"Weißt Du denn, was heut und dieser Tage alles geschehen ist, Effendi?"

"Ich glaube, es zu wissen," antwortete ich.

"Die Erfüllung alter Weissagungen?"

"Ja."

"Des Sternes von Bet Lahem?"

"Ja."

"Der Sage von der großen Glocke?"

"Ja."

"Jetzt brauchte nur noch die Stimme der Güte und der Barmherzigkeit hier in der Kirche zu erklingen und der Herrgott von Dschinnistan nach Ardistan herabzukommen, wie damals, bevor der Fluß wieder rückwärtsströmte, so wären alle Weissagungen der wartenden Christen erfüllt und die Engel könnten berichten, daß der Friede nun endlich auf Erden eingezogen sei! Du lächelst, Effendi?"

"O nein! Die Sache ist ernst, hochernst!"

"Das ist sie mir auch, mir auch! Bisher ist sie mir nur lächerlich vorgekommen; seit gestern aber denke ich anders."

Er griff sich mit der Hand nach der Stirn. Mir war, als ob er wanke.

"Auch ich bin müd, wie Du, und schwach dazu!" fuhr er fort. "Es stürmte in diesen Tagen allzuviel auf mich ein! Bin ich denn wirklich noch der 'Mir von Ardistan? Oder bin ich ein anderer, der hin- und hergeblasen wird wie eine Feder, die weder Gewicht noch Willen besitzt? Auch ich muß schlafen, muß ruhen, muß wieder zu mir kommen!"

Dann ergriff ihn ein anderer Gedanke. Er frage:

"Was sagst Du zu den Leuten von El Hadd, Effendi?"

"Sie gefallen mir," antwortete ich.

"Mir auch. Besonders der Schech el Beled! Schade, daß er ein so kleiner Mann und nicht ein Herrscher ist! Man müßte ihn ehren und lieben und könnte mit ihm verkehren! Doch nun müssen wir schließen! Hast Du einen Wunsch?"

"Nein."

"Bedenke, was ich Dir schulde! Wünschest Du keinen Dank?"

"Nein."

"Auch für die Christen nicht?"

"Nein. Sie haben ihre Schuldigkeit getan und werden sie auch ferner tun. Danken kannst Du überhaupt nicht; das kann allein der Himmel!"

Er sah mich verständnislos an, schüttelte den Kopf und sagte nur noch: "Das begreife ich nicht. Schlaft wohl!"

Dann ging er hinaus. - -


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