10. Kapitel.

Schluß.

Man denke sich El Hadd als ein immerwährend ansteigendes Bergland, welches im Süden an Ardistan im weiteren Sinne und im Norden an Dschinnistan stößt. Früher hatten zwei Straßen durch El Hadd hinauf nach Dschinnistan geführt, eine Land- und eine Wasserstraße. Durch das südliche Grenzgebirge zwischen El Hadd und Ardistan führten nur zwei Tore, ein östliches und ein westliches. Dieses letztere hatte sich Ssul, der Fluß, gebrochen, dessen spätere, vollständige Austrocknung zu der Sage leitete, daß das Wasser sich umgedreht habe und nach Dschinnistan zurückgekehrt sei. Das östliche Tor öffnete sich dem Landwege, der breiten Straße, die über den Dschebel Allah ging. Früher hatte auf beiden Wegen ein sehr reger (Seite 310B) Verkehr zwischen Ardistan und Dschinnistan bestanden; später aber, als die Beherrscher des ersteren Landes immer ungerechter und gewalttätiger wurden, ging nicht nur die Flußschiffahrt sondern auch der Landverkehr derart zurück, daß beide endlich vollständig aufhörten. Der Fluß hatte schließlich kein Wasser mehr, und der Landweg blieb nur für den Verkehr zwischen El Hadd und Dschinnistan offen, so daß sich nach und nach das Gerücht bildete, es sei den Bewohnern von Ardistan überhaupt verboten, den Dschebel Allah zu überschreiten.

Früher hatte man, wenn auch nicht Dschinnistan, so doch das Grenzland El Hadd ziemlich genau gekannt; jetzt aber war das nicht mehr der Fall. Es lebte niemand mehr, der dort gewesen war, und auf alte Beschreibungen konnte man sich nicht mehr verlassen, weil erzählt wurde, daß da oben in den Bergen in letzter Zeit sich viel verändert habe, wovon man unten im Niederlande nichts erfahre. Darum war die Absicht des 'Mir von Ardistan, einen Krieg gegen Dschinnistan zu führen, eine Torheit, deren Größe er jetzt sehr deutlich erkannte. Und darum war es nicht etwa herzhaft oder mutig, sondern geradezu vermessen von dem >Panther< gewesen, diese Torheit dadurch zu verzehnfachen, daß er sie zu seiner eigenen machte und zuletzt gar der Meinung war, sich aus seiner mehr als schwierigen Lage durch sie retten zu können.

Jetzt war sein Heer vernichtet, bis auf ungefähr tausend Mann, mit denen er sich gerettet hatte. Diese Rettung war nur dadurch ermöglicht gewesen, daß die >Schwarzgepanzerten< ihm, um nicht selbst mit vernichtet zu werden, den Weg hatten freigeben müssen. Als sich dann, sobald es Morgen geworden war, sein Entkommen herausstellte, hatten sie ihm soviel Reiter nachgeschickt, wie nötig waren, ihn zu beobachten und nicht aus den Augen zu lassen. Es verstand sich ganz von selbst, daß hierauf sofort die regelrechte Verfolgung angetreten wurde. Die Vorhut hierzu bildete eine Schar der >Schwarzgepanzerten<, denen in der Mitte das Garderegiment Ussul aus Ard folgte, befehligt von dem Dschirbani. Dieses hatte sich, solange der >Panther< dasselbe tat, auf der breiten Straße zu halten. Zu beiden Seiten derselben marschierten auf verborgenen Saum- und Nebenpfaden die Lanzenreiter von El Hadd, die sich hierzu ganz besonders eigneten, weil sie als Eingeborene diese Wege genau kannten. Den besonderen Befehl über sie führte neben dem Oberbefehl natürlich der Schech el Beled, um dessen Gebiet es sich von jetzt an besonders handelte. Er hatte nicht mehr Truppen für nötig erachtet als die soeben angeführten, und so waren die andern alle in dem Lager am Dschebel Allah zurückgeblieben, wo der Fürst von Halihm befehligte und seine Tochter mit Taldscha die Pflege der Verwundeten oder sonstwie Hilfsbedürftigen leitete. Wir vier. der 'Mir von Ardistan, Amihn, der Scheik der Ussul, Hadschi Halef und ich, hatten uns der Verfolgung des >Panthers< anschließen dürfen, über deren Resultat schon aus allgemeinen Gründen unter uns kein Zweifel herrschte. Im besonderen aber hatte der Schech el Beled uns versichert, daß für derartige Angriffe auf das Gebiet von El Hadd eine Falle bereitgestellt sei, der kein Feind, und sei er noch so vortrefflich ausgerüstet und noch so kühn, entgehen könne. Diese Falle wurde von ihm, dem gegenwärtigen Feinde entsprechend, als >Pantherfalle< bezeichnet.

Was die Ausrüstung und Verproviantierung unseres Gegners betrifft, so stand es mit ihr wohl nicht zum allerbesten; er war ja gezwungen gewesen, die Flucht ganz plötzlich und mit vollständig leerer Hand zu ergreifen. Er war also darauf angewiesen, seinen Unterhalt bei den Bewohnern des Landes zu suchen, und daß er da kein Entgegenkommen finden werde, verstand sich ganz von selbst. Den Beweis hiervon bekamen wir schon am zweiten Tage, nachdem wir die Verfolgung angetreten hatten. Wir erreichten da das erste große Dorf der El Hadd, welches an der Straße lag, und fanden es verwüstet. Der >Panther< hatte da nicht etwa nur >requiriert<, sondern das getan, was man als >Morden, Sengen und Brennen< bezeichnet. Die Häuser waren eingeäschert. Auch die Vorräte, die man nicht mitnehmen konnte, hatte man verbrannt. Wer nicht sofort hergegeben hatte, was er besaß, war mißhandelt und gemartert worden. Mehrere Personen waren getötet. Als der Schech el Beled das sah und hörte, beschloß er, der Verfolgung (Seite 311A) nicht nur ein anderes Tempo, sondern auch eine andere Art und Weise zu geben als bisher. Man mußte dem >Panther< die Gelegenheit nehmen, solche Missetaten zu wiederholen. Man mußte ihn nach Gegenden drängen, wo es weder Wohnstätten, noch Menschen gab, die er plündern oder quälen konnte. Das war der westliche Teil des Landes, der sich infolge der Austrocknung des Flusses in eine Wüste verwandelt hatte. Dort gab es zwar jetzt wieder Wasser, was dem >Panther< jedenfalls höchst willkommen war; aber da lag auch, wie der Schech el Beled uns mitteilte, die Falle, in welcher die Feinde gefaßt und bestraft werden sollten.

Die Dorfbewohner hatten sich versteckt, weil ihnen gesagt war, daß in kürzester Zeit noch mehr Feinde kommen würden. Als sie aber ihre eigenen Lanzenreiter erkannten, kamen sie herbei und erstatteten ausführlich Bericht. Da hörten wir auch, daß sie ausgefragt worden waren. Und aus den Fragen, die ihnen der >Panther< vorgelegt hatte, konnten wir auf den Plan schließen, auf dessen Ausführung er seine Hoffnung setzte. Er wollte nach der seit uralter Zeit berühmten >Wasserscheide< und nach dem >Wasserschloß< von El Hadd, um das letztere durch einen Handstreich in seine Gewalt zu bringen. Befand er sich im Besitz dieses Schlosses, so glaubte er, das ganze Land in seiner Gewalt zu haben und dessen Herrscher absetzen zu können. Wenn dies der Fall war, so ergab das für ihn eine vortreffliche Basis zu einem Vergleich mit Dschinnistan und einem erneuten, aber siegreichen Vorgehen gegen den 'Mir von Ardistan. Es stellte sich aber schon aus der Art und Weise seiner Fragen heraus, daß er sich weder von der >Wasserscheide< noch von dem >Wasserschlosse< des Schech el Beled eine Vorstellung machen konnte. Er wußte eben auch nur das, was die Sage von beiden erzählt, und das war nicht zum hundertsten Teil genügend, einen Kriegszug nach dort hinauf zu wagen.

Das einzige Vernünftige an dem ganzen Plane war, daß er ihn als Handstreich ausführen zu wollen schien, also so schnell wie möglich. Diese seine Eile kam dem Wunsche des Schech el Beled entgegen, ihn nach dem verödeten Westen abzulenken. Man brauchte ihm nur glaubhaft zu machen, daß dorthin der natürliche Weg nach der >Wasserscheide< und dem >Wasserschlosse< gehe. Und dies war nicht etwa eine Lüge, sondern die reine Wahrheit, denn der Fluß kam direkt von da oben herab, und das Wasser, welches sich seit kurzer Zeit in seinem Bett zu zeigen begann, stammte aus der geheimnisvollen Quelle, deren Schlüssel nirgends anderswo als eben im >Wasserschlosse< lag. Es wurden einige Lanzenreiter abkommandiert, welche sich in anderer Kleidung von dem >Panther< gefangennehmen lassen und ihm als Führer dienen sollten. Ihre Instruktion war eine ebenso ausführliche wie genaue. Und sodann mußten die >Schwarzgepanzerten< versuchen, auf Umwegen dem >Panther< voranzukommen, um sich ihm an einem bestimmten Punkte entgegenzustellen und ihn zu zwingen, nach Westen abzulenken. Dort führte nämlich eine Nebenstraße in dieser Richtung von der Hauptstraße ab, und wenn es gelang, den Feind zu dieser Schwenkung zu veranlassen, so war ihm die Gelegenheit entzogen, seine Greueltaten, so oft es ihm beliebte, zu wiederholen.

Und es gelang! Zwar trafen wir schon gegen Abend des nächsten Tages wieder auf ein Dorf, welches vollständig ausgeplündert worden war, aber schon am darauffolgenden Nachmittag, als wir die erwähnte Stelle erreichten, sahen wir, daß die Verfolgten hier ihre Richtung geändert hatten, und zwar in der Weise, wie wir es wünschten. Die >Schwarzgepanzerten< hatten gar nicht nötig gehabt, sich ihnen zu zeigen und sie dazu zu zwingen, denn der >Panther< hatte schon die ihm von uns gesandten Führer gefangen genommen und gezwungen, mit ihm zu marschieren und ihm den Weg nach der >Wasserscheide< und nach dem >Wasserschlosse< zu zeigen.

Dieser Weg bildete eine Durchquerung des westlichen Landesteiles. Dort lagen, wie bereits gesagt, nicht die fruchtbaren Gegenden von El Hadd, und doch machten sie den Eindruck eines Wohlstandes, den wir nicht erwartet hatten. Man hielt durch ganz Ardistan dieses Grenzgebiet für wüst und unergiebig, und von seinen Bewohnern sprach man als von sehr armen Leuten. Das einfache, bescheidene Auftreten des Schech el Beled und seiner Begleiter hatte auch in mir, als ich sie zu Weihnacht (Seite 311B) kennen lernte, die Meinung erweckt, daß ihre Heimat ihnen wohl keine Reichtümer biete. Nun aber sah ich mehr und mehr ein, welch ein großer Irrtum dies war. Diese Berge zeigten sich nur auf der nach Ardistan gerichteten Seite als steril, auf der nach Dschinnistan liegenden aber als außerordentlich wohlbewässert. Es gab unzählige Kanäle und Kanälchen, welche das bewegende, treibende und befruchtende Naß allüberallhin leiteten, wo es vonnöten war. Es mußte hoch oben in den Bergen, woher diese Gräben und Kanäle kamen, einen unerschlöpflichen Reichtum an Wasser geben. Wir ritten stundenlang durch Wälder, deren Bestand nur durch diese Leitungen ermöglicht wurde. Wir sahen grünende Wiesen und Weiden, die sich hoch über ihnen erhoben; sauber blinkende Häuser mit wohlgepflegten Gärten und Feldern; Bergwerke, welche Gold, Silber, Kupfer, Eisen und andere Metalle in Menge lieferten. Im Osten gab es Bäche, in denen man eine sehr lohnende Perlenfischerei betrieb. Die Seitenstraße, der wir jetzt folgten, vermied es, größere Ortschaften zu berühren, aber bewohnt, bebaut und benutzt war jeder Berg, jedes Tal, jede Stelle und jeder Winkel, wohin man nur immer schaute. Ruhiger Fleiß grüßte von rechts und links. Behaglicher Wohlstand glänzte von allen Seiten. Das Glück saß vor jedem Hause. Eintracht und Zufriedenheit wandelten Hand in Hand auf allen Wegen und Stegen. Aber sobald der >Panther< mit seiner Schar sich nahte, da flohen sie; da waren die Wege verlassen und die Wohnungen aufgegeben, denn der Schreck ging vor ihm her.

Ja, er ging vor ihm her. Wir folgten ihm nämlich nicht nur, sondern wir überholten ihn mit unsern Seitenflügeln und schickten Boten vor ihm her, ohne daß er es merkte. Wo unsere Truppen erschienen, waren sie die hellen, blinkenden Lanzenreiter, die man liebte, denen man gehorchte; ihm aber blieben sie infolge ihrer dunklen Mäntel immer unsichtbar.

Der 'Mir von Ardistan verhielt sich ganz eigenartig zu dem Schech el Beled. Der letztere schien in den Augen des ersteren von Tag zu Tag zu wachsen. Der 'Mir behandelte ihn mit einer Hochachtung, fast möchte ich sagen, mit einer still lauschenden Scheu, die man bei ihm, dem einst so Rücksichtslosen und Stolzen, nicht für möglich gehalten hätte. Sie ritten fast stets nebeneinander, in Gespräche über Gegenstände vertieft, die einen jeden Fürsten, der es mit seinem Volke wohlmeint, interessieren. Wir andern störten sie dabei so wenig wie möglich, denn wir sahen, daß der Schech el Beled der Lehrer des 'Mir geworden war, und freuten uns aufrichtig darüber.

Was den Dschirbani betrifft, so war er mit der Leitung und Verpflegung seiner Ussul fast vollauf beschäftigt; aber es gab auch freie Stunden, in denen es ihn ebenso wie den 'Mir zu dem Schech el Beled drängte. Er folgte diesem Drange in seiner unaufdringlichen, vornehm bescheidenen Weise und war zufriedengestellt, wenn er den Mann, für den er eine so große, ganz ungewöhnliche Sympathie empfand, nur sprechen hörte, ohne daß dieser das Wort direkt an ihn richtete.

"Ich habe ihn lieb, ganz eigenartig lieb," gestand er mir. "Oft ist es mir, als müsse ich ihn umarmen und mich fest, fest an ihn drücken. Und oft überkommt mich so eine tiefe Ehrfurcht vor ihm, daß es mir wie ein Vergehen erscheint, mich ihm in dieser rein körperlichen Weise zu nahen. Wenn er spricht, so ist es mir zuweilen, als hörte ich die Stimme meines Vaters. Wahrscheinlich ist das nur die Folge des Schleiers, welcher der Rede jenen vertraulich lieben Klang verleiht, der mir noch von meiner Kinderzeit her im inneren Ohre klingt."

Ich beobachtete mit großer Genugtuung dieses stete Wachsen der Zuneigung, dieses immer zwingender werdende Ahnen und seelische Erkennen. Darum ging es nicht unbemerkt an mir vorüber, daß dieses innere Zueinanderstreben nicht etwa ein einseitiges, sondern ein gegenseitiges war. Auch der Schech el Beled lauschte, sooft er den Dschirbani reden hörte. Und vieles, was er scheinbar zu dem 'Mir oder zu andern sagte, war darauf berechnet, von dem Dschirbani gehört und beachtet zu werden. Man sah, daß der Schech unausgesetzt bemüht war, den Dschirbani zu sich heranzuziehen, und daß es ihn herzlich freute, wenn er bemerkte, daß ihm dies gelang. Zu welchem Schluß dies führen mußte, war leicht vorauszusehen; um das Wann und Wo und Wie sorgte ich mich nicht. -

(Seite 312A) Es war an einem späten Nachmittage, als wir das Bab Allah erreichten. So hieß das hohe, breite Felsentor, durch welches sich früher die Wasser des Ssul ergossen hatten. Die vom Fluß in das harte Gestein gebohrte Öffnung war tief. Es ging sehr steil hinab. Die Spuren sagten uns, daß der >Panther< hier Beratung gehalten hatte, ehe er zu dem Entschlusse gekommen war, sich dem nicht sehr verlockend aussehenden Bette des Stromes anzuvertrauen. Aber es gab jetzt Wasser darin, sogar fließendes, und das hatte ihn wahrscheinlich bestimmt, den Darstellungen seiner Führer Gehör zu geben.

"Hier ist er hinab," sagte der Schech el Beled. "Er kommt nicht wieder herauf."

"So ist das wohl schon die Falle?" fragte ich.

"Nein," antwortete er. "Wir erreichen sie erst später. Aber der Weg zu ihr beginnt an dieser Stelle. Die Ufer sind nun zwei volle Tagesritte lang so steil und hoch, daß sich keine Stelle findet, an der die Feinde dieses Felsenbett verlassen könnten. Wir übernachten noch oben, um ihnen erst morgen früh da unten zu folgen."

Ich muß erwähnen, daß wir auch hier im Gebiete von El Hadd von Tag zu Tag Etappen gelegt hatten, um unsere Verbindung nach rückwärts aufrecht zu halten. An der Stelle nun, die hinunter in das Flußbett führte, machte sich die Zurücklassung eines größeren Postens nötig. Das war die Meinung des Schech el Beled, und es stellte sich heraus, daß er Recht gehabt hatte. Das Flußbett bildete eine wüste Anhäufung oder Abwechslung von Felsblöcken und vollständig totem Sande. Da gab es keine Spur von irgend einer Pflanze; da war kein Halm eines Grases zu sehen. Der bisherige, glatte Ritt wurde hier zu einem Stolpern und Klettern, welches außerordentlich ermüdete. Dazu die Hitze, welche stechend von oben heruntersengte und von den Felsen auf Mensch und Tier zurückgeworfen wurde. Wir konnten es wohl aushalten. Die Schimmel unserer Hilfstruppen waren solches Klettern schon gewohnt, und die Gäule der Ussul besaßen eine derartige Gutmütigkeit, daß sie ihre Geduld nicht verloren, wenn wir ihnen nur von Zeit zu Zeit für einige Augenblicke Gelegenheit gaben, zu verschnaufen. Und vor allen Dingen, Wasser war da; Futter für die Pferde und Proviant für uns hatten wir mit, soviel wir brauchten. Und wenn etwas zu Ende ging, so war es durch unsere Etappen sehr leicht und sehr schnell zu ergänzen. Bei dem >Panther< aber stand es anders. Wir wußten, daß er Not an Fourage und Rationen litt, schon ehe er in das Flußbett hinabgestiegen war. Gewiß hatte man ihn überzeugt, daß diesem Mangel baldigst abzuhelfen sei; da dies aber keineswegs (Seite 312B) der Fall war, durften wir die Folgen bald erwarten. - Schon in der zweiten Hälfte des ersten Tages, den wir im Bette aufwärts ritten, trafen wir auf marode Menschen und Pferde, welche zurückgeblieben waren, weil sie nicht weiter konnten oder wollten. Gegen Abend wurde uns von unsern Seitenposten, die uns oben auf den hohen Ufern begleiteten, gemeldet, daß es unsern Führern des >Panther< gelungen sei, seiner Rache zu entkommen. Dieser hatte sie, als des Weges kundig, vorausgeschickt, um dafür zu sorgen, daß man ihm alles, was er brauche, vom >Wasserschlosse< aus sofort entgegensende, widrigenfalls er bei seiner Ankunft dort blutige Rache nehmen werde. Hieraus war zu ersehen, in welcher Lage er sich befand.

Am andern Morgen trafen wir auf eine Schar von über hundert Mann, die sich von ihm losgesagt und ihn verlassen hatte, und noch vor Mittag auf eine zweite, noch stärkere. Beide waren umgekehrt, aber bald darauf liegen geblieben, weil sie vor Hunger und Ermattung weder vor- noch rückwärts konnten. Wir betrachteten sie als Kriegsgefangene, nahmen uns ihrer an und erfuhren von ihnen alles, was wir wissen wollten. Dann wurden sie entwaffnet und unter hinreichender Bedeckung von >Schwarzgewappneten< nach unserer am hohen Flußufer errichteten Station transportiert. Dem Kommandierenden dieses Transportes aber wurde von dem Schech el Beled bedeutet, sich ja zu beeilen und ja nicht länger als zwei Tage unterwegs zu sein, weil dann der neue, lebendige Wasserstrom kommen und alles mit sich fortreißen werde, was sich noch zwischen den steilen Ufern befinde. Der Sinn dieser Warnung war uns nicht klar; der aber, an den sie gerichtet wurde, wußte, um was es sich handelte. Er antwortete, daß es nicht seine Absicht sei, den Tod des >Panther< zu sterben; er werde, sobald das Wasser erscheine, mit seinen Leuten gewiß nicht mehr im Flusse sein.

Am Nachmittag ordnete der Schech el Beled an, daß alle unsere Schläuche zu füllen seien, weil von jetzt an das Wasser bis zu unserer Ankunft am Ziele verschwinden werde. Diesem Befehle wurde natürlich Folge geleistet. Niemand fragte dabei, woher er wissen könne, daß der Fluß wieder im Austrocknen sei. Was er vorausgesagt hatte, das bestätigte sich. Das Flußbett wurde noch vor Abend vollständig wieder trocken. Und nun erklärte sich der Schech el Beled deutlicher, indem er sagte:

"Der >Panther< soll wieder dürsten und dadurch um so sicherer in die Falle getrieben werden."

"Ja, habt Ihr es denn so in der Hand, dem Fluß Wasser zu geben oder zu nehmen, ganz wie es Euch beliebt?" fragte Halef erstaunt.

"Ja," antwortete der Schech el Beled einfach. "Du wirst es sehen. Es ist alles wohl erwogen und vorherbestimmt."

(Seite 313A) Noch ehe es Abend wurde, kamen wir an eine Stelle, wo Pferde geschlachtet worden waren, und zwar zwölf Stück, wie wir aus den liegen gebliebenen Resten erkannten. Es muß schlecht um eine Reitertruppe stehen, wenn sie, um nicht hungern zu müssen, sich ihrer eigenen Pferde beraubt.

Am dritten Tage bekam das Flußbett ein völlig anderes Aussehen. Der in ihm aufgehäuften Felsenstücke und Steintrümmer wurden weniger, bis es schließlich gar keine mehr gab. Die riesige Wasserrinne führte zwar noch ebenso wie vorher durch eine mächtige und vollständig kompakte Granitlagerung, aber ihr Boden war nicht mehr bedeckt, sondern frei und ebenso glatt wie ihre Wände. Das war Schliff; eine Folge der Reibung durch das sich fortbewegende Gestein. Das Wasser mußte hier eine ganz ungewöhnliche Druckkraft besessen haben, um Massen von solchem Gewichte vorwärtsschieben zu können. Als ich eine Bemerkung hierüber machte, antwortete der Schech el Beled:

"Diese Kraft kommt, wie überhaupt jede Kraft, von oben. Woher, das wirst Du schon morgen sehen."

Es gab in diesem öden, ungeheuren Felsengraben nicht einen Tropfen Wassers. Die Sonne brannte wie mit Nadelspitzen herein. Wie gut, daß wir uns mit Wasser versehen hatten! Und welche Qualen mußten die Leute des >Panther< erlitten haben! Ihre Spuren zeigten uns die Stelle, an der sie des Nachts gelagert hatten. Und aus diesen Spuren ersahen wir, daß hier ein Ereignis eingetreten war, durch welches sich die Kavallerie in Infanterie verwandelt hatte. Die Pferde waren nämlich durchgegangen. Es hatte ein >Stampedo< stattgefunden, wie man sich in den amerikanischen Prärien auszudrücken pflegt, wenn die Pferde sich aus irgendeinem Grunde losreißen und davonrennen. Als wir uns fragten, welcher Grund das hier gewesen sein möge, sagte der Schech el Beled:

"Das Wasser. Sie waren fast verdurstet. Da kam ihnen während der Nacht eine kühle, feuchte Luft entgegen. Was die Menschen nicht merken konnten, das merkten Tiere, nämlich daß es da vorn, vorwärts von ihnen, Wasser in Menge gibt. Sie ließen sich nicht halten; sie gingen durch."

Daß diese Darstellung richtig war, ersah ich aus dem Gebahren meines Syrr, der sein schönes, feines Köpfchen von jetzt an ganz anders trug als in den letzten Stunden und dem uns entgegenwehenden Lufthauche seine Nüstern weit und behaglich öffnete. Indem wir weiterritten, beobachteten wir den Boden genau. Wir sahen nur die Spuren galoppierender Pferde, nicht die eines langsam gehenden. Hieraus war zu schließen, daß sie alle entflohen waren; kein einziges war geblieben.

Unsere dicken Ussulgäule waren für Feuchtigkeit besonders empfindlich. Sie griffen jetzt ganz von selbst und ohne angetrieben zu werden, derart aus, daß wir, zumal uns keine Felsstücke mehr im Wege lagen, viel schneller vorwärtskamen als bisher. Dabei bemerkten wir, daß auch die hohen Ufer ein ganz anderes Aussehen bekamen. Sie begannen, sich mit Grün zu schmücken, erst mit Gräsern und Stauden, dann mit Büschen und Bäumen. Nach einiger Zeit gab es da oben sogar betretene Wege. Wir sahen nicht nur unsere Lanzenreiter, sondern auch andere Leute, die uns von den hohen Ufern aus mit großem Interesse betrachteten, aber still, ohne allen Lärm. Kein lautes, zudringliches Wort drang bis zu uns herunter.

Dann sahen wir, wenn wir hinaufblickten, Häuser stehen, die nach und nach zusammenrückten und sich in wohlbeschatteten und blumengeschmückten Reihen an beiden Ufern hinzogen. Hinter ihnen stiegen kräftig emporstrebende Höhen auf, wo schimmernde Wohnungen in früchtereichen Gärten lagen. Näherten wir uns vielleicht der Hauptstadt dieses Landes? Durften wir vielleicht hoffen, das >Wasserschloß< von El Hadd nun bald zu erreichen? Der Schech el Beled war still; so fragten wir also nicht. Die Antwort kam von selbst. Sie kam so plötzlich, daß unser Erstaunen keine Worte, ja nicht einmal einen kurzen Ausruf fand, um sich auszusprechen.

Unsere Hauptrichtung war genau Nord. Wir hatten soeben einen Bogen nach Ost gemacht und waren in unsere vorige Richtung zurückgekehrt, da traten die Felsenwände des Flußbettes, in dessen Tiefe wir uns befanden, mit einem Male weit, weit auseinander, und rund, wie eine Arena, die nur für Giganten berechnet ist, lag ein Panorama vor uns, welches (Seite 313B) weder von der Hand eines Malers noch von der Feder eines Dichters wiedergegeben oder beschrieben werden kann. Man denke sich einen tiefen, gewaltigen Felsenkessel, der unten auf seinem Grunde, wo wir jetzt waren, einen Durchmesser von wenigstens einer Wegesstunde hatte, oben aber noch viel mehr. Wir hielten an seinem südlichsten Punkte, wo die natürlichen Felsenmauern, die ihn umsäumten, am niedrigsten waren. Indem sie sich von uns aus auf beiden Seiten nach Norden rundeten, stiegen sie an diesen Seiten mehr und mehr an und traten, je höher sie wurden, um so mehr zurück, um eine ganze Folge von Stufen und Terrassen zu bilden, auf denen sich Garten an Garten reihte und in jedem Garten ein Landhaus eigenen Stiles stand. Dieser wunderbare Bergkessel war unten auf seinem Grunde vollständig felsenkahl, doch nur bis zur Uferhöhe des Flusses. Da führte eine sehr breite Straße, an welcher Häuser standen, rundum. Die Lücke, welche durch das Flußbett in diese Runde geschnitten wurde, war durch steinerne Bogen überbrückt, welche aus so großen und so schweren Quadern bestand, daß man sich verwundert fragte, wie es möglich gewesen sei, sie zu heben und zu bewegen. Bis beinahe zu dieser Straße und zu diesen Häusern hinauf hatte früher das Wasser des Flusses gestanden. Aber woher war es gekommen? Man sah es noch heut, nach so vielen Jahrhunderten, daß Ssul, der >Fluß des Friedens<, gleich ganz und voll und fertig aus diesem Kessel herausgetreten war. Es gibt im Süden der Rocky Mountains in Nordamerika Wasserläufe, die allerdings auch gleich so fix und fertig aus dem Felsen treten, aber das sind nur kleine, unbedeutende Flüßchen, deren plötzliches Erscheinen man sich sehr wohl erklären kann, doch Ssul war kein Flüßchen, sondern ein Fluß oder vielmehr ein Strom, der seine Entstehung nicht einer gewöhnlichen, unterirdischen Sammelquelle zu verdanken haben konnte.

Indem ich, dieses denkend, mit meinem Blicke nach aufwärts suchte, sah ich genau am nordöstlichen und nordwestlichen Punkte des Kessels je einen Aquädukt, von denen mir schien, daß sie mit der Beantwortung dieser meiner Frage in Verbindung zu setzen seien. Sie waren nicht künstlich, sondern natürlich. Man hatte nur ein klein wenig nachzuhelfen gebraucht. Sie überspannten zwei gewaltige Öffnungen, welche, schwarzen Schlünden gleich, aus dem Fuße des Berges gähnten. Waren das vielleicht die Stellen, aus denen das Wasser einst gekommen war und nun wahrscheinlich wiederkommen sollte? Und standen mit diesem Wiederkommen vielleicht die großen Kähne oder vielmehr Flußschiffe in Verbindung, die wir am südöstlichen und südwestlichen Punkte des Kessels liegen sahen? Dort gab es nämlich je eine tiefe, hafenähnliche Ausbuchtung, auf deren Grund diese Fahrzeuge lagen. Sie hatten die Länge und Breite unserer großen Rhein- oder Elbkähne, waren aber nicht von derselben Gestalt und dabei orientalisch fremdartig verziert. Jeder hatte seinen Namen; ich konnte aber nur einen lesen, und der war >Marah Durimeh<.

Wenn man das Auge von unten nach oben, von einer Terrasse zur andern schweifen ließ, sah man auf jeder dieser Stufen auch freie, in den Berg hinein gerundete Plätze mit größeren Bauwerken, welche jedenfalls der Öffentlichkeit oder dem Gemeindewohle dienten. Hoch oben aber, uns gerade gegenüber, ragte ein Engel himmelan, der ganz genau die Gestalt der Wasserengel in der >Stadt der Toten< und an der Landenge von Chatar hatte, aber viel, viel größer als sie beide war. Er bildete den höchsten und zugleich auch den Höhepunkt des herrlichen Panoramas, welches vor uns lag. Zu seinen beiden Seiten standen Gebäude mit zahlreichen Balkonen, Erkern, Zinnen, Türmen und Spitzen. Diejenigen Teile von ihnen, welche dem Engel nahelagen, waren hoch, sehr hoch; die andern nahmen an Höhe ab, je weiter sie sich von ihm entfernten.

Es war ein ganz eigenartiger Eindruck, den dieser Anblick machte. Man fühlte sich so arm, so schwach, so klein, und doch wurde man erhoben, hoch erhoben. Unten der nackte Fels des einstigen Wasserbettes, der kein einziges Hälmchen trug, als solle er dokumentieren, daß die Seele des irdischen Gesteines kein anderes Verlangen habe als nur nach Wasser, Wasser, Wasser. Und dennoch auf ihm aufgebaut die sämtlichen Terrassen und Daseinsstufen des Erdentums bis hinauf zu dem Engelsbilde, (Seite 314A) welches hoch in die Wolken ragt und das ersehnte Wasser nicht nur regelt, sondern auch spendet. Zwischen beiden, nämlich zwischen dem scheinbar leblosen Fels und dem Engel, den die schaffende Kunst aus ihm formte, ein ebenso reich gestaltetes wie reich bewegtes Menschenleben, welches auf allen Straßen und Plätzen hin- und her- und auf- und niederflutete. Überall, wohin wir sahen, standen diese Leute und schauten auf uns hernieder. Sie sahen so fest- und feiertägig aus, so froh und glücklich gestimmt, wie die ganze, herrliche Natur, in der sie wohnten und lebten. Wir sahen, daß man von unserem Kommen unterrichtet gewesen war, daß man uns erwartet hatte. Das Erscheinen unserer Lanzenreiter auf beiden Seiten des Ufers war der Beweis gewesen, daß der Schech el Beled nun nahe sei. Und als er jetzt erschien, an unserer Spitze aus dem tiefen Flußbette hervorreitend, das Angesicht noch immer blau verschleiert, da brauste ein Jubel los, der laut, wie das donnernde Branden eines Ozeans von Stufe zu Stufe bis hinauf zum Engel stieg und dort wie nach dem Himmel zu verhallte. Das wirkte tief, unendlich tief ergreifend und wiederholte sich mehrere Male. Der Dschirbani trieb sein Pferd weiter vor, ergriff die Hand des Schech el Beled und zog sie an seine Lippen.

"Warum dieser Kuß?" fragte der Genannte.

"Ich konnte nicht anders; ich mußte," antwortete der junge Mann mit tränendem Auge.

"So hast Du mich lieb?"

"Ja, lieb, so lieb!"

"Ich Dich auch. Warum, das wirst Du schon morgen erfahren."

Indem er dies sagte, zitterte seine Stimme vor Rührung. Dann fügte er, zu uns gewendet, hinzu: "Das ist das >Wasserschloß< von El Hadd, und das ist der Engel der >Wasserscheide<, von dem die Sage erzählt. Und das, da unten, da vorn, ist der Mensch, der >Panther<, der es wagt, hier Herr und Gebieter sein zu wollen!"

Wenn man sich auf dem Boden des Felsenkessels die Mitte dachte und den Weg von dieser Mitte nach der hintern, höchsten Wand des Kessels in zwei gleiche Hälften schied, so erhob sich auf dem Teilungspunkte dieser Hälften eine Art von Insel, welche mit Gebüsch und Bäumen bepflanzt war. Es mußte da Wasser geben. Diese Insel war von uns also dreiviertel Wegsstunde entfernt, von dem Nordrande des Kessels aber nur eine Viertelstunde. Dort führte von der hohen Uferstraße eine breite, steinerne Treppe bis auf den Felsengrund des Flusses herab. Und von da ging ein betretener Weg gerade nach der Insel, auf welcher der >Panther< mit seiner Truppe jetzt lagerte.

"Das ist die Pantherfalle, in die er ging, weil ihm kein anderer Weg offen stand," erklärte der Schech el Beled. "Die Insel ist nur die schützende Bekleidung einer Zisterne, welche tief hinuntergeht bis auf den natürlichen Wasserweg, der von hier aus nach dem Dschebel Allah, und von dort aus zu allen Wasserengeln führt, die Abu Schalem, der große Maha-Lama, baute. Es gibt ihrer nämlich mehr, als Ihr kennt. In diese Zisterne steigt man hinab, um zu prüfen, ob diese Wasserspender versorgt sind oder nicht. Den >Panther< hat der Durst hingeführt. Ihr seht, daß der ganze Kessel rundum mit Menschen besetzt ist. Es gibt keine andere Stelle, an der man vom Ufer herunter und von hier hinauf kann, als nur jene Treppe dort hinten am nördlichen Ufer. Seine Pferde sind gewiß schon früh hier angekommen. Man hat sie getränkt und dann über die Treppe auf das Ufer geschafft. Wir werden jetzt desselben Weges gehen. Als er dann kam, mußte er mit dem ersten Blick erkennen, daß er sich in vollständiger Unwissenheit über unser Land und seine Bewohner befunden hat. Er konnte nirgends hinauf. Die Treppe wurde ihm verwehrt. Es wäre Wahnsinn gewesen, sie erzwingen zu wollen. Nun lagert er an der Zisterne. Der Fluß wird kommen. Er muß kommen, denn die verheißene Zeit ist da. Er wird steigen und die Insel mit allem, was sich auf ihr befindet, verschlingen, weil man ihrer Höhe absichtlich nicht die Höhe des Wasserstandes im Ssul gegeben hat. Wir reiten jetzt über den Grund des Kessels hinüber. Wir halten bei der Zisterne an. Wir fragen den >Panther<, ob er sich ergeben will oder nicht. Tut er es, so kann vielleicht noch Gnade walten. Tut er es aber nicht, so (Seite 314B) wird sein Nacken, den er nicht beugen will, durch ihn selbst gebrochen. Also wir - - -"

Er hielt inne, denn es fiel da drüben auf der Insel ein Schuß; es folgten mehrere, ja viele Schüsse. Es erhob sich ein Rufen und Schreien, welches in das wütende Geheul eines Kampfes überging. Wir sahen, daß unsere Gegner in ein tödliches Handgemenge unter sich selbst geraten waren. Wir hatten die Absicht gehabt, schnell hinüber zu reiten; nun aber rückten wir nur langsam vor. Die >Schwarzgepanzerten< voran, bildeten wir eine breite Linie, die Insel zu umfassen. Als man das sah, wurde der Kampf dort zunächst hitziger; die Schüsse fielen schneller, und das Toben und Brüllen verdoppelte sich. Dann aber wurde es plötzlich still. Es erscholl eine laute, befehlende Stimme; eine andere, ebenso befehlende, antwortete. Ein Mann kam unter den Bäumen der Insel hervor, mit dem Säbel in der Faust. Es folgten ihm mehrere, ja viele. Sie rannten uns entgegen. Es gab unter ihnen welche, die stürzten nieder und standen nicht wieder auf, weil sie verwundet waren oder gleich tot zusammenbrachen. Der ihnen Voraneilende blieb, als er weit genug herangekommen war, stehen und rief uns zu:

"Wir ergeben uns; wir ergeben uns! Der >Panther< ist verrückt geworden! Er schießt auf seine eigenen Leute!"

Wir kannten den, der das sagte, sehr genau. Es war der zum General gemachte Oberst, der auf dem Wege nach der >Stadt der Toten< sich mit dem >Panther< in unserer Gefangenschaft befunden hatte. Es wurde ihm von dem Schech el Beled bedeutet, mit denen, die ihm folgten, bis an die Treppe zu marschieren und dort zu warten, was bestimmt werde. Die Verwundeten habe er mitzunehmen. Er folgte dieser Weisung, ohne Bedingungen zu stellen. Dieses Beispiel blieb nicht ohne Wirkung auf die, welche auf der Insel zurückgeblieben waren. Es kamen ihrer noch viele, sehr viele, die ihren bisherigen Führer noch verließen und sich in der Richtung nach der Treppe von der Insel entfernten. Die beiden Stimmen, welche wir von weitem gehört hatten, waren diejenigen des Generals und des >Panthers< gewesen. Die letztere erschallte noch jetzt. Wir hörten sie um so deutlicher, je mehr wir uns der Insel näherten. Er brüllte allerdings wie ein Wahnsinniger, wie ein Tobender. Wir schlossen die Insel ein und schickten Irahd vor, um zu fragen, ob der >Panther< sich ergeben wolle oder nicht. Da wurde er still. Es dauerte einige Zeit, ehe er Antwort gab. Er schien Beratung zu halten. Das Resultat war das Eingehen auf eine kurze Unterredung mit dem Schech el Beled von El Hadd. Jeder der beiden Hauptpersonen wurden zwei Begleiter zugestanden; sie alle mußten unbewaffnet sein. Die Unterredung hatte zwischen der Insel und unserer Aufstellung stattzufinden. Der Schech el Beled wählte den 'Mir von Ardistan und mich, ihn zu begleiten. Der >Panther< kam mit zweien, die ich kannte, nämlich mit dem >Schwert des Prinzen< und der >Feder des Prinzen<, jenen beiden Tschoban, die mit ihm unsere Gefangenen gewesen waren. Wenn bestimmt war, daß die Unterredung auf dem Platze, der zwischen der Insel und unserer Aufstellung lag, stattfinden solle, so nahm ich an, daß der Mittelpunkt dieser Entfernung gemeint sei. Es fiel mir daher auf, daß der >Panther< mit seinen beiden Kumpanen schon stehen blieb, noch ehe er diesen Punkt erreichte. Er wünschte uns also so nahe wie möglich an der Insel zu haben. Das erregte meinen Verdacht. Ich teilte das dem Schech el Beled und dem 'Mir mit, und so gingen wir also nicht weiter, als wir verpflichtet waren. Dadurch wurde der >Panther< gezwungen, zu uns heranzukommen. Sein Gesicht hatte das Aussehen einer unbeweglichen Larve; aber seine Augen glühten. Das war wohl vor Zorn darüber, daß wir uns nicht hatten verleiten lassen, uns von unserer Truppe weiter zu entfernen. Er blieb stehen; er setzte sich nicht; also folgten wir diesem Beispiele. Ich musterte ihn und die beiden andern, ob sie vielleicht eine versteckte Waffe bei sich trügen, konnte aber nichts entdecken, was diese Vermutung bestätigte. Doch fiel mir auf, wie die drei sich stellten und bewegten. Sie vermieden es nämlich ganz auffällig, uns mit ihren Gestalten nach der Insel hin zu decken. Und dies zu prüfen, veränderte ich während der Unterredung, so kurz diese war, meine Stellung mehrere Male, aber immer veränderten sie hierauf nun auch die ihrige sofort und derart mit, daß ich (Seite 315A) die gesuchte Deckung wieder verlor. Man hatte also vor, von der Insel aus auf uns zu schießen, und darum nahm ich diese scharf in die Augen, obgleich ich es war, der mit dem >Panther< sprechen sollte; der Schech und der 'Mir wollten schweigen.

"Was wollt Ihr?" zischte er uns an, sobald er uns erreichte.

Ich antwortete:

"Dich fragen, ob - - -"

"Mich fragen?" unterbrach er mich. "Hier habe nur ich allein zu fragen, nicht Ihr! Am allerwenigsten aber Du! Also: Was wollt Ihr hier? Was habt Ihr hier zu suchen? Was schaust Du mich wegen dieser Frage an? Wenn Du sie nicht beantworten kannst, werde ich es an Deiner Stelle tun! Euer Geschick hat sich erfüllt. Es treibt Euch in meine Hände! Du stehst am Tode; Du hast ihn reichlich verdient. Der 'Mir ebenso! Und der Schech el Beled wird mein Gefangener. Ich zwinge ihn, abzudanken und mich an seine Stelle zu setzen. Er wird gezwungen, dies zu befehlen, um sein Leben zu retten, und sein Volk wird ihm gehorchen."

War dies Wahnsinn? War dies ein soeben schnell überlegter Plan? Oder war es beides? In seinen Augen flackerte ein unruhiges, starkwilliges, außerordentlich gefährliches Licht. Er fuhr allen Ernstes fort:

"Ich frage Euch: Wollt Ihr Euch freiwillig ergeben oder nicht?"

"Wir uns Euch? Oder Ihr Euch uns?" fragte ich dagegen.

"Wir uns Euch?" donnerte er mich an. "Bist Du verrückt geworden? Meinst Du, daß wir uns vor Euch fürchten? Oder vor diesem nackten Felsen? Oder vor den Menschen, die rundum da oben stehen, als ob sie uns zurückweisen könnten? Ich sage Dir, Ihr befindet Euch in meiner Gewalt. Eure Berechnung, daß ich verdursten werde, war falsch, denn hier in dieser Zisterne gibt es mehr Wasser, als ich brauche. Und das Volk, welches jetzt so stolz auf mich niederblickt, wird mir schon morgen zujubeln, mir, seinem Herrscher und Gebieter!"

Er sprach mit der Überzeugung eines Mannes, der felsenfest an seine Halluzinationen glaubt. War das eine Folge der Schreckensnacht am Dschebel Allah? Oder war es überhaupt eine psychologische Folgerichtigkeit, daß der Wahngedanke seines ganzen Lebens, ein großer Herrscher zu werden, unter den gegenwärtigen Verhältnissen zum >Überschnappen< kommen mußte?

"Du irrst," antwortete ich. "Du wirst allerdings nicht aus Mangel an Wasser sterben, sondern am Gegenteile, am Überfluß. Du wirst ertrinken!"

"Wo? Wann?" fragte er.

"Jetzt! Hier! Der Fluß wird kommen und wird steigen. Und das Wasser in der Zisterne wird steigen. Beides wird die Insel überströmen und sie mit sich fortschwemmen!"

"Überströmen? Fortschwemmen?" rief er mit einem unbeschreiblich häßlichen und abstoßenden Lachen aus. "Willst Du mich etwa dadurch zu der Dummheit verlocken, mich Euch auszuliefern? Ich sage Dir: Lieber tausendmal in den Tod, und lieber millionenmal die ärgsten Qualen erdulden, als mich in Eure Hände zu geben! Ich fürchte nie den Tod; ich fürchte ihn auch jetzt nicht, sondern ich lache über ihn. Euch aber wird er - - - jetzt, jetzt, jetzt!"

"Nein, uns wird er nicht!" antwortete ich. "Dich aber wird er fassen, genau so, wie jetzt ich Dich fasse!"

(Seite 315B) Da ich scharf aufpaßte, so sah ich, daß mehrere seiner Leute hinter schützende Baumstämme getreten waren und, als er ihnen durch den Ausruf: "Jetzt, jetzt, jetzt" das Zeichen dazu gab, ihre Gewehre auf uns anlegten, um auf uns zu schießen. Ich griff schnell zu, faßte ihn, zog ihn an mich heran, drückte ihn so an mich, daß er sich nicht bewegen konnte und forderte den 'Mir und den Schech el Beled auf:

"Tretet schnell hinter mich! Da seid Ihr gedeckt!"

"Gedeckt?" fragte der Schech. "Mich decken? Vor wem?"

Er ballte die Faust und holte aus. Zwei Hiebe, und das >Schwert des Prinzen< stürzte samt der >Feder des Prinzen< wie von einer Axt getroffen zu Boden.

"Der Schech el Beled von El Hadd sucht niemals Schutz hinter dem Rücken eines Menschen!" fügte er dann hinzu. "Daß er es nicht nötig hat, seht Ihr hier und dort!"

Er deutete dabei auf die >Schwarzgewappneten<, welche herbeieilten, uns schützend zu umringen, und auf die Insel, wo das Handgemenge wieder ausgebrochen war, und zwar zwischen denen, die der >Panther< in seinen jetzigen Anschlag gegen uns eingeweiht hatte, und denen, die nichts davon wußten. Die letzteren hinderten die ersteren, auf uns zu schießen, die wir in der großen Überzahl waren, und so entspann sich zwischen ihnen ein Kampf, der uns Gelegenheit gab, uns unbelästigt zurückzuziehen. Ich hielt den >Panther< mit unwiderstehlichem Nackengriff fest und stieß ihn vor mir her, bis wir uns außer sicherer Treffweite von der Insel befanden. Dort schüttelte ich ihn kräftig zusammen und fragte:

"Ergibst Du Dich uns freiwillig?"

"Nein!" hauchte er, obgleich ihm beide Arme kraftlos herabhingen und ihm mein Faustgriff das Blut in die Augen trieb.

"Du wirst ersaufen, elend ersaufen, Mensch!"

"Das tue ich mit Wonne!" versuchte er höhnisch zu lachen; es ging aber nicht.

"Wenn Du Dich ergibst, so wird Dir verziehen werden!"

"Allah verdamme Dich und Deine Verzeihung! Hunde haben nichts zu verzeihen! Laß mich los! Gib mich frei!"

"Ja! Hier, sei frei!"

Ich stieß ihn von mir, daß er zu Boden flog und sich überschlug. Er raffte sich schnell wieder auf, blieb aber nicht, wie ich erwartet hatte, fluchend und drohend stehen, sondern rannte stracks fort, der Insel zu. Wir aber ritten weg, mochte dort geschehen, was da wollte. Wir sahen, daß man dort wieder aufeinander schoß, kümmerten uns aber nicht darum, bis wir merkten, daß eine ganze Anzahl der Leute des >Panther< hinter uns her kam und uns einzuholen strebte. Da beorderten wir eine Abteilung der >Schwarzgewappneten<, auf sie zu warten und sie uns nachzubringen. Nun hatte der Aufrührer von seinen tausend Mann höchstens noch zweihundert bei sich. Wir erfuhren von diesen letzteren, die uns folgten, daß ich und der 'Mir von der Insel aus während der Unterredung hatten niedergeschossen werden sollen. Der >Panther< wollte, sobald diese Schüsse gefallen waren, mit Hilfe seiner beiden Kumpane den Schech el Beled ergreifen und nach der Insel schaffen. Hatte er diesen in seiner Gewalt, so konnte er seine Freiheit und auch noch mehr von ihm erzwingen, sich vielleicht gar mit ihm verbinden. Auf alle Fälle aber war dann Ardistan wieder ohne Herrscher, (Seite 316A) und das Intriguieren und Verwirren konnte von neuem beginnen. Gewiß nicht übel ausgedacht von einem Menschen, der den Verstand vollständig verloren zu haben schien!

Als wir die steinerne Treppe erreichten, wurde der Schech nicht laut, sondern von einer tiefen, ehrfurchtsvollen Stille empfangen. Wenn ein Herrscher von El Hadd sein Angesicht verhüllt, so hat er den Schwur von Dschinnistan getan und wird als tabu betrachtet, bis er den Schwur erfüllt hat und den Schleier wieder entfernt. Daher dieses Schweigen und diese Ruhe, welche an jeder Stelle sofort eintrat, sobald wir uns ihr näherten. Übrigens gab es gleich bei unserer Ankunft ein kleines Intermezzo, welches ein heiteres Lächeln über diesen Ernst der Stimmung warf. Es wurde hervorgerufen durch unsern guten, dicken Smihk, der seinen Herrn trug und sich so viel wie möglich an meiner Seite hielt, obgleich mein Rappe die Zuneigung nicht erwiderte. Auch bis jetzt war Amihn neben mir und Halef geritten; nun aber trennte er sich von uns. Er sah, welche Aufmerksamkeit die oben auf den Terrassen stehenden Leute von El Hadd auf die riesigen Ussul und ihre noch riesenhafteren Urgäule richteten. Das tat ihm wohl, und da er der Allergrößten einer war, beschloß er, nicht da im Zuge zu reiten, wo wir uns mit dem Schech el Beled befanden, sondern an der Spitze seiner Landsleute, der Garde von Ard. Er blieb also zurück, als wir unsere Pferde veranlaßten, die hohe, breite Treppe emporzusteigen. Oben wurden wir von unseren Lanzenreitern erwartet, die uns auf den beiden hohen Ufern des Flusses begleitet und rechts und links um den Kessel geritten waren, um an der Treppe wieder miteinander zusammenzutreffen. Von hier aus sollte zum Schlosse emporgeritten werden. Voran der Schech el Beled mit dem 'Mir von Ardistan, hinter ihnen die Hälfte der Lanzenreiter, hierauf die Ussul und dann zum Schlusse die andere Hälfte der Lanzenreiter. Die >Schwarzgewappneten< konnten nicht an diesem Zuge teilnehmen, weil sie beauftragt waren, die gefangenen Leute des >Panther< zu beaufsichtigen und unterzubringen. Nun war es uns zwar nicht schwer geworden, unsere hochintelligenten Rassepferde zum Ersteigen der Treppe zu bewegen, den Urgäulen aber kam eine solche Zumutung ganz ungeheuerlich vor. Sie entsetzten sich vor der hohen Stufenreihe. Sie weigerten sich, zu gehorchen. Die größte Angst schien Smihk, der Dicke, zu haben. Er stieß ganz unbeschreibliche Jammertöne aus. Er war weder durch gütiges noch durch strenges Zureden zu bewegen, die Möglichkeit zu versuchen. Er ging nur bis zur untersten Stufe, betastete diese mit dem Vorderhufe, streckte diesen auch nach der zweiten Stufe aus, aber sobald er sich überzeugte, daß diese höher als die erste lag, stieß er ein Geheul des Schreckens aus und rannte wieder zurück. Da kam der Anführer der >Schwarzgewappneten< auf den klugen Gedanken, den dicken Gaul durch das Beispiel zu überzeugen. Sein eigenes Pferd war Treppenstufen gewohnt, weil sie hier in dem bergigen Gelände häufig vorkamen. Er ritt also die Treppe hinauf und hinunter und wieder hinauf und hinunter. Smihk sah und beobachtete das. Er war für so vernünftige Beweise nicht unzugänglich. Er ging, ohne von seinem Herrn dazu angetrieben zu werden, ganz von selbst wieder bis an die Treppe und setzte seine Vorderfüße zunächst auf die erste und dann auch auf die zweite Stufe. Sobald er aber merkte, daß die dritte wieder höher war als die zweite, drehte er sich laut zeternd um und riß aus. Der >Schwarzgewappnete< wiederholte den Anschauungsunterricht und hatte dieses Mal bessern Erfolg. Smihk versuchte es nachzumachen und kam bis zur sechsten Stufe. Hier aber blieb er halten und schaute noch oben. Da wurde ihm himmelangst. Er kletterte schnell wieder herab, und zwar mit den Hinterfüßen voran, also verkehrt. Dieses Experiment schien ihm zu gefallen, denn er rannte nicht wieder davon, sondern blieb stehen, spielte mit den Ohren, rang das Schwänzlein und erhob ein wohlgefälliges, ja beinahe triumphierendes Geschrei. Währenddem blieb Amihn, der Scheik, ganz ruhig im Sattel und hütete sich, den Dicken im Überlegen und Versuchen zu stören. Der Gewappnete ritt zum dritten Male wiederholt hinauf und herunter. Da besann sich Smihk auf sein Ehrgefühl, an welches er jetzt gar nicht gedacht hatte. Er avancierte jetzt ganz von selbst bis an die unterste Stufe, warf den Kopf empor und ließ einen schmetternden Trompetenton (Seite 316B) erschallen, dessen Sinn ein jeder, der ihn hörte, verstehen und begreifen mußte: >Paß auf; jetzt geht es aber los; mag daraus werden, was da will!< Er nahm die erste und zweite, die dritte, vierte und fünfte Stufe, nicht etwa hastig und überstürzt, sondern sehr langsam und bedächtig. Da blieb er stehen und tat einen tiefen, erleichterten Atemzug. Dann ging es weiter und weiter, ganz genau, wie abgezählt und abgemessen, immer höher und höher, bis er oben ankam. Er wurde von der dort stehenden Menge mit Jubel empfangen. Er stimmte in diesen Jubel ein, indem er ein Wiehern hören ließ, in dem alle chromatischen und nichtchromatischen Tonleitern mit einem Male erschollen. Und hierauf geschah etwas, was niemand vermutet hatte. Nämlich Smihk stieg ganz aus eigenem Antriebe genauso wieder herunter, wie er heraufgekommen war, mit dem Kopf nach oben, also nun rückwärts. Als er unten ankam, war ein allgemeines Händeklatschen sein Lohn. Da brüllte er vor Vergnügen. Die Sache schien ihm zu gefallen. Er stieg wieder hinauf und wieder hinunter; er tat es wieder und wieder. Er versuchte den Abstieg auch von der Seite; es ging. Er versuchte ihn mit dem Kopfe voran; auch das ging. Da geriet er vor Entzücken fast außer sich. Er rannte nur immer wieder hinauf und wieder hinunter. Er schrie, brüllte, wieherte, meckerte, schnatterte und blökte in einem fort. Es war, als ob er sich in allen möglichen Tierstimmen hören lassen wolle. Bald aber war ihm anzumerken, daß er eine ganz andere und lobenswerte Absicht hatte. Er wollte die anderen Urgäule anregen, es ihm nachzutun, und das war nicht ohne Erfolg. Der eine und der andere Reiter machte den Versuch, der zwar nicht gleich, aber endlich doch gelang. Andere folgten, erst einzeln, dann gleich neben- und hintereinander, bis die noch zurückstehenden Pferde ganz von selbst einsahen, daß es gar nicht schwer sein könne, die Stufen zu überwinden. Als so die Angst beseitigt war, dauerte es gar nicht lange, bis auch das letzte von ihnen die Schwierigkeit überwunden hatte. Smihk, der Dicke, aber hatte mehr erreicht als alle die andern Gäule: man sprach überall von ihm; er war von jetzt an der erklärte Liebling aller Bewohner von El Hadd und wurde, wo man seiner nur habhaft werden konnte, mit Leckerbissen bestürmt, die oft wohl kaum für ein Pferd geeignet waren.

Der Zug berührte alle übereinander liegenden Terrassen, bis wir auf der obersten angekommen waren und nun in sanfter Steigung nur noch die eigentliche Kuppe des Berges zu nehmen hatten. So nämlich dachte ich. In Wirklichkeit aber war, wie ich bald sehen konnte, von einer Bergeskuppe gar keine Rede. Es gab hier weder das, was man im eigentlichen Sinne einen Berg, noch das, was man eine Kuppe nennt. Der Kessel, der nun unter uns lag, war nichts als der wohlterrassierte, plötzliche Absturz der weit vorherrschenden Ecke eines Hochplateaus, an dessen Südseite sich das eigentliche Dschinnistan nun erst zu erheben begann. Die Füße aller der Berge, die man da sah, standen im Wasser. Ungefähr so, aber in gigantischer Vergrößerung, wie der Vierwaldstädter See sich derart innig um die Fundamente des Rigi, des Pilatus und anderer Berühmtheiten legt, daß sehr oft zwischen Wasser und Fels kein gangbarer Pfad zu ermöglichen ist, so windet sich auch da oben im südlichen Grenzgebiet von Dschinnistan eine vom tiefsten Blau bis zum hellsten Grün zu den Menschen sprechende Flut in der Weise zwischen den hochstrebenden Felskolossen hin, daß man behaupten möchte, diese letzteren seien nicht durch die Füße der Sterblichen, sondern nur auf ähnliche Weise zu erreichen, wie der Gegensatz von diesen Bergen, nämlich die Unterwelt, einst nur durch Charons Kahn zu erreichen war.

Diese Wasser, deren Weite und Tiefe bisher noch nie ergründet worden ist, flossen einst nach drei Seiten hin in die Täler und Ebenen der angrenzenden Länder nieder, nämlich nach Ost, nach West und nach Süd. Dieser letztere Fluß war der Ssul, der durch El Hadd nach Ardistan ging und am Küstenlande der Ussul das Meer erreichte. Warum er einst versiechte und warum die von ihm befruchteten Gegenden zur Wüste wurden, das hat man versucht, mit Hilfe der Sage zu erklären. Es wird die Zeit kommen, in der die exakte Wissenschaft es für ihre Aufgabe hält, diese Fragen zu erörtern. Bis heut ist nur erwiesen, daß der Ssul sich aus jenen Wasserfluten (Seite 317A) erzeugte, welche von Dschinnistan bis herüber an das Schloß von El Hadd geflossen kommen und damals von Abu Schalem, dem berühmtesten und gütigsten aller Maha-Lamas, durch ebenso geheimnisvolle wie umfangreiche Uferbauten geregelt wurden.

Hiervon aber hatte ich, als wir jetzt aus dem Kessel heraufgeritten kamen, keine Ahnung. Ich glaubte, sobald wir die Höhe erreichten, jenseits wieder tief in abfallende Täler schauen zu können, und der Schech el Beled, der das wohl wußte, sagte kein einziges Wort, mich von diesem Irrtum zu befreien. Die Stadt, welche unterhalb des Schlosses lag, ging nicht ganz bis zu diesem hinauf. Man hatte von ihren letzten Häusern aus noch volle vier Terrassen höher zu steigen. Genau so weit, also genau vier Terrassen tief, reichte das äußere Fundament des Engels nieder, während rechts und links davon die Fundamente des Schloßbaues nur zwei Terrassen tief gründeten, aber auch auf festem, unerschütterlichem Felsen. Diese ungeheuer starken Mauerwerke schlossen große, geräumige Erd- und Kellergeschosse ein, die nach Süden, also nach der Sonnenseite lagen und neben gesunder Wohnung auch eine unübertreffliche Aussicht boten. Hier wurden die Ussul untergebracht. Sie wohnten da besser als in Ard, und vortreffliche Stallungen gab es für ihre Pferde mehr als genug. Für die Lanzenreiter und die >Schwarzgepanzerten< standen ganz oben besondere Gebäude.

Als wir die letzte und höchste Vorterrasse hinter uns hatten und, auf dem Plateau anlangend, unter herrlichen, tausendjährigen Zedern hervorritten, bot sich uns ein Anblick, der so vollständig unerwartet und zugleich so überwältigend war, daß man hätte glauben können, zu träumen. Das war ja keine Bergesspitze, wie ich erwartet hatte, sondern ein ganzes, neues, großes, herrliches Land, welches in wunderbarer, nie geahnter Schönheit sich vor uns breitete. Wir hatten die weite Fläche eines Sees, welcher fast ein Meer war, vor uns liegen, nach Ost und West vollständig unbegrenzt, während im Norden aus seiner Flut die Berge von Dschinnistan stiegen, in leichte Schleier gehüllt, zu Stein gewordenen Wahrsagerinnen gleich, die ihre Häupter aus dem See erheben, um nachzuschauen, ob sich bald erfüllen werde, was die Tiefe da unten schon seit Jahrtausenden predigte. Und hier, auf der Südseite des Sees, die fast übernatürlich hohe Gestalt des Engels, der, die Hand wie zum Segnen erhebend, von dem Hochland hinunter über die Grenze schaute, hinter sich eine unendliche und unerschöpfliche Fülle des Wassers, nach welchem die Menschen da unten und da draußen schon viele Jahrhunderte lang vergeblich dürsteten. Diesen Engel nach Ost und West flankierend, die hochragenden und weit ausladenden Gebäude des Schlosses, dessen Stil in seiner sichern Schwere und doch so leichten, anmutig bewegten Gliederung nicht die geringste Spur der abendländischen Baukunst an sich hatte. Vor sich eine ganze Menge blühender, duftender Gärten, welche durch tiefe Kanäle getrennt waren und in ihrer Gesamtheit doch einen Park von so eigenartiger Anlage und Schönheit bildeten, daß es seinesgleichen gewiß nicht weiter gab. Und tief, wie diese Kanäle, war auch der eigentliche Zweck dieser Gärten und der fächer- und kulissenartigen Anordnung, in der sie sich von dem Schlosse aus weit in den See hinaus erstreckten. Diese Gärten bildeten nämlich die verhüllende Verkleidung natürlicher Felsenmauern, welche, sich zwischeneinander schiebend, weit, weit hinaus in den See verliefen, um den ungeheuren Druck seines Wassers in Null zu verwandeln und den Wellen aber trotzdem zu erlauben, bis ganz nahe an das Schloß heranzutreten.


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