Jahrgg. 16, Nummer 50, Seite 790
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
Schluß

Ich ritt weiter, um mich die Gefährten. Der Major folgte mit den Seinen. Er dachte nicht daran, die beiden Boten zurückzuhalten. Wir aber nahmen ein scharfes Tempo an, und hatten alle Veranlassung dazu. Auch der Bruder sah das ein. Er sagte zu mir:

»Glauben Sie wirklich, daß die beiden von Tupido kamen und die Kontrakte bei sich hatten?«

»Gewiß.«

»Ah! Wenn sie früher gekommen wären, als wir uns noch bei Jordan befanden! Welch ein Unglück hätte es da gegeben!«

»Wir hätten um unser Leben kämpfen müssen.«

»Dazu können wir auch jetzt noch gezwungen sein, denn Jordan wird uns, wenn er die Kontrakte erhält, sofort verfolgen lassen.«

»Das ist freilich wahr.«

»Wir befinden uns erst eine Stunde unterwegs. In eben dieser Zeit werden die Boten bei ihm sein. In vier Stunden erreichen wir erst den Fluß. Wir müssen uns außerordentlich beeilen, sonst holen uns die Verfolger ein.«

»Sie haben recht. Und selbst wenn wir uns beeilen, werden sie auf uns treffen, wenn wir lange auf ein Floß warten müssen.«

»Was ist da zu tun? Können wir nicht Blutvergießen verhüten?«

»Vielleicht doch. Sehen wir kein Floß, so bleiben wir nicht am Ufer halten, sondern wir reiten ihm entgegen.«

»Das ist wahr. Dadurch verlängern wir den Weg, welchen die Verfolger zu machen haben, wenn sie uns erreichen wollen. Aber wird der Major es zugeben?«

»Er muß.«

»Er wird uns mit Gewalt zurückhalten wollen.«

»Pah! Sie haben gesehen, daß seine Leute sich vor den Revolvern fürchten.«

Wir ließen also unsere Pferde tüchtig ausgreifen. Cadera versuchte mehrere Male, uns Einhalt zu tun, doch vergebens. Wir taten, als ob seine Zurufe uns gar nichts angingen. Trotzdem vergingen fast noch vier Stunden, ehe wir den Fluß erreichten. Es war das an einer Stelle, wo er einen geraden, lang gestreckten Lauf zeigte, so daß wir weit aufwärts blicken konnten. Es war kein Floß und auch kein anderes Fahrzeug zu sehen.

»Warten wir also hier,« sagte Cadera. »Die Pferde mögen sich ausruhen. Wir sind ja geritten wie Verrückte!«

»Hier bleibe ich nicht,« antwortete ich.

»Warum nicht?«


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»Es gibt kein Gras für die Pferde, nur dürres Schilf.«

»Sie wollen eine Weide aufsuchen? Das ist überflüssig. Die Pferde haben die ganze Nacht Gras gehabt.«

»Aber die unserigen nicht. Die standen seit gestern im Schuppen und erhielten einige dürre Maisblätter. Man darf seine Pferde nicht hungern lassen, wenn man sie anstrengen will.«

»Auf dem Flosse werden sie nicht angestrengt. Da können sie ruhen.«

»Aber auf dem Flosse wächst kein Futter. Reiten wir also aufwärts!«

Ich trieb mein Pferd nach der angegebenen Richtung.

»Halt! Sie bleiben hier!« gebot er.

Ich ritt weiter, ohne seinen Ruf zu berücksichtigen.

»Halt, sage ich!« brüllte er. »Sie bleiben hier, sonst schieße ich!«

Da drehte ich mich um. Er hatte seine Pistole in der Hand. Im Nu zog ich die Revolver.

»Weg damit!« befahl er. »Sonst schieße ich!«

»Dummheit!« antwortete ich. »Ich habe zwölf Schüsse gegen Sie. Übrigens, was würde Sennor Jordan sagen, wenn aus dem Geschäft nichts würde, weil ich ermordet worden bin! Überlegen Sie genau, was Sie tun!«

»Ja, Sie meinen, man dürfe Ihnen kein Haar krümmen!«

»Diese Überzeugung habe ich allerdings. Ich reite weiter. Wollen Sie schießen, so tun Sie es!«

Wir ritten fort, ohne uns nach ihm umzusehen. Sie hätten uns alle töten können, hüteten sich aber sehr wohl, es zu tun, sondern ritten gezwungener Maßen hinter uns drein, natürlich aus Leibeskräften wetternd und fluchend. Freilich war es kein Reitweg, welcher vor uns lag. Sumpf, nichts als Sumpf und Schilf. Wir mußten die gefährlichen Stellen oft in großen Bogen umgehen; aber den Weg, welchen wir machten, hatten auch unsere Verfolger zu machen, wenn sie uns erreichen wollten.

Freilich hatten wir ihnen die Bahn gebrochen, in folge dessen wir langsamer vorwärts kamen, als voraussichtlich sie dann später. Aber es wollte sich auch weder Floß noch Fahrzeug sehen lassen. Der Major rief unausgesetzt hinter uns. Er war voller Grimm, gezwungen zu sein, uns folgen zu müssen, und seine Begleiter stimmten in seine Scheltworte ein, woraus wir uns aber gar nichts machten.

Endlich erreichten wir eine Stelle, an welcher das Ufer ein wenig weiter in das Wasser trat, und da erblickten wir oberhalb von uns ein sehr langes Floß, welches langsam stromabwärts geschwommen kam.

»Gott sei Dank!« rief der Major. »Da hat nun die Niederträchtigkeit ein Ende. Diese Leute müssen uns mitnehmen.«

»Wenn sie wollen!« fiel ich ein.

»Sie müssen! Wir zwingen sie.«

»Das versuchen Sie lieber nicht. Es ist besser, wir bieten ihnen eine reichliche Bezahlung.«

»Wer soll das Geld geben?«

»Ich.«

»Schön! Das will ich mir gefallen lassen. Machen also Sie den Handel fertig.«

Ich ritt ganz vor, legte beide Hände an den Mund und rief den Flößern entgegen:

»Hallo! Können wir mit nach Buenos Ayres?«

»Wir fahren nicht bis ganz hin.«

»Schadet nichts!«

»Wieviel Personen?«

»Zwanzig Mann, zehn Pferde. Wieviel ist zu bezahlen?«

»Hundert Papiertaler.«

»Die werden wir geben.«

»Gut, so legen wir an!«

Das Floß bestand aus zwölf langen Feldern. Es ging tief im Wasser und trug hinten und vorn je eine Bretterbude. Regiert wurde es von zwölf oder dreizehn kräftigen, fast nackten Männern. Es verging weit über eine Viertelstunde, ehe es am Ufer lag, und ich lauschte scharf nach der Landseite, ob sich vielleicht Pferdegetrappel hören lasse. Hatten die Boten Jordan sofort gesprochen, so mußten die Verfolger uns nahe sein. Der Major war abgestiegen, seine Leute ebenso wie auch wir. Ich näherte mich dem Rittmeister und fragte ihn leise:


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»Nun, Sennor, jetzt ist's Zeit. Wollen Sie?«

»Wird es gehen?«

»Ganz gut.«

»Aber wie?«

»Führen Sie, als der allererste, Ihr Pferd auf das Floß, und bleiben Sie dort, was auch geschehen möge. Stellen Sie sich hinter eine der Hütten auf.«

Diesen letzteren Rat flüsterte ich auch dem Frater zu, welcher ihn den Gefährten weiter vermittelte.

Jetzt lag das Floß fest.

»Da, nehmt die Pferde!« gebot der Major den Leuten, welche die Tiere zurückbringen sollten. »Wir steigen jetzt - - - was ist das?«

Er unterbrach sich mit dieser verwunderten Frage, denn er sah, daß der Rittmeister auf das Floß ging. Meine Gefährten folgten diesem sofort.

»Was ist's? Was meinen Sie?« fragte ich ihn, indem ich so tat, als ob ich nicht wisse, was ihn so in Erstaunen setze. Dabei winkte ich dem Yerbatero, mein Pferd mitzunehmen. Ich selbst blieb stehen.

»Der Rittmeister geht auch auf das Floß!« antwortete Cadera. »Was will er dort?«

»Mitfahren. Was sonst?«

»Diablo! Wer hat das befohlen?«

»Sennor Jordan sagte es Ihnen nicht?«

»Nein.«

Während er und die Soldaten ganz betroffen dastanden, trat ich hart an das Wasser, wo die Floßknechte standen, und sagte ihnen leise:

»Fünfzig Papiertaler mehr, wenn Sie diese Soldaten nicht mitnehmen.«

»Gut, Sennor!« antwortete der Führer des Flosses ebenso leise.

»Das wundert mich freilich nicht,« fuhr ich jetzt laut und zu dem Major gewendet fort. »Sie haben es jetzt erst erfahren sollen.«

»Was denn?«

»Daß Sie unter Aufsicht stehen.«

»Ich? Was fällt Ihnen ein!«

»Pah! Ich habe es Ihnen bereits vorhin gesagt, als Sie behaupteten, daß Sie uns zu beaufsichtigen hätten.«

»Sennor, ich verstehe keines Ihrer Worte!«

»So will ich deutlicher sprechen. Sennor Jordan traut Ihnen wahrscheinlich nicht.«

»Wollen Sie mich beleidigen!«

»Nein. Sie können höchstens durch die Bestimmung Jordans beleidigt werden, nicht durch mich. Wahrscheinlich glaubt er, Sie fangen Händel mit mir an.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Oder Sie kommen gar auf den verrückten Gedanken, sich später, wenn wir Ihnen auf dem Parana die Ladung übergeben haben, meiner Person zu bemächtigen.«

»Sennor!«

»Bitte! Tun Sie nicht so, als ob ich es nicht vermöchte, Ihre Gedanken zu erraten! Um aber solche Torheiten zu hintertreiben, ist Jordan wahrscheinlich auf den Gedanken gekommen, Ihnen den Rittmeister als Kurator mitzugeben.«

»Was fällt Ihnen ein!«

»Dem Generalissimo ist es eingefallen, nicht mir.«

»Beweisen Sie es!«

»Kommen Sie auf das Floß und lassen Sie sich von dem Rittmeister die Vollmacht geben, welche er erhalten hat.«

»Tormento! Hat er eine?«

»Fragen Sie ihn!«

»Er soll sie zeigen! Warum spricht er nicht? Warum versteckt er sich hinter die Hütte? Wenn er diese Vollmacht hat, bin ich beleidigt und fahre um keinen Preis mit. Ich muß ihn sprechen!«

»So kommen Sie!«

Er sprang auf das Floß und ich ihm nach. Er hatte in seinem Zorne nicht auf das, was die Flößer taten, acht gehabt. Das Floß hing nur noch mit einem Ende am Ufer. Das andere schwamm schon weit draußen, sich im Wasser nach


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abwärts drehend. Der Major gab seinen Leuten noch einen Wink, am Ufer zu bleiben und eilte zu dem Rittmeister.

»Jetzt los!« gebot ich den Floßknechten, indem ich dem Zornigen folgte. Als ich ihn erreichte, stand er bei dem Rittmeister und warf demselben Fragen in das Gesicht, welche er gar nicht zu beantworten wußte.

»Zanken Sie nicht, Sennor!« sagte ich zu Cadera. »Sie machen die Sache nun doch nicht anders. Und damit Sie nicht in die Versuchung kommen, im Zorne eine Übereilung zu begehen, werde ich Ihnen den Freundschaftsdienst erweisen, Sie daran zu verhindern.«

Während dieser Worte riß ich ihm die Pistolen aus dem Gürtel.

»Sennor, was wagen Sie!« donnerte er mich an.

»Nichts, gar nichts.«

»Das nennen Sie nichts, gar nichts? Sie rauben mir -«

Er hielt inne. Seine Leute erhoben am Ufer ein Geschrei, welches kreischend zu uns herüberscholl und seine Blicke auf sie richtete. Das Floß war gelöst worden und hatte sich bereits um mehrere Mannslängen von dem Ufer entfernt, wo das Wasser eine bedeutende Tiefe besaß.

»Was ist das? Was soll das heißen?« schrie Cadera. »Sofort wird wieder angelegt!«

»Das soll heißen,« antwortete ich ihm, »daß Sie mein Gefangener sind, und daß ich Sie augenblicklich niederschieße, wenn Sie einen Schritt von hier tun!«

Ich hielt ihm seine eigenen Pistolen gegen die Brust.

»Gefangener? Niederschießen? Sennor, sind Sie toll?« fragte er erbleichend.

»Ich bin jedenfalls besser bei Sinnen als Sie, der Sie auf diese schöne Leimrute geflogen sind.«

»Rittmeister, helfen Sie!«

Der Angerufene zuckte mit der Achsel, sagte aber kein Wort.

»Sie schweigen, anstatt drein zu hauen! Halten Sie es etwa mit diesem -«

»Bitte, keinen Ausdruck, welcher mich beleidigen könnte,« unterbrach ich ihn drohend. »Ich dulde das nicht.«

»Und ich dulde diese Behandlung nicht. Meine Leute sollen auf Sie schießen. Ich werde es ihnen befehlen. Ich werde - -«

»Nichts werden Sie, gar nichts! Sie befinden sich in meiner Hand und müßten die erste falsche Bewegung, den ersten Ruf mit Ihrem Leben bezahlen. Sehen Sie, daß Ihre Leute Ihnen nicht zu helfen vermögen?«

Ich faßte ihn am Arme und zog ihn hinter der Bretterhütte vor. Das Floß war in schnelleres Wasser gekommen und


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entfernte sich von der Stelle, an welcher es gelegen hatte, zusehends. Die Soldaten waren wieder aufgestiegen und folgten am Ufer abwärts.

»Chispas!« fluchte der Major. »Da schwimmen wir hin, und da drüben sind meine Leute! Und da drunten, da drunten, da kommt wahrhaftig Jordan selbst mit einer ganzen Menge von - -«

»Von Häschern,« fiel ich lachend ein, »welche uns ergreifen wollen. Das ist für Sie eine sehr ärgerliche, für uns aber eine höchst lustige Geschichte.«

Da, wo wir am Ufer hergekommen waren, tauchte ein langer, langer Trupp von Reitern auf. Ich erkannte wirklich den »Generalissimo« mit mehreren Offizieren an der Spitze. Sie trafen jetzt mit denen zusammen, welche wir zurückgelassen hatten. Man sah sie Fragen und Antworten austauschen. Die Hände streckten sich aus, um nach uns zu deuten, und dann erscholl ein vielstimmiges Wutgeschrei zu uns herüber.

Die Reiter saßen ab und griffen zu ihren Gewehren. Schüsse krachten; aber wir waren glücklicher Weise schon so weit vom Ufer entfernt, daß keiner derselben traf.

Der Major befand sich in einem Zustande, welcher an Verzweiflung grenzte. Er tobte eine Weile gegen uns, gegen sich selbst und setzte sich dann auf einen Klotz, um da wortlos vor sich niederzustarren.

Drüben am rechten Ufer aber folgten uns die Soldaten. Als ihnen das Schilf und Buschgewirr das Reiten zu beschwerlich machte, sahen wir sie verschwinden. Sie hielten mehr vom Flusse ab, um den freien Camp zu erreichen, wo sie leichter und schneller reiten konnten. Jedenfalls folgten sie uns so weit wie möglich. Mochten Sie! Wir waren ihren Händen glücklich entrückt.

(Teil II folgt.)
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