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3. Kapitel.

Von Sieg zu Sieg.

Die buchhändlerische Gepflogenheit, den neuen Jahrgang der Zeitschriften nicht am ersten Januar, sondern am ersten Oktober zu beginnen, hat Abd el Fadl und mich grad da überrascht, wo wir hinter Hadschi Halef herjagten, um ihn einzuholen. Da aber ein fest in den Bügeln stehender Erzähler sich selbst durch so bedeutende chronologische Verschiebungen nicht aus dem Sattel werfen läßt, so mag die Störung einflußlos an uns vorübergehen. Ich erzähle einfach weiter.

Als wir die Offiziere der Dschunub überholt hatten, befanden wir uns bereits im geologischen Gebiete der Landenge. Der Sand wechselte mit festem Gestein. Felsenstücke lagen zerstreut umher. Es bildeten sich Bodenerhebungen, die erst nur leise begannen, dann aber um so kräftiger wurden, je weiter wir kamen. Und da sahen wir Halef weit draußen am Horizont, zunächst nur als kleinen Punkt, doch kamen wir ihm so rasch näher, daß wir sehr bald Reiter und Pferd voneinander unterscheiden konnten. Er ritt nicht mehr Galopp, sondern Trab. Darum zügelten wir unseren rasenden Lauf, zumal Halef anhielt, um auf uns zu warten, als er uns kommen sah. Er lachte mit dem ganzen Gesicht.

"Ist er auf den Dicken gestiegen?" fragte er uns schon von weitem entgegen.

"Ja", antwortete ich.

"So sei Allah ihm barmherzig und gnädig! Was es heißt, auf diesem Ungetüm zu sitzen, das können nur meine Knochen und Knöchelchen schildern; leider aber bin ich es allein, der ihre Sprache empfindet. Wie kommst Du zu diesen Menschen? Was wollen sie? Warum nahmen sie Dich gefangen? Oder vielmehr, warum gingst Du darauf ein, als Gefangener zu gelten?"

"Davon später, lieber Halef. Vor allen Dingen muß ich wissen, wie Du auf den Gedanken gekommen bist, uns entgegenzureiten, und zwar auf Smihk, der doch in der Hauptstadt zu sein hat, nicht aber hier!"

"Er hat da zu sein, wo sich sein Herr befindet!"

"Ganz recht! Ich habe mir auch, sobald ich ihn sah, sofort gesagt, daß Scheik Amihn uns nachgekommen ist."

"Nicht nur er, sondern auch Taldscha, seine Frau!"

"Auch sie? Was ist geschehen?"

"Etwas außerordentlich Wichtiges. Du sollst es sofort hören!"

Dieses >Sofort< war bei ihm niemals wörtlich zu nehmen. Er pflegte Dinge, die er für wichtig hielt, stets so ausführlich wie möglich zu behandeln. Darum machte er, während wir weiterritten, eine kleine Kunstpause, um unsere Spannung zu erhöhen, und begann dann an einem Punkte, der scheinbar gar nicht zur Sache gehörte:

"Sihdi, weißt Du, daß Ardistan zwar bis an das Meer reicht, aber ohne Häfen und darum auch ohne Schiffahrt ist?"

"Ja. Nur zuweilen kommt ein kühner Indochinese oder Sundamalaye auf leicht gebautem Segler nach der unwirtlichen Küste von Ardistan, um bei den wenigen Menschen, die da wohnen, Waren einzutauschen."

"Ganz recht, Effendi! Und mit so einem Malayen ist der Diener gekommen."

"Welcher Diener?"

"Welcher - - - ? Ah, richtig! Das weißt Du ja noch nicht! Also, der 'Mir von Ardistan hat jetzt endlich dem 'Mir von Dschinnistan den Krieg erklärt, offen, gerade heraus oder - - wie nennt man das in Eurem Abendlande?"

"Amtlich, offiziell."

"Ja, so ist es richtig: amtlich, offiziell. Daß die beiden Söhne des Scheiks der Ussul zur Leibwache des 'Mir von Ardistan gehören, ist Dir bekannt?"

(Seite 162B) "Ja. Doch glaube ich, daß sie trotz dieser Stellung nur Bewachte, nicht aber Wächter sind. Ich halte sie nicht für Kommandierende, sondern für Geiseln, durch welche sich der 'Mir Gehorsam erzwingen will."

"Diese Vermutung scheint sich zu bewähren. Denn die beiden Söhne des Scheiks sind ganz plötzlich verschwunden. Der 'Mir hat verlangt, daß ihm der Scheik tausend Ussulkrieger sende, um ihm gegen Dschinnistan beizustehen. Da haben die Söhne sich geweigert, dies ihrem Vater zuzumuten. Sie haben erklärt, daß die Ussul nicht den geringsten Grund haben, den 'Mir von Dschinnistan zu bekämpfen. Hierauf sind sie mitten in der Nacht, als alles schlief, ergriffen und mit einem ihrer Diener, der sich bei ihnen befand, heimlich fortgeschafft worden. Wohin, das hat man ihnen nicht gesagt. Der Diener aber behauptet, wahrscheinlich nach der Geisterstadt, denn sie sei der schon von alters her gebräuchliche Ort, mißliebig gewordene hohe Personen verschwinden zu lassen. Sie wurden auf Pferde gebunden. Der Ritt dauerte lang. Am zweiten Abend gelang es dem Diener, zu entwischen. Er entkam nach der Küste und wurde dort von einem malayischen Schiffer aufgenommen, der ihn gegen das Versprechen einer guten Belohnung quer über die Bai und dann den Fluß hinauf fast bis nach Ussulia brachte. Er kam nach der Stadt, gerade als der Dschirbani mit seinen Hukara von dort abgezogen war. Die Ältesten wurden schnell zur Beratung zusammengerufen, und man beschloß, dem Dschirbani rasch zu folgen, um mit Dir und ihm das Nötige zu besprechen. Die Angst hat den Eltern Flügel verliehen. Sie kamen heut früh hier an."

"Und der Dschirbani?"

"Schon gestern abend."

"Aber nicht mit allen seinen Hukara! Das ist nicht möglich!"

"Nein, nur mit einigen. Die übrigen kamen dann während der Nacht, in der Reihenfolge der Leistung ihrer Pferde. Er hat sich keinen Schlaf gegönnt, sondern sofort alle Vorbereitungen getroffen, denen Du gewiß gern zustimmen wirst. Es wurden von dem Engpasse bis nach der Hauptstadt Zwischenstationen eingerichtet und bis zum Flusse Wasserposten gestellt, die erst die geleerten und dann die wiedergefüllten Schläuche einander zu reichen haben. Ich habe ihn auch schon zum Brunnen des Engels geführt, über dessen Wert er von sehr hoher Meinung ist. Er hat die Strecke vom Felsenloch bis zum Felsentor genau untersucht - - -"

"Auch den verborgenen Weg?" unterbrach ich ihn.

"Ja, auch den. Und er sagte, daß es keine bessere Falle geben könne als diese. Seine Hukara sind auch schon ganz genauso aufgestellt und unterwiesen, als ob die Feinde augenblicklich zu erwarten seien. Ich glaube nicht, daß Du noch irgend etwas hinzuzufügen hast. Du wirst zufrieden sein."

"Wie steht es mit dem Palang und seinen beiden Gefährten?"

"Die stecken in einer Felsenenge gefangen, aus der sie nicht entkommen können, und werden von meinem Hu bewacht."

"Und der oberste Minister und der oberste Geistliche von Dschunubistan?"

"Die stecken in einer andern Felsenspalte, aus der sie nicht herauskönnen und werden von Hi bewacht."

"Also auch gefangen?"

"Natürlich! Sie waren unterwegs dem Dschirbani begegnet und von ihm veranlaßt worden, mit ihm umzukehren, da er derjenige sei, der über ihre Wünsche zu bestimmen habe. Er hatte an ihre Ehrlichkeit geglaubt und sie darum ihrem hohen Range gemäß behandelt. Sobald er aber dann von mir erfuhr, was eigentlich ihre Absicht sei, wurden sie ebenso eingesperrt wie die drei Tschoban."

"Haben die Tschoban und die Dschunub einander gesehen?"

"Ja. Es ist nicht zu vermeiden gewesen."

"Nun, und warum kamst Du uns jetzt entgegengeritten? War das der Wille des Dschirbani?"

(Seite 163A) "Nein; der wünschte es nicht. Aber der Scheik und die Scheikin trieben mich; sie haben Angst um ihre Söhne und sie glauben, sich mehr auf Dich als auf den Dschirbani verlassen zu können. Sie sind ungeduldig zunächst auf Deinen Rat. Darum forderten sie mich auf, Dir mit der Bitte entgegenzureiten, Dich zu beeilen. Und als der Dschirbani meinte, daß dies überflüssig, unter Umständen sogar gefährlich sei, veranlaßten sie mich, es ohne sein Wissen zu tun. Ich konnte nicht widerstehen und hätte gern ein Pferd der Tschoban oder der Dschunub genommen; das hätte mich aber dem Dschirbani verraten, und so war ich denn gezwungen, auf Smihk, den dicken, zu klettern und heimlich fortzureiten. Und der war gescheidter als ich. Ich wollte nach Nordost; er aber ging mit mir durch und rannte nach Nordwest; da, Sihdi, traf ich Dich!"

Wir waren während dieses Berichtes so weit gekommen, daß wir jetzt die See erblickten und den Felsenzug des Engpasses vor uns liegen sahen. Ich erzählte Halef, was wir unterwegs erlebt und erfahren hatten. Dann war die Landenge erreicht; das Meer erschien auch auf der andern Seite, und in einiger Entfernung stieg grad vor uns das Felsentor empor. Noch eine Strecke weiterhin trat der erste Posten der Ussul, um sich uns zu zeigen, hinter Steinen hervor, die ihn verborgen hatten. Dieser Posten bestand aus Irahd, dem bekannten Anführer, und acht seiner Leute. Er hatte diesen wichtigen Posten selbst übernommen, um gewiß zu sein, daß nichts Fehlerhaftes geschehe. Und eben, als wir mit ihm sprachen, kam der Dschirbani mit vielleicht einem Dutzend seiner Hukara geritten, um diesen Teil des Kampfplatzes zu besichtigen. Es war ein lieber, warmer, aufrichtiger Händedruck, mit dem er mich begrüßte; vor Abd el Fadl aber verbeugte er sich tief und feierlich, wie vor einer Person vom höchsten Stande. Das fiel mir auf. Einige kurze Fragen und Antworten genügten für ihn und mich, uns gegenseitig das Nötigste mitzuteilen; dann bat er mich, mir die Aufstellung seiner Truppen zeigen zu dürfen. Ich willigte ein, obgleich es mir Spaß gemacht hätte, bei der Gefangennahme der Dschunuboffiziere, die nun bald erscheinen mußten, zugegen sein zu können. Ich belehrte Irahd, wie das zu machen sei, und Halef versicherte mir mit sehr unternehmendem Lächeln, daß ich da ganz unbesorgt sein könne, weil er selbst hierbleiben werde, um für einen festlichen Empfang dieser Herren einzutreten.

Der Dschirbani ließ seine Begleiter hier, um bei der Gefangennahme der Dschunub behilflich zu sein. Er ritt den edlen Schimmel des Maha-Lama, der ein so schnelles Pferd war, daß wir unsere Besichtigung beträchtlich verkürzen konnten. Ich war nämlich überzeugt, daß der ältere Prinz der Tschoban sich beeilen werde, noch vor Nacht auf der Landenge einzutreffen, und wollte unbedingt dabei sein, wenn er festgenommen wurde. Da galt es also, keine Zeit zu verlieren.

Wir ritten zunächst nach dem Felsentore, wo ich Merhameh begrüßte. Hier stand ein Posten von dreißig Mann, die sich aber bei der Annäherung der Feinde zurückzuziehen hatten. Von da ging es nach dem Felsenloche, wo wir auf einen gleichgroßen Posten trafen. Hier war die Stelle, an welcher der erste Stoß der Tschoban ausgehalten und zurückgewiesen werden mußte; für jetzt aber genügte diese schwache Zahl. Das Gros der Hukara lag noch weiter zurück, nämlich da, wo die Landenge auf ihrer südlichen Seite begann. Wir stießen da auf ein Kriegslager im wahrsten und romantischesten Sinne des Wortes.

Man denke sich die Gestalten dieser riesigen Ussul und ihrer ebenso riesigen Pferde, ihre Bewaffnung, die eigenartige Gewichtigkeit und Massigkeit in ihren Bewegungen und in allem, was sie taten! Nur ein Homer würde sich an die Beschreibung dieses Lagers wagen dürfen. Durch die Kunde, daß die beiden Söhne des Scheiks verschwunden seien, war der Zuzug zu dem Heere des Dschirbani bedeutend vergrößert worden. Es zählte heut bereits zwölfhundert Mann. Und er wies keinen einzigen zurück, der zu ihm kam, denn sein eigentlicher Plan ging weit über die Landenge Chatar hinaus, und wer sich nicht zum Krieger eignete, der konnte noch im Troß von Nutzen sein. Zwei Zwischenstationen führten von hier weiter. Die eine nach dem Flusse und von da nach der Hauptstadt; sie hatte täglich den Proviant und das Wasser für die Pferde zu erneuern. Die (Seite 163B) andere bis nach dem Brunnen des Engels, von wo das Trinkwasser für die Menschen zu holen war.

Hier, im Lager, trafen wir den Scheik und seine Frau. Die Begrüßung war beiderseits eine herzliche, doch hatte ich keine Zeit, länger als nur einige Minuten zu verweilen, denn wir mußten nach dem nördlichen Auslauf des Engpasses zurück, weil von dieser Seite alles kam, was zu erwarten war. Vorher aber warf ich noch einen Blick in die beiden Felsenengen, in denen der >Panther< mit seinen beiden Gefährten und die zwei hohen Dschunub steckten. Ich überzeugte mich, daß es aus diesen Gefängnissen kein Entkommen gab, zumal vor jedem einer der Hunde Halefs Wache hielt. Es gab im hiesigen Felsengewühl noch ähnliche Orte in Menge. Wir suchten einen passenden auch für den älteren Prinzen der Tschoban aus, den wir mit seinem jüngern Bruder nicht zusammenbringen wollten. Es waren teils rein menschliche und teils diplomatische Gründe, die es uns verboten, den letzteren wissen zu lassen, daß der erstere anwesend sei, und zwar auch als unser Gefangener.

Nun ritten wir wieder über den Paß zurück und hatten das Vergnügen, schon unterwegs die Beweise zu erhalten, daß Halef und Irahd ihre Pflicht sehr wohl, sogar mit Humor, erfüllten. Wir hatten nämlich, indem wir uns wieder nordwärts wendeten, das >Felsenloch< noch nicht erreicht, so kam uns ein sehr kräftiger Vorposten entgegengeritten. Er saß auf dem Pferde des Generals der Dschunub. Dieser aber lief, sehr gut gefesselt und mit der einen Hand an den Steigbügel gebunden, als Gefangener nebenher. Er wurde zu dem Maha-Lama und den >obersten Minister< gebracht. Wir ritten sehr ernst vorüber und taten, als ob wir ihn gar nicht sähen; innerlich aber mußte ich doch lächeln, wenn ich an die ironischen Ermahnungen dachte, die Halef ihm auf alle Fälle mitgegeben hatte. Nur kurze Zeit später brachte ein anderer Ussul in ganz gleicher Weise den Oberst geführt, dem schnell darauf der Major folgte. So ritten wir auch noch an dem Hauptmanne, dem Leutnant und dem Unteroffizier vorbei und erreichten den Posten grad in dem Augenblick, in dem auch der Soldat gefesselt worden war und soeben fortgeschickt wurde.

"Bist Du mit uns zufrieden, Effendi?" fragte Halef. "Mit diesen sind wir fertig. Und nun schau einmal dort hinaus! Da kommen auch noch die letzten zwei, aber nicht auf-, sondern hintereinander!"

Er deutete nach der Gegend, aus der wir vorhin gekommen waren. Da sahen wir zunächst Smihk, den dicken, der mit gesenktem Kopfe im Zotteltrab auf die Landenge zusteuerte und uns schon ziemlich nahe war. Weit draußen kam der Stratege hinterhergelaufen, und zwar so schnell, wie seine langen Beine den kurzen Körper tragen konnten. Die Kopfbedeckung mit dem Reiherbusch hielt er in der einen Hand, den Säbel in der andern. Am rechten Ort gelassen, hätten beide es ihm unmöglich gemacht, einen solchen Dauerlauf auszuführen.

"Seht. wie er kommt!" forderte Halef die Hukara auf. "Es ist der Tertib We Tabrik Kuwweti Harbie Feminde Mahir Kimesne des tapferen Scheiks von Dschunubistan! Und - - "

Er hielt mitten in seiner Rede, die jedenfalls satirisch werden sollte, inne. Sein Auge war auf einen weiter nach rechts liegenden Punkt des nördlichen Horizonts gefallen, an dem eine Gruppe von drei Reitern erschien, deren Richtung auch grad nach der Landenge lag.

"Wer mag das sein?" fragte er.

"Der ältere Prinz der Tschoban," antwortete ich, "mit seinem Freunde und seinem Führer."

"Hamdulillah! So ist dann unser Tagwerk vollendet! Wie gut, daß er noch vor Abend kommt! Wie soll er behandelt werden?"

Er richtete diese Frage nicht an mich, sondern an den Dschirbani, weil ich ihn angewiesen hatte, nur allein diesen als den gebietenden Feldherrn zu betrachten. Dessen Antwort lautete:

"So, wie ein guter Mensch behandelt werden muß, selbst wenn er als Gegner erscheint. Ich will die Tschoban nicht vernichten, sondern sie aus Feinden in Freunde verwandeln. Und dieser Prinz ist es besonders, auf den ich mich dabei zu stützen habe. Nur derjenige Sieg ist ein wirklicher Sieg, der alle Feinde vernichtet und keinen einzigen von ihnen übrig läßt. (Seite 164A) In vergangenen, grausamen Zeiten suchte man dies dadurch zu erreichen, daß man sie ausrottete, sie tötete. Heute und noch viel mehr in der Zukunft aber kommt man viel leichter, viel sicherer und viel menschlicher zu ganz demselben Ziele, indem man den Haß in Liebe kehrt und sich dadurch den Widersacher zum Verbündeten und Helfer macht. Diese letztere Weise soll auch die unsere sein. Ich will durch Liebe siegen, nicht durch Blut und Tod!"

Nun war Smihk so weit herangekommen, daß er uns nicht nur sah, sondern auch erkannte. Er war des fremden Reiters überdrüssig geworden und hatte ihn abgeworfen. Nun er aber bekannte Gestalten erblickte, stieß er einen Jubelschrei aus, der alles überbot, was bis jetzt von ihm zu hören gewesen war. Ich ging ihm einige Schritte entgegen, um ihn zu liebkosen, wobei er den Schwanz in einen erstaunlichen Freudenwirbel versetzte. Kurze Zeit darauf stellte sich der Stratege ein, natürlich zu Fuß. Er war ganz außer Atem. Als er Halef und mich sah, blieb er pustend vor uns stehen und begann dann, ein Donnerwetter über uns loszulassen, wurde aber schnell unterbrochen: Zwei stämmige Hukara ergriffen ihn bei den Armen und zogen ihn fort, um ihn dahin zu bringen, wohin ihm seine Untergebenen vorausgeschickt worden waren.

Die Sonne war dem Untergange nahe, als der Prinz der Tschoban sich der Stelle näherte, an der wir uns befanden. Wir waren von den Pferden gestiegen, hatten diese versteckt und dann auch für uns selbst hinter Steinen so gute Deckung gesucht, daß wir nicht gesehen werden konnten. Die drei Reiter hielten sich für vollständig sicher. Sie waren darum nicht wenig überrascht, als wir plötzlich aus unserer Verborgenheit hervortraten und einen so dichten Kreis um sie bildeten, daß sich ihre Pferde nicht bewegen konnten.

"Ussul!" rief der Prinz, der sofort aus dem Äußeren der Leute, die ihn überfielen, ersah, zu welchem Volke sie gehörten. "Wer bist Du?"

Diese Frage war an den Dschirbani gerichtet, der zu ihm herantrat und nach der Maulkette seines Pferdes griff, um vor allen Dingen dieses in seine Gewalt zu bringen.

"Man nennt mich den Dschirbani," lautete die Antwort.

Der Prinz konnte diese Worte nicht hören, sah aber an den Mundbewegungen des Antwortenden, daß sie gesprochen wurden, und richtete darum den Blick auf seinen Begleiter, der ihm jene Worte zu übersetzen hatte. Als dies geschehen war, antwortete der Prinz:

"Der Dschirbani bist Du? Der Räudige?"

Er sah ihn prüfend vom Kopfe bis herab zu den Füßen an und fuhr dann fort:

"Ich habe Dich noch nie gesehen, und doch ganz anders von Dir gedacht, als törichte Leute denken. Und nun ich Dich zum ersten Male sehe, gefällst Du mir, und ich möchte darauf schwören, daß ich mich nicht in Dir geirrt habe. Was willst Du von mir? Warum drängt Ihr Euch an uns heran?"

"Um Euch gefangenzunehmen."

Als ihm auch das übersetzt worden war, fragte er:

"Aus welchem Grunde? Euch an uns zu vergreifen, habt Ihr weder Ursache noch Recht. Der Engpaß Chatar liegt zwischen Eurem und unserm Gebiet. Nur seine südliche Hälfte gehört Euch, die nördliche aber uns. Wir befinden uns jetzt auf der nördlichen, also auf unserem eigenen Gebiete. Wie könnt Ihr es wagen, uns da gefangennehmen zu wollen?"

"Weil Ihr nach der Landenge kommt, um die Grenze zu überschreiten und uns zu überfallen!"

Nun erkundigte sich der Prinz:

"Kennst Du mich?"

Der Dschirbani nickte und fügte hinzu:

"Wir haben Deinen Bruder ergriffen, als er bei uns spionierte. Wir wissen alles. Es würde Dir nichts helfen, es zu leugnen. Aber ich habe auch gar nicht die Absicht, mit Dir über den bevorstehenden Kampf zu sprechen. Für heute möchte ich von Dir nur das eine erfahren, wie es gekommen ist, daß Du taub geworden bist."

Als dem Prinzen diese Worte übertragen worden waren, richtete er sich zunächst stolz im Sattel auf und sprach:

"Ich leugne nie etwas; das merke Dir! Mein Name ist Sadik!" Und in verwundertem Tone fuhr er dann fort! "Was (Seite 164B) geht Dich meine Taubheit an? Allah hat sie mir gegeben, und nur er allein kann sie mir wieder nehmen!"

"Früher aber warst Du nicht taub?"

"Nein," antwortete der Begleiter an des Prinzen Stelle, um diesem die Antwort und sich die Übersetzung zu ersparen.

"Wie ist er es geworden?" erkundigte sich der Dschirbani weiter.

"Durch einen Schlag auf den Kopf."

"Sieht man die Spuren dieses Schlages?"

"Ja."

"Noch heut?"

"Noch heut, und zwar sehr deutlich."

"Willst Du sie mir beschreiben?"

"Ich weiß nicht, warum und wozu Du das begehrst. Aber wenn Du wirklich der Dschirbani bist, so hat man mir gesagt, Du seist ein guter Arzt. Darum glaube ich, Dir mitteilen zu können, daß sich die Stelle bald hart, bald weich anfühlt, zuweilen sogar eitert. Und nun bitte ich Dich, diesen beleidigenden Gegenstand fallen zu lassen!"

Diese Bitte war berechtigt. Es befremdete auch mich ein wenig, daß der Dschirbani in diesem hochwichtigen Augenblicke weder eine diplomatische noch eine kriegerische, sondern nur diese rein ärztliche Frage berührte. Ich kannte ihn eben noch nicht. Der Tschoban beantwortete sie ihm jedenfalls nur gezwungenerweise. Er sah unsere Überzahl und Übermacht und ließ sich zu dieser Auskunft wohl nur deshalb herbei, weil er uns durch diese seine Bereitwilligkeit bei guter Stimmung erhalten wollte. Aber noch mehr von ihm zu verlangen, hielt er, wie gesagt, für beleidigend. Dennoch fuhr der Dschirbani fort:

"Ich achte Deinen Wunsch, möchte Dich aber doch bitten, mir zu sagen, wo diese Stelle liegt."

"Hier," antwortete der Gefragte, indem er mit dem Finger nach der betreffenden Gegend seines eigenen Kopfes deutete.

Da leuchteten die Augen des Dschirbani befriedigt und er fragte:

"Glaubst Du, daß Prinz Sadik mich diese Stelle einmal sehen lassen würde?"

Da fuhr der Tschoban zornig auf:

"Was denkst Du von mir und auch von ihm? Der heilige Islam verbietet streng, das Haupt vor dem Auge eines Ungläubigen zu entblößen! Und der, von dem Du diese Sünde verlangst, ist ein eifriger Moslem, ja sogar ein Prinz!"

"Ich bitte Dich dennoch, ihn selbst zu fragen!"

"Ihn selbst? Nein! Das tue ich nicht!"

"Warum nicht?"

"Weil ihn das so sehr beleidigen würde, daß er es mir niemals verzeihen könnte."

"Du wirst es dennoch tun!"

"Gewiß nicht!"

"O doch! Ihr seid unsere Gefangenen. Du siehst, daß jeder Widerstand vergeblich ist. Ich habe einen ganz bestimmten Grund, die Verwundung, die nicht heilen will, zu sehen. Weigert er sich, so zwinge ich ihn. Fügt er sich aber, so gebe ich ihn frei! Sag ihm das! Du hast nur eine einzige Minute Zeit, mehr nicht!"

Er wendete sich von ihm ab und mir zu:

"Wundere Dich nicht, Shahib!" bat er mich mit gedämpfter Stimme. "Du wirst später sehen, wie wichtig das ist, was ich tue."

Hierauf flüsterte er seinen Leuten einige Weisungen zu und wendete sich dann wieder an den Dolmetscher, der seinen Herrn von dem, was von ihm gefordert wurde, durch Gebärden verständigte. Diese seine Zeichen waren so gut verstanden worden, daß der Prinz den Dschirbani, als dieser sprechen wollte, gar nicht zu Worte kommen ließ, sondern in bestimmtem Tone sagte:

"Du wünschest, mein entblößtes Haupt zu sehen. Dieses Verlangen kann ich Dir ganz unmöglich erfüllen, denn erstens enthält es eine Beleidigung, und zweitens wird es mir durch meine Religion verboten. - - -"

Der Dschirbani wollte eine schnelle Drohung an den Dolmetscher richten. Das sah der Prinz und fuhr darum noch schneller fort:

(Seite 165A) "Gib Dir keine weitere Mühe! Von jedem andern würde mir dieses Dein Verlangen als kindisch erscheinen. Da aber Du es bist, so gibt es jedenfalls Gründe, denen ich - - -"

Er konnte den Satz nicht aussprechen, denn der Dschirbani hatte seinen Hukara einen Wink gegeben, worauf die drei Tschoban so schnell von ihren Pferden gerissen und entwaffnet wurden, daß an einen Widerstand gar nicht zu denken war. Der Dolmetscher und der Führer wurden von ihrem Herrn getrennt und schleunigst fortgeschafft. Den Prinzen aber band man mit lang ausgestrecktem Körper und fest angezogenen Armen derart an drei nebeneinander gelegte Lanzen fest, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Dann wurde ihm der Kopf vollständig entblößt und so mit Riemen an die Lanzen geknebelt, daß er nicht um eines Haares Breite gedreht oder überhaupt aus dieser Lage gebracht werden konnte. Als das geschehen war, bog der Dschirbani sich zu ihm nieder, um die Stelle, deren Besichtigung er sich erzwungen hatte, zu untersuchen. Der Gefesselte gab keinen Laut von sich. Er hielt die Augen geschlossen, doch nicht etwa, weil er ohnmächtig war, sondern um seine Entrüstung zu meistern.

Als der Dschirbani sich wieder aufrichtete, zog er aus der Innentasche seines Gewandes zwei Bestecke hervor, von denen das eine Verbandzeug, das andere aber feine, ärztliche Instrumente enthielt. Er trat zu mir und fragte:

"Shahib, hast Du schon einmal von der sogenannten Seelenblindheit und Seelentaubheit gehört?"

"Schon oft," antwortete ich.

"So wirst Du mich begreifen. Wenn es mir gelingt, dem Prinzen die Fähigkeit, zu hören, zurückzugeben, so nützt uns das mehr, als ein blutig gewonnener Sieg. Um die eigentliche Seelentaubheit handelt es sich in diesem Falle zwar nicht, aber doch um etwas Ähnliches. Die Decke des Gehirnes wurde verletzt, und zwar grad da, wo unter ihr in der Schläfenwindung die Sphäre des Gehöres liegt. Ich hoffe, dem Übel auf den Grund zu kommen. Es scheint mir leicht, sogar sehr leicht."

Er kniete neben dem Prinzen nieder. Zwei seiner Hukara mußten ihm helfen. Ich erfuhr später, daß er nur ein kleines, haarscharfes Messerchen und eine ebenso kleine Pinzette gebraucht hatte, um die Operation auszuführen. Plötzlich ertönte ein lauter, spitzer Schrei, der von dem Prinzen ausgestoßen wurde. Hierauf wurde es wieder still. Ich sah, daß der Dschirbani die Wunde aus einem Fläschchen reinigte und dann verband. Sogleich wurde der Prinz wieder losgebunden und bekam seine Kopfbedeckung zurück. Er hatte die Augen jetzt offen, sagte aber nichts. Der Dschirbani zeigte ihm den kleinen Gegenstand, den er aus der alten Verletzung herausgeholt hatte und der so eigenartig eingeklemmt gewesen war, daß er nicht hatte herauseitern können. Es schien ein Stückchen Knochen zu sein; bei näherer Betrachtung aber stellte es sich heraus, daß es Elfenbein war. Der Prinz war sich zuerst über die Bedeutung der ganzen Prozedur nicht klar. Man hatte ihn gefesselt und dann in den entblößten Kopf gestochen oder geschnitten. Warum, wozu? Jetzt sah er das kleine, winzige Stückchen Elfenbein. Es schien ihn nicht im mindesten zu interessieren. Er griff nur immer mit der Hand nach der Stelle, die von dem Messer berührt worden war. Dann aber stieß er plötzlich ein lautes "Maschallah!" aus und nahm den Gegenstand aus des Dschirbani Hand. Während er ihn genau betrachtete, schien es in ihm hell zu werden.

"Das war in meinem Kopfe?" fragte er.

Der Dschirbani nickte.

"Du hast es aus der Wunde geschnitten?"

Er bekam dieselbe Antwort. Da reichte er dem Dschirbani die Hand und sprach:

"Du hast es gut gemeint! Ich danke Dir! Dieses Stückchen Elfenbein ist mir viel, sehr viel wert. Bewahre es mir! Es wird mir unwohl."

Er sank langsam auf die Erde nieder. Man hob ihn auf und schaffte ihn unter Anwendung aller möglichen Rücksicht fort. Der Dschirbani steckte das Elfenbeinchen ein und sagte:

"Es war genau so leicht, wie ich dachte. Es ist gelungen. Das Gehör kehrt ihm zurück."

"Wann?" fragte ich, im höchsten Grade erfreut.

(Seite 165B) "Schon heut! Morgen! Übermorgen! Übers Jahr! In zehn Jahren! Wer kann das wissen? Es war mir nur möglich, den störenden Gegenstand zu entfernen; die Größe und die Schwere der Störung kenne ich nicht. Die äußere Wunde wird nun sehr schnell heilen. Ob auch die innere Schädigung sich gleich rasch heben wird, das weiß ich nicht. - Kommst Du mit mir? Wir sind vom Scheik zum Abendessen geladen."

Nachdem die nötigen Weisungen für die Nacht erteilt worden waren, ritten wir wieder den ganzen Engpaß entlang dem Lager zu. Dort war für den Scheik ein Zelt errichtet, vor dem das Abendessen auf uns wartete. Bewirtet wurden wir von ihm und seiner Frau. Geladen waren Abd el Fadl, Merhameh, der Dschirbani, mein Hadschi Halef und ich. Der Dschirbani hatte geglaubt, daß ich Abd el Fadl kenne. Erst während dieses Rittes zum Abendessen erriet er aus einer Äußerung von mir, daß dies nicht der Fall sei. Da fragte er mich:

"Wann hast Du Abd el Fadl zum ersten Male gesehen?"

"Erst vor einigen Tagen, hier", antwortete ich.

"Weißt Du, wer er eigentlich ist?"

"Nein."

"So erfahre und erstaune: er ist der Fürst von Halihm. An Reichtum kommt ihm keiner gleich im ganzen Ardistan. Und doch siehst Du ihn einfacher und bescheidener, als mancher Bettler ist. Er hat ein Gelübde getan; welcher Art es ist, das weiß man nicht genau, weil er niemals davon spricht. Es ist das ein Geheimnis, das er nur mit Merhameh, seiner Lieblingstochter, teilt."

"So ist sie nicht sein einziges Kind?"

"Nein. Er hat noch Söhne und Töchter, die hoch am Throne wohnen. Nimmt er sich unser an, so ist uns viel geholfen!"

Das heutige Nachtmahl war dadurch ausgezeichnet, daß der Simmsemm vollständig fehlte. Es gab nur Wasser zu trinken. Die Einladung kam aus dem Herzen, hatte aber auch noch den besonderen Zweck, uns die Befreiung der beiden Söhne des Scheiks an das Herz zu legen. Der letztere war mit dem festen Entschlusse gekommen, an unserm Zuge nun persönlich teilzunehmen, um den 'Mir von Ardistan zur Herausgabe der Gefangenen zu zwingen. Es kostete uns viele Mühe, ihn davon abzubringen, indem wir ihn zu der Überzeugung brachten, daß er uns viel eher hinderlich als förderlich sein werde. Seine brave, einsichtsvolle Frau ging uns hierbei recht wacker an die Hand. Sie war nur mitgekommen, um ihn von der Ausführung dieser seiner Absicht abzuhalten. Sie liebte ihre Söhne nicht weniger als er; aber sie wußte, daß er seinem ganzen Wesen nach weiter gar nichts als nur Ussul war und jenseits der Grenzen seines Landes und seiner persönlichen Verhältnisse auf Gehorsam und Erfolg verzichten müsse. Ich fühlte mich außerordentlich befriedigt, als es uns mit dieser ihrer Hilfe gelungen war, seinen Plan zurückzuweisen und ihn zur Heimkehr zu bewegen. Freilich sollte diese Heimkehr nicht eher angetreten werden, als bis der Sieg hier an dem Engpasse endgültig entschieden sei; das machte er zur Bedingung.

Eine wirkliche Freude war es mir, zu sehen, daß der Scheik sich schon heut, nach so wenig Tagen, zum Dschirbani ganz anders verhielt als bisher. Nun, wo nicht mehr die Materie, sondern der Geist zu gebieten hatte, ließ sie sich allmählich herbei, seine Rechte anzuerkennen.

Von Abd el Fadl und seiner Tochter sei heute nicht besonders gesprochen. Wir standen vor großen, hochbedeutenden Ereignissen, die sich auf dem Engpasse, und zwar genau auf der Mitte desselben, vollziehen sollten. Es ist also gar wohl am Platze, heut, am letzten Abend vor Eintritt dieser Ereignisse, ein kurzes, deutliches Bild ihres Schauplatzes zu geben.

Die Landenge verband die im Norden von ihr liegende Wüste der Tschoban mit dem südwärts angrenzenden Lande der Ussul. Im Süden gab es Wasser, im Norden aber nicht. Es war zu erwarten, daß die Tschoban mit ihren Pferden halbverdurstet anlangen würden. Sie rechneten jedenfalls darauf, über den Paß sehr schnell hinwegkommen und drüben den Fluß erreichen zu können. Dies ihnen unmöglich zu machen, darin bestand unser Plan. Sie mußten auf der Landenge festgehalten (Seite 166A) werden. Der Durst sollte unser Verbündeter sein. Wir hofften, daß er sie zwingen werde, sich uns auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Dazu war freilich nötig, daß die Einschließung sich so eng und so qualvoll für sie gestaltete, daß ihnen keine Hoffnung auf irgendeine andere Rettung blieb. Glücklicherweise kam uns die Natur durch die eigenartige Gestaltung des Engpasses in ganz besonders freundlicher Weise entgegen. Er zerfiel nämlich in drei fast ganz gleich lange Teile. Zwei Querhöhen reichten über ihn hinweg von einem Meere bis zum andern. Es gab also einen nördlichen, einen mittleren und einen südlichen Teil, die vollständig voneinander getrennt gewesen wären, wenn sich nicht in jeder der beiden Querhöhen ein schmaler Durchgang befunden hätte, durch den die Verbindung sich ermöglichte. Diese beiden natürlichen Quermauern waren das >Felsentor< und die hohe, steinige Wand des >Felsenloches<. Das erste, nördliche Drittel des Passes ging von der Wüste der Tschoban bis nach dem >Felsentore<. Das letzte, südliche Drittel reichte vom Lande der Ussul bis an das >Felsenloch<. Zwischen beiden, also zwischen dem >Felsentore< und dem >Felsenloche<, lag das mittelste Drittel, welches die eigentliche Falle bilden sollte. Wenn meine Berechnung richtig war, so gingen die Tschoban ganz bestimmt in diese Falle, und zwar nicht etwa zögernd, sondern schnell. Ich glaubte nicht, daß sie sich Zeit nehmen würden, die Örtlichkeit genau zu untersuchen, sondern ich war überzeugt, daß der Durst sie treiben werde, so rasch wie möglich über den Paß hinüber zu kommen. Das >Felsentor< stand ihnen offen, sollte aber hinter ihnen sofort besetzt werden. Wenn sie das >Felsenloch< erreichten, wurden sie nicht hindurch gelassen. Dann konnten sie weder vor- noch rückwärts und waren ganz in unserer Hand.

Es war mein Wunsch, daß gar kein Blut vergossen werde; aber wenn ich mich in die kommende Situation hineindachte. erschien es mir als sehr wahrscheinlich, daß wenigstens an beiden Enden der Falle ein Kampf nicht zu vermeiden sei. Denn es war anzunehmen, daß die Tschoban den Versuch machen würden, sich hier oder dort, vielleicht gar an beiden Stellen, den Durchlaß zu erzwingen. Daß diese Versuche ebenso erfolglos wie blutig sein mußten, verstand sich ganz von selbst. Als ich während des Abendessens gegen den Dschirbani hierüber eine Bemerkung machte, sagte er:

"Sei ohne Sorge! Es wird kein einziger Tropfen Blut vergossen werden. Die Vorbereitungen sind schon getroffen, (Seite 166B) nur sahst Du sie noch nicht, denn Du hattest keine Zeit. Ich werde sie Dir nach dem Essen zeigen. Ich habe mich mit allen vier Elementen verbunden - - -"

"Etwa mit Feuer, Wasser, Luft und Erde?" unterbrach ich ihn.

"Ja. Und diese unsere vier Freunde sind, wie ich sehe, fest entschlossen, sich unserer Sache kräftigst anzunehmen."

Indem er das sagte, warf er einen forschenden Blick auf die beiden Meere hinaus und dann nach dem Himmel empor.

"Von zwei Elementen gebe ich das zu," bemerkte ich. "Die Erde hat uns aus ihrem festesten Gestein die Riesenfalle gebaut, und das Wasser hält an beiden Seiten die Tschoban ab, diese Falle zu verlassen. Wie aber ist es mit dem Feuer und der Luft?"

"Schau zum Himmel auf! Zwar scheint der Mond, aber kein einziger Stern ist zu sehen, obgleich ihrer Tausende dort stehen müßten. Das Firmament gleicht einer Stubendecke, die mit gelber, dicker Tünche angestrichen ist. Nur der Mond dringt da hindurch, ein Stern aber nicht. Das fällt nur Dir nicht auf, der Du ein Fremder bist. Wir aber kennen unser Land und ebenso auch unsern Himmel. Morgen gibt es Sturm, und dann wirst Du deutlich sehen, daß die Luft mit uns im Bunde ist."

"Und das Feuer?" fragte ich.

"Das wird uns Pulver ersparen," antwortete er. "Sobald ich hier ankam, wurde ich von Halef und Merhameh auf das Felsentor geführt. Indem ich von da oben herab die ganze Falle überblickte, kam mir der Gedanke, ihre beiden Ausgänge nicht mit Pulver und Blei, sondern durch das Feuer bewachen zu lassen. Ich säumte nicht, die hierzu nötigen Vorbereitungen zu treffen. Eine Schar meiner Hukara mußte zurückreiten, um da, wo der Wald beginnt, das nötige Holz zu fällen und mit Hilfe ihrer starken Pferde herbeizuschleppen. Schon liegt ein großer Vorrat hier, und sie arbeiten noch immer. Während der heutigen Nacht wird davon so viel, wie wir brauchen, nach dem Felsenloch geschafft, um dort, sobald es morgen dunkel wird, in Brand gesteckt zu werden - - -"

"Das ist ja ein ganz vortrefflicher Gedanke!" unterbrach ich ihn. "Natürlich geschieht ganz ähnliches am Felsentore? Nur daß wir das Holz leider nicht vorher dort aufstapeln können, denn es würde uns verraten. Wie werden wir das machen?"

"Es ist bereits gemacht oder doch wenigstens schon im Gange. Dieses Holz wird nämlich in Gestalt von kleinen Flößen längs (Seite 167A) des Ufers der heut noch ganz ruhigen See nach dem nördlichen Ende der Landenge gerudert und dort so versteckt, daß die Tschoban, wenn sie kommen, vorüberreiten, ohne es zu sehen. Du weißt, wie prächtig die Ussul mit solchen Flößen umzugehen verstehen."

"Das weiß ich wohl, und ich muß Dich herzlich loben. Wie vortrefflich wäre es, wenn wir die Passage nicht nur teilweise, sondern ganz und vollständig mit Feuer verstopfen könnten. Leider aber ist, um nur von der einen Stelle zu reden, das >Felsenloch< nicht ein wirkliches, kleines Loch zu nennen, welches nur die Breite des Weges besitzt, sondern es kommt hierzu auch noch die ganze Breite des alten Flußbettes. Es ist aber ganz unmöglich, so viel Holz herbeizuschleppen, um eine Feuer von solcher Ausdehnung anzünden und unterhalten zu können."

"Da kommt das Wasser zu Hilfe!" lächelte er. "Bei solchem Sturm, wie für morgen zu erwarten ist, füllt der Fluß sich schnell mit Wasser. Die Wogen werden hoch am Felsen emporgetrieben und treten da in Risse und Rinnen ein, die in das trockene Bett hinunterführen. Wenn der Sturm sich nach der Ebbe mit der steigenden Flut verbindet, kommt es vor, daß der alte Fluß das eindringende Seewasser nicht zu fassen vermag. Es tritt dann über die Ufer und steigt auch dort noch mehrere Fuß empor, um an dem Wege längs der Felsen Spuren zu hinterlassen, die Du nur deshalb nicht bemerkt oder nicht beachtet hast, weil Du so etwas für ausgeschlossen hältst."

"Höchst wunderbar! Und einen solchen Sturm vermutest Du grad für morgen, also für den Tag, an dem die Tschoban kommen und hier gezwungen werden sollen, Frieden zu halten. Ist das Zufall?"

"Zufall?" antwortete er. "Ich weiß, daß auch Du nicht an den Zufall glaubst, Shahib. Sobald der Mensch nicht künstlichen Gesetzen folgt, sondern nur den natürlichen, die ihm Gott gebietet, steht ihm die ganze irdische Natur als Helferin zur Seite. Dann geschehen Zeichen und Wunder, deren Zusammenhang mit unserm Wünschen und Wollen nur Gott allein erklären könnte, wenn wir klug und gläubig genug wären, ihn zu begreifen. Doch, philosophieren wir nicht, sondern bleiben wir praktisch! Fassen wir dankbar zu, wenn uns der Himmel Hilfe schickt, obgleich wir nicht glauben, sie auf uns beziehen zu dürfen. Sie ist dennoch für uns bestimmt!"

Als wir uns nach dem Essen von unserem Wirte und unserer Wirtin verabschiedet hatten, führte er mich an die See, wo ich sah, wie die Flöße gebildet und dann längs der Küste fortgerudert worden. Dann ritt ich mit Halef noch nach dem >Felsentore<, wo wir an derselben Stelle schlafen wollten, an der wir am ersten Abend nach unserer Ankunft hier geschlafen hatten, im weichen Sand, der zwischen schützenden Felsen lag, die den Sturm abhielten, falls er sich schon während der Nacht erheben sollte. Bei unserer Ankunft am >Felsenloche< fanden wir vor diesem schon solche Mengen Holz aufgestapelt, als ob wir glaubten, die beabsichtigten Feuer nicht nur einen Tag, sondern eine ganze Woche brennen lassen zu müssen. Und das war gut, wie sich bald zeigen wird!

Mein kleiner Hadschi Halef war, ganz gegen seine sonstige Art und Weise, heut abend auffallend still. Er fühlte, daß ich dies besonders bemerkte, und sagte, um mir eine Erklärung dafür zu geben:

"Wir haben schon viel erlebt, Sihdi, aber so Wichtiges, wie jetzt, wohl noch nie. Selbst jenes alte Ereignis im >Tal der Stufen<, das dem gegenwärtigen so ähnlich scheint, hat mich nicht so tief ergriffen, wie mich die jetzige Zeit berührt. Und weißt Du, was das Sonderbarste hierbei ist?"

"Nun? Was?"

"Daß ich dem Dschirbani vollständig vertraue. Früher hätten alle Fäden in Deiner und meiner Hand vereinigt sein müssen. Wenn nicht, so hätte ich von der ganzen Sache nichts wissen mögen. Und heute ist es ganz anders. Ich trete mit Vergnügen zurück. Ich gönne dem Dschirbani die Kraft und den Mut, seinen eigenen, großen, gefährlichen Weg zu gehen. Es ist mir ganz recht, daß wir nicht an der Spitze stehen. Wir wollen hinter ihm bleiben, ihn schützen, ihm helfen. Und so freue ich mich darüber, daß er jetzt beginnt, selbständig aufzutreten. Wie höflich er während des Essens mit dem Scheik (Seite 167B) war, und wie rücksichtsvoll gegen dessen Frau! Und doch wie energisch schob er jeden Versuch zurück, ihm Verhaltungsmaßregeln vorzuschreiben! Er sagte, es gebe hier nur einen einzigen Kommandanten, und der sei er. Der Scheik sei verpflichtet, für das Heer zu sorgen. Das nehme alle seine Kraft und Zeit so sehr in Anspruch, daß er sich ganz unmöglich auch noch um die Taktik und Strategie bekümmern könne. Und die Frau des Scheiks gab unserem Schützling recht! Er beginnt, sich zu fühlen und sich zu entwickeln!"

Es war still um uns her, als wir uns niederlegten, und es blieb auch ferner still. Wir schliefen, wie bereits gesagt, an derselben Stelle; aber heut erklang das >Gebet von Dschinnistan< nicht von der Höhe des Felsentores herab. Waren Vater und Tochter nicht oben? Oder schwiegen sie, weil ein Posten der Hukara hier in der Nähe lagerte? Übrigens verhielten sich diese Leute außerordentlich ruhig. Sie störten uns nicht. So schliefen wir ganz prächtig, von unsern Hunden bewacht, die in der ganzen Zeit, auch während des Essens, nicht von unserer Seite gekommen waren.

(Seite 168A) Wir erwachten erst bei Tagesanbruch. Es war ein wichtiger Tag, der schon gleich früh durch sein ungewöhnliches Aussehen zeigte, daß er sich nichts übliches, sondern ganz Absonderliches vorgenommen hatte.

Wir befanden uns zwischen engen, steil anstrebenden Felsen und hatten infolgedessen einen kleinen, sehr schmalen Horizont. Aber so unbedeutend das Stück Himmel war, das wir über uns sahen oder vielmehr gar nicht sahen, es war doch groß genug, uns zu zeigen, daß der Dschirbani mit seiner Voraussage, es gebe heute Sturm, recht gehabt hatte. Als wir vom Schlafe erwachten, hörten wir ein Brausen wie von den allertiefsten Orgelstimmen, durch welches von Zeit zu Zeit das hohe, spitze, schrille Pfeifen einer Klarinette fährt. Und dieses Pfeifen und Brausen hörte nicht auf; es dauerte fort. Wenn es ja einmal für einige Augenblicke schwächer wurde, so stieg es dann um so höher zur vollsten Stärke auf. Für uns wurde es durch die Felsen gemildert, die uns wie mächtige Wände beschützten und das Toben des Sturmes nicht direkt an unser Ohr gelangen ließen. Der Himmel hing, wie man sich auszudrücken pflegt, fast bis zur Erde herab. Er bestand nur aus dunklen, schweren Wolken, die aber keine kompakte Masse bildeten, sondern wie zerfetzte und zerrissene Teppiche, Tücher und Schleier quer über die Landenge dahingejagt wurden. Ich sage quer; denn der Sturm kam aus Ost und traf den Engpaß also in seiner ganzen Länge. Er wühlte die Wasser des Meeres auf, hob sie hoch empor und zwang sie, an den Felsen hinaufzuklettern und jene Risse, Rinnen und Rillen zu finden. die bereits erwähnt worden sind. Aus diesen ergoß sich die Flut dann zu uns herein in das alte Flußbett. Sie stürzte, so weit wir sehen konnten, wie in zahlreichen Sturzbächen nieder, die nicht kontinuierlich, sondern stoßweise arbeiteten, ganz den Stößen des Orkans gemäß, die von Pause zu Pause erfolgten. Die Menge des Seewassers, die in dieser Weise draußen empor-, und dann zu uns hereingetrieben wurde, war sehr bedeutend. Sie hatte bis jetzt schon den ganzen Grund des Flusses ausgefüllt und stieg immer höher und höher. Hierzu kam, daß die Nordwinde den Sand der Wüste jahrhundertelang wie durch ein Blasrohr über die ganze Länge des Engpasses gepustet hatten. Auf der anderen Seite, also im Süden, hatte er sich angesetzt. Hierdurch war das Gefäll des Flußbettes so verringert worden, daß es fast gar keines mehr gab. Das Wasser stand; es floß nicht ab, wenigstens jetzt noch nicht. Vielleicht konnte es später, wenn es höher gestiegen war, ins Fließen kommen. Es stand jetzt schon mehrere Fuß hoch. Wenn der Seegang in der bisherigen Weise arbeitete, handelte es sich nur um einige Stunden, so war das Flußbett vollständig unwegsam gemacht und wir konnten die beiden einzigen passierbaren Stellen, um mich des Ausdruckes zu bedienen, den der Dschirbani angewendet hatte, >mit Feuer verstopfen<.

Eben als wir aufgestanden waren, kam Merhameh. Sie hatte gewußt, wo wir schliefen, und uns ein Frühstück zubereitet, das sie uns jetzt brachte. Während wir es verzehrten, kam der Dschirbani, um nach Norden hin, woher wir die Tschoban erwarteten, Ausschau zu halten. Ich begleitete ihn. Er deutete nach dem Flusse und sagte:

"Du siehst, der Sturm ist da. Ich vermute sogar, daß er sich zum Orkan erhebt. Und auch die Wasser kommen. Nur noch zwei Stunden, so sind nicht nur wir, sondern auch alle Elemente vollständig bereit, die Tschoban zu empfangen."

"Die, wenn sie einmal kommen," fügte ich hinzu, "gewiß keinen Augenblick säumen werden, in die Falle zu gehen."

"Zu dem Durste gesellt sich nun auch der Sturm, um sie schnell hinein zu treiben. "

"Mich und Halef aber verhindert er, ihnen entgegen zu reiten."

"Du wolltest?" fragte er.

(Seite 168B) "Ja, natürlich! Unser Warten auf sie ist doch immerhin ein ungewisses; wir aber hätten Euch Gewißheit gebracht. Darauf müssen wir nun leider verzichten. Draußen in der Wüste sieht es jetzt ja noch ganz anders aus als hier bei uns, die wir uns im Schutz der Felsen befinden. Da denke ich eben daran, daß sich die Flößerei des Brennholzes bei diesem Wogengang von selbst verbietet. Haben wir auf dieser Seite Holz genug?"

"Ich hoffe es. Wir werden ja gleich sehen. Der Transport auf dem Wasser ist nicht mehr möglich. Wird mehr gebraucht, als geschafft werden konnte, so muß es auf dem verborgenen Pfad geschehen, der das Felsenloch mit dem Felsentor verbindet. Komm!"

Mein und Halefs Schlaf war so fest gewesen, daß wir von den Vorbereitungen, die während der Nacht getroffen worden waren, gar nichts bemerkt hatten. Es lag in der Möglichkeit, daß die Tschoban sich nicht erst heut, sondern schon während der Nacht einstellten. Darum hatte der Dschirbani schon gestern abend, noch während wir aßen, so viel Hukara nach Norden geschickt, wie nötig waren, die Falle hinter den Hineingeratenen zu schließen. Eine Anzahl von ihnen hatte sogar hinaus in die offene Wüste reiten müssen, um auch während der Nacht die etwaige Ankunft der Erwarteten zu erspähen und zu melden. Diese Leute lagen auch jetzt noch draußen, trotz des Sturmes und trotz der ungeheuren Mengen von Sand, mit denen er die Luft erfüllte und die es ganz unmöglich machten, einen Blick in die Ferne zu werfen.

Die Hukara, welche außerhalb des Felsentores postiert waren, bildeten ein Drittel unseres Heer es, also vielleicht vierhundert Mann. Das ist schon eine nicht unbedeutende Zahl. Dennoch war, als wir jetzt hinauskamen, keine Spur von ihnen zu sehen, so gut hatten sie sich versteckt. Auch das Brennholz lag verborgen. Der Dschirbani, der die Stelle kannte, führte mich hin. Es war kaum glaublich, welche Haufen von Stämmen, Klötzen, Ästen und Reisern man da zusammengeschleppt hatte. Mir kam es weit mehr als genügend vor, und doch stellte sich dann später heraus, daß es noch nicht reichte. Es mußte noch mehr hinzugetragen werden, und zwar auf dem geheimen Bergpfade, ganz so, wie der Dschirbani gesagt hatte.

Hier auf diesem nördlichen Drittel des Engpasses, befehligte Irahd. Als er uns sah, kam er aus seinem Versteck hervor und begleitete uns weiter. Das Wasser stieg im Flusse zusehends. Das Heulen des Sturmes war hier außen noch ganz anders zu hören als innerhalb des Felsentores. Und je weiter wir kamen, um so stärker fühlten wir die Luftbewegung, die auch uns erfaßte. Der Sturm wurde so kräftig, daß es schien, als ob er uns umwerfen werde. Und als wir das Ende der hohen uns schützenden Felsendünen erreichten, war die Luftbewegung viel richtiger eine Sandbewegung zu nennen. Das ganze Sandmeer der Wüste schien aufgewühlt zu sein. Es wurde in riesigen Streuwürfen und Schwaden vor dem Winde hergetrieben, eine fliegende Wüste, die der Geist der Lüfte mit tausend Geißeln peitschte!

Wie gern wäre ich mit meinen Hunden mitten in dieses Unwetter hineingeritten, um selbst zu sehen, ob und wann die Tschoban zu erwarten seien. Ich traute den paar Ussul, die da draußen lagen, nicht die nötige Übung und Ausdauer zu. Aber mein Syrr war mir denn doch zu kostbar, als daß ich ihm zumuten durfte, Augen, Ohren und Nüstern in zehn Minuten voller Sand zu haben und um eines groben Dienstes willen, für den er viel zu fein und edel war, an einer Lungenentzündung zugrunde zu gehen. Ich verzichtete also darauf und kehrte mit dem Dschirbani und Irahd nach dem Felsentore zurück, um sodann mit Halef nach dem Felsenloch zu reiten, wo auch vierhundert Hukara lagen. die den Anprall der Tschoban auszuhalten hatten. Sie waren hierzu so wohl gerüstet, daß an ein Mißlingen ihrer Absicht gar nicht gedacht werden konnte. Denn das Wasser im Flusse war mittlerweile schon über einen (Seite 169A) Meter hoch gestiegen und begann nun, auch auf der Leeseite hereinzuströmen, nachdem sich der ungeheure Wogenschlag auch nach der westlichen Seite der Halbinsel der Ussul fortgepflanzt hatte. Nun, da die Füllung der Flußrinne von zwei Seiten aus geschah, war das Passieren des Felsenloches nur auf dem schmalen Uferpfade möglich, und diesen hatte man mit einem mächtigen Holzhaufen versperrt, der nur angezündet zu werden brauchte, um jeden Versuch, ihn zu entfernen, zu vereiteln. Dabei standen die Vierhundert mit ihren Waffen, um das Feuer unablässig zu schüren und jedes Vordringen der Feinde zurückzuweisen.

Hierauf ritten wir nach dem südlichen Ende des Engpasses, wo sich, um mich militärisch auszudrücken, das Hauptquartier befand. Noch gestern abend hatte es draußen, vor den Felsenhöhen, auf der freien Ebene gelegen; jetzt aber war es wegen des Sturmes hereinverlegt worden, wenn auch nur für die Menschen, denn für die vielen Pferde gab es hier innen keinen Raum. Die letzten vierhundert Ussul, das dritte Drittel, das nicht direkt mit dem Feind zu tun bekam, war mit der Unterhaltung der Zwischenposten, der Beschaffung von Wasser und Proviant und ähnlichen wirtschaftlichen Dingen betraut, die zwar nicht kriegerisch sind, aber doch zum Kriege und auch zum Siege gehören. Ich erkundigte mich nach unsern Gefangenen und erfuhr, daß der Panther mich dringend zu sprechen wünsche; ich beschloß, noch im Laufe des Tages zu ihm zu gehen. Vor allen Dingen hatten wir unsere beiden Pferde, die wir jetzt nicht mehr brauchten, weil alle Wege zu Fuß gemacht werden mußten, so unterzubringen, wie es ihr Wert erheischte. Wir fanden zwischen schützenden Felsen einen Platz für sie, wo sie vor den Unbilden des Sturmes geschützt waren und von niemand belästigt werden konnten.

Von dem Augenblicke an, da die Ankunft der Tschoban gemeldet wurde, war folgendes vorgesehen: Der Dschirbani sollte als Kommandant seinen Platz möglichst in der Mitte der Aufstellung haben. Er wählte sich hierfür eine Stelle, die oben an dem verborgenen Pfade fast grad auf halbem Wege zwischen dem Felsenloche und dem Felsentore lag. Da gab es ein überhängendes, ausgehöhltes Felsenstück, welches Platz für wohl ein Dutzend Personen bot und selbst beim ärgsten Regen trocken blieb. Von hier aus hatte man gleich weit nach den beiden Punkten, wo die Feuer brennen sollten, und die Meldungen und Befehle konnten hin und hergehen, ohne von den dazwischen, aber tief unten liegenden Tschoban bemerkt und aufgefangen zu werden. Der Dschirbani bat Halef und mich, ihm an dieser Stelle Gesellschaft zu leisten; ich aber wollte ihm soviel wie möglich freien Willen und freie Hand lassen und erwirkte also seine Einwilligung, dahin zu gehen, wohin es mir beliebte.

Es war noch nicht Mittag, so gegen elf Uhr europäischer Zeit, als die in die Wüste hinausgesandten Posten mit der Meldung zurückkehrten, daß die Feinde im Anzug seien. Diese wackern Hukara hatten vom Sande und vom Sturme viel auszustehen gehabt und ihre Sache sehr gut gemacht. Sie waren ungesehen geblieben und sahen sehr mitgenommen aus. In welchem Zustande (Seite 169B) mußten sich da erst die Tschoban befinden! Der Dschirbani begab sich sofort nach seinem Posten. Wir beide, nämlich Halef und ich, schnallten meinen beiden Hunden so viel Proviant und Wasser auf, als wir von heut bis morgen brauchten. Dadurch machten wir uns frei von Ort, Zeit und Pflege. Dann gingen wir am immer höher wachsenden Flusse bis zum Felsentore. Indem wir hierbei die Falle in ihrer ganzen Länge durchschritten, sahen wir, daß die Hukara jede Spur von sich und uns sorgfältig vertilgt hatten. Das machte mich noch ruhiger und zuversichtlicher, als ich ohnehin schon war. Vom Felsentore aus nahmen wir genau denselben Weg empor, den wir mit Merhameh hinaufgestiegen waren. Da oben wütete der Sturm so heftig, daß man sich zuweilen festhalten mußte, um nicht umgerissen und weggefegt zu werden. Nach Abd el Fadls Steinhütte zu gelangen, war ganz und gar unmöglich. Wir waren froh, eine nach Norden offene Felsenritze zu finden, an welcher der von Osten wehende Sturm vorüberging. Wir setzten uns da hinein und brauchten auch gar nicht lange zu warten, so sahen wir sie kommen: es war ein dünner, oft unterbrochener, ewiglanger Zug von ermüdeten, hungernden und durstenden Menschen und Pferden, denen man es schon von weitem ansah, daß sie sich kaum mehr aufrecht halten konnten. So, wie wir sie sahen, so konnten wir selbstverständlich auch von ihnen gesehen werden, und darum machten wir uns schleunigst von dannen, um ihre Ankunft in der Falle zu beobachten.

Wir gingen den heimlichen Hochpfad entlang, bis wir den Dschirbani erreichten, der es sich mit seinem Stabe unter dem oben beschriebenen Felsen möglichst bequem gemacht hatte. Hier in der Nähe zweigte der Treppensteig ab, der nicht ganz nach unten, sondern nur bis zu der offenen Platte ging, die ich bereits beschrieben habe. Wir stiegen nicht ganz bis zu dieser Platte hinab, denn wir trafen auf Merhameh und ihren Vater, die an einer sehr praktisch gelegenen Stelle saßen, von der aus man fast die ganze Falle überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Wir nahmen bei ihnen Platz und entlasteten die Hunde, indem wir ihnen die Tragsattel abschnallten. Für unsere Bedürfnisse war gesorgt, selbst wenn wir bis morgen an dieser Stelle bleiben mußten. Wir hatten sogar unsere Decken mitgenommen, für den Fall, daß wir gezwungen sein sollten, hier zu schlafen.

Wir saßen so, daß der Durchgang durch das Felsentor, sobald wir uns nach der linken Seite wendeten, gerad vor unsern Augen lag. Es dauerte ziemlich lange, ehe dort der erste der Tschoban erschien. Ich vermute, daß man draußen vor dem Tore halt gemacht hatte, bis der Scheik kam, und zwar aus dem sehr selbstverständlichen Grunde, um seine Befehle für den Durchzug des Engpasses zu erfahren. Diese Vermutung war richtig, denn der Erste, der endlich durch das Tor geritten kam, war der Scheik. Ich kannte ihn nicht; aber die Art und Weise, wie er sich gab und wie man ihn nahm, ließ es erraten. Er ritt ein starkknochiges, sehr kräftig gebautes Pferd von derselben Rasse, wie ich bei dem Panther, seinem Sohne, gesehen hatte. Freilich, jetzt schien es mit dieser Kraft des Tieres vorüber zu (Seite 170A) sein. Denn es war so ermüdet, daß es nur noch langsam gehen konnte, und als er so weit vorgeritten war, daß er sich uns gegenüber befand, begann es gar zu wanken, blieb stehen und wollte nicht weiter. Er schlug es nicht und peinigte es nicht. Er trug überhaupt sehr kleine Sporen, nicht die großen, fürchterlichen Marterwerkzeuge, die ich bei seinem Sohne und dessen Begleitern gesehen hatte. Er liebkosete das Pferd, er streichelte ihm den Hals und versuchte, es in Liebe zum Weitergehen zu bringen. Das gefiel mir sehr von ihm, war aber ohne Erfolg. Das Pferd wollte zwar, konnte aber nicht weiter. Da stieg er ab. Sobald es sich seiner Last ledig fühlte, ging auch der letzte Rest der künstlich erregten Energie verloren. Es begann zu zittern und brach dann halb zusammen, halb legte es sich hin. Da setzt er sich bei ihm nieder, nahm seinen Kopf in den Schoß, streichelte ihn und frug und schaute emsig aus, ob einer der Vorüberreitenden noch eine Spur von Wasser in seinem Schlauche habe.


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