Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 25, Seite 385
Reprint Seite 157


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

»Das ist wahr; das ist wahr! Raten Sie, helfen Sie! Ich werde Ihnen sehr, sehr dankbar sein!«

»Hm! Woher soll man einen Rat nehmen? Advokaten wie in meinem Vaterlande gibt es hier nicht. Polizei kann uns nichts nützen. Schließlich komme ich selbst mit in Gefahr, wenn man hört, daß ich diese Kerls belauscht habe. Erlauben Sie mir einen Augenblick! Ich will da meinen Gefährten fragen.«

»Ist er nicht Ihr Diener?«

»Diener und Freund.«

»Er hat doch alles mitangehört. Warum spricht er nicht?«

»Er versteht die Sprache dieses Landes nicht vollständig. Er ist ein kluger Kopf, ein Pfiffikus. Rechtlichkeit und Gesetz können hier nicht helfen. Nur allein der Pfiffigkeit könnte es vielleicht gelingen, Rettung zu bringen.«

»So fragen Sie ihn, schnell, schnell!«

Der Methusalem erklärte seinem Gottfried, wie die Sache stand. Dieser hörte aufmerksam zu und sagte dann:

»Ja, wenn die sojenannten Klugen nichts mehr wissen, so wenden sie sich an die anjeblich Dummen. Die Karre steckt drinnen, tief jenug im Schmutze. Kein Mensch und kein Methusalem kann ihr herausbekommen. Und da soll sich nun der olle Jottfried ins Jeschirr lejen, um sie aufs Trottoir zu bringen!«

»Beleidigt dieses Vertrauen etwa?«

»Fällt mich nicht ein! Denke jar nicht daran! Aber eine fatale Sache ist es und bleibt es. Man kann da sehr leicht mit in dat Käsefaß stecken bleiben. Bitte, jeben Sie mich mal dat Mundstück her!«

Er langte nach der Pfeifenspitze.

»Wozu?«

»Um meine Jeistlichkeit anzurejen und aufzufrischen. Ein juter Zug aus die Pfeife stärkt den Verstand und den Mutterwitz. Es ist dat zwar jejen die Subordination, aberst in diesem Falle werden Sie mich schon mal erlauben.«

»Da, rauche!«

Er gab ihm die Spitze hin, obwohl er wußte, daß es von Gottfried nur ein nichtiger Vorwand war. Er wollte ihn aber bei guter Laune erhalten, weil er von dem schlauen Wichsier wirklich einen guten, vielleicht rettenden Gedanken erwartete.

Gottfried that einige derbe Züge, brummte nachdenklich vor sich hin, zog die Stirn in tiefe Falten, that wieder einige Züge, räusperte sich, hustete, that abermals einen Zug, aber einen außerordentlich kräftigen, blies den Rauch in derbem Stoße von sich, reichte dann dem Methusalem das Mundstück zurück und sagte:

»Jeschmeckt hat's jut!«

»Nun, weiter!«

»Und jeholfen hat's auch!«

»Dir ist also ein Gedanke gekommen?«

»Ein Jedanke wie ein Licht!«

»Welcher?«

»Der allereinfachste von die janze Welt.«

»Heraus damit!«

»Na, nur Jeduld! Ich stelle mich die Sache nämlich folgendermaßen vor: Wie du mich, so ich dich!«

» Wieso?«

»Er will ihm uns verjraben, nun verjraben wir ihm ihn.«

»Dummes Zeug! Wer soll das verstehen! Rede doch nur deutsch, ordentlich nach der Grammatik!«

»Wenn ich derjenige bin, welcher die Kastanien aus dem Feuer holen soll, so hat die Jrammatik sich nach mich zu richten und nicht ich mir nach sie. Verstanden! Mein Mittel ist ein jutes deutsches. Es jründet sich auf ein altes, deutsches, echt jermanisches Sprichwort, welches in andrer Weise lauten würde: 'Wie es aus dem Walde schallt, so schallt es wieder hinein'.»

»Umgedreht ist es richtig!«

»Nein. Dat muß ich verstehen. Ich meine nämlich: Er will ihm in unserm Walde verjraben, jut, so verjraben wir ihm in den seinigen, nämlich den Jötzenonkel.«

Methusalem machte ein froh erstauntes Gesicht und rief:

»Alle Wetter! Gottfried, du hast's, du hast's wirklich!«

»Nicht wahr! Jottfried hat ihm allemal! Auf diese Weise kommt unser Freund hier in keine Jefahr. Der jetreue Nachbar und desgleichen macht Anzeije, die Polizei kommt und jräbt hier nach, findet aber nichts. Während sie mit die lange Nase da steht, machen nun wir Anzeije. Man jräbt beim juten Heinrich drüben und findet nun die Jöttlichkeit in seinem eijenen Jarten. Was weiter?«

»Weiter nichts, weiter gar nichts! Das ist genug. Das bringt erstens Rettung und ist zweitens ein Streich, so recht nach meinem Herzen.«

»Nach dat meinige auch. Und dat beste dabei ist, daß wir keinen Menschen und auch keinen Mandarin brauchen. Auch kommen wir selbst gar nicht in Betracht, weder als Zeujen noch als Gejenzeujen mit Pflichteid und jutes Jewissen. Wir handeln hinter die Kulissen und sehen von unserm Olymp herab jemütlich zu, wat die Menschen für riesije Dummheiten machen. Teilen Sie dem Manne diese meine Ansicht mit. Ich bin der Mann, der ihm jeholfen hat.«

»Ja, der bist du, denn ich glaube nicht, daß ich auf diesen prächtigen Gedanken, welcher wohl nicht allzuschwer auszuführen sein wird, gekommen wäre!«

»Ist auch kein Wunder, wenn der Methusalem nun mal altersschwach wird und wackelig auf seine Jeisteskraft. Fragen Sie nur immer mir, wenn Sie mal nicht vorwärts kommen können! Ich habe immer denjenigen Rat, welcher jut ist, leider aber es doch nicht zum Jeheimerat bringen wird.«

Methusalem teilte dem Chinesen mit, welchen Vorschlag Gottfried ihm gemacht hatte. Der Juwelier faßte sich wieder bedenklich am Zopfe.

»Das ist auch sehr gefährlich!« sagte er.

»Aber das einzige, was Sie thun können.«

»Meinen Sie, daß es gelingen werde?«

»Das kommt auf die Lage der Gärten an. Wing-kan hat doch wohl auch einen?«

»Ja. Er ist genau so groß wie der meinige.«

»Sie stoßen aneinander?«

»Ja.«

»Wodurch werden sie getrennt?«

»Durch eine Mauer.«

»Ist diese zu übersteigen?«

»Ja.«

»So ist Ihnen geholfen. Sie warten, bis die Figur bei Ihnen eingegraben worden ist und nehmen sie dann schnell wieder heraus, um sie beim Nachbar zu vergraben.«

»Aber wenn man mich dabei erwischt!«

»Das dürfen Sie eben nicht geschehen lassen. Sie müssen vorsichtig verfahren. Wing-kan hat keine Ahnung davon, daß Sie von der Sache wissen. Er wird also noch viel weniger ahnen, daß Sie ihm den Gott hinüberschaffen.«

»Aber dazu bin ich allein zu schwach.«

»Sie haben ja Hände, welche Ihnen helfen werden.«

»Wessen Hände sollen das sein? In ein solches Geheimnis darf ich keinen meiner Leute ziehen.«

»Das ist auch gar nicht nötig. Sie haben doch uns.«

»Sie? Wollten Sie mir helfen? Ja das wäre gut! Dann wollte ich es wagen!«

»Natürlich helfen wir Ihnen, und zwar sehr gern.«

»Wie dankbar werde ich Ihnen dafür sein! Aber da müssen Sie gleich bei mir bleiben.«

»Warum das?«

»Später können Sie nicht zu mir.«

»O doch. Man mag immerhin die Gasse verschließen. Wir wohnen ja in derselben.«

»In dieser Gasse? Wo da? Bei wem?«

»Nebenan beim Tong-tschi.«

Jetzt machte der Juwelier ein ganz neues Gesicht. Aus lauter Ueberraschung hatte er sie gar nicht mit der vorgeschriebenen Höflichkeit empfangen. Und dann war er allzusehr mit seiner Angst beschäftigt gewesen, als daß er hätte darüber nachdenken können, ob er vornehme oder gewöhnliche Leute vor sich habe.

»Beim Tong-tschi?« fragte er. »Sind Sie etwa die Fremden, welche ihn errettet haben?«

»Hm! Was wissen Sie von dieser Angelegenheit?«

»Er ist ein sehr hoher und reicher Mandarin und ich bin nur ein Kaufmann. Mein Weib ist sogar die Tochter eines Bettlerkönigs. Dennoch steigt die Frau des Tong-tschi zuweilen drüben in ihrem Garten auf die Stufen, um sich mit der meinigen zu unterhalten. Da wissen wir, daß der Tong-tschi kürzlich viel länger fortgeblieben ist, als er gesagt hatte. Seine Frau war voller Sorge. Sie befürchtete, es sei ihm ein Unglück geschehen. In diesen Tagen nun hat sie meinem Weibe im Vertrauen erzählt, daß ihr Mann wieder zurück sei; er habe sich in einer entsetzlichen Gefahr befunden, sei aber von fünf oder sechs fremden Männern, welche nicht aus China sind, errettet worden. Sie hat dabei gesagt, daß diese Fremden eingeladen seien und als Gäste zum Tong-tschi kommen würden.«

»Weiter wissen Sie nichts?«

»Nein.«

»Auch nicht, welcher Art die Gefahr gewesen ist, in welcher der Mandarin sich befunden hat?«

»Nein.«

»So schweigen Sie darüber gegen jedermann, sonst könnten Sie den Tong-tschi sich leicht zum Feinde machen!«

»Ich werde schweigen. Aber darf ich wohl erfahren, ob Sie diese fremden Herren sind?«

»Ja, wir sind es.«

Da verneigte er sich bis zum Boden herab und sagte:

»Dann bin ich ganz unwürdig der hohen Ehre, welche Sie mir erweisen. Fremde Herren, welche dieser Mandarin zu sich ladet, müssen in ihrem Lande die höchsten Stellen begleiten. Ich bin viel zu gering, als daß ich Ihnen in das Angesicht blicken darf. Und nun sind Sie gekommen, mich über die mir drohende Gefahr zu benachrichtigen! Nehmen Sie mein Geld, mein Leben, alles, was mir gehört; es ist Ihr Eigentum!«

»Es freut mich, daß Sie ein dankbares Herz besitzen. Ich glaubte, daß Sie ein ehrlicher Mann seien, und darum bin ich gern gekommen, Sie zu retten. Und was ich einmal anfange, das pflege ich auch zu vollenden. Wir werden Ihnen helfen, den Gott in Wing-kans Garten zu vergraben. Haben Sie dazu die nötigen Werkzeuge?«

»Ja.«

»Sie sagen, daß die beiden Frauen zuweilen miteinander sprechen. Ich vermute also, daß Ihr Garten auch an denjenigen des Mandarins stößt?«

»Ja, nur ist der letztere viel, viel größer und prächtiger als der meinige.«

»So ist uns die Sache ja möglichst leicht gemacht. Wollen Sie uns einmal Ihren Garten zeigen, aber so, daß niemand uns bemerkt!«

»Da brauchen wir nur nebenan zu gehen. Wir können durch das Fenster hinausblicken.«

Er führte sie in eine Nebenstube, welche zwei Fenster hatte. Anstatt der Glastafeln war eine sehr feine Gaze eingezogen. Er öffnete eins derselben. Man hatte gleich den Garten vor sich.

Er war klein, auf chinesische Weise angelegt. Zwergbäume, blühende Sträucher, Taxus- und Buchsbaumwände, über welche Kronen emporragten, welche in Tierformen gezogen waren. Rechter Hand lag der Garten seines Feindes, ganz in derselben Weise angelegt und gepflegt. Die Trennungsmauer war nicht ganz mannshoch.

Zur linken Hand lag der Garten des Mandarinen, welcher allerdings auch nur so tief wie die beiden anderen war, aber desto breiter sein mußte. Hinter diesen Gärten schien ein Pfad vorüber zu führen. Das war jedenfalls der Weg, auf welchem der Dieb die Figur bringen wollte.

»Prächtig!« sagte der Methusalem. »Die Gärten liegen für unsere Absicht außerordentlich bequem. Wir steigen über die Mauer des Mandarinen und befinden uns dann in Ihrem Garten. Das übrige wird sich dann finden.«

»Das wollen Sie wirklich thun?« fragte Hu-tsin.

»Sogar sehr gern.«

»So weiß ich nicht, wie ich Ihnen dankbar sein soll! Ich bin viel zu gering nur der Ehre, daß Sie mein niedriges Haus betreten haben, und nun wollen Sie gar - - - «

»Still!« unterbrach ihn der Blaurote. »Sie sind ein braver Mann, welchem wir gerne helfen. Auch halten wir es für unsere Pflicht, ein Verbrechen zu verhüten, welches wir verhüten können.«

»So darf ich also wirklich auf Ihre Mithilfe rechnen?«

»Ganz bestimmt.«

»Wann werden Sie kommen?«

»Mit Beginn des Siüt, wenn es so dunkel geworden ist, daß man es nicht sehen kann, wenn wir über die Mauer steigen.«

»Bringen Sie auch die anderen hohen Herren mit?«

»Nein, je weniger Personen eingeweiht sind, desto besser ist es.«

»Aber wenn wir ihrer bedürfen? Wenn wir drei nicht allein fertig werden können? Ich darf von meinen Leuten keinen ins Vertrauen ziehen.«

»In diesem Falle ist es mir nicht schwer, noch einen meiner Gefährten zu holen. Diese werden mich jetzt vermissen. Wir wollen gehen.«

»Ist der Tong-tschi daheim?«

»Nein, er ist ausgegangen, wird aber noch vor Abend wiederkommen, da dann die Thore der Straßen geschlossen werden.«

»Danach braucht er sich nicht zu richten. Er kann auch des Nachts gehen und kommen, wie und wenn es beliebt. Ihm werden alle Pei-lu geöffnet.«

Pei-lu heißen die triumphbogenartigen Bauwerke, welche die Straßen abschließen und zu diesem Zwecke mit Pforten versehen sind. Außer diesem Zwecke haben sie noch einen andern. Sie dienen nämlich als Denkmale der Verdienste derjenigen Personen, zu deren Andenken sie errichtet worden sind.

Wenn ein Beamter oder ein Bürger viel für das Land, die Provinz oder die Stadt gethan hat, so wird ihm ein solcher Pei- lu errichtet, welcher seinen Namen trägt und in weithin sichtbaren Zeichen eine Aufzählung der Tugenden des Betreffenden enthält.

Nicht nur Verstorbene erhalten solche Denkmäler, sondern es kommt auch vor, daß Lebenden welche gesetzt werden. Diese müssen dann die Kosten bezahlen, wodurch aber die Ehre, welche ihnen erwiesen wird, keinerlei Schmälerung erleidet.

Die beiden Deutschen verabschiedeten sich von dem Chinesen. Er begleitete sie unter unaufhörlichen Bücklingen bis vor seine Ladenthür und machte es ihnen da nochmals bemerklich, daß er ganz sicher auf ihre Hilfe rechne, ohne welche er auf keine Rettung rechnen könne.

Zu Hause angekommen, begaben sie sich nach Methusalems Zimmer.

»Sollen die anderen wirklich nichts davon erfahren?« fragte Gottfried.

»Nein, jetzt noch nicht.«

»Aber ihre Hilfe würde uns unter Umständen dienlich sein.«

»Unter Umständen, ja. Aber wir wollen Iieber warten, bis diese Umstände eintreten.«

»Wollen wir nicht wenigstens unsern Richard mitnehmen?«

»Auch ihn nicht. Zu ihm habe ich noch eher Vertrauen als zu den andern. Er ist über seine Jahre hinaus vorsichtig und bedächtig. Das haben wir auf der Dschunke erfahren, wo wir ohne sein schnelles, besonnenes und tapferes Handeln ermordet worden wären. Aber er ist mir von seiner Mutter anvertraut worden; er ist halb noch Knabe, und ich bin verantwortlich für alles, was mit ihm geschieht. Ich mag ihn nicht unnötigerweise an einer Gefahr teilnehmen lassen.«

»Halten Sie die Sache für gefährlich?«

»Nein, aber unter Umständen kann sie es doch werden. Gehe jetzt und suche die anderen auf. Sie werden nach mir fragen. Dann sage ihnen, daß ich ungestört sein wolle, weil ich die Absicht habe, meine Notizen einzuschreiben. Später kommst du zurück. In einer Viertelstunde wird es dunkel.«

Der Gottfried ging. Bald nachher kam ein Diener, um die von der Decke herabhängende Laterne anzuzünden und sich zu erkundigen, ob der »ganz Vornehme und sehr Alte« irgend einen Befehl auszusprechen habe.

»Nein, ich danke!« antwortete der Student. »Aber sage mir, ob es erlaubt ist, in den Garten zu gehen?«

»Des Morgens nicht, weil zu dieser Zeit die 'Blume des Hauses' draußen lustwandelt.«

»Aber jetzt?«

»Ja. Wünscht mein Gebieter hinauszugehen?«

»In kurzer Zeit. Ich bin ein Yuet-tse1) und wünsche, ungestört nachdenken zu können.«

»Ich werde den Schöpfer des Gedichtes bis an die Pforte führen und dort auf seine Rückkehr warten. Vielleicht hat er mir während seines Spazierganges einen Befehl zu erteilen.«

»Nein, denn mein eigener Diener wird mich begleiten und dir meinen Wunsch mitteilen, wenn ich einen solchen haben sollte. Ich wünsche, ganz ungestört zu sein.«

Der Mann verbeugte sich und ging. Kurze Zeit später kam Gottfried zurück.

»Wo befinden sich die anderen?« fragte Methusalem.

»In Turnersticks Zimmer, wo sie Thee trinken, Pfeife rauchen und Domino spielen. Habe nicht jewußt, daß diese Chinesigen auch dat Domino kennen.«

»Sie spielen es sogar sehr gern, doch sind die Steine und Ziffern anders arrangiert als bei uns. Horch!«

Von der Straße her ertönte der Schall der Gongs, welche von den Wächtern geschlagen wurden, und dazwischen hörte man den Ruf: »Siüt-schi, siüt-schi!« Es war nach abendländischer Rechnung abends sieben Uhr, nach chinesischer aber begann die elfte Stunde.

»Jetzt wird es Zeit,« sagte Degenfeld. »Hast du dein Messer?«

»Ja. Wer soll meuchlings erstochen werden?«

»Niemand, doch ist es möglich, daß wir es brauchen. Auch die Revolver habe ich bei mir.«

»Bin ebenso damit versehen. Fühle mir überhaupt als Raubritter, der im Begriffe steht, mit verhängten Zügeln zum Burgthore hinauszusprengen. Bin wirklich neubegierig, wie dat Abenteuer enden wird.«

»Hoffentlich gut. Komm!«

Draußen stand ihrer wartend der Diener. Er führte sie bis an die Gartenpforte und zog sich dann zurück. Es war schnell dunkel geworden. Man hätte einen Menschen auf acht Schritte nicht zu sehen vermocht, und binnen zehn Minuten mußte es noch dunkler werden.

»Jetzt wird der Jott jestohlen,« flüsterte Gottfried.

»Ja, jetzt ist die Zeit. Hoffentlich gelingt der Diebstahl.«

»Schöner Wunsch!«

»Aber gerechtfertigt. Wenn der Raub nicht gelingt, sind wir morgen wieder gezwungen, herauszuschleichen, was aber schwieriger sein dürfte, da dann der Tong-tschi gewiß daheim sein wird. Komm zur Mauer!«

Sie huschten geräuschlos nach derselben hin und blieben zunächst lauschend stehen. Es war jenseits kein Geräusch zu hören.

»Jetzt hinüber, aber ja ganz leise!« raunte Degenfeld dem Wichsier zu.

Sie schwangen sich hinauf und ließen sich drüben langsam wieder hinab. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, so tauchte eine dunkle Gestalt neben ihnen auf.

»Hu-tsin?« fragte der Student flüsternd.

»Ich bin der ganz Armselige!« antwortete der Gefragte ebenso leise.

»Wie lange sind Sie hier?«

»Seit kurzem erst.«

»Sind Sie einmal rundum gegangen?«

»Nein. Ich dachte, Wing-kan könne drüben hinter der Mauer stehen und lauschen. Er darf doch nicht wissen, daß ich da bin.«

»Recht so! Und die Werkzeuge?«

»Liegen hier neben mir. Was thun wir jetzt, hoher Gebieter?«

»Ihr beide steckt euch hinter diese Taxushecke. Es ist möglich, daß Wing-kan herüberkommt und sich überzeugt, daß niemand hier im Garten ist. Er wird das sogar sehr wahrscheinlich thun. Ich will einmal rekognoszieren und kehre bald zurück.«

Er zog seine Stiefel aus und schlich sich fort. Schritt für Schritt gehend, suchte er die Finsternis mit den Augen zu durchdringen. Zwei Seiten des Gartens schritt er ab, ohne etwas Auffälliges zu bemerken. Die dritte Seite bildete die Mauer, welche den Garten des einen Juweliers von demjenigen des andern trennte. Indem er da langsam vorwärts ging, stieß sein Fuß, glücklicherweise nur daran streichend, an etwas Hartes, was da am Boden lag. Er bückte sich nieder, um den Gegenstand zu befühlen. Es waren eine Hacke, ein Spaten und eine Schaufel, die da auf- und nebeneinander lagen.

Diese Werkzeuge waren jedenfalls von Wing-kan herübergeschafft worden; es war gar nicht anders möglich. Vielleicht war er noch in der Nähe.

Degenfeld duckte sich nieder und lauschte. Er strengte seine Augen möglichst an, konnte aber weder etwas hören noch etwas sehen.

Er bewegte sich, zur Erde niedergebückt, noch einige Schritte weiter, und da sah er eine Gestalt an einem Baume lehnen, kaum vier Schritte von sich entfernt. Hätte er nicht diese gebückte Haltung eingenommen gehabt, so wäre er von dem Manne unbedingt bemerkt worden.

Schnell bog er zur Seite und setzte sich da hinter einen Buchsbaumrand nieder, um zu erwarten, was da kommen werde. Die Hauptsache war jetzt, daß Gottfried und Hu-tsin an ihrem Platze blieben und ja nicht auf den Gedanken kamen, ihr Versteck zu verlassen.

Glücklicherweise dauerte es nicht lange, so hörte man von draußen Schritte. Es kamen mehrere Männer, schnell laufend. Sie hielten jenseits der Mauer an. Man hörte an ihrem lauten Atem, daß sie ihre Lungen sehr angestrengt hatten. Die dunkle Gestalt verließ den Baum und huschte nach der Außenmauer hin. Degenfeld folgte, aber selbstverständlich mit größter Vorsicht, um ja kein Geräusch zu verursachen.

»Scht!« ertönte es von draußen.

»Scht!« antwortete es von innen.

»Ist der hohe Herr da?«

»Ja. Hast du ihn?«

»Sogar zwei!«

»Zwei? Einer war genug.«

»Es ging so leicht; da nahmen wir gleich zwei.«


1) : Dichter, wörtlich "Sohn des Mondes".


(Fortsetzung folgt.)



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