Ein Kampf mit Piraten. . . . . . . . . . . . . . . .51
Ein Abenteuer in Südafrika. . . . . . . . . . . . . .67
An Bord der Schwalbe. . . . . . . . . . . . . . . .80
Der Brand des Ölthals. . . . . . . . . . . . . . . .99
Die Rache des Ehri. . . . . . . . . . . . . . . . .117
[Angebunden: Auf dem Rio Gila]. . . . . . . . . .[129]
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Der Karawanenwürger.Von Karl May.
1. Assad Bei, der Herdenwürger.
Zwischen dem Gebiete des Mittelmeeres und der eigentlichen Sahara, also zwischen dem Sinnbilde der Fruchtbarkeit, der Civilisation und dem Zeichen der Unfruchtbarkeit, der Barbarei, liegt die Nordafrikanische Steppe, welche vom atlantischen Oceane bis zum indischen Meere reicht. Eine breite Reihe von Hochebenen und nackten Höhenzügen bildend, deren kahle Berge aus den unbelebten Gewässern salziger Seen emporsteigen, ist sie im Sommer von den Zelten und Herden wandernder Araberstämme bedeckt, während sie im Winter öde und verlassen unter der Decke des auch hier fallenden Schnees liegt.
Die Kultur hat es nicht vermocht, hier eine bleibende Ruhestätte aufzuschlagen; auf diesen Höhen bringt höchstens die Gerste ihre Körner zu einer notdürftigen Reife, und die hungernden Herden nagen jede Erscheinung aus dem Pflanzenreiche mit gierigem Zahne bis an die Wurzel ab. Kein Haus, kein Baum bietet dem umherschweifenden Auge einen wohlthätigen Ruhepunkt; Kieselbruch und Geröll bedeckt den Boden, oder wandernde Dünen schleichen sich, von dem fliegenden Sande genährt, Schritt um Schritt über die traurige Fläche, und wo sich irgend ein Wasser zeigt, da liegt es in seinem Becken wie eine tote Masse, aus der jeder lebendige, blaue Ton verschwunden ist, um einem unbelebten schmutzigen Grau zu weichen.
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Ein deutscher Reisender, namens Korn hatte die Küstengegend verlassen, um einen Ausflug in die trübe Einsamkeit dieser Strecke zu machen und dann über Augila und Siwah Aegypten zu erreichen. Nur sein Diener Mahmud begleitete mich. Er war weit im Oriente herumgekommen, sprach ein wunderliches Mischmasch aller arabischen und türkischen Dialekte, hatte zuletzt als Fremdenführer in Algier fungiert und war in seine gegenwärtige Stellung getreten, um endlich einmal zu wissen, wem er angehöre. Er hatte eine wahrhaft riesige Goliathgestalt, wie sie bei den meist schlank gebauten Arabern höchst selten ist, und besaß eine dem entsprechende Muskelkraft, die Korn eigentlich veranlaßt hatte, ihn zu engagiren. Seine Stärke konnte bei den gefahrvollen Wanderungen durch die Wüstenländer von Nutzen sein. Leider machte er aber bald die Erfahrung, daß Mahmuds Mutlosigkeit ebenso groß war, wie seine ungewöhnliche Körperstärke; er war trotz seiner Enacksfigur ein Hasenfuß und wurde von mir nur deshalb beibehalten, weil er die Verhältnisse des Landes genau kannte und ein munterer, lebhafter Gesellschafter war, mit dem man sich die Zeit verkürzen konnte.
Er ritt ein zwar sehr ausdauerndes aber kleines, dürftiges beduinisches Pferdchen, so daß seine lang herabhängenden Füße fast die Erde schleiften, hatte seine respektgebietende Gestalt mit allen möglichen Waffensorten behangen und besteckt und verstand es trefflich, seinem Gesichte einen so martialischen Ausdruck zu geben, daß er bei geeigneter Gelegenheit recht gut als Abschreckungsmittel zu dienen vermochte.
Wir waren den ganzen Tag geritten. Jetzt neigte sich die Sonne dem Horizonte näher, und einige durch die dünne Luft schießende Schwalben, welche der poetische Araber „Vögel des Paradieses“ nennt, bestätigten uns das Nahen der abendlichen Ruhezeit.
„Hamdulillah, Preis sei Gott, Sihdi,“ seufzte Mahmud und
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warf die Kapuze seines Burnus, welche sein Gesicht vor dem Sonnenstrahl geschützt hatte, in den Nacken zurück. Dieser Burnus war früher einmal weiß gewesen, sah jetzt aber aus, als habe er ein halbes Jahrhundert in der Feueresse gehangen und sei darauf mit einer fetten Speckschwarte ganz tüchtig eingerieben worden. „Mahmud el kebihr, Mahmud der Große, wie dein tapferer Diener von allen, die ihn kennen, genannt wird, ist müde wie eine Wachtel, die über das Meer geflogen kommt. Wann werden wir vom Pferde steigen?“
Korn mußte lächeln, daß Mahmud der Große es nicht verschmähte, sich mit einer Wachtel zu vergleichen. Er machte den Versuch, ihn zu trösten:
„Der Mueddihn ruft erst zum Gebete, erst wenn die Sonne in das Sandmeer taucht. Und auf das Gebet folgt die Ruhe!“
„Mahlesch, das ist nichts, o Herr! Jetzt ist ja erst das „Assr“, die Zeit des Karawanenaufbruchs, zwei Stunden von dem Abende. Dein Knecht Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar fällt vom Pferde, wenn er noch so lange reiten soll. Sein Sattel brennt ihm zwischen den Beinen, als hätte er einen abgerissenen Zipfel von der Hölle unter sich! Hab Erbarmen mit ihm und laß ihn auf die Erde steigen!“
Statt aller Antwort setzte Korn seine Berberstute in Galopp. Mahmud mußte folgen und sein Herr that, als ob er die aus allen orientalischen Sprachen zusammengesuchten Kraftwörter, welche er in den Bart murmelte, nicht vernehme.
Korn hatte nämlich bemerkt, daß sein Pferd die Nüstern aufbließ; es mußte feuchte Luft schmecken, und vielleicht war eines jener oben erwähnten Wasser, welche „Birket el fehlate, tote See“ genannt werden, in der Nähe. Wir ritten eine sanft abfallende, sandige Höhe hinab, welche sich unten zu einer ziemlich ausgestreckten Ebene ausbreitete, und als Korn sein Glas hervornahm, um dieselbe abzusuchen, gewahrte er eine Reihe von Zelten,
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in deren Nähe Schafe und Rinder weideten. Sie hatten ein arabisches Wanderdorf vor sich und konnten sicher sein, eine gastfreundliche Aufnahme zu finden.
In kurzer Zeit hatten sie den trüben See erreicht, in dessen Nähe das Dorf lag und hielten ihre Pferde gleich beim ersten Zelte an. Es wäre eine ganz unverzeihliche Beleidigung für den Besitzer desselben gewesen, wenn wir in einem der folgenden Aufnahme gesucht hätten. Der Bewohner der Wüste ist ein geborener Dieb und Räuber, aber das Gastrecht hält er so hoch, daß er es nie verletzt.
Das alte, vielfach zerfetzte Tuch, welches den Eingang bedeckte, wurde bei Seite geschoben, und es trat ein alter Mann hervor, der sie mit neugierigen und verwunderten Blicken musterte. Sein sonnengebräuntes Gesicht war voller Falten und seine ausgedorrte Gestalt tief gebeugt; er mochte wohl an die neunzig Jahre zählen.
„Sallam aleïkum!“ grüßte Korn, die Hand zur Brust erhebend. „Hast du ein wenig Raum für uns, wo wir das Haupt zur Ruhe legen können?“
„Marhaba ia Sihdi, du sollst willkommen sein, o Herr!“ antwortete er einfach, trat zu Korns Pferde heran und faßte es beim Zügel, damit er absteigen möge.
Korn that es. Es ließ sich ringsum keine Menschenseele erblicken, und nur einige neugierige Frauenköpfe blickten durch die leise zurückgezogenen Thürvorhänge.
„Wo sind die Männer, denen diese Zelte gehören?“ frug Korn.
„Das will ich dir sagen,“ antwortete er und trat darauf mit plötzlich sehr ernst gewordener, geheimnisvoller Miene an Korn heran. Er hielt die zwei hohl ausgebogenen Hände an des Reisenden Ohr und flüsterte so leise, daß Korn es kaum verstehen konnte:
„Kennst du Assad, den Aufruhrerregenden? Kennst du Assad-Bei, den Herdenwürger?“
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Korn nickte bejahend mit dem Kopfe.
„Er ist unserer Herde gefolgt schon lange Zeit, raubt uns die besten Thiere und hat sich erst in der vergangenen Nacht wieder ein Rind geholt, aaïb aaleihu, Schande über ihn!“
Korn konnte den leisen Flüsterton begreifen. Der Araber hat einen außerordentlichen Respekt vor dem Löwen; so lange das gewaltige Thier noch lebt, nennt er es mit den hochtrabendsten Namen, um es ja nicht zu beleidigen und so zur Rache herauszufordern; ist es aber getötet worden, so bewirft er es mit den demütigendsten Schimpfworten, deren die Sprache seines Landes eine überaus reiche Zahl besitzt. Er läßt sich lange Zeit die besten Stücke seiner Herden rauben, ehe er sich zu einem Angriffe entschließen kann, denn dieser kostet stets wenigstens ein, meistens aber mehrere Menschenleben.
Der sonst so tapfere Sohn der Wüste wagt es nämlich nie, wie es der kühne europäische Jäger zu thun stets vorzieht, den Löwen allein anzugreifen; es treten die sämtlichen waffenfähigen Männer des Dorfes zusammen, suchen das Lager des Tierkönigs auf, locken ihn durch lärmendes Brüllen, Rufen, Pfeifen und Schießen aus demselben hervor, und jagen ihm, sobald er erscheint, aus ihren langen, unsicher treffenden Flinten so viel Kugeln wie möglich auf den Leib. Der Löwe stürzt nie sofort. Selbst wenn er zum Tode verwundet ist, besitzt er noch so viel Kraft, sich auf einen oder auch mehrere zu werfen und den an ihm verübten Mord blutig zu rächen.
Die Furcht, welche man vor ihm hegt, geht sogar so weit, daß man bei dem Entschlusse eines Angriffes nur leise spricht; man meint, er könne es hören. Darum teilte mir der Alte die Nachricht auch nur heimlich mit und warf dabei ganz besorgte Blicke nach der Gegend, in welcher das Abenteuer stattfinden sollte. Assad-Bei, der Löwe, hätte ja seine Worte vernehmen können.
Bei seiner Mitteilung war alle Müdigkeit in Korn verschwunden -
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verschwunden. Im „wilden Westen“ von Amerika hatte er so mancher wilden Bestie gegenüber gestanden und dabei dem Tode in das Auge geschaut; jetzt war er nach Nordafrika gekommen, um den Löwen zu sehen; aber dieser Wunsch war ihm trotz aller Mühe bisher unerfüllt geblieben. Heut nun war ganz ohne alle Erwartung seine Erfüllung möglich; sollte er furchtsam zaudern?
„Nimm unsre Tiere auf,“ bat er. „Ich werde gehen, um den „Sihdi el salssali, den Herrn des Erdbebens“ aufzusuchen!“
Korn wußte, daß der Löwe wegen der Macht seiner Stimme so genannt wird.
„Sprich leise!“ bat der Alte ängstlich. „Wenn er es hört, so bist du verloren. Er kommt herbei und reißt dich in Stücke.“
„Allah akbar, Gott ist groß!“ lamentierte Mahmud, der Goliath. „Bist du toll, Herr, daß du dein Fleisch zerreißen und deine Knochen zermalmen lassen willst von der fürchterlichen Katze, die mehr Kraft hat als zehn Scheidans, als hundert Teufel zusammen genommen?“
„Hat Mahmud el kebihr Angst und Furcht im Herzen?“ frug Korn ihn.
„Ich? Sihdi, wenn mich ein anderer so fragte, so würde ich ihn auf der Stelle erwürgen. Mahmud Ben Mustafa Jaakub Ebn Baschar hat niemals Angst und Furcht, das weißt du ganz genau; aber er ist nicht jung und auch nicht fett genug; der Löwe mag ihn gar nicht fressen.“
„Er soll dich auch nicht fressen: du bleibst bei den Pferden!“
Niemand war froher über diesen Befehl, als er; um auch seinen Herrn abzuhalten, erging er sich in der kräftigsten Schilderung der Gefahr, welche diesen erwartete. Es half ihm nichts; Korn zog seine Doppelbüchse hervor. Es war ein „Bärentöter“ gekauft in Front-Street, St. Louis; sie hatte ihren Besitzer niemals im Stiche gelassen, und jede der aus ihr geschossenen konischen
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Kugeln war ihrer Schuldigkeit nachgekommen. Korn wußte, daß sie ihm nicht versagen würde und das war die Hauptsache.
„Hamdulillah, Preis sei Gott,“ meinte der Alte mit frohem Gesichte. „Allah ist barmherzig und gnädig; er hat dich zu uns gesendet und wird deine Waffe segnen!“
Er hatte Korn als einen Europäer erkannt. Der Morgenländer hält jeden Franken, der ein Gewehr trägt, für einen ausgezeichneten Schützen und hat Respekt vor ihm, denn er weiß, daß der Franke den Mut besitzt, jedem wilden Tiere ganz allein entgegen zu treten.
Nachdem Korn zu seiner Erquickung nach dem angestrengten Ritte einen Schluck Wasser aus dem dargereichten Schlauche genommen hatte, ließ er sich den Ort bezeichnen, an welchem die Seinen zu finden seien. Vom See aus zog sich eine immer breiter werdende Vertiefung den Hügel hinan; es war eines jener Thäler, welche, Wadi genannt, sich bei den seltenen, dann aber desto stärkeren Regengüssen plötzlich mit Wasser füllen, sonst aber ausgetrocknet und nur an ihren Rändern mit einem dürftigen Pflanzenwuchse bestanden sind.
„Ganz oben in diesem ‚Bauch der Steine’ hat der Herr mit dem dicken Kopfe, sein Lager,“ flüsterte der Alte, auf die mit Steingerölle besäete Schlucht deutend. „Er wird bald hervortreten, denn die Sonne geht zur Rüste, und dann soll er in die Tschehenna, in die Hölle gehen! Lauf schnell. Du bist berühmt unter den Söhnen der Jagd und wirst ihn töten!“
Es war spaßhaft, mit welcher Schmeichelei er es zu bewerkstelligen suchte, daß der Löwe den Fremden statt einen der in das Dorf Gehörigen verspeisen möchte. Korn gab Mahmud dem Großen noch einige kurze Verhaltensmaßregeln und ging dann fort.
Hatte der Löwe sein Lager wirklich in der Schlucht, so befand es sich jedenfalls in dem oberen Teile derselben. Um diesen so bald wie möglich zu erreichen, vermied Korn die Windungen,
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welche sie machte, und schritt von den Zelten aus gleich direkt nach der Richtung, in welcher er das Ziel vermutete.
Er hatte richtig gerechnet, denn kaum befand er sich in der Nähe des oberen Wadi, so vernahm er einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aus der Tiefe scholl. Rasch eilte er dem vor ihm liegenden Rande zu und konnte dann die Situation vollständig überblicken.
Ihm gerade gegenüber zog sich ein stacheliges Mimosengebüsch die steile Böschung hinan, welches von den schreienden Arabern vollständig umzingelt war. Es mußte den Löwen verbergen, denn die oberhalb des Gestrüppes Befindlichen rollten große Steine in dasselbe, um das Tier herauszutreiben. Korn empfing einen eigentümlichem Eindruck von dieser untaktischen Art und Weise, ein Wild zu jagen, welches sich am besten des Nachts, Auge in Auge und ohne allen Lärm erlegen läßt. Die Männer schwangen die Flinten und Messer, tanzten dabei vor Aufregung und suchten sich durch kreischende Zurufe zu ermuthigen.
Da bemerkte Korn eine leise Bewegung inmitten des Gebüsches; sie wurde stärker, und in wenigen Augenblicken trat er hervor, nicht schnell, nicht nach Katzenart springend und schnellend, sondern langsam, mit sicheren, majestätischen Schritten. Die reiche, dunkle Mähne hing ihm wirr um Kopf und Vorderleib; den starkbequasteten Schwanz zog er langgestreckt hinter sich her; es war ein wirklich prachtvoller Anblick, das edle Tier so selbstbewußt und ruhig inmitten der schnell auf seinen Leib gerichteten Gewehre stehen zu sehen, und es wollte ihm wirklich scheinen, als bemerke er ein verächtliches Funkeln der großen rollenden Augen.
Da blitzte es aus allen Läufen auf; die Schüsse krachten. Ihn packte die Jagdlust, und mehr gleitend als steigend fuhr er in die Tiefe hinab. Man bemerkte sein Kommen gar nicht. Der Löwe war von mehreren Kugeln, aber nur leicht getroffen worden und mit zwei weiten Sätzen auf den nächststehenden seiner Feinde
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losgesprungen. Er hatte diesen niedergerissen, ihm die beiden Vordertatzen auf die Brust gesetzt und hob nun den Kopf zu einem Brüllen, wie man es niemals in einer Menagerie, sondern nur aus der Kehle des wirklich freien Tieres zu hören vermag. Im nächsten Momente mußte der Mann zerrissen sein.
Korn bekümmerte sich nicht um die andern, welche teils entflohen waren oder mit leeren Flinten und vor Schreck bewegungslos dastanden, sondern eilte grad auf den Löwen zu. Dieser bemerkte ihn und trat, ein Umstand, welcher nur außerordentlich selten vorzukommen pflegt, von seinem Opfer zurück. Korn knieete nieder und legte an. Er empfand keine Furcht und keine Angst, aber er wußte, daß sein Leben von der Sicherheit seines Schusses abhing. Die rollenden Augen glühten ihm Verderben drohend entgegen, der Schwanz krümmte sich verräterisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprunge zusammen; ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib. Korn drückte los, und der Schuß traf das Tier mitten im Sprunge.
Zurückspringend riß er das Messer aus der Scheide. Der Löwe war mitten im Sprunge gestürzt, wälzte sich zuckend noch einigemal hin und her und hatte dann verendet.
„Hamdulillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!“ erscholl es aus allen Kehlen. „Hasa nessieb, das hat Gott geschickt, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohne ist tot; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben ohne Ruhm und Ehre. Der Schakal und die Hyäne mögen ihn fressen, der gewaltige Bartgeier mag ihm das feige Herz zerhacken, und die Gazelle mag ihn und seine Väter beschimpfen, ihn, der ohne Blut und Kampf und Gegenwehr aus dem Leben der Lebendigen gegangen ist. Holt die Hariri, die Musikanten herbei; sie werden ihm auf der Rababa seine Schmach vorpfeifen!“
So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man
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trat den toten Körper mit Füßen, man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spie ihm verächtlich in das Gesicht. Die Spannung hatte Korn verlassen; es war ihm, als sei er einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen oder aus einer langen, langen Gefangenschaft befreit, und tief atmend sah er dem Treiben der sanguinischen Söhne einer glutüberfluteten Länderstrecke zu.
„Welch ein Glück, daß du zur rechten Zeit gekommen bist!“ klang es da neben mir.
Es war derjenige, welcher unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches von der Sonne fast schwarz gebrannt war. Seine großen, scharfen dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewichte bringen; das war ihnen leicht anzumerken.
„Nicht ich, sondern Allah hat es gethan,“ antwortete Korn. „Ihm allein die Ehre!“
„Ja, ihm die Ehre und dir den Dank!“ berichtigte er, indem sein Auge scharf und forschend über ihn glitt. „Du bist fremd unter den Kindern der Wüste?“
„Ich komme aus Frankhistan, um Assad-Bei, den Herdenwürger zu töten.“
„Du hast ihn getötet; Allah gab dir Heil und Gnade. Sei mein Gast. Ich bin der Bei el Urdi, der Herr des Lagers, welches da unten am Wasser steht; du hast mir das Leben gerettet und sollst Gnade und Vergeltung finden.“
Korn sah ihm bei diesen rätselhaften Worten erstaunt in das Gesicht. Er bemerkte es.
„Die Haut des ‚Herrn mit dem dicken Kopfe’ ist dein Eigentum; du wirst sie erhalten. Laß diese Männer hier; komm mit, ich will dich leiten!“
Ohne sich nach den andern umzusehen, schritt er davon. Korn folgte ihm in das Wadi hinab. Am Ausgange desselben, da wo
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es sich gegen den See öffnete, war eine bedeutende Anzahl von Kamelen angepflockt. Es waren nicht die gewöhnlichen Lasttiere, wie man sie für 400 Piaster bekommt, sondern ohne Ausnahme Reitkamele, echte Hedjihn, wie man sie in solcher Anzahl selten findet und mit mehreren tausend Piaster bezahlt. Er blieb stehen.
„Du willst in das ‚Meer ohne Wasser,’ welches ihr Sahara nennt?“
„Ja.“
„Hast du schon ein Djemmel, ein Kamel, wie du es brauchst?“
„Nein!“
„So sieh dieses Tier hier an! Es ist ein Hedjihn, ein Bischarinhedjihn, wie es in der ganzen Sahel kein zweites giebt. Es ist dein, ich schenke es dir!“
Er wollte widersprechen, denn er hatte von dem Werte eines Bischarin gehört, der Araber aber winkte mit einem so gebieterischen Blicke zum Schweigen, daß Korn seinen Einspruch für später aufhob, und setzte, seinem Gaste voranschreitend, seinen Weg fort.
Warum waren diese Kamele hier in dem Bereiche des Löwen versteckt? Woher hatten diese augenscheinlich armen Hirten diese Menge so kostbarer Tiere? Aus welchem Grunde waren es lauter Reit- und keine Lasttiere? Weshalb hatte er von Gnade und Vergebung gesprochen, wo er ihm doch nur Dank schuldig war? Der Mann hatte ein böses Auge: Korn konnte sich diese Fragen nicht beantworten und beschloß, vorsichtig zu sein. —
2. Hedjahn-Bei, der Karawanenwürger.
Die Karawane hatte vor längerer Zeit Augila verlassen, und nach Korns Berechnung konnten sie längst Siwah erreicht haben. Der alte Schech el Djemali, wie der Älteste der Kameltreiber
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genannt wird, wollte ihm gar nicht gefallen; sein finsteres, schroffes Wesen war nicht Vertrauen erweckend. Schon vorgestern hatte er den Reisenden versichert, daß Siwah nahe sei und doch sahen sie heute noch keine Spur, welche auf die Nähe einer Oase oder, wie der Araber sagt, einer „Uah,“ deutete. Der letzte Tropfen Wasser war verzehrt, die Schläuche dorrten zusammen; sie mußten das widerliche Durrha-Mehl trocken essen, so wie es in dem Beutel war, und dazu lag die Atmosphäre wie flüssiges Erz um ihre Glieder und die Erde brannte wie glühendes Eisen.
Da plötzlich kam freudige Bewegung in die langsam dahinschleichende Reihe der Wanderer, denn über dem dichtumflorten Horizonte hoben sich die scharfen Umrisse der erwünschten Uah empor. Auf schlanken Säulen bauten sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen über einander und ihre leichten, vollen Fliederkronen wehten in dem frisch sich erhebenden Wüstenwinde. Zwischen grünen Hainen schimmerte es wie das Wellengekräusel eines lieblichen Sees, und die Luft schien sich von den Ausdünstungen des Wassers zu feuchten. Die Palmenkronen spiegelten sich in der glitzernden Wasserfläche und Kamele wateten in der Flut, ihren langen Hals herunterstreckend, um das belebende Naß zu schlürfen.
„Hamdulillah, Preis sei Gott!“ rief es. „Das ist Siwah; der Herr hat uns errettet, ihm sei Lob und Dank!“
„Hauehn aaleihu il Allah, hilf ihnen, o Gott,“ bat Mahmud der Große, welcher an Korns Seite ritt; „sie haben vor Hitze und Durst den Verstand verloren und sehen die Fata morgana, die gefährliche Spiegelung für Wirklichkeit an!“
Er zog die Flasche hervor, welche schon vor vier Tagen leer geworden war und setzte sie zum tausendstenmal vergebens an den Mund, um ihr noch einen Tropfen des mit Zibib gewürzten Wassers zu entlocken.
„Sie bleibt leer,“ klagte er seufzend. „Mahmud Ben
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Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar wird an seiner trockenen Kehle sterben!“
Er hatte recht; es war eine Fata morgana. Korn zog die Karte und den Kompaß hervor, wie er schon öfters gethan hatte. Seine Berechnung brachte ihn immer wieder zu der Überzeugung, daß sie sich nicht mehr auf dem rechten Wege befanden. Er ritt zum zehnten oder zwanzigstenmal vor an die Spitze des Zuges zum alten Schech el Djemali und machte ihm Vorstellungen. Er hörte sie schweigend an, gab keine Antwort und ritt weiter.
„Ist dein Ohr taub geworden,“ frug ihn Korn, „oder willst du nicht hören?“
„Allah kerim, Gott ist gnädig, aber die Geduld eines Menschensohnes hat ein Ende,“ ließ er sich endlich vernehmen. „Wer ist der Bei, der Oberste hier, du oder ich?“
„Keiner von uns beiden. Du bist der Führer; wir haben uns dir anvertraut, und jeder darf dich nach dem Wege fragen!“
„So geh, wenn du einen bessern weißt! Ich bin ein Hadschi, der Gott gefällt, du aber bist ein Giaur, ein Ungläubiger, den Gott zur Hölle fahren läßt. Geh fort, du machst mich unrein!“
Im nächsten Augenblicke fuhr Korns Kamelpeitsche durch die Luft und ihm so kräftig über das Gesicht, daß darin sofort eine dicke Schwiele sichtbar ward. Er riß die lange Flinte von der Schulter und legte auf den Reisenden an.
„Stirb! du Hund!“
Er drückte nicht los. Der Revolver, welchen Korn ihm entgegenstreckte, hielt ihn davon ab, aber kaum war eine Minute vergangen, so hatte die Karawane einen drohenden Kreis um die beiden gebildet.
„Er hat einen Gläubigen, einen Hadschi geschlagen; er muß sterben!“ rief der Schech. „Ich war zwölfmal in Mekka, der Stadt des Propheten, dreimal in Medina, der Ruhmbedeckten und habe zu Dschidda gebetet, wo Eva, die Mutter der Mensch-
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heit begraben liegt, fünfhundert Fuß lang und zwölf Fuß breit. Was aber hat er gethan, und an welchem gottgefälligen Orte ist er gewesen? Er ist ein Franke, welcher Isa Ben Marryam, Jesus, den Sohn Mariens anbetet, und hat mich in das Gesicht geschlagen. Er muß sterben!“
Korn wußte, daß er unter gewöhnlichen Umständen mit dem raschen Hiebe ein Leben gewagt hätte, aber er hatte nicht Lust, sich, wie leider so viele europäische Reisende, von einem bigotten und unwissenden Menschen nur allein deshalb ungestraft beleidigen zu lassen, weil ich ihm und den Seinen allein gegenüber stand. Nach seiner Meinung hat der Angehörige einer civilisierten Nation die Ehre derselben unter allen Umständen zu vertreten und er brauchte sich vor den halb verschmachteten Leuten wenig oder gar nicht zu fürchten. Er war verhältnißmäßig noch bei guten Kräften und hatte allein für seine Person, Mahmud gar nicht mitgerechnet, mehr sichere Kugeln zu versenden, als sie aus allen ihren langen und ungefährlichen Schießgewehren.
„Mach deinen Mund zu, du Ausbund aller Frömmigkeit,“ antwortete er mutig, „sonst werde ich dir ihn schließen! Du bist ein Hadschi, ein Pilger, der nur von Augila nach Mekka und von Mekka nach Augila gewandert ist, ich aber bin in allen Ländern der Erde gewesen und habe Städte und Menschen gesehen, deren Namen du nicht einmal kennst. Glaubst du ein Franke fürchtet sich vor dir? Ein einziger Mann aus Frankhistan ist weiser und klüger als hundert Schechs el Djemali, denn er hat einen Geist bei sich, der ihm alle Orte nennt und alle Wege führt, auch wenn er sie noch nie betreten hat. Schau her, du Inbegriff aller Klugheit! Siehst du, wie der Geist bebt vor Zorn darüber, daß du uns einen falschen Weg geführt hast?“
Korn zeigte ihm den Kompaß vor, auf den er sein Auge mit unendlichem Staunen richtete. Der Orientale ist im höchsten Grade abergläubisch und liebt es, sich in vulminanter Weise
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auszudrücken. Korn wußte daher, was er that, wenn er hier ein Eigenlob gebrauchte, für welches er in der Heimat herzhaft ausgelacht worden wäre. Darum fuhr er fort:
„Sieh her! Diese zwei Revolver, von denen du noch niemals gehört hast, fressen zwölf Männer auf, diese Büchse nimmt zwei von ihnen weg und dieser Henry-Stutzen, dessen Namen noch kein einziges Mal an dein Ohr gedrungen ist, kostet fünfundzwanzig Gläubigen das Leben, wenn ihr es wagt, mich anzutasten. Gott erhalte dir deinen Verstand und gebe dir Besserung, sonst versammle ich dich zu deinen Vätern, obgleich du zwölf Mal in der Stadt des Propheten gewesen bist. Ein Schech el Djemali, der seinen Weg nicht kennt, ist schlimmer für den Wanderer als der Smum, der giftige Wüstenwind. Nimm deine Flinte weg, sonst schieße ich dich von dem Rücken deines Djemmels herunter, welches klüger ist und weiser als sein Herr!“
Diese Worte hatten eine sofortige Wirkung. Er warf das Gewehr wieder über den Rücken und machte Miene, den unterbrochenen Weg wieder aufzunehmen.
„Halt, du Nachkomme Salomos; wir sind noch nicht fertig! Du sagst, wir seien auf dem richtigen Wege. Wann werden wir Siwah erreichen?“
„Morgen noch vor Sonnenuntergang.“
„Gut! Wir werden dir noch folgen; aber wenn wir die Uah bis morgen beim Niedergang der Sonne noch nicht sehen, so geht die Sonne deines Lebens unter, ich schwöre es dir bei dem Barte eures Propheten und bei Jesus, dem Gekreuzigten, den ihr Isa Ben Marryam nennt!“
Korn drehte mein Kamel herum und lenkte es an das Ende des Zuges zurück. Die Gefahr war für den Augenblick von ihm abgewendet, aber sie konnte wiederkehren. Er wußte, daß der Schech alles thun werde, den an ihm begangenen Schimpf zu rächen. Seine Mitgläubigen fühlten diesen letzteren, als sei er
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ihnen selbst angethan worden, aber einesteils waren sie von der Anstrengung und Entbehrung kraft- und mutlos geworden und andernteils hatte Korn durch die Behauptung, daß sie in falsche Richtung geführt worden seien, ihr Mißtrauen gegen ihn rege gemacht. Schweigend und finster folgten sie ihm. Er war ein Moslemin; sie hätten ihm gern vertraut; aber sie kannten auch die Überlegenheit europäischer Bildung und durften es daher mit Korns Anklage nicht so leichthin nehmen. Jedenfalls waren sie still entschlossen, jetzt nicht Partei zu ergreifen, sondern den Verlauf der Dinge ruhig abzuwarten.
Die gewöhnliche Lagerzeit war noch nicht herangekommen, aber die allgemeine Ermüdung hatte einen solchen Grad erreicht, daß bald Halt gemacht werden mußte. Die Kamele wurden entlastet und angepflockt, die Zelte errichtet und das mehr als spärliche Mahl gehalten. Einige legten sich dann zur Ruhe, während die andern sich in der durch das Unterschlagen der Beine erreichten Stellung, welche der Türke „Rahat oturmak, Ruhm der Glieder“ nennt, im Kreise hockten, um ihrer trüben Stimmung Ausdruck zu geben. Es war eine schreckliche Befürchtung in ihnen wach geworden. Schon öfters hatten Karawanen, welche von Augila nach Siwah gingen, ihr Ziel nicht erreicht; sie waren von dem berüchtigten Hedjahn-Bei mit seiner „Gum“, wie die Räuberkarawane heißt, überfallen und vernichtet worden. Aber niemals hatte man die Gebeine der Ermordeten auf dem Wege, sondern weit abseits in der Wüste gefunden. Die Unglücklichen waren entweder von dem Räuber aus der Richtung gelockt oder von einem bestochenen Führer in das Verderben geleitet worden. Wie nun, wenn sie einem gleichen Schicksal entgegengingen? Es war ein gräßlicher Gedanke, denn man wußte, daß der Hedjahn-Bei keinen Menschen leben ließ und nannte ihn darum nicht anders, als den „Karawanenwürger.“
Die traurige Unterhaltung währte nicht lange; die Erschöpfung -
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Erschöpfung machte sich geltend und bald schlief außer den aufgestellten Wachen alles den Schlaf der Gerechten. Auch Korn streckte sich auf seine Decke, konnte aber zu keiner Ruhe kommen, denn die Sorge über ihre Lage öffnete ihm immer wieder die müden Augen.
Da hörte er aus der Ferne Laute an mein Ohr dringen, die ihn sofort vollständig munter werden ließen. Zwar durch die Entfernung gedämpft, dem geschärften Gehör aber doch vernehmbar, klang es wie das bellende „J-au“ des Schakals und dazwischen hinein brummte das tiefe, heisere „Ommu“ der Hyäne. Er horchte mit Anstrengung, bemerkte, daß er sich nicht getäuscht habe und sprang auf. Es mußte Wasser in der Nähe sein, denn diese Tiere bedürfen täglich desselben, wenn sie nicht verschmachten sollen, und wagen sich daher nie weit in die wasserleere Wüste hinein.
Er schlug den Vorhang des Zeltes zurück und trat hinaus. Mahmud der Große stand draußen; die Laute hatten auch ihn aufmerksam gemacht.
„Hörst du die Djinns, die bösen Geister der Wüste, Sihdi?“ frug er leise. „Sie locken den Wanderer in das Verderben, aber Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar läßt sich nicht betrügen. Er hört, daß die Stimmen nicht vom Schakal und von der Hyäne kommen und bleibt in seinem Zelte liegen.“
Er kroch wieder unter das niedrige Leinwanddach, welches er sich errichtet hatte; Korn aber blieb horchend stehen. Wieder erklangen die Laute, aber er vernahm jetzt auch, daß es nicht natürliche waren. Doch weit entfernt, sie bösen Geistern zuzuschreiben, war er vielmehr überzeugt, daß sie irgend einer menschlichen Kehle entsprangen.
Was hatte dies zu bedeuten? Wir waren vom richtigen Wege abgelenkt worden, und er mußte an den Hedjahn-Bei denken. Er nahm die Waffen zu mir und schritt nach dem Zelte des Schech el Djemali. Er war nicht zu finden. Er suchte die nächste Wache auf. Der Mann war vor Ermüdung niedergesunken und schlief.
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„Be issm lillahi radjal, um Gottes Willen, auf, ihr Männer!“ rief er. „Der Hedjahn-Bei, die Gum ist in der Nähe!“
Im Nu war das Lager belebt und alles drängte sich zu den Kamelen, um die augenblickliche Flucht zu ergreifen. Korn widerstrebte den Unbesonnenen. Sie mußten ja zu Grunde gehen, wenn sie sich von ihrer Furcht in die tote Öde zerstreuen ließen. Nur nach langem Mahnen und Bitten brachte er sie zum Bleiben; aber sie hatten eine solche Furcht vor dem „Karawanenwürger“, daß sie nur widerstrebend zu den Waffen griffen. Die Ruhe, welche Korn sich zu bewahren suchte, imponierte ihnen endlich doch; sie gehorchten seiner Mahnung und kehrten in ihre Zelte zurück, um sich unter deren Deckung zu verteidigen. Dem mutigen Korn aber ließ es hinter der Leinwand keine Ruhe; es trieb ihn hinaus, um sich zu überzeugen, ob er mit seiner Vermutung das Richtige getroffen habe. Er steckte nur das Messer und die Revolver zu mir; die langrohrigen Waffen konnten ihm nur hinderlich sein.
Es war finstere Nacht, doch spendeten die Sterne des südlichen Himmels immerhin ein Licht, bei welchem man einen nicht zu kleinen Gegenstand noch auf einige Entfernung hin erblicken konnte. Alles Geräusch vermeidend, schlich Korn sich der Richtung zu, in welcher er das Bellen gehört hatte. Noch war er nicht gar weit gekommen, so vernahm er leise nahende Schritte. Er warf sich zu Boden. Zwei Männer nahten und blieben nahe bei ihm halten. Er hatte sich in den Prairieen Nordamerikas oft in einer ähnlichen Lage befunden, nur daß er hier statt der Rothäute zwei Araber beschlich. Er machte sich auf einen Angriff gefaßt und zog das Messer.
In dem einen erkannte er den Schech el Djemali. Wer war der andere? Er sollte es gleich erfahren.
„Ein Franke ist dabei, sagst du? Ist er stark und tapfer?“
„Er hat Mut und viele Waffen, auch besitzt er einen guten
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Geist, der ihm die Wege zeigt. Du aber wirst ihn bezwingen, o Hedjahn-Bei!“
„Schläft er?“
„Er schläft und alle Männer schlafen. Wenn deine Gum die Kamele verläßt und sich heimlich zu Fuße naht, so kann euch keiner entgehen. Eure Zahl ist größer als die unsrige, aber der laute Überfall würde euch doch wohl mehrere Leute kosten.“
„Dein Mund sagt die Wahrheit. Komm, zeig‘ mir das Lager; dann kehre ich zurück und hole die Würger der Karawanen herbei!“
Der Schech el Djemali konnte ihm nicht folgen. Korn sprang empor, faßte ihn beim Nacken und stieß ihm das Messer bis an das Heft zwischen die Schultern. Es war ins Herz gedrungen. Der Verräter stieß nur einen kurzen, hauchenden Laut aus und stürzte dann zu Boden.
Der Hedjahn-Bei hatte das Geräusch vernommen und drehte sich um. Das sofort wieder aus der Wunde gezogene Messer in der Faust, warf sich Korn auf ihn. Unter dem unvermuteten Anpralle schlug er zu Boden. Korn knieete über ihm, faßte mit der Linken seine Kehle und hielt ihm die scharfe Klinge nahe vor die Augen.
„Hedjahn-Bei, der Tod wird dich verschlingen, wenn du nur ein einziges Glied rührst!“ rief er.
Der Schreck hatte den gefürchteten Mann ergriffen. Er lag vollständig bewegungslos unter dem kräftigen Franken.
„Ich bin der Franke, von dem der Schech zu dir gesprochen hat. Mein Messer hat ihm den Lohn gegeben und wird auch dein Herz zerschneiden, wenn du mir nicht gehorchst!“
„Was willst du?“ gurgelte er aus der zusammengepreßten Kehle.
„Höre mich an! Ich trachte nicht nach dem Tode eines menschlichen Bruders, und du kannst deine Seele retten, wenn du
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thust, was ich von dir begehre! Du kennst den Weg der Karawanen nach Siwah?“
„Ja,“ antwortete er. Korn ließ ihm nur an Schlusse jeder seiner Fragen so viel Luft, als er zur Antwort bedurfte.
„Du wirst uns ungehindert und unberaubt ziehen lassen?“
Er schwieg und machte eine Anstrengung, sich zu befreien. Sofort setzte Korn die Spitze des Messers auf seine Brust.
„Willst du sterben, Hedjahn-Bei?“
Er gab den Versuch auf; es war seinem Gegner Ernst mit der Drohung, das sah er.
„Also du lässest uns unberaubt ziehen? Antworte, ich warte nicht drei Sekunden!“
„Ja.“
„Du begleitest und beschützest uns mit deiner Gum, bis wir nicht mehr irren können?“
Es wiederholte sich das vorige Manöver; aber er mußte sich fügen.
„Ja.“
„Und versiehst uns mit Speise und Trank aus euren Beuteln und Schläuchen?“
„Ja,“ knirschte er.
„Und machst keinen Versuch, dein Wort zu brechen?“
„Keinen!“
„Schwöre mir, daß du hältst, was du versprichst!“
Er hatte jedenfalls gehofft, daß Korn ihn ohne Schwur loslassen werde, und dann hätte er sich um das Versprochene natürlich nicht gekümmert. Als er sich getäuscht sah, vereinigte er alle seine Kräfte zu einem Stoße, der Korn fast abgeworfen hätte. Aber jetzt faßte er ihn um so fester und setzte ihm die Spitze des Messers etwas fühlbarer auf die Gegend des Herzens.
„Schwörst du es?“
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„Ich schwöre,“ flüsterte er ingrimmig, da er keinen Ausweg sah.
„Beim Barte des Propheten?“
„Beim Barte des Propheten!“
„Gut! Erhebe dich, Hedjahn-Bei und komm mit mir zum Lager. Du stehst unter meinem Schutze, und es wird kein Haar deines Hauptes gekrümmt werden!“
Er stand vom Boden auf. Es war vielleicht das erste Mal, daß der „Karawanenwürger“ unter einem Feinde gelegen hatte, und die außerordentlichen Zugeständnisse, mit denen er sein Leben erkauft hatte, mußten ihm im höchsten Grade demütigend vorkommen. Er stand unter dieser Last eine Weile fast regungslos vor dem Europäer; als dieser aber frug: „Fürchtest du dich, mit mir zu gehen?“ erklang ein kurzes, barsches: „Komm!“ und er schritt an Korns Seite ruhig den Weg zurück, den dieser gekommen war.
Korns Vermutung, die ihn vorhin zur Rekognition getrieben hatte, war also vollständig bestätigt. Der Schech el Djemali hatte im Dienste des Hedjahn-Bei gestanden, und die Tierstimmen waren für ihn ein verabredetes Zeichen gewesen.
Als sie bei Korns Zelte ankamen, blieb der bezwungene Räuber überrascht stehen. Des Reisenden Kamel hatte sich aus seiner liegenden Stellung erhoben, und seine hohe Gestalt zeichnete sich sehr deutlich gegen den sternenreichen Horizont ab.
„Ein Bischarin — ein Bischarinhedjihn? Der Araber verkauft kein solches Tier! Wie ist es in deine Hand gekommen, Franke?“
Er hatte laut gesprochen. Bei dem Klange seiner Stimme hob das Tier schnaubend den Kopf und kam so weit auf ihn zu, als es der Strick, welcher es am Pflocke hielt, erlaubte. Rasch trat er herbei und faßte es am Halfter.
„Bei allen Scheidans, die in der Hölle wohnen, das ist ja
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mein Bischarin, welches ich — —“ er unterbrach sich und trat auf Korn zu, um ihn genauer zu betrachten, als es bisher geschehen war. „Du bist es — du bist es wahrlich! Das ist Gottes Schickung, denn nun ist die Schmach, daß ich dir unterlegen bin, von mir genommen. Der Hedjahn-Bei braucht sich nicht zu schämen, wenn er einen Mann begleitet und beschützt, der das heilige Gastrecht bei ihm genossen und den „Herrn mit dem dicken Kopfe“ getötet hat. Er wird sein Wort jetzt gern und willig halten!“
Auch Korn erkannte erst jetzt den Bei el Urdi, welcher damals unter dem Löwen gelegen hatte und durch sein Einschreiten vom Tode errettet wurde. Er war mehrere Tage bei ihm geblieben und hatte bei seinem Abschiede das Kamel mitnehmen müssen. Erst jetzt vermochte sich Korn die Fragen zu beantworten, welche er sich an jenem Tage auf dem Gange durch das Wadi vorgelegt hatte. Also darum hatte er von Gnade und Vergebung gesprochen, weil es gefährlich war, sein Lager zu betreten. Und darum besaß er lauter schnellfüßige Reittiere, weil der Wüstenräuber keine langsamen und schwerfälligen Lastkamele gebrauchen konnte, und er hatte sie in das Wadi versteckt, um einen etwaigen Besucher seines Dorfes nicht auf sein eigentliches Handwerk aufmerksam zu machen.
Seine Rückkehr veranlaßte Mahmud den Großen, unter seinem Dache hervorzukriechen.
„Sihdi, sag, wen bringst du hier?“
„Sieh dir ihn an!“
Er that es.
„Allah akbar, Gott ist groß! Das ist ja der edle Bei el Urdi, bei dem Mahmud Ben Mustafa Jussuf Jaakub Ebn Baschar das fetteste Schaf erstochen und verzehrt hat, das ihm jemals vorgekommen ist!“
„Er ist es,“ bestätigte Korn, über die Erinnerung des hungrigen -
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hungrigen Dieners lächelnd. „Er liegt mit seiner Karawane ganz hier in der Nähe und wird uns nach Siwah bringen!“
„Bismillah, das ist gut! Dann bekomme ich auch wieder etwas in meine Flasche; sie ist ganz leer!“
Korn rief die Männer herbei und theilte Ihnen mit, so viel er für gut befand. Von ihnen ungesehen wurde der Körper des Schech el Djemali beseitigt. Sie erfuhren von dem Vorgefallenen nichts. Korn mußte es dem Bei el Urdi versprechen, und sie hielten den Schech für entsprungen, weil er sie falsch geleitet hatte. Allerdings hätte es ein ungeheures Aufsehen erregt, wenn man in Siwah erfahren hätte, daß der Hedjahn-Bei gezwungen gewesen sei, den Beschützer derer zu machen, auf deren Untergang er es vorher abgesehen hatte, aber Korn konnte sich gern zur Schweigsamkeit verstehen, weil er froh sein mußte, der uns überlegenen Gum so leichten Kaufs entgangen zu sein.
Der mit dem Messer erzwungene Schwur wurde gehalten. Die Karawane erhielt alles Nötige und gelangten wohlbehalten in Siwah an. Eine halbe Tagesreise vorher aber verabschiedete sich unsre, unter andern Umständen so gefährliche Begleitung. Ihr Anführer liebkoste zum letzten Male sein Bischarinhedjihn und meinte dann mit ernstem Gesichte:
„Rabbena chaliëk, Gott erhalte dich! Du hast zwei große Beis bezwungen, Assad-Bei, den Herdenwürger und Hedjahn-Bei, den Karawanenwürger. Schieß auf den „Herrn mit den dicken Kopfe“ so vielmal du noch willst, aber hüte dich in Zukunft vor der Gum, denn Allah giebt nur selten zu, daß einer seiner Gläubigen dem Fremdling unterliegt. Sallam aleïkum, Friede und Heil sei mit dir!“
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Im wilden Westen.Eine Erzählung aus dem Leben der Grenzer von E. Pollmer.
Das war damals ein munteres Leben da hinten im Westen, besser, viel besser als jetzt. Die Rothäute kamen um ein Beträchtliches weiter in das Land herein als heut zu Tage, und man mußte die Augen offen halten, wenn man sich nicht eines schönen Abends hinlegen und dann des Morgens im Himmel ohne Skalp erwachen wollte. Doch das war nicht sehr schlimm, denn ein halbes Dutzend Indianer kann man sich schon gut vom Leibe halten, aber es trieb sich neben ihnen auch allerlei weißes Gesindel da hinten herum, und diese Kerls waren bösartig und durchtrieben genug, einen mehr schaffen zu machen, als alle Indianer zwischen dem Missisippi und dem großen Meere zusammen genommen.
Besonders einer machte von sich reden, der alle zehn tausend Teufel im Leibe hatte und ein so verwegener Satan war, daß sein Ruf sogar hinüber in die alten Länder des europäischen Kontinentes gedrungen ist. Ich habe sogar gehört, daß man dort in allen Zeitungen von ihm schreibt. Ihr kennt ihn auch, und wenn ich Euch seinen Namen nenne, so werdet ihr wissen, woran ihr seid. Es ist nämlich der „Kanada Bill“, der größte Gauner und Spitzbube der Vereinigten Staaten.
Er ist ein englischer Zigeuner und heißt eigentlich William Jones. Er kam nach Kanada und trieb einen ganz leidlichen Pferdehandel, bis er merkte, daß mit der Karte noch ein weniges
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mehr zu verdienen sei. Er hatte ein Spiel gelernt, welches man drüben in Germany „Kümmelblättchen“ nennt — bei uns heißt es „three carde monte“ — und trieb mit demselben zunächst da droben in den Britischen Kolonien sein Wesen, bis er es zu einer solchen Meisterschaft gebracht hatte, daß er sich über die Grenze herüber zu den Yankees wagen konnte. Nun machte er den ganzen Norden unsicher, beutelte die pfiffigsten Gentlemen bis auf den letzten Penny aus und suchte dann den Westen auf, wo er neben dem Spiele noch allerlei Allotria trieb, die ihn zehnmal an den Strick gebracht hätten, wenn es von Rechten zugegangen wäre. Auch ich bin einiges mit ihm zusammengekommen und habe dabei die Bekanntschaft eines berühmten Mannes gemacht, der — — na, ihr werdet ja wohl hören, wen ich meine, und die Einleitung zu einer guten Geschichte darf nicht zu lang gezogen sein, sonst rufen die Zuhörer „Stopp!“ und reiten davon, ehe man nur richtig angefangen hat.
Also, ich war noch etwas grün im Fache, aber eine gute Faust hatte ich doch, mein Auge war hell und offen, mein Wille gut und munter, die Büchse verstand ich ganz leidlich drauf zu halten, und mein Bowiemesser war schon einigen zwischen die Rippen gefahren, die sich so einen Aderlaß nicht vermutet hätten. Ich war am obern Arkansas auf Biber gewesen, hatte einen hübschen Fang gemacht, die Felle an einige Kompaniemänner, die mir begegneten, verkauft, und suchte mir nun eine passende Gelegenheit nach dem alten Missisippi, um wieder einmal unter Menschen zu kommen und dieses und jenes einzukaufen, da meine Ausstattung mit der Zeit so ziemlich fadenscheinig geworden war.
Mein Vorhaben hatte seine Schwierigkeiten, denn die Gegend, durch welche ich mußte, war ganz verteufelt unsicher. Die Komanchen, Choctaws, Seminolen und Creeks lagen einander in den Haaren, bekämpften sich bis auf die Messerspitzen und behandelten jeden Weißen als gemeinschaftlichen Feind. Es galt also, aufzupassen. -
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aufzupassen. Mein Weg führte mich mitten durch das Kampfgebiet, und ich war ganz allein und nur auf meine eigne Vorsicht und Ausdauer angewiesen. Sogar ein Pferd fehlte mir; die Kompaniemänner hatten es mir abgeschachert und ich mußte darum auf meinen zwei eigenen Beinen reiten.
Ich hielt so ungefähr auf Smoky Hill zu und konnte nach meiner Berechnung nicht mehr weit vom Arkansas sein. Ich traf immer zahlreichere Wasserläufe, die sich nach ihm hinzogen und stieß auf allerlei Getier, welches nur an den Ufern großer Flüsse zu finden ist.
So drang ich durch den Urwald und sah mich schon nach einer passenden Lagerstelle um, denn es war schon ziemlich düster geworden, als ich plötzlich eine laute, tiefe Männerstimme vernahm, die mit mächtigem Schalle in das Dickicht hinein raisonnierte. Der Sprache nach war es ein Weißer, der sich so unvorsichtig vernehmen ließ; ich hatte also nichts zu befürchten und drängte mich durch die Büsche hindurch der Stelle näher, an der er sich befand.
Was glaubt ihr nun wohl, was ich erblickte?
Auf einem alten Baumstumpf, den ich in der Mitte einer kleinen Lichtung erblickte, stand ein Mann, fuhr mit den Händen in der Luft herum und hielt den Hikory- und Sykomorenstämmen eine Rede, die er nicht besser und schöner bei einem Meeting hätte anbringen können. Ich bin ein ziemlich eigener Kopf und gebe nicht viel auf das, was mir vorgesprochen wird, aber der Mann hatte eine Stimme und eine Art des Ausdrucks, die mir das Lachen benahm in das ich erst ausbrechen wollte, weil es mir verteufelt possierlich vorkam, daß einer mitten im Urwalde den Käfern und Mosquitos eine Predigt hielt.
Es war, wie gesagt, schon ziemlich düster, aber ich konnte ihn und sein Gesicht noch deutlich erkennen. Er war lang und stark, frisch, derb und zähe wie ein echter Yankee, hatte eine scharf hervorspringende Nase, spiegelblanke Augen ohne Lug und Trug, einen
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breiten, scharfen Mund, ein eckiges Kinn und konnte trotz der Gutmütigkeit, die ihm anzusehen war, doch vielleicht ein weniges verschmitzt und listig sein, wenn er es für gut hielt.
Vor dem Stumpfe, auf welchem er stand, lag eine gewaltige Axt, eine gute Büchse und noch einiges andere, was man in jenen Gegenden von Nöten hat. Es war augenscheinlich, daß sich der Mann im Reden übte, und er schien mir ganz zu einem Selfmademann gemacht zu sein, der sich durch Kampf, Arbeit und Not emporringt zu einer besseren Stelle als sie der Westen bietet.
„Ihr sprecht: Wir müssen darauf hin arbeiten, unsre Neger so in die Gewalt zu bekommen, daß sie, selbst wenn ihnen die Freiheit verkündet würde, aus reiner Furcht bei uns bleiben würden,“ deklamierte er. „Was diese europäische Rasse, diese deutschen Yankees von Humanität und christlicher Liebe schwatzen, ist der reine Unsinn. Die Liebe soll regieren! Die Liebe —? pah — Die Peitsche muß regieren! So sagt ihr, weil der Eigennutz euer Herz verhärtet und zu Stein verwandelt hat. Ich aber sage euch, es wird die Zeit kommen, in welcher — — —“
Er hielt mitten in seiner Rede inne. Ich war etwas zu weit durch das Gebüsch getreten und er hatte mich bemerkt. Im nächsten Augenblicke war er vom Baumstumpfe herunter, hatte die Büchse zum Schuß erhoben und rief:
„Halt, Mann, keinen Schritt weiter! Wer seid Ihr?“
„Pa, legt das Schießzeug nur immer bei Seite. Ich habe keine Lust, Euch aufzufressen oder eine handvoll Blei in den Leib zu bekommen!“
Ein zweiter, schärferer Blick mußte ihn von meiner Friedfertigkeit überzeugen. Er nahm das Gewehr nieder und nickte mit dem Kopfe.
„So kommt her und sagt, wer Ihr seid!“
„Ich heiße Tim Summerland, Sir, Tim Summerland so
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lang ich lebe und werde mir von meinem ehrlichen Namen auch nicht die kleinste Ecke herunternehmen lassen. Und wie heißt Ihr?“
„Mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Ich habe ein Floß hier im Wasser und will damit hinab nach dem Süden. Was treibt Ihr hier?“
„Viel und nichts. Ich habe mir einige Felle geholt und verkauft und möchte nun auch einmal da hinunter, wo Ihr hin wollt. Könnt Ihr mich vielleicht ein Stückchen mitnehmen?“
„Gern, wenn Ihr ein guter Kerl seid, mit dem man sich nicht schimpfieren muß, Tim Summerland. Ich habe Fenzstangen gehauen, die im Süden gut bezahlt werden, und bin mit meiner Arbeit fertig. Der Beiman, welcher mit sollte, ist mir davon gelaufen, und Ihr seid mir also gern willkommen, wenn Ihr bei der Fahrt zuweilen eine Hand mit anlegen wollt.“
„Das versteht sich ja ganz von selber, Master Lincoln. Wie weit geht’s denn hinab?“
„Bis so weit, als ich die Stangen verkauft habe. Aber sagt, ist Euch die Büchse geläufig, die Ihr auf der Achsel habt? Es ist nicht recht geheuer hier, und zwei Männer sind wenig gegen einige Dutzend roter Burschen, wie sie jetzt am Wasser hin- und herschwärmen.“
„Sorgt Euch nur darum nicht, Sir! Ihr scheint ein verwegener Bursch zu sein, sonst würdet Ihr nicht so sorglos in den Wald hineinschreien, aber der Tim Summerland ist auch nicht aus schlechtem Holz gehackt, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Was habt Ihr denn zu predigen, Sir?“
„Nichts von Bedeutung! Es kommen einem in der Einsamkeit so allerlei Gedanken, die andern Nutzen bringen könnten. Da stelle ich mir denn vor, ich hätte diese andern hier, und sage ihnen, was ich denke. Vielleicht kommt es noch einmal so weit, daß ich eine wirkliche Rede halte, die ich nicht in den Wind hineinstoße. Jetzt aber kommt mit zum Wasser. Da ist’s sicherer und bequemer.
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Es ist alles zur Fahrt bereit, und bei guter Frühe schwimmen wir fort!“
Ich bemerkte zu meinem Erstaunen, daß wir bis an das Ufer des Flusses nur einige hundert Schritte zu gehen hatten. Da lag das Floß. Es war kunstgerecht zusammengefügt und trug eine schwere Menge junger Stämmchen, die dem Abraham ein schönes Geld einbringen konnten. Er hatte sich einen schönen Vorrat von Haar- und Federwild zusammengeschossen, so daß wir während der Reise wohl kaum zur Jagd gezwungen waren. Wir aßen also tüchtig Abendbrot und lagen dann mit unsern Pfeifen am Wasser und erzählten uns allerlei Gutes und Schlimmes, wie man es so hier und da zu erleben bekommt.
Der Mann war nicht unrecht. Er hatte gar vieles erlebt und über alles gehörig nachgedacht. Darum brachte er Ansichten zum Vorschein, die mir einen ganz gehörigen Respekt vor ihm einflößten, und als wir uns „good night“ sagten, wußte ich, daß ich in eine ganz respektable Gesellschaft geraten sei und mich meines Bootsmannes nicht zu schämen brauche.
Am andern Morgen wurde die Fahrt begonnen. Sie ging ganz gut von statten, obgleich zuweilen ein Pfeil oder eine matte Kugel vom Ufer her zu uns herüberflog. Auf dem Wasser hatten wir wenig oder nichts von den Roten zu fürchten, und wenn wir des Abends anlegten, so geschah es stets an einem Orte, von welchem wir die nötige Sicherheit erwarten konnten.
So gelangten wir in die Nähe von Fort Gibson. Wir wollten da an das Land gehen, um unser Schießzeug gehörig in Ordnung zu bringen. Es war am hellen Mittag, als wir den Ort vor uns liegen sahen und wir wunderten uns nicht wenig, keine Schildwache oder sonstiges menschliches Wesen zu erblicken. Selbst den Schornsteinen entströmte kein Rauch; es lag daher die Vermutung nahe, daß hier etwas Außergewöhnliches vorgefallen sei.
Aus Vorsicht legten wir das Floß nicht an die gewöhnliche
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Landestelle, sondern verfolgten unsern Weg noch ein Stück stromabwärts, als ob wir vorübergehen wollten, und hielten erst hinter einer Krümmung des Flusses auf das Ufer zu. Hier nahm Lincoln Büchse und Messer zur Hand und stieg an das Land.
„Ich werde rekognoszieren, Tim Summerland. Du lässest das Ankerseil lang aus und hältst dich bereit, es sofort zu durchschneiden, wenn du etwas Verdächtiges bemerkst!“
Damit war er zwischen den hohen Uferweiden verschwunden. Ihr müßt nämlich wissen, daß sich während unserer Fahrt das geläufige „du“ bei uns eingeschlichen hatte. Ich bin heut noch stolz darauf und gebe es für kein Amt und keine Ehre hin.
Ich that, wie er befohlen hatte. Glücklicher Weise aber gab es keine Veranlassung, mit dem Flosse in die Mitte des Stromes zurückzugehen. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe er wieder erschien. Sein Gesicht hatte einen halb zornigen, halb pfiffigen Ausdruck.
„Tim, es giebt für uns zu thun. Jetzt kannst du beweisen, daß du kein schlechter Westmann bist!“
„Bin bereit dazu! Was hast du gefunden?“
„Die Komanchen haben das Fort überfallen und alles niedergemetzelt. Sie sind jetzt auf einem Zuge abwesend und haben nur eine Wache von zwölf Mann zurückgelassen. Die sind über den Brandy geraten und liegen besinnungslos auf der Erde. Ich bin mitten unter ihnen gestanden, ohne daß sie sich gerührt haben. Komm, es giebt eine gute Ladung für uns!“
Es war ein kühner Gedanke, den er aussprach, und ich hatte nicht Lust, ihm abzuraten. In wenig Augenblicken hatten wir das Fort erreicht. Die überraschten Verteidiger lagen zerstreut auf dem Boden, waren ausgeplündert worden und hatten ihre Kopfhäute lassen müssen. Es gab nicht viel darüber zu sagen. Wir traten in den Versammlungsraum, wo die Indianer ihren „Drink“ gehalten hatten. Sie hatten gezecht, bis sie nicht mehr
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konnten, und lagen nun in einem todesähnlichen Zustande um das Faß herum, welches umgestürzt war und seinen Inhalt über die Erde ergossen hatte.
„Binden!“ meinte Abraham Lincoln kurz.
Im Nu waren aus den Mantelhäuten der Rothen so viele Riemen geschnitten, als wir bedurften, und in weniger als einer halben Stunde befanden sich die zwölf auf unserem Flosse, wo wir sie so fest an die Stämme schnürten, daß es für sie keine Möglichkeit zum Entrinnen gab. Für jetzt aber waren sie so betrunken, daß keiner von ihnen die Veränderung bemerkt hatte, die mit ihnen vorgenommen worden war.
Dann kehrten wir wieder nach dem Fort zurück, um von den dort befindlichen Gegenständen zu retten, was zu retten war. Wir mußten uns dabei sputen, denn die Rückkehr der übrigen Indianer konnte jeden Augenblick erfolgen, und dann waren wir verloren.
Ein Umstand mußte uns auffallen. Die Getöteten waren sämtlich ausgeplündert, und doch fanden wir nirgends einen der in ihrem Besitze gewesenen Gegenstände. Nachdem wir auch sie alle auf das Floß gebracht hatten, um sie später ohne Gefahr zu beerdigen oder mit den geborgenen Sachen in Kidron abzuliefern, standen wir schon im Begriff, vom Lande zu stoßen, als plötzlich zwei Schüsse krachten. Sie waren auf uns gerichtet, aber schlecht gezielt gewesen; die eine Kugel pfiff mir am Ohr vorüber, und die andre riß Abraham einen Fetzen aus dem Ärmel seines Büffelhemdes.
Augenblicklich waren wir wieder in das Land zurück und drangen durch die Weiden nach dem Orte vor, wo die Schüsse abgefeuert worden waren, wie ein über ihm schwebendes Wölkchen zeigte. Ein kleiner Sack lag dort am Boden. Wir ließen ihn ununtersucht, denn vor uns raschelten die Zweige, und wir mußten den Mann haben, der uns ans Leben gewollt hatte.
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Als wir den Rand des Strauchwerkes erreichten, sahen wir ihn laufen. Es war ein Weißer; er floh nach dem Fort zu, um hinter den Gebäuden desselben Deckung zu finden. Wir hatten, sobald die Schüsse gefallen waren, sofort nach unsern Büchsen gegriffen. Zu gleicher Zeit erhoben wir sie jetzt, und im nächsten Augenblicke stürzte der Getroffene mitten im Laufe zur Erde.
Wir eilten herbei. Er war durch die Brust geschossen und ohne Zweifel tot.
„Ah! Kennst du den Mann, Tim Summerland?“ frug Lincoln, indem er ihn mit dem Fuße hin und her wandte.
„Habe ihn noch nicht gesehen!“
„Sieh’ ihn genau an, Tim. Wir haben einen berüchtigten Loafer ausgelöscht; es ist der Kanada Bill!“
„Der Kanada Bill? Ist’s möglich! Was hat er hier zu schaffen gehabt? Ich denke, er ist jetzt so da unten am Red River, wie die Leute sagten!“
„Er war überall, und auch hier, wie du siehst. Wer weiß, welche Rolle er hier gespielt hat; er steht nun vor dem, vor dem er es zu verantworten hat.“
Er bückte sich nieder, um ihn und seine Kleidung zu untersuchen. Es war keine Spur von Leben mehr in ihm vorhanden, und seine Taschen waren vollständig leer.
„Komm, Tim! Wir lassen ihn liegen, denn er ist’s nicht wert, daß wir uns seinetwegen noch länger der Gefahr aussetzen!“
Wir kehrten zu dem Sacke zurück. Er war schwer. Als wir ihn auf dem Flosse öffneten, fanden wir neben der Kasse des Forts einige Uhren, Ketten und Ringe und eine Menge wertvoller Kleinigkeiten darin, wie sie die Offiziere und Soldaten getragen hatten. Jetzt wußten wir, was der Kanada Bill bei dem Überfalle für eine Rolle gespielt hatte. Unser Floß hatte ihm als ein gutes Mittel geschienen, mit seinem Raube fortzukommen.
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Alles übrige konnte ein Verhör mit den gefangenen Indianern aufklären, deren Erwachen wir mit gespannter Neugierde herbei wünschten, obgleich uns aus andern Rücksichten ihr jetziger Zustand willkommener sein mußte.
Wir stießen vom Lande und befanden uns bald wieder in mitten der uns schnell vorwärtstragenden Strömung. Abraham Lincoln stand vorn am Flosse, um nach Snaks, Alligatoren und Indianern auszuschauen, in jenen Gegenden die drei größten Feinde des Schiffers. Ich ahnte damals nicht, daß er bald die erste Stelle auf dem Flosse der „Vereinigten Staaten“ einnehmen werde, um dasselbe sicher durch die ärgste der Stromschnellen zu führen, durch welche es jemals geschwommen ist. — —
2.
Wenn zwischen zwei Geschichten so einige Jahre in das Land gehen, so kann man auch beim Erzählen eine Pause machen. Es geht ja auch im Leben nicht alles so glatt und hurtig ab, und zumal unsereiner wird von den Winden hin und hergeworfen, die bald von hier und bald von da herüberwehen und zumal dem Westmanne gar arg mitzuspielen pflegen.
Ich hatte das an mir selbst erfahren und war nach Vicksburg gekommen, um mich einmal so recht gehörig auszuruhen. Aber, pshaw. Das Trapperblut ist mit keiner Ruhe einverstanden als mit der, zu welcher jeder einmal kommt, wenn er seine letzte Kugel verschossen und das feindliche Messer oder Blei gekostet hat. Es dauerte kaum eine Woche, so wurde mir die Zeit gewaltig lang, der Gedanke, wieder aufzubrechen, fing an, mir ernstlich zu schaffen zu machen, und ich stieg den lieben langen Tag am Strome hin und her, um nach irgend etwas auszuschauen, was meinem Entschlusse eine bestimmte Richtung geben sollte.
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So stehe ich denn am Quai oder wie sie das Ding dort nennen, und habe meine helle Freude an dem Menschengewühl, welches die ankommenden Steamer bringen und die abgehenden wieder mitnehmen, da sehe ich plötzlich ein Gesicht, sage ich euch, ein Gesicht, welches ich nicht vergessen konnte, obgleich schon fast zwanzig Jahre vergangen waren, seit ich es zum letztenmale vor mir gehabt hatte.
„Betty, Betty Kroner!“ rufe ich und dränge mich durch das Volk bis hin zu ihr. „Gott segne meine Augen; bist du es, oder bist du es nicht?“
„Tim,“ ruft sie, die Hände vor Freude und Verwunderung zusammenschlagend; „Tim Summerland, welch ein Glück, daß ich dich finde!“
„Ja, ein Glück ists, Betty, ein verteufelt großes Glück! Weißt du noch, damals, als ich dich zur Frau haben wollte und du mochtest nicht, sondern hattest den Fink Panshlaw lieber als mich? Es war doch eine verdamm — — eine schöne Zeit, wollte ich sagen, Betty! Du bist mit dem Panshlaw gelaufen, ich aber hab’ dich nicht vergessen bis auf den heutigen Tag. Wie ist dir’s gegangen, und wie kommst du nach Vicksburg?“
Ihre Augen wurden plötzlich naß, sage ich euch, so naß, daß ich mir beinahe auch mit der Hand in mein altes Gesicht fahren mußte, denn ich muß sagen, daß mir alles gleich ist, aber die Betty Kroner, die kann ich nicht weinen sehen.
„Ach, Tim, mir ist’s schlecht gegangen,“ antwortete Betty Kroner unter Thränen, „und jetzt, da ist’s am allerschlimmsten!“
„Ist’s möglich? Wer ist Schuld daran, Betty? Bringe ihn her und ich nehme sein Genick zwischen die Finger, daß er seiner Seele fünfzig Meilen weit nachlaufen muß, ehe er erfährt, daß er sie nicht wiederbekommt!“
„Ja, wenn ich ihn dir nennen könnte, Tim; ich weiß ihn ja selber nicht!“
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„So erzähle! Oder komm dort in den Store, da können wir sitzen und sind keinem im Wege!“
Sie ging mit und begann ihre Erzählung.
„Panshlaw ist tot, Tim, schon viele Jahre; meine jüngste Tochter, die Ellen, zählt acht Jahre. Es war mir fast die liebste von allen, aber nun ist sie auch mit verloren!“
„Verloren? ’s death, hast du denn Kinder verloren, Betty?“
„Ja, alle vier,“ weinte sie leise aber heftig. „Ich zog mit Panshlaw nach New-Orleans, wo ich geblieben bin bis vor wenigen Wochen. Da rief mich die Schwägerin nach dem Norden, und ich brach mit den Kindern auf. Hier bin ich an das Land gegangen, um einen Einkauf zu machen, und als ich auf das Schiff zurückkam, waren sie fort. Ich konnte weiter nichts erfahren, als daß ein gut gekleideter Mann sie abgeholt habe, um sie zu ihrer Mutter zu führen.“
„Bei meinem Bowiemesser, Betty, das ist eine verteufelt unglückliche Geschichte! Was werden wir thun?“
„Ich weiß es nicht, Tim! Ich bin im Policehouse gewesen; es hat nichts geholfen. Ich habe die Stadt wohl Tag und Nacht durchstrichen; es ist vergebens gewesen. Nun ist mein Geld alle, weil ich die hohe Fahrt bezahlt habe, und ich bin in der fremden Stadt ohne alle Hilfe und allen Rat!“
„Beim Teufel, Betty, das ist nicht wahr! Oder hältst du den Tim Summerland für nichts, für gar nichts?“
„Tim, verzeihe mir, ich weiß doch nicht, ob du mir noch bös bist von damals her, und kenne doch auch deine Verhältnisse nicht, ob du mir helfen kannst!“
„Bös? Ich dir? Wer dich das glauben machen will, Betty, dem schlage ich den Kopf so breit, daß er ihn für eine alte Landkarte halten soll! Und meine Verhältnisse? Ich will dir etwas sagen, Betty: Tim Summerland hat keine Verhältnisse, aber Geld
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hat er, viel Geld, und das wird er gern drangeben, um deine Kinder aufzufinden!“
Die Sache war um ein weniges schlimmer, als ihr denken werdet. Die Betty war nämlich eine Freigegebene und hatte ein ziemlich Maß von dunklem Blute in den Adern, das war nicht nur an Haar und Hautfarbe, sondern auch an den Nägeln deutlich zu sehen. Ihre Kinder hatten also dieselben Kennzeichen an sich, und wenn irgend ein Schelm sie vom Schiffe geholt und für seine Sklaven ausgegeben hatte, so war es nicht leicht, sie wieder zu bekommen, selbst wenn man wußte, wer’s gewesen war.
Vor allen Dingen brachte ich sie zu meinem Boarding-Manager, bei dessen Frau sie eine freundliche Aufnahme fand. Dann mußte sie mir alles genau beschreiben und erzählen, und nun machte ich mich auf die Suche, um eine Fährte des Wildes zu entdecken, das ich noch gar nicht kannte.
Mein Suchen war tagelang vergebens, bis ich zufälliger Weise in den Boarroom des Washington-Hotels geriet.
Es waren verteufelt noble Gentlemen hier, und der alte Tim Summerland wurde nicht wenig angestaunt, daß er es wagte, so eine „dearness-spelunc“ zu betreten. Aber er ist ein besserer Mensch als mancher andere, der mit der Nase Löcher in den Himmel sticht, und ließ sich darum gar nicht irre machen.
Da auf einmal kommt einer herein, der besser und gentlemanliker als sie alle aussieht, wirft einen Blick herum, als wolle er die Köpfe von den Rümpfen spießen und dreht sich schon wieder zum Gehen um, als er mich gewahrt. Da blitzt es in dem treuen Auge auf; er tritt zu mir heran und streckt mir die Hand entgegen.
„Tim Summerland, alter Rifler, welcher Sturm hat denn dich in dieses Haus gejagt?“
„Lincoln, Abraham Lincoln, wahrhaftig, Ihr seid es mit Haut und Haar!“
„Du, du, heißt es, Tim, gerade so wie damals, als wir die
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zwölf Indianer von Fort Gibson auf die Floßhölzer schnallten. Komm mit herauf in mein Zimmer, du mußt erzählen!“
Denkt euch, der Mann war während der Zeit, daß ich ihn nicht gesehen hatte, Kapitän und gar Lawyer geworden, so was man im alten Lande einen Advokaten nennt, und alles ohne Schule und nur durch sich selbst. Jetzt hatte er ein Geschäft im Lande und hatte im Hotel gewohnt, wollte aber schon mit dem nächsten Dampfer fort. Ich will des Teufels sein, wenn ich ihm nicht sofort die Geschichte von der Betty erzählte. Er hörte aufmerksam zu, sagte aber nichts und nickte nur einige Male zustimmend mit dem Kopfe, als sei ihm alles schon bekannt.
„Well, Tim,“ meinte er dann; „du kommst jetzt grad an den rechten Mann und sollst die Kinder haben, wenn du willst!“
„Ob ich will? Ich schieße jeden nieder, der das Gegenteil behauptet, und laufe neunzigmal um die Erde herum, wenn ich nur weiß, daß ich sie dabei irgendwo finde!“
„Gut, sehr gut! Wie also hat der Mann ausgesehen, mit dem sie vom Schiffe gegangen sind?“
„Wie jeder andere! Karrierte Beinkleider, grauer Rock und gelber Panamahut, eine Nase, zwei Beine und — —“
„Und lahm, lahm ging er, nicht wahr, Tim?“
„Zounds, der Stewart hat so etwas gesagt, doch wußte er es nicht genau! Kennst du den Kerl, Abraham?“
„Ein weniges! Ich muß dir nämlich sagen, daß ich beauftragt bin, einem Manne nachzugehen, den eine gewisse Jury gern bei sich sehen möchte. Er ist durch die Länder gegangen und keiner hat ihn finden können. Ich aber bin ihm auf der Ferse. Er scheint zwischen hier und dem Missouri ein artiges Pecaninygeschäft zu treiben, nimmt braven Leuten die Kinder weg und verkauft sie in die unteren Staaten, wo diese Ware gut bezahlt wird. Ich werde ihm das Handwerk legen. Willst du mit?“
„Ich bin dabei! Wann geht es fort?“
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„Sogleich!“
„Gut, ich bin fertig. Aber die Betty?“
„Bleibt hier. Wir gehen noch zu ihr und tragen Sorge, daß sie bis zu unserer Rückkehr nicht Not zu leiden hat.“
„Lincoln, der Alligator soll mich fressen, wenn ich jemals vergesse, daß — — —“
„Schon gut, Tim! Ich bin ganz allein nur auf mich angewiesen, denn die Südstaatenmänner werden mir in meiner Angelegenheit nur feindlich entgegentreten. Wer weiß, ob ich nicht in schlimme Lagen komme, und da ist es mir ganz lieb, jemand bei mir zu haben, auf den ich mich verlassen kann.“
„Well done, so passen wir zusammen gerade wie damals, als wir dem Kanada Bill unser Blei zu schmecken gaben und die Rothäute in Kidron so prächtig ablieferten.“
„Was den Kanada Bill betrifft, Tim, so muß ich Dir sagen, daß er gerade in dieser Gegend hier nicht selten zu finden ist. Er soll am Red River ein großes Sumpfland besitzen und dort viel Ebenholz zu seinem Vergnügen zu Tode peitschen. Das „three carde monte“ hat er nicht verlernt und erst kürzlich in St. Louis zwanzigtausend Dollars damit gewonnen. Entweder habe ich mich da oben am Arkansas geirrt, und er ist es gar nicht gewesen, oder unsre Kugel ist nicht genug für ihn gewesen. Jetzt trink und rauch; ich will mich fertig machen!“
Es war ein wunderbares Zusammentreffen, ihr Leute, und ich hatte meine helle Freude über ihn. Er war ein Gentleman geworden, wie er nur so im Buche steht, und man konnte ihm schon ansehen, daß er es auch noch um ein Beträchtliches weiter bringen werde. Zu meiner Verwunderung zog er einen alten Trapperanzug aus dem Koffer und stand bald grad so vor mir, wie ich ihn im Walde getroffen hatte.
„Jetzt bin ich fertig, Tim. Man darf es hier nicht in die Welt hineinschießen, wer man ist und was man will. Den Koffer
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schicken wir zu deiner Betty; die mag ihn behalten als Zeichen, daß wir wiederkommen.“
Das schnappte und klappte nur alles so an ihm. Ein Stündchen später bestiegen wir den Dampfer, suchten uns als einfache Westmänner ein Plätzchen auf dem Deck und machten es uns so bequem als möglich. Die Fahrt dauerte vier Tage. Ich frug nicht, wo wir aussteigen würden und bekümmerte mich auch nicht um das, was Lincoln that und trieb. Ich wußte, daß er reden werde, wenn die rechte Zeit gekommen sei. Er hatte ein scharfes Auge auf jeden, der das Schiff bestieg, obgleich es kein anderer als nur ich allein bemerken konnte.
Da, es war in der Gegend von Game-city, brachte ein Boot einen Mann an Bord, welcher zwei Kinder bei sich hatte. Es war ihnen auf den ersten Blick anzusehen, daß sie Negerblut in den Adern hatten. Sie schienen sich sehr vor ihm zu fürchten und blieben in dem Winkel versteckt, nach welchem er sie führte.
„Das ist unser Mann!“ meinte Abraham leise.
Wirklich hinkte er ein wenig, wenn auch die Kleidung nicht die beschriebene war. Er blieb bis zum Abende auf dem Schiffe, wo er dann mit den Kindern einen Kahn bestieg, welcher mitten im Strome auf ihn gewartet zu haben schien.
„Bounce,“ sagte Lincoln; „er hat sich vorgesehen und wird uns leicht entgehen. Laß sehen, was zu machen ist!“
Er ging zum Kapitain und sprach einiges mit ihm. In kurzer Zeit wurde ein Boot ausgesetzt; wir stiegen hinein, und von sechs Rudern getrieben, flog es in den Nebel hinein, in welchem der Kahn verschwunden war. Die Bootsleute hatten den Dampfer wieder einzuholen und legten sich daher gewaltig auf das Holz. Die Leute im Kahne bemerkten uns nicht, obgleich wir fast zu gleicher Zeit mit ihnen das Ufer erreichten. Wir landeten an einer tieferen Stelle als sie und blieben ihnen wacker auf der Fährte.
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Der Weg führte nach einer Pflanzung, welche in der Nähe des Stromes lag. Als der Mann das Camp, in welchem die Neger wohnten, erreicht hatte, stieß er einen Pfiff aus. Eine Gestalt erschien, die Peitsche in der Hand. Es war einer der Aufseher.
„Hier bringe ich zwei Neue. Gieb ihnen zu esse und laß sie mit den andern spielen, damit sie nicht heulen. Sind sie aber nicht zu trösten, so zieh’ ihnen den Riemen über den Rücken!“
Unser Unbekannter ging dem Wohnhause zu. Wir erreichten es, um nicht gesehen zu werden, auf einem Umwege. Auf der Veranda befand sich niemand; auch im Parlour war niemand zu erblicken, doch schimmerte aus einem offenen Fenster des Erdgeschosses Licht. Wir schlichen uns herbei. Am Tische saßen drei Männer, der Angekommene unter ihnen. Der zweite konnte der Pflanzer sein, und der dritte, by good, das war der Kanada Bill, Zug für Zug und Haar um Haar, grad wie ich ihn droben am Arkansas zu meinen Füßen hatte liegen sehen.
„Und wieviel habt Ihr heute wieder, Willmers?“ frug er eben.
„Zwei. Es war eine harte Arbeit, fast so wie mit den vier, die ich für Euch von Vicksburg mitbrachte. Sind sie gefüge geworden?“
„Tragt keine Sorge; Hunger und Peitsche thun weh. Mr. Thanny hier sieht schon darauf, daß er bei dem Kostgelde nichts verliert. Morgen geht es fort nach dem Red River. Sind die zwei nach meinem Geschmack, so kaufe ich sie Euch noch ab und nehme sie mit.“
Lincoln zog mich in eine dunkle Ecke.
„Tim, hast du verstanden?“
„So ziemlich.“
„Es ist der wirkliche Kanada Bill.“
„Der wirkliche.“
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„Unser Schuß ist ihm doch nicht durch das Leben gegangen, und die Indianer haben ihn mit ihren Kräutern geheilt.“
„So meine ich auch. Vielleicht erfahren wir heut von ihm, was die zwölf Schurken damals in Kidron so hartnäckig verschwiegen. Es war nur richtig, daß sie die Kugel bekamen.“
„Ich glaube nicht, daß wir Etwas erfahren; die Umstände sind nicht günstig. Tim Summerland, jetzt werde ich deine Hilfe brauchen!“
„Ist mir recht.“
„Ich habe einen Verhaftsbefehl, aber er wird mir nichts nützen.“
„Das ist möglich. Auf den Bill?“
„Nein auf den andern, der sich hier Willmers nennen läßt.“
„Ah so!“
„Er raubt Mulattenkinder.“
„Und verkauft sie weiter?“
„So ists. Hier bei diesem Mr. Thanny hält er die Niederlage. Bill ist gekommen, um zu kaufen. Die Kinder deiner Betty sind sein, sie befinden sich noch hier. Hast du’s vernommen?“
„So viel ich’s brauche, ja.“
„Wie bringen wir sie los? Gutwillig bekommen wir sie nicht! Achtung vor dem Gesetze und meinem Befehl finden wir nicht; Hilfe und Unterstützung giebt es ja auch nicht — —“
„Hm, wie wär’s, wenn wir’s auch ohne Hilfe versuchten, Abraham? Ich habe eine verdammt gute Büchse, und das übrige ist auch nicht übel!“
„Ich dachte auch daran und bin dazu bereit, was meine Person betrifft; es giebt ja keinen andern Weg. Aber wenn es mißlingt, so sind wir verloren, und darum will ich dich — —“
„Still, alter Knabe! Ich thue mit, und damit stopp. Die
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Betty soll ihre Kinder wieder haben. Vor diesen Menschenkrämern fürchte ich mich nicht!“
„So mag es sein! Es ist noch nicht dagewesen, sicher nicht, aber wir zwei werden bis morgen die Herren dieser Pflanzung sein. Früh acht Uhr geht der Dampfer Wilson aufwärts hier vorüber; ich habe erfahren, daß der Kapitain Haller heißt und ein Deutscher ist. Einem solchen dürfen wir uns anvertrauen; er wird nichts Unrechtes dulden, denn sein Gastrecht wird uns schützen, so lange wir uns auf seinen Planken befinden. Ich kenne diese Deutschen, sie sind Ehrenmänner durch und durch und mögen von der Sklaverei nichts leiden. Mach das Messer locker, nimm die Büchse herab und komm!“
Wir gelangten ungesehen und also unangefochten auf die Veranda, ebenso in das Parlour und hatten nun nur noch eine Thür zwischen uns und den dreien. Lincoln stieß sie auf.
„Guten Abend, ihr Herren!“ grüßte er, trat an das Fenster, warf die Jalousien herab und schloß die Flügel.
Ich blieb an der sofort verschlossenen Thür stehen und zog die Büchse an das Gesicht. Die Männer waren aufgesprungen, aber die Überraschung raubte ihnen die Sprache.
„Bleibt sitzen; ich werde Gesellschaft leisten!“
Den gespannten Revolver in der Hand, zog er sich den Schaukelstuhl herbei und ließ sich in demselben nieder.
„Damn‘d, Master, was wollt Ihr hier?“ frug Kanada Bill. Er hatte sich zuerst gefaßt und griff mit der Hand nach dem Gürtel.
„Laßt das stecken, Bill! Ich gebe Euch mein Wort, daß ich Euch die Hand entzweischieße, wenn Ihr sie nicht augenblicklich wegnehmt!“
Bill folgte. Er sah, daß hier nicht zu spaßen sei.
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„Ihr fragt, was ich hier will? Hm, ich möchte gern wissen, wie Ihr wieder aufgekommen seid, als Euch bei Fort Gibson meine Kugel niederstreckte. Mein Floß und der Sack waren wohl die zwei Schüsse wert, die uns beide ins Jenseits schicken sollten. Ihr seht, ich habe eine kleine Rechnung quitt zu machen!“
„Hurra, da habe ich Euch ja!“ rief er, frohlockend in die Höhe fahrend. „Ihr sollt mir jetzt Rede und Antwort stehen, daß — —“
„Schon gut! Setzt Euch, Bill, sonst kann ich meine Kugel nicht mehr halten! Also Ihr habt jetzt eingestanden, daß — —“
„Eingestanden? Nichts habe ich eingestanden; ich weiß nicht, was Ihr meint. Nur das weiß ich, daß Ihr ein verdammter Detective seid, den ich gehörig heimschicken werde!“
„Ein Detective bin ich nicht, wenigstens nicht für Euch, Bill, und heimgehen werde ich ganz von selbst, so bald es mir beliebt. Unsre Sache ist mehr privater Art. Also laßt euch sagen, ihr Herren: Dieser Mann dort an der Thür wird euch die Waffen abnehmen, die ihr vielleicht bei euch habt. Ihr laßt das ruhig geschehen, denn ich werde den, der eine widerspenstige Miene macht, sofort niederschießen!“
„Da habe ich zuerst ein Wort zu sprechen,“ meinte jetzt erst Thanny, der bisher bestürzt geschwiegen hatte. „Ich bin hier Herr im Hause. Wer mich überfällt, ist ein Räuber und wird gepackt. Ich rufe meine Leute!“
„Das sollt Ihr sogar thun, aber jetzt noch nicht. Tim Summerland, geh her. Nimm das Messer vor und zeige ihnen die Schneide!“
„Keine Sorge, alter Freund! Wer sich nur rührt, der schmeckt die Klinge. „Zeigt her, ihr Herren, ob sich ’was finden läßt!“
Sie hatten heillosen Respekt bekommen und gehorchten. Nur Bill und Willmers hatten Waffen bei sich; der erstere ein Messer,
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der andre aber Messer und Revolver. Ich nahm die Sachen zu mir und kehrte an die Thür zurück.
„So, das war die Einleitung,“ lächelte Lincoln. „Nun kommt die Hauptsache, und ich werde der Reihe nach einem jeden sagen, was ich ihm mitzuteilen habe. Die andern haben zu schweigen, sonst mengt sich meine Kugel in das Gespräch! Mr. Willmers, ich kenne Euch. Ihr heißt eigentlich Jonas Forbisch und werdet mich auf einige Tage begleiten!“
Der Mann wurde blaß.
„Das ist eine Lüge, das ist nicht wahr! Ich heiße —“
„Stopp, wir sind fertig. Sprecht Ihr noch ein Wort, so ist es aus mit Euch. Die Vereinigte-Staaten-Bank wird ihren Schreiber wiedersehen, der so schnell zu verschwinden wußte, darauf könnt Ihr Euch verlassen! Nun zu Euch, Bill. Ich werde eine Frage an Euch richten; Ihr beantwortet sie mit Ja oder Nein. Sprecht Ihr ein Wort mehr oder zögert Ihr mit der Antwort länger als eine Minute, so schieße ich. Mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Merkt ihn Euch!“
„Was wollt Ihr?“
„Gebt Ihr mir freiwillig die geraubten Kinder heraus, welche Ihr von Forbisch gekauft habt, wenn ich Euch verspreche, Fort Gibson nicht zu erwähnen?“
„Ja,“ ertönte es nach einer Pause. „Ja, wenn —“
„Halt, sonst schieße ich!“ Ich spaße nie. Den Preis werdet Ihr zurück erhalten, wenn er sich noch bei Forbisch findet. Und nun zu Euch, mein ehrenwerter Mr. Thanny. Ihr beantwortet meine Fragen der Wahrheit gemäß. Beim geringsten Widerstreben seid Ihr eine Leiche. Gehorcht Ihr, so wird Euch nicht das geringste geschehen! Diese beiden Männer wohnen in Eurem Hause?“
„Ja.“
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„Ihr habt die Ware des Mr. Willmers in Eurem Camp?“
„Ja.“
„Ich will Eure Handlungsweise nicht verurteilen, aber Ihr werdet gut machen, was Ihr gefehlt habt; Schaden giebts ja nicht für Euch dabei. Ihr führt mich nach Forbisch’ Zimmer, wechselt aber dabei außer mir mit niemandem Wort oder Miene, sonst seid Ihr verloren. Kommt! Tim, du sorgst dafür, daß ich hier alles so wiederfinde, wie ich es verlasse!“
„Versteht sich ganz von selbst!“
Ich hatte keinen leichten Stand, und die Abwesenheit Abrahams dauerte mir fast ein wenig zu lange. Es war beinahe eine Stunde vergangen, als er zurückkehrte. Er kam allein. Seine Beredtsamkeit und die Beweise, welche sie in dem Zimmer des Schreibers vorgefunden hatten, waren ein Glück für uns. Der Pflanzer hatte versprochen, sich nicht in unsre Angelegenheit zu mischen, wenn er nicht behelligt werde, und Lincoln war so klug gewesen, ihm Vertrauen zu zeigen.
Mit den beiden andern gab es noch ein hartes Stückchen Arbeit. Sie wurde glücklich vollendet, da der Pflanzer wirklich Wort hielt und uns keine Feindseligkeit in den Weg legte.
Am andern Morgen verließen wir mit dem gefesselten Forbisch und mehr als einem Dutzend Kindern die Farm, und nur der gewaltigen Persönlichkeit Abrahams hatten wir dieses glückliche Ergebnis zu verdanken. Kapitain Haller nahm uns auf. Zwar hatten wir unterwegs noch manchen kleinen Strauß mit unserm Gefangenen, aber es war nur gering gegen unser vorheriges Wagnis, und wir kamen wohlbehalten in Vicksburg an.
Ihr könnt Euch Bettys Freude denken, als sie die Kinder wiedersah. Die andern waren schon unterwegs den Ihrigen zurückgegeben.
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Lincoln aber fuhr mit seinem Clorc fort nach dem Osten. Ich habe ihn nie wiedergesehen, desto mehr aber von ihm gehört. Ihr kennt ihn alle, und die ganze Welt kennt ihn. Booth hat ihn erschossen, aber er lebt doch fort in den Staaten, denn was er that, ist für Jahrhunderte gethan, und solch einen Abraham bekommt das Land nicht wieder. Und wenn ich so dasitze und an ihn denke, so klingt‘s mir immer in den Ohren: „Du, du, heißt es, Tim, gerade so, wie damals!“ Ja, er war ein ganzer Mann, wie es keinen zweiten giebt, und darum hatte er das Herz auf dem rechten Flecke, war zäh‘, grad wie Hickoryholz und weich dabei wie — wie — ja, wie es sonst eigentlich nur die Deutschen sind. Gott lohne es ihm!
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Ein Kampf mit Piraten.
1.
Der schöne englische Schoner „Entreprise“ war für Trinidad, eine Stadt auf der Insel Cuba, mit verschiedenartigem Kargo befrachtet. Er verließ London im November und in der Mitte des Januar war er glücklich in die Nähe der karaibischen Inseln gekommen. Kapitän Colet war ein erfahrener, kühner und unternehmender Mann von ungefähr dreißig Jahren, der in allen Dingen die größte Umsicht und Klugheit an den Tag legte.
Als er eines Tages gegen das Hintertheil des Fahrzeugs blickte, gewahrte er ein fremdes Segel, das ihm etwas verdächtig vorkam. Er beobachtete das Schiff einige Minuten aufmerksam durch das Perspektiv und sagte dann zu seinem Steuermanne Joe Row, der Schnitt des Klüvers wolle ihm nicht recht gefallen, er wisse nicht weshalb. Joe nahm das Glas, und nachdem er das Schiff einige Sekunden betrachtet hatte, sagte er: „Es gefällt mir auch nicht sehr, jetzt hat es die breiten Ruder ausgelegt und steuert mit jedem Zoll Leinwand, den es an Bord hat, auf uns zu; in weniger als einer halben Stunde wird es uns mit seinem Backenbart streicheln, seid davon überzeugt! Wenn’s nicht ein Scharfschütze ist, so will ich nicht Joe heißen. Kapitän, sehr Euch den Feind mal an; ich kann die Form nicht ganz herausfinden. Es hat am Vorderteile zwei Karronaden und doppelt soviel hinten. Die vorderen sind Zwölfpfünder.“
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„Was für Farben hat das Schiff?“
„Mexikanische, mexikanische! aber sie sehen nicht aus, als ob sie zu ihm gehörten. Es ist ein aufgeblasener, häßlicher Kiel, wie nur je einer auf den Wellen schwamm!“ rief Joe und gab dem Kapitän das Glas zurück.
„Was ist da zu thun?“ fragte dieser, während er den Steuermann fragend ansah. „Wir sind nur zu fünf und haben nur wenig, um uns zu verteidigen. Unsre beiden alten Karronaden können nicht viel ausrichten, und ihre Mannschaft ist ohne Zweifel eine zahlreiche, denn es wimmelt von Menschen bei ihnen an Bord.“
„Laßt es mich nochmals betrachten, Kapitän,“ sagte Joe und nahm das Glas in seine Hand. Sobald er es an die Augen gesetzt, rief er mit dem größten Unmut: „So wahr Eier Eier sind, sie haben einen hübschen Kessel mit Fischen auf dem Deck. Wahrhaftig, Kapitän, es sind ihrer so viele, daß sie uns alle lebendig auffressen könnten. Das geht in einem fort deckauf, deckab; sie scheinen sich zu einem Angriff zu rüsten. Lasset die alten Karronaden bis zur Mündung laden, wir wollen ihnen eins aufpfeffern!“
„Das wäre Wahnsinn gegen solche Übermacht,“ versetzte der Kapitän; „wir können uns nur ergeben, und …“
„Ergeben! wo zum Henker lerntet Ihr das Wort? Das steht gewiß in keinem englischen Schiffslexikon. Wir sind ja unsrer fünf, und wenn wir fünfe nicht diesen fünfzig ausländischen Strohmännern eins aufpfeffern können, so sind wir keine Engländer.“
„Gut gesprochen, mein Junge,“ versetzte der Kapitän. „Das ist aber leichter gesagt als gethan; wenn die übrigen jedoch so tapfer sind als Ihr, so wollen wir’s versuchen. Ruft sie auf die Laufplanke.“ Joe winkte der übrigen Mannschaft. Mit wenigen Worten sagte der Kapitän ihnen, was sie zu erwarten
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hätten und fragte sie, ob sie Schiff und Kargo aufgeben oder beides verteidigen wollten?“
„Kämpfen wie Männer!“ sagte der jüngste der Mannschaft. „Laßt mich mal die Feinde ansehen!“ Damit nahm er das Glas und richtete es nach dem verdächtigen Schiffe; er legte es jedoch alsbald wieder weg und sagte mit einer Verwünschung, es seien ihrer mindestens hundert auf dem feindlichen Schiffe.“
„Um so besser,“ sagte Joe, „je dichter das Gras, desto besser ist zu mähen. Aber der Feind steuert rasch auf uns zu; das Schiff ist höchstens noch vier Meilen von uns entfernt. Sollen wir uns rüsten?“
„Wir würden besser daran thun, keinen Widerstand zu leisten,“ sagte ein alter Matrose mit grauem Haare; „wenn wir uns widersetzen, werden wir alle massakriert. Bringt ihr auch nur einen um, so werden sie es an uns allen rächen und uns niedermetzeln.“
„Nur einen umbringen! Wenn ihr meinem Rate folgen wollt, so tötet ihr auf den ersten Schuß ein halbes Dutzend. Ladet einen Hut voll Kugeln in den alten Brummbär und gebt ihm ein gutes Maul voll Pulver, so wird er schon tüchtig auf sie losspeien. Nehmt eure Hieber zur Hand, meine Jungen — nicht wahr, Kapitän?“
„Ja, ja,“ versetzte dieser, „wir müssen das Eigentum unsrer Herren mit unsrem Leben verteidigen, — und ich erwarte, daß jedermann seine Pflicht thue.“
„Hurra, hurra, hurra!“ rief die Mannschaft und eilte hinunter, um sich zum Kampfe zu rüsten.
Glücklicherweise bestand ein Teil des Kargo aus Waffen, welche für ein Haus in Trinidad bestimmt waren. Diese Waffen bestanden aus langen Feldschlangen, Musketen, Revolverpistolen und Flinten. Die Überzüge wurden augenblicklich abgenommen und die Mannschaft brachte sie eiligst aufs Verdeck. Die langen
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Feldschlangen, drei Dutzend an der Zahl, wurden tüchtig geladen und vorne und hinten verteilt; jeder einzelne steckte sich den Gürtel voll mit Pistolen, während die furchtbaren Revolver, von welchen sechs Kisten mit je fünfundzwanzig an Bord waren, an verschiedenen Plätzen, bis an die Mündung geladen, bereit gehalten wurden. Aus Hängematten und Bettzeug bildete man ein Bollwerk an Bord der „Entreprise“, und die beiden Karronaden brachte man an das Steuerbordquarter, um den Piraten zu begrüßen, wenn er sich näherte.
Während diesrer Rüstungen war das Piratenschiff bis auf eine Meile nahegekommen. Die „Entreprise“ jedoch, obgleich entschlossen, im Notfalle sich mit den Waffen zu verteidigen, zog alle Segel auf, um vielleicht kampflos zu entkommen; die langen Ruder des Feindes ließen diesen jedoch noch rascher fahren, und in weniger als einer Stunde war das Schiff in Rufnähe. Es war ein unheimlicher Anblick. Das Schiff war mit mindestens fünfzig bis an die Zähne bewaffneten Piraten bemannt. Es hatte vier Karronaden, zwei Zwölf- und zwei Sechspfünder, eine nicht zu verachtende Macht.
In wenigen Minuten war das Schiff der „Entreprise“ ganz nahe, und der Piratenkapitän gab den Befehl, ihm den Kapitän und Steuermann an Bord zu schicken. Der Befehl wurde in portugiesischer Sprache erteilt, welche Joe Row verstand; dieser antwortete auch sogleich: er werde sie eher am Galgen als gefangen sehen.
Der Pirat erwiderte: „Wenn ihr nicht in fünf Minuten an Bord seid, bohre ich euch in den Grund.“
Joe antwortete ihm mit einer keineswegs klassischen, aber höchst ausdrucksvollen Gebärde, indem er den Daumen an die Nase setzte und die Finger ausstreckte. Ehe er jedoch dieses Kunststück recht ausführen konnte, erdröhnte der Zwölfpfünder des Piraten und krachend stürzte die Stenge des Schoners herab.
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„Jetzt ist’s an euch, meine Jungen,“ sagte der Kapitän, und in demselben Augenblick wurden die beiden Karronaden der „Entreprise“ abgefeuert. Sie waren bis an die Mündung mit allen Arten von Wurfgeschossen geladen und richteten große Verheerung unter der Mannschaft des Piraten an; man sah mehrere fallen und Blut floß aus vielen Wunden.
„Rasch wieder geladen!“ rief der Kapitän. Während der Befehl befolgt wurde, ertönte wieder ein Schuß von dem Piraten, der dem Schoner eine Schlappe versetzte und einen Teil vom Bord wegriß. Dafür tötete oder verwundete die „Entreprise“ bei ihrer nächsten Salve eine große Anzahl von der Mannschaft des Piraten, so daß diese sich sichtlich verminderte. Dieser Umstand schien jedoch die Überlebenden wunderbar anzufeuern. Sie fluchten fürchterlich, ihre Augen funkelten vor Rachedurst und man sah sie in wilder Wut auf dem Verdeck umherrennen.
Der Kapitän bemerkte dies und rief seinen Leuten zu: „Sie sind so heiß wie Pfeffer; seid ihr so kalt wie Gurken; vergeudet euer Feuer nicht unnütz, werft es ihnen recht ins Maul hinein! Ruder am Steuerbord! Laßt sie nicht entern!“
„Ohne Sorgen, Sir,“ sagte Joe.
Die „Entreprise“ zu entern war offenbar die Absicht des Piratenschiffes, dessen Kapitän sich mit all seinen Leuten auf die schwache Bemannung werfen zu können hoffte. Joe brachte jedoch das Schiff durch eine geschickte Ruderwendung in eine andre Lage, gerade unter den Wind, während der Pirat wie ein Pfeil an ihm vorüberschoß, nicht jedoch, ohne eine Ladung von den Musketen, Revolvern und Flinten zu bekommen, die unter der Mannschaft auf dem Verdeck allerlei Luftsprünge veranlaßte und die Zahl der Piraten wieder verringerte.
Die beiden Schiffe waren jetzt ziemlich weit voneinander entfernt. Die „Entreprise“ schoß mit der den Schonern eigentümlichen Stetigkeit windwärts; der Pirat dagegen fiel ein
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ziemlich Stück leewärts vom Strich ab. Dadurch war den Leuten auf der „Entreprise“ die Möglichkeit gegeben, die Karronaden wieder zu laden und Rüstungen zu einem neuen Angriff zu machen.
„Wie soll ich den Schoner halten, Sir?“ fragte Joe.
„Dem Wind entgegen, womöglich,“ antwortete der Kapitän. „Bring‘ die Karronaden in eine Lage, daß wir ihnen eine zweite Ladung senden können, wenn sie uns ins Gehege kommen!“
„Wohl, wohl, Sir!“ antwortete Joe, „aber ich fürchte, der Wind wird nicht so lange anhalten, und sie werden, ehe wir’s uns versehen, wieder Bord an Bord mit uns sein. Die langen Ruder haben sie bereits ausgesetzt.“
„Thut nichts; wir haben uns im letzten Kampf wacker gehalten und vielleicht geht es das nächste Mal noch besser.“
In dem Breitengrade, wo diese Schiffe segelten, hört der Wind oft für lange Zeit auf und dies war jetzt gerade der Fall. Die Segel der „Entreprise“ waren nicht mehr gefüllt und die des Piratenschiffes hingen schlaff an den Masten. Die Schiffe waren mehr als eine halbe Meile von einander entfernt und wären in dieser Lage geblieben, wenn die Bemannung des Piratenschiffes nicht von den Rudern Gebrauch gemacht hätte. Die „Entreprise“ besaß keine solchen Beförderungsmittel und mußte, während der Feind zwar etwas langsam, aber sicher vorwärts kam, wie ein Log im Wasser liegen.
„Haltet sie wenigstens eine halbe Stunde lang auf Armslänge von uns fern, wir wollen sie dann gehörig sieben,“ sagte der Kapitän; „der Pirat kommt uns in den Rücken, wir müssen ihn mit beiden Karronaden der Länge nach zu bestreichen suchen. Ladet Stangenkugeln, schießt aber nicht los, bis sie uns auf zwanzig Ellen nahe gekommen sind! Sobald die Pillen ihnen in den Flanken sitzen, die ganze Mannschaft auf das Hinterdeck
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und dann losgepfeffert mit den kleinen Waffen! Joe, binde das Ruder an und hilf ihnen!“
„Geht nicht, Kapitän,“ sagte Joe; „wenn ich den finstern, meuchelmörderischen Schuft in den roten Hosen aus der Mitte herausholen kann, werd‘ ich wohl dem Staat einen besseren Dienst erweisen. Ich will ihm eins mit dem Sechsläufer versetzen.“ Joe wollte damit sagen, daß er dem Piratenkapitän die ganze Ladung einer der Revolverpistolen, die sechs Läufe hatte, zukommen zu lassen beabsichtigte.
Der Pirat hatte sich dem Schoner auf hundert Ellen genähert; Joe betrachtete das Schiff aufmerksam, und als er sah, daß es infolge des unstäten Ruderns etwas von der geraden Linie abwich, rief er mit großer Zuversicht: „Wenn Ihr erlaubt, Kapitän, daß ich schieße, so hoff‘ ich sie am Steuerbordbug zu streifen. Wir haben dann vollauf Zeit, wieder zu laden, ehe uns der Pirat auf den Leib kommt. Laßt mich ablösen!“
„Sehr gern,“ antwortete der Kapitän, und beide eilten nun nach den Karronaden. Sie waren eben im Begriffe, dieselben nach dem Piraten zu richten, als plötzlich eines der feindlichen Geschütze donnerte, und der Vormast des Schoners krachend niederstürzte.
„Hurra!“ rief die Mannschaft.
„Thut nichts — schießt los!“ sagte der Kapitän, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. Die Karronaden wurden gerichtet und zuerst die eine, dann die andre auf den Feind abgefeuert; die Kugeln rissen Stücke vom Bug und Bollwerk des feindlichen Schiffes weg und machten mehrere Matrosen an den langen Rudern zu Krüppeln.
„Gut geschossen! Frisch geladen und noch einmal losgebrannt!“ rief der Kapitän, und in unglaublich kurzer Zeit wurden die Kanonen mit der größten Stille und Kaltblütigkeit wieder geladen und abgefeuert. Die Kugeln streiften das
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Verdeck und abermals fielen mehrere, um nicht wieder aufzustehen.
Aber die Ruder wurden frisch bemannt, und der Feind steuerte rasch heran; das Verdeck wimmelte noch immer von einer Überzahl von Angreifenden, welche bereit standen, mit ihren Feuerwaffen Tod und Vernichtung unter die schwache Bemannung der „Entreprise“ zu schleudern; die armen Leute hatten das Furchtbarste zu erwarten. Von edlem Mute und hohem Pflichtgefühl durchdrungen, wollten Sie jedoch ihr Schiff bis aufs äußerste verteidigen; Kapitän Colet und seine Leute befahlen sich der Gnade Gottes und baten ihn um Kraft und Stärke. Sie stellten sich zwischen den Betten und Hängematten auf, die sie in der Eile als eine Barrikade gegen das Kleingewehrfeuer angehäuft hatten, und rüsteten sich zu einem mörderischen Feuer auf den Feind.
Die Karronaden waren wieder geladen worden, nicht wie zuvor mit großen Kugeln, sondern jede mit einer Viertelmetze kleiner Kugeln, da es jetzt weniger galt, das Schiff untüchtig zu machen, als die mörderische Mannschaft zu vernichten. Endlich war der Pirat dem Schoner auf zwanzig Schritte nahe gekommen. Man konnte das Weiße im Auge des Seeräubers erkennen. Eine dröhnende Salve aus den beiden Kanonen streckte wieder mehrere von den Piraten nieder; dieser folgte augenblicklich ein lebhaftes Kleingewehrfeuer aus Musketen und Büchsen, die man neben sich zurecht gelegt hatte. Die Piraten fielen immer zu zwei und drei. Joe ergriff eine doppelläufige Büchse, und auf den zweiten Schuß stürzte der Piratenkapitän mit einem fürchterlichen Fluche.
„Es ist aus mit dir, Junge,“ sagte Joe; in demselben Augenblicke flog aber eine Kugel an seinem rechten Ohr vorüber und riß es vollständig weg. „Macht nichts,“ sagte Joe kaltblütig.
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„Nehmt die Leute am Ruder aufs Korn,“ rief der Kapitän, „und schießt sie weg!“ Das Feuer des Schoners wurde nun auf die Rudernden gerichtet und dies mit solchem Erfolge, daß in fünf Minuten alle auf der Steuerbordseite kampfunfähig gemacht waren und der Pirat in hilflosem Zustande umherschlenkerte.
„Sie können jetzt nicht entern,“ rief Joe; „wir wollen die Bullenbeißer wieder laden; wenn wir ihrem Bug noch einen tüchtigen Stoß beibringen können, ist’s vielleicht aus mit ihnen.“ Und der alte Matrose lud die Karronaden noch einmal, während der Kapitän, Joe und die andern beiden Männer fortwährend ein Kleingewehrfeuer auf den Feind unterhielten.
Dieser entschiedene Widerstand machte das Feuer der Piraten immer schwächer und aus ihren Blicken sprach bange Besorgnis, die sich in Verzweiflung verwandelte, als die nächsten wohlgezielten Karronadensalven den Bug des Piraten so gewaltig zerrissen, daß Wasser einzudringen begann. Der Verlust des Kapitäns machte überdies einen sehr entmutigenden Eindruck auf die Mannschaft, welche, obgleich noch einige zwanzig Mann zählend und also viermal so stark als die der „Entreprise“, nicht undeutlich den Wunsch zu entfliehen zu erkennen gab. Vier Mann wurden von den Rudern weggeschossen; die Piraten suchten nur noch das Schiff aus der Schußweite zu bringen, und das Feuer hörte beinahe ganz auf.
„Schießt noch einmal, solange es Zeit ist!“ rief der Kapitän, und die Kanonenläufe spien abermals ihr furchtbares Feuer aus, während das Kleingewehrfeuer blitzte. Mehrere von den Piraten fielen, während sie sich davonmachen wollten. Die kleine Mannschaft der „Entreprise“ stieß ein lautes Hurra aus; die Karronaden wurden noch mehreremale geladen und abgefeuert, bis der Pirat außer Schußweite war.
„Das war ein heißer Tag, Kapitän,“ sagte Joe, als er
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den letzten Pfropf in die Kanone stieß. „Da stehen wir fest und ungebrochen wie ein Mann, stets bereit, sie zu empfangen. Köstliche Jungens das! Hätten wir sie noch eine halbe Stunde im Feuer gehabt, wir hätten ihnen sicher die Luvbrassen weggeschossen; nun, Kapitän, wollen wir die Brassen des großen Segels splissen!“
Die Mannschaft leerte ein Glas auf das Wohl der Königin und sang: „Rule Britannia.“
Nachdem ihre gegenseitigen Beglückwünschungen vorüber waren und der Kapitän die Haltung seiner tapferen kleinen Schar belobt hatte, erhielt Joe den Befehl, das Log aufzusetzen, und als der Abend einbrach, traf man Vorsorge für die Nacht. Die „Entreprise“ lag schwer beschädigt auf dem beinahe bewegungslosen Ozean. Der Vorder- und der Hintermast waren weggeschossen und hingen in traurigem Zustande an den Seiten herunter. Die Bollwerke waren eingebrochen, der Kompaß unbrauchbar gemacht: der Rumpf des Schiffes hatte überdies, nicht weit von der Wasserlinie mehrere Löcher, die, wenn die See sich hob, was sehr wahrscheinlich war, mehr Wasser einließen, als man wieder leicht hinausschaffen konnte. Diese Löcher wurden deshalb rasch verstopft, das Takelwerk von den Masten geschnitten, ein paar Notmasten aufgerichtet und Segel daran befestigt, ehe die Sonne vollends ganz in die See hinabsank. Diese Arbeit war beinahe so anstrengend, als die Verjagung des Feindes; aber die tapfere Mannschaft that alles rasch und willig und hatte die Befriedigung, ihr Schiff von jedem Lüftchen, das sich erhob, fortgetrieben zu sehen.
Die Mannschaft des Piraten war nicht so glücklich. Sie hatte genug zu thun, sich ihrer Toten und schwer Verwundeten zu entledigen. Die, in welchen kein Leben mehr war, wurden über Bord geworfen, und solche, welche nur wenige Lebenszeichen von sich gaben, auf den Kopf geschlagen, weil man nicht
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unnötigen „Ballast“ mit sich führen wollte. Bei der Musterung fand man, daß von vierundfünfzig Mann nur vierundzwanzig übrig geblieben; dreißig waren entweder getötet oder tödlich verwundet. Der Kapitän war erschossen; seine Stelle nahm ein Spanier ein, namens Santeno, der ebenso tapfer als blutdürstig war und der „Entreprise“ die furchtbarste Rache schwor, wenn er sich ihrer bemächtigen könnte, woran er noch nicht verzweifelte.
2.
Ehe man sich auf den beiden Schiffen zur Ruhe begab, hielten die zwei Kapitäne noch eine Anrede an ihre Mannschaften.
Kapitän Colet sagte, nachdem er der Tapferkeit seiner Leute rühmend gedacht: „Meine lieben Jungens, wären wir nicht in der Hand der Vorsehung gewesen, hätte sie uns nicht geschützt, wir würden dieser Mörderbrut nicht widerstanden haben; deshalb gebt Gott die Ehre und vertraut nicht einzig und allein auf eure Stärke. Was wir gethan, war unsere Pflicht, und wir haben mit Gottes Hilfe das Schiff und die Fracht den Eigentümern gerettet; es war eine starke Hand mit uns, und da uns wohl noch vor Ende der Nacht eine schwere Arbeit bevorsteht, so laßt uns auf Den bauen, der uns bis hierher den Sieg verliehen hat!“
Die Matrosen waren in ihrer rauhen Weise gerührt und dankten Gott mit einem herzlichen Blicke zum Himmel für ihre Rettung.
Der Kapitän des Piratenschiffes dagegen ließ sich also vernehmen: „Matrosen, ihr werdet euch doch diese britischen Hunde nicht entkommen lassen! Es sind die Straßenräuber der See unter dem Scheine des Rechts. Sie wollen die Souveräne des Ozeans sein, herrschen, wo es ihnen beliebt, Gesetze machen, wie es ihnen beliebt und ehrbare Leute wie uns zwingen, unser
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Leben für eine Bagatelle zu riskieren. Ich wenigstens möchte lieber in die Luft geschleudert oder in den tiefsten Grund geschossen werden, als diese Beute aufgeben. Laßt uns jedoch an das nächste denken! Unser gefallener Kapitän war für gewagte Handstreiche, ich bin mehr für den ruhigen Weg. Ich schlage deshalb vor, sie lieber, wenn alles ruhig ist, in der Stille unerwartet zu überfallen; können wir entern, so ist es um sie gethan.“
Die Mannschaft steckte die Köpfe zusammen, und nach einer langen Beratung, die mehr als einmal mit einer Prügelei zu enden drohte, kam man überein, daß in dunkler Nachtstunde die ganze Mannschaft mit Ausnahme von dreien die beiden Boote besteigen und, nachdem man die beiden Ruder mit Bast umbunden, auf die „Entreprise“ zusteuern und entern sollte, ehe man dort etwas ahnte. Jedermann an Bord sollte augenblicklich massakriert, die „Prise“ geplündert, in Grund gebohrt und versenkt werden, daß keine Spur von ihrer blutigen That übrig bliebe.
Obgleich der Kapitän der „Entreprise“ diese Worte nicht gehört hatte, ahnte er doch, was ihnen bevorstand; er rechnete auf einen nächtlichen Angriff, und statt sich zum Schlafen niederzulegen, beschloß er, wach zu bleiben und das Schiff für einen solchen Angriff zu rüsten. Die Geschütze und Gewehre wurden wieder geladen und an die bequemsten Plätze gebracht, Barrikaden gebildet und ein Netzwerk von Stricken vermittelst Hebestangen über dem Bollwerk angebracht. Ein besonders wichtiges Verteidigungsmittel verdankte man Joe Row, der aus den Ladezetteln wußte, daß die „Entreprise“ mehrere Fässer Salzsäure an Bord hatte, und nun so lange suchte, bis er sie fand, worauf er zwei davon auf das Verdeck brachte; dann machte er eine Art Spritze aus einer alten kupfernen Röhre, was ihm so gut gelang, daß er mit der ätzenden Flüssigkeit das Ziel nie verfehlte. -
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verfehlte. „Wenn Ihr mich ihnen die Backenbärte abbrennen laßt, sobald sie an Bord kommen,“ sagte er zu dem Kapitän Colet, „so wird’s dieselben Dienste thun, wie Pulver, und nicht so viel Geräusch machen.“ Dem Kapitän gefiel diese Art der Kriegsführung nicht; er suchte deshalb Joe zu überreden, von seinem Vorhaben abzustehen; dieser wollte jedoch nichts davon wissen.
Der Kapitän ließ nun seine Leute sich auf dem Verdeck niederlegen. „Es wird,“ sagte er, „jedenfalls einige Stunden dauern, ehe sie uns angreifen; indes mag euch der Schlaf stärken. Eine halbe Stunde schon thut gut; aber schnarchet nicht, ich werde indessen wachen und aufpassen, und bewegt sich ein Ruder oder Tau, ohne daß ich’s höre, so sollen sie mich auf dem Roste braten!“ Nach einigen Minuten kauerten die Matrosen am Boden und schliefen. Kapitän Colet aber saß auf dem Vorderteile des Schoners und blickte unverwandt nach dem Piratenschiffe.
Kein Lüftchen, kein Atemzug war hörbar. Die See war spiegelglatt und das Schiff fühlte die sanfte Bewegung kaum; der Himmel hing voll schwerer Wolken. Als die Wolken sich jedoch verteilten, zeigte sich ein lichter Glanz auf dem Wasser; anfangs war es nur ein leichter Schimmer, nach und nach aber erhellte sich die ganze Oberfläche des Meeres, und man konnte nun das Piratenschiff wie einen schwarzen Punkt auf einem dünnen phosphorischen Nebel liegen sehen. Diese seltsame, wenn auch keineswegs ungewöhnliche Erscheinung auf dieser See war dem Kapitän neu; er weckte deshalb Joe, um ihm das Phänomen und das Piratenschiff, das bisher im Dunkel verborgen gewesen, zu zeigen. Joe war an diesen Anblick gewöhnt und freute sich darüber; „denn jetzt,“ sagte er, „können wir sehen, wie’s mit diesen Leuten steht.“
Kurz darauf bemerkten sie auch wirklich eine lebhaftere Bewegung auf dem Schiffe; an dem Funkensprühen der See rings um den Piraten konnten sie bald sogar erkennen, daß sich etwas
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auf sie zubewegte, und obgleich sie nicht deutlich zu unterscheiden vermochten, was geschah, so schienen ihnen doch zwei schwarze Punkte sich von einem größeren zu trennen und der „Entreprise“ zu nähern.
„Sie haben ihre Boote ausgesetzt,“ sagte Joe, „wir werden sie ehestens bei uns sehen; hört Ihr das Rudern?“
Kapitän und Steuermann lauschten, konnten jedoch nichts hören.
„Sie kommen sehr langsam,“ sagte Joe.
„Wir müssen ebenso ruhig zu Werke gehen als sie,“ „ sagte der Kapitän; „wecke die Leute, Joe!“
Joe rutschte auf den Knien zu jedem von den Matrosen und forderte sie auf, sich in Bereitschaft zu setzen, um, wenn es Zeit sei, sich ans Werk zu machen. Nachdem er dann selbst ein paar dichte Handschuhe angezogen, stellte er seine Salzsäurefäßchen zurecht und nahm seine Spritze zu sich.
Die Piraten ruderten langsam auf das Schiff los. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet und hatten sich mit glühenden Kugeln versehen, um das Schiff anzuzünden, wenn sie nicht entern könnten. Sie kamen immer näher, und als sie noch fünfzig Ellen entfernt waren, legten sie die Ruder bei. Der Piratenkapitän flüsterte seinem Nachbar zu, sie scheinen nicht bemerkt zu werden, man solle nach der „Entreprise“ steuern, sich anhaken und auf das Bollwerk klettern. Der Befehl wurde augenblicklich befolgt, und schon nach wenigen Minuten waren sie unter dem Buge der „Entreprise“.
In diesem Augenblicke wo das erste Boot das Schiff berührte, füllte Joe Row seine Spritze, die ein bedeutendes Quantum Salzsäure faßte, hielt sie über das Bugspriet hinaus und entlud sie über die, welche vorne im Boot standen und es gerade anhaken wollten. Anfangs hielten es die Piraten für einen Wasserstrom, der sich über sie ergieße; wenige Sekunden später jedoch,
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als die Flüssigkeit sich ihren Weg durch die Kleider gebrannt, und in die Haut und das Fleisch einzufressen begann, erhob sich ein Geschrei wie das von Wilden, vermischt mit den furchtbarsten Flüchen, während die Getroffenen vor Wut und Schmerz in die Höhe sprangen und sich zuletzt im Übermaße der Qual in das Meer stürzten. Joe übergoß auch alsbald die andern mit einer ähnlichen Dosis, und dann schoß er zwei große Kugeln eine nach der andern in das Boot, um es in den Grund zu bohren. Dies mißlang jedoch, und der Piratenkapitän eilte nun mit einigen andern nicht Begossenen herbei und kletterte an dem Bugspriet hinauf. Joe und der alte Matrose aber empfingen sie mit einem Kleingewehrfeuer, das sie wieder in das Boot zurücktrieb.
Das andre Boot des Piraten war glücklicher, obgleich Kapitän Colet selbst den Kampf mit ihm unternommen hatte. Es hatte am Steuerbordquarter geentert. Colet war, von einem Schusse getroffen, bewußtlos zu Boden gestürzt, und obgleich drei von den Piraten durch das wohlgezielte Feuer der beiden andern niedergestreckt worden, war es doch den sechs übrigen gelungen, auf das Quarterdeck zu steigen. Die Beleuchtung war so unklar, daß es schwierig wurde, zu wissen, was vorging, und man konnte nur am Blitzen der Waffen unterscheiden, wo Feinde standen, Joe, der, als er dies bemerkte, sich nicht durch die Abschießung seiner Pistolen oder andrer Waffen bloßstellen wollte, füllte seine Spritze und eilte nach dem Quarterdeck, während sich alles wirr durcheinander drängte, und schoß die volle Ladung dem Knäuel von Piraten in Gesicht und Augen. Das Geheul der armen Teufel war jammervoll; halb bewußtlos stürzten sie nach ihrem Boote zurück und stießen in dem schrecklichsten Zustande, den man sich denken kann, ab.
Der Tag brach nach und nach an; zugleich erhob sich ein sanftes Lüftchen. Die Helle zeigte die Verwüstung. Kapitän Colet war schwer verwundet, ebenso zwei andre von seinen Leuten.
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Joe Row hatte seine Hände mit der Aqua fortis nicht wenig verbrannt; aber er war doch immer noch dienstfähig. Ein Boot der Piraten trieb auf dem Meere umher und war einige Meilen entfernt. Das andre, dessen Mannschaft gänzlich dienstunfähig geworden, konnte sein Fahrzeug nicht mehr erreichen und schwamm zwischen beiden Fahrzeugen.
„Jetzt ist unsre Zeit gekommen,“ sagte Joe, „der Wind ist günstig.“ Die Segel an den Notmasten wurden aufgehißt, die alte „Entreprise“ bewegte sich wieder auf dem Wasser. Der Kapitän war noch im stande, sie zu lenken und er steuerte auf das Piratenschiff zu. Joe und die andern eröffneten mit den Karronaden ein furchtbares Feuer auf dasselbe. Wie lange sie dieses fortsetzten, weiß ich nicht; plötzlich hörte man ein furchtbares Krachen; Masten, Takelwerk, ein Teil des Rumpfes, Beine und Arme schwebten einen Augenblick in der nebligen Luft, fielen dann ins Wasser und verschwanden.
Was aus dem Piratenkapitän und aus dem andern Boote wurde, erfuhr ich nicht; die alte „Entreprise“ aber erreichte sicher den Hafen. Der Kapitän war glücklicherweise bald von seiner Verwundung geheilt und erhielt von den dankbaren Eigentümern des Schiffes ein prachtvolles Silbergeschirr, während Joe und die übrige Mannschaft jeder einen Beutel mit Geld empfingen.
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Ein Abenteuer in Südafrika.Von Emma Pollmer.
Über eine einförmige Ebene des Kaplandes ritten zwei Männer. Ihre Tiere waren von der leichtfüßigen, ausdauernden Rasse, wie sie von den Söhnen Altenglands nach Südafrika gebracht worden war und die sich so vorteilhaft von den schweren, unbehilflichen, niederländischen Trabern unterscheidet.
„Damn it,“ meinte der eine, indem er das Auge gegen den Strahl der niedergehenden Sonne mit der Hand beschattete und den vor ihnen liegenden Horizont musterte; „wo bleibt nur dieses verteufelte Klaarfontain! Oder hast du dich in der Gegend geirrt, John Hoblyn?“
„Ich mich in der Gegend irren, Sir Raffley? Das wäre ja ein Ding, welches ich noch niemals kennen gelernt habe. Klaarfontain liegt grad vor uns, und in höchstens einer halben Stunde sind wir dort.“
„Und das Mädchen ist wirklich so prachtvoll, wie du sie beschrieben hast?“
„Wirklich! Sie muß eine Amatomba oder eine Lagoanerin sein, der Schönheit nach; ich kenne das, Sir!“
„Gut, John; ich kaufe sie, und wenn ich finde, daß — —“
„Kaufen? Hm, ich glaube nicht, daß Euch das gelingen wird. Diese niederländischen Boers sind gar eigene Leute, und
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der Piet van Holmen auf Klaarfontain ist grad einer von den Richtigen, obgleich er kaum einige und zwanzig Jahre zählt. Er scheint mir selbst ein Auge auf sie geworfen zu haben und würde auch ohne das nicht der Mann sein, ein Hausgesinde an einen Englishmann abzulassen.“
„Habe von ihm gehört! Er soll einer der verwegensten Afrikanders sein und sich vor einem ganzen Rudel Kaffern ebenso wenig fürchten, wie vor dem Löwen oder Rhinozeros. Doch, wir werden ja sehen! Er ist die rechte Hand von Pieter Uys, der sich gegen den Zuluhäuptling Dingaan rüstet; wir dürfen diesen Boers den Sieg nicht lassen, und mit den Aufträgen, die ich vom Gouverneur in den Händen habe, ist es mir ein Leichtes, ihn zu verderben. Gefällt mir das Mädchen, so wird sie mein; dabei bleibt‘s!“
Die beiden Engländer setzten ihren Weg nun schweigend weiter fort.
John Hoblyn hatte recht gehabt, denn noch war keine halbe Stunde vergangen, so traten die niedrigen Gebäude einer einzelnen holländischen Ansiedelung aus der Ebene hervor. Es war Klaarfontain.
Ein paar mächtige Fanghunde begrüßten die Ankömmlinge mit wütendem Gebell. Eine außerordentlich sauber gekleidete Frau trat aus der Thür und beschwichtigte die Tiere, wobei ihr Auge mit mißtrauisch fragendem Blicke die Fremden musterte.
„Seid Ihr die Mutter von Piet van Holmen?“ frug Raffley.
„Ja,“ antwortete sie einfach und kurz.
„Ist er daheim?“
„Nein.“
„Wo trifft man ihn?“
„Auf der Jagd. Er sucht einen Leoparden, der uns in die Herde geraten ist.“
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„Wer ist mit ihm?“
„Er ist allein.“
„Wann kommt er zurück?“
„Weiß nicht genau. Bis morgen sicher.“
„Dann bleiben wir hier. Wir haben mit ihm zu reden.“
Er stieg ohne Umstände vom Pferde, übergab dasselbe seinem Begleiter und trat in das Haus. Der Pflanzer versteht es, ohne große Einleitung von den Rechten der Gastfreundschaft Gebrauch zu machen. Als er in die Stube trat, schickte sich ein junges Mädchen an, diese scheu zu verlassen. Er warf einen raschen Blick auf sie und hatte sie dann sofort beim Arme gefaßt.
„Halt, Kleine! Warum willst du so schnell fort? Du hast von mir keine Unliebenswürdigkeit zu befürchten!“
Sie suchte sich von ihm los zu machen und hob, als ihr das nicht gelang, das große, dunkle Auge bittend zu der Herrin empor.
„Wie ist Euer Name, Herr?“ frug diese.
„Raffley.“
„Nun gut, Sir Raffley, laßt mir das Kind in Ruh. Ihr seid mein Gast, und sie hat in der Küche für Euch zu sorgen.“
„Wollt Ihr das nicht lieber selber thun, Jeffrouw van Holmen?“
Er versuchte, das Mädchen an sich zu ziehen, aber die Wirtin schob ihre breite, holländische Figur dazwischen.
„Wartet mit Eurer Meinung, bis ich Euch um dieselbe frage, Sir! Das Hannje geht in die Küche; so habe ich gesagt, und so bleibt es auch!“
Im nächsten Augenblicke war das Mädchen verschwunden.
Das „Hannje“, wie sie von der Boersfrau genannt worden war, konnte allerdings die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich ziehen. Die Frauen der Kaffern sind zwar meist klein,
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verkommen und unansehnlich oder sogar häßlich, aber es giebt einige Stämme, welche durch die Schönheit ihrer Weiber und Mädchen berühmt geworden sind. Hannje mußte einem dieser Stämme entsprossen sein, und die einfache Kleidung, welche sie trug, war ganz geeignet, diese körperlichen Vorzüge zur Geltung zu bringen.
Der Engländer war ihr mit leuchtendem Blicke gefolgt. Dann wandte er sich an die strenge Frau zurück:
„Habt Ihr das Mädchen gekauft, Jeffrouw?“
„Nein. Der Boer — Gott segne sein Andenken — fand sie draußen in der Wüste; zwei Tote lagen bei ihr, ein Mann und ein Weib. Er nahm das Kind mit nach Klaarfontain, und da ist es mit Piet, unserm Sohne, auferzogen worden.“
„So wißt Ihr nicht, woher es stammt?“
„Wir wissen es. Als Panda, der Häuptling der Zulu, von seinem Bruder Dingaan verfolgt wurde, übergab er sein Lieblingsweib nebst ihrem Kinde einem Vertrauten, der sie in der Kalahari-Wüste verbergen sollte. Sie fanden die Quellen verstopft und sind elendiglich umgekommen; das Kind aber war unsre Hannje. Panda hat es wiedererkannt, als er einst in Klaarfontain übernachtete.“
„Warum hat er es nicht mitgenommen?“
„Er hatte keine Heimat mehr, und Hannje wollte nicht von uns lassen.“
„So! Ihr habt also mit Panda, dem größten Feinde der englischen Regierung zu thun?“ frug Sir Raffley lauernd.
Die Frau sah ihm unerschrocken in das Gesicht.
„Habt Ihr etwas dagegen, Sir? Wer unter das Dach eines Boers tritt, darf unter demselben essen und ruhen; so war es Sitte, so ist es noch jetzt, und so soll es auch bleiben. Oder soll ich Euch fortweisen?“
„Verkauft Ihr das Mädchen, Jeffrouw?“ frug er ausweichend. -
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ausweichend. „Ich nehme sie für einen guten Preis morgen mit mir.“
„Verkaufen? Nein, Sir, um keinen Preis. Sie ist mein Kind geworden und wird bald das Weib meines Sohnes sein. Die Boeren von Klaarfontain haben nie mit Menschenfleisch gehandelt!“
Sie ließ ihn stehen und ging in die Küche. Er lächelte höhnisch vor sich hin, verließ die Stube, bog um das langgestreckte Gebäude und trat zu der Quelle, von deren klarem hellen Wasser die Besitzung ihren Namen erhalten hatte. John Hoblyn befand sich hier, um die dürstenden Pferde zu tränken.
„Nun, Sir, saht Ihr das Mädchen?“
„Ja.“
„Und gefällt es Euch?“
„Ich muß sie haben; ich nehme sie mit!“
„Wann?“
„Jetzt gleich!“
„Jetzt — gleich jetzt?“
„Ja, weil es grad jetzt am leichtesten geht. Sie ist Pandas Tochter.“
„Pan- Pandas Tochter? Ist’s möglich, Sir? Was würde Dingaan sagen, wenn er es erführe!“
„Er soll es erfahren; wir haben große Vorteile davon. Du sagtest, daß er jetzt die Quathlambapässe besetzt hält, um sich auf die Boers zu werfen?“
„Es ist so, ich weiß es genau.“
„Es ist nur eine halbe Tagereise bis dahin. Würden die Pferde den Ritt aushalten?“
„Sicher; sie sind noch ziemlich frisch, Sir!“
„Piet van Holmen ist auf der Jagd. Hast du irgend welches Gesinde bemerkt?“
„Nein. Die Leute müssen bei den Herden sein.“
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„Ich denke auch, daß die beiden Frauen allein sind. Wir dürfen die Rückkehr der andern nicht abwarten. Die Hunde sind angehängt; wir brauchen sie nicht zu fürchten. Pferde stehen im Stalle: wir nehmen eins für das Mädchen. Die Frau wird gefesselt. Vorwärts; laß uns keine Zeit verlieren!“
Die zwei Männer verschwanden im Hause. Kaum waren einige Augenblicke vergangen, so ertönte ein Schrei — noch einer — — Hoblin erschien wieder, trat in den Stall und zog eines der Pferde heraus. Auch Raffley kam. Er trug eine in eine Decke geschnürte Gestalt in den Armen. Sie wurde auf das Thier befestigt; dann trabten die Räuber eiligst von dannen. — —
2. Die Vergeltung.
Das Quellwasser von Klaarfontain berieselte eine weite, von Oxalis- und Pelargoniumarten reich bestandene Senkung und vereinigte sich dann mit einem Bache, welcher weither von oben kam, wo einer der im Caplande so seltenen Wälder seine riesigen Stink- und Gelbholzstämme zum Himmel streckte.
Auf einer Lichtung dieses Waldes standen drei Männer. Der eine von ihnen war ein Kaffer. Er mußte schon engere Bekanntschaft mit der Civilisation gemacht haben, denn er trug nicht die Waffen seiner Stammverwandten, sondern das Roer — die gefährliche, sicher treffende Büchse der holländischen Kolonisten — und das scharfe, spitze und leicht gekrümmte Messer, welches für Stich und Hieb gleich gut geeignet ist. Auch seine Kleidung war eine halbeuropäische, jedoch dem unstäten Leben angemessen, zu welchem der verdrängte Sohn des Landes verurteilt ist. Die beiden andern waren Boers, das sah man ihnen auf den ersten Blick an.“
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Der ältere von ihnen war nicht hoch, aber ungewöhnlich breit und kräftig gebaut; er hatte gewiß schon allen Unbilden eines harten und gefahrvollen Lebens Trotz geboten und sah ganz so aus, als könne ihn keine Schwierigkeit von einem einmal gefaßten Vorhaben abschrecken.
Der jüngere konnte nur wenig über zwanzig Jahre zählen, aber seine Glieder waren von wahrhaft herkulischen Verhältnissen, und das ihm über den Rücken hängende Pantherfell erhöhte den kriegerischen Eindruck, welchen seine stattliche Erscheinung machen mußte.
Die drei Männer waren Panda, der Zulufürst, Pieter Uys, der Boerenanführer, und Piet van Holmen von Klaarfontain, der jetzt für jeden Fremden als auf der Jagd befindlich galt, während seine Abwesenheit doch nur der Besprechung galt, welche so eben ihr Ende erreicht zu haben schien.
„Also Panda ist mein Freund,“ meinte Uys; „er wird sein Wort nicht brechen?“
„Panda wird halten, was er sagt,“ antwortete der Kaffer. „Dingaan hat ihn verstoßen von seinem Kraal, darum hat er sich an die Spitze der tapfern Männer von Fingo gestellt und wird noch heut mit ihnen aufbrechen nach den Schluchten von Quathlamba, wie er versprochen hat!“
„Und welche Stämme ziehen mit?“
„Die Amafengu, die Amabaca und Amawazi. Auch werden die Schembi, Latonga und Amahuta aus dem Lande Sofala kommen, welche nur auf seinen Boten warten, um Dingaan, den Verräter niederzuwerfen.“
„So sind wir einig. Ich reite direkt von hier nach Pieter-Moritzburg ins Lager, um meine Anordnungen zu treffen. Morgen früh greife ich Dingaan an, und während er hervorbricht, besetzt mein Freund Panda hinter ihm die Pässe, so daß wir ihn erdrücken. Gelingt uns der Sieg, so wird Panda der
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König der Zulu, und alle Fingo werden ihm Tribut bezahlen. Piet van Holmen, du kehrst jetzt nach Klaarfontain zurück und verabschiedest dich von den Deinen. Auf dem Wege nach Pieter-Moritzburg ziehst du alle Boers an dich, die noch ohne Anführer sind, und bringst sie mir in das Lager. Leb’ wohl!“
Er reichte den beiden andern die Hände und verschwand sodann im Dickicht des Waldes. Panda legte seine Hand auf die Schulter des jungen Boers.
„Wenn Panda der König der Zulu ist, dann wird er dem Manne von Klaarfontain seine Tochter geben und eine große Zahl von Diamanten, welche in der Erde des Kurukaberges wachsen. Er wird ihm ein Bawo sein, ein guter Vater, und auch morgen beim Kampfe seine Hand über ihn halten, damit ihn der giftige Spieß der Lagoamänner nicht treffe.“
„Will mein Vater nicht mit mir gehen, um die Stimme seiner Tochter zu vernehmen?“
„Nein. Die Stunde ist kurz und die Arbeit lang, die unsrer wartet. Geh’ in Frieden!“
Sie trennten sich. Der Kaffer trat in das wirre Gezweig des Waldes und Piet eilte der Heimat zu.
Es war ein weiter Weg, den er zu machen hatte, und es war daher bereits Abend geworden, als er die Ansiedelung erreichte. Er fand die Bewohner derselben in sprachloser Verwirrung, und die Nachricht von der Entführung der Geliebten traf ihn beinahe wie ein vernichtender Donnerschlag. Doch war er nicht der Mann, sich durch eine solche Kunde widerstandslos niederschmettern zu lassen, vielmehr erhielt seine jugendliche Thatkraft durch dieselbe nur eine erhöhte Spannung.
Piet van Holmen rief die Knechte herbei, übergab dem einen von ihnen den Auftrag Pieter Uys an die in der Richtung nach Pieter-Moritzburg liegenden Boers, ließ sich von den andern
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schleunigst sein schnellstes Pferd satteln, befahl ihnen die Obhut über die Heimat und verabschiedete sich dann von der Mutter.
„Piet, nimm meinen Segen mit; er möge dich schützen und führen!“ meinte sie. Sie klagte und weinte nicht; sie frug auch nicht, wohin er wolle. Ein ächtes Boerenweib weiß, daß eine einzige That mehr wert ist, als tausend leere Worte.
„Mutter, ich bringe sie dir zurück!“ antwortete er, die Schweißhunde losbindend, die sich sofort auf die Spur der beiden Engländer warfen, und im raschesten Schritte folgte er ihnen.
Der aufgegangene Mond erleichterte ihm den Weg; die Hunde waren gut dressiert und gingen ihm nicht außer Sicht- und Hörweite, und schon nach kurzer Zeit war er überzeugt, daß die Räuber ihren Weg nach dem Quathlambapässen zu Dingaan genommen hatten.
Sollte er den Weg fortsetzen? Die Verfolgten waren jedenfalls in Sicherheit, ehe er sie zu erreichen vermochte, und auf welche Weise vermochte er dann noch, Hannje zu retten? Die Vorsicht gebot ihm, den morgenden Kampfestag abzuwarten, die Liebe aber trieb ihn unaufhaltsam vorwärts. Er folgte ihr und beschloß, das Pferd an irgend einem geeigneten Orte unter der Obhut der Hunde zurückzulassen und dann zu Fuße zu recognoscieren.
Der Weg führte jetzt immer mehr bergan, durch tiefe Schluchten, an steilen Abhängen vorüber. Er mußte bald am Ziele sein und sah sich nun zur doppelten Vorsicht genötigt.
Eben ritt er einen schmalen Felsensteig dahin, der scharf nach einem Abgrund niederfiel, während zur andern Seite eine senkrechte Steinwand aufstieg, da gab der vorderste der Hunde einen scharfen Laut, und zu gleicher Zeit ertönte mit gebieterischem Tone das unter den Kaffern gebräuchliche:
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„Ilitzwi — halt, die Losung!“
Er parierte das Pferd, nahm das Rohr in die Höhe und gebot:
„Tiger, Simson, faß!“
Er glaubte, einen vereinzelten Posten vor sich zu haben, wie sie von den Eingeborenen auch in größerer Entfernung von ihrem Kriegslager aufgestellt werden, hatte sich aber geirrt.
Die Hunde warfen sich mit schnaubendem Laute nach vorn; ein durchdringender Schrei ertönte — noch einer — ein dritter und vierter — es waren vier Feinde gepackt und zerrissen; dann erklang ein zweifaches, heulendes Winseln — die muthigen Thiere unterlagen der Übermacht. Jetzt fuhr der Lauf einer Büchse um die Felsenkante herum, und ein zorniges: „Ilitzwi — teta — die Losung, sprich!“ erscholl.
Piet vermochte weder die Losung zu sagen noch den hinter dem Felsen Verborgenen auf das Korn zu nehmen. Der feindliche Schuß krachte; das Pferd des jungen Mannes war getroffen, ging schnaubend in die Höhe — er glitt blitzesschnell aus dem Sattel, dann stürzte es kopfüber hinunter in die Tiefe.
Da er die Zahl der Feinde, welche er vor sich hatte, nicht kannte, so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich so schnell wie möglich zurückzuziehen. So eilig er vermochte, sprang er nach dem Eingange des Passes zurück, doch kaum hatte er ihn erreicht, so starrten ihm die Waffen einer Anzahl Kaffern entgegen, welche seinem Passieren vorhin nichts in den Weg gelegt hatten, jetzt aber sich ihm entgegen stellten. Er gab die zwei Schüsse ab, welche er hatte, und stürzte dann mit hochgeschwungenem Kolben auf die Feinde ein. Von hinten und von vorn gepackt, war ihm bei der großen Überzahl der Gegner ein Entkommen unmöglich. Er wehrte sich wie ein angeschossener Löwe; es half nichts; ein Keulenschlag streckte ihn besinnungslos auf den Boden nieder. —
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Als er wieder zu sich kam, war es heller Morgen. Sein Auge fiel auf ein Lager von mehreren tausend Eingeborenen, deren Anführer in diesem Augenblicke vor seiner Hütte stand, die man ihm errichtet hatte. Es war Dingaan, der Zuluhäuptling. Er schien mit seinen Unterbefehlshabern in ein lebhaftes Gespräch verwickelt zu sein, an welchem auch die beiden Engländer teilnahmen, auf deren Veranlassung er in der letzten Nacht eine Schar der Seinen ausgeschickt hatte, um den Adjutanten Pieter Uys zu fangen.
Sein Auge fiel auf den Erwachenden, und mit einer schnellen Handbewegung lenkte er die Aufmerksamkeit auch der andern auf diesen hin.
„Du bist Piet van Holmen?“ frug er den jungen Mann, der sich langsam erhoben hatte.
„Ja,“ antwortete dieser kurz. Sein Kopf schmerzte ihn zwar, aber er fühlte sich sonst bei vollen Sinnen und Kräften.
Mit einem schadenfrohen Zuge um den breiten Mund trat Dingaan unter die Thür seiner Hütte und zog Hannje die Tochter seines vertriebenen Bruders hervor. Piets Augen leuchteten; er wußte, daß ein grausamer Tod seiner harrte, wenn es ihm nicht gelang, zu entkommen. Hier standen die zwei Männer, die ihm die Geliebte geraubt hatten; unweit der Hütte hielten mehrere Pferde — er war sich seiner riesigen Körperkraft bewußt — ein kühner, verwegener Entschluß durchzuckte ihn.
Noch ehe Dingaan eine zweite Frage an ihn richten konnte, hatte Piet John Hoblyn das Messer entrissen; es blitzte zweimal nieder — die Räuber waren in das Herz getroffen.
„Hannje, aufs Pferd dort!“ rief er und hatte im nächsten Augenblicke den vor Überraschung starren Häuptling beim Schopfe. Das Mädchen war oft an seiner Seite über die weite Steppe dahingebraust; mit einigen raschen Sprüngen stand sie bei den Tieren und schwang sich auf. Piet folgte ihr, den Kaffer wie
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mit Eisenklammern festhaltend, und dahin fuhr die Jagd, durch das Lager, durch Schluchten und Kloofs, über Abhänge und Bergwände immer thalabwärts, hinter ihnen ein fürchterliches Schreien und Lärmen, über das sie lachen konnten, da die Kaffern stets unberitten sind und die wenigen Pferde der Anführer den jetzigen Vorsprung nicht mehr zu mindern vermochten. Aber die ganze Heeresmacht der Wilden war dessen ungeachtet hinter ihnen her auf den Beinen, um den geraubten Anführer zurückzuholen.
Längst schon lagen die Quathlambapässe hinter dem kühnen Afrikander, so daß er nun die Pferde zu geringerer Eile zügeln konnte, da klang es aus einem Farren- und Aloögesträuch:
„Halt! Bei der heiligen Jeffrouw von Antwerpen, das ist ja Piet van Holmen! Wo kommst du denn da her, myn Jong? Ich habe dich heute früh vergeblich erwartet!“
Es war Pieter Uys selbst, welcher sich noch bei der Vorhut des vorrückenden Boerenheeres befand. Er hatte sich bei dem Geräusch der nahenden Hufschläge mit den Seinen versteckt und trat nun staunend hervor.
„Wo ich herkomme, Baas Uys? Von den Pässen da oben. Und wen bringe ich mit? Da guckt ihn Euch an!“
Er warf den halb totgedrückten Häuptling vom Pferde.
„Dingaan — bei Gott, Dingaan selbst! Um aller Heiligen willen, wie kommst du zu diesem Gefangenen!“
Piet erzählte mit fliegenden Worten das gehabte Abenteuer. Das Staunen der Zuhörer war ebenso groß wie ihre Freude über die Gefangennahme des gefürchteten Kaffernkönigs. Aber es war keine Zeit zu verlieren. Der Gefangene wurde gefesselt und in sichere Obhut gegeben; die Leute machten sich bereit, die nachfolgenden Feinde aus sicherem Verstecke zu empfangen, und Uys begab sich mit Piet und Hannje zum Hauptheere zurück, welches im vollen Anmarsche begriffen war.
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Die berühmte Kaffernschlacht bei Pieter-Moritzburg wurde geschlagen und glänzend gewonnen; die Eingeborenen sahen sich vorn von den Boers und hinten von Panda angegriffen und vollständig aufgerieben. Dingaan mußte der Herrschaft entsagen, und Panda übernahm sie an seiner Stelle. Er hielt das Piet van Holmen gegebene Wort. Der junge Herr von Klaarfontein führte Hannje, die Tochter des berühmten Kaffernkönigs heim und bekam den versprochenen Brautschatz, welcher „in der Erde des Kurukaberges wächst.“
In der Nähe von Gröningen steht mitten unter Taxushecken ein kleines, einstöckiges Häuschen.
Sein Besitzer ist ein Herr van Holmen. Er war noch vor wenigen Jahren sehr arm; da erhielt er aus dem Kaplande einen Brief von einem weit entfernten Anverwandten, der ihn unter vielen Grüßen um seine Verhältnisse befragte.
Auf die sofort ertheilte Antwort erfolgte eine weitere Sendung, die einen hellen, goldenen Klang hatte, durch welchen die Not und Sorge des lieben „Neef“ van Holmen vollständig gehoben wurde. Und dieser erfreulichen Sendung war einer der wertvollen Kapdiamanten beigefügt, welche von den Juwelieren jetzt so sehr gesucht sind.
Wer einmal nach Gröningen und in jenes Landhaus kommt, der kann ihn sehen und noch manches Interessante erfahren, über Piet van Holmen, den verwegenen Afrikander. — — —
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An Bord der Schwalbe.Von Karl May.
1.
Ich stand auf dem Leuchtturm von Point de Galle, versunken im Genusse des herrlichen Panoramas, welches sich unten zu meinen Füßen ausbreitete. Im Hafen lagen eine Menge Fahrzeuge vor Anker; ein- und auslaufende Schiffe belebten die Scene. Kleine Felseninseln, von Kokospalmen und Pandanen bestanden, ragten aus den schimmernden Fluten empor. Haifische zerrten an dem Kadaver eines toten Hundes; vielgliedrige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan. Die Häuser und Hütten der Stadt lagen schalkhaft unter dem Kronen der Palmen versteckt, und wo die reinlichen Straßen sich dem Blicke offen zeigten, da war eine Menge von Lebenserscheinungen, weidende Zebuochsen, schwarze Schildwachen, luftwandelnde Ladys, durchsichtig weiße englische Kinder mit braunen singhalesischen Ammen, tabakrauchende eingeborene Kinder, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, bezopfte Malaylas, Betel kauende Ratschputen, Buddhapriester im langen, schwefelgelben Gewande, Kopf und Bart nackt abgeschoren, englische Midschipmen in roter Jacke und mit schwerem Säbel, malerisch schöne Hindumädchen, Nase, Ohren, Stirn, Arme und Beine mit Gold und Edelsteinen behangen, zu erkennen. Über dem allen
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lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Reflexe vom tiefsten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die ruhelos bewegte Meeresfläche hin. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte, ohne seiner müde zu werden.
Neben mir lehnte Sir John Emery Walpole. Er bemerkte von alledem, was ich sah, nicht das geringste. Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel glühte, das strahlendurchblitzte Kristall der See, der erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte, die bunte, interessante Bewegung auf dem vor uns ausgebreiteten kostbaren Fleckchen Erde, sie gingen ihm verloren, sie waren ihm gleichgültig, sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen.
Und warum? Wunderbare Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon? Ein Eiland mit einigen Menschen, einigen Tieren und einigen Pflanzen darauf und rund herum von Wasser umgeben. Was ist das weiter? Etwas Wunderbares oder gar Sehenswertes gewiß nicht! Was ist Point de Galle gegen London, was ist der Gouverneur zu Colombo gegen die Königin Victoria, was ist Ceylon gegen Altengland, was ist die ganze Welt gegen Walpole-Castle, wo Sir John Emery geboren worden ist?!
Der gute, ehrenwerte Sir John war ein Engländer im Superlativ. Besitzer eines unermeßlichen Vermögens, hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, sondern war einer jener schweigsamen, zugeknöpften Engländer, welche alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entferntesten Länder unsicher machen, die größten Gefahren und Abenteuer mit unendlichem Gleichmute bestehen und müde und übersättigt endlich die Heimat wieder aufsuchen, um als Mitglied irgend eines berühmten Reiseklubs einsilbige Bemerkungen über die gehabten Erlebnisse machen zu
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dürfen. Er hatte den Spleen in einem solchen Grade, daß seine lange, schmächtige, dabei aber außerordentliche kraftvolle Persönlichkeit nur in höchst seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Genießbarkeit zeigte, besaß dabei aber ein sehr gutes Herz, welches stets gern bereit war, die kleinen und großen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen.
Nachdem er aller Herren Länder bereist hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ein naher Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen durchstreift, war auch schon einige Male auf Ceylon gewesen und im Auftrage des Gouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Statthalter zu entledigen. Ich hatte mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Konnexionen mir von großem Nutzen sein konnten und war ihm so lieb und befreundet geworden, daß er trotz seiner scheinbaren Unnahbarkeit eine wahrhaft brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte.
Jetzt also lehnte er, völlig unberührt von den uns umgebenden Naturreizen, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, welcher ihm vorn auf der Nasenspitze saß, mit einer Ausdauer, als wolle er an dem Sehinstrumente irgend eine wichtige weltgeschichtliche Entdeckung machen. Da fiel mir ein Zug von eingeborenen Soldaten auf, welcher sich einem weit in die See hinaustretenden Felsen näherte. An seiner Spitze schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, seiner Kleidung nach ein Singhalese. Jedenfalls lag hier eine Exekution vor und da ich das lebhafte Interesse, welches mein Gefährte für so etwas hegte, kannte, so machte ich den Versuch, ihn aus seiner welterschütternden Betrachtung aufzustören.
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„Wollen Sie nicht einmal dort hinüber schauen, Sir Walpole? Ich glaube, es wird einer ins Wasser geworfen?“
„Well. Lassen sie ruhig ersaufen, Charley!“
Er hatte das Auge nicht von dem Klemmer gewandt und studierte mit unverändertem Eifer an demselben weiter.
„Was muß der arme Teufel nur verbrochen haben? Es sind ihm die beiden Arme zusammengeschnürt.“
„Gefesselt ist er?“ frug Sir John, dessen Teilnahme durch die letztere Bemerkung erregt wurde. „Pfui, das ist feig und elend! Das würde man in Altengland nicht thun.“
„Sie haben sehr recht; der Britte ist in jeder Beziehung nobel! Wenn er einen hängt, so läßt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Die Barbarei aber kennt solche menschliche Rücksichten nicht. Sehen Sie nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!“
Er warf jetzt wirklich einen Blick über das Brillengestell hinüber nach dem Orte, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber diesmal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher an das Auge zu bringen und als das Gesicht durch die Manipulation noch nicht die gewünschte Schärfe erhielt, öffnete er das über seiner Brust hängende Etui, zog das darin befindliche Fernrohr hervor und richtete es auf den Delinquenten. Es mußte ihm irgend etwas an demselben aufgefallen sein.
„Wollen wir wetten, Charley?“ frug er nach einiger Zeit, während welcher seine Mienen eine immer größer werdende Spannung angenommen hatten. Der Engländer liebt das Wetten und Sir John war sogar leidenschaftlich für dasselbe eingenommen. Schon unzählige Male hatte er versucht, mich zu einer Wette zu bringen, leider aber immer vergebens.
„Worüber?“
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„Daß sich dieser Mann nicht ertränken läßt.“
„Ah!“
„Nicht wahr, das klingt unmöglich? Ich setze hundert Souvereigns!“
„Sie wissen, daß ich nicht wette.“
„Ja, das ist wahr! Sie sind ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman haben Sie es doch noch nicht gebracht, sonst würden Sie sich nicht weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Ich werde Ihnen aber doch beweisen, daß ich die Wette gewinnen würde!“
Der Zug war jetzt auf dem Felsenvorsprunge angekommen. Der Engländer steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, welcher weithin zu vernehmen war. Auch der Verurteilte hörte ihn. Mit einer raschen Bewegung hob er den tiefgesenkten Kopf und blickte nach dem Leuchtturm herauf. Walpole riß den weißen Überwurf von der Schulter, schwenkte ihn durch die Luft und stieß einen zweiten Pfiff hervor.
Die Wirkung war eine augenblickliche und überraschende. Der zum Tode des Ertrinkens Verurteilte schnellte sich durch die ihn umstehenden Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich in die Fluten des Meeres hinab.
„Seht Ihr’s, Charley, daß ich gewinnen würde? Es ist Walawi, mein früherer Diener, der beste Taucher und Schwimmer auf dieser langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurteilt hat, nicht zu wissen scheint. Er muß übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Distriktverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich zu machen ist. Sie sind ja selbst ausschließlich Singhalesen. Seht, jetzt taucht er empor; die gebundenen Arme genieren ihn nicht; er schwimmt auf dem Rücken; er kommt grad auf den Leuchtturm zu!“
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Der sonst so wortkarge Mann war mit einemmale außerordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit ungewöhnlicher Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könne er ihm dadurch behilflich sein und machte mir dabei die notwendigen Erklärungen.
„Wie er stößt, wie schnell er vorwärts kommt! Er wird verfolgt. Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe bis zum Leuchtturm gemacht haben, ist er längst hier. Ich kenne ihn. Wir sind mit einander über den Kalina-Ganga, über den Kalu-Ganga und sogar über den reißenden Mehavella-Ganga geschwommen. Er war früher Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist nur mir zu Liebe mit in das Innere der Insel gegangen. Ich erkannte ihn gleich und werde ihn retten. Da, da hat er das Ufer erreicht! Es ist ein Glück, daß kein Haifisch in der Nähe war, sonst hätte er wegen der gefesselten Arme einen schweren Stand gehabt. Kommt, Charley, wir gehen ihm entgegen! Er hat mich erkannt und kommt herbei.“
Es war so. Walawi war ans Land gestiegen und kam zu der Plattform, auf welcher sich die schlanke Säule des eisernen Turmes erhob, eiligen Laufes heraufgesprungen. Wir stiegen schnell die Treppe hinab und stießen unten an der Thür mit ihm zusammen.
„Wischnu segne Sie, Sihdi,“ grüßte er atemlos. „Ich war dem Tode nahe; sie wollten mir die Beine noch fesseln und die Augen verbinden. Sie aber sind ein Radscha, ein Herr, ein Maharadscha, ein großer Herr und werden Walawi, Ihren treuen Diener retten!“
„Ja, das werde ich thun!“ antwortete Walpole, indem er sein Messer hervorzog und die Baststricke, mit denen der Singhalese gebunden war, durchschnitt. „Was hast du verbrochen?“
„O nichts, nichts, Herr, fast gar nichts. Mein Kris war sehr scharf und spitz und ist einem ins Herz gefahren, weil er
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mir mein Weib, die Blume und das Glück meines Lebens, rauben wollte.“
„Alle Teufel, Mensch, das ist schon etwas mehr als nichts! Hast du ihn getötet?“
„Ja.“
„Was war er?“
„Er hieß Hong-Tsche und war ein Chinese.“
„Blos ein Chinese? Das ist gut! Wollte er deine Frau für sich?“
„Nein, sondern für seinen Kapitän, der sie am Strande gesehen hat. Er lag mit seiner Dschonke im Hafen; ich sehe sie nicht mehr; sie muß abgesegelt sein!“
„Ich weiß genug! Du kennst das Hôtel Madras?“
„Wie sollte ich nicht? Sie haben ja zweimal daselbst gewohnt!“
„Ich wohne wieder da. Verbirg dich jetzt; dort kommen schon deine Verfolger. In einer Stunde aber suchst du mich auf!“
„O Herr, wie soll ich Ihnen danken? Ich habe mein Leben wieder und darf mein Weib umarmen. Wischnu, der Gütige, möge es Ihnen lohnen!“
Er faßte die Hände des Engländers und drückte sie an seine Stirn. Dann sprang er mit der Geschmeidigkeit einer Katze davon.
Es war die höchste Zeit für ihn, denn die Soldaten befanden sich schon in der Nähe und eine Menge Volkes, welches auf die Flucht aufmerksam geworden war, kam herbeigelaufen. Ich war einigermaßen besorgt über den Verlauf, den die Sache nehmen werde. Walpole aber trat den Verfolgern, deren Anführer uns jetzt erreicht hatte, mit seinem gewöhnlichen Gleichmute entgegen.
„Was wollt ihr hier?“
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Der Mann stutzte bei dem barschen, befehlshaberischen Tone dieser Frage.
„Wir suchen den Mann, der uns entlaufen ist. Der große Mudellier hat ihn zum Tode verurteilt, Sie aber sind ihm zur Flucht behilflich gewesen. Ich muß Sie verhaften!“
Sir John Emery lachte, daß ihm die Thränen in die Wimper traten.
„Verhaften? Mich, einen Gentleman aus Altengland verhaften? Hier auf Ceylon? Mensch, du bist verrückt! Der Mann, den ihr sucht, war mein Diener; er gehört mir, und niemand darf ihm ohne meinen Willen ein Haar krümmen!“
„Warum blieb der Mann jetzt nicht bei Ihnen, wenn er Ihr Diener ist?“ frug der Anführer der Soldaten den Engländer.
„Ich schickte ihn fort, weil es mir so gefiel. Du aber eilst sofort zum Mudellier und sagst ihm, daß ich zu ihm kommen werde, um mit ihm zu sprechen!“
„Sie werden mit ihm reden, denn ich muß Sie verhaften und zu ihm führen. Den aber, welche Sie Ihren Diener nennen, werde ich verfolgen lassen und sicher wieder fangen!“
„Versuch’s, ob du es fertig bringst!“ antwortete Walpole belustigt, indem er einen Revolver hervorzog.
Ich folgte natürlich seinem Beispiele. Der Ceylonese kam in eine schauderhafte Verlegenheit. Die Pflicht stritt in ihm mit der Furcht, welche ihm unsre Waffen einflößten. Die letztere schien zu siegen.
„Können Sie mir beweisen, daß Sie wirklich aus Anglistan sind,“ frug er besorgt, „und werden Sie auch in Wahrheit zum Mudellier gehen?“
Walpole liebkoste lächelnd seinen Kotelettenbart. Der Zwicker war ihm wieder auf die Nasenspitze vorgerutscht und der Blick, welcher über denselben hinwegblitzte, leuchtete vor Vergnügen.
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„Ich bin ein Maharadscha aus Anglistan und dieser Sihdi hier ist ein noch viel größerer Maharadscha aus Germanistan. Ich werde dir es beweisen!“
Er griff in die Tasche und zog die Speisekarte hervor, welche er im Hôtel Madras zu sich gesteckt hatte.
„Hier, lies!“
Der gute Mann ergriff das Blatt, führte es respektvoll an die Stirn, betrachtete es dann mit wichtiger Kennermiene und bewegte dabei die Lippen, als ob er lese. Dann schlug er es sorgfältig wieder zusammen, drückte es an die Brust und gab es zurück.
„Sie haben die Wahrheit gesagt, denn hier steht es geschrieben. Sie werden zu dem Mudellier gehen, und ich darf Sie also freilassen!“
Er wandte sich grüßend ab und schritt mit seinen Kriegshelden der Stadt zu.
2.
Noch war keine volle Stunde verflossen, so saßen wir in einem unsrer Zimmer des Hôtels und warteten auf Walawi. Unser Besuch beim Mudellier war ein kurzer gewesen. Der hohe, mit Zopf und Kamm geschmückte Beamte hatte uns mit finstrer Miene empfangen, war aber, als Walpole ihm seine Papiere vorlegte und ihn gar über seine Verwandtschaft mit dem Generalgouverneur der indischen Kolonien unterrichtete, fast kriechend freundlich geworden und hatte den eigentlichen Zweck unserer Anwesenheit bei ihm erst im Augenblicke des Abschiedes in Erwähnung gebracht. Walawi brauchte nichts mehr zu befürchten; Lord Walpole, der große Maharadscha aus Anglistan, hatte die Freiheit seines ehemaligen Dieners zum Geschenk erhalten.
Endlich erschien dieser. Er wußte noch nichts von dem glücklichen Ausgange, welchen seine kühne Flucht genommen hatte und war daher nur auf Schleichwegen und unter Anwendung
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der größten Vorsicht herbeigekommen. Die Botschaft, daß er vollständig frei sei, brachte nicht die freudige Wirkung bei ihm hervor, welche ich erwartet hatte. Wir sollten den Grund sogleich erfahren.
„Sihdi, Sie sind ein großer Herr, und ich wußte, daß Sie mich retten würden; aber was soll ich mit dem Leben thun, wenn mir die Blume desselben geraubt worden ist!“
„Geraubt?“ frug Sir John Emery erstaunt. „Ich denke, der Raub ist mißlungen, weil du den Räuber niederstießest!”
„Mein Kris traf ihn zu Tode, ja; aber während ich gefangen war, kam ein zweiter und nahm sie des Nachts mit sich fort. Ich war bei meiner Hütte und habe alles erfahren. Die Dschonke ist heut abgesegelt und Kaloma, die Schönste unter den Frauen der Vayisas, ist in der Gewalt eines chinesischen Rattenfressers und wird sterben. Dein Diener aber, Sihdi, stürzt sich ins Meer, da, wo es von Haien wimmelt und läßt sich von ihnen verschlingen!“
Walpole saß einige Zeit schweigend und sinnend da. Endlich frug er:
„Hast du sie wirklich so lieb, Walawi?“
„So lieb wie der Baum das Licht und wie das Gras den Tau. Ich kann ohne sie nicht leben!“
„Wollen wir wetten, Charley?“
„Worüber?“
„Daß Walawi seine Kaloma wieder bekommt. Ich setze tausend Guineen!“
„Sie wissen, Sir, daß ich nicht wette.“
„Ja, das ist wahr! Sie sind ein ganz prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman werden Sie es doch niemals bringen, wenn Sie sich fort und fort weigern, auf eine gute Wette einzugehen. Ich werde Ihnen aber doch beweisen, daß ich Ihnen die tausend Guineen abgewinnen würde!“
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Er erhob sich und klingelte.
„Zwei Palankins nach dem Hafen!“ befahl er, als der dienstbare Geist erschien. Dann wandte er sich wieder zu dem Singhalesen.
„Kennst du die Dschonke?“
„Ja. Es ist der ‚Jao-dse’; ich werde ihn gleich an dem geflickten Segelwerk erkennen.“
„Der Jao-dse; gut! Wohin geht er?“
„Ich habe mich vorhin nach dem Hafen gewagt und gefragt. Er geht quer über das indische Meer nach Kanton.“
„Ah! Weißt du das gewiß?“ frug er überrascht.
„Ganz gewiß!“
„Dann muß der Schiffer einen ganz besonderen Grund zur Eile haben. Der Passat ist ihm entgegen und die Fahrt mit großen Gefahren verbunden, wenn sie statt in einer späteren Jahreszeit schon jetzt unternommen wird. Die Dschonke kann noch nicht weit sein; wir dampfen ihr nach!“
Dieser Entschluß wurde von dem Diener mit echt südländischem Jubel aufgenommen. Ich gönnte ihm gern die Freude, welche durch die neue Hoffnung in ihm erweckt wurde und mußte zugleich über die Selbstverständlichkeit lächeln, welche Walpole in Beziehung auf meine Begleitung voraussetzte.
Der reiche Sohn Albions besaß eine jener wundervollen Dampfyachten, welche, auf den schottischen Docks am Clyde gebaut, durch ihre ungemeine Schnelligkeit berühmt sind und meist von wohlhabenden Privatleuten gekauft werden, um von ihnen zu schnellen Seereisen benutzt zu werden. Das reizende Schiff trug den Namen „Swallow“, Schwalbe, und mit Recht, denn leicht und schnell wie dieser zeirliche Vogel flog es durch die Wellen. Er war auf ihr um das Kap herum nach Indien gekommen und hatte sie auch jetzt benutzt, um Ceylon schneller als mit einer andern Gelegenheit zu umkreisen. Die Rechnung
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wurde berichtigt und dann bestiegen wir die Palankins, um nach dem Hafen getragen zu werden.
Unsere Ankunft brachte auf der Yacht die feiernden Hände in rührige Bewegung. Die Abreise von Point de Galle war für den morgenden Tag festgesetzt gewesen, und so hatte man keinerlei Vorbereitung getroffen. Doch dauerte es nicht lange, so zischte das Wasser in dem rasch erhitzten Kessel, die Ankerwinde knarrte, die Schraube bohrte sich in die widerstrebende Flut, und das schmucke Fahrzeug strebte zwischen den im Hafen liegenden Fahrzeugen hindurch in graziösen Windungen dem Ausgange zu. Wir stachen in See.
Es war vollständig Nacht geworden, aber es lag eine Helle auf dem Wasser, wie sie die Sterne des Nordens nicht zu spenden vermöchten. Ich stand neben Walpole auf dem erhöhten Quarterdecke. Er war längst schon wieder der schweigsame Mann geworden, rief nur hier und da eines seiner kurzen, scharfen Kommandoworte über das Deck hinweg und trat, als alles sich in gehöriger Fahrt befand, zu dem Manne am Steuer.
„Du hältst den jetzigen Kurs, scharf Ost bei Süd. Sobald wir Kap Thunder-Head doublieren, lässest du mich wecken!“
„Verry well, Sir! Darf ich vielleicht fragen, nach welchem Platze wir bestimmt sind?“
„Weiß es selbst noch nicht. Es gilt eine Jagd.“
„Eine Jagd?“ frug der alte Schiffer erfreut. „Auf wen, Sir, wenn ich fragen darf?“
„Auf die Dschonke Jao-dse, bestimmt nach Kanton.“
„Ah — — !“ dehnte der Frager. „Auf diesen dicken Wassermolch? Hab mir ihn angesehen und nicht viel Wohlgefallen an ihm gefunden. Muß eine eigene Fracht haben, eine sehr eigene! Sie luden des Nachts und waren ganz außerordentlich still und vorsichtig dabei. Zimmt, Kaffee oder Zucker wird es wohl nicht gewesen sein!“
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„Werden es schon noch erfahren! Wir werfen wenigstens viermal mehr Knoten hinter uns als der Chinese und sind am Morgen jedenfalls auf gleicher Länge mit ihm. Dann steuern wir erst Nord bei Ost, dann Nord an Nord, und ich denke, daß wir ihm auf diese Weise ganz sicher schräg auf die Segel dampfen.“
„All right, ganz meine Meinung, Sir! Ist die Jagd scharf?“
„Möglich, daß sie es wird. Laß Kartätschen und Kugelpatronen klar machen! Gute Nacht!“
„Wird besorgt. Good night, Messieurs!“
Wir suchten die Kajütten auf und legten uns zur Ruhe. Es gab ja für den Augenblick nichts vorzunehmen, und um der bloßen Unterhaltung willen den Schlaf zu opfern, dazu war der gute Sir John Emery niemals bereit zu finden.
Als wir geweckt wurden, war es schon längst heller Morgen. Kap Thunder-Head mit seinen berühmten Tempelruinen lag bereits weit hinter uns, so daß ringsum nur Himmel und Wasser zu sehen war. Zahlreiche Segel belebten den Gesichtskreis; sie gehörten Fahrzeugen an, welche entweder von Trinkomalo und Batticaloa oder aus Indien, China und Japan kamen, um vor dem günstigen Passat nach West zu steuern. Wir kümmerten uns nicht um sie; der Jao-dse war jedenfalls nicht unter ihnen. Die brave Yacht schnitt, leicht zur Seite geneigt, mit halbem Gegenwinde immer Nord bei Ost durch die Fluten, und warf sich erst um die Mittagszeit auf Nord bei Nord herum. Walpole, welcher selbst als Kapitän fungierte, ließ jetzt alle Segel beisetzen, und es war zum Erstaunen, mit welcher Schnelligkeit wir nun trotz des widrigen Passates genau der geographischen Länge folgten.
Jetzt war die Zeit gekommen, einen Mann in die Mastkorb
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zu schicken, um auf die Fahrzeuge, deren Kurs wir durchschnitten, scharfen Ausguck zu halten.
Walawi bat, den Posten übernehmen zu dürfen, und Walpole gab ihm die Erlaubnis dazu. Er konnte versichert sein, daß der Singhalese seine Sinne auf das äußerste anstrengen werde, um die Dschonke zu entdecken.
Diese war jedenfalls wenigstens unter den Segelschiffen das einzige, welches nach Osten ging; es war gar nicht möglich, daß sie uns entschlüpfen konnte, und doch verging der Nachmittag und wir hatten die Breite von Kap Palmyra hinter uns, ohne den Chinesen in Sicht zu bekommen. Ich suchte Walpole auf, welcher ungeduldig längst der Reiling hin und her spazierte.
„Ich denke, der Jao-dse hat dem Hafenmeister falsches Ankerziel gesagt und treibt an einem Küstenpunkte irgend ein verschleiertes Geschäft. Habt Ihr nicht Lust, zu wenden, Sir John Emery?“
Er warf die ausgerauchte Cigarette über Bord und schielte mir über den vorgerutschten Klemmer ironisch in das Gesicht.
„Was Sie für ein gewaltiger Admiral sind, mein lieber Charley! Sie sind ein ganz prächtiger Kerl, aber bis zum vollkommenen Gentleman haben Sie es doch noch nicht gebracht, und vom Seemann stehen Sie auch noch weit entfernt. Ob der Chinese an einem Punkte der Küste angelegt hat oder nicht, das bleibt sich für uns ganz gleich. Wir können ihn nur auf offener See abfangen. Da wir nicht wissen, wo er ankert, so müßten wir jede Bucht und Bai der Küste mühevoll absuchen, und dabei ginge er uns auf und davon, ohne daß wir ihm good bye sagen könnten. Ich werde allerdings wenden, aber nur um zwischen Süd und Nord zu kreuzen.“
„So halten Sie wenigstens etwas näher an das Land und geben Sie mehr auf das Lee acht, denn ich glaube nicht, daß ein Frauenräuber, der dieses Geschäft vielleicht im großen
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betreibt, sich in die belebten Wasser von Batticaloa wagt. Er ist jedenfalls nur zwischen ihnen und der Breite von Dowandara zu finden.“
„Charley, Sie sind doch nicht ganz so unrecht, wie ich dachte, denn Ihre Ansicht scheint mir viel für sich zu haben. Ich werde Ihnen folgen und der Yacht einige Knoten mehr geben!“
Er nahm das Sprachrohr zur Hand, befahl die Leute an die Brassen, und bald beschrieb das Schiff einen Bogen von Nord über West und legte dann auf Südwest ein. Jetzt legte sich der Passat straff in das Leinen; die Maschine arbeitete mit voller Kraft, und wir flogen vor dem Winde wieder auf Kap Thunder-Head zurück, welches wir am frühen Morgen doubliert hatten.
Noch immer saß Walawi auf dem Maste; er war nicht dazu zu bringen, sich ablösen zu lassen, und blieb um so fester auf seinem Posten, als wir kurz nach Mitternacht südlich von Batticaloa Küstenwasser erreichten. Heut ging keiner von den Männern, welche sich auf der Yacht befanden, zur Ruhe, eine Ausdauer, die auch ihre Belohnung fand, denn es ertönte vom Ausgucke der Ruf:
„Feuer gerade in West!“
„Schnell an die Reffs; zieht alle ein!“ befahl sofort Walpole. „Maschinist, halbe Kraft! Mann am Steuer, dreh um auf Ost bei West!“
Im Nu waren sämtliche Segel eingezogen und die Yacht ging langsam und geräuschlos grad auf die Küste zu. Je näher wir ihr kamen, desto mehr wurde das Feuer auch Denen sichtbar, welche sich auf dem Decke befanden. Der Himmel rötete sich immer stärker, und endlich waren die Flammen, welche von der Erde emporloderten, deutlich zu erkennen.
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„Ein Schiff in Sicht, grad vor dem Bug!“ rief Walawi von oben herab.
„Geht es vorüber oder liegt es fest?“ frug Walpole.
„Es hat beigelegt gehabt, zieht aber jetzt die Leinwand auf.“
„Fahr es an, Mann am Steuer, fahr es an und dreh bei an seinem Luv!“
Als wir dem Fahrzeuge näher kamen, erkannten wir es als eine chinesische Dschonke.
„Konstabel, leg Kartätschen ein!“ kommandierte Walpole. Er hatte also nicht die Absicht, es durch den gewöhnlichen blinden Schuß zum Flaggenziehen zu bewegen. Der Steuermann schloß dies aus dem Kommando und drängte die Yacht so nahe an die Dschonke, daß diese mit der Stimme angesprochen werden konnte.
„Stopp, Maschinist; fertig mit den Waffen!“
Es war ein eigentümliches Gefühl, welches mich in diesem Augenblicke erfaßte. Wir waren im ganzen nur elf Mann auf der Yacht; die Bemannung des Chinesen mußte uns weit überlegen sein. Walawi war zu uns herabgekommen und hatte den blitzenden Kris in der Faust.
„Wollen Sie hinüber, Sihdi,“ frug er. „Es sind nur wenig Leute drüben; die andern stoßen eben vom Lande.“
„Laß erst sehen! Verstehst du Chinesisch?“
„Was ein Schiffer wissen muß.“
„Ruf die Dschonke an!“
Der Singhalese that es. Statt der Antwort flog drüben eine leuchtende Rakete in die Höhe.
„Sie geben das Warnungssignal; es sind Räuber und Mordbrenner. Hoihoo! Leg hart an zum Entern und stoß dann allein weit ab!“
Die Yacht gehorchte dem Befehle und legte Seite an Seite
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mit der Dschonke. Nur der Steuermann und der Maschinist blieben zurück, wir andern neun sprangen hinüber. Der Chinese hatte nicht Anker geworfen, sondern nur beigedreht und nicht mehr Leute an Bord, als zur Überwindung der Abtrifft unbedingt nötig waren. Sie waren nach kurzer Gegenwehr überwältigt und wurden schnell gefesselt. Das Schiff war der Jao-dse, welchen wir suchten.
Die vom Lande abgestoßenen Kähne waren mittlerweile näher gekommen. Ihre Insassen hatten das Signal und ebenso den Dampfer bemerkt, welcher sich trotz seiner Kleinheit nicht vollständig hinter der Dschonke zu verstecken vermochte. Da er aber weit von derselben abgetrieben war, so glaubten sie ihn nur in Verhandlung mit den Ihrigen und ahnten nicht, daß wir an Stelle der letzteren sie in Empfang nehmen würden.
Als sie den Jao-dse erreichten, warfen wir das Fallreep und die Leitern hinab. Sie legten die Boote an die Taue und kamen, ihre Ladung einstweilen im Stiche lassend, rasch auf Deck geklettert, um vor allen Dingen zu wissen, was es mit der Yacht für eine Bewandtnis habe. Sie wurden nach Kräften empfangen. Es entspann sich ein Kampf, der uns zwar einige Wunden kostete, aber doch mit unserm Siege endete. Wir hatten ihn dem glücklichen Umstande zu verdanken, daß die Boote nicht zugleich, sondern eins nach dem andern anlangten und wir also Zeit behielten, die Feinde einzeln zu überwinden.
Sie wurden ebenso wie die vorigen gefesselt und dann samt und sonders nach der Yacht übergeführt. Während dies geschah, stieg ich mit Walpole in die Kähne hinab. Wir fanden sie voll gefangener Frauen und Mädchen, von denen wir erfuhren, daß ihr Dorf von den Chinesen überfallen worden sei. Die erschrockenen Männer waren einfach davongelaufen, die Frauen aber hatte man, so viel sie ihrer habhaft wurden, zusammengebunden
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und mitgenommen, nachdem die primitiven Hütten des Ortes in Brand gesteckt worden waren.
Die Töchter Evas erhoben ein wahrhaft betäubendes Jubelgeschrei, als sie hörten, daß sie ihre Freiheit zurückerhalten würden. Walpole machte ihrem Danke ein schnelles Ende. Nachdem wir ihre Bande zerschnitten hatten, gebot er ihnen, an das Land zurück zu rudern. Sie kamen diesem Befehle schleunigst nach, denn die Kähne, welche auf diese Weise in ihrem Besitze blieben, waren jedenfalls mehr wert, als die sämtlichen Schilf- und Basthütten ihres niedergebrannten Dorfes.
Nun wurde die Ladung des Jao-dse untersucht. Sie bestand aus Zimmet, Reis, Tabak, Ebenholz, Kaffee und — geraubten Frauen. Diese letzteren waren sämtlich in der Gegend von Point de Galle aufgegriffen worden, und unter ihnen befand sich auch Kaloma, die „Schönste unter den Frauen der Vayisas“, wie sie von Walawi, ihrem zärtlichen Gatten, genannt worden war. Das Glück der beiden Leute war unermeßlich und ebenso unbeschreiblich klangen die Ausdrücke, in denen sie dem großen Maharadscha aus Anglistan ihren Dank ausdrückten.
Als es Morgen wurde, war alle notwendige Arbeit vollbracht. Die Dschonke zog einiges Segelwerk auf und wurde von der Yacht ins Schlepptau genommen. Wir doublierten Kap Thunder-Head zum zweitenmale, nur jetzt im entgegengesetzten Kurse und langten gegen Abend wieder in Point de Galle an, wo unser Erscheinen nicht wenig Aufsehen erregte. Es stand ja fast beispiellos da, daß ein keiner Privatdampfer sich an einen wohlbemannten „Girl-robber“, wie sie von China aus die dortigen Gewässer zuweilen unsicher machen, gewagt hätte. Das größte Erstaunen aber erregte diese Nachricht bei dem Mudellier, welchem wir unsre Gefangenen zur Bestrafung und den Jao-dse zum Rechtsspruche überlieferten. Er hatte das
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Schiff für ein unschädliches Handelsfahrzeug und den Schiffer für einen rechtschaffenen Mann gehalten und daher auch — jedenfalls aber infolge eines ansehnlichen Geschenkes — unsern armen Walawi zum Tode des Ertränkens verurteilt, weil dieser einen jedenfalls nur zufälliger Weise an seine Hütte verirrten Matrosen des Chinesen kurzweg erstochen hatte.
Er benahm sich außerordentlich freundlich gegen uns und bat Walpole, der mächtigen Königin in Anglistan von seiner Weisheit und Gerechtigkeit zu erzählen. Dieser versprach es ihm, warf ihm dabei aber über den mächtigen Klemmer einen Blick zu, in welchem etwas ganz anderes als die Anerkennung der gerühmten Weisheit und Gerechtigkeit lag.
Wir kehrten in das Hotel Madras zurück, wo wir dieselben Zimmer wieder bekamen, welche wir vorher bewohnt hatten. Als wir auf dem Divan Platz nahmen, um unser Abenteuer in der Erinnerung noch einmal zu durchleben, meinte der gute Sir John Emery:
„Seht Sie nun, daß ich meine beiden Wetten richtig gewonnen hätte?“
„Ich sehe es, aber eben deshalb wette ich nie.“
„Das ist kein Grund, denn Sie könnten doch einmal glücklich sein und gewinnen. Sie sind ein ganz prächtiger Kerl, Charley, aber wenn Sie sich so vor dem Verlieren fürchten, werden Sie es in Eurem ganzen Leben nicht bis zum vollkommenen Gentleman bringen.“ — — —
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Der Brand des Ölthals.Ein Abenteuer aus den Vereinigten Staaten.Von Karl May.
Zounds, merkt Ihr nicht auch das Parfüm, Bill, welches meine Nase inficiert, als hätte mich ein dreielliger „Stune“ angespritzt? Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich aus diesem Veilchenduft machen soll. Ist er vielleicht Euch bekannt?“
Der, welcher diese Worte sprach, war Sam Hawkens, einer der verwettertsten Trapper zwischen dem Missisippi und dem stillen Oceane. Sein Gefährte, ein junger Mann, Bill Harry mit Namen, wußte, daß er den Geruch, welcher seit einiger Zeit die Luft durchschwängerte, recht gut kannte und ihn mit seiner Frage nur einer kleinen Prüfung unterwerfen wollte.
„Möglich, Sam, daß es mir bekannt ist, habe aber als Green-back keine Lust, so einen alten Woodsmann zu belehren, wie du bist. Mach’ die Nase ein wenig besser auf; sie ist ja groß und derb genug für diese unvergleichliche Atmosphäre!“
„Habt Recht, Sir,“ antwortete er, indem er seinen fabelhaften Riecher mit beiden Händen erfaßte und zärtlich liebkos’te.
„Die Nase, welche dem Sohne meiner Mutter in das Gesicht gewachsen ist, ist wirklich großartig. Aber ich muß Euch offen gestehen, daß ich mich hier in dieser Himmelsgegend noch gar nicht recht auskenne. Der Ölgeruch ist da, aber ich sehe Prairie,
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nichts als Prärie, und diese muß doch ein Ende haben, wenn das Petroleum zu seinem Rechte kommen soll!“
Er richtete seine Gestalt auf dem Rücken der kamelbeinigen Stute, welche er ritt, so hoch wie möglich empor und suchte mit den kleinen klug blickenden Äuglein die vor den beiden Reitern liegende Gegend sorgfältig ab.
„Der Teufel hole Euren Young-Kanawha, oder wie Ihr das Wasser nennt, zu dem Ihr wollt; ich sehe keine Spur davon!“
„Ist von hier aus auch nicht gut möglich, Sam Hawkens! Der Fluß wird wohl einen „Bluff“ durchlaufen und ich wette meinen Arrow gegen deine Mary, wir haletn [halten] vor dem Thale, ehe wir es uns verseh’n.“
„Das wäre sehr zu wünschen, denn ein wenig Wasser würde uns und auch den Pferden wohlthun; aber geht mir mit Eurer Wette! Euer Arrow ist das beste Pferd, welches jemals einen echten und rechten Westmann getragen hat, das muß man sagen, doch meine Mary hat auch ihre fünfundzwanzig Eigenschaften. Die Haare sind ihr zwar abhanden gekommen und an der Gestalt des braven Tieres wäre vielleicht auch noch dieses oder jenes auszusetzen, aber sie hat mich nun fast an die zwanzig Winter ehrlich getragen und es ist außer Eurem Mustang wohl kaum ein Thier zu finden, welches trotz dieses Alters die Beine so zu werfen versteht, wie sie. Ich gäbe sie nicht hin für alle Biberfelle und Indianerhäute, die ich von den Bälgen gezogen habe!“
Er klopfte zärtlich den langen dürren Hals seiner Rosinante und sank dann in jene unbeschreibliche Haltung zurück, welche er auf ihrem scharfen Rücken einzunehmen pflegte. Bill kannte das alte, zuweilen recht obstinate, sonst aber wirklich ausgezeichnete Tier und mußte darum seine Anhänglichkeit für dasselbe billigen. Wer da weiß, welchen Wert ein gutes Pferd für einen Prairiejäger -
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Prairiejäger hat, der wundert sich nicht über die ungewöhnliche Zuneigung, welche beide für einander zu besitzen pflegen.
In kurzem Trabe ging es weiter und bald zeigte es sich, daß Bills Vermutung die richtige gewesen war. Sie hielten vor einer jener Schluchten, welche das sonst vollständig ebene Terrain rinnenförmig durchschneiden, meist irgend einem Flüßchen als Bett dienen und „Bluffs“ genannt werden. Das vor ihnen liegende, scharf und steil in die Tiefe fallende Thal bildete eine schmale Pfanne, welche der tiefe, schwarzwellige Young-Kanawha durchströmte, um sich unten zwischen nahe zusammentretenden Felsenmassen rauschend und schäumend einen gefährlichen Ausweg zu suchen. Die ganze Sohle der Senkung war mit Anlagen, wie sie die Petroleumerzeugung erfordert, bedeckt; oben, ganz nahe am Wasser, war ein Erdbohrer in voller Thätigkeit; am mittleren Laufe stand etwas vor den eigentlichen Fabrikräumlichkeiten ein ganz stattliches Wohngebäude, und wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden, Reifen und fertige Fässer, teils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoffe gefüllt, zu sehen.
„Heigh-day, Sir,“ meinte Sam, „da ist ja alles, was wir uns nur wünschen können! Ist das nicht ein Store, das dort am Flusse steht?“
„Jedenfalls ist es so ein Ding: Laden, Restauration, Destillation, Herberge und alles sonst noch Mögliche gleich beisammen. Steig’ ab, Sam; wollen wir nicht den Hals riskieren, so müssen wir diesen steilen Weg zu Fuß zurücklegen!“
„Meine es auch, Sir! Der Hals ist zuweilen das Beste, wofür der Sohn meiner Mutter zu sorgen hat.“
Er folgte Bills Beispiele und stieg vom Pferde. Erst jetzt war die Gestalt des Mannes, dem ein Unbekannter wohl kaum den kühnen Riflemen angesehen hätte, in der rechten Weise zu erkennen. Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines
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Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht hätte, blickte zwischen einem dichten Walde von verworrenen schwarzgrauen Barthaaren die riesige Nase hervor, welche jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. In Folge des gewaltigen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen Gesichtsteilen nur die zwei Äuglein zu bemerken, welche eine außerordentliche Beweglichkeit zeigten und unter dem Ausdrucke schalkhafter List unruhig hin und wider blitzten. Der kleine Körper stak in einem alten ledernen Jagdrocke, welcher augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt war und dem ehrlichen Hawkens ganz das Aussehen eines Kindes gab, das sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor; die ausgefranzten Leggins, mit denen sie bekleidet waren, hatte das Männchen sicher schon vor zwanzig Jahren ausgewachsen und gestatteten einen Blick auf ein Paar Indianerstiefel, in welchen zur Not der ganze Besitzer während eines Regengusses hätte Platz und Schutz finden können.
Wie er, seine Mary am Zügel führend, langsam und vorsichtig so den schmalen Schluchtpfad hinabstieg, glich er mehr einer Karrikatur als dem, was er wirklich war; Bill aber wußte, daß es wohl selten einen Trapper gab, vor dem der kleine Sam die Augen niedergeschlagen hätte. Unten im Thale angekommen, bestieg er das Pferd wieder und deutete nach dem Store.
„Vorwärts, Sir! Ich habe einen Hunger, daß ich gleich einen Büffel verschlingen möchte, und der Durst ist nicht minder groß. Wem gehört denn eigentlich dieses Oil-work hier?“
„Dem reichen Josias Alberts, wenn ich nicht irre. Er kam vom Oil-creek im Venango-County hierher und wird zu den
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ersten Ölprinzen der Union gezählt. Vielleicht bekommen wir ihn zu sehen!“
„Sehn’ mich nicht nach ihm! Ein saftiges Stück Buffalolende ist meiner Mutter Sohn jetzt lieber als zehn solcher Geldsäcke, die in ihrer Ölbrühe immer mager bleiben.“
Nach wenigen Augenblicken hielten sie vor dem kleinen Hause, an dessen Läden mit Kreide die Worte „Store and boarding — house“ geschrieben waren. Noch waren sie nicht abgestiegen, da traten schon einige Männer aus der Thür, deren einer sich sofort als Wirt und Irländer kennzeichnete. Seine verschwommenen Gesichtszüge ließen vermuten, daß er gewohnt sei, den Inhalt seiner Flaschen einer fleißigen Probe zu unterwerfen.
„Good day,“ grüßte Hawkens. “Seid Ihr der Landlord hier in diesem Palais, Mann?”
„Denke es!“ nickte der Gefragte.
„Habt Ihr vielleicht ein weniges, was ein Hungriger zwischen die Zähne nehmen kann, und einen Schluck, um es glücklich hinabzuspülen?“
„Denke es!“ lautete die Wiederholung.
„So setzt Eure Beine auseinander, sonst falle ich verschmachtend über den Haufen!“
„Hm, der Haufen scheint nicht übermäßig groß zu sein!“ antwortete der Wirt, die beiden Fremden mit einem halb geringschätzigen, halb mißtrauischen Blick musternd. „Habt Ihr denn auch eine Zahlung bei der Hand?“
„Das ist nicht deine, sondern unsere Sache! Oder hältst du uns etwa für armselige Yambowikos?“ frug Hawkens mit blitzenden Augen, das höfliche „Ihr“ sofort in „du“ verwandelnd.
„Hoho, Männchen, thu’ nicht so wichtig hier,“ nahm ein anderer von den Männern das Wort, welcher in Bills Nähe
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getreten war und mit Kennermiene seinen Arrow betrachtet hatte. „Hier ist nicht Savannenland und wer die Höflichkeit vergißt, dem wird sie einfach einstudiert!“
Hawkens drehte sich herum und maß den Sprecher mit einem seiner unvergleichlichen Blicke.
„Loock-a-day! Da seid wohl auch Ihr wegen dieses Studiums hier?“
„Mensch, nimm deine Zunge in acht, sonst kostet sie dich ein blaues Leder!“
„Thut nichts, Mann! Mein Leder hat schon öfter blau gesehen. Aber sag’ mir doch einmal, wie dein Name lautet, du großer Riese du?“
„Den kann ein jeder hören. Er lautet Josias Alberts und wer ihn kennt, der hat Respekt vor ihm.“
„So, da sind wir ja von ganz gleichem Holze: Ich bin Sam Hawkens und wer mich kennt, der hat Respekt vor mir. Nur meine ich doch, daß es einen kleinen Unterschied giebt: Öl kann ein jeder finden, der mit der Nase hineinfällt. Die meinige wäre lang genug dazu, ich mag sie aber dennoch nicht in deine Sauce stecken. Mach dich von dannen, Master Petroleum, und bekümmere dich nicht um Dinge, die nur zwischen dem Wirte und mir abzumachen sind!“
Die blasse Yankephisiognomie Alberts wurde bei diesen Worten des furchtlosen Kleinen blutrot; der Zorn reckte seine Gestalt in die Höhe und mit geballten Fäusten trat er um einige Schritte auf den Sprecher zu.
„Nehmt mir doch einmal den Zwerg von seinem Ziegenbock herunter!“ gebot er den andern, welche bei ihm standen. „Wir wollen ihm die Nase einmal mit Pittsöl einreiben.“
Die Angeredeten machten sofort Miene, dem Befehle Folge zu leisten, hatten sich aber in meinem Sam verrechnet. Einige Sätze seiner alten Mary, welche vor Freude über den zu erwartenden -
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erwartenden Streit mit den langen Ohren wedelte und den haarlosen Schwanzstummel in die Höhe hob, brachten ihn in eine rückenfreie Stellung, und im Nu hatte er die Büchse aus dem Sattelriemen gezogen. Das rätselhafte Schießinstrument stammte jedenfalls noch aus dem vorigen Jahrhundert, und Bill getraute mir nur mit der größten Vorsicht es anzufassen, aber jeder Schuß, den Sam Hawkens aus dem rostigen, verlaufenen Rohre that, pflegte ein Meisterschuß zu sein. Er legte an.
„Stopp, ihr Leute, sonst bekommt ihr Löcher in die Haut! Hier ist allerdings nicht Savannenland und es mögen drum im Thale Eure Rechte gelten; noch aber bin ich bei Euch nicht abgestiegen und werde also nach den Woodlandsgesetzen handeln: Wer mir auf weniger als zehn Schritte nahe kommt, der schmeckt die Kugel.“
Bills Begleiter war jedenfalls in seinem Rechte und zwei erfahrene Prairiemänner brauchten sich vor einem Häuflein Ölarbeiter nicht eben sehr zu fürchten; aber welchen Nutzen konnte ihnen ein Kampf bringen? Das monatelange Herumschweifen im wilden Westen hatte uns hart mitgenommen und unser Äußeres glich darum ganz denjenigen von Leuten, welche ein Store besuchen, ohne die Zeche bezahlen zu können. Bill drängte deshalb zwischen die Streitenden und versuchte hierauf, die Sache in Güte beizulegen.
„Will ein Gentleman, wie Master Josias Alberts, wirklich zwei müden Jägern, die ihm nichts zu Leide thaten, die Einkehr versagen?“ fragte er. „Bitte, ruft Eure Leute zurück, Sir! Wir sind gekommen, uns Munition zu kaufen und mit einigem Proviante zu versehen und werden alles bis auf den Penny bezahlen!“
„Geht mich nichts an!“ antwortete er mit einem lauernden Blicke. „Der Kleine hat mich beleidigt und muß mir Buße
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thun. Doch will ich ausnahmsweise Nachsicht üben, wenn Ihr mir einen Wunsch erfüllt.“
„Welchen?“ frug Bill neugierig.
„Ich habe Euer Pferd schon von weitem gesehen und Gefallen an ihm gefunden. Verkauft es mir!“
„Dieser Wunsch bleibt Euch leider unerfüllt; das Tier ist mir nicht feil.“
„Ich gebe Euch hundertfünfzig Dollars.“
„Ich verkaufe es nicht.“
„Zwei Hundert!“
„Nicht für so viele tausende! Es ist ein Geschenk und darum, wie gesagt, mir nicht feil.“
„Ich will es aber haben und wenn Ihr es nicht verkauft, so wird es Euch belieben müssen, dasselbe mir zu schenken!“
„Good luck, Sir, klingt das sonderbar!“ rief Bill lachend. „Glaubt Ihr wirklich, einen Westmann zwingen zu können, sein Pferd, ohne welches er verloren ist, zu verschenken?“
„Ich gebe Euch ein anderes dafür!“
„Behaltet, was Ihr habt. Mich gelüstet nicht im geringsten nach Euren Mauleseln!“
Jetzt war sich Bill über Alberts Verhalten vollständig klar. Sein trefflicher Mustang, welcher allerdings seines Gleichen suchte, hatte ihm in die Augen gestochen und er war schon bei ihrem Nahen entschlossen gewesen, ihn auf jeden Fall in seinen Besitz zu bringen. Darum hatte er den Streit mit Sam vom Zaune gebrochen und hegte jetzt jedenfalls die Absicht, das Ansehen, welches er genoß, zu dem angegebenen Zwecke in Verwendung zu bringen. Ein Ölprinz läßt sich — noch dazu im fernen Westen — nicht leicht einen Wunsch versagen. Das sollte Bill jetzt auch sofort sehen.
„Mauleseln! Soll das eine Beleidigung sein?“
„Sind Eure Pferde so gentlemenlik, Sir, daß man sie beleidigen -
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beleidigen kann? Macht Euch von dannen, sage nun auch ich; wir haben mit Euch nichts zu schaffen!“
Und zu dem Wirte gewendet, fuhr Bill fort:
„Wir brauchen Pulver, Blei, Tabak — — — “
„Halt,“ fiel Alberts ihm schnell in die Rede. „Gebt Euch keine Mühe; Ihr bekommt ohne meine Erlaubnis nichts von alledem was Ihr wollt! Am Young-Kanawha bin allein ich der Herr. Steigt ab und geht mit mir. Wenn Ihr mit Euch handeln laßt, sollt Ihr auch mit mir zufrieden sein!“
„Macht Euch nicht lächerlich und geht Eurer Wege! — Landlord, bekommen wir, was wir brauchen? Ja oder nein!“
„Nein!“ antwortete ängstlich der Gefragte, der sich von einem scharfen Blicke Alberts bedroht sah.
„Gut! Du sollst Deinen Willen haben und erfahren, was es heißt, dem Westmanne die Lebensbedürfnisse, die er bezahlen will, zu versagen. Ein Store ist ein offenes Haus; du weisest uns zurück und hast also deinem Rechte entsagt. Es wird verschlossen, bis wir erhalten, was wir wünschen!“
„Oho!“ rief Alberts. „Ich möchte sehen, wie Ihr dies anfangen wollt!“
„Wird gleich zu sehen sein, Sir. Wir legen einfach den Block um das Haus!“
Ein Wink genügte für Sam Hawkens; im nächsten Augenblick war er hinter dem Gebäude verschwunden, um den dortigen Ausgang zu bewachen. Ich nahm den Henrystutzen aus der Schleife und lockerte die beiden sechsläufigen Revolver. Der Irländer erschrak; er mochte gehört haben, was es bedeutet, wenn ein zurückgewiesener Prairiejäger den „Block um das Haus“ legt.
„Das sollte Euch nicht wohl bekommen!“ antwortete der Ölprinz.
„Wartet’s ab, Sir! Jetzt aber hört, was ich Euch zu
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sagen habe: Wer sich dieser Thür nähert oder binnen zwei Minuten sich nicht bis auf hundert Schritte vom Hause entfernt hat, wird einfach weggeputzt. Nun thut, was Euch beliebt!“
Die Waffe in der einen Hand, zog Bill mit der andern die Uhr hervor. Er konnte diese drohende Haltung annehmen, da der Gegner nur wenige waren und keiner von Ihnen mit Messer und Schießgewehr bewaffnet war. Der Erfolg war ganz wie Bill vorausgesehen hatte. Die Leute wußten, daß man ohne zu laden aus einem Henrystutzen fünfundzwanzig Kugeln zu geben vermag; zu diesen kamen zwölf Revolverschüsse; Bill war also wenigstens in diesem Augenblicke ein Mann, mit dem man es nicht aufzunehmen vermochte, und kaum waren die zwei Minuten verstrichen, so befanden er und Sam sich im alleinigen Besitze des Terrains. Sie wußten nicht, ob sich noch irgend wer im Hause befand; war dies der Fall, so konnten es nur Personen sein, die sie nicht zu fürchten brauchten, wie Weib und Kinder des Irländers. Sie mußten auf alle Fälle Zeugen der feindseligen Verhandlung gewesen sein, ließen sich aber jetzt vor Angst weder hören noch sehen. Natürlich hüteten sie sich wohl, das Innere des Hauses zu betreten; sie hätten sich damit einer gesetzwidrigen Handlung schuldig gemacht; vielmehr begnügten sie sich mit der Beobachtung dessen, was von außen her gegen sie vorgenommen wurde.
Das war nun allerdings für jetzt wenig oder gar nichts. Der Sohn des Westens pflegt, wenn er zur Waffe greift, mit seinen Drohungen niemals Scherz zu treiben. Alberts wußte das; selbst für den Fall, daß er eine genügende Mannschaft zusammenbrachte, die beiden Jäger zu überwältigen, mußte er einen verhältnismäßig großen Verlust voraussehen, so lange das Tageslicht ein sicheres Zielen gestattete. Er war mit den Seinen verschwunden und die Jäger vermuteten, daß er ihnen auf den
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Abend einen überschleichenden Besuch machen werde. Bis dahin war es nicht mehr weit; die Sonne war schon hinter dem Rande der Schlucht und die Schatten der Dämmerung breiteten sich allmählich über das tiefe Thal. Hunger und Ermüdung machten sich immer mehr geltend bei den beiden Jägern, doch sie beschlossen, wacker auszuharren, um den ungastlichen Bewohnern von Young-Kanawha die beabsichtigte Lehre zu geben.
Es wurde dunkel und dunkler; hier und da tauchte ein flimmerndes Licht auf; da vernahmen sie in der Gegend, aus welcher sie gekommen waren, sich nähernde Schritte. Einer ihrer Gegner konnte es nicht sein, er hätte sich Mühe gegeben, jedes Geräusch zu vermeiden. Sam war auf einen Augenblick herüber zu Bill gekommen und versuchte, die Büchse im Anschlage, die Dunkelheit zu durchdringen. Seine kleinen Äuglein hatte etwas von den Eigenschaften der Katzenaugen; er vermochte mit ihnen auch des Nachts bis auf eine leidliche Entfernung zu sehen.
„Behold, Sir, es ist kein Mann, sondern ein Frauenzimmer, ob jung oder alt, das kann ich noch nicht erkennen. Sie hat das Kleid emporgeschürzt und will an uns vorüber. Soll ich sie niederschießen? Das Weiberzeug taucht doch zu weiter nichts!“
„Laß sie vorüber, Sam! Wer weiß, wer es ist; jedenfalls aber gehört sie nicht zu denen, die uns übel wollen.“
„Pah, Bill, die Weiber wollen uns alle übel und der Sohn meiner Mutter könnte — — — “
Er wurde unterbrochen, denn in diesem Augenblicke ertönte ein gewaltiger Donnerschlag und es war den Jägern, als sei die Erde unter ihnen mitten auseinander geborsten. Der Boden erzitterte und als Bill das Auge erschrocken seitwärts wandte, sah er im oberen Teile des Thales, da, wo der Bohrer thätig gewesen sein mußte, einen glühenden Feuerstrom wohl fünfzig Fuß in die Höhe steigen, welcher flackernd oben breit auseinanderfloß -
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auseinanderfloß und wieder zur Erde niedersinkend, mit reißender Schnelligkeit das abfallende Terrain überschwemmte. Zugleich drang ein scharfer, stechender, gasartiger Geruch in die Atmungswerkzeuge und die Luft schien von leichtflüssigem, ätherischen Feuer erfüllt zu sein.
Bill kannte dieses furchtbare Phänomen, denn erhatte es im Gebiete Venango in seiner ganzen Schrecklichkeit gesehen: Der Erdbohrer war auf Öl getroffen und da es in der Nähe unvorsichtiger Weise Licht gegeben hatte, so war der aufsteigende Petroleumstrahl und mit ihm die nahe, mit leichten Gasen geschwängerte Atmosphäre in Brand geraten.
„Das Thal brennt!“ rief Sam, zu seinem Pferde eilend. „Vorwärts, Bill, sonst sind wir verloren!“
Er sprach die Wahrheit. Die an den verschiedenen Arbeitsplätzen brennenden Lichter gaben den flüchtigen Ölteilen immer neue Entzündungspunkte. Die Flut des hochaufsprühenden Brennstoffes breitete sich mit unglaublicher Raschheit über das ganze obere Thal aus und hatte jetzt den Fluß erreicht.
Sie dachten nicht mehr an unsern „Block um das Haus“, es galt, alles einzusetzen, für das nackte, bloße Leben. Schon hatte Bill den einen Fuß im Bügel, als er einen klagenden Wehruf vernahm. Da, wo sie sich befunden hatte, als der Donnerschlag ertönte, lag die Frauengestalt, die an ihnen vorübergeschritten war, in den Knieen; der Schreck hatte sie niedergeworfen, und das Entsetzen lähmte ihre Bewegungen.
Mit einem raschen Sprunge war Bill bei ihr, zog sie empor, eilte mit ihr zu Arrow zurück und schwang sich in den Sattel. Soeben schoß Sam Hawkens auf seiner Mary thalabwärts in die glühend erleuchtete Nacht hinein; Bills Mustang folgte in rasendem Laufe; sein Instinkt machte die Führung des Zügels und den Gebrauch der Sporen vollständig überflüßig. Der Bergpfad, welcher sie herabgeführt hatte, war ihnen verschlossen, -
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verschlossen, denn der Glutstrom war schon an ihm vorübergeflutet. Sie mußten die Höhe zu gewinnen suchen und konnten nur abwärts Rettung finden; aber Bill hatte am Tage nichts einem Wege ähnliches bemerkt und im Gegenteile gesehen, daß die Felswände so eng zusammentraten, daß der Fluß sich nur schäumend den Ausweg erzwingen konnte.
Die alte,langbeinige Mary lief zum Verwundern; Bills Hengst konnte sie nur um wenige Kopflängen überholen. Die braven Tiere fühlten die Gefahr, welche sich mit jeder Sekunde vergrößerte. Der glühende Strom hatte die Lagerräume erreicht; die Fässer sprangen mit kanonenschußähnlichem Knalle und ergossen ihren sofort in heller Lohe brennenden Inhalt in das auf diese Weise immer mehr anwachsende und immer rascher vorwärtsschreitende Feuermeer. Die Luft war zum Ersticken heiß; die Reiter hatten das Gefühl, als kochten sie in einem Topfe siedenden Wasser, und doch wuchsen Hitze und Trockenheit mit solcher Schnelle, daß sie endlich innerlich zu brennen meinten. Die Sinne wollten Bill schwinden, aber es galt nicht blos sein Leben, sondern auch dasjenige des Wesens, welches vollständig besinnungslos vor ihm quer über dem Sattel lag.
Die Flammen beleuchteten die Felswände hell genug, um erkennen zu lassen, daß diesseits des Flusses kein Pfad empor zur Höhe führte. Wir mußten hinüber auf die andere Seite. Ein leiser Schenkeldruck — ein Sprung des gehorsamen Tieres und hochauf schlugen die Wellen über ihnen zusammen. Bill fühlte neue Kraft, neues Leben durch die Adern pulsieren, aber das Pferd war unter ihm verschwunden. Doch das war jetzt gleich, nur hinüber, immer hinüber! Er schwamm wie noch nie in seinem ganzen Leben, mit einer Angst, die nicht zu beschreiben war. Hawkens war ihm gefolgt; ich hörte sein Stöhnen hinter sich.
Als Bill das Ufer erreichte, schnaufte es an meiner Seite —
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Arrow, du Treuer, Wackerer, bist du es? — Bill schwang sich mit seiner Bürde von neuem auf. Fast wahnsinnig vor Aufregung und Überanstrengung ging es wieder vorwärts; Bill wußte nicht mehr, was er that, er ließ dem Pferde freien Willen und fühlte nur, daß es in rasendem Laufe vorwärts schoß, dann in weiten Sätzen über Risse und Sprünge setzte, ferner mit keuchenden Schnauben von Kante zu Kante, von Fels zu Fels kletterte und endlich freudig wiehernd stille stand.
Es dauerte lange, ehe Bill sich so weit erholt hatte, daß seine Lage überblicken konnte. Der Himmel glänzte blutig rot, und der Brodem des entfesselten Elements lag in dichten, schwarzen, von purpurnen Lichtern durchbrochenen Ballen über dem Herde der Verwüstung. Wie es dem Pferde gelungen war, war unbegreiflich, aber es hatte seine doppelte Last die steile Steinwand, an der kein Pfad zur Höhe stieg, emporgetragen und auch dem braven Hawkens zum Führer gedient, denn dieser lag in Bills unmittelbaren Nähe, zwar bewegungslos, jedenfalls aber nicht ohne Leben.
Bill richtete seine Aufmerksamkeit natürlich auf diejenige zunächst, welche der treue Arrow mit ihm aus der Glut gerettet hatte. Es war ein Mädchen; sie lag vor ihm bleich, kalt und starr. War sie in der fürchterlichen Hitze erstickt oder später in den Fluten des Wassers ertrunken? Das leichte Gewand war durchnäßt und auf dem bewegungslosen Angesichte spielten die düstern Reflexe der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen. Bill befand sich in großer Verlegenheit, da er nicht wußte, in welcher Weise er ihr Hilfe bringen könnte. Da atmete es neben ihm tief und schwer und die bekannte Stimme Hawkens frug:
„Heigh-ho! Bin ich denn gebraten oder gesotten? Was ist nur eigentlich mit dem Sohne meiner Mutter vorgegangen?“
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Sich langsam emporrichtend, gewahrte er mich. „Da seid Ihr ja, Bill! Ah, jetzt weiß ich, was es gegeben hat: Das Thal brennt, und meine Mary — ’sdeath, wo ist die Mary hingekommen? Ich habe sie im Wasser verloren und bin immer nur Eurem Arrow nachgerannt und nachgestiegen. Mary! — Mary!! — Mary!!!“
Ein kurzes Wiehern antwortete in der Ferne.
„Mary, altes Viehzeug, komm, komm zu deinem Sam!“ rief freudig der Kleine und schlang, als die kamelbeinige Stute langsam herbeigehinkt kam, die beiden Arme fast weinend um ihren hageren Hals. „Sie geht lahm, sie hat sich Schaden gethan; ich glaube gar, sie ist von den Wellen durch die fürchterliche Enge gerissen worden und dann jenseits der Felsenpforte emporgeklettert! Schaut her, Sir, sie hat sich das Knie zerschunden. Ich werde einen Fetzen vom Rocke schneiden und ihr einen recht sauberen Verband umlegen. — Wäre ich doch lieber statt ihrer geschunden worden!“
Noch lange, lange dauerte es, ehe die Lohe sich auf den oberen Theil des Thales zurückzog, wo der emporsteigende Ölstrahl ihr immer neue Nahrung bot. Das Mädchen war wieder zu sich gekommen, hatte aber den Schreck noch nicht überwunden und vermochte nur unzusammenhängende Worte zu stammeln.
Am Morgen stieg die Sonne über die Ebene empor und in ihren goldenen Strahlen erbleichte der Schein des flammenden Oles [Öles]. Als sie an den Rand der Schlucht traten, um nach der Verwüstung zu sehen, welche der fürchterliche Brand da unten angerichtet hatte, ergriff sie ein Gefühl des Entsetzens und zugleich des Dankes für ihre glückliche und wunderbare Rettung. Alles war zerstört und vernichtet, alles. Die Gebäude lagen in Trümmern, der Boden sah schwarz und verbrannt, keine Spur von Leben war mehr zu erkennen, kein menschliches Wesen ließ
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sich erblicken. Die gestern noch gelebt und frisch geatmet hatten, sie hatten alle ihren Untergang gefunden. — Alle? Bewegte sich dort nicht etwas die Kante der Vertiefung entlang? War es ein Mensch oder ein Thier?
„Ich habe Hunger, Sir, fürchterlichen Hunger,“ meinte Hawkens, „und werde einmal nachschauen, ob ich zum Schusse kommen kann. Es wird wohl nichts anderes sein, als ein elender Coyote, den der Brandgeruch aus der Prairie herbeigetrieben hat; aber wenn man keine Büffellende hat, so ist man auch mit einem Stücke vom Schakal zufrieden. Bleibt einstweilen bei den Pferden!“
Er nahm seine Schießmaschine zur Hand und schritt vorsichtig der Gegend zu, in welcher wir das einsam sich vorwärts schleichende Geschöpf gesehen hatten. Der gute Sam sah heute noch possierlicher aus als gestern. Gerade so wie Bill war auch ihm in der gestrigen Hitze Kopf- und Barthaar vollständig weggesengt worden; Rock, Hose und Stiefeln, alle aus Leder gefertigt, hatten bei dem Wechsel von Glut und Wasser ihren Zusammenhalt verloren und bröckelten ihm stückweise vom Leibe, und der alte Filz war ihm so zusammengeschrumpft, daß er ihm wie ein verbrannter Eierkuchen auf dem kahlen Schädel lag und die unvergleichliche Nase in ihrer ganzen Dimension erkennen ließ.
Nach einer Weile kehrte er in Begleitung eines Mannes zurück, in dem ich sofort Alberts erkannte.
„Habe Unglück gehabt, Sir!“ klagte Sam. „Es giebt weder eine Büffellende noch ein armseliges Coyoten-Viertel. Das Tier, welches ich schießen wollte, war dieser edle Master hier, der nach seiner Tochter sucht und jammert, die er verloren hat. Laßt ihn doch einmal eure Miß ansehen!“
Die Veränderung, welche mit dem stolzen Manne vorgegangen war, wirkte so ergreifend, wie die Szene, welche nun erfolgte. Das Mädchen war seine Tochter. Sie hatte gestern
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am Nachmittage einen kleinen Ausflug unternommen und bei dem Heimwege durch Bills Arrow Rettung vor dem sonst unvermeidlichen Tode gefunden. Durch die entsetzliche Katastrophe war dem Ölprinzen alles verloren gegangen, was er in Young-Kanawha sein eigen nannte. Von allen lebenden Wesen waren nur die vier, die hier bei einander standen, dem Untergange entflohen, und zwar Alberts nur infolge des Umstandes, daß er sich im Augenblicke der Detonation an einem oberhalb des Bohrloches gelegenen Orte befunden hatte, während der Feuerstrom seinen vernichtenden Weg thalabwärts nahm. An dieser Stelle hatte er diejenigen versammelt und abgeschickt, welche die beiden Jäger überfallen sollten. Die Unglücklichen hatten den Strom gar nicht erreicht, sondern waren unterwegs von dem Brande erfaßt und getötet worden.
„Behold, Master Petroleum,“ bedeutete ihm der noch immer auf ihn zornige Sam, „es ist immer ein gefährliches Ding, einen gewissen Hawkens die Nase mit Pittsöl einreiben zu wollen. Noch keiner hat es fertig gebracht und auch Ihr hättet besser gethan, Eure eigne Nase in das Öl zu stecken, dann hättet Ihr vielleicht noch rechtzeitig gerochen, daß es aus dem Loche wollte. Doch das ist nun vorüber und wir wollen nicht weiter daran denken; Ihr seid bestraft genug! Verschafft uns zunächst ein weniges zu essen, dann werden wir ja sehen, ob auch wir Euch in irgend einer Weise dienen können.“
Alberts schüttelte traurig mit dem Kopfe.
„Es ist nichts da, gar nichts, kein Schluck, kein einziger Bissen; bis zur nächsten Niederlassung ist es weit und wir müssen verhungern, wenn Ihr Euch unserer nicht erbarmt.“
Hawkens sah Bill fragend an. Ich wußte, daß er trotz seiner eigentümlichen Art und Weise ein gutes Herz besaß und sicher keinen Hilfsbedürftigen im Stiche ließ. Deshalb antwortete er:
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„Das ist schlimm, Sir, sehr schlimm! Das Wasser des Flußes ist ungenießbar, weil Euer Öl hineinläuft und aus eben demselben Grunde wird es im Bluff und unterhalb desselben keinen Fisch mehr geben. Wir müssen darum stromaufwärts gehen, um etwas zu fangen, und dann werden wir ja sehen. Meinst du nicht auch, Sam?“
„Es wird wohl das Richtige sein! Die Miß mag sich auf meine Mary setzen. Ihr wechselt auf dem Arrow, und der Sohn meiner Mutter spaziert zu Fuß dabei her. Am Wasser wird wohl einiges Futter für die Pferde zu finden sein, und haben wir jeder ein Gericht Fische in dem Dinge, welches mir jetzt wie ein leerer Tabaksbeutel im Leibe hängt, so müßte es mit dem Kukuk zugehen, wenn wir nicht gesund und heiler Haut irgend wohin kämen, wo Menschen zu finden sind und ein Stück saftige Büffellende dazu!“
Gesagt, gethan. Der kleine Zug setzte sich in Bewegung. Als wir von dem Orte schieden, an welchem der „Block um das Haus“ auf eine so gräßliche Weise aufgehoben worden war, blieb Alberts für kurze Zeit hinter uns zurück. Er wollte stillen und traurigen Abschied nehmen von dem Grabe eines gewiß sehr großen Teiles seines Reichtumes. Es bedurfte jedenfalls großer Opfer und einer gewaltigen Anstrengung, den mächtigen Ölstrahl in Fesseln zu zwingen und die Verluste zu decken, welche eine einzige Nacht gebracht hatte. Sam Hawkens hatte recht, sich dem reichen Ölprinzen gleichzustellen. Die beiden zurückgewiesenen Westmänner waren jetzt espektable Leute, von deren Ausdauer und Erfahrung das Schicksal des Millionärs und seines Kindes abhing. Der Geist der Savanne duldet nicht die Macht des gleißenden Metalles, und in den „dark und bloody grounds“ wiegt jeder gerade so schwer wie die Gefahr, der er die kühne Stirn zu bieten wagt. —
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Die Rache des Ehri.Ein Abenteuer aus dem südlichen Polynesien von Emma Pollmer.
Tahiti, die „Perle der Südsee“, lag unter einem herrlichen, tiefblauen Himmel; die Sonne glühte auf die blitzenden Wogen des Meeres und die bewaldeten Spitzen und Hänge des Orohenaberges nieder oder funkelte in den Bächen und schmalen Kaskaden, welche von den malerisch aufstrebenden Klippen herabsprangen, aber ihre Glut erreichte nicht die freundlichen Ansiedelungen, welche im Schatten der Palmen und zahllosen Fruchtbäumen lagen und von der frischen Seebrise angenehme Kühlung zugefächelt erhielten.
In dem milden Luftzuge rauschten die langen, gefiederten Wedel der Kokospalmen und raschelten die breiten, vom Winde ausgerissenen Blätter der Bananen; die abgeblühten Blumen der Orangen, deren Zweige aber trotzdem schon mit goldgelben Früchten bedeckt waren, tropften, wonnige Düfte verbreitend, zur Erde herab. Es war einer jener zauberisch schönen, wunderbaren Tage, wie sie in solcher Pracht und solchem Reichtume nur in den Tropen zu finden sind. Und während das Land in all’ seiner paradiesischen Schönheit so jung und frisch da lag, donnerte draußen an den Korallenriffen die Brandung ihr tiefes ewiges Lied. Die Zeiten sind anders geworden und mit ihr die Menschen, die unendliche, stets wechselnde und doch ewig gleiche See ist dieselbe geblieben und schleudert auch heut’ wie
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vor Jahrtausenden ihre kristallenen Massen gegen die scharfen Dämme; wo über dem Schaum der Wellen immergrüne, wehende Wipfel sich erheben, unter denen ein dem allmählichen Untergange geweihtes Völkchen die letzten Tage seines Daseins verträumt.
Dort am Strande lag Papetee, die Hauptstadt Tahitis, und eine bunt bewegte Schar wogte in ihren weißen, blauen, roten, gelben, gestreiften oder geblümten langen Gewändern hin und her. Wie prachtvoll hatten sich die jungen, bildhübschen Mädchen das schwarze lockige und seidenweiche Haar mit Blumen und dem künstlich geflochtenen, schneeweiß wehenden Bast des Arrowroot geschmückt! Und wie gewandt und doch stolz waren die Bewegungen der eingeborenen Stutzer, welche, den bunten Parau oder die faltig Marra kokett um die Lenden geschlagen und darüber die Tebuta, das Schultertuch malerisch über die Achsel geworfen, zwischen den Schönen umherstolzierten! Sie hatten die langen, fettglänzenden Locken mit Streifen von in einander geflochtener weißer Tapa und rotem Flanell umwunden, was ihnen zu den broncefarbenen Gesichtern gar nicht so übel stand.
Da auf einmal drängte sich alles dem Ufer näher. Ein Kanoe nahte, in dessen weißes Segel sich die Brise voll gelegt hatte, so daß der Insasse des Ruders nur bedurfte, um das Fahrzeug in dem richtigen Kurse zu erhalten.
Das Kanoe war eines der hier stets gebräuchlichen, einfach aus einem Stamme gehauen und mit rundem Boden. Dadurch segelt es rascher, wäre aber auch sehr leicht umzuschlagen, wenn es nicht ein sogenannter Ausleger davor beschützt hätte.
Der junge Mann wußte, wie alle diese Insulaner, ganz vortrefflich mit seinem Kanoe umzugehen; er schnitt mit demselben quer über die Wogen und ließ, in der Nähe des Landes angekommen, das Segel fahren, um vom Winde nicht an die scharfe Küste getrieben zu werden.
Mit Hilfe des Ruders arbeitete er sich nun, zwischen den
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Korallenbänken hindurch, an das Land heran; doch war diese Arbeit sichtlich keine fleißige, vielmehr schien die ungewöhnliche Anzahl geschmückter Kähne, welche ruderfertig und einer neben dem andern am Ufer hingen, einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Denn unter ihnen befand sich einer, der sich durch Wimpel und allerlei Blumen- und Blätterschmuck am meisten auszeichnete und den er sehr gut kannte. In ihm war er vom Potomba, dem Vater seines herrlichen, jungen Weibes, abgeholt worden, als er sie von Eimeo, der nächsten, westlich von Tahiti gelegenen Insel, heimführte in sein unter Palmen gelegenes Haus zu Papetee.
Auch den alten, runzeligen Potai, welcher in dem Fahrzeuge wartend saß, kannte er. Dieser hatte damals gerade so wartend in dem Kanoe gekauert wie jetzt. Sah das nicht aus wie eine fröhliche Hochzeitsfahrt? Und warum zeichnete sich der Kahn Potombas vor den übrigen aus, da der letztere doch nur die eine Tochter besaß?
Er legte sich jetzt fester auf das Ruder, und in wenig Augenblicken knarrte sein Boot auf den Sand des Ufers. Er befestigte es mit dem Baststricke an einen der hierzu eingeschlagenen Holzpfähle und sprang dann hinüber zu dem alten Diener.
„Potai“, frug er, „was thust du heut hier am Strande von Tahiti?“
Der Alte blickte auf. Sein Auge überflog die Gestalt des Fragenden mit einem unbeschreiblichen Blicke.
„Atua, der Gott alles Guten, sei mit Dir, Anoui! Geh’ heim und frag’, was ich hier thu’!“
„Warum willst nicht du selbst es mir sagen?“
„Ich kann nicht, Anoui! Mein Herz hat viel an dich gedacht während der vielen Wochen, die du auf den Inseln von Tabuai warst. Oro, der Gott alles Bösen, hat sich über Eimeo gesenkt und ist über Potomba, den großen Fürsten, gekommen,
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der den Glauben der Väter von sich geworfen hat und nun den Gott anbetet, den der alte bleiche Mitonare verkündigt.“
Mitonare heißt Missionär, und mit diesem Worte bezeichnet das in seiner Sprache sehr einfache Inselvolk auch alles, was mit der Religion der Christen in Verbindung steht, wie z. B. Kirche, Prediger, Altar, Predigt, selig, heilig, fromm u. s. w. immer nur Mitonare genannt wird.
„Ist’s möglich, Potai?“ frug der junge Mann so erschreckt, daß man trotz seiner broncenen Gesichtsfarbe bemerken konnte, daß ihm das Blut aus den Wangen wich. „O, wäre ich daheim geblieben! Ich wußte, daß der fremde Schleicher in sein Haus ging, um ihm den Glauben unserer Väter zu stehlen; aber der reiche Gewinn lockte mich nach den Ländern von Tabuai, und der Handel, der mich dort so lange Zeit aufhielt, hat mir reichen Gewinn gebracht. Ich werde mit ihm sprechen; ich werde ihn wieder zurückführen zu der Wahrheit unserer Priester und Manina wird mir gern helfen!“
„Manina, dein Weib?“
„Ja, sie liebt mich mehr als ihr Leben; sie ist mir von Eimeo gefolgt nach Papetee; sie hat ein ganzes Meer von Thränen geweint, als ich ging. O, meine süße Manina, heut siehst du mich wieder und wir werden Potomba aus der Hand des Mitonare reißen! Doch sag’, was thust du hier?“
„Mein Mund will schweigen, das Wort wird ihm zu schwer!“
„Potai — dein Geist ist finster und dein Auge naß! Du liebst mich, dein Angesicht sagt mir auch ohne Worte, daß mir ein Unglück droht. Es gilt Manina. Was ist mit meinem Weibe?“
„Ich sage es nicht, doch denke an Mahori, der dein Nebenbuhler war!“
„Mahori?“
Er sprach nur dies eine Wort aus, aber mit einem einzigen Satze war er zwischen den Kanoes hindurch und flog landeinwärts. -
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landeinwärts. Er beachtete nicht die Menschenmenge, deren Blicke voll Teilnahme auf ihm ruhten; er rannte sogar achtlos an denen vorüber, welche hervortraten, um ein Wort mit ihm zu sprechen. Sein Lauf ging um Papetee herum, bis er ein Gebäude erreicht, welches sich durch seine Größe und den Umfang der zu ihm gehörigen Pflanzungen auszeichnete.
In diesem Hause hatte er seine goldene Jugendzeit verlebt; hier hatte er die Ehrfurcht beobachtet, welche seinem Vater, dem größten Häuptlinge Tahitis, gewidmet worden war; hier hatte er auch die Zerstörung aller herkömmlichen und darum heiligen Verhältnisse erlebt, die seinem Vater die Macht, das Ansehen und — das Leben gekostet hatte. Der Adel war wertlos geworden; er hatte mit dem Bruder ein Handelsgeschäft mit den nahe liegenden Inseln gegründet und an Reichtum gewonnen, was er an Einfluß als Ehri, als Fürst verloren hatte. Dann war er so glücklich gewesen, das schönste und beste Mädchen der Inseln zum Weibe zu bekommen, obgleich Mahori, der mächtige Priesterssohn, der Christ und einheimischer Mitonare geworden war, um ihre Hand angehalten hatte, um den Einfluß ihres Vaters für sich zu gewinnen.
Was war jetzt mit ihr geschehen? Er trat in das Haus und fand den Bruder finster in einem Winkel sitzend.
„Ombi, was ist geschehen?“ forschte er fast atemlos.
„Anoui, du hier? Atua sei gepriesen, der dich sendet, damit meine Seele erlöst werde von der Qual, die auf ihr lastet! Bist du stark genug, die Kunde zu vernehmen?“
„Ich bin stark. Was ist mit Manina? Warum kommt sie nicht, mich zu empfangen?“
„Sie ist nicht mehr hier.“
„Nicht — mehr — hier?“ Er brachte die inhalsschweren Worte nur stockend hervor. „Das Weib meines Herzens nicht mehr hier? Wo ist sie hin?“
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„Potomba hat sie geholt und sie Mahori, dem Abtrünnigen, zur Frau gegeben. Heut’ ist Hochzeit und die Kanoes warten am Wasser, um den Bräutigam nach Eimeo zu holen.“
Anoui antwortete nicht. Er trat an die Wandöffnung, welche als Fenster diente. Er mußte Luft haben, wenn er nicht ersticken wollte. Seine Brust flog konvulsivisch und sein Atem drang röchelnd zwischen den todesbleichen Lippen hervor.
Lange, lange stand er da, bis er sich endlich langsam umdrehte.
„Ombi, ist sie ihm gern gefolgt?“
„Nein. Er hat sie geholt, als ich nicht da war und sie durch List fortgelockt. Nun ist sie bei ihm und er darf über sie gebieten.“
Anoui atmete erleichtert auf.
„Die fremde Lehre wirft Haß, Zwietracht und Falschheit in die Herzen. Sie wird über unseren Glauben wachsen wie das Unkraut über die Pflanze. Ich gehe fort aus dem Lande der Väter und kehre nie zu ihm zurück.“
„Fort? Die Stimme der Verzweiflung spricht aus deinem Munde!“
„Nein, Ombi. Manina liebt mich noch; ich bin ruhig. Aber darf ich bleiben, wenn —“
Er hielt mitten in der Rede inne, aber der Bruder verstand den funkelnden Blick und die rasche Handbewegung des Sprechers.
„Anoui, du bist ein Ehri und fürstlich Blut rinnt durch deine Adern. Man hat dir dein Weib geraubt; die beiden Mitonare sind Schuld daran. Thu’, was dein Herz dir gebietet. Ombi, dein Bruder, wird dir treu zur Seite stehen!“
„Ich bedarf deiner Hilfe nicht. Doch werde ich in der nächsten Nacht noch fliehen müssen. Ich gehe nach den Inseln von Tabuai, woher ich heute gekommen bin. Sorge für alles, was ich brauche und verschweige den Ort, wohin ich geflüchtet bin.“
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„Ich werde schweigen und nachkommen. Atua hat die „Perle der Südsee“ verlassen; ich werde dorthin gehen, wo ich weiß, daß ich dich finde.“
„So sag’ ich dir Lebewohl. Laß um Mitternacht das große Kanoe mit Reisevorrat hinter der Spitze von Loga halten. Ich gehe!“
Er nahm von der Wand einen scharfen, zweischneidigen Kris (Dolch), den er zu sich steckte.
„Lebewohl, Ombi; ich bin ein Ehri und Manina bleibt mein!“
„Lebewohl, Anoui; der Gott alles Guten sei bei dir; er lasse seine Sonne leuchten über dir des Tages und seine Sterne in der Nacht, daß dein Weg licht bleibe und nie bedeckt werde von Finsternis!“
Anoui ging. Er vermied die Menschen und schritt zu einer Stelle des Ufers, wo ihn niemand sah.
Die Hochzeitsflottille, welche den Bräutigam geholt hatte, war abgesegelt und befand sich unterwegs nach Eimeo. Er warf sich nieder, verdeckt von den breiten Blättern der Bananen, und wartete.
Erst als die Kanoes verschwunden waren und die Menge sich verlaufen hatte, erhob er sich und schritt nach seinem Fahrzeuge. Er stieg ein, ruderte sich zwischen den Korallenriffen hindurch und setzte dann das Segel bei.
Sein Weg führte ihn um die Insel Eimeo herum nach dem auf ihr liegenden Orte Tamai, der sich unweit der Opoauho-Bai befindet. Dort wohnte Potomba, der Wortbrüchige und Frauenräuber, und dort fand die Hochzeit statt, die mit großer Feierlichkeit abgehalten wurde, weil der Vater der Braut ein Fürst und der Bräutigam ein einheimischer und überhaupt der erste Mitonare war, an dem eine solche Ceremonie vollzogen wurde.
In dem hintersten Gemache der Wohnung saß Manina,
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zum Feste vorbereitet. Ihre Dienerinnen hatten sie auf ihr Geheiß verlassen, und nun, da sie sich allein fühlte, flossen die zurückgehaltenen Thränen über die marmorbleichen Wangen. Einmal schon hatte sie als Braut hier gesessen, aber wie glücklich war sie damals gewesen, und wie unglücklich, wie namenlos unglücklich heut.
Da hörte sie ein leises Geräusch an der äußeren Bambuswand.
„Manina!“ rief es leise.
Sie kannte diese Stimme. War es möglich, daß er hier sein konnte? Sie hatte ja gehört, daß er noch nicht zurückgekehrt sei.
„Anoui!“ rief sie leise.
„Sprich nicht laut, Manina!“ warnte es von draußen. „Oro, der Gott alles Bösen, wacht mit seinen Geistern um die Hütte, drum mußt du still und vorsichtig sein.“
„Aber wenn man dich sieht, Anoui?“ frug sie jetzt angstvoll.
„Der Pisang deckt mich zu, du Sonne meines Herzens. Sag, hast du mich noch lieb?“
„Lieber als tausend Leben!“
„Und wolltest doch mit den Abtrünnigen gehen?“
„Nein, nie! Ich trage den Dolch unter dem Gewande; er hätte mein Herz gefunden, noch ehe die Nacht kommt, glaube mir das, Anoui!“
„Ich kenne dich und glaube dir! Willst du mein Weib bleiben?“
„Wie gern; doch geht es nicht!“
„Es geht. Tritt immer mit ihm vor den fremden Priester; ich werde kommen und sprechen. Und helfen meine Worte nichts, so merke auf, wenn er dich nach Papetee bringt. Sobald ich deinen Namen sage, springst du herüber in mein Kanoe. Willst du?“
„Ja.“
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„Dann fürchte dich nicht vor den Worten und Weisen des bleichen Mitonare. Er läßt unsern Bund nicht gelten, weil unser Priester ihn geschlossen hat, und so soll auch sein Segen zerrinnen, wie nichts im Meere. Lebe wohl, Manina; Joranna, Joranna, mein herrliches Weib!“
Der Pisang raschelte draußen. Anoui hatte sich zurückgezogen.
Die Flottille war in Tamai angekommen. Der Bräutigam betrat den Strand und wurde von Potomba willkommen geheißen. Die Gäste lagerten sich unter Palmen, genossen milchreiche Kokos, geröstete Bataten und eine Menge der schmackhaften Früchte, welche jene Gegend so massenhaft hervorbringt.
Da ertönte der Schall der Trommel und der Klang der Flöte. Die Ceremonie sollte beginnen. Unter immergrünen Laubbäumen war ein blumengeschmückter Altar errichtet worden, an welchem der „bleiche Mitonare“, der englische Missionär, der Braut harrte: Mahori trat in das Haus und bracht sie geführt.
Da drängte sich durch den Kreis der umstehende Gäste ein junger Mann und trat zu Potomba, welcher in der Nähe des Altares stand.
„Sei gegrüßt, o Potomba, du Vater meines Weibes! Sie ist, als ich nicht daheim war, zu dir gekommen, und ich bin herbeigefahren, sie mir wiederzuholen.“
„Weiche von mir, Heide!“ lautete die Antwort. „Ich habe mit dir nichts mehr zu schaffen!“
Anoui blieb ruhig. Er legte nur die Hand auf die Schulter seiner Frau und wandte sich zum Priester:
„Mitonare, dieses Weib hat mir auf den Schädeln unserer Voreltern Treue geschworen; der Priester unseres Volkes frug mich: „Eita anei oe a faarue i ta oe vatrina? Willst du niemals dein Weib verlassen?“ und ich antwortete: „Eita, nein!“ Potomba gab uns seinen Segen. Hast du das Recht, uns zu trennen?“
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Der Missionar schlug die Augen empor zum Himmel.
„Die heilige christliche Kirche kann als allmächtige Mutter ihre Töchter nehmen und geben wem sie will. Weiche von hinnen, Ungläubiger, damit dich der Zorn der Kinder Gottes nicht treffe!“
„So komme, Manina!“ antwortete er, sie bei der Hand erfassend.
Da schlug ihm Mahori mit der Faust in das Gesicht, und zugleich wurde er erfaßt und davongeschleppt. Er sprach kein Wort, sondern ließ es geschehen. Aber in der Nähe des Strandes rang er sich los und sprang in sein Kanoe.
„Sagt Mahori, daß ich mir mein Weib holen werde!“ rief er ihnen noch zu und ruderte hinaus in die See. Die Insel umsegelnd, gelangte er an den Papetee gegenüberliegenden Ort Alfareaita, wo er anlegte, um auszusteigen und sich eine Anzahl größerer und kleinerer Fische zu kaufen.
Als ihm die rechte Zeit gekommen schien, begab er sich mit diesen wieder in das Fahrzeug und ruderte sich eine Strecke hinaus, wo er die Meeresstraße zwischen den beiden Inseln zu überblicken vermochte. Es wurde dunkler über dem Wasser; die Nacht war angebrochen, aber die Wogen lagen um das Kanoe wie ein flüssiger, durchsichtiger Kristall. Er band einen der Fische an ein Stück Bast und hing ihn in’s Wasser; schon nach kurzer Zeit erfolgte ein scharfer Ruck. Ein Haifisch hatte sich die Lockspeise geholt. Nach einiger Zeit warf der junge Mann einen zweiten Fisch aus und fuhr so fort, bis sich fast als ein halbes Dutzend Haie um sein Boot tummelten.
„Seid willkommen, ihr Diener des Ehri. Ich nehme meine Rache, und ihr erhaltet Eure Speise!“
Er fuhr fort, die gefräßigen Ungeheuer an sich zu locken, bis nahende, flackernde Bootsfeuer ihn überzeugten, daß die Flotte nahe, um die Neuvermählten heimzubringen. Er ruderte ihr, gefolgt von den Haien, langsam entgegen.
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Allen weit voran fuhr Mahori. Er kauerte hinten am Steuer, während Manina vorn am Buge saß. Da plötzlich sah er vor sich ein Fahrzeug, welches ihm den Weg verlegte. Er erhob sich.
„Halt; wer da vorn?“ frug er.
„Anoui, um dir den heutigen Schlag zu lohnen!“ klang es zurück.
Zugleich legte sich das Boot längsseite mit dem seinen, zwei kräftige Schnitte mit dem scharfen Kris durch die Bastbänder des Auslegers, und der Querbalken fiel in das Wasser. Jetzt war Mahori bei der geringsten Bewegung rettungslos verloren.
„Manina, hinüber!“ rief Anoui.
Mit einem raschen Sprunge war sein Weib bei ihm; das Boot Mahoris, jetzt ohne Ausleger, kenterte um, er stürzte mit einem lauten Aufschrei in die Flut und wurde von den Haien sofort in Empfang genommen.
Ehe die übrigen Fahrzeuge zur Stelle waren, hatte Anoui das Segel gezogen und flog auf seinem guten, scharfgebauten Kanoe der Gegend von Loga zu. Man hat niemals wieder etwas von ihm und Manina gehört. Ombi, sein Bruder, verließ nach einiger Zeit auch Tahiti und ging, wie man sagt, nach den Tubuai-Inseln. Potomba starb nach einiger Zeit. Er hatte sein einziges Kind geliebt und sein letztes Wort war ein Fluch gegen den „bleichen Mitonare“, dem er den Verlust der Tochter zu verdanken hatte. —
Ein Kampf mit Piraten. . . . . . . . . . . . . . . .51
Ein Abenteuer in Südafrika. . . . . . . . . . . . . .67
An Bord der Schwalbe. . . . . . . . . . . . . . . .80
Der Brand des Ölthals. . . . . . . . . . . . . . . .99
Die Rache des Ehri. . . . . . . . . . . . . . . . .117
George Chasté, Berlin C., Rosenthalerstr. 36.
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Auf dem Rio Gila.
Eine Erzählung aus dem Südwesten der vereinigten Staaten von Amerika von Heinrich Walden.
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1. Die erste Täuschung.
Vier Wochen hatten wir in dem vielgepriesenen Lande Amerika verlebt. Es waren das Wochen, die ich und mit mir die Meinigen nie vergessen werde. Die Brust von Hoffnung geschwellt, hatten wir das gute, alte deutsche Vaterland verlassen, um jenseits des atlantischen Oceans ein neues Heim zu finden, ein Heim, von dem wir glaubten, daß daselbst Jeder die seinen Fähigkeiten entsprechende Thätigkeit findet, ein Heim, in dem Jeder, auch der schlichteste Mann, Freiheit atmen kann, ohne durch irgend welche lästigen Vorschriften und Gesetze behelligt zu werden.
Sie hatten uns das Leben in der alten Heimat nur zu oft verleidet.
Gewiß, Freiheit hatten wir drüben über dem Ocean gefunden, Freiheit, mehr als uns lieb war — vor allem die Freiheit zu verhungern, ohne daß irgend eine Seele sich um uns gekümmert hätte.
Das war eine bittere Täuschung, die wir mit jedem Tage unseres Aufenthaltes in dem neuen Vaterlande schwer empfanden.
Doch ich muß meinen Lesern erst erzählen, wie ich denn dazu kam, meine Heimat zu verlassen, damit es ihnen zum warnenden Exempel dienet. — Nicht Not hatte mich dazu getrieben, den Staub von den Füßen zu schütteln und mit
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Weib und Kindern der guten Vaterstadt Lebewohl zu sagen, der Stadt, an der mich tausend innige Fäden ketteten.
Nein, ich hatte, ach, daß ich es erst zu spät einsah, kaum einen Grund zur Klage.
Ich war gelernter Schuhmacher, verstand meine Profession und als ich nach zurückgelegten Wanderjahren mein eigenes Heim in L. gründete, da kannte ich kaum noch ein anderes Ziel, als das, meine Familie sorglos zu ernähren.
Dieser Wunsch ging auch vollkommen in Erfüllung. Ich hatte vollauf Arbeit, mußte sogar nach wenigen Jahren mehrere Gesellen beschäftigen, konnte von Monat zu Monat eine bescheidene Summe zurücklegen und schien so dagegen gesichert, daß jemals die Not in meinem bescheidenen Hause Einkehr halten könnte.
Doch der Mensch ist nie zufrieden.
Jeder hat nun einmal seine Wünsche, jeder möchte an seinen Verhältnissen dies und jenes geändert haben, und indem er über dieses Sehnen das Naheliegende vergißt, geht er oft zu Grunde, wie ich ebenfalls erfahren sollte.
Es war in Jahre 1848, die Revolution, dieses Schreckgespenst der Menschheit, hielt damals gerade in Deutschland ihren Umzug, und entzündete die Menschen derart, daß selbst die vernünftigsten Menschen vorübergehend die Ueberlegung verloren und sich von einer Neugestaltung der Dinge Wunder versprachen.
Auch durch das gesegnete Baden zog die Revolution, und hier gerade kam es zu den furchtbarsten Kämpfen, denen nur mit Hilfe preußischer Truppen ein Ziel gesetzt werden konnte.
Ich war um diese Zeit etwa acht bis neun Jahre in meinem Vaterstädtchen L. selbständig, hatte mich bis dahin kaum um mehr, als um den Broterwerb gekümmert. Da
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aber brachten die Zeitungen täglich Berichte von den Freiheiten, die das Volk um die Revolution errungen hatte, und abends in den Gasthäusern wurden diese Zeitungsartikel vorgelesen.
Einer oder der andere der Anwesenden knüpfte daran seine Betrachtungen und malte den begeistert Lauschenden all die Vorteile aus, die dem Volk erblühen mußten, wenn mit dem alten Zopf gebrochen würde, namentlich mit dem Unterschied der Stände, die doch eigentlich das Volk in obere und in untere Klassen einteilte, und oft dem ehrlichsten und fleißigsten Menschen eine niedere Stellung anwies, während der Nichtsthuer nur zu häufig durch Protection zu den höchsten Würden emporstieg.
Bei solchen Gelegenheiten wurde dann fast regelmäßig das freie Amerika gepriesen, das Land, in dem Jeder, unbehelligt von irgend welchem Zwang, seine Fähigkeiten entfalten könne, wo es keine Unterschiede der Gesellschaftsklassen gäbe, der Schuhputzer so viel gelte als der Gelehrte oder Minister, und wo selbst der Präsident der Vereinigten Staaten, also das eigentliche Staatsoberhaupt, oft genug durch Wahl aus dem niedrigsten Stande hervorgegangen wäre.
Solche Erzählungen, oder richtiger, Belehrungen, schadeten ja, im Grunde genommen, keinem Hörer direkt, aber sie machten den einfachen Mann unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen, und das war allerdings ein schwerer, moralischer Schaden, denn Tausende wurden dadurch dem wirtschaftlichen Verfall entgegengetrieben. Viel junge Hitzköpfe aber schlossen sich, durch solche Reden begeistert, den sogenannten Freischaren an, stellten sich bewaffnet der Obrigkeit, welche bestrebt war, die Ordnung zu erhalten, entgegen und büßten dieses Beginnen mit dem Tode oder langjähriger Festungshaft.
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Zu diesen Tollkühnen zählte ich allerdings nicht.
Ich saß ruhig auf meinem Schusterschemmel und arbeitete wie früher, doch ich hatte die Lust am Schaffen verloren. Immer schwebten mir die gepriesenen Verhältnisse im freien Amerika vor, und wenn ich jetzt wie früher, zu einem vornehmen Kunden, etwa zu dem Gerichtspräsidenten ging, oder zu dem Herrn Medizinalrat, um ihm eine Arbeit abzuliefern und ich verbeugte mich wie früher und einer dieser Herren sagte wohl gar einmal:
„Meister, daran ist dieses oder jenes noch zu ändern,“ oder er ließ mich etwas lange im Vorzimmer warten, weil er gerade vornehmen Besuch hatte, dann hielt ich das für eine Verletzung der Menschenrechte, die ich an mir selbst erfahren mußte, und sehnte mich nach dem freien Amerika, wo der Schuster dieselben Rechte hatte, wie der vornehmste Mann.
Solche Erwägungen verleideten mir nach und nach die Lust am Vaterlande, und ob auch meine gute Frau sich alle mögliche Mühe gab, mir die thörichten Gedanken auszureden, so war es nicht möglich.
Ich hatte mich einmal in die Idee der Auswanderung, wie man so sagt, verbissen, und war blind und taub gegen die Vorstellungen meiner Freunde, und eines Tages stand ich denn als freien Mann in der freien Stadt Hamburg auf dem Deck des Auswanderungsschiffes, das mich und die Meinen nach dem gesegneten Lande der Freiheit, nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika überfahren sollte.
Mein Hausgerät hatte ich bis auf das notwendigste Werkzeug verkauft, denn drüben in dem glücklichen Lande, so wurde mir gesagt, würde ich ja alles um ein Spottgeld wieder erwerben können, deshalb mochte ich mir die Reise nicht durch unnützes Gepäck erschweren.
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Meine Frau freilich nahm den Abschied von der Heimat, von Verwandten und Freunden nicht so leicht. Ihr brach diese Trennung oft das Herz. Doch als ein rechtschaffenes Weib baute sie auf mich, ihren Mann. Dazu kam noch das Ungewohnte der Reise und so fügte sie sich dann in das Unvermeidliche, gebot ihren Thränen, ertrug sogar mit seltenem Mut die Mühseligkeiten der beinahe sechswöchentlichen Fahrt über den Ocean, — die Dampfschiffe waren damals nicht so allgemein im Gebrauch wie heute, weshalb eine Reise von Hamburg nach New-York vier bis sechs Wochen, oft sogar längere Zeit in Anspruch nahm — und war glücklich, als sie die Fahrt endlich überstanden und wir eines Morgens im Hafen von New-York landeten.
Doch schon am Hafen selbst sollten wir die erste, bittere Täuschung erfahren. Wir sollten uns aus eigener Anschauung davon überzeugen, daß denn doch die vielgepriesene Freiheit auch ihre Schattenseiten hat.
2. In den neuen Heimat.
Schnell hatten wir unsere wenigen Habseligkeiten von den Bootsleuten in Empfang genommen und standen nun, von einer lachenden, tobenden und streitenden Menge umgeben am Hafen, ohne zu wissen, wohin wir uns zunächst wenden sollten.
Das aber war für mich die nächste Aufgabe, denn meine Frau hatte doch durch die Ueberfahrt sehr gelitten. Ich
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mußte Alles anstrengen, um zunächst ein Gasthaus aufzusuchen, in welchem ich mit meiner Familie mindestens ein oder zwei Tage mich aufhalten konnte bis wir wieder Kräfte genommen hatten.
Ueberhaupt war der erste Empfang, der uns in dem gesegneten Lande der Freiheit wurde, nicht gerade vielversprechend. Die Menschen, die uns sprechen hörten, gafften uns entweder achselzuckend an, oder lachten uns, was noch verletzender war, gerade in’s Gesicht.
Während sie sich den Franzosen und Engländern gegenüber, welche mit uns zugleich das Schiff benutzt hatten, freundlich zeigten, war das uns gegenüber das gerade Gegenteil. Erst heute, nach einer langen Reihe von Jahren, ist mir der Grund dafür klar geworden: Die Deutschen waren bei allen sonstigen guten Eigenschaften vor etwa vierzig bis fünfzig Jahren noch weit in der Industrie zurück. Sie bildeten nur dem Namen nach eigentlich eine Nation und konnten so unmöglich einen Verglich mit anderen Nationen aushalten.
Eine Flotte, welche für die gekränkten Rechte der Deutschen eintrat, gab es nicht, und so glaubte man sich diesen gegenüber schon ungestraft manches herausnehmen zu können.
Außerdem galt noch bis vor fünfzig Jahren in Deutschland das gute Wort: „Bleibe im Lande und nähre Dich redlich,“ und die wenigen Deutschen, welche damals Amerika aufsuchten, waren entweder Tagediebe, die in der Heimat nicht gut thun wollten, oder was noch schlimmer, Verbrecher, die, dem Strafgesetzt verfallen, Amerika für einen Schlupfwinkel hielten, bis wohin sie der Arm des Gesetzes nicht verfolgen konnte.
Daß das Ansehen der Deutschen unter solchen Verhältnissen -
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Verhältnissen in dem fremden Lande nicht gerade wachsen konnte, ist wohl erklärlich. Die Amerikaner, ein überaus ruhiges Volk, gewöhnten sich nur zu schnell daran, in den deutschen Einwanderern, mit Ausnahme der Forschungsreisenden und Gelehrten, nur Tagediebe oder Verbrecher zu sehen, die kaum bei ihren Gesandten den notwendigen Schutz fanden.
So ließen denn oft die Amerikaner dem deutschen Auswanderer ihre Verachtung fühlen.
Betäubt durch den Lärm am Hafen, hatten wir mehrere Minuten fast schüchtern dagestanden; unsere Blicke auf die wenigen Kisten werfend, die in unserer Nähe auf dem Boden liegend, uns immer wieder daran gemahnten, daß es Zeit sei, irgend einen Zufluchtsort aufzusuchen.
Doch wir sollten nicht lange in dieser Verlegenheit verharren.
Ein Mann von wahrhaft herkulischer Gestalt in zerlumpter Kleidung mit rotem, aufgedunsenem Gesicht war endlich auf uns aufmerksam geworden, nahte sich uns und deutete auf die Kisten am Boden, gleichsam pantomimisch ausdrückend, daß er die Kisten dahin befördern wolle, wo wir es verlangen würden.
Erleichtert atmete ich auf, nur hatte ich noch eine schwere Sorge, und zwar die, wie ich dem Manne denn begreiflich machen sollte, was uns zunächst Not that, nämlich das Verlangen, uns irgend einen billigen Gasthof nachzuweisen. Ich hatte bis dahin von den Hafenarbeitern kaum ein deutsches Wort vernommen.
Spanisch, Englisch, Französisch, Schwedisch, Holländisch und Dänisch — kurz, alle möglichen Idiome schlugen an mein Ohr, während keine einzige der am Hafen unherlungernden Personen sich der deutschen Sprache bediente, und so fürchtete ich denn mit Recht, mich dem einzigen
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Menschen, der mir seine Hilfe anbot, nicht verständlich machen zu können.Aber es mußte doch geschehen, und deshalb brachte ich denn rade brechend insofern ich die paar englischen Brocken benutzte, die ich während der Ueberfahrt auf dem Schiffe aufgeschnappt hatte, mein Anliegen vor.
Wie freudig überrascht war ich aber, als der Kerl mit dem aufgedunsenen Gesicht mir freundlich die Hand reichte und dann sprach: „I, det is ja schön, denn sind wir ja Landsleute! Ick bin ooch een Deutscher, und zwar een echtes Berliner Kind un mit Spreewasser getooft. Nu sollen Se hier nich verloren sind, det heeßt, wenn Se meinem Rate folgen. Denn soviel, Landsmann, darf ick Ihnen sagen: Et jiebt hier in Amerika verdammliche Spitzbuben, vor die Se sich in Acht nehmen müssen. Die nehmen Ihnen Ihr Hoppheuhen —“ er deutete dabei auf unser geringes Gepäck — „und sind damit, ehe Se et glooben, ieber alle Berge! Wer hier keenen Freind hat, der et ehrlich mit ihm meent, der is jründlich uffgeschrieben.“
Obgleich der Mann in der zerlumpten Kleidung und mit dem ihm anhaftenden Fuselduft durchaus keinen Vertrauen erweckenden Eindruck machte, hätte ich ihn vor Freude umarmen mögen, vernahm ich doch aus seinem Munde die ersten Laute unserer Heimatssprache, und ob dieselbe auch stark verstümmelt zum Ausdruck gelangte, so war sie drum unverfälscht, und der nur kann begreifen, was die Muttersprache für einen Wert hat, der ihre lieben Laute seit Monaten entbehren mußte.
Ich schüttelte daher dem wackeren Landsmanne herzlich die Hand und machte ihn darauf mit meinem Anliegen bekannt, uns irgend einen billigen Gasthof nachzuweisen.
„Det können Se haben. Ick werde Ihnen schon propper
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unterbringen,“ erwiderte er. „Nu Spaß, det ick man keenen Landsmann in Stich lasse!“
Er nannte mir die Firma eines Gasthauses, in dem meist Deutsche verkehren sollten, und das wir, wie er sagte, bequem in einer Viertelstunde erreichen konnten. Dann schrieb er mir mit ungelenker Hand auf ein Blatt Papier und in englischer Sprache einige Worte und gab mir dann das Blatt.
„So,“ sagte er belehrend, „hier haben Se die Straße uffgeschrieben, un wenn Se falsch gehen sollten, dann zeigen Se man det Papier dem Ersten Besten, denn wird Ihnen Jeder zurechte weisen. Ick aber werde nun mit Ihr Gepäck voruffgehen, denn mit meinem pludrigen Anzug müßten Se sich ja schämen. Aber noch eens, Landsmann,“ fügte er hinzu, „Se müssen schon so gut sin und mir vorher die Gebühren zahlen. — Det macht eenen Dollar. Davon kriegt natürlich die Hälfte die Steuerkommission. Ick will det jleich uff ’n Weg abmachen, damit Se nachher keene Zwängeleien haben. Den Steuerzettel gebe ick Ihnen denn so wie Se in’s Gasthaus kommen.“
Obgleich mir die Forderung für den kurzen Weg unerhört hoch erschien, kam ich doch dem Verlangen des Lastträgers nach, zahlte ihm den begehrten Dollar, da ich mich vor der Abreise von Hause mit amerikanischem Gelde versehen hatte, lies ihn mit unseren Kisten vorangehen und folgte mit meiner Frau und den beiden Kindern nach.
Da plötzlich, an einer Straßenkreuzung, war der Gepäckträger unseren Blicken entschwunden.
Er war gewissermaßen wie in den Boden gesunken und keine Spur mehr von ihm zu entdecken.
Im ersten Augenblick erschrak ich heftig und sah meine Frau ratlos an.
Doch schnell hatte ich diesen Schreck überwunden. Er
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war ja Landsmann und konnte uns unmöglich bestehlen wollen. Sicher hatte er mit seiner schweren Last einen näheren Weg nach dem Gasthause genommen. Dann aber hatte er mir ja auch vorsichtig den Namen des Gasthauses und den Weg zu demselben aufgeschrieben, so daß ich diesen Zettel nur einem Fremden zeigen durfte, um sofort den nötigen Ausweis zu erhalten.
Von diesem Rat wollte ich nun Gebrauch machen.
Ich wandte mich zunächst an einen einfachen Herrn, dann an den zweiten, den dritten, aber kein Einziger gab mir Antwort, kein Einziger achtete auch nur auf meine bescheidene Frage. Diese Menschen, die hier in blinder Hast an einander vorüberjagten, dachten einzig an ihre Geschäfte, und ließen sich nicht Zeit, ihrem Mitmenschen auch nur mit einem Wort einen Rat zu erteilen!
Endlich stand einer auf meine Anrede still, nahm den Zettel, den ich ihm entgegen hielt, warf einen Blick darauf und — im nächsten Augenblick malte sich auf seinem Gesicht helle Entrüstung.
„Armes Mann,“ sprach er dann im gebrochenen Deutsch. „Sie seien gefallen in der Hände einer Betrüger, einer Spitzbub, das hat gemacht sich Ihre Verlegenheit zu Nutze!“
Doch ich will meinen Lesern nicht groß mit der für mich wenig erfreulichen Unterhaltung aufhalten, sondern sie kurz über meinen Landsmann aufklären: Derselbe hatte mein Gepäck gestohlen und sich für diese Bemühung noch einen Dollar, also etwa vier Mark, zahlen lassen. Die englischen Worte auf dem Zettel lauteten, in’s Deutsche übertragen etwa:
„Es ist ein Grüner. (Unbekannter Fremder). Ich habe meinen Teil genommen, seht Ihr, was Ihr kriegen könnt.“
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Die hellen Thränen brachen mir aus den Augen über diesen bestialischen Betrug. Fast verzweifelt rang ich die Hände. Meine hilflose Lage schien den Herrn zu rühren. Deshalb erbot er sich, mich und meine Familie nach einem bescheidenen Gasthof zu begleiten und bald waren wir daselbst angelangt. Ja, der Fremde that noch mehr. Er hatte sogar, wie ich erst später erfuhr, die Verpflegung für mich und die Meinen vorausbezahlt, ohne mir irgend etwas davon zu sagen, so daß ich ihm nicht einmal für seine Hochherzigkeit gebührend danken konnte.
Ach, der erste Tag in der neuen Heimat wird mit unvergeßlich bleiben. Er gab mir auch fast die Gewißheit, daß ich verloren bin, daß meine Illusionen vollkommen thöricht waren, und daß es allerdings in Amerika damals goldene Freiheit gab für Diejenigen, welche durch Spitzbübereien den Nächsten um sein Hab und Gut bringen wollten.
Der freundliche Wirt, der wirklich herzlichen Anteil an unserem Geschick nahm, begab sich nämlich selbst zur Polizei, um den Betrug, durch welchen ich meine ganze bewegliche Habe vorloren hatte, anzuzeigen. Doch vergeblich. Da ich weder den Namen noch die Wohnung des Spitzbuben kannte, so hielt es die Polizei nicht für nötig, sich nutzlose Umstände zu machen und damit war die Angelegenheit erledigt.
Jetzt erst mußte ich meiner Frau recht geben, die mich beschworen hatte, in der Heimat zu bleiben. Aber es war leider zu spät, und doch wieder nicht, denn hätte ich jetzt noch den Rat meiner guten Frau befolgt, so wäre mir das Schlimmste erspart geblieben.
Sie beschwor mich fußfällig, die nächste Fahrgelegenheit zu benutzen und wieder nach Deutschland zurückzukehren.
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Auch ich sah ein, daß das unter den gegebenen Verhältnissen das Beste war, und dennoch hinderten mich meine fluchwürdigen Dünkel daran, meiner Frau beizupflichten.
So zog ich denn vor, meine Familie dem größten Elend auszusetzen, als mich, der doch nicht großen Gefahr, in der Heimat angelangt, wegen meines Vorhabens vielleicht auf einige Tage gehänselt zu sehen.
3. Wie die Not einkehrt.
Als ich am nächsten Morgen neugestärkt vom Schlummer erwachte und vorsichtiger Weise meine Rechnung bei dem Wirt begleichen wollte, vernahm ich erst, daß der Engländer am Tage vorher, wie bereits erwähnt, Kost und Logis für uns bezahlt hatte.
Dieser Umstand, so geringfügig er auch sein mochte, wirkte doch belebend auf mich ein, denn es gab mir den Beweis dafür, daß es auch in meiner neuen Heimat nicht an guten Menschen fehlte, die gern bereit waren, unverschuldeter Not abzuhelfen.
So hoffte ich denn auch in der großen Stadt schnell Arbeit zu finden, und hatte ich erst wieder Stellung, dann konnte es mir bei Fleiß und Ausdauer nicht fehlen, dann war ich auch wohl imstande, den erfahrenen Verlust schnell verschmerzen und ersetzen zu können.
Ich ließ mir deshalb von dem Wirt einige große Fabrik-Etablissements bezeichnen, in denen Schuhe und Stiefeln gefertigt -
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gefertigt werden. Da ich immer tüchtig in meinem Beruf gewesen, durfte ich mich auch der Hoffnung hingeben, in einer dieser Fabriken schnell Anstellung zu finden.
Ach, ich sollte nur zu bald erfahren, daß ich mich auch in dieser Hoffnung bitter getäuscht hatte. Auch in den großen Schuhfabriken nahm man mit Vorliebe Franzosen und Italiener zur Arbeit und von den Deutschen allenfalls Leute, welche in Dresden oder in Wien gearbeit hatten und sich darüber auszuweisen vermochten. Und was das Schlimmste — ich konnte dem Fabrikbesitzer aus diesem Umstande nicht einmal einen Vorwurf machen, denn thatsächlich stand zu der Zeit mit Ausnahme von Dresden und Wien die Schuhwaren-Industrie hinter der gleichen von Frankreich, England und Italien weit zurück.
So war ich denn tagelang von einer Fabrik zur andern gewandert, um immer wieder denselben niederschlagenden Bescheid entgegen zu nehmen. Und mit Verzweiflung dachte ich daran, was werden sollte, wenn meine geringe Barschaft aufgezehrt wäre.
Auch in Bezug auf die Münzverhältnisse hatte ich meine Rechnung sehr unvorsichtig gemacht.
Als ich in New-York anlangte, besaß ich etwa noch 300 Thaler. Das hätte in einem anderen Lande ausgereicht, mich zur Not während eines Jahres durchzubringen. Anders aber lagen die Verhältnisse hier in dem freien Amerika. Für eine Nacht allein mußte ich mit meiner Familie ein und einen halben Thaler für das Nachtlager zahlen, ferner ein und einen halben Thaler brauchten wir — auch bei den bescheidensten Ansprüchen — für unsere Nahrung. Das waren täglich drei Thaler. In drei Monaten also war mein kleines Vermögen aufgezehrt, wenn es nicht glückte, einen Erwerb zu finden. — Dann aber stand ich mit Frau und Kinder in
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einem fremden Lande, unter fremden, teilnahmlosen Menschen allein. Dann gab es für mich keine Rettung.
Das waren Gedanken, die mich fast zum Wahnsinn trieben. Aber sie raubten mir trotzdem nicht ganz die Besinnung, töteten in mir nicht das Pflichtgefühl, das mich immer wieder anspornte, dafür zu sorgen, meine Familie vor der äußersten Not zu bewahren.
Wie von Furien gepeitscht durcheilte ich täglich die großen, von vielen Tausenden belebten Straßen der Stadt, um irgend eine Stellung zu erhalten; denn einen Vorzug hatte Amerika allerdings vor Deutschland voraus. Hier war das Sprüchwort: Arbeit schändet nicht, zur Wahrheit geworden, und in dieser Beziehung hatten die Ruhmredner in der alten Heimat nicht geflunkert.
Der Packträger und Schuhputzer am Wege galt, wenn er seine Arbeit verrichtet hatte und sich sonst in anständiger Gesellschaft bewegen konnte, gesellschaftlich auch so viel, wie ein Gelehrter oder Bankier. So war es wenigstens vor etwa fünfzig Jahren in Amerika bestellt. —
Heut soll man dort auch schon die Menschen je nach ihrem Stande zu unterscheiden belieben.
Dennoch, obgleich wie gesagt, jeder Beruf, auch der niedrigste, in dem freien Lande als ehrenvoll erkannt wird, kam mir der Gedanke sehr schwer an, meine Thätigkeit als Schuhmacher aufzugeben, um irgend eine andere Arbeit dafür auszuüben.
Erst nachdem ich wohl ein paar Wochen vergeblich nach Beschäftigung in meinem Handwerk angefragt hatte, und nachdem über ein Drittel meines Vermögens aufgezehrt war, hielt ich nach andere Arbeit Umschau.
Da ich von Hause aus nur die wissenschaftlichen Kenntnisse mitbrachte, die man vor etwa einem halben Jahrhundert -
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Jahrhundert in einer einfachen Volksschule erwarb, so hatte ich allerdings keine große Auswahl bezüglich eines zu erwählenden Berufes.
Ich konnte nicht, wie viele es in meiner Lage gethan, etwa bei einem Advokaten als Schreiber eintreten oder bei einem Kaufmann als Gehülfe.
Ich mußte vielmehr zu den niedrigsten Berufszweigen greifen. Von all diesen schien mir der eines Stiefelputzers noch der passendste und lohnendste. Vor allem brachte ich zu diesem Beruf eine gute Vorübung mit. Dann bedurfte ich zur Ausübung dieser bescheidenen Fertigkeit weniger Auslagen und drittens konnte ich dieselbe ganz nach meinem Belieben und ohne eine Abgabe dafür zahlen zu müssen, an jedem freien Platze der Stadt ausüben.
So schnell wie ich den Plan gefaßt hatte, führte ich ihn nun auch aus, und bald stand ich in einer der belebtesten Straßen mit meinen Bürsten bereit, dem Gentleman für ein paar Cents die eleganten Schuhe oder Stiefeln zu bürsten, vom Straßenschmutz zu säubern und wieder Glanz zu verleihen.
Doch ob auch dieses Geschäft für Manchen lohnend war — mir wurde dasselbe leider keine Nährquelle. Denn dem Deutschen bereitete man gern Hindernisse und die Vornehmen wandten sich lieber an einen Engländer oder Italiener und Franzosen, ehe sie einen Deutschen zu einem geringen Verdienst verhalfen, und so mußte ich denn nach wenigen Wochen diesen selbstgewählten Beruf wieder aufgeben.
In diesem Augenblick traf mich ein Schicksalsschlag, der ganz dazu angethan war, mir auch die letzte Zuversicht zu nehmen, und mich geradezu dem Verderben entgegenzuführen.
Ich hatte inzwischen längst den teuren Aufenthalt im Gasthause aufgegeben und wohnte mit Frau und Kindern in
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der vierten Etage eines bescheidenen Hauses, wo wir uns in einem ebenso bescheidenen Stübchen zur Not eingerichtet hatten.
Eines Abends, als ich heimkehrte, fand ich meine arme Frau krank; die Aufregung der Reise, wie die vielen Fehlschläge waren an ihr nicht wirkungslos vorübergegangen. Sie hatten sie niedergeworfen, ein gefahrvolles Fieber erzeugt, von dem ich nicht wußte, wie es enden würde. Natürlich bedurfte ich eines Arztes. Derselbe kam auch und gab sich alle mögliche Mühe, meine gute Frau wieder herzustellen, was ihm nach Verlauf von etwa fünf bis sechs Wochen auch gelang.
Als diese Zeit vorüber, als meine Frau hergestellt war, da bemerkte ich, daß mir von meinem Gelde kaum noch fünfzig Thaler übrig geblieben waren, und damit entdeckte ich ferner, daß ich rettungslos verloren war, würde es mir nicht gelingen, auf schnellstem Wege einen Broterwerb zu erhalten. Dabei bedurfte meine gute Frau der sorgsamsten Pflege.
Aber wenn ich einen Thaler nehmen mußte, um irgend etwas einzukaufen, dann war es immer, als gäbe es mir einen Stich in’s Herz.
„Denn wir lange noch,“ so fragte ich mich, dann nahm ich wohl den letzten Thaler, und dann mußte ich entweder zum Verbrechen greifen, um Weib und Kinder zu ernähren, oder mit ihnen elend zu Grunde gehen.
Ach, das war eine entsetzliche Lage.
Schon grinste mich die Not ab, wohin ich auch immer blicken mochte. Doch als die Not bereits am größten, sollte sich auch mein Schicksal — wie ich wenigstens thöricht genug, glaubte — zum Guten wenden. Ich sollte wieder hoffen dürfen.
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4. Im Goldlande.
Um diese Zeit, als die Not bei mir am höchsten gestiegen und ich schon voll Verzweiflung die Stunden zählen konnte die ich noch mit meiner kleinen Familie unter einem sicheren Dach zubringen durfte, trat plötzlich ein Ereignis ein, das mich von Neuem mit Hoffnung und Lebensmut erfüllte.
Eines Tages, als ich wieder wie nur zu oft die Straßen der Stadt durchschritt, um irgend eine lohnende Beschäftigung zu erspähen, wurde ich auf eine Menschenansammlung aufmerksam, wie sie mir in ähnlicher Weise bis dahin in der volksreichen Stadt nie zu Gesicht gekommen war.
Ein Mann in bunter Harlekinmäßiger Tracht, ähnlich wie ich sie in meiner Jugend auf Schützenplätzen und bei wandernden Künstlergesellschaften oft beobachtet hatte, trug auf einer Stange ein Riesenplakat.
Dieses Plakat zeigte in trefflicher Ausführung eine Unmasse von Goldbarren, um deren Besitz sich die verschiedensten Menschen eifrig stritten, von denen einige sogar ihrem Gegner den Dolch oder den Revolver entgegen hielten. Ueber diese Gruppe schwebte — eine eigentümliche Profanie — eine Art Fortuna, die indessen statt des Füllhorns ein Schwert in der Rechten hielt, auf welchem in deutlich lesbarer Schrift
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die Worte: „Durch Gesetz und Ordnung zu Reichtum“ zu lesen waren.
Ein zweiter Mann begleitete den Plakatträger und verteilte unter die Neugierigen freigebig eine große Anzahl bedruckter Zettel.
Auch ich griff nach einem derselben.
Doch kaum hatte ich einen Blick auf dessen Inhalt geworfen, als sich meiner Brust ein Seufzer der Erleichterung entrang. Der Zettel trug in festen Lettern die Unterschrift: Erste Gesellschaft zur Ausbeutung der Goldminen in Kalifornien. In Vertretung John Miller und Sohn, eine Firma, die sich in New-York des größten Renommés erfreute.
Die obengenannte Gesellschaft teilte mit, daß sie mehrere tausend Goldgräber einen Tagelohn von drei Dollars und außerdem einen Gewinnanteil von fünfzehn Prozent der durch den Einzelnen erzielten Erträge am reinem Golde. Ferner wurde den Goldgräbern und ihren Familien freie Beförderung nach Kalifornien zugesichert.
Es war ausdrücklich in dem Aufruf hervorgehoben, daß zu der erforderlichen Thätigkeit keinerlei Kenntnisse Bedingung seien, ein Umstand, der es mir sofort klar machte, daß ich wohl kaum wieder eine bessere Gelegenheit finden durfte, schnell zu Geld zu kommen und den gehabten Verlust wieder einzubringen.
Offen gestanden, nie im Leben war ich wohl glücklicher, als in dem Augenblick, als ich den Vertrag mit der Firma John Miller und Sohn abgeschlossen hatte, von welcher Firma ich anstandslos engagiert wurde. Doch nicht Geldsucht war es, die mein Wesen erfüllte, sondern nur die brennende Sehnsucht, mit den Meinen wieder nach der Heimat zurückkehren zu können, der Heimat, der ich so schnöde
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und undankbar den Rücken gekehrt hatte, und deren Vorzüge mir erst hier in dem fremden Lande klar wurden.
Glückstrahlend teilte ich meiner Frau den gefaßten Entschluß mit, und da wir uns, wie bereits erwähnt, in bitterster Not befanden, lobte sie auch meine Entschlossenheit, und acht Tage später befanden wir uns bereits auf dem Wege nach Kalifornien, jenem Zauberlande, von dessen fabelhaftem Reichtum damals die ganze Welt erfüllt wurde.
Die Amerikaner sind ein rühriges Volk, und wo es einen lohnenden Erwerb gilt, verstehen sie in staunenswerter Weise alle Schwierigkeiten zu überwinden. Das trat bei Entdeckung der Goldminen in Kalifornien recht lebhaft in die Erscheinung.
Für den Nordamerikaner kam es zunächst darauf an, mit den Mexikanern, die ja doch an der Quelle saßen, am Goldgewinn zu partizipieren und aus diesem Ringen möglichst als Sieger hervorzugehen.
So entstanden fast über Nacht Eisenbahnstrecken von Hunderten von Meilen, welche ausnahmslos in Kalifornien mündeten und die den Zweck hatten, die engagierten Goldgräber und Goldwäscher mit ihren Familien nach dem gesegneten Eldorado zu befördern, zu welchem Zweck eigene Züge abgelassen wurden.
Bald befand ich mich mit meiner kleinen Familie ebenfalls in dem Coupé eines solchen Trains, aber ich darf sagen:
Je näher wir dem Ziele kamen, um so unheimlicher wurde uns bei dem Gedanken, mit dem Gesindel, das sich hier zusammen gefunden hatte, durch längere Zeit, vielleicht gar durch Jahre, zusammen zu arbeiten.
Es war, als ob der Auswurf der Menschheit sich auf den Goldfeldern von Kalifornien Rendez-vous geben wollte,
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so waren die Menschen bestellt, mit denen wir die Reise gemeinsam zurücklegten.
Endlich waren wir in dem gesegneten Lande angelangt. Doch noch hatten wir keine Ruhe, denn nun galt es zunächst, für mich und die Meinen eine Hütte zu bauen, in der wir vor Unwetter geschützt waren.
Schon bei der Gelegenheit gab es heftigen Streit und blutige Raufereien waren ebenfalls nicht ausgeschlossen. Denn hatte Einer einen günstigen Platz gefunden, so suchte ein Anderer ihn denselben streitig zu machen, und in einzelnen Fällen waren sogar Messer und Dolche die einzigen Schiedsrichter.
Endlich war die Hütte fertig und einen Tag darauf konnte ich die mir ungewohnte schwere Arbeit beginnen. Auch meine Frau mochte nicht müßig zusehen, und so half sie denn bei dem Goldwaschen, ebenfalls eine mühevolle Verrichtung, bei der aber sonderbarer Weise und zu meiner größten Freude ihre Kräfte sichtlich zunahmen.
Der versprochene Lohn wurde von der Verwaltung pünktlich gezahlt, und wenn sich auch die Lebensmittel, die erst herbeigeschafft werden mußten, im Preise sehr hoch stellten, so konnte ein fleißiger Arbeiter immerhin schnell zu Wohlstand gelangen, wohlverstanden, wenn er haushälterisch umging.
Daran dachten aber die Wenigsten.
Denn in den schnell errichteten Branntweinschänken schmolz das gewonnene Gold beim Zechen und Spielen den Goldgräbern unter den Fingern, ja, und Mancher büßte bei solchen Gelegenheiten nicht allein das gewonnene Gold, sondern auch sein Leben ein, denn die erhitzten Köpfe griffen nur zuleicht nach dem Revolver, um ihr vermeintliches Recht auszufechten.
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Obgleich ich von dem Gesindel wegen meines geregelten Lebens oft genug verspottet wurde, ließ ich mich doch nicht verleiten, an ihrem Treiben teilzunehmen. Denn mein moralisches Gefühl sagte mir, daß dasselbe verwerflich sei. Dennoch sollte ich nach kaum zwei Monaten — ich denke noch mit Schande daran — wenn auch von Not dazu gedrängt, ein Verbrecher werden, einen Mord begehen.
5. Der Totschlag.
Vor allem hielt ich stets in meinem Leben auf Ehrlichkeit.
Ehrlichkeit in Wort und That bildete von je den Grundzug meines Charakters, und nichts in der Welt hätte mich dazu verleiten können, davon abzuweichen. Deshalb denke ich noch immer mit tiefem Schmerz daran, daß gerade mein ehrlicher Sinn mich zum Verbrechen trieb, wie ich es sofort erzählen will.
Wir waren in den Goldgräbereien in Arbeiterkolonien eingeteilt, die je von einem Inspektor bewacht wurden, welchem wir an jedem Abend die Goldklumpen oder die goldhaltige Erde abliefern mußten, worauf wir dann unseren Lohn, und wenn unser Fund ergiebig gewesen war, auch sofort einen Teil der bedungenen Provision abschlägig ausgezahlt erhielten.
Mein Nebenmann in der Kolonne zeichnete sich durch
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auffallende Trägheit aus, so daß er schon oft entlassen werden sollte. Dennoch führte er gerade das ausschweifendste Leben, warf mit dem Gelde fast umher, so daß es mir bald klar wurde, daß er von seinem Verdienst die kostspieligen Lebensgewohnheiten nimmermehr bestreiten konnte.
Unter geregelten Verhältnissen hätte mich das wenig gekümmert. Hier aber mußte ich befürchten, daß ich, wenn einmal seine Veruntreuungen entdeckt wurden, mit verantwortlich gemacht wurde.
Aus diesem Grunde beschloß ich denn ein wachsames Auge auf ihn zu haben.
Es währte denn auch nicht lange, als ich ihn eines Tages dabei ertappte, wie er ein wohl über ein Pfund schweres Stück Gold mit Blitzesschnelle in eine kleine Vertiefung des Feldes versenkte.
Am Abend, nachdem die Revision vorüber war, holte er, ohne zu ahnen, daß er bewacht wurde, das Gold wieder hervor und begab sich damit nach einer übel berüchtigten Schänke, die mit Vorliebe von Dieben und Diebeshehlern besucht wurde.
Ich wußte nun genug.
Mir war es mit einem Male klar, woher mein Nebenmann in so ausgiebiger Weise der Verschwendungssucht fröhnen konnte.
Und dennoch, ich mochte nicht an dem zum Verräter werden, den vielleicht nur der ungewohnte Glanz des Goldes geblendet hatte.
Ich beschloß, ihn aufzulauern und in freundlicher und wohlwollender Weise zur Umkehr von dem verbrecherischen Pfad, den er beschritten, zu mahnen.
Doch ich wollte schnell handeln. Deshalb lauerte ich
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ihm vor dem verrufenen Hause auf und stellte ihn, als er es verließ, zur Rede. Es war das unbedacht, weil doch der von Branntwein umnebelte Sinn den Menschen für irgend welche Erwägungen blind und taub zu machen pflegt, eine Wahrheit, die ich selbst schnell genug al mir zum Schaden erfahren sollte.
Freundlich sprach ich ihn an, freundlich auch hörte er mir zu, bis ich auf das eigentliche Thema meiner Rede kam.
Kaum hatte ich nur mit einem Wort verraten, daß ich ihn bei seinen Manipulationen beobachtet hatte, als sich sein ganzes Wesen veränderte. Das Blut stieg ihm zu Kopf, seine Augen funkelten wie die eines Tigers durch die Nacht, und plötzlich blitzte in seiner Hand ein Dolchmesser.
Es war das, wie gesagt, nichts Auffälliges, denn die Leute, die sich hier zusammengefunden hatten, zählten, wie bereits erwähnt, zum Abschaum der Menschheit, und wohl Jeder von ihnen hätte wohl eher einen Mord begangen, als daß er sich zu einem schweren Unrecht bekannt hätte.
Schon holte er zum Stoß aus, im nächsten Moment mußte der Stich mein Herz treffen, da erwachte in mir der Selbsterhaltungstrieb. Ich dachte an Weib und Kinder, denen ich den Ernährer nicht rauben durfte, die ich auf fremder Erde nicht schutzlos zurücklassen konnte — und ich weiß selbst nicht, wie es kam — noch ehe der Ruchlose mir den tötlichen Stich versetzen konnte, hatte ich meinen Revolver gezogen. Ein wohlgezielter Schuß — ein leises Röcheln, und mein Angreifer wälzte sich in seinem Blut am Boden. Er hauchte seinen letzten Atemzug aus. Ich aber war ein Mörder.
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6. Die Flucht.
O, welch‘ entsetzliches Gefühl ist doch das, Menschenblut vergossen zu haben, das Kainszeichen auf der Stirn zu tragen, überall, wohin man sich auch begeben mag, wachend und träumend das blutige Opfer vor sich zu sehen! Ach, nicht meinem ärgsten Feinde wünsche ich, daß er jemals im Leben dieses schaurige Gefühl kennen lerne.
Wohl mehrere Minuten stand ich wie niedergeschmettert an der Unglücksstätte. Dann erst kam ich zur Besinnung, dann erst wurde mir klar, daß ich ein Verbrechen begangen, das auch nach den Gesetzen dieses Landes mit der Todesstrafe geahndet wurde!
Gewiß, ich war unschuldig, ich hatte in der Notwehr gehandelt. Doch wie wollte ich das beweisen? Für mich gab es in dieser verzweifelten Situation nur einen Ausweg und das war die Flucht!
Schnell und vorsichtig, ohne daß es Jemand bemerkte, schlich ich nach meiner Hütte, weckte meine arme Frau und teilte ihr mit, daß wir sofort noch während der Nacht den Ort verlassen müßten. Ich verschwieg ihr auch nicht den Grund meiner Hast.
Da standen wir nun Händeringend bei einander. Doch wir mußten uns in unser Schicksal fügen, und ich muß ge-
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stehen, meine arme Frau zeigte sich in der Stunde der Gefahr stärker als ich.
Schnell hatte sie die Kinder aus dem Schlaf geweckt und angekleidet. Dann griff sie nach unseren Ersparnissen, die immerhin eine schöne Summe ausmachten, und eine Viertelstunde später verließen wir in finsterer Nacht die Hütte, die uns bis dahin Obdach gewährt hatte.
Zunächst mußten wir danach streben, aus dem Bereich der Goldfelder zu kommen, in denen man mich kannte. Dann aber stand ich vor der verhängnisvollen Frage, wohin ich fliehen sollte. Jedenfalls durfte ich keine Gegend wählen, in denen gesetzlich geregelte Verhältnisse bestanden. Dort hätte man mich, wie ich mir sagte, schnell ergriffen und ausgeliefert. Ach ich stand an einem Wendepunkt meines Lebens, der bei einer falschen Wahl nur zu leicht für mich verhängnisvoll werden mußte.
Endlich, als mich fast schon die Verzweiflung ergriff, kam mir ein rettender Gedanke. Unter den Arbeitern in den Goldgruben befand sich auch ein Farbiger. Derselbe hatte uns oft von den Verhältnissen seiner Heimat erzählt, in der allerdings zumeist noch wilde Horden — vorherrschend die Apachen — ein raubgieriges Reitervolk — zu Hause waren. Der Streit mit einem Häuptling, der ihm an Macht weit überlegen, hatte ihn genötigt, die Heimat zu verlassen, und mit dem Instinkt, der nun einmal jedem Indianer eigen, hatte er sich denn, den Ufern der Ströme folgend, fortgestohlen, bis er nach langer, mühseliger Wanderung in dem Bereich der Goldminen angelangt, hier Beschäftigung fand.
Er hatte uns oft genug von seiner beschwerlichen Wanderung erzählt und den Weg so genau beschrieben, daß ihn wohl jeder seiner Zuhörer ohne Wegweiser hätte finden können.
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Auch ich beschloß, diesen Weg einzuschlagen, und so lautete denn mein Wahlspruch: Auf nach Arizona, nach den Ufern des Rio Gila, denn war ich auch gezwungen, dort voraussichtlich Zeit meines Lebens unter raubgierigen und ungastlichen Stämmen zu hausen, so war ich doch wenigstens vor Auslieferung gesichert und hatte den Galgen nicht zu fürchten.
7. Ein Abenteuer am Rio Gila.
Unter unsäglichen Schwierigkeiten und Entbehrungen hatte ich nach monatlanger Wanderung fast den größten Teil des mexikanischen Gebietes von Nord- nach Südwesten durchquert. Was ich, was meine arme Frau und meine armen Kinder auf der Reise erduldet, es läßt sich kaum beschreiben. Doch die härtesten Entbehrungen waren vergessen, als wir endlich in Arizona anlangten und daran gingen, an den Ufern des Rio Gila, einem Nebenfluß des Rio Colorado, unsere Hütte zu erbauen.
Eine wunderbare Gegend war es, die uns umfing, reich an Naturschönheiten aller Art. Berge und Thäler wechselten in entzückender Mannigfaltigkeit, und dazwischen zog sich wie eine Silberlinie der allerdings nur auf eine verhältnismäßig kurze Strecke schiffbare Rio Gila.
Im Anblick dieser Herrlichkeiten und im Bewußtsein der endlich erlangten Sicherheit lebte ich fast auf. Gab mir doch der fruchtbare Strich die Gewähr dafür, daß ich meine
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kleine Familie bei einigem Fleiß sicher und gut ernähren könne, vorausgesetzt, daß die Apachen oder Komanchen, diese wilden Stämme, uns nicht hinderlich wurden. In solcher Zuversicht begann ich bereits sofort, nachdem ich einen passenden Fleck am Ufer ausgewählt hatte, mit dem Bau meiner Hütte.
Doch ich sollte nur zu schnell meinem Sicherheitsgefühl entrissen werden, durch ein Ereignis, das mir noch heut lebhaft vor Augen steht und das ich wohl bis zu meiner Todesstunde nie vergessen werde.
Vorsichtiger Weise hatte ich zum Bau meiner Hütte mir eine kleine Lichtung ausgesucht, die sich inmitten eines Gehölzes befand, das die Hütte, wenn sie vollendet, vollständig den Blicken des Uneingeweihten entziehen mußte.
Eben war ich dabei, die ersten Pfähle einzugraben, als meine Kinder, die sich unmittelbar vor dem Busch gelagert hatten, um sich am Anblick des klaren Flusses zu erfreuen, lebhaft schreiend und mit dem Ausdruck tötlichen Schreckens zu uns stürzten.
Meine Frau sowohl wie ich gaben sich alle mögliche Mühe, den Kindern auch nur ein Wort zu entlocken.
Mit schreckensbleichen Gesichtern deuteten sie immer nur nach der Richtung des Flusses.
Doch sie bedurften der Worte nicht, denn gleich darauf wurden wir durch entsetzliches Geheul darauf aufmerksam gemacht, welche Art die Gefahr war, die unsere Kinder aufgeschreckt hatte.
Ich trat aus dem Gebüsch und erblickte zu meinem nicht geringen Schrecken am jenseitigen Ufer des Flusses eine Anzahl Wilder, von dem gefürchteten Stamme der Komanchen, die im Gegensatz zu den Apachen ihre Raubzüge zu Fuß auszuführen pflegen, folgedessen aber für jeden Ansiedler
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um so gefährlicher sind. Während der berittene Stamm der Apachen sich ähnlich den Beduinen oft und mit Vorliebe in große Kämpfe einläßt, pflegen die Komanchen auch meist abgelegene Ansiedlungen zu überfallen, um dort in wahrhaft kannibalischer Weise zu wirtschaften; was mir aber starres Entsetzen einflößte, war der Umstand, daß bereits mehrere Personen in einem Boot über den Fluß zu setzen im Begriff waren. Ich hielt uns infolgedessen für verloren, denn welchen Widerstand hätte ich unbewaffnet den wilden entgegensetzen können.
Da plötzlich wurde auf’s Neue durch Geheul erschreckt, das diesmal nichts mit menschlichen Stimmen gemein hatte. Ich blickte auf und sollte nun erst erfahren, daß das vernommene Kriegsgeheul der Komanchen überhaupt nicht uns gegolten hatte.Die Wilden waren nämlich nicht die Angreifenden, sondern sie befanden sich sichtlich auf der Flucht und zwar vor einem Bären, welcher aufrecht stehend, sich eben auf sie stürzen wollte. Die Komanchen schienen an solche Kämpfe nicht gewöhnt, aber sie sollten noch heftiger erschreckt werden, denn zugleich erschienen auch da in ihrer Nähe ihre erbittersten Feinde, die Apachen, und so fanden sie sich denn von zwei Seiten bedroht, und ich hatte Aussicht, einem grauenvollen und dennoch schönen Schauspiel beizuwohnen. Unmittelbar vom Ufer her ertönte das Geheul des Bären, auf welches die Komanchen trotz der doppelten Gefahr, die sie bedrohte, mit ihrem Schlachtgeschrei antworteten. Und im nächsten Augenblick war ich Zeuge einer Scene von unbeschreiblich grauenvollem Reiz: Die Komanchen, zum Teil am Ufer stehend, zum Teil in Booten, bereit, es mit ihren Feinden, den Apachen, im Kampf aufzunehmen; dann der Bär, das gereizte Tier, im Begriff sich auf den Nächsten seiner Feinde zu stürzen, um ihn zu erdrosseln und schließlich ein
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Apache — das Gewehr im Anschlag — eben auf den Bären zielend, während die Uebrigen seines Stammes giftige Blicke auf die Komanschen warfen! Wieder einige Sekunden später donnerte ein Schuß. Mit dumpfem Brüllen stürzte der zum Tode getroffene Bär nieder und hatte gleich darauf vollendet. Nun erst rüsteten sich die Apachen zum Angriff ihrer Todfeinde, der Komanchen, und es entspann sich ein Kampf, dessen Gräuel jeder Beschreibung spottet. Jetzt erst, im Anblick dieses furchtbaren Gemetzels, bereute ich es, diese Gegend aufgesucht zu haben, in welcher ich in jedem Augenblick Gefahr lief, den bestialischen Menschen zum Opfer zu fallen. Die nächste Stunde konnte, wenn mich einer der wilden Bestien entdeckte, meinen Untergang, und den meiner Familie herbeiführen. Da — im letzten Augenblick kam mir ein rettender Gedanke. — Ohne mich lange zu besinnen, schleuderte ich einen Feuerbrand in den Busch, der meiner zukünftigen Hütte zum Schutz dienen sollte. Hell loderte die Flamme auf, doch die im wilden Kampfe begriffenen Stämme achteten nicht darauf, und als sie endlich das Feuer bemerkten, als sie endlich im Kampfe nachließen, befand ich mich mit den Meinen infolge angestrengten Laufes schon aus ihrer Sehweite. Nach einem erschöpfenden Marsch von mehreren Stunden hatte ich mit meiner Frau und den Kindern Arizona-City erreicht und hier wurde ich plötzlich von meinen Gewissensängsten befreit, denn ich erfuhr, daß der Totschlag, den ich in den Goldminen verübt hatte, gesetzlich überhaupt nicht strafbar war, da ich mich nicht allein in Notwehr befand, sondern auch einen bereits seit Jahren von den Behörden vergeblich verfolgten gefährlichen Dieb und Wegelagerer im gerechten Kampfe niedergeschlagen hatte.
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Schluß.
Ich atmete auf. Mein Gewissen war von einer schweren Last befreit. Nun aber beschloß ich, gemeinsam mit meiner Frau, keinen Tag länger in einem Lande zu bleiben, in dem wir soviel Böses erfahren hatten. Bereits am nächsten Tage brachen wir zum nächsten Hafen auf. Es war immerhin eine weite, beschwerliche Wanderung, die wir aber zufällig unter den Schutz von Miliztruppen zurücklegen konnten, so daß wir unbehelligt den Hafen erreichten. Wenige Monate später setzten wir den Fuß wieder auf Deutschen Boden und ob es auch lachhaft klingen mag, wir warfen uns nieder und küßten die heimatliche Erde, der wir einst schnöde den Rücken gekehrt hatten. Denn erst in fernen Landen, und unter fremden Menschen und Völkern sollten wir den hohen Wert des heimatlichen Bodens erkennen und schätzen lernen.
Indem ich diese schlichte Beschreibung meiner Erlebnisse am Rio Gila schließe, kann ich es nicht unterlassen, meinen jugendlichen Lesern das gute deutsche Sprüchwort auf’s innigste zu empfehlen: Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!