Die Sklavenkarawane.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", "Geist der Llano estakata", "Kong-Kheou, das Ehrenwort".


Heft 2
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(Fortsetzung.)

Die Sklavenkarawane - No. 2 Von etwas edlerem Charakter sind die Reitkamele, Hedschin genannt. Es gibt da Tiere, welche sehr teuer bezahlt werden. Man hat für ein graues Bischarihnhedschin zehntausend Mark bezahlen sehen. Der Sattel des Lastkamels ist ein dachförmiges Gestell mit erhöhten Giebeln, welche den vordern und hintern Sattelknopf bilden. Er wird Hauiah genannt. Dagegen heißt der Sattel des schlanken, hohen Hedschin Machlufah. Er ist so eingerichtet, daß der Reiter in eine bequeme Vertiefung zu sitzen kommt, so daß er die beiden Beine vor dem vordern Sattelknopfe auf dem Halse des Kamels kreuzt. Wenn der Reiter aufsteigt, muß das Ka=


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mel am Boden liegen. Kaum hat er mit der Hand den Sattel berührt, so schnellt das Kamel erst hinten und dann vorn empor, so daß der Mann erst nach vorn und dann wieder nach hinten geworfen wird. Er muß gut Balance halten, um nicht abgeschleudert zu werden.

Ist das Kamel dann einmal im Gange, so hat selbst das Lasttier einen so steten und ausgiebigen Schritt, daß man mit demselben verhältnismäßig große Strecken zurücklegt.

Die Beni Homr hatten genug zu thun, den Kamelen die Lasten wieder aufzuschnallen. Während das geschah, war der Fremde auf sein Hedschin gestiegen und langsam vorausgeritten. Er kannte zwar die Gegend nicht, wußte aber die Richtung, nach welcher er sich zu wenden hatte.

»Dieser Hund hat sich nicht bewegt, während wir beteten,« sagte der Schech. »Er hat weder die Hände gefaltet noch die Lippen bewegt. Möge er im tiefsten Loche der Dschehenna1) braten!«

»Warum hast du ihn nicht längst dahin geschickt!« brummte einer seiner Leute.

»Wenn du das nicht begreifst, so hat Allah dir kein Gehirn gegeben; hast du denn nicht die Waffen dieses Christen gesehen? Hast du nicht bemerkt, daß er mit jeder kleinen Pistole, deren er zwei hat, sechsmal schießen kann ohne zu laden? Und in seinen Flinten hat er vier Schüsse. Das macht zusammen sechzehn; wir aber sind nur fünf Personen.«

»So müssen wir ihn töten, während er schläft.«

»Nein, ich bin ein Krieger, aber kein Feigling. Ich töte keinen Schlafenden. Aber gegen sechzehn Kugeln können wir nichts machen, und darum habe ich Abu el Mot2) gesagt, daß wir heute den Bir Aslan erreichen werden. Dort mag er thun, was ihm gefällt, und wir werden mit ihm teilen.«

»Wenn es etwas gibt, was des Teilens wert ist! Was hat dieser Christ denn bei sich? Häute von Tieren und Vögeln, welche er ausstopfen will, Flaschen voller Schlangen, Molche und Skorpionen, mit denen Allah ihn braten möge! Ferner Blumen, Blätter und Gräser, welche er zwischen Papier zerquetscht. Ich glaube, er bekommt zuweilen den Besuch des Schetan3), den er mit diesen Dingen füttern will.«

»Und ich glaube, daß du wirklich den Verstand verloren hast. Oder hast du noch nie welchen gehabt! Warst du denn taub, als dieser Ungläubige uns erklärte, was er mit diesen Sachen machen will?«

»Ich kann das alles nicht gebrauchen, und also habe ich nicht acht gegeben, als er davon sprach.«

»Aber was eine Medresse4) ist, das weißt du?«

»Ja, ich habe davon gehört.«

»Nun, an so einer Medresse ist er Lehrer. Er unterrichtet von allen Pflanzen und Tieren der Erde und ist zu uns gekommen, um unsre Gewächse und Tiere mit heim zu nehmen und seinen Schülern zu zeigen. Auch will er große Kisten und Körbe voll davon seinem Sultan schenken, welcher besondere Häuser5) hat, in denen dergleichen Dinge aufbewahrt werden.«

»Was aber kann das uns nützen?«

»Sehr viel! Weit mehr als du denkst. Einem Sultan darf man doch nur kostbare Geschenke machen; also müssen die Tiere und Pflanzen, welche dieser Giaur6) bei uns geholt hat, in seinem Lande sehr hohen Wert besitzen. Siehst du das nicht ein?«

»Ja, Allah und du, ihr beide erleuchtet mich,« spottete der Mann.

»Ich habe darum daran gedacht, sie ihm abzunehmen und dann nach Chartum zu verkaufen. Man könnte dort einen guten Preis erzielen. Und hast du ferner nicht beobachtet, was er noch weiter bei sich hat?«

»Ja, eine ganze Ladung von Stoffen und Zeugen, Glasperlen und andern Gegenständen, mit denen man bei den Negern viel Elfenbein und viele Sklaven eintauschen könnte.«

»Und weiter!«

»Weiter weiß ich nichts.«

»Weil deine Augen verdunkelt sind. Sind seine Waffen, seine Ringe, seine Uhr nichts wert?«

»Sehr viel sogar. Und dann hat er ein Ledertäschchen unter seiner Weste. Ich sah, als er es einmal öffnete, große Papiere darin mit fremder Schrift und einem Stempel. Ich habe einmal in Chartum bei einem reichen Kaufmann so ein Papier gesehen, und da erfuhr ich, daß man sehr, sehr viel Geld bekommt, wenn man dieses Papier demjenigen gibt, dessen Namen darauf geschrieben steht. Diese Papiere werde ich bei der Teilung beanspruchen, dazu seine Waffen, seine Uhr und alles, was er bei sich trägt, auch die Kamellast mit den Zeugen und Tauschsachen. Wir werden dadurch reich werden. Das andre alles, die Kamele mit der Sammlung der Tiere und Pflanzen aber wird Abu el Mot bekommen.«

»Wird er damit einverstanden sein?«

»Ja, er ist bereits darauf eingegangen und hat mir sein Wort gegeben.«

»Und wird er gewiß kommen? Heute ist der letzte Tag. Der Giaur hat uns gemietet, ihn auf unsern Kamelen nach Faschodah zu bringen. Kommen wir morgen dort an, so ist es aus mit unserm Plane, denn er wird ohne uns weiter reisen.«

»Er wird nicht dort ankommen. Ich bin überzeugt, daß Abu el Mot uns auf dem Fuße folgt. Heute in der Nacht, kurz vor dem Morgengrauen, soll der Überfall geschehen. Zwei Stunden nach Mitternacht soll ich sechshundert Schritte weit gerade westwärts von dem Brunnen gehen und den Alten dort finden.«

»Davon hast du uns noch nichts gesagt. Wenn ihr euch in dieser Weise besprochen habt, so kommt er sicherlich, und die Beute wird unser. Wir sind Beni Arab, wohnen in der Wüste und leben von ihr. Alles, was auf ihr lebt, ist unser Eigentum, also auch dieser räudige Giaur, der sich nicht einmal mit verneigt, wenn wir zu Allah beten.«

Damit hatte er die allgemeine Ansicht der Wüstenbewohner ausgesprochen, welche den Raub für ein so ritterliches Gewerbe halten, daß sie sich dessen sogar öffentlich rühmen.

Während dieses Gespräches hatten sie ihre Tiere in Bewegung gesetzt, um dem Fremden nachzufolgen. Als sie ihn erreichten, ahnte er nicht, daß sein Tod eine von ihnen fest beschlossene Sache sei. Er hatte seine Aufmerksamkeit nicht auf sie, sondern auf einen ganz andern Gegenstand gerichtet. Plötzlich rief er seinem Kamele ein lautes »Khe khe!« zu, das Zeichen zum Anhalten und Niederknieen. Es gehorchte; er stieg aus dem Sattel und griff nach seinem Gewehre.

»Allah!« rief der Schech. »Gibt es einen Feind?«

Dabei blickte er sich ängstlich nach allen Seiten um.

»Nein,« antwortete der Reisende, indem er in die Luft deutete, »es gilt nur einem dieser Vögel.«


1) Hölle.
2) Vater des Todes.
3) Teufel.
4) Universität.
5) Museen.
6) Ungläubiger.


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Die Araber folgten mit ihren Augen seinem Fingerzeige.

»Das ist ein Hedj mit seiner Frau,« sagte der Schech. »Gibt es ihn nicht auch in Eurem Lande?«

»Ja, aber von einer andern Art. Er wird bei uns Weihe, Corvus, genannt. Ich will auch einen Hedj haben.«

»Du willst ihn schießen?«

»Ja.«

»Das ist unmöglich, das bringt kein Mensch fertig, mit dem besten Gewehre nicht!«

»Wollen sehen!« lächelte der Fremde.

Die beiden Weihen waren der Karawane nach Art der Raubvögel gefolgt, immer gerade über derselben schwebend. Sie senkten sich jetzt, als die Reiter hielten, langsam weiter nieder, indem sie hintereinander eine regelmäßige Spirale beschrieben. Der Fremde setzte die Brille zurecht, stellte sich mit dem Rücken gegen die Sonne, um nicht geblendet zu werden, zielte einige Sekunden lang, mit der Mündung des Hinterladers dem Fluge der Vögel folgend, und drückte dann ab.

Das voran fliegende Männchen zuckte, legte die Flügel zusammen, spannte sie wieder auf, aber nur für wenige Augenblicke, dann konnte er sich nicht mehr in der Luft erhalten; er stürzte zur Erde nieder. Der Fremde eilte der Stelle zu, an welcher der Vogel lag, hob ihn auf und betrachtete ihn. Die Araber kamen herbei, nahmen ihm den Hedj aus der Hand und untersuchten denselben.

»Allah akbar - Gott ist groß!« rief der Schech erstaunt, »du hattest eine Kugel geladen?«

»Ja, eine kleine Kugel, keinen Schrot.«

»Und ihn doch getroffen!«

»Wie du siehst!« nickte der gute Schütze. »Das Geschoß ist ihm in die Brust gedrungen, mitten in das Leben, was freilich nur Zufall ist; aber auf den Leib hatte ich doch gezielt. Es freut mich, daß der Schuß so gut gelungen ist, denn so ist der Balg ganz unverletzt.«

»Einen Hedj zu schießen, mit einer Kugel, aus solcher Höhe! Und ihn auch an dieser Stelle zu treffen! Effendi, du bist ein ausgezeichneter Schütze, bei uns verstehen die Lehrer an den Medressen nicht zu schießen. Wo hast du das gelernt?«

»Auf der Jagd.«

»So hast du schon früher solche Vögel gejagt?«

»Vögel, Bären, wilde Pferde, wilde Büffel und viele andre Tiere.«

»Gibt es die in deinem Vaterlande?«

»Nur die ersteren. Die letzteren schoß ich in einem andern Weltteile, welcher Amerika heißt.«

»Von diesem Lande habe ich noch nichts gehört. Sollen wir den Hedj in das Gepäck stecken?«

»Ja. Ich werde ihn heute abend am Lagerfeuer abbalgen, wenn es überhaupt ein Feuer geben wird.«

»Es gibt eins, denn an dem Bir Aslan wachsen viele und dichte Sträucher.«

»So hebt ihn bis dahin auf! Es ist das Männchen, welches wertvoller als das Weibchen ist.«

»Ja, es ist das Männchen; auch ich kenne es. Seine Witwe ist davon geflogen und wird um ihn trauern und klagen, bis ein andrer Hedj sie tröstet. Allah sorgt für alle Geschöpfe, selbst für den kleinsten Vogel, am allerbesten aber für die Dijur ed djiane1), welche er jährlich in sein Paradies aufnimmt, wenn sie von uns gehen.«

Dieser Glaube ist in Ägypten viel verbreitet. Der gewöhnliche Mann weiß nicht, daß die Schwalben, welche er eigentlich »Snunut« nennt, ihre wirkliche Heimat in Europa haben und nur während unsrer Winterszeit nach Süden gehen. Da sie im Frühling verschwinden, ohne daß er erfährt, wohin, so erklärt er sich, wohl meist auch infolge ihres traulichen, menschenfreundlichen Wesens, diese Erscheinung in der Weise, daß er annimmt, sie fliegen nach dem Paradiese, um bei Allah zu nisten und ihm die Gebete der Gläubigen vorzuzwitschern.

Nachdem der unterbrochene Ritt fortgesetzt worden war, sah man nach einiger Zeit einzelne kahle Berge, welche sich im Süden und Norden der eingeschlagenen Richtung erhoben. Dies gab dem Fremden Veranlassung, auch nach rückwärts zu blicken. Sein Auge blieb an einigen winzig kleinen Punkten hangen, welche dort scheinbar unbeweglich in der Luft schwebten. Er zog sein Fernrohr aus der Satteltasche und beobachtete dieselben einige Zeit. Dann schob er das Rohr wieder in die Tasche zurück und fragte:

»Ist der Weg, den wir reiten, ein vielbesuchter Handelsweg?«

»Nein,« antwortete der Schech. »Wenn wir den Karawanenweg hätten einschlagen wollen, so hätten wir einen Bogen reiten müssen, auf welchem uns zwei Tage verloren gegangen wären.«

»Hier ist also keine Karawane zu erwarten?«

»Nein, weil es in der trockenen Jahreszeit auf dem Pfade, den wir ritten, kein Wasser gibt. Das unsrige ist auch bereits zur Neige gegangen. Die Schläuche sind leer.«

»Aber am Bir Aslan werden wir sicher welches finden?«

»Ganz gewiß, Effendi.«

»Hm! Sonderbar!«

Er machte dabei ein so bedenkliches Gesicht, daß der Schech ihn fragte:

»Woran denkst du, Herr? Gibt es etwas, was dir nicht gefällt?«

»Ja.«

»Was?«

»Du behauptest, daß wir uns auf keinem Karawanenwege befinden, und doch reiten hinter uns Leute.«

»Hinter uns? Unmöglich! Dann müßten wir sie ja sehen!«

»Das ist nicht notwendig.«

»Wie kannst du es dann für so gewiß behaupten?«

»Weil ich zwar nicht sie, aber doch ihre Spur sehe.«

»Effendi, du scherzest!« meinte der Schech in überlegenem Tone.

»O nein. Es ist im Gegenteil mein vollständiger Ernst.«

»Wie ist es einem Menschen möglich, die Spuren von Personen, die Darb und Ethar2) von Personen zu sehen, welche hinter ihm reiten!«

»Du denkst nur an die Spuren, welche durch die Füße der Menschen und die Hufe der Tiere dem Sande eingedrückt werden. Aber es gibt auch Spuren, welche sich in der Luft befinden.«

»In der Luft? Allah akbar - Gott ist groß; er kann alles, denn ihm ist alles möglich. Aber daß er es uns erlaubt hat, Spuren in der Luft zurückzulassen, davon habe ich noch nichts gehört.«

Er musterte den Fremden mit einem Blicke, als ob er ihn nicht für ganz zurechnungsfähig halte.

»Und doch ist es so. Die Spuren sind da. Man muß nur Augen für sie haben. Denk an den Hedj, welchen ich geschossen habe!«

»Was hat er mit den Darb und Ethar zu thun?«

»Sehr viel, denn er selbst konnte unter Umständen die Ethar von uns sein. Hast du ihn schon bemerkt, bevor ich ihn schoß?«

»Ja. Das Pärchen folgte uns seit


1) "Vögel des Paradieses" = Schwalben.
2) Spuren, Fährten.


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dem Morgen. Und als wir am Steine ruhten, schwebte es immer über uns. Der Hedj hält sich, wenn er kein andres Futter findet, zu den Kamelen, um dann alles, was die Reiter während der Ruhe beim Essen fallen lassen, aufzuzehren. Auch lauert er auf die Vögel, auf die Madenhacker, welche den Karawanen folgen, um den Tieren das Ungeziefer abzulesen.«

»Also du gibst zu, daß an der Stelle, über welcher der Hedj schwebt, sich eine Karawane befindet?«

»Ja.«

»Nun, da hinter uns fliegt ein zweites Paar, zu welchem sich jetzt unser verwitwetes Weibchen gesellt hat. Siehst du sie?«

Der Schech blickte rückwärts. Seinen scharfen, wohlgeübten Augen konnten die Vögel nicht entgehen.

»Ja, ich sehe sie,« antwortete er.

»Dort muß eine Karawane sein?«

»Wahrscheinlich .«

»Und doch befinden wir uns auf keinem Wege. Das hast du selbst gesagt. Die hinter uns reitenden Leute folgen unsren Spuren .«

»Sie werden den Weg nicht kennen und sich also an unsre Fährte halten.«

»Eine Karawane hat stets einen Schech el Dschemali und auch noch andre Männer bei sich, welche den Weg genau kennen.«

»Aber der beste Khabir1) kann sich einmal verirren!«

»In der großen Sahara, ja, aber nicht hier in dieser Gegend, südlich von Dar Fur, wo von einer wirklichen Wüste streng genommen gar nicht die Rede sein kann. Der Schech der Karawane, welcher hinter uns kommt, kennt die Gegend ebenso gut wie du; er muß sie kennen. Wenn er trotzdem vom Karawanenwege abgewichen ist, um uns zu folgen, so hat er es auf uns abgesehen.«

»Auf uns abgesehen! Effendi, welch ein Gedanke! Du denkst doch nicht etwa, daß diese Leute zu einer . . .«

Er sprach das Wort nicht aus. Er hatte Mühe, seine Verlegenheit zu verbergen.

»Daß sie zu einer Gum2) gehören, wolltest du wohl sagen?« fuhr der Fremde fort. »Ja, das ist meine Meinung.«

»Allah kerihm - Gott ist gnädig! Welch ein Gedanke, Effendi! Hier in dieser Gegend gibt es keine Gum. Die ist nur im Norden von Dar Fur zu suchen.«

»Pah! Ich traue diesen Leuten nicht! Warum folgen sie uns?«

»Sie folgen uns, aber verfolgen wollen sie uns nicht. Können sie nicht denselben Zweck haben wie wir?«

»Den Weg abzukürzen? Das ist freilich möglich.«

»Das ist nicht nur möglich, sondern es wird wirklich sein. Mein Herz ist ferne davon, Befürchtungen zu hegen. Ich kenne diese Gegend und weiß, daß man in derselben so sicher ist wie im Schoße des Propheten, den Allah segnen wolle.«

Der Fremde warf ihm einen forschenden Blick zu, welcher dem Schech nicht gefallen wollte, denn er fragte:

»Warum blickst du mich an?«

»Ich sah dir in die Augen, um in deiner Seele zu lesen.«

»Und was findest du darin? Doch die Wahrheit?«

»Nein.«

»Allah! Was denn? Etwa die Lüge?«

»Ja.«

Da griff der Schech nach dem Messer, welches in seinem Gürtel steckte, und rief:

»Weißt du, daß du soeben eine Beleidigung ausgesprochen hast? So etwas darf ein braver und tapferer Ben Arab nicht dulden!«

Das Gesicht des Fremden hatte plötzlich einen ganz andern Ausdruck bekommen. Es schien, als ob die Züge schärfer, gespannter geworden seien. Es glitt ein stolzes Lächeln über sein männlich schönes Gesicht, und er sagte in fast wegwerfendem Tone:

»Laß das Messer stecken! Du kennst mich nicht. Ich vertrage es nicht, wenn ein andrer mit der Hand am Messer von Beleidigung spricht. Läßt du die Klinge sehen, so erschieße ich euch binnen einer Minute!«

Der Schech nahm die Hand vom Gürtel. Er war ebenso zornig wie verlegen und antwortete:

»Soll ich es mir gefallen lassen, daß du mich der Lüge zeihst?«

»Ja, denn ich habe wahr gesprochen. Erst machte mich die uns folgende Karawane besorgt, jetzt aber traue ich auch dir nicht mehr.«

»Warum ?«

»Weil du die Gum, wenn es eine ist, gegen mich verteidigst und dir Mühe gibst, mich in Sicherheit zu lullen.«

»Allah yak fedak - Gott schütze dich, Effendi, denn deine Gedanken gehen irr. Was gehen mich die Leute an, welche hinter uns kommen!«

»Sehr viel, wie es scheint, sonst hättest du es nicht unternommen, das Mißtrauen, welches ich gegen sie hege, durch eine Unwahrheit zu zerstreuen.«

»Aber ich sage dir, daß ich mir keiner Lüge bewußt bin!«

»Nicht? Behauptetest du nicht, diese Gegend sei so sicher wie der Schoß des Propheten?«

»Ja, und so ist es auch.«

»Das sagst du, weil du weißt, daß ich ein Fremder bin. Du bist der Überzeugung, daß ich die Verhältnisse des Landes nicht kenne. Ja, die Reitpfade desselben sind mir unbekannt, obwohl ich sie mit Hilfe meiner Karten wahrscheinlich ohne deine Hilfe auch finden würde, aber das übrige kenne ich jedenfalls besser als du. In meiner Heimat gibt es Bücher und Bilder über alle Länder und Völker der Welt. Durch diese lernt man die Völker zuweilen besser kennen als diejenigen, welche zu ihnen gehören. So weiß ich auch ganz genau, daß man hier keineswegs so sicher ist wie im Schoße des Propheten. Hier ist viel, viel Blut geflossen. Hier, wo wir uns befinden, haben die Nuehr-, Schilluk- und Denkavölker miteinander gestritten. Hier sind die Dschur und Luoh, die Tuitsch, die Bahr, Eliab und Kiëtsch, die Abgalang, die Agehr, Abugo und Dongiol aufeinander getroffen, um sich zu ermorden, zu zerfleischen und auch gar wohl - aufzufressen.«

Der Schech war ganz steif vor Erstaunen.

»Effendi,« rief er von seinem Kamele herüber, »das weißt du; diese Völker kennst du, sie alle!«

»Ja, genauer jedenfalls als du! Und ich weiß auch noch mehr. Ich weiß, daß gerade da, wo wir jetzt reiten, zu nächtlicher Zeit sich die entsetzliche Ghasuah3) vorüberschleppt, um dem Pascha zu entgehen, welcher in Faschodah ein Auge auf die Sklavenjäger hat. Da ist mancher arme Schwarze ermattet niedergesunken und durch einen Hieb, eine Kugel für immer stumm gemacht worden. Unten am Mokren el Bohur werden die Ärmsten aus den Schiffen geladen und quer über das Land geschafft, um oberhalb Faschodahs wieder eingeladen und vor Chartum verkauft zu werden. Da hat mancher seinen letzten Seufzer ausgehaucht; mancher hat hier den Todesschrei in die finstere Nacht hinausschallen


1) Führer.
2) Raubkarawane.
3) Sklavenraubzug.


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lassen. Und das nennst du eine Gegend, welche man mit dem Schoße des Propheten vergleichen kann? Ist es möglich, eine größere Lüge auszusprechen?«

Der Schech blickte finster vor sich nieder. Er fühlte sich geschlagen und durfte es doch nicht eingestehen. Darum antwortete er nach einigen Augenblicken:

»An die Ghasuah dachte ich nicht, Effendi. Ich dachte nur an dich und daran, daß du hier sicher bist. Du befindest dich in unserm Schutze, und ich möchte den sehen, welcher es wagen wollte, ein Haar auf deinem Haupte zu krümmen!«

»Ereifere dich nicht! Ich sehe klar und weiß genau, was ich zu denken habe. Sprich nicht von Schutz! Ich habe euch gemietet, damit ihr meine Sachen auf euern Kamelen nach Faschodah bringen möchtet; auf euern Schutz aber habe ich nicht gerechnet. Ihr selbst bedürft vielleicht des Schutzes mehr als ich.«

»Wir?«

»Ja. Hast du vielleicht die Schillukneger gezählt, welche die Leute deines Stammes hier raubten und als Sklaven nach Dar Fur brachten? Besteht etwa nicht deshalb ein unersättlicher Haß, ja eine Blutrache zwischen euch und ihnen? Befinden wir uns jetzt nicht auf dem Gebiete der Schilluk, welche, wenn sie euch sähen, sofort über euch herfallen würden? Warum habt ihr den Karawanenweg verlassen und mich durch einsame Gegenden gebracht? Um den Weg abzukürzen, wie du vorhin sagtest? Nein, sondern um nicht auf die Schilluk zu treffen. Vielleicht gibt es auch noch einen andern Grund.«

»Welchen?« fragte der Schech, der sich durchschaut sah, ziemlich kleinlaut.

»Den, mich hier umzubringen.«

»Allah, Wallah, Tallah! Welche Gedanken werden in deiner Seele laut!«

(Fortsetzung folgt.)

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