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Eine epochemachende Erfindung.

Nach einem Feuilleton des „Jounal des Debats.“

Unser Zeitalter ist nicht zu befriedigen; es verlangt unaufhörlich nach neuen Wundern.

Schon ist der Fernsprecher, jenes kleine Beförderungsmittel der gesprochenen Worte, mit dem man bereits auf mindestens 100 Kilometer Entfernung mündlich verkehren kann, eine Erfindung von gestern und dieser staunenswerthe Erfolg genügt heute nicht mehr.

Verba volant, scripta manent: die Worte verfliegen, sie müssen fixirt werden. Ein Schreibtelephon muß an die Stelle des Sprechtelephons treten, ein Apparat erfunden

werden, welcher ein Gespräch, eine Rede, eine Vorlesung automatisch niederzuschreiben im Stande ist.

Bekanntlich giebt es bereits Phonographen, welche Laute niederschreiben. Letztere werden auf dem Papiere durch mehr oder weniger gekrümmte Wellenlinien dargestellt. Das genügt jedoch nicht, die Schrift muß auch gelesen werden können.

Die Lösung dieses Problems erscheint auf den ersten Augenblick außerordentlich zu sein: dem vervollkommneten Telephon soll es übertragen werden, diese Lautschrift zu entziffern, -

entziffern, eine Unterhaltung so wiederzugeben, wie sie niedergeschrieben ist. Mit einem Worte, man will eine Maschine erfinden, die z. B. einen Redner anhört, seinen Vortrag niederschreibt und wenn der Sprecher zu Ende ist, Wort für Wort mit allen Eigenthümlichkeiten seiner Aussprache, mit dem Klange seiner Stimme wiedergiebt.

Die Aufgabe, an deren Lösung man jetzt gegangen ist, lautet mit anderen Worten: ein Gespräch, eine Unterhaltung zu fixiren, sie unter Verschluß zu legen und im beliebigen Augenblicke nach 10, 50, 100 Jahren mit allen Individualitäten der einzelnen Stimmen wieder zu Gehör zu bringen.

Es handelt sich um nichts Geringeres, als die Worte, Gespräche, Musik so aufzubewahren, wie man eingemachte Früchte aufhebt und, um dieses Bild weiter zu gebrauchen, diese Büchsen voller Beredtsamkeit und Harmonie im gegebenen Augenblicke ihres Inhalts zu entleeren.

Die Zukunft, in deren Schooße so viele Ueberraschungen verborgen liegen, wird sicherlich auch dies interessante Problem, welches gegenwärtig den Scharfsinn der Denker beschäftigt, vollständig lösen.

Ohne in Einzelheiten einzutreten, welche zur Zeit noch verfrüht wären, begreift es sich leicht, in welcher Weise man Reden etc. aufbewahren und im geeigneten Moment wiederzugeben im Stande sein wird.

Um nicht der Uebertreibung beschuldigt werden zu können, sei erwähnt, daß der französische Ingenieur Marcel Duprey [Duprez] bereits Apparate construirt hat, welche zur Wiedergabe der menschlichen Stimme bestimmt sind. Mit einem Herrn Nopoli arbeitet er unausgesetzt daran und Alles läßt die Verwirklichung dieser kühnen Idee in nicht allzu ferner Zeit erhoffen.

Schon vorher hatte ein geistreicher Erfinder, Namens

Gros [Cros], gezeigt, daß die Aufgabe keineswegs außerhalb der Mittel unserer Technik liege. Auch hat der Amerikaner Edison aus allen bereits vorliegenden Apparaten eine Maschine gebaut, welche Erstaunliches leistet und die berühmte Fabersche Sprechmaschine, welche im vergangenen Jahre mehrfach ausgestellt war, in jeder Beziehung bedeutend überragte.

Man spricht in den Registrirapparat, dessen Haupttheil eine Eisenblech-Membrane ist. An derselben befindet sich ein kleiner Stift, welcher auf einer mittelst eines Uhrwerks getriebenen Welle schleift. Die Stimme setzt die Membrane in Bewegung, die Schwingungen derselben übertragen sich auf den Stift, dieser zeichnet auf dem Papier, welches durch ein Uhrwerk von der Welle abgewickelt wird mehr oder weniger krumme Linien, deren Bilder den gesprochenen Worten entsprechen. Diese Niederschrift würde dem geübten Auge die Töne mit Höhe, Klangfarbe etc. zur Erscheinung bringen.

Wer hier studiren wollte, würde die Laute, den Ausdruck dessen, der gesprochen hat, wiedererkennen, gleichwie der Musikverständige die Musik vom Notenblatte erkennt.

Durch die Niederschrift, in dieser Weise hergestellt, ist das Wort im Fluge erfaßt und festgehalten. Nun ist nur noch nöthig, die Schrift auf das Instrument zu bringen, welches sie wieder nach Belieben in Worte umsetzt.

Die Schriftzüge werden im Zuge der Wellenlinien ausgeschnitten und das so vorbereitete Papier auf eine durch ein Triebwerk gleichmäßig fortbewegte Walze gebracht. Gegenüber derselben befindet sich ein an der schwingenden Membrane befestigter Stift. Wickelt sich nun das ausgeschnittene Papier von der Welle ab, so ziehen die Windungen der Zeichnung den Stift mit und lassen ihn so die ganze Wellenlinie -

Wellenlinie durchlaufen. Dadurch wird nun die mit dem Stift zusammenhängende Membrane des Telephons in genau dieselben Schwingungen versetzt, wie die, welche die Form der Wellenlinie hervorbrachten, d. h. es werden dieselben Worte und Sätze in der richtigen Folge in derselben Vortragsweise, demselben Stimmausdrucke, mit welchem sie ursprünglich gesprochen wurden, wieder zu Gehör gebracht. Das Telephon giebt also ein Gespräch etc. genau so wieder, wie eine mechanische Orgel die vorher gesetzte Musik abspielt.

Der vom Amerikaner Edison nach den angegebenen Principien constuirte Apparat soll, wie erwähnt, geradezu Erstaunliches leisten.

Er ist so groß wie eine Spieldose. Man spricht in einen Schallfänger, die Schwingungen werden im Innern des Apparats auf Zinnpapier niedergeschrieben, dieses wird durch eine Schraube ohne Ende, die durch eine Kurbel drehbar ist, gleichmäßig fortbewegt. Eine sehr einfache Ausschneidevorrichtung bewirkt, daß das Metallpapier im Zuge der Schriftlinien im selben Augenblicke ausgeschnitten wird, wo dieselben niedergeschrieben werden.

Ist die Pause in dieser Weise hergestellt, so braucht man nur wieder die Kurbel zu drehen, damit die ausgeschnittene Linie wiederum den Stift des Telephons in Thätigkeit setzt.

Hält man das Ohr an das Schallstück, so möchte man schwören, dieselben Personen wieder zu hören, welche eben gesprochen haben und jetzt schweigen. Die Stimme ist allerdings näselnd, aber doch mit allen Eigenthümlichkeiten wiederzuerkennen und scheint von den Lippen der Sprechenden zu fließen.

Die heute niedergeschriebene Unterhaltung kann buchstäblich zu jeder Zeit als Sprache wiedergegeben werden. Es ist dies ein nach dem Leben abgenommenes Bild der Gegenwart für unsere Nachkommenschaft. Man hat nun also ein Mittel, die feurigsten Reden, die gelehrtesten Vorlesungen aufzubewahren und den Redner und Vortragenden noch mit demselben Schwunge, derselben Leidenschaft zu hören, wenn sie schon längst im Grabe ruhen.

Die Wissenschaft ist im Begriff, den kühnsten Träumen vergangener Jahrhunderte Fleisch und Blut zu geben. Selbst die Stimme uns lieber und werther Angehörigen kann über deren Grab hinaus bewahrt werden, der Pulsschlag ist noch nach dem Tode zu hören. Wir können die längst in Staub zerfallenen Lippen öffnen und ihre Stimme von früher tönen lassen, wer könnte noch sagen, sie seien nicht mehr? Das mächtige Wort berühmter Männer wird unaufhörlich neben uns ertönen: es wird die Dauer der Geschlechter und Jahrhunderte überstehen, wie Erz. Welch eine wunderbare Verwirklichung der Ewigkeit des Andenkens!