Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 36, Seite 561
Reprint Seite 208


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

»Ich habe es!« sagte er. »Die janze Jeschichte liegt hell und klar vor meine jeistige Fähigkeiten; nur mit die Sänftenträger weiß ich noch nicht, woher sie nehmen.«

»Nun, schieß los!«

»Soll jeschehen. Sie wissen wohl, daß ich länger bin als Sie?«

»Natürlich! Was soll diese Frage?«

»Stören Sie mir nicht in meinem Zirkel! Auch werden Sie bemerkt haben, daß Sie dicker sind als ich?«

»Zu meiner Kenntnis ist auch das gekommen, ja.«

»Und wat sagen Sie nun von die Jestalt unseres heutigen Wirtes?«

»Wieso? In welcher Beziehung meinst du das?«

»In Beziehung der seinigen Jestalt auf die unserige Figur.«

»Nun, er ist nicht ganz so beleibt wie ich und auch nicht ganz so lang wie du.«

»Janz recht! Er steht so mitten inne. Darum jebe ich mir der Ueberzeugung hin, daß seine Anzüge uns beiden so leidlich passen würden, wenigstens für des Nachts.«

»Möglich, sogar wahrscheinlich. Aber denkst du etwa, daß er sie uns leihen würde?«

»Warum nicht?«

»Nein. Er mag von der Sache persönlich nichts wissen.«

»Aberst fragen können Sie ihn doch! Und sollte er sie nicht herjeben wollen, nun, so schafft unser Jottfried Rat.«

»Wieso?«

»Ich mause sie, oder 'ek muise zij', wie der Mijnheer sagen würde.«

»Gottfried, wie lautet das siebente Gebot?«

»Weiß schon: Du sollst nicht stehlen! Doch will ich dat auch jar nicht. Er soll seine Habitussens zurück erhalten. Und diese Medailljens, welche wir brauchen, werden 'ook gemuist', wenn wir sie nicht anders bekommen können.«

»Gottfried, Gottfried!«

»Methusalem, Methusalem! Wenn Sie wat bessers wissen, so sagen Sie es! Sie können nur als Mandarin und mit einem Zeichen versehen sich Eingang verschaffen. Ueberlejen Sie sich den Schlafrock; ich werde Ihnen nicht dabei stören.«

Er ging fort, um seinen Spaziergang wieder aufzunehmen, und kehrte erst nach längerer Zeit zurück, um zu fragen:

»Nun, haben Sie einen andern Weg entdeckt?«

»Nein.«

»So muß es bei dem meinigen bleiben.«

»Das fällt mir schwer. Sollen wir das Vertrauen des Tong- tschi in dieser Weise täuschen? Denn was wir ihm heimlich nehmen, können wir ihm dann nicht wieder zustellen.«

»Warum denn nicht?«

»Weil wir keine Zeit dazu haben und die Sachen auch keinem Boten anvertrauen dürfen.«

»Hm! Dann wären sie allerdings jestohlen, und ein Spitzbube ist der Jottfried nie jewesen. Hier, grad hier sitzt der Hase, über den ich nicht jern stolpern möchte. Denken wir also weiter nach!«

Aber das Grübeln war umsonst. Degenfeld sah ein, daß er vor allen Dingen hören müsse, welchen Vorschlag ihm der Tong-tschi machen werde. Dieser hatte ihm ja einen guten Rat versprochen.

Aber der Nachmittag verging, ohne daß der Mandarin sich sehen ließ. Es wurde Abend und man rief die drei zum Mahle in das Haus. Es war für sie allein gedeckt. Degenfeld fragte den servierenden Diener nach seinem Herrn und hörte, daß derselbe Besuch empfangen habe.

»Es ist der Ho-po-so, welcher mit ihm in seinem Zimmer speist,« fügte der redselige Mann hinzu.

»Der Ho-po-so? Wann ist er gekommen?«

»Vor einer halben Zeit.«

Eine halbe Zeit ist gerade eine Stunde. Also schon so lange war er da! Er aß mit dem Tong-tschi, ohne sich vor den Gästen sehen zu lassen, welche zu begrüßen er gekommen war! Das war sonderbar.

Später hörte Degenfeld die Schritte mehrerer Leute, welche draußen am Speisezimmer vorübergingen. Dann erfuhr er, daß der Ho-po-so sich entfernt habe.

»Das ist beleidigend,« sagte er zu Gottfried. »Wir haben ihn von der Piratendschunke geholt; er verdankt uns nicht nur das Leben, sondern auch die Ehre und Reputation; er hat auch dem Tong-tschi gesagt, daß er morgen oder sogar schon heut kommen wolle, um uns zu sehen, und nun er da ist, sucht er uns nicht auf und entfernt sich wieder, ohne uns sein mongolisches Angesicht gezeigt zu haben. Was soll man davon denken!«

»Wat ich denken soll, dat weiß ich.«

»Nun, was?«

»Der Tong-tschi wird erzählt haben, wat jeschehen ist, und nun mag dieser liebe Hafen- und Flußmeister nichts von uns wissen. Als er sich in Jefahr befand, waren wir ihm willkommen; nun aber wir uns in Jefahr befinden, beeilt er sich, heiler Haut nach Hause zu gehen. Dat ist so der Lauf der Welt und die Jepflogenheit des Menschenjeschlechtes.«

»Aber feig und undankbar!«

»Wat mir betrifft, so bin ich nicht zu den Chinesigen jekommen, um Mut und Dankbarkeit bei sie zu suchen. Meinetwegen mag dieser Ho-po-so sich - - - «

Er hielt inne, denn der Tong-tschi trat ein, grüßte sehr freundlich und erkundigte sich, wie sie bedient worden seien. Der Methusalem antwortete anerkennend und war dann ziemlich erstaunt, als der Wirt ihm sagte, daß der Ho-po-so dagewesen und soeben fortgegangen sei. Er hatte erwartet, daß er diesen Besuch verheimlichen werde, um seine Gäste nicht zu kränken.

»War er nicht gekommen, uns zu begrüßen?« konnte der Student sich doch nicht enthalten, zu fragen.

»Ja,« antwortete der Mandarin ganz unbefangen. »Er hatte sich sehr darauf gefreut, Sie zu sehen.«

»So kommt er wieder?«

»Nein.«

»Dann ist es mir unbegreiflich, daß er gegangen ist, ohne sich sehen zu lassen!«

»Es fiel ihm plötzlich ein, daß er etwas sehr Wichtiges vergessen hatte; darum mußte er sich beeilen und hat mich gebeten, ihn zu entschuldigen.«

»Dessen bedarf es nicht. Wir dürfen ja nicht so unbescheiden sein, ihn von wichtigen Dingen abzuhalten.«

Ueber das Gesicht des Tong-tschi glitt ein feines Lächeln. Er wußte gar wohl, wie Degenfeld seine Worte meinte, that aber gar nicht so, als ob er ihn verstehe. Er setzte sich zu den dreien an den Tisch, verlangte Pfeifen und gab, als diese brannten, dem Diener den Befehl, sich zurückzuziehen und jede Störung fern zu halten.

Nach dieser Einleitung wollte der Methusalem vermuten, daß der Mandarin nun von den Gefangenen sprechen und vielleicht einen guten Rat zum Vorschein bringen werde. Dem war aber nicht so, denn der Chinese begann wieder von dem Ho-po-so zu sprechen. Er sagte:

»Dieser Mandarin hat über den Hafen von Kuang-tschéu-fu und alle Flüsse des Landes zu gebieten. Es darf ohne seine Erlaubnis kein Schiff kommen oder gehen. Vorhin nun besann er sich darauf, daß der Kapitän eines Ts'ien-kiok um die Genehmigung nachgesucht habe, abzusegeln. Der Ho-po-so hatte das vergessen, und da das Schiff morgen schon weit von hier sein muß, so eilte er fort, um das Versäumte nachzuholen.«

Ts'ien-kiok heißt wörtlich: Tausendfuß. So werden die leicht gebauten Kriegsdschunken genannt, welche besonders die Flüsse des Binnenlandes und Kanäle befahren. Sie werden außer von den Segeln auch durch eine Menge von langen Rudern fortgetrieben, welche zu beiden Seiten des Fahrzeuges in das Wasser greifen. Die schnelle Bewegung und große Anzahl dieser Ruder ist der Grund, daß man diese Fahrzeuge oft Tausendfüße nennen hört.

Was aber hatte so ein Schiff heute abend für eine Wichtigkeit? Warum sprach der Tong-tschi von demselben, wo man von ihm ganz anderes erwartet hatte?

»Haben Sie schon einmal so einen Ts'ien-kiok rudern sehen?« fragte er in einem Tone, als ob dieser Gesprächsgegenstand der vorzüglichste sei, den es nur geben könne.

»Nein,« antwortete der Methusalem kurz.

»Sie werden es noch sehen und sich über die Schnelligkeit wundern, mit welcher es in kurzer Zeit große Strecken zurücklegt.«

»Später! Heut aber habe ich an ganz anderes zu denken!«

»O, warum wollen Sie nicht auch einmal von einem Tausendfuße sprechen oder hören? Er wird zwei Stunden nach Mitternacht abgehen, kann aber auch vorher bereit dazu sein. «

»So!« dehnte Degenfeld.

»Er muß nämlich noch in dieser Nacht fort, um einen Yao-tschang-ti1) nach Schü-juan zu bringen.«

»Wohnen dort viele Leute, welche die Steuern schlecht bezahlen?« fragte der Student, um nur etwas zu sagen.

»Ja. Aber wissen Sie, wo Schü-juan liegt?«

»Nein.«

»Es liegt jenseits hoch oben am Pe-kiang, wenn man nach Schao-tschéu fährt.«

Jetzt wurde der Methusalem aufmerksam, denn die letztgenannte Stadt lag auf der Route, welche er einschlagen wollte. Warum erwähnte der Mandarin sie? Hatte er doch einen Grund, von dem Tausendfuße zu sprechen?

»Dieses Schiff,« fuhr er fort, indem er mit den kleinen Augen blinzelte, »ist das schnellste, welches ich kenne. Wenn es heute zwei Stunden nach Mitternacht fortfährt, wird es übermorgen noch vor Mittag den Pe-kiang erreichen, wozu ein anderes Schiff zwei volle Tage braucht. Es legt bis dorthin nicht am Ufer an und würde für denjenigen, welcher sehr schnell und rasch weit von hier entfernt sein will, eine vortreffliche Gelegenheit bieten.«

Es war klar, er sagte das nicht ohne eine gewisse Absicht. Sollte das etwa der Rat sein, den er hatte geben wollen? Wollte er als Beamter ihn nicht direkt erteilen, sondern ihn erraten lassen? Dies war immerhin anzunehmen, und darum fragte der Methusalem:

»Nimmt denn ein Kriegsschiff auch Passagiere mit?«

»Ja, wenn sie dem Kapitän empfohlen sind.«

»Auch Fremde?«

»Jeden, der eine Empfehlung besitzt.«

»Und muß dieselbe eine schriftliche sein?«

»Ja. Noch besser aber ist es, wenn derselben eine mündliche vorangegangen ist. Aber wer einen Paß besitzt, wie zum Beispiel ich Ihnen ausgestellt habe, bedarf dessen gar nicht. Besitzt er aber außer demselben auch noch eine schriftliche und mündliche Empfehlung, so kann er auf dem Tausendfuße schalten und walten, als ob derselbe sein Eigentum sei.«

»Das würde der Kapitän sich nicht gefallen lassen!«

»Oh, was ist der Kapitän einer Flußdschunke! Nichts, gar nichts! Sie wissen ja, daß China gar keine Seeoffiziere besitzt. Sie existieren nur dem Namen nach. Ein Soldat wird zu Lande oder zu Wasser verwendet, ganz wie es seinem Vorgesetzten beliebt. Landoffiziere kommandieren auf Dschunken, und Seeoffiziere befehligen Landabteilungen, und dabei verstehen sie keins von beiden. Ich bin Chinese, aber ich kenne unsere Mängel und weiß recht gut, weshalb wir in jedem Kriege, den wir mit den Fremden führen, geschlagen werden und geschlagen werden müssen. Der Kapitän dieses Tausendfußes ist ein gewöhnlicher Scheu-yü-tsiang-tsung, auch Scheu-pi2) genannt, dem kaum seine Soldaten gehorchen. Die eigentliche Führung des Schiffes fällt, wie auch bei den Handelsdschunken, dem Ho-tschang zu.«

»Und hat der Yao-tschang-ti etwas zu befehlen?«

»Der Steuereintreiber? Diese Leute treten überall befehlend auf und gebärden sich, als ob sie hohe Mandarinen seien; aber sie haben nur Macht über die säumigen Steuerzahler, sonst über keinen Menschen. Sie brüllen einen jeden an, kriechen aber in dem Staube, wenn er sie noch lauter anschreit.«

»Dann muß eine Segel- und Ruderfahrt mit solchen Leuten sehr interessant sein.«

»Das ist sie gewiß. Vielleicht haben Sie bald Gelegenheit, eine solche Fahrt zu unternehmen, da Sie ja auch den Pe-kiang hinauf wollen.«

»Woher wissen Sie das? Ich erinnere mich nicht, es Ihnen gesagt zu haben.«

»Ihr Liang-ssi sprach davon, als ich ihn heute früh zufällig im Garten traf.«

»So hat er Ihnen auch gesagt, weshalb ich diese Richtung einschlage?«

»Nein. Er teilte mir nur mit, daß Sie hinauf nach Schao-tschéu wollen.«

»Ist Ihnen der Kapitän des Tausendfußes bekannt?«

»Ja. Der Ho-po-so hat mir seinen Namen genannt.«

»Und wohl auch der Steuereintreiber?«

»Auch dieser. Ihn kenne ich persönlich. Er ist ein kleiner, dürrer Mann, dünkt sich aber ein Riese von Verstand und Würde zu sein. Er wird von allen ausgelacht, die keine Steuern schuldig sind. Es befinden sich auf diesem Tausendfuße einige Waren, welche ich holen lassen will.«

»Wann?«

»Nach Mitternacht.«

»Warum so spät und wenn alle Thore der Gassen verschlossen sind?«

Er blinzelte wieder sehr listig mit den Augen und antwortete:

»Weil - - nun, Ihnen kann ich es anvertrauen, weil es Waren sind, von denen niemand etwas wissen darf.«

»Dürfen die Träger denn durch die Gassen? Wird man ihnen die Thore öffnen?«

»Ganz gewiß, denn ich denke, es wird einer dabei sein, welcher einen guten Paß besitzt.«

»Und dieser Mann muß mit ihnen gehen?«

»Gehen? O nein! Ein Mann, welcher einen solchen Paß besitzt, darf nicht gehen. Er ist zu vornehm dazu. Auch muß ich die Waren in Sänften holen lassen, damit sie nicht von den Wächtern gesehen werden.«

Jetzt begann der Methusalem, zu begreifen. Um sich völlig zu überzeugen, ob er recht vermute, erkundigte er sich noch weiter:

»Wie viele Sänften werden Sie senden?«

»Eigentlich nur sechs. Aber es kommt noch eine Doppelsänfte dazu, um die Gewehre und Kleider aufzunehmen.«

»Welche Gewehre?«

»Diejenigen, welche ich von hier nach dem Tausendfuße sende. Für sie wäre eine einfache Sänfte nicht räumlich genug. Und dann bekomme ich von dem Schiffe aus Kleider zugeschickt. Es ist ein kleines, heimliches Geschäft, von welchem ich sehr wünsche, daß es gelingen möge.«

Jetzt wußte Degenfeld ganz genau, woran er war. Der Mandarin wollte ihm Kleider leihen, um sich unkenntlich machen zu können. In diesen Kleidern sollte er die Gefangenen befreien. Dann sollte er sich mit seinen Genossen nach dem Schiffe tragen lassen und die Kleider zurücksenden.

»Aber wird man nicht die Sänften und ihre Träger erkennen?« fragte der Student, um sich genau zu unterrichten.

»Nein, denn die Leute sind wie ganz gewöhnliche Kulis gekleidet, und ich habe auch dafür gesorgt, daß ganz einfache Palankins vorhanden sind.«

»Das ist ja ganz ausgezeichnet. Aber werden die Träger auch so klug sein, ohne anzuhalten nach dem Schiffe zu laufen?«

»Sie brauchen nur ein einzigesmal auszuruhen. Wo das geschehen soll, das hat der Mann mit dem Passe zu bestimmen. Auch habe ich es ihnen schon gesagt. Es ist nicht allzuweit von hier.«

»Sind es viele Kleider?«

»Nur zwei Mandarinenanzüge. Wollen Sie dieselben sehen?«

»Ich bitte, es zu dürfen.«

»So kommen Sie!«

Der Tong-tschi führte Degenfeld in eine Stube, welche für den letzteren nicht bequemer liegen konnte, denn sie stieß an die seinige. Da hingen zwei vollständige Anzüge nebst Mützen mit Knöpfen und Pfauenfedern, welche letztere ein Zeichen großer kaiserlicher Gewogenheit und Anerkennung sind. Nicht das Geringste fehlte. Selbst die Gegenstände, welche trotz ihrer Kleinheit eine so große Wichtigkeit besaßen, waren vorhanden, denn der Mandarin griff in die Aermel, welche in China bekanntlich als Taschen benutzt werden, und zog zwei Medaillen hervor, welche er dem Methusalem zeigte, um sie dann wieder zurückzustecken. Dabei sagte er lächelnd:

»Diese Kleider und Münzen sind nämlich für zwei gute Freunde bestimmt, welche einmal versuchen wollen, wie man sich als Mandarin fühlt. Es ist nur ein Scherz, und sie werden mir diese Gegenstände alle sofort zurücksenden, damit mir später nichts davon fehle, denn über diese Münzen habe ich Rechenschaft abzulegen.«

»Wann werden sich diese Freunde ankleiden?«

»Kurz bevor sie gehen. Sie nehmen ihre eigenen Anzüge in der Doppelsänfte mit, um sie dann, bevor sie das Schiff erreichen, wieder zu vertauschen.«

Das war alles genau so arrangiert, als ob der Gottfried dem Mandarin seine Gedanken und Pläne mitgeteilt hätte. Nur handelte es sich darum, die Gefährten glücklich aus dem Gefängnisse und in die Sänften zu bringen. Das war freilich die Hauptsache, zu deren Gelingen aber der Tong-tschi nichts beitragen konnte, wenigstens nicht direkt.

Indirekt aber that er sein möglichstes. Denn als er nun mit Degenfeld in das Speisezimmer zurückgekehrt war, brachte er das Gespräch auf die Gefangenen und beschrieb bei dieser Gelegenheit das Gefängnis so genau und eingehend, daß der Methusalem schließlich auf das allerbeste orientiert war.

Ungefähr eine Stunde vor Mitternacht brach er auf. Er sagte, daß er heute noch einige Stunden zu arbeiten habe und auch auf die Rücksendung der Kleider und Münzen warten müsse. Er schüttelte den dreien die Hände auf das herzlichste, that ganz so, als ob er nur für diese Nacht Abschied von ihnen nehme, drehte sich aber unter der Thür noch einmal um und sagte in gerührtem Tone:

»I lu fu sing!«

Als er dann fort war, schüttelte Gottfried den Kopf und sagte:

»Jetzt weiß ich nicht, ob ich ihn recht verstanden habe. Es ist mich janz so, als ob er jelauscht hätte, als wir unten im Garten miteinander sprachen.«

»Das kann nicht geschehen sein, weil der Ho-po-so bei ihm war.«

»Dann ist mich diese Jeschichte ein noch viel jrößeres Rätsel. Was hatten denn seine letzten Worte zu bedeuten?«

»Möge euch das Glück auf eurer Reise begleiten!«

»So hat er gesagt? Donner und Doria, dann ist es richtig! Dann habe ich ihm verstanden! Wir sollen auf das Schiff. Oder nicht?«

»Ja.«

»Und wat war's mit die Kleidage?«

»Kommt! Ich will es euch zeigen.«

Er führte die beiden in die erwähnte Stube. Als Gottfried die Anzüge erblickte, sagte er:

»Da ist ja jeder Wunsch erfüllt. Dieser Tong-tschi muß heut mal allwissend jewesen sein. Ich könnte ihn küssen oder ihm ein Morjenständchen off meine Oboe bringen. Nur die Zöpfe fehlen.«

»Brauchen wir nicht, denn wir haben da nicht gewöhnliche Mützen, sondern Regenhüte mit Kaputzen. Er hat eben alles überlegt.«

»Wie soll denn dat allens werden?«

»Das wirst du nachher erfahren. Jetzt will ich einmal sehen, wie es im Hause steht, wer noch wach und munter ist und wo sich die Sänften befinden.«

Im Stockwerke brannte nur eine einzige einsame Lampe. Unten hing zwischen Vorder- und Hinterthür auch eine solche. Die erstere Thür war verschlossen; die zweite stand offen. Als Degenfeld hinaustrat, sah er die Sänften stehen. Ein Mann erhob sich vom Boden, trat nahe zu ihm heran, verbeugte sich und fragte:

»Wann befiehlt Ihre hohe Würde, daß wir aufbrechen?«

Der Sprecher war ganz einfach, wie ein Kuli gekleidet.

»Weißt du, wen ihr zu tragen habt?« fragte der Methusalem.

»Ja.«

»Auch wohin?«

»Auch das.«

»Nun, wohin?«

»Nach dem Schiffe.«

»Direkt?«

»Nein. Wir halten einmal. Zwei hohe Herren steigen aus; der jüngere Gebieter bleibt in seinem Palankin. Dann kommen die beiden Ehrwürdigen mit drei andern Achtungsgebietenden zurück; sie steigen ein, und der Weg wird fortgesetzt, bis wir in der Nähe des Schiffes halten, um die Umkleidung abzuwarten und sie dann auf das Deck des Tausendfußes zu bringen.«

»Du hast sehr genaue Befehle erhalten. Aber wo ist die Stelle, an welcher ihr zu halten habt?«

»In der Nähe des Gefängnisses steht die Thür eines Hauses offen, in dessen Hof wir warten werden.«

»Wem gehört dieses Haus?«

»Einem sehr ergebenen Diener unseres mächtigen Tong-tschi.«

»Gut! In kurzer Zeit werden wir aufbrechen. Haltet euch bereit!«

Degenfeld ging in seine Stube zurück, in welcher er den Gottfried instruierte. Als er mit seiner Weisung zu Ende war, kratzte sich der Wichsier hinter den Ohren und schmunzelte:

»Allens ist jut, allens, aberst ob es jelingen wird, dat müssen wir abwarten. Leicht ist es nicht. Es scheint mich vielmehr, als ob wir noch niemals ein so jroßes Wagnis unternommen hätten. Wenn es auch nicht den Kopf kostet, so kann doch der Kragen verloren jehen. Doch, frisch jewagt, ist halb ertrunken! Ein tapferer Ritter zaudert nicht. Machen wir uns also in die Jewänder und dann auf die Beine!«

Sie vertauschten ihre Kleider mit den beiden Anzügen, wobei Richard ihnen behilflich war. Dann mußte der letztere die Habseligkeiten der gefangenen Gefährten aus deren Stuben holen. Der Hund bekam seinen Tornister aufgeschnallt, und dann begaben sie sich hinab zu den Sänften.

Dort standen jetzt vierzehn Kulis, welche ihrer warteten. Degenfeld befahl ihnen, die Effekten herabzuholen und in die Doppelsänfte zu thun. Als dies geschehen war, stiegen die drei ein.

Es schien im ganzen Hause außer den Genannten kein Mensch anwesend oder wach zu sein, eine so tiefe Stille herrschte überall. Der Zug setzte sich in Bewegung. Die Thür wurde leise geöffnet und wieder verschlossen; dann ging es im Trabe die Gasse hinab.

Es war dem Methusalem keineswegs allzu behaglich zu Mute. Er stand vor einem Wagnisse, von welchem hundert gegen zehn zu wetten war, daß es übel ablaufen werde; er vertraute aber auf sein gutes Glück und sagte sich, daß sein Vorhaben zwar ein ziemlich leichtsinniges, aber doch nicht unbegründetes sei.

Die Straße war dunkel. Nur ganz vorn, wo sie durch einen Gitterbogen von der nächsten Gasse getrennt war, gab es eine Papierlaterne, bei welcher ein Wächter stand.

»Schui ni-meo - wer seid ihr?« fragte er, als die Träger Degenfelds, welcher in der vordersten Sänfte saß, bei der Pforte anhielten.


1) : Steuereintreiber, Exekutor.
2) : Beides heißt Hauptmann.


(Fortsetzung folgt.)



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