Der Herrgottsschnitzer



Hab all mein Lebtag stets gedacht,
Daß man aus Holz die Heilands macht,
    Doch jetzt im Alter kommt mirs bei,
    Daß noch 'was Andres nöthig sei.


Im Holz, da liegt zwar auch 'was drin,
Denn jeder Stoff hat seinen Sinn,
    Jedoch der Sinn von diesem da,
    Der reicht wohl nicht bis Golgatha.


Dort ist noch heut für alle Welt
Das Kreuz und Elend aufgestellt,
    Und wer zu beiden kriechen muß,
    Bekommt vorher den Judaskuß.


Drum ists das Richtige, was ich thu:
Stets geb ich eine Thräne zu
    Und denke dabei allezeit:
    Nun hat der Schmerz das Holz geweiht.


Wenn ichs sodann fast fertig hab,
Denk ich an des Erlösers Grab
    Und daß er nach so kurzer Frist
    Gleich wieder auferstanden ist.


Da kommt so recht aus Herzensgrund
Ein Juchezer mir in den Mund;
    Den schneid ich, kaum zu sehn, so fein,
    Dem Herrgott mit dem Messer ein


Und habe ich mein Werk vollbracht,
So fromm, wie ich es mir gedacht,
    So freu ich mich als Mensch und Christ,
    Daß es mir gut gelungen ist.


Und wer es gleich so bringen will,
Der greif zum Holz und warte still,
    Bis sich die Thräne bei ihm zeigt;
    Der Juchezer, kommt dann sehr leicht.

Karl May


Herzlichen Gruß!


Hauptseite "Der Herrgottsschnitzer"

Übersicht Karl Mays Werk

Titelseite KMG

Impressum Datenschutz