenne, an dem sie lagern werden.“

„Wo ist das?“

„Sie sind fortgeritten, ohne ihre Schläuche gefüllt zu haben, und brauchen also Wasser. Der eigentliche Brunnen unsers Wadi liegt bei unserm Duar; aber zwei kleine Reitstunden östlich davon giebt es auch eine Stelle, wo man Wasser findet, wenn auch weniger als bei uns. Dort stehen auch Fitna-Sträucher), mit denen sie sich ein Feuer anzünden können. Diese Stelle werden sie aufsuchen, um dort zu lagern und in der Nacht nach unserem Duar zu kommen und uns zu überfallen.“

„Ganz richtig! Ich sehe soeben durch mein Fernrohr, daß sie nach Süden umbiegen.“

„Wollen wir nicht auch diese Richtung nehmen?“

„Nein. Wir bleiben hinter ihnen, ganz genau auf ihrer Spur; das ist besser.“

Soeben hatte die sinkende Sonne den Horizont erreicht, und die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung begann; ich betrachtete deshalb den Tibbutrupp jetzt schärfer als bisher, um mir die Gegend, nach welcher er ritt, genau zu merken, und da sah ich, daß er sich nicht mehr in Bewegung befand, sondern angehalten hatte. Wir hemmten also die Schritte unserer Pferde auch, bis unsere

) Eine Akazienart.
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Gegner weiterritten. Das geschah, als es so dunkel geworden war, daß ich sie kaum noch erkennen konnte.

Nun durften wir uns nicht mehr nähern als bisher. Wir ritten also im Trabe auf die Stelle zu, an welcher sie angehalten hatten. Mein Ortssinn war geübt genug, diesen Ort trotz der Dunkelheit nicht zu verfehlen. Als wir ihn erreichten, schnaubten unsere Pferde und wollten nicht weiter. Wir sahen einige Gegenstände vor uns liegen und stiegen ab, um zu untersuchen, was es sei.

„Roob-Allah — Schreck Gottes! Das sind Leichen!“ rief der Uëlad erschrocken aus.

Er hatte Recht; es waren drei Leichen. Hatten sie schon dagelegen, als die Tibbu hier vorüberkamen? Ich untersuchte sie. Sie waren noch ziemlich warm und ich fühlte Blut an meinen Händen.

„Diese Leute sind von den Tibbu ermordet worden?“ erklärte ich. „Sie begegneten ihnen und wurden getödtet und wahrscheinlich ausgeraubt.“

„Weißt Du das gewiß?“

„Werden gleich sehen.“

Ich untersuchte die Taschen der drei Leichen; sie waren alle leer, und auch in ihren Gürtelschnuren befand sich oder hing nicht der geringste Gegenstand.

„Ja, sie sind von den Tibbu ermordet und beraubt worden,“ wiederholte ich. „Wer mögen sie gewesen sein?“

Der Uëlad Sliman betastete sie und ihre Kleidungsstücke sehr sorgfältig und behauptete dann:

„Wenn mich nicht Alles trügt, so müssen das Leute aus Kufra sein. Was wollen die aber in dieser Gegend?“

„Kommt von dort niemand hierher?“

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„Ganz selten, und dann nur als Führer von fremden Reisenden, die sie begleiten.“

„Wenn dies auch hier der Fall wäre!“

„Fast glaube ich es.“

„Dann hätten die Tibbu den oder die Fremden mit sich fortgeschleppt!“

„Ja, um ein Lösegeld zu erpressen und die Gefangenen dennoch nicht freizugeben, wie sie es zu thun pflegen.“

„Dann müssen wir ihnen schnell nach. Hier können wir nicht mehr helfen. Wollen keine Zeit versäumen. Getraust Du Dir, trotz der Dunkelheit die Wasserstelle zu finden, von der Du vorher gesprochen hast?“

„Ja, ich werde sie nicht verfehlen.“

„Dann fort von hier! Vielleicht ist es uns möglich, ein Menschenleben zu retten.“

So wenig wir hier gethan hatten, es war doch während der Unterhaltung der Leichen eine Viertelstunde vergangen, welche wir einholen mußten. Wir durften uns freilich nicht allzusehr beeilen, wenn wir den Tibbu nicht so nahe kommen wollten, daß sie uns hörten oder überhaupt bemerkten, ehe sie den Lagerplatz erreichten. Ich mußte mich da ganz auf den Uëlad Sliman verlassen. Die Sterne waren zwar aufgegangen, aber sie leuchteten noch nicht hell; die mahlenden Schritte unserer Pferde im tiefen Sande waren weiter zu hören, als wir sehen konnten.

Er rechtfertigte das Vertrauen, welches ich in ihn setzte. Wir mochten, seid wir das Duar verlassen hatten, ungefähr zwei Stunden geritten sein, da leuchtete grad vor uns eine kleine Flamme auf, welche um so größer und heller wurde, je mehr wir uns ihr näherten.

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„Das ist das Lagerfeuer, welches die Tibbu angebrannt haben. Wir reiten doch nicht ganz hin?“ fragte mein Führer.

„Beschreib mir die Stelle! Also es giebt Sträucher dort. Ist die Gegend eben?“

„Nein, denn die Stelle stößt an die obere äußere Seite des Wadi, an deren inneren Seite da unten rechts unser Duar liegt. Diese äußere Thalwand ist eingebogen wie eine kleine, enge Bucht, welche von Fitna-Sträuchern eingefaßt wird. Das Wasser steht im Hintergrunde dieser Bucht.“

„So werden sie da hinten lagern. Hast Du den Muth, durch die Sträucher bis in den Rücken der Tibbu zu kriechen?“

„Ich bin nicht furchtsam, Effendi, und da Du bei mir bist, habe ich erst recht keine Angst.“

„So wollen wir erst seitwärts reiten, um eine Stelle zu suchen, wo wir unsere Pferde lassen können.“

Ein solcher Ort war bald gefunden. Wir kamen an die Felsenhügel, welche die Nordseite des Wadi bildeten, und fanden einige große Steine, an welche wir die Pferde banden. Hierauf unterrichtete ich den Uëlad Sliman eingehend, wie er sich zu verhalten hatte, und dann schlichen wir uns, ich voran und er hinter mir, nach dem Lagerplatz der Tibbu hin. Als wir nahe genug gekommen waren, legten wir uns nieder, um den weiteren Weg kriechend zurückzulegen.

Zu unserem Vortheile war das Feuer nur klein; es leuchtete nur wenige Schritte weit und war doch hell genug, den Schein der Sterne unwirksam zu machen. Erwähnt -

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Erwähnt muß werden, daß wir unsere hellen Haïks) im Duar zurückgelassen hatten; nun waren unsere Anzüge so dunkel, daß sie nicht von dem Erdboden unterschieden werden konnten.

Der Lagerplatz hatte die nach außen offene Form eines Hufeisens. Hinten gab es Wasser; weiter vorn brannte das Feuer, um welches sich die Tibbu gesetzt und gelegt hatten. Außen, vor dieser Bucht, lagen die Kameele. Diese Halbrundung war mit Büschen besäumt, welche aber so dünn standen und so wenig Laub hatten, daß sie uns keine Deckung gewährten. Uns in die Bucht hineinzuschleichen, war also leider nicht möglich. Aber da, wo sie auf unserer Seite begann, sich einwärts zu biegen, gab es einige große Felsstücke, hinter die wir uns verstecken konnten. Wir erreichten sie glücklich und schmiegten uns so eng an sie, daß wir selbst dann, wenn sich ein Tetedu uns näherte, hoffen durften, nicht von ihm bemerkt zu werden.

Die Tibbu ahnten keinen Menschen in der Nähe und sprachen so laut, daß wir jedes Wort hören konnten — — verstehen aber konnte ich nichts; ich beschäftigte also meine Augen mehr als meine Ohren.

Tahaf saß aufrecht am Feuer und trug seinen rechten Arm in einer improvisirten Binde. Neben ihm saß finsteren Blickes ein Mann, dessen Hände und Füße gefesselt waren. Er mochte dreißig Jahre alt sein. Sein von einem schönen, blonden Vollbarte umrahmtes Gesicht war von der Sonne dunkel gebrannt. Die Farbe seiner Augen zu erkennen, war mir nicht möglich; aber ein Gesicht mit einem solchen Barte konnte nur blaue Augen

) Mäntel.
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haben. Wer war dieser Mann? Ein Beduine jedenfalls nicht. Wohl gar ein Europäer! Es stand sofort bei mir fest, daß ich diesen Ort nicht verlassen würde, ohne ihn befreit zu haben. Aber wie?

Die Räuber unterhielten sich, wie schon erwähnt, sehr eifrig und verzehrten dabei ihr frugales Abendessen. Dieses bestand aus Kuskussu, Mehl, welches sie mit den Fingern in kaltem Wasser einrührten und dann auch so mit den Fingern aßen. Die Gefäße, deren sie sich dabei bedienten, waren solche ausgehöhlte Kürbisschalen, wie ich heut welche von der Zeltstange geschossen hatte. Seitwärts von dem Feuer und zwar außerhalb des Kreises, den die Tibbu bildeten, lag ein kleiner Haufe von Gegenständen, welche die Objekte ihres Gespräches zu sein schienen. Das waren jedenfalls die Sachen, welche sie dem Gefangenen und seinen Begleitern abgenommen hatten.

Tahaf aß von demselben Gerichte wie seine Leute. Den Blicken, welche er dabei auf den Blonden warf, sah ich es an, daß er vorhatte, ihn nach dem Essen ins Verhör zu nehmen; darum stieß ich meinen Gefährten an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und fragte ihn.

„Verstehst Du, was sie sprechen?“

„Ja.“

„Wovon reden sie?“

„Von dem Fremden.“

„Wer ist er?“

„Sie wissen es nicht; er hat es ihnen nicht gesagt.“

„Was soll mit ihm geschehen?“

„Er giebt ein Lösegeld, wird aber trotzdem nicht freigelassen. Sagt er aber jetzt nach dem Essen nicht,

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wer er ist und ob er reich ist, so wird er sofort getödtet.“

„Wir retten ihn!“

„Maschallah, Wunder Gottes! Auf welche Weise?“

„Ich habe keine Zeit, zu warten und zu überlegen; es giebt also nur eine Art und Weise. Ich hole ihn heraus!“

„Den Fremden?“

„Nein, denn da würde ich ihn vielleicht retten, aber sein Eigenthum würde für ihn verloren sein.“

„Wen meinst Du denn?“

„Tahaf.“

„Effendi, das ist wahnsinnig! Wir würden den Gefangenen nicht nur nicht befreien, sondern mit ihm verloren sein.“

„Nein. Ich weiß, wie man so Etwas zu machen hat. Es ist allerdings gefährlich, höchst gefährlich, aber es wird gerade deshalb gelingen, weil die Tibbu es für ganz unmöglich halten. Die Hauptsache ist, daß Du thust, was ich Dir sage.“

„Ist es schwer?“

„Nein. Du bist doch kräftig genug, einen Menschen zu tragen?“

„Ja, Effendi.“

„So hast Du hier mein Gewehr; halte es einstweilen! Es würde mir im Wege sein. Paß genau auf! Ich springe mitten unter die Tibbu hinein und hole Tahaf heraus. Du bleibst hier versteckt, bis ich ihn bringe. Da giebst Du mir das Gewehr wieder, nimmst ihn und trägst ihn so rasch wie möglich zu unseren Pferden — — —“

„Er wird sich wehren!“ unterbrach er mich.

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„Nein, denn er wird bewußtlos sein. Bei den Pferden angekommen, legst Du ihn hin, bindest sie los, und wartest, bis ich komme. Ich steige auf; Du hebst ihn zu mir hinauf und springst auch in den Sattel; dann reiten wir fort.“

„Aber, Effendi, das ist ja — — —“

„Still!“ fiel ich ihm in die Rede. „Ich sehe, daß Tahaf beginnen will. Hier nimm das Gewehr! Kein Wort weiter! Es wird alles leicht und schnell von statten gehen!“

Ich konnte mich nicht länger mit dem Uëlad Sliman abgeben, denn ich sah und hörte, daß Tahaf mit dem Gefangenen zu reden begann, und zwar in der Tibbusprache, welche dieser nicht zu verstehen schien, denn er antwortete nicht. Da bediente sich der Tedetu des Arabischen; ich hörte ihn sagen:

„Dein Leben hängt an diesem Augenblicke. Antwortest Du nicht, so fährst du in einigen Minuten in die Hölle. Also sag uns, wer Du bist!“

„Ich bin ein Mann, der Raubmördern keine Auskunft giebt.“

Das war kühn! Ich stand sprungfertig.

„Hund!“ fuhr Tahaf ihn an, indem er aufstand, sich drohend vor ihn hinstellte und die linke Hand zur Faust ballte. „Es kostet mich nur einen Wink, so bist Du eine Leiche! Sag’ augenblicklich, woher Du kommst!“

„Das brauchst Du nicht zu wissen!“

„Bist Du reich!“

Die nächste Antwort entschied über Leben und Tod; das sah ich. Wenn der Fremde die Auskunft wieder verweigerte, -

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verweigerte, so gab Tahaf den von ihm erwähnten Wink. Ich durfte nicht zögern. Der Anführer der Tibbu stand vielleicht zwölf Schritte von mir entfernt, und zwar mit dem Rücken nach mir gerichtet. Aller Augen hingen an ihm und an dem Gefangenen. Fünf, sechs schnelle Sprünge, und ich stand hinter ihm, nahm ihn mit der linken Hand bei der Kehle, schlug ihm die rechte Faust an die Schläfe, warf ihn mir über die Schulter und eilte zurück.

„Hier hast Du ihn! Mein Gewehr her, und fort, fort!“

Ich bekam den Stutzen, den ich allein mitgenommen hatte, und der Uëlad Sliman packte den besinnungslosen Tedetu, um mit ihm fortzueilen. Das war so schnell geschehen, daß bis jetzt kein einziger der Tibbu sich bewegt oder einen Laut von sich gegeben hatte. Sie saßen starr. Der Felsen deckte mich; ich legte hinter demselben hervor das Gewehr auf sie an und rief:

„Seht hier die Zauberflinte! Wer sich von der Stelle bewegt, den trifft die Kugel! Bleibt Ihr aber sitzen, so wird keinem Menschen und auch Tahaf nichts geschehen!“

Sie saßen noch immer wie hypnotisirt.

„Wer ist nach Tahaf der Oberste von Euch?“ fragte ich.

Niemand antwortete.

„Antwortet, sonst frißt Euch mein Zaubergewehr! Wer ist der Oberste von Euch?“

„Dieser,“ antwortete endlich einer, indem er auf denjenigen Tedetu zeigte, der heut’ als Bote in dem Zelte des Scheiks bei uns gewesen war.

„Ah, Du also?“ wendete ich mich an diesen. „Ich spreche mit Dir und Du wirst mir antworten, sonst

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schieße ich Dich nieder. Du kannst Dir denken, daß ich nicht allein hier bin. Tahaf befindet sich schon jetzt in Sicherheit; er ist verloren, wenn Ihr mir nicht gehorcht. Binde dem Gefangenen augenblicklich die Hände und die Füße los!“

Die Angst trieb ihn, diesem Befehle nachzukommen; schon hatte er die Hände dazu ausgestreckt; da zog er sic wieder zurück.

„Vorwärts, schnell! Ich zähle nur bis drei: Ein — zwei — — —“

Jetzt gehorchte er. Der Fremde war nicht mehr gefesselt.

„So wird dieser Mann bleiben, damit er frei ruhen und schlafen kann. Ihm darf nichts geschehen. Jedes Leid, welches Ihr ihm zufügt, kostet Tahaf das Leben. Dieser ist unser Gefangener und wird gegen den Eurigen ausgewechselt werden. Ihr bleibt bis zur Morgenröthe hier an dieser Stelle. Wenn einer von Euch diesen Ort eher verläßt, so ist Tahaf verloren. Sobald die Morgenröthe erscheint, kommen zwei von Euch mit dem Gefangenen nach dem Duar, bleiben aber fünfhundert Schritte vor demselben halten. Er muß Alles wiederbekommen, was Ihr ihm abgenommen habt. Fehlt nur ein einziger Gegenstand, so kommt Tahaf nicht frei. Hast Du es gehört?“

„Ich bin nicht taub! Allah vernichte Dich!“ antwortete er. Die Andern schwiegen. Der Fremde rief mir zu:

„Herr, wer bist Du? Wem verdanke ich diese Rettung?“

„Das wirst Du früh erfahren.“

„Kannst Du mich nicht jetzt gleich mitnehmen?“

„Nein. Du bist hier nun ebenso sicher wie bei mir.“

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„Werden sie mich wirklich ausliefern?“

„Ja, denn es gilt das Leben ihres Anführers. Bring mir die Riemen her, mit denen Du gebunden warst.“

„Ich kann nicht gehen; ein Schuß hat mich in das Bein getroffen, als diese Tibbu uns überfielen.“

„Sie mögen Dich jetzt gut verbinden, wenn sie das Leben Tahafs retten wollen! Jetzt bin ich fertig. Allah erleuchte Eure Gedanken, sonst sehr Ihr Euern Scheik niemals wieder!“

Ich trat hinter den Felsen zurück und blieb einige Augenblicke lauschend stehen. Keiner bewegte sich; sie hatten Angst. Da sprang ich fort, nach der Stelle, an welcher der Uëlad Sliman mich erwartete.

„Hamdulillah, daß Du kommst, Emir!“ empfing er mich. „Du bist ihnen entgangen? Welch ein Wunder! Wer konnte so Etwas für möglich halten!“

„Es war leichter, als Du denkst. Du hast Deine Sache gut gemacht; ich muß Dich loben!“

„O, ich war kaum hier angelangt, so kam dieser Tahaf schon wieder zu sich. Ich habe ihn aber schnell gefesselt und ihm einen Knebel in den Mund gesteckt.“

„Das war gut! Hattest Du Riemen oder Stricke? Ich wollte mir welche geben lassen.“

„Ein Ben Arab) hat stets so Etwas bei sich. Wann reiten wir fort von hier?“

„Sogleich. Reich mir den Kerl herauf!“

Ich stieg in den Sattel und nahm den Gefangenen quer vor mich hin; dann ging es im Trabe nach dem Duar zurück. Es läßt sich denken, welches Aufsehen wir

) Araber.
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mit der Erzählung dessen, was geschehen war, erregten. Die guten Leute erschraken zunächst; sie fürchteten die Rache der Tibbu, als ich ihnen aber erklärte, daß ich Tahaf nicht eher freilassen würde, als bis er den heiligsten Eid abgelegt hatte, sich nicht zu rächen, da beruhigten sie sich.

Der Gefangene wurde in das Zelt des Scheikes geschafft und da festgebunden, wo auch ich wieder mein Unterkommen fand. Man hatte bis jetzt mit dem Essen auf uns gewartet und es läßt sich denken, daß ich es mir nach dem gelungenen Streiche sehr gut schmecken ließ. Der Gefangene bekam — — nichts.

Die Uëlad Sliman waren nicht ganz ohne Sorge, daß die Tibbu doch wohl kommen könnten, um ihren Anführer zu befreien; ich aber war vollständig überzeugt, daß sie dies nicht wagen würden, weil sie dadurch sein Leben in die größte Gefahr bringen mußten und es gelang mir, den Scheik zu beruhigen. Er gab mir Recht, hielt es aber doch nicht für überflüssig, einige Wachen auszustellen, wogegen ich ganz und gar nichts hatte.

Tahaf befand sich in einem Zustande ohnmächtiger Wuth und überschüttete mich zunächst mit Schmähungen, die ich so ruhig hinnahm, als ob ich gar nichts hörte. Nach und nach aber kam er zur Einsicht, daß ihm dies keinen Vortheil bringe; er nahm einen andern Ton an und versuchte, mit mir zu handeln.

„Dieser Fremde soll Euch gegen mich ausgeliefert werden,“ sagte er, „aber die Beute, welche wir gemacht haben, geben wir nicht wieder her!“

„Laß Dich nicht auslachen!“ antwortete ich. „Wir geben Dich frei und Du behältst Alles, was Du bei Dir trägst, und Ihr laßt ihn frei mit Allem, was ihm gehört.“

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„Da mach ich nicht mit!“

„Ob Du mitmachen willst oder nicht, darauf kommt nichts an; Du hast hier gar keinen Willen. Sei froh, daß ich nicht viel strengere Bedingungen gestellt habe!“

„Was könnte strenger sein?“

„Der Blutpreis für die drei, welche Ihr getödtet habt!“

„Fahr’ zur Hölle!“

Ohne diesen Wunsch zu beachten, fuhr ich fort:

„Es kam mir nur darauf an, ihn zu retten; seine todten Gefährten gehen mich nichts an. Was er, wenn er frei sein wird, in Beziehung auf sie thun will, das ist seine Sache. Ich bleibe aber desto strenger bei meiner Forderung. Du wirst gegen ihn ausgewechselt: er bekommt sein sämtliches Eigenthum, und Du schwörst bei Allah, dem Propheten und allen Kalifen, daß Du diese Gegend sofort verlassen und Dich an den Bewohnern des Duars nie rächen wirst.“

Er fuhr trotz seiner Fesseln halb empor und fragte höhnisch:

„Etwa nicht auch an Dir?“

„Meine Person kommt gar nicht in Betracht. Räche Dich an mir, so oft und so sehr Du willst. Ueber die Rache eines Wurms, wie Du bist, lache ich.“

„So lache jetzt! Es wird die Zeit kommen, wo Du nicht mehr lachen, sondern vor Entsetzen heulen wirst!“

Diese Drohung ließ mich natürlich kalt und raubte mir keine Minute von dem Schlafe, der mich dann in die Arme nahm. Während ich schlief, saß neben mir ein Uëlad

303

Sliman, welcher Tahaf streng zu bewachen hatte und uns beim Grauen des Tages wecken mußte.

Als dies Letztere geschehen war, nahmen wir den Gefangenen entscheidend vor. Er weigerte sich wieder, auf meine Bedingungen einzugehen.

„Gut, so ziehe ich das, was ich gesagt und versprochen habe, nun zurück,“ erklärte ich. „Ich gebe Dich also nicht frei. Du wirst unser Gefangener bleiben und wegen der drei Männer, welche Ihr gestern ermordet habt, zur Rechenschaft gezogen und auf das Strengste bestraft werden.“

„Und unser Gefangener wird das mit dem Leben bezahlen müssen!“ antwortete er höhnisch.

„Da verrechnest Du Dich! Dieser Gefangene wird in sehr kurzer Zeit seine Freiheit zurückerhalten.“

„Meine Krieger geben ihn nicht her, wenn ich nicht dabei bin und es ihnen erlaube!“

„Dich brauche ich nicht dabei. Du weißt, was ich zu ihnen gesagt habe. Es werden nur zwei von ihnen kommen und ihn bringen. Mit diesen Beiden werde ich schnell fertig. Ich bedarf nicht der geringsten Hülfe dabei.“

„Entweder bist Du der Scheïtan) selbst, oder der Schejatin✽✽) giebt Dir diese Gedanken ein!“ fuhr er mich wüthend an.

„Beleidige mich nicht , sonst hörst Du kein Wort mehr von mir. Du siehst, daß es Tag werden will; ich gehe, um Deine beiden Krieger zu empfangen, und frag’ Dich zum allerletzten Mal: Willst Du thun, was ich von Dir verlange?“

) Singular von Teufel. ✽✽) Plural von Teufel.
304

„Nein!“

„So sind wir fertig!“

Ich stand auf und nahm meine Gewehre zur Hand; der Scheik und Ali thaten dasselben. Sie verließen das Zelt, und ich folgte ihnen. Eben ließ ich den Thürvorhang hinter mir fallen, da beeilte er sich, uns nachzurufen:

„Halt, kommt zurück! Ich will einverstanden sein!“

Wir gingen wieder hinein, und er bequemte sich endlich zu den Versprechungen, die ich von ihm gefordert hatte, und die er mit einem Schwure, den ihm der Scheik als Muhammedaner vorsagte, bekräftigen mußte. Hierauf banden wir ihn los und nahmen ihn mit hinaus.

Es schlief kein Mensch mehr, sondern alle Bewohner des Duar waren wach, um zu sehen, ob die Auswechslung der beiden Gefangenen so glatt vor sich gehen werde, wie ich gesagt hatte. Alt und Jung, Mann, Weib und Kind lief mit hinaus vor das Zeltdorf. Eben begann der Himmel, sich zu röthen, und Aller Blicke waren gegen Osten gerichtet, da sahen wir eine Reiterschaar von dorther langsam näherkommen. Es waren die Tibbu. Sie blieben, als sie uns bemerkten, halten, und von ihnen trennten sich drei Reiter, welche drei ledige Kameele mit sich führten und ungefähr fünfhundert Schritte von uns anhielten. Diese ledigen Kameele hatten den drei ermordeten Begleitern ihres Gefangenen gehört. Sie mußten natürlich mit ausgeliefert werden.

Der Scheik und ich nahmen Tahaf, welcher an den Händen gefesselt war, in die Mitte und gingen ihnen entgegen. Fünfzig Schritte von ihnen blieben wir stehen. Ich nahm meinen Stutzen in die Höhe und rief ihnen zu:

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„Wir kommen in Frieder; aber bei der geringsten verdächtigen Bewegung werde ich Tahaf und Euch erschießen! Hat Euer Gefangener Alles von Euch zurückerhalten?“

„Ich habe Alles,“ antwortete er selbst.

„Es fehlt Dir nichts?“

„Gar nichts!“

„Ist Deine Wunde verbunden worden?“

„Ja.“

„Wurdest Du seit gestern Abend, als ich Euch verließ, vielleicht schlecht behandelt?“

„Ich kann nicht klagen.“

„Willst Du Deine drei todten Gefährten rächen?“

„Nein.“

„So forderst Du nur den Blutpreis von den Mördern?“

„Auch nicht. Diese Männer gingen mich nichts an; sie hatten sich nur zufällig zu mir gesellt.“

„So sind wir mit diesen Tibbu fertig. Komm her mit den drei Kameelen! Tahaf mag auch gehen!“

Dies geschah. Die Beiden begegneten sich auf der Mitte zwischen den Partheien. Die Tibbu zerschnitten die Fesseln ihres Anführers; er bestieg sein Kameel, und dann ritten sie davon, nicht gen Osten wie gestern, sondern nach Westen zu. Der Fremde ließ sein Kameel niederknieen, stieg ab, kam auf mich zu, ergriff meine beiden Hände und sagte:

„Endlich bin ich frei und kann Dir danken! Du hast mich vom sicheren Tode errettet, Herr. Wie glücklich würde ich sein, wenn ich es Dir vergelten könnte! Wer sind diese Leute?“

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„Die Bewohner dieses Duar. Sie gehören zu dem berühmten Stamme der Uëlad Sliman.“

„Du auch?“

„Nein. Ich bin ebenso ihr Gast, wie Du es sein wirst.“

„Ja, sei unser Gast! Wir heißen Dich willkommen!“ sagte der Scheik zu ihm, indem er ihn bei der Hand ergriff. „Komm mit in mein Zelt! Alles was Dir gehört, ist bei uns so sicher und so gut aufgehoben, als ob Du es bei Dir, bei Deinem eigenen Stamme hättest.“

Er führte ihn in das Duar und in sein Zelt. Die Frauen sangen laut ihr „Ahla wa sahla wa marhaba“), und die Kinder stimmten in dasselbe ein.

Ich war gewöhnt, stets vorsichtig zu sein, und bat den Scheik, den Tibbu einige Reiter nachzusenden. Wir mußten wissen, ob sie wirklich fortritten oder die Absicht hatten, das gegebene Versprechen zu brechen und Rache an den Uëlad Sliman zu nehmen. Diese Boten brachten dann am nächsten Tage die beruhigende Nachricht, daß die Feinde ohne Aufenthalt westwärts geritten seien.

Natürlich hätten wir gar zu gern gewußt, wer und was der Fremde war; aber das Gesetz der Wüste verbot, sofort darnach zu fragen. Wir beobachteten einander während des ganzen Vormittages, und ich machte da die Bemerkung, daß er aus mir ebenso wenig klug wurde, wie ich sein Wer und Was errathen konnte. Es kam erst dann zur Aufklärung, als es zu Mittag wieder einen gebratenen Hammel gab und wir das Mahl nach muhammedanischer -

) Willkommensgruß.
307

muhammedanischer Weise mit dem gebräuchlichen „El Hamd ul illah“ einleiteten. Er sprach diesen Ausruf nicht mit aus und entschuldigte sich:

„Ihr dürft mir mein Schweigen nicht übelnehmen; ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.“

„Ein Christ?“ fragte ich. „Also wohl auch kein Orientale?“

„Nein. Meine Heimath liegt im Bilad Amirika.“

„Nord oder Süd?“

„Im Norden.“

„Wohl in den Vereinigten Staaten?“

„Wie, Du kennst dieses Land?“ fragte er verwundert.

„Ich habe von ihm gehört,“ antwortete ich ausweichend. „So ist Dein Name wohl kein arabischer?“

„Nein; ich heiße Forster. Das ist ein Wort, welches Du wohl nicht auszusprechen vermagst.“

„Forster, Forster,“ sagte ich lächelnd.

„Du kannst es, Du kannst es! Das hat noch kein Araber fertig gebracht!“

„O, ich kenne die Dschigrafja)!“ stellte ich mich stolz. „Ich spreche Alles richtig aus, vielleicht auch die Stadt, die Deine Heimath ist. Darf ich sie erfahren?“

Er hielt mich für einen Beduinen, lächelte ein wenig und antwortete:

„Ich bin in Stenton geboren.“

„Stenton? Etwa in Arkansas?“ fuhr ich auf.

„Was? Wie? Du kennst diesen Namen wirklich?“ fragte er, im höchtsten Grade erstaunt.

) Geographie.
308

„Forster! Stenton in Arkansas! War Dein Vater etwa ein Scha’ir)?“

„Ja.“

„Forster, Richard Forster! Er stammte aus Frankfurt in Kentucky?“

„Ja, ja!“

„Und Deine Mutter? Maschallah! Welch ein Wunder! Sie hieß Marga und war die Tochter des Bankiers Olbers?“

Da sprang er auf und schrie mich förmlich an:

„Du kennst meinen Vater und meine Mutter? Du kennst Stenton und Frankfurt? Mann, Du bist nicht Der, für den ich Dich gehalten habe; Du bist ein Anderer!“

Sein Erstaunen war mir eine wahre Wonne. Da aber fuhr mir mein schwatzhafter Ali drein. Zwar waren ihm die Namen, die er gehört hatte, fremd, aber er begriff die Situation und rief dem Amerikaner zu:

„Mein Effendi ist ja auch ein Christ!“

„Auch — — ein — — Christ!“

„Ja; er ist kein Beduine, sondern ein Almani.“

„Ein Almani? Ein Deutscher?“

„Ja,“ lachte ich jetzt laut. „Ich weiß, Mr. Forster, daß wir deutsch mit einander sprechen können.“

„Allerdings, allerdings! Sie ein Deutscher, ein Deutscher! Wer hätte das gedacht! Ist so ein Zusammentreffen nicht ein wahres Wunder zu nennen?“

„O, ich habe solche Wunder schon wiederholt erlebt.“

) Dichter.
309

„Aber Sie kennen meine Eltern. Da müssen Sie doch in Amerika gewesen sein?“

„Verschiedene Male.“

„Ihr Name, Ihr Name?“

„Daheim heiße ich anders; drüben wurde ich Old Shatterhand genannt.“

Ich glaube, jetzt glänzte sein Gesicht förmlich vor Vergnügen.

„Old — — Shat — — ter — — hand!“ stieß er die Sylben alle einzeln hervor, so überrascht war er.

„Ja. Ich habe Ihren Vater in Mexiko getroffen, wo er mir erzählte, wie er zu seinen Grants gekommen war. Darf ich hoffen, daß er noch lebt?“

„Natürlich lebt er noch! Aber, Sir, wenn Sie Old Shatterhand sind, der Freund von Winnetou, so sind — sind — — sind Sie doch auch der Deutsche, welcher — — welcher — — welcher hier hüben Kara Ben Nemsi genannt worden ist?“

„Der bin ich freilich auch.“

„Ah, endlich, endlich, endlich! Wie sehr habe ich gewünscht, Sie einmal zu sehen, einmal zu treffen, einmal mit Ihnen zu sprechen! Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich Aegyptolog und Arabist bin, wenn ich es so nennen darf — — aus Neigung natürlich, denn ein Brotstudium habe ich nicht nöthig; Vater ist reich, sehr, sehr reich, wie Sie wissen. Ich bereise den Orient nun schon an die vier Jahre und bin oft auf die Spur von Kara Ben Nemsi getroffen, jetzt nun endlich auf ihn selbst!“

„Wo waren Sie zuletzt?“

„In Erbehna.“

310

„Das ist kühn. Und wo wollen Sie hin?“

„Nach Mursuk.“

„Kennen Sie das schon?“

„Ja; ich war zweimal dort, das letzte Mal vor fünf Monaten.“

„Das ist mir sehr willkommen. Ich will nämlich auch hin.“

„Nach Mursuk? Herrlich, herrlich! Wir reisen natürlich zusammen, das heißt, wenn es Ihnen recht ist?“

„Nicht nur recht, sondern sogar lieb. Sie werden mit mir bei meinem Gastfreunde absteigen.“

„Wer ist das?“

„Der reiche Handelsherr Manasse Ben Aharab.“

„Der Jude?“ rief er aus, indem, ich wußte nicht, warum, eine tiefe Röthe in sein Gesicht schoß und dann schnell wieder aus demselben verschwand.

„Sind Sie Antisemit, Mr. Forster?“

„Nein, nein, gar nicht, wenigstens nicht in dem Sinne, in dem Sie es wahrscheinlich meinen.“

„Sie kennen diesen Herrn?“

„Ja — — — ja — — —“ dehnte er verlegen.

Well! Ist Nebensache. Jetzt sind wir nicht in Mursuk, sondern noch hier und wollen uns den Hammel schmecken lassen. Wir haben während dieser Erkennungsscene unsern Gastfreund ganz vergessen und dürfen nicht länger nachlässig gegen ihn sein.“

Ich langte tapfer zu; Forster aber aß fast gar nicht mehr; aus welchem Grunde? Aus Freude über unser Zusammentreffen, oder weil ich den Namen Manasse Ben Aharab genannt hatte? Mir schien, das Letztere war der Fall!

311

Die braven Uëlad Sliman wünschten, daß wir längere Zeit bei ihnen blieben; ich wäre am Liebsten bald wieder fortgeritten, weil ich meiner jungen Freundin Rahel versprochen hatte, bald zurückzukehren; aber in der folgenden Nacht stellte sich bei Forster ein Wundfieber ein, welches, obgleich es sich nur um einen Streifschuß handelte, länger anhielt, und selbst dann, als es überstanden war, durfte bei dem dortigen Klima an einen dreitägigen Ritt nicht gedacht werden. Wir blieben also eine volle Woche und verabschiedeten uns dann in der herzlichsten Weise von den Beduinen, die uns so freundlich aufgenommen hatten und nur ungern ziehen ließen. Forster ließ ihnen die drei Kameele mit allem Zubehör zurück und beschenkte sie auch noch mit andern Gegenständen. Von mir erhielt Jeder ein aufrichtiges Allah jusallimak); mehr konnte ich nicht geben, denn ich hatte keinen Vater, dem zehn Leguas mexikanisches Land geschenkt worden waren. — —

III.

Und wieder sah ich Mursuk vor mir liegen mit seinen Melonenpflanzungen, seinen Granaten- und Feigengärten und seinen Palmenwäldern. Von der letzteren Pflanze hat der berühmte und unglückliche Afrikareisende -

) Gott segne Dich.
312

Afrikareisende Vogel in der Umgegend der Stadt beinahe vierzig Varietäten gezählt.

Wir waren wegen der Wunde Forsters langsam geritten und darum fast vier Tage unterwegs gewesen. Die Reise schien ihn keineswegs angegriffen zu haben, und doch befand er sich in einem Zustande, welcher einem Fieber, wenn auch nicht dem Febris traumatica) zu gleichen schien. Er war innerlich aufgeregt; das bemerkte ich, obgleich er sich Mühe gab, es mir zu verbergen. Wer oder was war die Ursache? Etwa mein Freund Manasse Ben Aharab?

So sehr ich darüber nachdachte, ich mußte immer wieder auf diesen Namen kemmen. Forster hatte sich nämlich unterwegs mit geradezu auffälliger Vorliebe mit mir über Mursuk unterhalten; aber so oft ich auf Manasse zu sprechen gekommen war, hatte sich sein Gesicht sofort verdüstert, und er war augenblicklich in Schweigen verfallen. Das Zartgefühl verbot mir, eine Frage auszusprechen; aber es mußte zwischen dem Juden und ihm Etwas vorgekommen sein, was ich noch heut mehr als unangenehm berührte. War es eine Geldverlegenheit? Gewiß nicht! Ja, Ben Aharab war einer der bedeutendsten Geldmänner von Fezzan, und ich durfte annehmen, daß Forster ihn aus geschäftlichen Gründen aufgesucht hatte; aber Beide waren sehr reich, und Beide waren sehr ehrlich; ein Zerwürfniß in dieser Richtung konnte nicht vorliegen. Wenn Manasse wirklich der Gegenstand von Forsters Mißmuth war, so war die Ursache gewiß auf einem ganz andern Punkte zu suchen. Nicht

) Wundfieber.
313

in geschäftlichen Verhältnissen? Etwa in familiären? Ich mußte an meine liebe, schöne Rahel, an meine Rose von Sokna, denken.

Ich hatte den Namen Rahel einige Male erwähnt, und da war er allemal tief erröthet. Lag es hier? Ah!

Als wir jetzt nun die aus der Erde gestampften Umfassungsmauern der Stadt vor uns sahen, über welche der gewaltige Bau des Residenzschlosses emporragte, durfte ich nicht länger zögern; ich mußte wissen, ob er mit bei Manasse Ben Aharab absteigen wollte oder nicht. Darum sagte ich:

„Endlich sind wir da! Wer wird Ihnen ein Habakek) zurufen? Wo ich wohnen werde, das wissen Sie. Wollen wir nicht beisammenbleiben, Mr. Forster?“

Er hätte wohl gern ja gesagt; das sah ich ihm an; aber seine Antwort lautete:

„Zwei Gäste in einem Hause, das ist selbst für einen wohlhabenden Mann wenn auch nicht zuviel, so doch störend. Ich werde wieder bei meinem Mamluken Alaf wohnen.“

In Mursuk versteht man unter Mamluken die Abkömmlinge von weißen Renegaten; sie bilden den dortigen Adel.

„Ganz wie Sie wollen, bester Freund. Das wird ja nicht verhindern, daß wir uns täglich sehen.“

„Nein. Sie sind mir ja zu jeder Minute willkommen; das brauche ich ihnen nicht erst zu sagen.“

„Sie mir ebenso. Wer werden uns gegenseitig besuchen.“

) Sei willkommen!
314

Er erwiderte nichts darauf, und so wußte ich, woran ich war. Ich sollte ihn besuchen; er aber wollte nicht zu mir kommen; er war mit Manasse Ben Aharab verfeindet. Wir ritten durch die erste der sehr breiten Straßen nach der zweiten, in welcher das Haus seines Mamluken lag; dort verabschiedete ich mich von ihm und setzte mit Ali meinen Weg bis zum Schlosse fort, in dessen Nähe Manasse wohnte. Vor seinem nach dortiger Bauart einstöckigen aber sehr geräumigen Hause ließen wir die Kameele niederknieen und stiegen ab. Das weite Thor war verschlossen, eine Seltenheit zu jetziger Tageszeit! Ich bewegte den schweren, ehernen Klopfer, worauf einer der schwarzen Sklaven das Thor öffnete. Er kreuzte die Arme über der Brust und verbeugte sich tief.

„Ist der Herr daheim?“ fragte ich.

„Nein, Effendi; er ist zum Pascha geritten.“

„Und die Bint el Bet)?“

„Ist auch fort.“

„Wohin?“

Ich glaubte, als Gast und Hausfreund diese verbotene Frage aussprechen zu dürfen.

„Niemand weiß es.“

„Was? Niemand weiß es? Was redest Du da?“

„Niemand weiß es,“ wiederholte er.

„Allah! Ist etwas geschehen?“

„Ja, Effendina.“

„Was?“

„Weiß es nicht. Niemand darf davon sprechen. Issitt Rebekka✽✽) wird es Dir sagen.“

) Tochter des Hauses. ✽✽) Fräulein Rebekka.
315

Er fuhr sich mit dem Arme über die Augen und trat auf die Seite zu Ali, um diesem behülflich zu sein, die Kameele in den Hof zu schaffen; ich aber eilte spornstreichs zu Rebekka, der alten Wirthschafterin, deren ganz besonderer Liebling Rahel war. Ich fand sie in der Küche, wo sie beschäftigt war, einen Teig zu kneten. Als sie mich eintreten sah, unterbrach sie sofort ihre Arbeit, kam mit hoch erhobenen Händen auf mich zu und rief in jammerndem Tone:

„O, Effendi, wie sehnsüchtig haben wir auf Dich gewartet, und wie froh ist meine Seele, daß Du endlich kommst?“

Bei diesen Worten schoß auch schon ein Thränenstrom aus ihren Augen, die sie sich mit ihren teigigen Händen zu trocknen versuchte, was aber zur ganz natürlichen Folge hatte, daß sie sich dieselben fast vollständig verklebte.

„Was ist denn geschehen, meine gute Rebekka?“ fragte ich sie. „Warum weinst Du?“

„Denke Dir, sie ist fort, fort, fort?“

„Wer, Rahel?“

„Ja, sie!“

„Wie meinst Du das! Sie ist fort?“

„Sie ist verschwunden, vollständig verschwunden, sie die Blume unseres Hauses, der Liebling unserer Herzen.“

„Verschwunden? Ohne daß Ihr wißt, wohin?“

„Ja, Kein Mensch weiß, wo sie sich befindet!“

„Ist das ganz plötzlich geschehen?“

„Ja.“

„Wann?“

„In der Nacht.“

316

„Wo sie sich also daheim befand?“

„Daheim,“ nickte Rebekka.

„Sonderbar! Verschwinden kann ein Mensch auf einer Reise oder bei einer ähnlichen Gelegenheit; aber wenn sie zu Hause war, so ist es doch fast eine Unmöglichkeit zu nennen, wenn — —“

„Ja, ja, eine Unmöglichkeit!“ fiel sie mir in die Rede. „Die reine Unmöglichkeit!“

„Seit wann ist sie denn fort?“

„Wohl eine Woche schon, Effendi. Warte einmal; ich will es ausrechnen. Heut haben wir Jom el Arba’a) und am Jom el Chamis✽✽) ist es geschehen; es sind also sechs Tage vergangen.“

„Und wie ist das gekommen? Erzähle es mir doch!“

Sie fuhr sich wieder mit den Teighänden in die Augen, welche von Neuem zu thränen begannen, und antwortete:

„Wie kann ich es Dir erzählen? Ich bin ja nicht dabeigewesen und weiß also nicht, wie es geschehen ist.“

„Hm! Wann hast Du sie denn an dem betreffenden Tage zum letzten Male gesehen?“

„Am Abende.“

„Wo?“

„Draußen im Hofe.“

„Was that sie da?“

„Ich holte Wasser und kehrte mit demselben in die Küche zurück; da begegnete sie mir und sagte, daß sie noch ein wenig in den Garten gehen wolle.“

„So! Hat sie das gethan?“

) Mittwoch. ✽✽) Donnerstag.
317

„Ja.“

„Weißt Du das genau?“

„Ja, denn ich blieb stehen und blickte ihr, die mein Liebling war, nach, bis sie im Garten verschwand.“

„Und dann hast Du sie nicht wiedergesehen? Sie ist nicht aus dem Garten zurückgekehrt?“

„Nein.“

„Ist das kein Irrthum?“

„Ich täusche mich nicht. Du weißt ja auch, Effendi, daß sie täglich des Abends vor dem Schlafengehen in den Garten ging. Wenn sie aus demselben zurückkehrte, kam sie stets zu mir herein, um mir „Gute Nacht“ zu sagen. Das hätte sie jedenfalls auch an diesem Abende gethan; sie hat es nie versäumt.“

„Wann habt Ihr sie vermißt? Am andern Morgen?“

„O nein, sondern schon an jenem Abende. Eben weil sie nicht zu mir kam, blieb ich wach, um auf sie zu warten. Da sie noch immer nicht erschien, so ging ich in den Garten, um sie zu suchen; sie war nicht mehr da.“

„Auch nicht im Schlafzimmer?“

„Nein. Ich weckte den Herrn, den sie den gewöhnlichen Nachtgruß auch nicht gebracht hatte. Wir suchten im ganzen Hause, doch vergeblich. Da sandten wir einen Boten durch die ganze Stadt, mein Liebling war aber nirgends zu finden.“

„Habt Ihr denn keine, gar keine Ahnung, auf welche Weise sie verschwunden sein kann?“

„Keine!“

„Gab es im Garten keine Spur?“

„Nein. Der Herr hat es dem Pascha gemeldet.

318

Dieser kam selbst und brachte viele Asaker und Subbat) mit, welche nachforschen mußten; es wurde nichts gefunden. Dann wurde die ganze Umgegend abgesucht, doch auch vergeblich.“

„Sonderbar! Rahel kann doch nicht in die Erde hinein verschwunden und durch die Luft davongeflogen sein! Wäre ich doch dagewesen! Ich hätte gewiß eine Spur gefunden.“

„Das sagte auch der Herr, und darum haben wir mit so großem Verlangen auf Dich gewartet.“

Wohl auch umsonst, denn nun, nach sechs Tagen, ist jede Spur verwischt. Der Herr ist beim Pascha?“

„Ja. Er geht täglich mehrere Male zu ihm, um ihn zu fragen, ob noch nichts gefunden ist und ihn zu neuem Forschen anzuspornen. Horch! Man führt sein Pferd in den Hof; er ist also zurückgekehrt. Sprich mit ihm, Effendi, sprich mit ihm! Vielleicht gelingt es Dir, eine Spur zu entdecken.“

Dieses Vertrauen hätte mich erfreuen können, wenn ich es für möglich gehalten hätte, ihm zu entsprechen. Manasse Ben Aharab empfing mich mit einem Ausrufe der Freude; er sah sehr angegriffen aus; das unerklärliche Verschwinden seiner Tochter zehrte an seinem Körper und auch an seiner Seele; das sah ich ihm sofort an. Er mußte erzählen; leider aber konnte er mir auch nicht mehr sagen, als was ich schon von Rebekka erfahren hatte, setzte aber trotzdem große Hoffnungen auf mich.

„Effendi, fordere von mir, was Du willst, ich werde

) Soldaten und Polizisten.
319

es Dir geben, nur bringe mir den Glanz meiner Augen, das Licht meiner Seele wieder!“ bat er mich.

„Manasse, ich fühle mit Dir und bin von dem, was ich erfahren habe, selbst tief erschüttert,“ antwortete ich ihm; „aber wie kann ich, der hier ganz Fremde, Dir Diejenige wiedergeben, die Du verloren hast, nachdem alle Bemühungen des Pascha und seiner Leute vollständig vergeblich gewesen sind.“

„O, ich weiß, daß Du viel erlebt und viel erfahren hast. Du hast so Manches fertig gebracht, was keinem Andern gelingen wollte, und wirst auch hier einen Weg finden, der zum Ziele führt.“

„Leider muß ich das bezweifeln, doch wollen wir nichts unversucht lassen. Kommt mit mir nach dem Garten!“

Wir gingen hinaus, und ich durchsuchte jeden Winkel; ich betrachtete jeden Strauch, jeden Mauerstein auf das Genaueste, doch umsonst; es war inzwischen zuviel Zeit vergangen.

„Wir können gar nichts Anderes als eine Entführung annehmen,“ sagte ich. „Deine Tochter ist über die Mauer geholt worden; aber heut, nach sechs Tagen, ist keine Spur mehr von ihr vorhanden. Ich zweifle gar nicht daran, daß irgend ein Zeichen zu entdecken gewesen wäre; das aber ist durch die Leute des Pascha verwischt oder unkenntlich gemacht worden. Sie verstehen sich nicht darauf. Nimmst Du auch eine Entführung an?“

„Ja.“

„Und hast Du keinen Verdacht?“

„Ich habe einen.“

„Welchen?“

320

„Der Pascha hat mir verboten, davon zu sprechen, weil ich dadurch leicht Alles verderben kann; Dir jedoch darf ich mein Vertrauen schenken, denn Du bist verschwiegen. Es giebt nämlich Einen, der meine Tochter zu seinem Weibe machen wollte.“

„Ah! Wer ist das?“

„Ein Charib), der mein Gast war und mir die Gastfreundschaft dadurch vergalt, daß er mir das Herz meines Kindes entfremdete.“

„Entfremdete? So ist es ihm gelungen, sich die Zuneigung Rahels zu erwerben?“

„Ja. Ich wies ihm die Thür. Ehe er mein Haus verließ, gelang es ihm, Rahel zu beruhigen und sie zu überzeugen, daß sie trotzdem sein Weib werde. Daher war sie später heiter und grämte sich nicht. Sie hatte sogar den Muth, später sehr oft mit mir von ihm zu sprechen.“

„Verließ er Mursuk gleich?“

„O nein, sondern er zog zu einem Mamluken, bei dem er noch mehrere Wochen wohnte.“

Ich mußte unwillkürlich an Forster denken und fragte:

„Wie heißt der Mamluk?“

„Alaf.“

„Ah! Und der Fremde?“

„Er nannte sich Forster und war aus dem Bilad Amirika.“

„Maschallah! Also der!“ rief ich aus.

„Kennst Du ihn?“ erkundigte er sich schnell.

) Fremder.
321

Ehe ich antworten konnte, kam ein Schwarzer in den Garten und meldete seinem Herrn, daß er schnell zu dem Pascha kommen sollte, der ihm Wichtiges mitzutheilen habe.

„Da gehst Du mit, Effendi!“ forderte mich Manasse auf. „Du mußt es mit hören und dann mit berathen.

Zehn Minuten später standen wir vor dem höchsten Beamten des Padischah. Er theilte dem Juden mit, daß der Entführer ergriffen sei, und auf ein Zeichen von ihm brachte man den Missethäter gefesselt hereingeführt. Man denke sich mein Erstaunen, da es kein Anderer als — Forster war!

Dieser befand sich in einem Zustande größter Aufregung. Als er mich erblickte, zerrte er an seinen Fesseln und rief mir in deutscher Sprache zu:

„Welch ein Glück, daß Sie da sein! Denken Sie sich: Kaum bin ich bei meinem Wirte abgestiegen, so schickt dieser Kerl fort, und es kommen Soldaten, die mich arretiren! Ich soll Rahel, die Tochter Manasses, heimlich entführt haben.“

„Ich weiß es, Sie lieben dieses Mädchen?“

„Ja. Ich habe es Ihnen verschwiegen, bin aber jetzt gezwungen, es Ihnen zu gestehen. Ist sie wirklich fort?“

„Ja.“

„Wohin?“

„Das weiß man nicht.“

„Alle Teufel! Machen Sie mich von diesen Fesseln frei und ich werde sofort beginnen, ganz Tripolis zu durchstöbern und nicht eher ruhen, als bis ich sie gefunden habe!“

322

Es wurde mir nicht schwer, seine stürmische Bitte zu erfüllen, denn ich konnte bezeugen, daß er sich am Tage der Entführung weit weg von hier und bei mir befunden hatte. Dem Pascha war es freilich nicht angenehm, zu hören, auf was für einem Irrwege er sich befunden hatte. Forster zürnte natürlich dem Vater seiner Geliebten, der daran schuld war, und dieser konnte nicht umhin, ihn um Verzeihung zu bitten, und so kam es, daß beide sich versöhnten, noch ehe sie die Residenz des Pascha verlassen hatten.

Nun waren wir gerade und genau so klug wie vorher und kehrten nach Manasses Wohnung zurück, um zu berathen. Wir sannen hin und sannen her und strengten allen unsern Scharfsinn an, kamen aber zu keinem Resultate, bis Forster Manasse fragte:

„Giebt es hier in Mursuk Jemand, der sie zu besitzen begehrte? Vielleicht ist sie noch hier in der Stadt verborgen.“

„Ich wüßte Keinen.“

„Gab es auch sonst keinen Bewerber, meinen Freund hier ausgenommen?“ erkundigte ich mich.

„Nein, denn den Tedetu darf ich nicht als einen solchen betrachten.“

„Der Tedetu? Wer ist das?“

„Ein Anführer der Tibbu, welcher früher in Geschäften einige Male bei mir war.“

„Was! Hieß der Mensch Tahaf?“

„Ja, Du kennst ihn, Effendi?“

„Ja. Sag schnell, wenn er zum letzten Male bei Dir war! Es ist von größter Wichtigkeit.“

323

„Am Tage, bevor mein Kind verschwand.“

„Ah! Was wollte er bei Dir?“

„Er wollte mit mir von Dir sprechen.“

„Von mir? Was? Und das sagst Du mir erst jetzt!“

„Ich wollte es ganz verschweigen, weil ich glaubte, Dich damit beleidigen zu können.“

„Mich beleidigen? Was war es denn?“

„Er hielt Dich für den Asik) meiner Tochter.“

„Mich? Wie kam er auf diesen sonderbaren Gedanken?“

„Er hatte es von dem Wirthe des Karawanenserais gehört.“

„Und glaubte es?“

„Ja. Darf ich ganz aufrichtig mit Dir sein, Effendi, da es sich um eine so wichtige Sache handelt.“

„Ich fordere es sogar von Dir!“

„Du bist volle fünf Wochen mein Gast gewesen, und meine Dienerschaft hat erzählt, wie gut und freundlich Du gegen Rahel warst.“

„Und da hat man mich für ihren Verlobten gehalten?“

„Ja, doch ohne daß ich es ahnte. Du verzeihst es doch?“

„Ich habe nichts zu verzeihen. Sag’ mir vor allen Dingen, in welcher Beziehung Du zu dem Tedetu Tahaf standest!“

„Ich hatte einige Tauschgeschäfte mit ihm. Ich war der Ansicht, daß er so ein wenig Räuber sei, da aber die Tibbu alle den Raub für keine Schande und kein Verbrechen halten, so ging es mich nichts an.“

„War er bei seinen geschäftlichen Besuchen vielleicht stets nur kurze Zeit bei Dir?“

) Geliebter, Verlobter.
324

„Nein, sondern er war stets mein Gast.“

„Auch des Nachts?“

„Ja.“

„So kannte er wohl Rahels Gewohnheit, des Abends in den Garten zu gehen?“

„Ja; er hat sie dahin begleitet und mit ihr gesprochen, doch nur in meiner Gegenwart.“

„Sie hat ihm gefallen?“

„So sehr, daß er sie zur Frau begehrte.“

„Er, der Muhammedaner?“

„Die Tibbu sagen, daß das Weib keine Seele habe; eine Frau kann nicht in das Paradies gelangen; darum ist es gleichgültig, ob sie an Muhammed glaubt oder nicht.“

„Du hast ihn natürlich abgewiesen?“

„Ja.“

„Erregte das nicht seinen Zorn, seine Rache?“

„Er ließ sich nichts merken, kam aber dann nicht mehr zu mir. Bei seinem Besuche in voriger Woche habe ich ihn seitdem zum ersten Male wiedergesehen.“

„War er denn nicht leidend?“

„Er trug den rechten Arm in der Binde und sah aus wie ein Mensch, welcher krank gewesen ist.“

„Ah! Er muß eine sehr starke Natur besitzen, da er trotz seiner Verwundung direct und ohne längeres Ausruhen nach Mursuk geritten ist.“

„Du weißt, daß er verwundet ist?“

„Ja; wir werden es Dir erzählen. Zunächst aber möchte ich wissen, auf welche Weise er mich kennen gelernt haben will. Das muß er Dir doch gesagt haben, da er extra zu Dir gekommen ist, um von mir zu reden.“

„Er begegnete Dir in der Wüste und sagte Dir, daß

325

er nach Mursuk wolle; da gabst Du ihm den Auftrag, zu mir zu gehen und mich von Dir zu grüßen.“

„So! Du sagtest ihm, daß ich nicht Rahels Verlobter sei?“

„Ja, aber er glaubte es nicht.“

„Schön! So weiß ich nun, woran ich bin. Wir haben die Spur gefunden. Er hat Deine Tochter geraubt.“

„Dieser — — — Tedetu?!!“

„Ja.“

„Allah! Denkst Du das wirklich?“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin vollkommen überzeugt davon. Er will sich rächen?“

„An mir?“

„An Dir, weil Du ihm Rahel abgeschlagen hast, und an mir, weil er von mir besiegt worden ist.“

„Von Dir?“

„Ja; den verwundeten Arm, den Du gesehen hast, hat er mir zu verdanken.“

„Wer hätte das gedacht! Wie ist das zugegangen?“

Ich erzählte es ihm und fügte, als ich fertig war, hinzu:

„Ich behaupte also, daß er der Räuber Deiner Tochter ist und denke, daß Du mir Recht geben wirst.“

„Unrecht kann ich Dir freilich nicht geben, aber ein Beweis ist noch nicht vorhanden.“

„Den werden wir sogleich holen.“

„Wo?“

„Bei dem Wirthe des Karawanserais, von dem Du vorhin gesprochen hast.“

„Meinst Du etwa, daß er diesem Etwas von seinem Vorhaben mitgetheilt hat?“

„Nein, das ist ihm gewiß nicht eingefallen.“

326

„So kann er nichts beweisen!“

„Warte es ab! Ich habe Dir doch erzählt, daß die Tibbu als Pilger nach Kairwan wollen.“

„Allerdings; aber ich denke, daß sie diesen Vorsatz jetzt aufgegeben haben werden.“

„Aus welchem Grunde?“

„Wegen meiner Tochter.“

„Gewiß nicht!“

„O doch! Sie können eine Gefangene nicht so viele Tagereisen mit sich nach Kairwan schleppen, sondern sie haben sie nach ihrem Duar gebracht.“

„Das glaube nicht. Wo ist Tahafs Duar?“

„Wer weiß es! Er sagte einmal, daß er gar keinen festen Wohnsitz habe.“

„Ich bin überzeugt, daß er da die Wahrheit gesprochen hat. Er ist ein Räuber, er lebt nur vom Raube und darf also keinen Duar haben, in welchem man ihn aufsuchen kann, um ihn zu bestrafen; es giebt also keinen Ort, wohin er Deine Tochter schleppen kann, um sie zu verbergen; er muß sie bei sich behalten, sogar auf der jetzigen langen Reise.“

„Du denkst also, daß er doch noch nach Kairwan geht?“

„Ja. Ein Moslem, der einmal seine Pilgerreise angetreten hat, führt sie auch aus, denn nach seiner Ansicht würde er sich sonst den Zorn Allahs zuziehen.“

„Effendi, indem Du dies behauptest, machst Du mir das Herz noch viel schwerer, als es vorhin schon war!“

„Warum?“

„Weil, wenn Du Recht haben solltest, mein Kind für immer für mich verloren ist.“

327

„Das sehe ich nicht ein.“

„Er wird Rahel zwingen, sein Weib zu werden.“

„Das geht nicht so schnell.“

„O doch! Was kann so ein schwaches Mädchen gegen einen solchen Menschen thun?“

„Sich auf die Satzungen des Islam verlassen.“

„Ich verstehe Dich nicht. Meinst Du, daß diese Satzungen Rahel retten können?“

„Ja, und ich habe allen Grund, dies zu denken. Ich gebe zu, daß dem Tedetu Deine schöne Tochter am Herzen liegt; noch größeres Verlangen aber wird er nach Deinem Gelde tragen.“

„Das heißt, er wird ein Lösegeld von mir verlangen?“

„Ja.“

„Und mir das Kind dann zurückgeben?“

„Möglich. Ebenso und noch weit mehr möglich aber ist ein anderer Fall.“

„Welcher?“

„Daß er darnach trachtet, in den Besitz beider zugleich zu gelangen, nämlich Deines Kindes und Deines Geldes!“

„Wie will er das anfangen?“

„Er heirathet Rahel auf rechtmäßige Weise vor dem Kadi und ist als ihr Mann dann Dein Erbe.“

„Das wäre schrecklich für mein Kind; aber er bekäme mein Geld nicht, denn ich würde ihn enterben.“

„Er würde dafür sorgen, daß Du das nicht könntest. Wenn er sie zwingt, Muhammedanerin zu werden, so kannst Du sie nach hiesigen Gesetzen nicht enterben, weil Du ein Jude bist; er könnte es sogar so weit bringen, Dein Vermögen sofort unter seine Aufsicht zu bekommen.“

328

„Allah! Das ist wahr!“ rief er erschrocken aus. „Ein Jude ist hier ohne allen Schutz. Schrecklich — schrecklich!“

„Beruhige Dich! Ich bin zwar vollständig überzeugt, daß er keinen andern Plan als gerade diesen hat; aber die Ausführung desselben wird ihm schwer werden. Er wird Rahel mit nach Kairwan nehmen, weil er sie dort am sichersten zwingen kann, Muhammedanerin zu werden, denn als Jüdin ist sie dort dem Tode verfallen; das erfordert aber Zeit, und bis diese vergeht, findet sich Gelegenheit, das Kind zu befreien.“

„Auf welche Weise?“

„Man muß nach Kairwan reisen und Rahel heimlich von dort fortschaffen.“

Er starrt mich eine ganze Minute lang wie sprachlos an und rief dann erschrocken aus:

„Da ist man ja verloren! Kein Andersgläubiger darf diese lebensgefährliche Stadt betreten!“

Da fuhr Forster ihn zornig an:

„Liebst Du Deine Tochter? Ich, dem Du sie versagt hast, bin bereit, sofort hinzugehen, um sie zu retten!“

„Gemach!“ beruhigte ich ihn. „Noch weiß man nicht, was geschehen wird. Wir haben noch Erkundigungen einzuziehen.“

„Bei wem?“

„Im Karawanserai und sodann auf dem Wege nach Norden, um zu erfahren, ob die Tibbu diese Richtung eingeschlagen haben und Rahel mit sich führen.“

„So wollen wir das gleich thun und ja keine Zeit verlieren! Wo ist das Serai?“

329

Manasse führte uns hin. Wir erfuhren von dem Wirthe, daß Tahaf allerdings bei ihm gewesen und da erfahren hatte, daß die schöne Jüdin, die „Rose von Sokna“, für mich bestimmt sei. Das wußten wir schon. Viel wichtiger war uns die Nachricht, daß er einen Tachterwan) gekauft hatte. Dieser Umstand gab uns die Gewißheit, daß er es ohne allen Zweifel war, welcher Rahel geraubt hatte; der Tachterwan war für sie bestimmt.

Nun galt es noch, zu erfahren, ob seine Leute alle bei ihm waren und welche Richtung er eingeschlagen hatte. Dazu paßte Manasse nicht. Er mußte mir und Forstern zwei gute Reitkameele verschaffen, und am nächsten Tage verließen wir beide Mursuk, um nordwärts gegen Jeded zu reiten.

Am ersten Tage begegnete uns kein Mensch und erst am zweiten Tage gegen Abend trafen wir auf eine kleine Karawane, welche sie eben zur Ruhe gelagert hatte. Diese Leute hatten nun allerdings einen Reitertrupp von gegen zwanzig Tibbu gesehen, deren Anführer am rechten Arme verwundet gewesen war; eines ihrer Kameele hatte eine dicht verhangene Frauensänfte getragen.

Wir wußten nun genug und lagerten uns bei dieser Karawane, um mit Tagesgrauen unsere Rückkehr nach Mursuk anzutreten. Ich schlief bald ein; Forster aber fand keine Ruhe. Die bange Sorge um die Geliebte scheuchte den Schlaf von ihm; er wäre am liebsten den Tibbu jetzt gleich nachgeritten. Kaum hellte sich der östliche Horizont, so weckte er mich auf. Auch die Anderen erwachten und rüsteten sich zum Aufbruche.

) Kameelsänfte.
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Da sahen wir im Süden von uns, also in der Richtung von Mursuk her, einen Kameelreiter erscheinen, der es sehr eilig zu haben schien. Noch waren wir nicht auf unsere Thiere gestiegen. Er kam uns schnell näher, und da sahen wir, daß es ein Tedetu war.

„Alle Teufel, den kenne ich! Er gehörte zu Tahafs Leuten,“ sagte Forster. „Erkenne Sie ihn nicht auch?“

„Ja,“ antwortete ich. „Er kommt von Mursuk.“

„Was mag er dort zu schaffen gehabt haben?“

„Ob er die Aufgabe hatte, Manasse Ben Aharab die Bedingungen Tahafs zu überbringen? Möglich!“

Jetzt war der Mann nur wenige Kameelslängen von uns entfernt. Sein Auge fiel auf mich.“

„Maschallah, der Giaur!“ rief er aus, indem er sein Kameel anhielt. „Allah sei gelobt, daß ich Dich treffen, Du Hund! Hier ist der Lohn, der Dir gehört!“

Er riß seine lange Flinte empor, um auf mich zu schießen; ein Schuß krachte, doch nicht der seinige, denn Forster war schneller als er und hatte ihm eine Kugel in den Kopf gejagt. Der Tedetu wankte hin und her und stürzte dann aus dem hohen Sattel auf die Erde herab; er war eine Leiche.

Dergleichen Vorkommnisse sind nichts Besonderes in der Wüste; der Kerl hatte mich tödten wollen und war dafür von meinem Begleiter erschossen worden; das erschien den Beduinen, bei denen wir gelagert hatten, als etwas so ganz und gar Selbstverständliches, daß sie kein Wort darüber verloren. Wir untersuchten die Taschen des Tedetu, ob er etwas für uns Wichtiges bei sich hatte, fanden aber nichts. Wir ließen ihn liegen und nahmen,

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als wir dann fortritten, sein Kameel als die uns zugehörige Beute mit nach Mursuk.

Dort erwartete uns eine sehr große und zugleich sehr traurige Ueberraschung.

Manasse Ben Aharab war mir ein lieber Gastfreund gewesen, aber seine Liebe zu seiner Tochter hatte immer so etwas Ungewisses, Aengstliches an sich gehabt; es war mir manchmal so vorgekommen, als ob er seiner Sache mit diesem Kinde nicht recht sicher sei. Und Rahel hatte ihn lieb gehabt, ja; aber es war eine ganz eigenthümliche Zuneigung gewesen. Oder mußte man sich nicht wundern, daß sie mit ihm so unbefangen über den Geliebten gesprochen hatte, der von ihm doch abgewiesen worden war? Das Verhältniß zwischen Vater und Tochter hatte für mich etwas Geheimnißvolles gehabt. Jetzt sollte dieses Räthsel gelöst werden, und zwar in einer Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Als wir bei dem Hause Manasses ankamen, stand das Thor offen, so daß wir mit dem ersten Blicke die Klageweiber sehen konnten, welche im Hofe saßen und, ihre Köpfe mit Asche bestreut, leise, dumpfe Laute ausstießen. Es mußte sich ein Sterbender im Hause befinden. Ich eilte in die Küche. Da saß Rebekka weinend an der Erde. Als sie mich erblickte, schluchzte sie:

„O, Effendina, was ist geschehen! Der Herr will sterben. Die Atibba) sind bei ihm, um ihm die letzte Arznei zu geben, und auch die Schuhuhd✽✽), um den Wasija✽✽✽) niederzuschreiben.“

) Aerzte. ✽✽) Zeugen. ✽✽✽) Letzten Willen.
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„Allah jarhamkum — Gott erbarme sich Euer! Was ist denn geschehen, Rebekka?“

„Es kam Einer von den Tibbu und begehrte, mit dem Herrn zu sprechen. Schon nach kurzer Zeit ging er wieder fort und da fanden wir den Herrn in seinem Blute liegen.“

„Der Tedetu hatte ihn verwundet?“

„Ja, er hat ihn erstechen wollen.“

„Warum?“

„Der Herr hatte es dem Pascha erzählt, welcher bald darauf kam. Der Tedetu hat eine Unterschrift verlangt, daß Rahel, mein Liebling, in Kairwan Muhammedanerin werden dürfe. Der Herr hat es verweigert und dafür den Stich erhalten. Er wurde verbunden, muß aber sterben. Er liegt seit der Zeit still und kann nur wenig und ganz leise sprechen; er hat nur immer nach Euch verlangt.“

„Welch ein Unglück! Wo liegt er? Führe uns zu ihm!“

Sie gehorchte dieser Aufforderung. Als wir eintraten und mein Blick auf Manasse fiel, sah ich sofort, daß wir zu spät kamen; er war todt; er hatte soeben zum letzten Male geathmet. Am Fußende des Lagers kauerten die zwei Quacksalber, die sich Aerzte nannten. Zu Häupten desselben saß ein Beamter mit den drei Zeugen. Er sah uns forschend an, stand langsam und würdevoll auf und fragte:

„Bist Du der fremde Kara Ben Nemsi Effendi, von dem dieser Todte mit mir gesprochen hat?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Und Dein Gefährte ist der Mann aus Amirika?“

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„Ja.“

„So habe ich Euch vor diesen Zeugen etwas zu eröffnen.“

Er winkte den Aerzten; sie entfernten sich, dann fuhr er fort:

„Die Tochter dieses Todten ist nicht seine Tochter; sie ist auch keine Jüdin, sondern eine Christin.“

Welch’ eine Ueberraschung! Ich ließ einen Ausruf des Erstaunens hören, worauf er erwiderte:

„Dieser Todte hat im Sterben ein Bekenntniß abgelegt. Er kam als armer Händler nach Dschidda, welches vor Mekka, der Stadt des Propheten, liegt. Dort forderte el Haua el Asfar) das Leben vieler Menschen. Manasse Ben Aharab saß auf der Gasse einen Sterbenden mit einem schönen, kleinen Mädchen liegen. Der Sterbende rief ihn zu sich und sagte ihm, daß er ein Nauti✽✽) aus dem Bilad Fransa✽✽✽) sei, das Kind aber sei das Enkelchen eines berühmten Reïs), welches er nach dem Bilad Fransa bringen solle, nun aber nicht bringen könne, weil er hier vom Tode überfallen worden sei. Er bat ihn, das Enkelchen nach Suez zum Konsul zu schaffen, und gab ihm ein Sezdahn††), welches dem Kinde gehörte. In demselben waren große Geldscheine und einige Papiere in fremder Sprache. Der Nauti starb nach wenigen Minuten; Manasse nahm das Kind und dessen Eigenthum. Er wollte ehrlich sein; aber die Geldscheine siegten über sein Gewissen. Er behielt sie und das Kind und vernichtete die fremden Papiere. In Kairo ließ er sich Gold für die Scheine geben und ging dann mit dem Enkelchen des berühmten

) Cholera. ✽✽) Matrose. ✽✽✽) Frankreich. †) Kapitän. ††) Brief­ta­sche.
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Reïs erst nach Tunis und dann gar hierher nach Mursuk, weil er glaubte, in dieser abgeschiedenen Gegend könne das, was er gethan hatte, nicht entdeckt werden. Er war dem Enkelchen ein guter Vater, konnte aber nie vergessen, daß er es betrogen hatte. Da nahte plötzlich der Tode, und er ließ mich kommen, um mir dies mitzutheilen. Sein Testament liegt hier in meiner Hand; sein Vermögen gehört der Enkelin des berühmten Reïs, welche die Frau des Mannes aus Amirika werden soll.“

Er hielt inne, wir Beide standen starr. Endlich fragte ich:

„Woher weißt Du, daß sie eine Christin ist?“

„Der sterbende Nauti hat es gesagt.“

„Wie hieß ihr Großvater, der berühmte Reïs?“

„Niemand weiß es, denn Manasse hat die Papiere vernichtet, die er nicht lesen konnte.“

„Wer wird Vollstrecker dieses Testamentes sein?“

„Der Pasche selbst. Ihr müßt Euch an ihn wenden. Manasse Ben Aharab hat noch von einem Higab) gesprochen, welches Rahel am Halse hängen hat. Sie soll es öffnen, um zu sehen, was sich in demselben befindet. Ich gehe jetzt zum Pascha, um ihm dies Alles zu melden und ihm das Testament zu überreichen. Er wird Euch kommen lassen, um mit Euch zu sprechen.“

Er entfernte sich mit den drei Zeugen und wir waren nun allein mit dem Todten, den wir für den Vater Rahels gehalten hatten. Wie hatte er sich an ihr vergangen! Er hatte sie und ihr Vermögen den fernen Angehörigen entzogen. Wer waren diese, und wo wohnten

) Amulet.
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sie. In Frankreich? Wer war ihr Großvater, der „berühmte Kapitän“ gewesen, und wie war sie in die Obhut eines gewöhnlichen Matrosen gekommen. Ob das Amulet wohl diese Fragen zu beantworten vermochte?

Nun war es sicher, daß sie nach Kairwan geschleppt wurde. Sie mußte befreit werden. Forster betheuerte, sein Leben tausendmal daran zu wagen, traute sich aber nicht die dazu nöthigen Erfahrungen zu. Hier an der Leiche bat er mich, ihn ja nicht zu verlassen, und ich versprach ich, mit nach Kairwan zu gehen, obgleich dadurch mein ursprünglicher Reiseplan vollständig umgestoßen wurde.

Er wäre am liebsten sofort aufgebrochen, denn er hatte große Angst um die Geliebte. Aber wir mußten Manasse Ben Aharab begraben. Und dann galt es, das Erbe Rahels sicher zu stellen. Forster brauchte es nicht, denn er war ein steinreicher Mann; aber er hielt es für seine Pflicht, das Eigenthum der Geliebten ihr möglichst zu erhalten, und ich bestärkte ihn darin. Natürlich floß ein beträchtlicher Theil desselben in den Säckel des Pascha und in andere Taschen, und es wäre wohl ganz und gar zu Wasser geworden, wenn die Blutegel in Mursuk nicht doch Respect vor dem amerikanischen Consul in Tripolis gehabt und die Befürchtung gehegt hätten, später Alles und noch mehr wieder herausgeben zu müssen.

Es dauerte lange, sehr lange, bis das Alles geordnet war und wir abreisen konnten. Wir mußten nach Tripolis. Das ist ein weiter Weg. Dr. Nachtigall hat siebenunddreißig Tage zugebracht, um diesen gefährlichen Weg zurückzulegen. Bei uns ging es zwar schneller, denn Forster war reich genug, für diesen Ritt die besten

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Reitkameele zu kaufen, für seine Sehnsucht nach Rahel aber doch nicht schnell genug.

Dann, als wir in Tripolis angekommen waren, gab es verschiedene Conferenzen mit dem Consul und der türkischen Behörde, welche das Erbe nicht aus dem Lande gehen lassen wollte und es einstweilen mit Beschlag belegte, und zwar mit vollem Rechte, weil die Erbin nicht zugegen war, sondern erst aus den Händen der Tibbu befreit werden mußte.

Und als dies in Ordnung war, konnten wir unmöglich daran denken, zu Land nach Kairwan zu gehen, denn das wäre ein monatelanger Ritt gewesen; wir mußten uns für den Wasserweg entscheiden. Und da gab es kein Schiff, mit welchem wir nach Susa kommen konnten. Die englischen und französischen Schiffe legten nur in Sfax an, und so waren wir schließlich froh, als wir ein schmutziges, tunesisches Fahrzeug von ungefähr hundert Registertons entdeckten, dessen Kapitän bereit war, uns in Susa abzusetzen.

Da uns, wenn wir als Nichtmuhammedaner erkannt wurden, in Kairwan der sichere Tod erwartete, so mußten wir schon vorher verheimlichen, wer wir waren. Darum stellten wir uns dem Kapitän als egyptische Offiziere vor, welche tunesische Zuchtpferde kaufen und bei dieser Gelegenheit die heilige Stadt besuchen wollten. Er war auch selbst dort gewesen und beschrieb sie uns während der Ueberfahrt in der Weise, daß wir uns für wenigstens einigermaßen unterrichtet halten konnten. Hinreichend war dies freilich nicht.

Die Seefahrt war außerordentlich langweilig, ging aber glücklich vorüber. Das ruinenhafte Susa konnte uns

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nur so lange halten, als nöthig war, uns Pferde zu kaufen, da wir die Kameele in Tripolis veräußert hatten; dann ging es weiter, dem Bahir Sihdi Krador zu.

Kairwan, oder, wie es auch ausgesprochen wird, Keruan, liegt an der Stelle des alten Vicus Augusti in einer sumpfigen Ebene, in welcher das Auge keinen einzigen Baum erblickt; höchstens daß hier oder da einmal ein einsamer kahler Strauch erscheint, dessen junge Triebe von den Thieren abgefressen worden sind. Der Ritt durch diese Gegend ist kein anregender, und so waren wir froh, als wir gegen Abend des zweiten Tages die Nähe der Stadt erreichten.

Wenn ich sage froh, so bezieht sich das freilich nicht auf unsere gegenwärtige innere Grundstimmung, die wir mit den Worten froh nicht bezeichnen konnten. Die Gefahren, vor denen wir jetzt standen, waren so groß, daß wir einander im Gegentheile sehr ernst in die Augen blickten, als wir die ersten Häuser des heiligen Ortes vor uns liegen sahen. Der Anblick, den sie uns boten, war aber kein heiliger, sondern ein sehr profaner. Es mochte hier einmal eine Umwallung vorhanden gewesen sein; jetzt lag sie in Trümmern, auf welchen Gestrüpp und Unkraut wucherte.

„Hinein werden wir kommen,“ meinte ich; „wie und wann aber werden wir wieder herauskommen!“

„Todt oder lebendig, Eins von Beiden,“ antwortete Forster. „Die Hauptfrage für mich ist, ob Rahel sich in diesem heiligen Neste befindet.“

„Ich bin überzeugt, daß sie da ist.“

„Aber wo?“

„Das werden wir erfahren.“

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„Von wem?“ fragte er weiter und machte dabei ein Gesicht, als ob er sein Haupt schon jetzt dem Henker überliefern müsse.

„Nicht so triste, Mr. Forster! Wer Etwas mit frohem Muthe beginnt, der kommt viel leichter, schneller und sicherer an das Ziel, als Derjenige, der zu ängstlich ist.“

„Angst ist es nicht, aber Sorge. Wenn uns Einer von den Tibbu sieht, werden wir förmlich zerrissen.“

„Wir brauchen uns doch nicht so zur Schau zu stellen, daß uns Jedermann sehen muß!“

„Und wo bleiben wir? In einem feinen Hôtel oder in einer Herberge für Handwerksburschen?“

„Wenn es Beides gäb, ja, ja! Es giebt wohl Menazil ), aber die müssen wir vermeiden, weil da Jedermann verkehren kann. Wir suchen einen Ort auf, wo nur bevorzugte Leute Zutritt haben.“

„Welcher Ort wäre das?“

„Sie vergessen, daß wir jetzt egyptische Offiziere sind und daß in dieser guten, heiligen Stadt es eine Chassa esch schanuf zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Bewachung der Moschee giebt.“

„Eine Ehrengarde? Das ist wahr. Aber, Sie wollen doch nicht so verwegen, so tollkühn sein —?!“

„Natürlich will ich das. Je größer die Kühnheit, desto kleiner die Gefahr. Wir stellen uns den Herren Offizieren dieser Garde vor.“

„Ein Gedanke, der beinahe an Wahnsinn grenzt!“

) Plural von Menzil=Gasthaus.
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„Aber er ist nicht übel. Haben Sie Vertrauen zu ihm!“

„Meinetwegen; thun Sie, was Sie wollen!“

„Und Sie thun mit?“

„Ja; ich kann doch nicht anders.“

„Gut! Kommen Sie!“

Ich muß bemerken, daß wir uns ganz wie fromme Muselmänner trugen; sogar Gebetsteppiche hatten wir mit; alles Europäische, besonders die Revolver, mußten wir verbergen. Die Sonne war im Untergehen, und eben bogen wir in die zweite Straße ein, da ertönte der Klang des Glockenbretes, und der Munddin rief vom hohen Minareh herab:

„Haï alas salah, hai alal felah; es salah cher min en nom; Allah akbar; la ilaha il Allah — auf zum Gebete, auf zum Heil; das Gebet ist besser als der Schlaf; Gott ist groß; es giebt keinen Gott außer Gott!“

Alle auf der Straße befindlichen Menschen knieten augenblicklich nieder, um zu beten. Wir hielten an, sprangen von den Pferden, breiteten die Teppiche aus und ahmten die vorgeschriebenen Bewegungen nach. Unweit von uns betete ein alter Soldat; ich behielt ihn im Auge, und als die Zeremonie vorüber war, rief ich ihn herbei, stieg wieder in den Sattel und fragte ihn:

„Du weißt, wo der Kommandant der Chassa esch scharuf wohnt?“

„Ja, Herr,“ antwortete er.

„Wir sind Zubbat); führe uns zu ihm!“

Er kreuzte die Hände über die Brust, verbeugte sich

) Plural von Zabit=Offizier.
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und gehorchte dann. Es wurde schnell dunkel; wir brauchten keine Sorge zu haben, erkannt zu werden. Wir wurden durch mehrere Gassen bis in die Nähe der Okba-Moschee geführt. Dort ging es durch ein Thor in einen Hof, wo wir abstiegen. Der Soldat verschwand, und bald darauf kam ein martialisch dreinschauender Kolarasi), der uns nach unsern Wünschen fragte. Ich nannte zwei beliebige Namen und sagte, daß wir ein Mir Alaï und ein Rejjis tabur✽✽) des Vizekönigs von Egypten seinen und uns pflichtschuldigst hier meldeten, um zu fragen, wo wir wohnen könnten. Er bat um ein wenig Geduld, entfernte sich, kam aber sehr schnell wieder und erklärte:

„Der Muschir✽✽✽) hat Eure Meldung mit Wohlgefallen entgegengenommen und läßt Euch bitten, zu ihm zu kommen.“

Die Ehrengarde zählte hundert Mann; ihr Commandant nannte sich Feldmarschall — echt orientalisch! Er war ein alter Degenknopf, der uns, auf einer Matte sitzend, empfing. Wir mußten uns zu ihm setzen und bekamen Kaffee und Tabakspfeifen. Er richtete eine Menge Fragen an uns, von denen eine immer dümmer als die andere war. Wir antworteten in bescheidener Weise und machten dadurch einen so guten Eindruck auf ihn, daß er uns einlud, seine Gäste zu sein und bei ihm zu wohnen, was wir natürlich annahmen. Er ließ alle seine „Offiziere“ kommen, deren er auf seine hundert Mann nicht weniger als zwanzig hatte. Man aß kaltes Fleisch und unterhielt sich über militärische Fragen, doch in einer Weise, daß wir Mühe hatte, ernst zu bleiben. Das Wohlwollen der

) Hauptmann. ✽✽) Oberst und Major. ✽✽✽) Feldmarschall.
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„Herren Kameraden“ wuchs von Viertelstunde zu Viertelstunde, und jeder von ihnen versprach uns, beim Pferdeeinkaufe nach Kräften behülflich sein zu wollen. Wir mußten viel vom Khedive erzählen, auch von der Khediva Emineh, welche die schönste Frau von Egypten sei, doch lange nicht so schön wie die Warda) von Kaïrwan. Als ich fragte, wer diese Warda sei, antwortete mir ein jüngerer Mulazim✽✽) ganz begeistert:

„Sie ist erst vor Kurzem aus Fezzan hier angekommen, eine Jüdin, die das Weib eines Tedetu werden soll, der sei zum Islam bekehrten läßt, weil sie sonst sterben müßte. Sie geht nach der Art der dortigen Frauen nicht verschleiert, und Jedermann kann die Wonne ihres Angesichtes trinken.“

In dieser Weise sprach er noch einige Zeit fort, und die Andern stimmten bei; sie waren ebenso begeistert wie er. Wir sahen einander heimlich an. Da hatten wir ja schon, was wir wollten! Ich sorgte durch kurze Fragen dafür, daß das Gespräch so lange bei diesem Thema blieb, bis wir Alles erfahren hatten. Rahel wohnte nicht etwa mit Tahaf zusammen, sondern bei dem Weibe eines Molla✽✽✽), der ihr Unterricht im Islam ertheilte. Tahaf kam nur zuweilen, um sich nach ihren Fortschritten zu erkundigen. Der Mulazim fügte lächelnd hinzu:

„Er hat sie nach der heiligen Stadt gebracht, um eine Mosleme aus ihr zu machen und sie dann als sein Weib wieder mitzunehmen; dies wird aber nicht geschehen. Sie ist unendlich schön und wird deshalb von Jedermann die Warda, die Rose von Kairwan, genannt. Wenn sie rechtgläubig geworden -

) Rose. ✽✽) Lieutenant. ✽✽✽) Priester, Lehrer.
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geworden ist, wird es hundert vornehme Männer hier geben, welche sie zu besitzen wünschen, und der häßliche Tedetu wird von ihr lassen müssen.“

Er ahnte nicht, daß der zukünftige Mann der Rose von Kairwan an meiner Seite saß.

Es war sehr spät, als die Versammlung auseinanderging; dann führte uns der „Feldmarschall“ höchst persönlich nach dem Zimmer, wo wir wohnen und schlafen sollten. Das ganze Meublement bestand aus einem in der Mitte liegenden Teppich und mehreren Kissen rund an den Wänden. Es läßt sich denken, wie befriedigt wir uns niederlegten. Von der großen Gefahr, in welche wir uns begeben hatten, war bis jetzt noch nicht zu spüren gewesen. Wenn es nicht schlimmer wurde, konnten wir zufrieden sein!

Am frühen Morgen führte uns der Mudir nach der großen Moschee. Dieses große Heiligthum war natürlich diejenige Sehenswürdigkeit, die wir zuerst aufsuchen mußten. Er führte uns überall herum und zeigte und erklärte uns Alles. Hätte er geahnt, daß wir Christen waren!

Die sehr hohe und mit Thürmen versehene Außenmauer ist geschmacklos und läßt den Glanz nicht vermuthen, den sie umschließt. Die Moschee ist ein Meisterstück der arabischen Baukunst mit über dreihundert Granit-, Porphyr- und Marmorsäulen; sie hat zwanzig Thüren und gegen hundert Kapellen; ihre Länge mag hundertfünfzig und ihre Breite hundertzwanzig Meter betragen. Leider konnten wir die Schönheit dieses Bauwerkes nicht genießen, denn es waren viele Menschen da, und wir befanden uns in immerwährender Sorge, daß ein Tedetu unter ihnen sein und uns verrathen könne. Glücklicher

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Weise war dies nicht der Fall. Auf dem kurzen Nachhauseweg kamen wir an einem offenen Thore vorüber; der Mudir deutete hinein und sagte zu unserer freudigen Ueberraschung:

„Da wohnt der Molla, bei dem sich die Rose von Kairwan befindet.“

„Wie heißt dieser fromme Mann?“ erkundigte ich mich in möglichst gleichgültigem Tone.

„Sein Ehrenname ist Abu Dijana). Möchtest Du ihn wohl kennen lernen?“

„Es würde meine Seele freuen, einen Allah so wohlgefälligen Gläubigen zu sehen.“

„Er ist mein Freund. Kommt mit herein! Es wird ihm wohlthun, zwei so fromme Offiziere aus Misr✽✽) bei sich zu haben.“

Wir hatten großes, wirklich großes Glück. Wir trafen den Molla daheim; er war ein sehr ehrwürdiger Mann, mit dem wir wohl eine halbe Stunde sprachen. Von Rahel aber war nichts zu sehen und nichts zu hören. Wir durften von der Gunst des Glückes nicht zuviel verlangen.

Wieder daheim angekommen, nahm der Mudir uns mit in seine Wohnung, wo er beim wohlriechenden Tabaksrauche fragte, was wir in Beziehung auf unsere geschäftlichen Absichten zunächst zu thun gedächten. Er war selbstverständlich der Meinung, daß wir die Pferdekäufe im Auftrage des Khedive auszuführen hatten. Ich antwortete:

„Wenn ich mich nicht irre, weiden in der Gegend

) Vater der Frömmigkeit. ✽✽) Egypten.
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von Kairwan die Heerden von zwei Stämmen, nämlich der Uëlad Krofila und der Uëlad Selass. Ist es so?“

„Ja, so ist es.“

„Welcher Stamm hat bessere Pferde?“

„Sie sind einander gleich; aber die Uëlad Selass sind uns näher, und ihr Scheik ist mir verpflichtet. Er würde Euch sehr wohl bewaaren. Wenn es Euch recht ist, reite ich sehr gern mit Euch hinaus.“

„Du würdest unsern Dank dadurch erhöhen.“

„Gut! Wann paßt es Euch?“

„Sobald es Dir gefällig ist.“

„So wollen wir es thun, wenn wir zu Mittag gegessen und geschlafen haben.“

Dieser Mann war wirklich höchst gefällig, und es that mir im Stillen leid, daß wir gezwungen waren, ihn zu täuschen. Als wir dann wieder in unserm eigenen Zimmer befanden, sprach Forster denselben Gedanken aus und fuhr dann fort:

„Wir können mit unsern bisherigen Erfolgen sehr zufrieden sein. Wir wissen, wo Rahel sich befindet. Wie aber kommen wir zu ihr, und wie bringen wir sie heraus?“

„Nichts leichter als da.“

„So? Also wie denn?“

„Davon später. Erst müssen wir Pferde haben.“

„Die haben wir doch!“

„Die jetzigen taugen nichts.“

„Bis Susa halten sie schon aus.“

„Bis Susa? Dahin kehren wir nicht zurück.“

„Nicht? Warum?“

„Weil wir da verloren wären.“

„Wieso?“

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„Wir werden natürlich verfolgt. Können wir uns in Susa schnell genug auf ein Schiff retten?“

„Nein; das ist wahr! Es müßte ganz zufälliger Weise gerade eines da sein.“

„Auch dann ist das Wagniß zu groß, denn wenn die Bemannung muhammedanisch ist, so liefert sie uns aus. Wir können nur auf dem Landwege fliehen, und zwar nach Sfax hinunter.“

„Da sind allerdings sehr gute Pferde nöthig.“

„Die wir heut bei den Uëlad Selass kaufen.“

„Schon heut?“

„Ja und drei Sättels dazu.“

„Wir haben schon zwei.“

„Das ist so gut wie keiner. Wenn wir die „Rose“ aus Kairwan entführen, so haben wir höchst wahrscheinlich keine Zeit, den Sattel von dem einen Pferde zu nehmen und ihn auf das andere zu schnallen; es ist vielmehr anzunehmen, daß wir um unser Leben reiten müssen. Es muß da Alles klappen und vorbereitet sein. Auch einen Anzug müssen wir haben.“

„Für wen? Für Rahel wohl?“

„Natürlich! Kann sie mit uns in Frauenkleidern durch die Stadt gehen oder reiten?“

„Nein. Ich werde diesen Anzug sogleich besorgen; ich gehe nach dem Bazar der Kleiderhändler.“

„Wissen Sie, wo er ist?“

„Ich werde danach fragen.“

„Aber nehmen Sie sich in Acht, damit Ihnen keiner von den Tibbu in den Weg kommt!“

Er führte auch das glücklich aus, denn er brachte schon nach kurzer Zeit einen vollständigen Anzug, welcher

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seiner „Rose“ gewiß paßte; sie mußte in demselben wie ein hübscher vierzehnjähriger Knabe aussehen.

Nach dem Essen wurde eine kurze Mittagsruhe gehalten und dann ritten wir nach dem Lager der Uëlad Selass hinaus. Es begleiteten uns außer dem „Feldmarschall“ noch mehrere Offiziere. Wir wurden gut aufgenommen und kauften drei windschnelle Pferde nebst vollständigem Sattelzeug, nahmen aber nichts mit nach der Stadt; die Thiere blieben draußen auf der Weide, und es wurde ausgemacht, daß wir sie abholen könnten, sobald wir sie brauchten.

Die „Herren Offiziere“ waren außerordentlich kurzsichtig. Sie hätten sich doch fragen müssen, warum und wozu wir die drei Sättels brauchten; daß sie das nicht thaten, ließ auf keinen großen Scharfsinn schließen. Aber ihre Klugheit sollte überhaupt auf keine lange Probe gestellt werden, denn die Entscheidung lag uns viel, viel näher, als wir Beide dachten. Wir machten, als wir am Abende wieder allein beisammen saßen, verschiedene Pläne und wogen sie gegeneinander ab. Das war aber gar nicht nöthig, denn die Frucht fiel ohne unser Zuthun ganz von selbst vom Baume.

Wir wurden nämlich am nächsten Morgen von dem „Marschall“ aufgefordert, mit ihm wieder die Moschee zu besuchen. Wir thaten dies nicht gern, durften uns aber nicht weigern. In einem der Säulengänge trafen wir den Molla, welcher sich über diese Begegnung freute, uns die hervorragendsten Kapellen zeigte und uns dann einlud, ihn nach seiner Wohnung zu begleiten. Er hatte gestern bemerkt, daß ich in der muhammedanischen Literatur bewandert war, und wollte mir die selbstgefertigte

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Abschrift eines religiösen Werkes zeigen. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, abzulehnen, hätten wir dies nicht gethan, weil wir hofften, etwas über Rahel, die „Warda von Kairwan“, zu erfahren. Wir gingen also mit.

Da saßen wir Vier beisammen, der Molla, der Mudir, Forster und ich, und sprachen über das Buch; plötzlich ging die Thür auf, und wir sahen — — — Rahel, welche aus irgend einem Grunde bei dem Ersteren eintreten wollte. Sie war zu jung und unerfahren, als daß sie sich hätte beherrschen und verstellen können, und ich sagte mir sofort, daß die Entscheidung gekommen sei.

Ich sprang auf, Forster ebenso. Rahel stand einige Augenblicke wie versteinert; dann schrie sie im hellen Entzücken auf:

„Mein Geliebter, mein Geliebter! Hamdulillah, ich bin gerettet! Ich bin erlöst! Du bist gekommen, wie ich dachte, und hast mich gefunden!“

Sie flog auf ihn zu und lag im nächsten Augenblicke an seiner Brust.

Die beiden Muhammedaner sprangen jetzt auch auf.

„Maschallah, sie kennen sich! Was ist das? Sie ist eine Jüdin und liegt in den Armen des Moslem!“ rief der „Feldmarschall.“

„Sie, die Verlobte des Tedetu!“ fügte der Molla erstaunt hinzu. „Das ist Sünde; das darf nicht gelitten werden!“

Er wollte die Beiden auseinanderreißen. Da stieß ihn das Mädchen, kräftig wie ein Mann, von sich und rief:

„Fort, Du Peiniger! Du wurdest erkauft, mich zu martern, und ich konnte mich nicht wehren; nun aber sind meine Beschützer, meine Freunde da, diese beiden Christen, welche mich befreien werden und — — —“

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„Christen — — — Christen — — — !“ schrieen der Molla und der Kommandant wie mit einer Stimme.

Sie starrten uns an; dann packte mich der Letztere beim Arme und fragte mich:

„Sie nennt Dich einen Christen! Soll ich das glauben? Ist das wahr? Sage es bei Deiner Seligkeit, ob es wahr ist oder nicht?“

„Ja, wir sind Christen,“ antwortete ich. Es fiel mir nicht ein, jetzt zu leugnen.

„Christen, Christen, Giaurs, räudige Hunde in der heiligen Stadt Kairwan! Sie sind mit in der Moschee gewesen und haben sie geschändet! Sie sollen zerrissen werden, wie man faules Fleisch zerreißt! Ich will —“

Er eilte nach der Thür, welche noch offen stand, und der Molla folgte ihm. Sie wollten hinausrufen; aber ich war noch schneller als sie, riß sie zurück und machte die Thür zu.

„Giaur!“ donnerte mich der „Marschall“ an, und „Giaur!“ schrie auch der Molla.

Ich antwortete mit der Faust. Zwei Jagdhiebe an ihre Köpfe, und sie stürzten betäubt zu Boden.

„Schnell fort, fort, fort!“ sagte Forster, indem er die „Rose“ bei der Hand ergriff, um sie forzuziehen.

„Halt!“ warnte ich. „Keine Uebereilung, sonst sind wir verloren! Rahel, kennst Du die Straßen der Stadt?“

„Fast alle,“ antwortete sie mit vor Aufregung fliegendem Athem.

„Auch das südliche Thor, welches nach den Weidegründen der Uëlad Selass führt?“

„Ich kenne es.“

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„Geh’ schnell zu diesem Thore und dann weiter fort, doch langsam, damit Du kein Aufsehen erregest!“

„Warum — — ich — — ich — —“ stotterte sie.

„Fort, fort! Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, sonst giebt’s kein Gelingen!“

Forster wollte eine Einwendung machen; aber ich schob das Mädchen hinaus und hielt ihn zurück. Es gab keine Riemen oder Stricke da; darum riß ich schnell den Turban des Molla in Stücke und band und knebelte ihn und den Commandanten damit. Dann eilten wir fort, nach dem Hause des Letzteren. Ich forderte Forster auf, Alles, was uns gehörte, aus unserm Zimmer zu holen, und ging nach der hinteren Ecke des Hofes, wo unsere Pferde ein Unterkommen gefunden hatten; das Riemenzeug lag dabei, und ich machte mich an’s Satteln. Soldaten sahen es und kamen herbei, einige Offiziere auch. Diese fragten mich, wohin ich so schnell wolle; ich gab ihnen ausweichende Antworten. Da kam Forster; er hatte Alles in den Händen. Ich nahm meine beiden Gewehre und stieg auf’s Pferd; er folgte diesem Beispiel; wir ritten fort! Jetzt mochten die Militärs ahnen, daß mit uns nicht Alles in Ordnung sei. Laute Rufe erschallten hinter uns; wir achteten nicht darauf und ritten zum Thore hinaus, im Schritte; draußen aber begannen wir, zu traben.

Wir kannten den Weg nach dem Südthore. Als wir die vierte und fünfte Gasse erreichten, sahen wir einen Menschenknäuel in derselben. Er kam uns entgegen. Forster stieß einen Schreckensruf aus und deutete darauf hin. Ich sah Tahaf, welcher Rahel unterwegs getroffen und zum Umkehren gezwungen hatte; es waren

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noch zwei Tibbu bei ihm. Rahel wehrte sich; das hatte den Auflauf erregt.

„Jagen Sie mitten durch die Menge und dann zum Thore hinaus!“ forderte ich Forster auf.

„Aber Rahel — — meine Geliebte!“ antwortete er.

„Die bringe ich nach!“

„Die Tibbu halten sie fest!“

„Unsinn! Ich bin Old Shatterhand, wissen Sie! Gehorchen Sie! Vorwärts, schnell!“

Diese Worte wirkten; er jagte in den Menschenhaufen hinein und ritt mehrere Personen nieder. Tahaf erkannte ihn.

„Ein Christ, ein Christ!“ brüllte er, indem er vor Ueberraschung Rahel losließ.

Das benutzte ich und trieb mein Pferd zwischen ihn und sie. Da sah er auch mich und schrie:

„Zwei Christen, zwei Christen! Haltet sie! Tödtet sie!“

Seine Tibbu stimmten ein. Ich bückte mich vom Pferde, faßte Rahel mit der rechten Hand, schwang sie zu mir herauf und jagte fort. Hinter mir ertönte ein wüthendes Geheul, welches mir nun vollständig gleichgültig war. Mein Pferd flog die Straße hinab, durch die folgende auch und dann zum Thore hinaus. Dort ereilte ich Forster.

„Gott sei Dank; Sie haben sie!“ rief dieser.

„Keine Worte jetzt,“ antwortete ich. „So schnell wie möglich zu den Uëlad Selass!“

Nach fünf Minuten war die Stadt hinter uns verschwunden. Eine Viertelstunde später sahen wir von Weitem, rechts von uns, die erste Hammelheerde der Selass. Ich ließ Rahel vom Pferde und gebot ihr:

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„Geh’ weiter jetzt, immer gerade aus! In kurzer Zeit sind wir wieder bei Dir!“

Sie gehorchte und wir jagten nach dem Lager der Selass, um unsere Pferde zu verlangen. Sie weigerten sich nicht, sie uns zu geben, obgleich sie sich über unsere große Eile wunderten. Sie halfen uns sogar beim Satteln und erstaunten nicht wenig, als wir ihnen unsere alten Pferde schenkten, ehe wir auf den neuen fortritten.

Eine Viertelstunde, nachdem wir uns von der „Rose von Kairwan“ getrennt hatten, waren wir wieder bei ihr; wir halfen ihr auf das dritte Pferd und jagten weiter, gerade noch zur rechten Zeit, denn wir sahen im Norden von uns eine Wolke von Reitern erscheinen. Erst zu Mittag hielten wir bei einem Gebüsch an, wo wir uns so viel Zeit nahmen, daß Rahel den Knabenanzug anlegen konnte. Wir waren geretten. Das Glück der „Rose“ und ihres Geliebten „aus dem Bilad Amirika“ brauch’ ich nicht zu beschreiben. —

Wir erreichten wohlbehalten Sfax, wo wir so glücklich waren, einen Dampfer der Societa Rubattino vorzufinden, der uns mit nach Tripolis nahm. Unterwegs erzählten wir Rahel von dem Tode Manasse Ben Aharabs und daß dieser nicht ihr Vater gewesen war. Sie weinte sehr, tröstete sich aber mit dem Glücke, nun von dem Geliebten nicht wieder getrennt zu werden. Von den Tibbu war sie unterwegs zwar als Gefangene, aber sonst ganz erträglich behandelt worden. Wie freute sie sich, als mit einer Karawane ihre treue Rebekka aus Mursuk in Tripolis ankam! Das hatte Forster so veranstaltet. Die gute Seele ging mit dem jungen Paare gern hinüber nach dem „Bilad Amirika.“

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Und das Amulet?

„Warda“, die Rose, hatte es, so weit sie zurückdenken konnte, stets an einem Kettchen am Halse hängen gehabt. Es war ein rundum zugenähtes, kleines Lederetui. Als sie es aufschnitt, kam ein Madaillon zum Vorschein, welches einen schönen, charactervollen Männerkopf in Miniaturmalerei enthielt. Wir konnten die kleine Platte herausnehmen; auf der Rückseite derselben las ich zu meiner Ueberraschung

„Robert Surcouf, Paris 1804.“

War dieser der „berühmte Kapitän“, von welchem der sterbende Matrose gesprochen hatte? Und wenn, in welcher Weise durfte sich dann Rahel seine Enkelin nennen? Es gab da eine ganze Reihe von Fragen, von denen keine mit Sicherheit zu beantworten war, denn es sind alle Nachforschungen vergeblich gewesen. Ueber eine Frage aber herrscht die vollständigste Klarheit, nämlich über die, ob die „Rose von Kairwan“ glücklich geworden ist. Die Antwort besteht in einem Ja, gegen welches kein Zweifel erhoben werden kann.— — —

(Schluß der dritten Abtheilung.)