»Haben Sie Hoffnung dazu?«
»Ich habe stets Hoffnung. Es gibt kein Unglück, welches nicht von einem Glück begleitet ist.«
»Wie aber hat man denn Sie ergreifen können, Sennor? Das dünkt mir schwieriger gewesen zu sein, als alles Vorhergegangene.«
»Danke für dieses Kompliment! Ich bin eben genau so unvorsichtig gewesen, wie Sie.«
Ich erzählte, wie ich durch die Bolas niedergerissen worden war. Die andern hörten es alle und gaben dem Bruder recht, welcher meinte, daß mir das nicht hätte geschehen können, wenn sie mehr achtsam gewesen wären. Übrigens befanden sich diejenigen von ihnen, welche die Kolbenschläge empfangen hatten, in noch üblerer Stimmung, als die andern. Ihre Köpfe brummten ihnen gewaltig, und der Steuermann knurrte grimmig:
»Habe ich nur erst die Hände frei, dann werde ich es sein, der Kopfnüsse austeilt! Die Hände frei und eine tüchtige Handspeiche dazu, dann haue ich sie zusammen, daß die Köpfe wie Kegelkugeln herumkollern sollen!«
»Das werden Sie bleiben lassen!« antwortete ich ihm. »Keiner von uns darf etwas tun, ohne die Einwilligung der andern zu haben. Zunächst geben wir uns den Anschein, als ob wir gesonnen seien, uns in unser Schicksal zu fügen. Unser Leben ist nicht bedroht; das muß und kann uns beruhigen.«
»Aber später gibt es noch viel weniger eine Rettung, als jetzt,« meinte der Yerbatero, »weil man uns trennen wird. Oder bezweifeln Sie, daß wir unter das Militär gesteckt werden?«
»Nein. Ich bin sogar überzeugt davon.«
»So wird man jeden von uns zu einer andern Abteilung tun. Wie können wir uns dann gegenseitig beistehen!«
»Bis dahin haben wir noch lange Zeit. Übrigens verlangt es mich, zu wissen, welche Armee oder Truppe es ist, welcher uns einzuverleiben man beabsichtigt.«
»Doch die Schar, welche Lopez Jordan um sich versammelt.«
»Hm! Wenn man nur genau wüßte, ob dieser Mann eine Erhebung gegen die bestehende Regierung beabsichtigt.«
»Alle Welt spricht ja davon!«
»So wird man ihm schnell die Flügel stutzen!«
»Das geht nicht so schnell, Sennor. Jordan soll sich in den Besitz großer Pferdeherden gesetzt haben, so daß seine Gegner, das heißt die Regierungstruppen, sich nur schwer oder schlecht beritten machen können. Das ist hier zu Lande ein ungeheurer Vorteil, den er für sich hat.«
»Besitzt er auch das nötige Geld?«
»Er hat ja das ungeheure Vermögen seines Stiefvaters, des Präsidenten Urquiza.«
»Den er ermorden ließ, eben um sich in den Besitz dieses Geldes zu setzen! Das Vermögen mag groß sein; aber zu einem Aufstande gehören, wenn er glücken soll, Millionen!«
»Nun, so raubt er sich eben so viel, wie er braucht, zusammen. Wir haben ja selbst gesehen, daß er seine Spitzbuben sogar über die Grenze schickt, um Pferde zu stehlen. Und Geld stiehlt er auch, wie wir jetzt beschwören können.«
»Hat der Major auch Ihnen alles abnehmen lassen?«
»Alles, alles! Unsere Taschen sind vollkommen leer. Das viele Geld, welches mein Bruder bei sich hatte, ist auch fort.«
»Nur das meinige nicht!« lachte Frick Turnerstick leise.
»Ihr habt es noch, Kapt'n?« fragte ich ihn.
»Yes! Habe euch ja bereits gesagt, daß es so gut verstaut ist, daß ich selbst es nicht finden würde, wenn ich es mir nicht gemerkt hätte, wo es steckt. Bin noch niemals auf die Nase gefallen gewesen!«
»Sagt einmal, Ihr seid doch gut in New York bekannt?«
»Will's meinen.«
»So will ich einmal sehen, ob Ihr vielleicht einen Mann dort kennt, welcher uns aus der Falle helfen soll.«
»Das wäre ein Hauptkunststück! Was ist denn der Mann?«
»Exporteur.«
»Also Seetransport! Wo hat er sein Geschäft?«
»Auf dem Exchance-Platz. Er arbeitet in allen möglichen Geschäften, ohne viel nach den Klar-Papieren zu fragen, und heißt - -«
»Hounters etwa?« unterbrach mich der Kapitän schnell.
»Ja, William Hounters.«
»Der also, der! Sir, den kenne ich freilich wie meine eigene Hand.«
»Habt Ihr Geschäft mit ihm gehabt?«
»Einige Male, bin aber dann nicht wieder zu ihm gekommen. Der Mann war zu sehr pfiffig und zu wenig ehrlich. Soll dieser Kerl es etwa sein, auf den Ihr euch verlaßt?«
»Ja.«
»So bleiben wir in der Buttermilch kleben, Sir! Wer uns befreien soll, der muß doch anwesend sein!«
»Ist nicht nötig, wenigstens in diesem Falle nicht. Die Hauptsache ist, daß Ihr in dieselbe Trompete blast wie ich.«
»Gebt sie nur her! Blasen werde ich schon.«
»Schön! Zunächst ist nur nötig, daß Ihr zwar sagt, daß Euer Schiff in dem Hafen von Buenos Ayres liegt, was Ihr aber für eine Fracht habt, darüber dürft Ihr kein Wort verlieren. Ihr müßt so tun, als ob das Euer größtes Geheimnis sei.«
»Warum?«
»Davon später. Ihr wißt eigentlich selbst nicht, was in den Kisten und Fässern steckt, welche ich bei Euch verstaut habe.«
»Ihr?« fragte er verwundert.
»Ja. Ich bin mit Euch von New York gekommen, direkt von New York. In Montevideo habt Ihr mich an das Land gesetzt und seid dann nach Buenos gegangen. um mich dort zu erwarten.«
»Aber, Sir, von dem allem begreife ich kein Wort!«
»Ist auch gar nicht nötig. Ihr seid von New York halb in Ballast abgesegelt. Die Fracht besteht fast nur aus meinen Kisten und Fässern, welche eben dieser William Hounters verfrachtet hat. Mich hat er als Superkargo mitgegeben, und Ihr habt von ihm die Weisung erhalten, daß Ihr Euch in allen Stücken nach mir richten müßt.«
»Jetzt wird der Storch ein Elefant, Sir! Das sind ja lauter Sachen, die mir wie Raupen im Kopfe herumkriechen.«
»So eine Raupe kann zum schönsten Schmetterling werden; paßt nur auf! Also ich bin in Montevideo ans Land gestiegen und habe nach ungefähr einer Woche in Buenos Ayres wieder mit Euch zusammentreffen wollen. Die Zeit ist Euch zu lang geworden, und so seid Ihr den Uruguay aufwärts gegangen, um zu sehen, ob Ihr da Rückfracht finden könnt. Dabei sind wir ganz unerwarteter Weise hier zusammen getroffen.«
»Sir, ist das wirklich Euer Ernst? Diesen Unsinn soll ich jemandem weiß machen? Man wird ihn nicht glauben!«
»Man wird ihn nur zu gern glauben. Ja, man wird außerordentlich erfreut sein, diesen Unsinn zu hören.«
»Und wem soll ich das sagen?«
»Keinem andern Menschen, als nur Lopez Jordan allein.«
»Aber, den kenne ich nicht! Mit ihm habe ich ganz und gar nichts zu tun!«
»Bisher nicht, aber wir werden sehr wahrscheinlich mit ihm zu tun bekommen. Nur ihm sagt Ihr das. Gegen jeden andern hüllt Ihr Euch in ein geheimnisvolles Schweigen. Und wenn Ihr es ihm sagt, muß auch ich dabei sein. Ihr dürft ihm nur in meiner Gegenwart dieses Geheimnis verraten, weil wir darnach trachten müssen, daß wir bei jedem Verhöre alle beisammen sind. Einer muß hören, was der andere sagt, damit keiner sich versprechen kann. Dadurch sorgen wir auch dafür, daß wir nicht so bald getrennt werden. Weiß einer von euch nicht, was und wie er antworten soll, so muß er den Betreffenden an mich weisen.«
»Haben denn auch andere von uns noch solche Dummheiten zu verschweigen?«
»Sennor Mauricio Monteso.«
»Ich?« fragte der Yerbatero.
»Ja, Sie geben auf Befragen an, daß Sie mich bei Sennor Tupido in Montevideo getroffen haben.«
»Das ist keine Lüge, sondern Wahrheit.«
»Desto besser. Ihr genießet das volle Vertrauen Tupidos, und er hat Euch den Auftrag erteilt, mich nach der Provinz Entre-Rios zu begleiten. Er hat Euch aber verantwortlich gemacht, mich wohlbehalten dorthin zu bringen. Alles übrige könnt Ihr genau so sagen und erzählen, wie es geschehen ist.«
»Und wozu soll das führen?«
»Zu unserer Freiheit, wenn sich nämlich meine Vermutung als richtig erweist, daß wir zu einer Truppe gebracht werden, welche zu Lopez Jordan gehört.«
»Begreifen kann ich nicht, was Sie damit wollen, Sennor, aber tun werde ich, was Sie verlangen. Wäre es aber nicht besser, wenn Sie uns die Sache offener und ausführlicher mitteilten?«
»Nein; ich bin zum Schweigen verpflichtet, und gerade für diese Verschwiegenheit wird Jordan mir Dank wissen.«
Jetzt kamen die beiden flußaufwärts geschickten Männer zurück und meldeten, daß ein Floß von oben herabkomme. Der Major ergriff eine Flinte und eilte mit ihnen fort. Nach einigen Minuten hörten wir den Schuß. Er mußte oberhalb unseres Lagers ihnen sagen, was er wollte, weil es sonst für sie zu spät gewesen wäre, an der Halbinsel anzulegen. Bald kehrte er mit seinen Begleitern zurück. Wir erhielten Knebel in den Mund. Dann kam das Floß in Sicht und legte gerade da an, wo das vorige gelegen hatte. Wir wurden auf dasselbe getragen, und unsere Pferde mitgenommen. Der Major sprach mit den Floßknechten leise und gab ihnen Geld. Sie warfen finstere, verächtliche Blicke auf uns. Wer weiß, welche Lüge er vorgebracht hatte.
Die Einschiffung hatte kaum einige Minuten in Anspruch genommen, dann wurde das Floß wieder flott gemacht. Wir verließen das linke Ufer des Uruguay, welches uns schließlich doch noch gefährlich geworden war. Über eins aber freute ich mich, nämlich darüber, daß der Indianer mit seinem Weibe nicht auch ergriffen worden war.
Das Floß wurde nach rechts gesteuert, und der Major gab an, wo er landen wolle. Dort wurden wir wieder vom Flosse an das Ufer getragen. Unsere Fährleute bedankten sich sehr höflich bei Cadera. Er schien sie sehr gut bezahlt zu haben. Das Ufer war nicht hoch. Es gab dichtes Schilf, aus welchem rotblühende Zeibobäume emporragten. Man trug uns eine ganze Strecke weit durch dieses Schilf; die Pferde wurden hinterher gezogen, bis wir einen ziemlich großen, freien Grasplatz erreichten, wo fünf oder sechs Bolamänner mit den Pferden zurückgeblieben waren. Die Kerle äußerten eine ausgelassene Freude, als sie uns erblickten. Der Major befahl, daß sogleich aufgebrochen werde, und wir wurden in der schon mehrfach angedeuteten Weise auf die schlechtesten Pferde gebunden. Cadera hatte als guter Pferdekenner sich meinen Braunen ausgewählt. Das nahm ich ihm gar nicht übel, denn der Braune war das beste der vorhandenen Tiere. Aber neugierig war ich, was das Pferd dazu sagen werde. Es war bis jetzt willig gefolgt. Nun aber, als der Major den Zügel ergriff und den Fuß in den Bügel setzte, stieg es in die Höhe, riß sich los und kam zu mir.
»Was hat denn die Bestie!« rief er.
Man hatte uns die Knebel nur zu dem Zwecke angelegt, daß wir nicht mit den Flößern sprechen könnten; jetzt waren sie uns wieder abgenommen worden. Darum konnte ich antworten:
»Es hat eine eigene Mucke, Sennor; es läßt nur wirklich gute Reiter in den Sattel.«
»Meinen Sie, daß ich nicht reiten kann?«
»Was ich denke, ist Nebensache; der Braune aber scheint es zu meinen.«
»Ich werde ihm zeigen, daß er sich irrt.«
Zwei Männer mußten das Pferd halten; dennoch gelang es ihm nicht, den Fuß in den Bügel zu bringen.
»Ein wahrer Teufel, gerade wie sein Herr!« rief er zornig. »Aber es soll doch gehorchen lernen.«
Er wollte es schlagen.
»Halt!« warnte ich. »Prügel ist es nicht gewöhnt. Es wird sich losreißen und entfliehen.«
»Aber, es läßt einen nicht auf!«
»Es läßt nur mich in den Sattel. Aber führen Sie es her an meine Seite; vielleicht ist es da williger.«
Er folgte diesem Rate, und siehe da, der Braune sträubte sich nicht mehr. Kaum aber saß der Major fest und dirigierte es von mir weg, so machte das Tier einen Katzenbuckel, ging erst hinten, dann vorn in die Höhe und tat dann schnell einen Seitensprung, so daß Cadera Bügel und Zügel verlor und in einem weiten Bogen zur Erde flog. Das hatte ich vorausgesehen, sonst wäre ich ihm gar nicht behilflich gewesen, auf das Pferd zu kommen, welches sicherlich keinen andern als mich im Sattel litt. Die Sache gab mir Spaß. Der Major war mit dem Rücken so derb aufgeflogen, daß er, als er sich aufgerafft hatte, sich nur schwer gerade aufrichten konnte.
»Schießt die Kanaille nieder!« schrie er. »Gebt ihr eine Kugel.«
Sofort wurden mehrere Gewehrläufe auf das Pferd gerichtet.
»Halt!« rief ich. »Wollen Sie denn wirklich ein so prachtvolles Pferd töten? Ist es nicht besser, es zu schulen? Später wird es seinen Reiter willig tragen.«
»Das ist wahr!« stimmte Cadera bei. »Es kennt mich noch nicht. Perez, steig' du auf!«
Der Aufgeforderte versuchte es, diesem Befehle nach zukommen, vergeblich! Erst als er es wieder an meine Seite brachte, ließ es ihn aufsteigen, warf ihn dann aber sofort wieder ab. So erging es noch einigen.
»Ein wahres Höllenpferd!« zürnte der Major. »Keiner kann es reiten. So bleibt uns also nichts anderes übrig. als daß wir seinen bisherigen Herrn darauf setzen.«
Ich wurde von meiner Mähre los- und dann auf den Braunen gebunden, welcher dabei so ruhig wie ein Lamm war. Dann ging es fort. Man nahm uns in die Mitte, und als wir die Uferregion mit ihrem Schilf und ihren Sumpflachen hinter uns und dann freien Camp vor uns hatten, setzte sich die Truppe in Galopp. Das Land war hier hüben ganz dasselbe wie drüben, wenigstens der Teil, durch welchen wir kamen. Die Pferde wurden möglichst angestrengt; sie erhielten nur selten einmal die Erlaubnis, in Schritt zu fallen, so daß wir um die Mittagszeit eine bedeutende Strecke hinter uns gelegt hatten.
Einen gebahnten Weg gab es auch hier nicht. Einige Male erkannte ich an den Spuren, daß schwere Wagen da gefahren seien. Hier oder da war ein Rancho, eine Hazienda rechts oder links von uns aufgetaucht, ohne daß wir auf sie zu und dort angehalten hätten. Auch wurde kein Wort mit uns gesprochen, so daß wir über das Ziel des Rittes ganz im Dunkel blieben. Nach Mittag belebte sich der Camp immer mehr. Herden hatten wir auch vorher gesehen; jetzt aber erblickten wir Reiter, erst einzelne, dann zu kleineren oder größeren Trupps vereinigt, welche nach einer bestimmten Richtung gingen oder aus derselben kamen. Die Begegnenden wechselten einige Worte mit dem Major, zu dem sie sich sehr respektvoll verhielten; sie warfen neugierige oder gar feindselige Blicke auf uns und ritten dann weiter.
Später sahen wir seitwärts sich größere Reitergeschwader bewegen. Sie schienen zu exerzieren, und endlich stieg vor uns ein großer Gebäudekomplex aus dem Camp empor, dem wir zustrebten.
»Das ist das Castillo del Libertador (Schloß des Befreiers),« sagte der Major, zu uns gewendet. »Dort wird Ihr Schicksal entschieden werden.«
Ein Schloß also! Hm! Je mehr wir uns demselben näherten, desto weniger schloßähnlich sahen die Gebäude aus. Auch hier bestanden die Mauern aus gestampfter Erde, und auch hier waren die Gebäude mit Schilf gedeckt; aber sie waren zahlreich und umfaßten ein weites Areal. Der Besitzer dieses »Castillo« war ganz gewiß ein reicher Mann. Rinder- und Schafherden sahen wir hier nicht, desto mehr aber Pferde und Reiter, welch letztere alle einen militärischen Anstrich hatten. In der Nähe der Gebäude wimmelte es förmlich von solchen Kriegern, welche in den buntesten Kleidungsstücken oder vielmehr
Kleiderfetzen steckten und auf die verschiedenste Art bewaffnet waren. Keiner glich dem andern, und doch waren sie sich alle ähnlich, nämlich in Beziehung auf den Schmutz und auf die feindseligen Blicke, welche sie für uns hatten. Die meisten waren barfuß, aber die riesigen Sporen fehlten bei keinem. Ich sah die verschiedensten Hüte und Mützen, sogar einige alte Zylinder, welche mit Federn besteckt oder irgendeinem roten Fetzen umwunden waren. Die glücklichen Besitzer dieser »Angströhren« schienen Chargierte zu sein. Gewehre hatten nur wenige. Viele waren mit Lanzen, alle aber ohne Ausnahme mit Lasso und Bola versehen.