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II.

Goldene See! Kein anderer Teil des Weltmeeres verdient diese Bezeichnung in dem Grade wie das mittelländische - wenn es nicht, vom Sturme aufgewühlt, seine Wogenkämme auf die nahen Küsten schleudert. Steht die Königin des Tages hoch am Himmel, so liegt die Flut wie reines Himmelblau vor, hinter und neben dem Kiele und ist doch so durchsichtig, daß man bei einem vorüber segelnden Schiffe die neue Kupferung emporleuchten sieht. Wenn dann die Sonne sich senkt, so nehmen die Wasser immer hellere, goldenere Töne an, bis bei Sonnenuntergang mächtige mit purpurnen Lichtern vermischte Strahlenbündel, so weit das trunkene Auge reicht, über die leicht gekräuselten Wellen schießen. Dazu ist die Luft so rein, so mild und erfrischend, daß die Lunge tiefer atmet und die Brust des Menschen in einem seltenen Wohlgefühle schwillt.

Das hatte ich früher beobachtet und beobachtete es auch jetzt wieder. Ich saß unter dem Deckzelte und verzichtete stundenlang auf die anderorts unvermeidliche Cigarre, nur um die herrliche Seeluft rein und unvermischt zu atmen.

Nicht so guter Laune war der Kapitän. Er kümmerte sich nicht um das Wohlgefühl einer Landratte, wie ich war, sondern er ging mit zusammengezogenen Brauen auf und ab, betrachtete bald die See und bald den Himmel und murmelte halblaute Worte vor sich hin. Der Mann am Steuer machte ein ebenso griesgrämliches Gesicht, und die Deckhands lagen hier und dort gähnend auf den Planken, schoben ihre Priemchen aus einer Backe in die andere und warfen einander gelangweilte oder gar bedenkliche Blicke zu.


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»Was giebt es denn? Was ist los, Kapt'n?« fragte ich Turnerstick, »Ihr kaut an einer Sache, welche Euch nicht schmeckt.«

»Was los ist?« antwortete er, indem er zu mir unter das Zelt trat. »Nichts ist los, leider, leider; aber es kann leicht etwas losgehen.«

»Was denn? Etwa ein Sturm? Es scheint ja alles ganz vortrefflich und gut zu sein.«

»Es scheint, ja, das ist richtig; aber es scheint auch nur. Ein ewig lächelndes Gesicht ist ein falsches, ein heimtückisches Gesicht. So ist's auch mit dieser alten See. Wenn die Matrone nur immer lacht, so kann man darauf schwören, daß sie ganz plötzlich tüchtig zu keifen beginnt. Als wir Frankreich hinter uns ließen, hatten wir Nordwest; gut, das ist ein schöner Wind, um von Marseille aus in See zu gehen. Aber Nordwest und stets Nordwest, das ist hier, wo die Winde so häufig wechseln, bedenklich.«

»Aber es ist ja grad der Wind, den wir für unsern Kurs brauchen!«

»Sehr richtig! Wir machen eine ausgezeichnete Fahrt und könnten fast mit einem Steamer um die Wette gehen; jedoch mir wäre es weit lieber, wenn dieser Wind ein wenig schraalen wollte. Das ist's, was mir und meinen Jungens die Laune verdirbt. Dazu kommt die Geschichte mit dem verteufelten Muselmanne. Ich werde den Gedanken nicht los, daß ich sein Mörder bin.«

»Auch ich mache mir Vorwürfe. Wie schon gesagt, wir hätten ihn nicht rammen, sondern an das Land treiben sollen.«

»Besser wäre das gewesen, viel besser. Nun haben wir zwar seinen geretteten Burnus an Bord, ihn aber fressen wahrscheinlich die Fische. Ich gäbe einen Finger,


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oder auch zwei, meiner Hand darum, wenn diese Geschichte nicht geschehen wäre. Sogar des Nachts im Traume erscheint mir dieser Mensch, nur um mich um mein gutes Gewissen zu bringen. Vielleicht wird es am Lande anders; an Bord ist's so einsam.«

»Wann denkt Ihr, daß wir Tunis erreichen?«

»Morgen abend, wenn der Wind so stehen bleibt. Wollen hoffen, daß er uns nicht betrügt.«

Er verließ das Zelt, schritt wieder einige Male hin und her und blieb dann stehen, um den Horizont zum tausendsten Male zu mustern. Dabei gab er seinem Kopfe plötzlich einen Ruck in die Höhe, hielt die Hand über die Augen, sah scharf nach Westen und sagte dann zu mir:

»Da haben wir es! Ich werde wohl recht bekommen. Da hinten braut sich etwas zusammen, was uns keinen Spaß machen wird.«

Ich trat ins Freie und blickte in die angegebene Richtung. Dort gab es an dem sonst völlig ungetrübten Himmel ein kleines, lichtes Wölkchen von der scheinbaren Größe einer Wallnuß. So wenig Seemann ich war, ich hatte doch erfahren, daß ein so winziges Gebilde im stande ist, in kürzester Zeit den ganzen Himmel in Finsternis zu hüllen.

»Ja, ja; das ist's,« nickte Turnerstick. »In einer Stunde geht es los, wenn nicht noch früher. Wir wollen unsere Vorbereitungen treffen, und ich hoffe, daß mein >Courser< die Probe leicht bestehen wird.«

Das Zelt wurde unter Deck gebracht und alles Bewegliche fest gemacht. Noch ließ er das Schiff unter voller Leinwand gehen; aber als nach einer Viertelstunde das ursprüngliche Wölkchen sich wie eine schwarze Wand über den ganzen westlichen Horizont ausgebreitet hatte, gab er den Befehl, zu reffen. Das Unwetter kam doch nicht so


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schnell, als er vermutet hatte. Es dauerte noch eine Stunde, ehe die Wolkenwand den dritten Teil des Himmels einnahm. Jetzt wurden die großen Segel beschlagen und der Brigg nur diejenige Leinwand gelassen, welche sie brauchte, um dem Steuer gehorchen zu können.

Es war gegen Abend, eine bedenkliche Zeit. Auf einem so eng begrenzten Meere ist ein Sturm des Nachts weit gefährlicher als am Tage. Das wußte selbst ich. Doch hatte ich keine Sorge, denn die Bark war ein Prachtschiff und Turnerstick ein Seemann, dem man sich recht wohl anvertrauen konnte.

Jetzt verdunkelte sich der Himmel schneller, und nun kamen Mutter Kareys Küchlein gehüpft. So nennt der Seemann diejenigen kurzen Wellen, welche einer vom Sturme aufgeregten See vorangehen. Diesen Küchlein folgten hohe Wellen; der Wind nahm an Stärke zu, und aus den Wellen wurden Wogen - der Sturm war da.

Er fegte über das Deck, daß man sich sehr fest anhalten mußte, um nicht fortgerissen zu werden. Die Bark flog unter ihrer kleinen Leinwand vor ihm her, bald hoch oben, bald unten in der Tiefe des Wellenthales. Es war so dunkel geworden, daß man kaum fünf oder sechs Schritte weit zu sehen vermochte.

»Charley, geht in die Kajüte!« riet mir der Kapitän während einer Pause, in welcher der Sturm Atem holte.

»Ich bleibe oben,« antwortete ich.

»Ihr werdet weggespült!«

»Ich binde mich am Maste fest.«

»Unsinn! Ich befehle es Euch, und Ihr habt zu gehorchen. Marsch fort, hinab!«

Da nahmen mich zwei Matrosen, einer rechts und der andere links. Jede ihrer Hände hatte einen Durchmesser wie meine beiden in Summa. Sie führten mich


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zur Treppe, stopften mich hinab und warfen die Luke über mir zu. Gegenwehr wäre da vergeblich, ja lächerlich gewesen. Nun saß ich, da alle Mann an Deck beordert waren, ganz allein da unten und hörte die Wut der Elemente sich an den dünnen Wänden brechen. Das war ein Pfauchen und Zischen, ein Sausen und Brausen, ein Heulen und Toben, von dem nur derjenige eine Ahnung hat, der zur See gewesen ist. Das Schiff krachte in allen Fugen. Der Donner schlug, prasselte und rollte unaufhörlich, und die Blitze schienen ein wahres Haschen um das Schiff zu halten.

Die Minuten wurden mir zu Wochen und die Viertelstunden zu Jahren. Ich glaubte, diese Einsamkeit in dem engen Raume nicht ertragen zu können, und mußte doch aushalten. Nach drei oder vier Stunden schien das Tosen ein wenig nachzulassen, und da kam Turnerstick herab. Er war fadennaß und sah aus, als ob er direkt aus der Tiefe des Meeres komme, doch sein Gesicht strahlte förmlich vor Vergnügen.

»Alles vortrefflich,« lachte er mir zu. »Mein >Courser< macht seinem Namen Ehre und geht wie ein richtiges Rennpferd durch die Wägen.«

»So ist nichts zu befürchten?«

»Gar nichts. Wir haben einige Sturzseen bekommen; das ist alles. Es ist nur ein kleines Stürmchen gewesen. Freilich mußte ich vorsichtig sein, da die Abtrift nicht zu vermeiden war. Wir befinden uns zwischen Kap Teulada und Cap de Fer und können leicht auf die Untiefen von Galita getrieben werden. Der Wind hat sich gedreht; er bläst aus Südsüdwest, und so werde ich beilegen, um möglichst Kurs zu halten. Der Sturm hat keine Dauer; es war nur eine längere Donnerbö, welche wenig Wasser brachte. In zwei Stunden bin ich wieder da, um


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einen Grog zu trinken, den Ihr mir und Euch brauen könnt.«

Er ging wieder nach oben. Ein kleines Stürmchen? Der Mann drückte sich ja recht bescheiden aus. Aber er behielt recht. Als die angegebene Zeit vorüber war, hörte das wilde Toben der Elemente auf; der Donner schwieg, und der Wind blies steif und ohne Intervalle aus einem Punkte. Turnerstick kehrte zurück, um seinen Grog zu trinken, und gab mir die Erlaubnis, wieder nach oben zu gehen.

Da sah es freilich ganz anders aus als während der vergangenen Nächte. Noch war der Himmel wolkenschwarz; ebenso schwarz stiegen die Wogen am Schiffe empor, um phosphorescierenden Gischt aufs Deck zu spritzen. Ja, der Sturm, die Bö war vorüber, aber die See tobte noch fort. Die Hälfte der Mannschaft durfte hinab; die andern blieben oben; alle aber bekamen als Belohnung für die Anstrengung eine Doppelration Rum. Der pflichtgetreue Turnerstick blieb auch oben; ich konnte nichts nützen und ging also nach einiger Zeit wieder hinab, um mich niederzulegen.

Als ich geweckt wurde, glaubte ich, kaum eine Stunde geschlafen zu haben; aber der Tag war da, und als ich an Deck kam, sah ich über mir den frischen unbewölkten Morgenhimmel und rund umher eine fast ganz beruhigte See.

»Es ist glücklich überwunden, und wir befinden uns wieder in voller, richtiger Fahrt,« meinte Turnerstick. »Ob aber alle Schiffe so glücklich wie wir gewesen sind, das bezweifle ich. Darum halte ich jetzt auf Galita und Fratelli zu, um zu sehen, ob sich vielleicht einer auf den dortigen Felsen festgefahren hat.«

Wie glücklich dieser sein humaner Gedanke war, das sollte sich schon nach kaum zwei Stunden zeigen. Um


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diese Zeit nämlich meldete der Mann am Ausguck ein Wrack in Sicht. Wir richteten die Rohre auf dasselbe, und zugleich gab der Kapitän den Befehl, beizudrehen und das Lot auszuwerfen. Das Lot ergab neunzig Faden, so daß es gefährlich erschien, sich dem Wracke noch mehr zu nähern. Dieses ragte als dunkler, dreieckig erscheinender Körper aus dem Wasser. Von Masten war nichts zu sehen; auch waren wir zu weit entfernt, als daß wir selbst durch das Rohr einen Menschen hätten entdecken können. Turnerstick ließ dessenungeachtet das große Boot nieder; es wurde mit den nötigen Ruderern unter dem Befehle des Steuermannes bemannt, und ich erhielt die Erlaubnis, mitzugehen.

Je näher wir dem Wracke kamen, desto deutlicher sahen wir es. Nun erkannten wir es als das Vorderteil eines Schiffes, dessen Mittel- und Hinterteil ganz unter Wasser lag. Die Masten waren mit der ganzen Takelung über Bord gegangen; auch der Klüverbaum war abgebrochen.

»Was für ein Fahrzeug mag das gewesen sein?« fragte ich den Steuermann.

»Das kann niemand sagen,« antwortete er. »Man sieht ja nur den halben Bug und das Spriet. Werden es aber bald erfahren, denn, wie mir scheint, giebt es Menschen darauf.«

Ja, es gab Menschen; ich konnte sie durch das Rohr zählen; es waren ihrer nur drei. Sie sahen uns kommen und winkten unausgesetzt mit den Händen. Der Bug des Fahrzeuges ragte so weit aus dem Wasser, daß der daran befindliche Name zu sehen war. Wie erstaunte ich, als ich einen doppelten Namen las, nämlich in großer Firmenschrift >Le vent< und in arabischer Schrift >El Hawa<. Das war also die tunesische Brigg, welche Marseille für


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uns zu früh verlassen hatte. Und bald verwandelte sich mein Erstaunen in Freude; mein Herz wurde leicht, denn in dem einen Manne, welcher, um zuerst gesehen zu werden, auf dem Bugspriete ritt, erkannte ich unsern totgeglaubten Muselmann und Pistolenattentäter. In diesem Augenblicke war ihm alles, alles vergeben, denn wir waren nun keine Mörder und konnten uns mit ruhigem Gewissen schlafen legen.

Glücklicherweise gab es keine starke Brandung; es gelang uns unschwer, das Boot an das Wrack zu bringen. Das Wasser stand bis zur Kistluke nach vorn; darum war es vollständig unmöglich, in das Schiffsinnere zu dringen, um von dort etwas zu bergen. Wir mußten uns auf die Erlösung der drei Männer beschränken.

Was in dem Innern des Muselmannes vorging, das konnte ich nicht sehen. Er that, als ob er mich nicht kenne; ja, er that, als ob ich gar nicht vorhanden sei. So, wie er jetzt im Boote vor mir saß, mit durchnäßter Hose und Jacke, glich er genau der Person, welche am Fallreep der Brigg emporgestiegen war. Er wechselte einige leise Worte mit den beiden andern, worauf mich diese verstohlen aber forschend betrachteten. Der Steuermann legte ihnen unterwegs einige Fragen vor, erhielt aber eine murmelnde Antwort, welche selbst ich nicht verstehen konnte. Was mich betrifft, So beschloß ich, für jetzt zu schweigen, um zu sehen, wie der Mann sich benehmen werde.

Man kann sich die Freude Turnersticks denken, als er sah, wen wir brachten.

»Charley,« rief er mir entzückt zu, »nun ist alles gut. Der Kerl wird, da ich ihn am Tage sehe, mir nun nicht mehr des Nachts im Traume erscheinen. Ist's sein Prophet, dem wir den Schiffbruch zu verdanken


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haben, so will ich ihn loben. Allah il allah, allüberall Allah!«

Natürlich mußten die Geretteten ausgefragt werden. Turnerstick that dies in seiner Art und Weise, erhielt aber nur die stete Antwort >non comprendre< und >no capire<. Er war also gezwungen, die Erkundigung mir zu überlassen. Die zwei Matrosen gaben sich für Tunesier aus, sprachen aber so verkehrt arabisch, daß ich sie für Griechen und nebenbei für Schurken hielt, welche allen Grund hatten oder wenigstens von dem Moslem beredet worden waren, die Wahrheit zu verschweigen. Sie nannten mir den Namen des Reeders in Tunis, welchem das Schiff gehört hatte, und erzählten mir auch, wie dasselbe auf den Grund geraten war. Ihrem Berichte nach schien der Kapitän ein unfähiger Mensch gewesen zu sein; ich aber hatte große Lust, ganz andere Gedanken zu haben. Es handelte sich vielmehr wohl um einen freiwilligen Schiffbruch zur Erreichung der hohen Versicherungssumme; der plötzlich eingetretene Sturm aber hatte Ernst gemacht und außer den von uns geretteten dreien der ganzen Bemannung das Leben gekostet.

»Und wer ist dieser Mann, von welchem ihr bis jetzt noch gar nicht gesprochen habt?« fragte ich die zwei, indem ich auf den Moslem deutete.

»Wir wissen es nicht,« war die Antwort.

»Ihr müßt es wissen, da er mit euch gefahren ist!«

»Nein. Wir kennen ihn nicht, denn er war Passagier und hat nur mit dem Kapitän gesprochen.«

»Aber ihr habt gehört, wie er von dem letzteren genannt wurde?«

»Er sagte stets nur Sahib (* Freund, Herr.) zu ihm.«

Nun wendete ich mich an den Betreffenden direkt,


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indem ich ihn nach seinem Namen fragte. Sein Anzug bestand nur aus dem Hemde, der Hose und der Jacke; alles übrige hatte er während des Schiffbruches im Sturme verloren; seine Füße waren nackt und sein geschorenes Haupt entbehrte der Bedeckung, ohne welche der Moslem sich vor keinem Menschen sehen läßt. Dennoch hatte er sich seitwärts von uns niedergesetzt und eine Haltung angenommen, als ob er der Gebieter unseres Schiffes sei. Ich mußte meine Frage wiederholen, ehe er antwortete:

»Ist es bei den Franken Sitte, den Gast sofort nach seinem Namen zu fragen? Wie sehr entbehren diese Christen doch der Höflichkeit!«

»Meine Frage war im höflichsten Tone ausgesprochen. Das Gesetz hat mich gezwungen, sie zu thun. Alles, was an Bord geschieht, muß in die Schiffsbücher eingetragen werden.«

»Sofort?«

»Ja.«

»Auch mein Name?«

»Gewiß.«

»So schreibe Ibrahim.«

»Wie noch?«

»Weiter nichts.«

»Dein Stand und deine Heimat?«

»Ich lebe von dem, was ich besitze, und wohne in Tunis.«

»Das wird genügen.«

»So laß mich nun in Ruhe!«

Er sagte das in strengem, abweisendstem Tone; ich fuhr ruhig fort:

»Deine Güte wird mir erlauben, noch eine Erkundigung einzuziehen. Du warst in Marseille?«

»Ja.«


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»Hast du da den Tiergarten besucht?«

»Nein.«

»Bist du nicht zwischen Schloß If und dem Port de la Joliette mit dem Kahne verunglückt?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Erinnerst du dich auch nicht, mich dort gesehen zu haben?«

»Ich sah dich noch nie; ich kenne dich nicht und habe auch nicht Lust, mit einem Christen Bekanntschaft zu machen.«

»Das hättest du früher sagen sollen; dann hätten wir dich auf dem Wrack zurückgelassen.«

»Allah wird mir die Berührung mit den Ungläubigen verzeihen; er ist groß, und Muhammed ist sein Prophet. Habt ihr mich nach Tunis gebracht, so werde ich nach dem heiligen Keruan pilgern, um wieder rein zu werden.«

Keruan oder Kairwan ist eine tunesische Stadt, welche kein Nichtmuhammedaner betreten darf, Die dortige Okba-Moschee ist die heiligste in den Berberstaaten, und in ihr liegt El Waib, Muhammeds Busenfreund und Gefährte, begraben.

Schon wollte ich mich von dem Moslem abwenden, da fügte er hinzu:

»Du wirst mir die Kajüte überlassen, und mir Fleisch, Mehl, Datteln und Wasser geben, welches kein Ungläubiger berührt hat. Ich will abgeschieden wohnen, um euern Augen zu entgehen, denn die Blicke der Christen verunreinigen den Leib des Gerechten.«

Sollte ich diesen Menschen auslachen oder ihm meine Hand abermals zu fühlen geben? Keins von beiden. Zum Lachen ärgerte ich mich zu sehr, und zum Schlagen war mir meine Hand denn doch zu wert. Darum antwortete ich ihm sehr freundlich:


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»Willst du nicht in die See geworfen werden, so begnüge dich mit dem Platze, auf welchem du jetzt sitzest. Du hast ihn ja selbst gewählt. Das Essen und Trinken wirst du mit den Matrosen bekommen, welchen du dein Leben zu verdanken hast. Der Gerettete darf sich nicht besser und höher dünken, als derjenige, der ihn gerettet hat.«

Da flammte sein Auge auf, und als ob ich ein Hund sei, schnauzte er mich an:

»Wer hat mich gerettet? Sage es! Als ich über den Wassern hing, habe ich gerufen: >Sa'id'ni ja nebi, ja Muhammed!< (* Rette mich, o Prophet, o Muhammed!) Da sandte er euch, um euch zu begnadigen, mir die Hand zu reichen.«

»Warum sandte er dir keine Muslim?«

»Weil keine in der Nähe waren.«

»So ist unser Jesus, den du gelästert hast, mächtiger als er, denn er führte uns in deine Nähe. Wir sind fertig miteinander, und zwar, hoffe ich, für immer!«

»Noch nicht. Du gehst nach Tunis, und ich wohne dort.

Wir treffen uns noch! Jetzt aber wirst du mir etwas geben, um die Blöße meines Hauptes und meiner Füße zu bedecken!«

Das war geradezu frech. In demselben Atem, in welchem er mich beleidigte und mir drohte, verlangte er Gefälligkeiten, und zwar in welchem Tone! Daher lautete mein Bescheid:

»Das kann ich nicht, da du behauptest, daß alles, was aus der Hand eines Christen kommt, dich beschmutze.«

»Willst du, daß ich mit unbedecktem Schädel in Tunis aussteige?«

»Nein. Ich will barmherzig sein und deinen Glauben achten, welcher dir verbietet, den nackten Kopf sehen zu


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lassen. Du sollst eine Hülle haben; diese hier; sie ist ja dein Eigentum.«

Ich hatte gesehen, daß Turnerstick nach dem weißen Burnus geschickt hatte; diesen gab ich dem Moslem hin. Er nahm ihn, ohne daß ein Zug seines Gesichtes sich veränderte, und sagte:

»Das ist das Gewand eines Gläubigen; ich darf es nehmen. Schuhe wird mir einer der beiden Matrosen leihen. Deine Seele und dein Leben aber sei wie der Rauch des Feuers, welcher entweicht, ohne zurückzukehren!«

Dem Kapitän erging es ebenso wie mir. Als ich ihm alles Gesprochene übersetzte, wußte er nicht, ob er diesen Menschen über Bord werfen lassen oder einfach auslachen solle. Er war mit dem, was ich bestimmt hatte, vollständig einverstanden. Der unverschämte Patron mußte auf die Kajüte verzichten; aber er begehrte auch kein Essen und kein Wasser. Er hatte den Burnus zerrissen und die Hälfte desselben sich um den Kopf gewickelt. An die Füße steckte er die geborgten, niedergetretenen Schuhe, welche kaum mehr Pantoffel genannt werden konnten. So saß er steif und unbeweglich auf seinem Platze und starrte in das Weite, scheinbar unbekümmert um alles, was um ihn vorging.

Von dem Augenblicke an, in welchem die Geretteten an Bord kamen, waren wir wieder mit vollen Segeln gegangen. Kurz nach Mittag doublierten wir das Vorgebirge Sihdi Ali, und wenig vor Abend hatten wir das Kap Karthago hinter und den Hafen von Goletta, dem Vororte von Tunis, vor uns. Bald darauf ließen wir im Handelshafen, welcher sich an der Südseite des Kriegshafens befindet, die Anker fallen. Nun bewegte sich der Moslem zum erstenmale. Er trat zu Turnerstick und mir und befahl, indem er auf seine beiden Matrosen zeigte:


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»Ihr werdet sofort mit diesen Leuten zu eurem Konsul gehen und bestätigen, daß die Brigg untergegangen ist! Der Konsul wird seine Unterschrift geben.«

Da legte ich ihm die Hand auf die Schulter und antwortete:

»Und was wirst du inzwischen thun?«

»Ich gehe ans Land.«

»Meinst du, daß wir es dir erlauben?«

»Erlauben? Ihr habt mir nichts zu erlauben und nichts zu verbieten. Ihr seid hier fremd, und ich bin Herr.«

»Umgekehrt! Du befindest dich auf diesem Schiffe; da bist du fremd und wir sind die Herren. Wir haben das vollste Recht, dich als einen Mörder hier zurückzuhalten, bis unsere Konsuln ihre Verfügung treffen. Oder bist du noch immer so feig, zu leugnen, daß du auf mich geschossen hast?«

Es war ein unbeschreiblich stolzes und hochmütiges Lächeln, welches über sein Gesicht glitt, als er antwortete:

»Ich feig? Ihr Würmer! Ja, ich habe auf dich geschossen und werde es wieder thun, sobald du es wagest, mir zu begegnen. Nun behalte mich zurück! Ich sage dir, ich brauche nur meine Stimme zu erheben, so sind hundert Männer da, um mich mit Ehren von hier abzuholen. Noch weißt du nicht, wer ich bin, und wehe dir, wenn du mich kennen lernst!«

»Pah! Ich kenne dich. Daß du mir nicht deinen wahren Namen und Stand genannt hast, das habe ich sofort gewußt. Sei wer du willst, wir fürchten dich nicht. Wenn wir dich festhalten wollten, so würden deine Hundert uns nicht hindern können. Wir haben noch ganz andere Männer, als du bist, vor uns gehabt und ihnen Achtung eingeflößt. Aber wir sind Christen, und unser Glaube


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gebietet uns, selbst unsern Feinden wohlzuthun. Darum wollen wir dir den Mordanschlag verzeihen und dich in Frieden ziehen lassen. Du kannst gehen!«

»Ja, ihr seid Christen,« lachte er höhnisch, »Christen, welche erst dann für einen Menschen beten, wenn er von dem Panther zerrissen worden ist. Eure Lehre ist lächerlich und euer Glaube eitel. Eure Priester verkünden die Unwahrheit, und ihr glaubt, was sie euch sagen. Ich verachte euch und werde euch zertreten, wenn ihr es wagt, mir wieder vor die Augen zu treten!«

Den rechten Arm wie zum Schwure erhebend, ging er mit dieser Drohung von Bord. - -


Kapitel 3


Einführung zu "Orangen und Datteln"


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