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Viertes Kapitel. Am Devils-head.

Nun befanden wir uns hoch oben in den eigentlichen Rocky-Mountains und ritten an der östlichen Seite des Pah-sawehre-payew (* Berg des grünen Wassers.) hinan. Das Riesenpanorama, in welchem wir Zwerggeschöpfe uns bewegten, war ein überwältigend großartiges. Hier wirkte die ungeheure Massigkeit der Gebirgsstöcke im Vereine mit dem Farbenreichtum der unbekleideten Felsen. Das waren himmelhohe und meilenlange Granitmauern mit wunderbar gestalteten Bastionen, über welche es kein Hinüberkommen zu geben schien. Wenn wir, uns umwendend, rückwärts blickten, lag im Osten die weite Prairie wie ein endloser, flimmernder See tief, tief zu unsern Füßen. Die Bäche rauschten um uns wie zu Schaum gewordenes, flüssiges Silber dahin; Frau Flora stieg, gekleidet in ihr reich nuanciertes, grünes Sammetgewand und ihr Haupt mit Gold gekrönt, stolzen Schrittes zu den erhabenen Scheiden und Kuppen des Gebirges empor. Hier bauen sich gigantische Felsenstufen, eine über die andere, auf, mächtige Balsamtannen tragend und den Geistern des Gebirges als Treppe dienend, wenn


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sie nächtlicherweise niedersteigen, »eine Wildschur um die Lenden, eine Kiefer in der Faust«. Hier wieder haben sich zu Füßen eines einzeln thronenden Bergtitanen ganze Reihen kolossaler Säulen herausgebildet, hinter deren Waldkulissen die wunderbaren Geheimnisse der Hochwelt träumen. Hinter den scharfgezeichneten, dunklen Kanten der scheinbar höchsten Höhen flimmern silberne und goldene Punkte und strahlen diamantene Linien und Streifen aus blaugrauen Schleiern hervor. Sind das die Grüße einer für den Sterblichen unerreichbaren Märchenwelt, eines jenseits der Erde befindlichen Zauberlandes, oder sind es die Sonnenreflexe von fernen Gebirgshäuptern, mit deren Höhe diejenige der uns umgebenden Felsenriesen nicht zu wetteifern vermag?

Wir ritten durch all diese Pracht und Herrlichkeit empor. Unser heutiges Ziel war der Pahsawehre, jener einsam liegende, hellgrüne See, von welchem die Sagen der Indianer so viel Wunderbares zu erzählen wissen. Dort wollten wir übernachten, um am andern Morgen in den Park von San Louis hinabzusteigen, in welchem ich die Aufklärung so vieler Rätsel erwartete.

Wir hatten am Morgen nach den Erlebnissen im »Bärenthale« die dreiundfünfzig Capote-Utahs dem ihnen gegebenen Worte gemäß freigelassen. Nun wir Old Surehand bei uns hatten, gab es für uns keinen Grund mehr, uns zu beeilen, um ihn einzuholen, und so zogen wir nicht vor den Utahs aus dem dortigen Parke fort, sondern ließen sie vor uns abziehen; weil es stets vorteilhafter ist, feindlich gesinnte Menschen vor, als hinter sich zu haben.

Und feindlich gesinnt waren sie uns, obgleich sie über die Behandlung, welche sie bei uns gefunden hatten, nicht klagen konnten. Wir hatten keinem von ihnen ein Haar gekrümmt und keinen von ihnen mit Worten beleidigt,


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dennoch sagte der Häuptling, als er früh losgebunden wurde:

»Old Surehand sagte gestern abend, daß er eigentlich noch nicht quitt mit uns sei; er hat sich verkehrt ausgedrückt, denn wir sind noch nicht quitt mit ihm. Er hat zwei Krieger getötet.«

»Dafür hat er euch vier Felle gebracht,« antwortete Winnetou.

»Die haben wir nicht bekommen!«

»Ihr könnt sie nehmen!«

»Nachdem ihr die Ohren und Krallen abgeschnitten habt? Nein! Und wenn wir sie bekommen hätten, wäre ihm doch nur das Leben, aber nicht die Freiheit geschenkt. Wir müssen ihn haben!«

»Und wenn ihr ihn bekämt, so würdet ihr ihn töten?«

»Ja, denn wir haben das Lösegeld für sein Leben, die Felle, nicht erhalten. Zwischen uns ist wieder Blut; wir werden das seinige fordern.«

»Uff! Old Shatterhand und Winnetou sind stets die Freunde aller roten Männer gewesen; wir haben auch euch nichts gethan, obgleich ihr unsere Gefangenen waret, und wollten die Pfeife des Friedens mit euch rauchen, ehe wir an diesem Tage von euch scheiden.«

»Wir mögen euer Kalumet nicht sehen!«

»So werdet ihr nicht nur Old Surehands, sondern auch unsere Feinde sein?«

»Ja.«

»Ohne allen Grund?!«

»Sollte der Häuptling der Apatschen wirklich glauben, daß wir keinen Grund dazu haben? Hat er uns nicht überfallen und gefangen genommen, ohne daß ihm das Geringste von uns geschehen war?«


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»Das war keine Gefangenschaft zu nennen. Wir banden euch nur für eine Nacht zu unserer Sicherheit und haben euch jetzt freigelassen.«

»Gefangen ist gefangen! Zwischen uns und euch bleibt Feindschaft fort und fort!«

»Tusahga Saritsch, der Häuptling der Capote-Utahs, soll seinen Willen haben. Winnetou, der Häuptling der Apatschen, zwingt keinem Menschen seine Freundschaft auf, weil es nicht seine Gewohnheit ist, sich vor einem Feinde zu fürchten. Die Utahs mögen fortreiten!«

»Ja, sie mögen fortreiten, die Dummköpfe!« rief Hammerdull. »Für ihre Freundschaft danke ich überhaupt, denn bei ihnen kommt die Brüderschaft sogleich dahinter, und ich habe stets die Erfahrung gemacht, daß derjenige, der einem die Freundschaft und dann die Brüderschaft anträgt, gewöhnlich die Absicht hat, einen anzupumpen. Das ist stets und unumstößlich wahr. Nicht wahr, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Nein,« antwortete der Lange.

»Was? Du giebst mir nicht recht?«

»Nein!«

»Kennst du denn einen, der nicht sofort angepumpt hat?«

»Ja.«

»Wer ist's?«

»Ich bin es!«

»Ja, richtig; das ist wahr! Du bist aber auch der einzige von ihnen, wirklich der allereinzige, denn die andern haben es alle, alle, alle gethan!«

Der alte, dicke Spaßvogel hatte wirklich nicht unrecht Ich habe dieselbe Erfahrung ja auch gemacht, natürlich nur unter den »Bleichgesichtern«. Wie viele, viele Male hat sich mir jemand mit dem Worte Freund ge-


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nähert [genähert], und dann folgte gleich die sehr einseitig beliebte Prozedur, welche Hammerdull so unästhetisch mit dem plumpen Worte »anpumpen« bezeichnete. Der Indianer bringt das nicht fertig; dem Durchschnitts-»Bleichgesichte« aber scheint es sehr leicht zu fallen; ich weiß als Verfasser meiner Werke leider nicht nur ein Wort, sondern tausend Worte davon zu sprechen. Howgh!

Die Utahs zogen also ab. Es war eigentlich jammerschade um die schönen Bärenfelle, daß wir sie liegen und verderben lassen mußten; aber wir konnten sie nicht mitnehmen, und da wir nicht wußten, welchen Rückweg wir einschlagen würden, wäre es überflüssige Arbeit gewesen, sie zuzurichten und dann einzugraben, um sie später mitzunehmen. Wer wohl sagen könnte, welche Massen von Fellen und Pelzen auf diese Weise im wilden Westen zu Grunde gegangen sind!

Wir folgten den Utahs nicht auf dem Fuße, denn das wäre ein Fehler gewesen, sondern warteten bis zum Mittag, bis sie einen Vorsprung vor uns hatten. Da sahen wir denn, daß sie sich außerordentlich beeilt und ganz die Richtung genommen hatten, welche auch wir einschlagen mußten. Das war kein gutes Zeichen für uns.

»Meint Ihr, daß sie die Absicht haben, sich an uns zu rächen, Mr. Shatterhand?« fragte mich Apanatschka.

»Ich denke es,« antwortete ich.

»Dann dürften sie aber nicht vor uns bleiben, sondern müßten uns folgen!«

»Das werden sie auch bald thun. Ich wette, daß sie die nächste Gelegenheit ergreifen werden, ihre Fährte unsichtbar zu machen.«

Ich hatte recht. In der nächsten Nacht gab es ein Gewitter, welches bis zum Morgen dauerte, und als wir


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dann nach den Spuren der Utahs suchten, waren sie vom Regen fortgewaschen worden.

Old Surehand war während der beiden nächsten Tage außerordentlich schweigsam und zog sich besonders von mir zurück, nicht aber in unfreundlicher Weise. Es war nicht ein gegen mich gerichtetes Gefühl, welchem er dabei folgte, sondern ich ahnte, daß er mit sich kämpfte, ob er aufrichtig mit mir sein oder seine Verschwiegenheit beibehalten sollte. Ich that gar nichts dazu, diesen inneren Kampf nach der einen oder andern Seite zu beendigen; er war ein Mann und mußte selbst mit sich fertig werden können. Schließlich merkte ich, daß die Stimme der Verschwiegenheit gesiegt hatte. Er glaubte aber doch, mir wegen unserer letzten Unterhaltung eine Bemerkung machen zu müssen, ritt kurze Zeit neben mir her und sagte:

»Habe ich Euch bei unserm Gespräch im Park beleidigt, Mr. Shatterhand?«

»Nein, Mr. Surehand,« antwortete ich.

»Ich denke, daß ich etwas zu kurz gewesen bin?«

»Nein. Wenn man ermüdet ist, pflegt man nicht viel Worte zu machen.«

»So ist es. Ich war ganz plötzlich sehr müde geworden. Aber, bitte, könnt Ihr Euch auf unser Gespräch damals im Llano estacado erinnern?«

»Ja.«

»Ihr hattet mit Old Wabble vorher über Gott und Religion gesprochen?«

»Ich weiß es.«

»Seid Ihr heut noch derselben Meinung wie in jener Nacht?«

»Vollständig!«


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»Ihr glaubt also wirklich, daß es einen Gott giebt?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich weiß es.«

»So haltet Ihr wohl jeden Menschen für dumm, der diesen Glauben nicht besitzt?«

»Dumm? Wie könnte mir das einfallen! Das würde eine Überhebung von mir sein, welche erst recht dumm wäre. Es giebt tausend und abertausend Menschen, welche nicht an Gott glauben und denen ich in Beziehung auf ihre materiellen und formalen Kenntnisse nicht wert bin, das Wasser zu reichen. Und wieder giebt es Menschen, welche fest an Gott halten, aber in Beziehung auf die irdische Klugheit nicht auf einer hohen Stufe stehen. Es giebt zwar auch eine - wie soll ich mich ausdrücken? - eine biblische, eine religiöse Klugheit, doch die habt Ihr ja nicht gemeint.«

»Nun, so sagt ein anderes Wort, mit welchem Ihr die Leute bezeichnet, welche nicht glauben, daß es einen Gott giebt!«

»Ich kann Euch keines sagen.«

»Warum nicht?«

»Genügt Euch das Wort ungläubig?«

»Nein.«

»Weiter habe ich keins. Ich verstehe gar wohl, was Ihr meint; aber es giebt so viele Arten der Ungläubigen, daß man wohl zu unterscheiden hat. Der eine ist zu gleichgültig, der andere zu faul, der dritte zu stolz, nach Gott zu suchen; der vierte will sein eigener Herr sein und keinen Gebieter über sich haben; der fünfte glaubt nur an sich, der sechste nur an die Macht des Geldes, der siebente an das große Nichts, der achte an den Urstoff und der neunte, zehnte, elfte und die folgenden alle jeder an sein besonderes Steckenpferd. Ich habe weder die Lust noch das Recht, sie zu klassifizieren und ein Ur-


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teil [Urteil] über sie zu fällen. Ich habe meinen Gott, und der ist kein Steckenpferd.«

»Könnt Ihr Euch auf alles besinnen, was wir damals sprachen?«

»Ja.«

»Ich bat Euch, mir meinen verlorenen Glauben wiederzubringen.«

»Und ich sagte Euch: Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott.«

»Und Ihr sagtet noch mehr; ich weiß nur heut die Worte nicht mehr.«

»Meine Worte waren ungefähr: Ich weise Euch an denjenigen, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt und welcher sagt: >Ich bin die Wahrheit und das Leben!< Ihr strebt und ringt nach der Wahrheit; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost; sie wird Euch ganz plötzlich und ganz unerwartet aufgehen wie einst den Weisen aus dem Morgenlande jener Stern, der sie nach Bethlehem führte.«

»Ja, so sagtet Ihr, Mr. Shatterhand. Ihr habt mir sogar diesen Stern für bald verheißen!«

»Ich erinnere mich, allerdings gesagt zu haben: Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut und hier - ich ahne es!«

»Ich habe es aber leider noch nicht gefunden!«

»Ihr werdet es finden. Ich sage genau wie damals: Ich ahne es! Es liegt Euch heut vielleicht näher, als Ihr denkt.«

Er sah mir forschend in das Gesicht und fragte:

»Habt Ihr einen Grund zu dieser Ahnung?«

»Ich gebe eine Gegenfrage: Giebt es grundlose Ahnungen?«


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»Ich weiß es nicht.«

»Oder begründete? - Kann es die geben?«

»Ich bin ein ungelehrter Mensch. Diese Fragen liegen mir zu hoch.«

»So mag es dabei bleiben, daß ich es ahne. Betet Ihr täglich?«

»Beten? - Seit langer Zeit nicht mehr.«

»So beginnt es wieder! Das Gebet des Gläubigen vermag viel, wenn es ernstlich ist. Und Christus sagt: >Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan<. Glaubt mir, ein inbrünstiges, gläubiges Gebet gleicht einer Hand, welche die Hilfe, die Erhörung aus dem Himmel holt! Ich habe das oft an mir selbst erfahren.«

»So betet Ihr täglich?«

»Täglich? Glaubt Ihr etwa, es sei ein Verdienst für den Menschen, täglich oder gar stündlich zu beten? Dann wäre es ja auch ein Verdienst für das Kind, wenn es sich herbeilassen wollte, mit seinem Vater zu sprechen! Ich sage Euch: das ganze Leben des Menschen soll ein Gebet zum Himmel sein! Jeder Gedanke, jedes Wort, jede That, all Euer Schaffen und Wirken soll ein Gebet, ein Opfer sein, auf der köstlichen Schale des Glaubens zu Gott emporgetragen! Glaubt ja nicht, daß Ihr mit einem einmaligen Gebete große Wirkungen erzielt. Denkt nicht, daß, da Ihr jahrelang nicht gebetet habt und nun plötzlich einmal beten wollt, Euch der Herrgott auch sofort zur Verfügung stehen und Euern Wunsch erfüllen muß! Der Lenker aller Welten ist keineswegs Euer Lakai; dem Ihr nur zu klopfen oder zu klingeln braucht! Auch ist der Himmel kein Krämerladen, in welchem der Herrgott vorschlägt und mit sich handeln läßt. Was giebt es doch in dieser Beziehung für sonderbare Menschen! Da fährt


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sich der Herr Müller oder Maier Sonntags mit dem Waschlappen über das von den sieben Wochentagen her schmutzige Gesicht, bindet ein frischgewaschenes Vorhemdchen um, nimmt das Gesangbuch in die Hand und geht in die Kirche, natürlich auf seinen >Stammplatz< Nummer fünfzehn oder achtundsechzig. Da singt er einige Lieder, hört die Predigt an, wirft einen Pfennig, zwölf Stück auf den Groschen, die jetzt nicht mehr gelten, in den Klingelbeutel und geht dann hoch erhobenen Hauptes und sehr befriedigten Herzens nach Hause. In seinem Gesichte ist deutlich die Überzeugung zu lesen, die er im Herzen trägt: >Ich habe für eine ganze, volle Woche meine Pflicht gethan; nun, du Gott, der alles geben kann, thue du auch die deine; dann gehe ich nächsten Sonntag wieder in die Kirche! Wenn nicht, so werde ich mir die Sache überlegen!< - Glaubt Ihr, Mr. Surehand, daß es so sonderbare Menschen giebt?«

»Da Ihr es sagt, muß es wohl so sein.«

»O, es giebt solche Maiers und Müllers zu hunderttausenden. Diese Christen sind die größten Feinde des wahren Christentums. Sie stellen sich zu Gott auf denselben Fuß, auf welchem ein Fuhrherr zu seinem Kutscher steht, der Woche für Woche seinen Lohn ausgezahlt bekommt. Aber geht nun einmal zur armen Witwe, welche von früh bis abends und auch Nächte lang am heißen Waschkessel oder am kalten Wasser des Flusses schafft und arbeitet, um sich und ihre Kinder ehrlich durch das Leben zu bringen! Sie hat sich die Gicht angewaschen; sie spart sich den Bissen vom Munde ab, um ihn den Kindern zu geben; sie hat kein Sonntags- und kein Kirchenkleid; sie sinkt nach vollbrachtem Tagewerk todmüde auf ihr Lager und schläft ein, ohne eine bestimmte Anzahl von Gebetsworten gedankenlos heruntergeleiert zu haben; aber ich


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sage Euch! ihr ununterbrochenes Sorgen und Schaffen ist ein immerwährendes Gebet, welches die Engel zum Himmel tragen, und wenn die Not, der Hunger ihr ein »Du mein Herr und Gott!« aus dem gepeinigten Herzen über die Lippen treibt, so ist dieser Seufzer ein vor Gott schwerer wiegendes Gebet als alle die Gesangbuchslieder, welche Herr Maier oder Herr Müller während seines ganzen Lebens gesungen hat! Also betet, Mr. Surehand, betet! Aber denkt ja nicht, daß es sofort helfen muß! Betet in Gedanken, in allen Euren Worten und in allen Euren Thaten! Hättet Ihr mehr gebetet, so wäre Euch der Helfer längst erschienen!«

»Das ist viel, sehr viel gesagt, Mr. Shatterhand!«

»Jawohl; aber ich weiß, was ich sage. Ein altes Kirchenlied sagt:

»Mit Sorgen und mit Grämen
Und selbstgemachter Pein
Läßt er sich gar nichts nehmen;
Es muß erbeten sein!«

Jedes Kind sagt dem Vater seine Wünsche; hat nicht auch das Erdenkind dem himmlischen Vater seine Liebe und sein Vertrauen dadurch zu beweisen, daß es von Herzen zu ihm spricht? Wird ein Vater seinem Sohne eine gerechte Bitte abschlagen, die er erfüllen kann? Und steht die Liebe und die Allmacht Gottes nicht unendlich höher als die Liebe und Macht eines Menschen? Glaubt es mir: Wenn der große Wunsch, den Ihr im Herzen tragt, überhaupt zu erfüllen ist, so wäre er schon längst erfüllt, wenn Ihr an Gott geglaubt und zu ihm gebetet hättet!«

»Was wißt Ihr von der Größe meines Wunsches?«

»Ich ahne es.«

»Wieder Ahnung!«


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»Pshaw! Ahnungen sind innere Stimmen, auf die ich immer achte. Ihr habt mir damals im Llano estacado gesagt, daß Euch der Glaube an Gott durch unglückliche Ereignisse verloren gegangen sei. Soll ich da nicht ahnen, daß Ihr Euch nach dem Ende dieses Unglücks sehnt?«

»Richtig! Ich dachte, Ihr quältet Euch als Freund in Gedanken damit ab, mir die Ruhe wiederzugeben, welche ich verloren habe!«

»Was würden Euch meine Gedanken helfen? Die wahre Freundschaft bewährt sich durch die That, und wenn Ihr mich in dieser Beziehung einmal braucht, so habt Ihr gar nicht nötig, mich erst darum zu fragen.«

Was ich ihm vorhin in Beziehung auf die Gebetserhörung sagte, war nicht bloß Redensart. Ich hatte damals die Squaw des Medizinmannes im Kaam-kulano getroffen und dann Old Surehand nichts von dieser Begegnung gesagt; das war nicht infolge einer Überlegung, also nicht aus einem besondern Grunde unterlassen worden, sondern es hatte sich keine Gelegenheit geboten, diese Frau besonders gegen ihn zu erwähnen. Wäre er aber ein gläubiger Christ, und gewohnt gewesen, seine Herzenswünsche dem Gebete anzuvertrauen, so hätte ich ihm ganz gewiß von dieser Frau erzählt. Das ist meine Überzeugung, denn ich weiß, daß es Eingebungen giebt, und habe das auch schon erwähnt.

Unser Gespräch wurde dadurch unterbrochen, daß wir über ein querüberfließendes Wasser mußten, welches nicht tief und so hell war, daß wir den Grund deutlich sahen. Wir bemerkten Eindrücke von Pferdehufen, konnten aber nicht herausbekommen, wieviel Pferde es gewesen waren, vier oder fünf aber jedenfalls nicht. Ebenso war es unmöglich, die Zeit zu bestimmen, in welcher diese Eindrücke entstanden waren, denn das Wasser hatte ein unbedeuten-


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des [unbedeutendes] Gefäll und also nicht die Kraft, sie binnen kurzer Zeit zu zerstören. Es konnten Stunden oder Tage, aber auch Wochen vergangen sein, seit diese Spuren entstanden waren. Aber eine Wirkung hatten sie doch: Wir schenkten in Beziehung auf Fährten dem Wege mehr Aufmerksamkeit, als wir es in letzter Zeit gethan hatten.

Wir konnten aber nichts entdecken, denn wir hatten den Paß und die ihm folgenden Engen hinter uns, und ritten in den Hochwald ein, der solche Gelegenheit, sich auszubreiten, bot, daß wir, um eine Spur zu finden, ihn hätten tagelang absuchen müssen.

Es war die Kuppe des Pah-sawehre-payew, welche wir jetzt erreicht hatten. Sie war mit Hochwald bedeckt, unter welchem wir wie in einem Dome ritten, durch dessen dichtes Laubdach nur zuweilen ein Sonnenstrahl zu dringen vermochte. Das war der Urwald des Nordens, welcher in dieser Höhenlage gedeihen konnte.

Wir ritten stunden- und stundenlang unter diesem Dache immer bergauf. Es wurde unter demselben dunkel, weil die Sonne jenseits niedersank, und wir mußten die Pferde antreiben, um noch vor der Nacht den See des »grünen Wassers« zu erreichen.

Endlich waren wir oben! Die Sonne hatte sich von dieser Seite des Gebirges schon verabschiedet, aber es war noch licht genug, den See, so weit das Auge reichte, überblicken zu können. Ich sage, so weit das Auge reichte, denn das gegenseitige Ufer konnten wir nicht sehen; dazu war er zu groß. Von der hellgrünen Färbung, welche sein Name andeutete, denn Pah heißt in der Utahsprache »Wasser« und sawehre »hellgrün«, bemerkten wir jetzt, da es schon zu dunkeln begann, nichts. Er war, so weit wir ihn überblicken konnten, vom Walde umgeben. Wir befanden uns an seinem östlichen Ende. Sein südliches


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Ufer bildete eine von keiner Bucht unterbrochene Bogenlinie, während an seinem nördlichen eine breite, auch dicht bewaldete Halbinsel hervortrat. Um diese Halbinsel zu erreichen, hätten wir noch eine Viertelstunde weiterreiten müssen; es gab aber für uns keinen Grund, dort Lager zu machen, und so blieben wir da, wo wir uns befanden.

Hammerdull und Holbers liefen umher, um, so lange man noch sehen konnte, dürres Holz zusammenzusuchen. Als sie so viel gesammelt hatten, wie wir für die Nacht brauchten, wollten sie Feuer anzünden. Der Apatsche aber untersagte es ihnen:

»Jetzt noch nicht! Ein Feuer glänzt weit in den See hinaus, und wir haben heute Pferdespuren gesehen. Es können Menschen am Wasser sein, die von uns nichts wissen dürfen. Wir wollen warten, bis es dunkel geworden ist; dann wird es sich finden, ob wir uns erlauben können, hier zu bleiben und ein Feuer anzubrennen.«

Wir gaben die Pferde frei und streckten uns nieder. Es wurde schnell dunkel, und da zeigte es sich auch sofort, daß die Vorsicht Winnetous wohlbegründet gewesen war, denn an dem nach uns gerichteten Ufer der Halbinsel leuchtete ein Feuer auf. Es waren also Menschen dort! Und wenige Minuten später sahen wir an derselben Seite des Sees, aber weit, weit unten, ein zweites erscheinen, welches allerdings nur einem guten Auge sichtbar war, denn es bildete für uns nur einen kleinen Punkt von der Größe eines Zehnpfennigstükkes ungefähr. Die Leute auf der Halbinsel konnten weder dieses zweite Feuer sehen, noch von dort aus gesehen werden; nur von uns aus waren beide zu erkennen.

Damit waren wir für heut auf kaltes Fleisch ange-


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wiesen [angewiesen]. Wir hätten uns zwar wieder in den Wald zurückziehen und ein Feuer anzünden können, aber dort gab es kein Futter für die Pferde. Wir entschädigten uns für die Unbenutzbarkeit des einen Elementes dadurch, daß wir uns dem andern in die Arme, nämlich in das Wasser warfen. Nach diesem Bade galt es, zu erfahren, wer die Leute waren, welche sich an den beiden Feuern befanden. Daß Winnetou dazu ausersehen wurde, verstand sich ganz von selbst, und daß er meine Begleitung annahm, erreichte ich nur durch die Versicherung, daß mir meine Wunde keine Belästigung verursache, sonst hätte er Old Surehand mitgenommen.

Wir übergaben den Gefährten unsere Gewehre und machten uns auf den bei Nacht nicht sehr bequemen Weg. Wir mußten zunächst soweit in den Wald hinein, wie der Saum des Unterholzes reichte; dann ging es, beide Hände zum Tasten ausgestreckt, rund um die Uferbiegung nach der nördlichen Seite des Sees. Ich möchte fast behaupten, daß ein Kurierzug schneller fährt, als wir hier gehen konnten, denn es war gewiß eine volle Stunde vergangen, als wir die Halbinsel erreichten. Wir bogen also links ab und auf dieselbe zu. Bald spürten wir den Geruch des Rauches, und dann dauerte es nicht lange, bis wir das Feuer sahen.

Nun legten wir uns nieder und krochen am Boden weiter. Die Halbinsel hatte einen Einschnitt, eine kleine Bucht, an deren Innenseite das Feuer brannte. Wenn wir den Rand dieser Bucht weiter außen erreichten, kamen wir von vorn anstatt von rückwärts an das Feuer und die an demselben Lagernden. Wir versuchten das, und es gelang vortrefflich. Es gab eine Menge Binsen hier, in denen wir nicht bloß Dekkung, sondern ein auch allerdings weiches, weil mooriges Lager fanden.


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Nun hatten wir das Lager ganz nahe vor unsern Augen. Und wen sahen wir da? Old Wabble mit den Tramps!

Ihre Anwesenheit an diesem Orte war nicht etwa ein Wunder, aber wir fühlten uns doch überrascht. War denn jemand bei ihnen, der den Weg nach hier kannte? Unser Aufenthalt in der Schmiede und im Bärenthale hatte diesen Leuten zu einem mehrtägigen Vorsprunge verholfen. Sie schienen sich ganz wohl zu befinden, wenigstens ging es sehr lebhaft bei ihnen her. Sie saßen alle, wie wir sie kannten, und nicht einer fehlte, am Feuer, und nur einer stand, hochaufgerichtet an einen Baum gelehnt - der alte Wabble.

Er trug den Arm in einer aus einem Fellstücke gemachten Binde und bot einen Anblick, welcher zum Erschrecken war. Sein langer, hagerer Körper war noch viel dürrer geworden und sein Gesicht, schon vorher fast fleischlos, so eingefallen, daß es der vordern Seite eines Totenkopfes glich. Die sonst so rein gehaltene weiße Haarmähne, jetzt freilich nur noch halb vorhanden, »kleckte«, um mich eines vulgären Ausdruckes zu bedienen, vor Schmutz. Er bildete nur noch ein Gerippe, und sein fast ganz abgerissener Anzug hing an ihm wie zusammengeraffte Fetzen an einem Rechenstiel. An Nahrung hatte es ihm jedenfalls nicht gefehlt; der Armbruch war der Grund zu diesen ihn nichts weniger als verschönernden Folgen. Er schien sehr geschwächt zu sein und sich kaum aufrecht halten zu können. Auch seine Stimme war nicht mehr die frühere. Sie klang hohl, wie durch ein Ofenrohr gesprochen, und zitterig, als ob ihn das Fieber schüttele.

Er sprach nämlich gerad jetzt, als wir in unserem Verstecke Platz genommen hatten. Wir lagen nahe genug,


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um alles hören zu können, mußten aber sehr aufmerken, um ihn zu verstehen.

»Weißt du noch, du Hund, was du mir damals auf Helmers Home zugeschworen hast?« hörten wir ihn fragen.

Der Blick seiner tief in den Höhlen liegenden glanzlosen Augen war auf eine Stelle gerichtet, wo wir etwas, wie ein langes, zusammengeschnürtes Paket, liegen sahen. War das ein Mensch? Und wenn, wer konnte es sein? Auf Helmers Home? Betraf das etwa unser damaliges Erlebnis an diesem Orte? Er erhielt keine Antwort und fuhr fort:

»Ich habe mir deine Drohung Wort für Wort gemerkt. Sie lautete: >Nimm dich vor mir in acht, du Hund! Sobald ich dich treffe, bezahlst du mir diese Schläge mit dem Leben. Ich schwöre es dir mit allen Eiden zu, die man nur schwören kann!< Hoffentlich hast auch du diese Worte nicht vergessen!«

Ah, das konnte nur zu dem »General« gesprochen sein! Er war also gefangen, hier gefangen, von Old Wabble gefangen! Er hatte den Weg hierher allein machen müssen, weil ihm seine Rowdies nicht hatten folgen können, und war in die Hände des alten »Königs der Cow-boys« gefallen. Das war interessant, höchst interessant, auch für Winnetou, der mir dieses durch ein dreimaliges »Uff, uff, uff!« zu erkennen gab.

»Ich habe sie nicht vergessen!« antwortete jetzt der General in zornigem Tone: »Du hattest mich geschlagen!«

»Ja, fünfzig gute, prächtige Hiebe! Ich gönne sie dir noch heut, denn du hattest mich gegen Old Shatterhand und Winnetou verraten und ihnen gesagt, daß auch ich der Dieb ihrer Gewehre sei. Also dich rächen willst du, Hund, mir an das Leben gehen?«


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»Ja, ja, das werde ich!«

»Aber nicht so schnell, wie du denkst! Erst komme ich daran! Da du mir so aufrichtig sagst, was ich von dir zu erwarten hätte, will ich dir mit derselben Offenheit dienen, denn eine Liebe ist der andern wert; th'is clear! Ich werde dich auch ein wenig um das Leben bringen. Hörst du, um das Leben!«

»Wage es!«

»Pshaw! Was ist da zu wagen!«

»Ich bin nicht allein!«

»Das machst du mir nicht weiß!«

»Ich habe Helfer, viele Helfer mit, die mich an dir rächen würden.«

»Wen denn?«

»Das ist meine Sache!«

»Ah, also die deinige, nicht auch die meinige? Nun, so brauche ich mich auch nicht daran zu kehren! Übrigens sagst du das nur, um mir angst zu machen und dich dadurch zu retten. Aber Old Wabble, the king of cow-boys, ist nicht der Mann, der sich von dir ins Bockshorn jagen läßt! Wir wissen genau, wie es mit deinen Helfern steht und wieviel ihrer sind.«

»Nichts weißt du, nichts!«

»Oho! Ja, wenn Shelley nicht hier bei uns wäre! Dem habt ihr ja in Topeka alles gesagt und ihn mitnehmen wollen, ihn aber sitzen lassen, nachdem ihr ihm im Spiele alles abgenommen habt! Sechs Kerls hast du bei dir. Vor denen sollen wir uns fürchten? Sie stecken jedenfalls droben bei der Foam-Cascade, und du gehst hier allein prospekten, um sie zu betrügen. Nein, uns machst du keine blauen Mücken vor. Du bist allein und kein Mensch wird dir helfen!«

»Du irrst dich, alter Schuft! Nimm dich in acht!


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Du wirst alles, was du mir thust, zehnfach bezahlen müssen!«

»Schuft nennst du mich, du, welcher der größte Schurke dieses Erdteiles ist?« stieß der Alte grimmig hervor. »Gut, du sollst gleich jetzt, ehe wir morgen früh mit dir ans Werk gehen, eine kleine Einleitung erleben. Ich will dir für diesen >Schuft< eine Erinnerung an Helmers Horne beibringen. Du sollst gehauen werden. Fünfzig Hiebe sollst du grad wie damals haben, nur etwas kräftiger noch, denn ich that leider nur so, als ob ich weit ausholte. Seid ihr alle einverstanden, Boys, daß er sie bekommt, und zwar gleich jetzt?«

»Ja, Hiebe, fünfzig Hiebe, aber tüchtig gepfefferte!« rief zunächst der Shelley Genannte. »Warum hat er mich in Topeka so gerupft!«

Die andern fielen, jubelnd beistimmend, ein, und einer schrie überlaut:

»Dabei üben wir uns auf Winnetou und Old Shatterhand und ihre Leute ein, die zehnmal soviel Hiebe bekommen sollen, wie sie uns --- ah so! Das braucht dieser Kerl ja nicht zu wissen! --- die uns in der Bonanza den verdammten Zettel anstatt des Goldes finden ließen. Schneiden wir auch Pfeifen ab, schöne Pfeifen, wie dort am Spring der dicke Hammerdull!«

Ich will über die nun folgende Scene weggehen. Der General drohte und fluchte; die Tramps lachten, und Old Wabble warf seine gottlosen Bemerkungen in den Lärm. Als die ersten Hiebe fielen, stieß Winnetou mich an, und wir krochen zurück, von der Halbinsel fort und wieder in den Wald hinein. Es galt ja, uns noch hinunter nach dem zweiten Feuer zu schleichen. Vorher aber fragte mich der Apatsche:


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»Was schlägt mein Bruder wegen dem Bleichgesichte vor, welches sich General nennen läßt?«

»Den müssen wir haben.«

»So werden ihn die Tramps hergeben müssen. Er soll erst am Morgen ermordet werden; wir holen ihn in dieser Nacht.«

Nun gingen wir fort, von Baum zu Baum. Der Weg, den wir jetzt zurückzulegen hatten, war doppelt so lang wie der vorige. Wir waren noch keine Viertelstunde gegangen, so hörten wir vor uns ein Geräusch, wie wenn jemand an einen dürren Ast stößt und ihn abbricht. Das klingt nicht wie das Zerbrechen eines ledigen Astes, sondern das Abbrechen eines noch am Baume befindlichen giebt einen Schall, welcher eine am Baume hinauflaufende Resonanz findet. Wir zwei faßten uns schnell bei den Händen und huschten weit auf die Seite. Dort legten wir uns nieder und hielten das Ohr an die Erde. Es kamen Leute, mehrere, ja viele, langsam mit leisen Schritten, aber so nahe an uns vorüber, daß wir das Geräusch hörten. Sie kamen von da her, wo wir hin wollten.

»Uff!« meinte Winnetou, als sie vorüber waren. »Ob diese Männer bei dem untern Feuer gesessen haben?«

»Den Schritten nach müssen es Indianer sein!«

»Ja, es sind rote Männer. Woher kommen sie, und wohin wollen sie? Kommen sie von dem einen Feuer, und wollen sie zum andern? Oder kommen sie von einem andern Orte? Wollen sie etwa gar nach der Seite des Sees, wo wir lagern?«

»Wir müssen das wissen, Winnetou!«

»Wir müssen es sogar schnell erfahren, denn unsere Gefährten befinden sich vielleicht in Gefahr. Diese Ge-


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fahr [Gefahr] wird augenblicklich beendet sein, sobald Old Shatterhand zu ihnen kommt.«

»Ich soll also nach unserm Lager zurück?«

»Ja, so schnell wie möglich, und dich nicht bei den Tramps aufhalten.«

»Und du?«

»Ich gehe weiter, hinunter nach dem zweiten Feuer.«

»Da bekommst du die Indianer zwischen dich und uns, begehst also ein Wagnis, welches schlecht ablaufen kann.«

»Pshaw! In einer bekannten Gefahr kommt Winnetou nicht um! Meine Brüder mögen nicht schlafen, bis ich wiederkomme.«

Er huschte fort, und ich kehrte um.

Mein Weg war jetzt gefährlicher als bisher, weil ich die Indianer vor mir hatte. Ich nahm an, daß ihr Ziel die Halbinsel sei, ging aber dennoch tiefer in den Wald hinein, um auf keinen Fall mit ihnen zusammenzutreffen. Die landschaftlichen Schönheiten, welche ich unterwegs zu bewundern hatte, will ich nicht beschreiben. Nie in meinem Leben habe ich mich so anstößig benommen wie in dieser Stunde. Die Bäume dort am See wissen ein Wort davon zu reden! An der Vorderseite voller Harz und an Gesicht und Händen zerstoßen und zerschunden, kam ich nach der angegebenen Zeit in unserm Lager an, wo man mich fragte, wo Winnetou sei. Ich erzählte, was wir gesehen und gehört hatten und ließ die Gefährten vom Seeufer bis ein Stück in den Wald hinein eine geradlinige Postenkette bilden. Das war das beste, weil einzige, was wir unter diesen Umständen thun konnten.

Wir saßen alle an der Erde, die Gewehre in den Händen. Es verging eine Viertelstunde; da drang von


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der Halbinsel ein plötzliches, markerschütterndes Geheul zu uns herauf. Die Indianer, welche an uns vorübergekommen waren, hatten die Tramps überfallen. Dabei war kein Schuß zu hören. Die Weißen hatten sich also von den Roten ohne Gegenwehr überwältigen lassen. Nun herrschte wieder tiefe Stille.

Ein einziger Augenblick im nächtlichen Leben der Urwaldswildnis, ein einziger! Und doch, was mochte er verändert und gekostet haben und vielleicht noch kosten! Das ist der blutige Westen!

Es mochte wieder eine Stunde vergangen sein, da erlosch auf der Halbinsel das Feuer. Das zweite weiter unten brannte fort. Nach abermals zwei Stunden hörte ich laute Schritte. Das konnte nur Winnetou sein, denn ein anderer Mensch hätte sich herangeschlichen. Ja, er war es, ebenso zerschunden und zerkratzt wie ich, wie wir am nächsten Morgen sahen. Er, der stets Umsichtige, beruhigte uns zunächst:

»Meine Brüder mögen ruhig beisammen bleiben; sie haben nichts zu befürchten. Es wird bis früh kein Feind kommen!«

Ich zog also die Postenkette ein und richtete, als wir uns wieder zusammengesetzt hatten, an den Apatschen die Frage:

»Mein roter Bruder ist unten beim letzten Feuer gewesen?«

»Ja,« antwortete er.

»Hatten die Indianer dort gelagert, welche uns begegneten?«

»Ja.«

»Konntest du erfahren, welchem Stamme sie angehören?«


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»Ich erfuhr es. Zwei von ihnen waren zurückgelassen worden, um die Pferde zu bewachen. Old Shatterhand wird sich wundern, sehr wundern!«

»Es sind doch nicht etwa die Capote-Utahs?«

»Sie sind es, mit ihrem Häuptling Tusahga-Saritsch!«

»Das ist freilich überraschend! Sie müssen mit dem >General< zusammengetroffen sein, der es verstanden hat, sie zu gewinnen. Ich vermute, daß er diese Gegend von früher her genau kennt, und so war es möglich, daß sie uns vorausgekommen sind.«

»So ist es. Mein Bruder hat es erraten. Die beiden Wachen, welche ich belauschte, sprachen davon, und ich hörte es. Der >General< ist nach der Halbinsel gegangen und nicht wiedergekommen; da haben sie sich aufgemacht, ihn zu suchen.«

»Was hat er dort gewollt?«

»Das hat er nicht gesagt. Er hat niemand mitnehmen wollen. Es muß ein Geheimnis gewesen sein. Darum sind sie mißtrauisch geworden und ihm, nachdem es dunkel geworden war, gefolgt. Da sie dort sahen, daß er von den Tramps gefangen genommen worden war, sind sie über diese hergefallen und haben ihn befreit.«

»War mein Bruder Winnetou noch einmal dort?«

»Ja; aber die Utahs hatten das Feuer verlöscht.«

»Weshalb?«

»Das weiß Winnetou nicht.«

»So hast du nichts sehen können?«

»Weder etwas gesehen noch gehört.«

»Hm! Was ist zu thun? Den General müssen wir unbedingt haben!«

»Wenn kein Feuer brennt, ist es unmöglich, ihn zu bekommen.«

»Leider hast du da recht. Wir müssen entweder bis


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sie wieder eines anzünden oder bis zum Anbruch des Tages warten. Weiter bleibt uns nichts übrig. Oder hast du einen andern, bessern Gedanken?«

»Die Gedanken Old Shatterhands sind stets gut.«

»So wollen wir schlafen, aber Doppelwachen auslosen!«

»Winnetou ist einverstanden. Wir befinden uns an einem gefährlichen Orte, wo wir nicht vorsichtig genug sein können. Wir werden auch nicht hier am See, sondern ein Stück drin im Walde schlafen, wohin die letzten Posten, ehe es Tag wird, auch die Pferde schaffen müssen, damit die Capote-Utahs uns ja nicht etwa beim ersten Tageslicht zu zeitig zu sehen bekommen.«

Wir zogen uns also von dem Wasser in den Wald zurück, ließen die Pferde aber jetzt noch weitergrasen. Von den beiden Wächtern mußte einer bei ihnen und der andere bei uns sein. Mich traf wieder die erste Wache. Diese dauerte anderthalb Stunden; sie verging ohne Störung, und dann legte ich mich nieder, nachdem unsere Nachfolger geweckt worden waren.

Als ich früh aufstand, war der Tag schon seit zwei Stunden da. Ich wollte zürnen, daß man mich so lange hatte schlafen lassen, doch Winnetou beruhigte mich mit der Versicherung:

»Mein Bruder hat nichts versäumt. Ich hatte die letzte Wache und bin, sobald es hell wurde, spähen gegangen. Es ist für uns unmöglich, die Utahs auf der Halbinsel zu überfallen und ihnen ihre Gefangenen abzunehmen. Wir müssen wissen, wohin sie reiten, und ihnen dann vorauseilen, um uns eine passende Stelle zum Angriffe auswählen zu können. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß derjenige schon halb gesiegt hat, welcher den Vorteil zu erlangen weiß, den Ort des


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Kampfes schon vorher bestimmen zu können. Diesen Vorteil müssen wir haben.«

Was er da sagte, war vollständig richtig, und so blieben wir da, wo wir geschlafen hatten, liegen, um den Abzug der Indianer zu erwarten. Winnetou entfernte sich in der Absicht, sie zu beobachten, was jetzt am hellen Tage eine ebenso schwierige wie gefährliche Aufgabe war. Die Pferde befanden sich natürlich nicht mehr am Seeufer, sondern bei uns im Walde.

Wir warteten Stunde um Stunde. Die Halbinsel lag zu fern, als daß wir hätten sehen können, was dort vorging. Nur dem Scheine des Feuers war es gestern möglich gewesen, bis zu uns heraufzudringen. Winnetou kam einigemal, um uns wenigstens über sich zu beruhigen; melden konnte er uns weiter nichts, als daß die Indianer noch nicht fort seien. Dann benachrichtigte er uns davon, daß er laute Beilschläge gehört habe; die Utahs schienen mit ihren Tomahawks einen Baum zu fällen, weshalb, das konnten wir natürlich nicht erraten. Endlich, endlich, als es schon über Mittag geworden war, kam er, um uns zu sagen, daß die Roten nun fort seien. Er hatte, vielleicht hundert Schritte entfernt und hinter einem Baume stehend, sie fortreiten sehen.

»So müssen ihre Pferde von da, wo das zweite Feuer brannte, heraufgeholt worden sein?« fragte ich.

»So ist es,« nickte er. »Ich sah, daß sie gebracht wurden.«

»Konntest du sie alle sehen, als sie fortritten?«

»Nein. Es waren zu viele Bäume zwischen ihnen und mir.«

»Natürlich waren die Gefangenen bei ihnen?«

»Ich war so fern von ihnen, daß ich die roten


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Männer nicht von den weißen unterscheiden konnte, und weiter durfte ich mich nicht an die Halbinsel wagen.«

»Nach welcher Richtung sind sie geritten?«

»Nach Nordwest. Dies ist der Weg, den auch wir einschlagen werden.«

»Hm! Wir müssen natürlich nach der Halbinsel. Reiten wir gleich hin, oder müssen wir erst spähen, ob wir dort sicher sind?«

»Wir sind sicher. Winnetou ist natürlich erst hingegangen, um nachzusehen, ob die Utahs sich auch wirklich entfernt haben.«

Da wir uns auf den Apatschen verlassen konnten, stiegen wir auf, um nach der Halbinsel zu reiten. in der Nähe derselben angekommen, suchten wir zunächst die Fährte der Utahs auf. Ja, sie waren fort; wir brauchten nicht zu befürchten, überrascht zu werden. Wir ritten also ohne Sorge nach dem Orte zu, wo Old Wabble und die Tramps und dann die Indianer gelagert hatten. Dort stiegen wir von den Pferden.

Das Gras und Moos war weit umher niedergetreten, wie es bei einem verlassenen Lagerplatze zu sein pflegt. Wir hatten keinen Grund, anzunehmen, daß wir einen Fund hier machen würden, dennoch ließen wir aus alter Gewohnheit unsere Blicke umherschweifen. Die Roten hatten sich nicht auf den eigentlichen Lagerplatz beschränkt; ihre Spuren führten nach mehreren Seiten von demselben fort. Wir trennten uns, um den verschiedenen Fährten nachzugehen, und hörten schon nach ganz kurzer Zeit Old Surehand rufen:

»Kommt her; kommt her; kommt alle her! Hier liegen sie! Schnell, schnell!«

Ich eilte nach der Richtung, aus welcher seine Stimme erklungen war. Welch ein Anblick erwartete mich da!


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Hier lagen sie unter den Bäumen, die Tramps, alle mit einander; es fehlte keiner! Ihren blutigroten Köpfen fehlten die Häute. Sie waren skalpiert worden. Man hatte sie, sogar nach ihrer Körperlänge, in einer Reihe neben einander gelegt, und ein weiterer Blick zeigte, daß sie vorher erstochen worden waren.

Uns grauste! Sie hatten einer moralisch sehr tief stehenden Menschensorte angehört und waren vor keinem Verbrechen zurückgebebt, aber sie in dieser Weise und so zugerichtet hier vor uns liegen zu sehen, das war entsetzlich!

Um zwanzig Menschen so schnell und sicher überwältigen zu können, hatte jeder Rote vorher genau wissen müssen, auf welchen Weißen er sich werfen müsse. Fünfzig Indianer auf zwanzig Weiße. Die Toten waren steif. Man hatte sie also nicht erst heut früh, sondern schon gestern abend erstochen. Warum aber waren die Indianer dann hiergeblieben? Warum hatten sie sogar ihre Pferde holen lassen? Es mußte irgend etwas gegeben haben, was auf heut früh verschoben worden war und bis Mittag gedauert hatte. Was konnte das sein? Mir fiel Old Wabble ein. Dessen Leiche fehlte. Jedenfalls hatte der »General« ihn mitgenommen, um eine ganz besondere Rache an ihm auszuüben.

Hatten wir in den ersten Augenblicken wortlos vor den Leichen gestanden, so waren dann der Interjektionen desto mehr zu hören. Hätten wir jetzt die Roten hier vor unsern Gewehren gehabt, ich glaube, sie wären alle erschossen worden; auch ich hätte nichts dagegen gehabt! Aber wie das größte Unheil doch nicht ohne ein kleines Lächeln ist, das zeigte sich auch hier. Hammerdull deutete auf eine der Leichen und sagte zu Holbers:

»Pitt, das ist Hosea, der uns an das Leben wollte!«


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»Yes! Und das Joel, der nicht auf unser Geld hereinfallen wollte!« antwortete der Lange, indem er auf einen andern Toten zeigte.

»Sie sind dennoch deine Vettern. Meinst du nicht auch, altes Coon?«

»Ja, sie sind es.«

»Willst du sie so hier liegen lassen?«

»Das möchte ich ihrer Mutter denn doch nicht anthun, obgleich sie mir so manchen gefühlvollen Augenblick bereitet hat.«

»Das ist brav von dir, alter Pitt! Was schlägst du also vor?«

»Daß wir sie begraben. Meinst du nicht auch, lieber Dick?«

»Ob wir sie begraben oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir werden ihnen, wenn wir Zeit dazu bekommen, einen kleinen Gottesacker herrichten und es ihnen darin so bequem machen, wie die Umstände es erlauben. Das ist Christenpflicht, zumal es deine Cousins und Vettern sind. Ist's so richtig, altes Coon?«

»Hm! Wenn du denkst, daß du das an mir und meinen Verwandten thun willst, so bist du ein braver Kerl, lieber Dick!«

Sie reichten sich die Hände, und ich muß gestehen, daß nichts den Anblick dieser grausigen Scene so hätte mildern können wie grad die eigenartige Weise dieser beiden guten Menschen. Wir hatten keine Zeit übrig, wir mußten den Utahs nach und den »General« fassen, welcher gewiß die Schuld an dem Tode der zwanzig Tramps trug; aber wenn die Brüder begraben werden sollten, so durften wir auch die andern nicht so liegen lassen, und darum entfernte ich mich, um nach einer passenden Stelle zu suchen. Ich traf dabei auf eine


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breite Fährte, welcher ich folgte; sie führte nach einer Fichte, welche etwas freier stand als die Bäume ihrer Umgebung, und als ich sie ---

Hier sträubt sich die Feder, fortzufahren! Was ich sah, war so gräßlich, daß ich einen Schrei ausstieß, wie ich wohl noch nie geschrieen habe. Die Kameraden kamen infolgedessen alle spornstreichs herbeigerannt und waren bei dem Anblicke, welcher sich ihnen bot, nicht weniger entsetzt als ich.

Man hatte die Fichte, welche die Stärke eines achtjährigen Kindes besaß, in Schulterhöhe gespalten. Das waren die Tomahawkhiebe gewesen, welche Winnetou gehört hatte. Durch in den Riß getriebene Holzkeile war nachgeholfen worden, weil die Tomahawks zu schwach gewesen waren, einen durchgehenden Spalt fertig zu bringen. Durch das Nachtreiben immer größerer und stärkerer Keile, auch mehrere nebeneinander, hatte man den Riß so erweitert, daß er mehr als den Durchmesser eines Männerleibes bekam, und dann den gefesselten alten Wabble hineingeschoben. Hierauf waren die stärkern Keile wieder herausgeschlagen worden; sie lagen unten am Boden; und nun steckte der unglückliche Alte in horizontaler Lage und mit entsetzlich zusammengepreßtem Unterleibe, hüben die Beine und drüben den Oberleib hervorragend, in dem Spalt. Hätte man ihn mit der Brust hineingelegt, so wäre sie ihm eingedrückt worden und er folglich gestorben; so aber hatte man ihn in teuflisch raffinierter Weise nur mit dem Unterleib hineingeschoben. Er lebte noch; sein gesunder Arm und die Beine bewegten sich, doch konnte er trotz der unbeschreiblichen Schmerzen, welche er auszustehen hatte, nicht schreien, weil man ihm einen Knebel in den Mund gesteckt und den letzteren noch extra zugebunden hatte. Die Augen waren zu; aus der


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Nase rann das Blut in schweren, dunklen Tropfen; der Atem ging scharf pfeifend und ließ die Blutstropfen zischen. Da konnte es kein Wort weder der Empörung noch des Mitleides geben; da mußte nur schnell, schnell geholfen werden, ohne einen einzigen Augenblick zu zaudern.

»Die starken Keile hinein!« gebot ich. »Und zwar oben und auch unten! Macht rasch; macht rasch! Wir brauchen noch mehr Keile als hier liegen. Heraus mit den Messern und Tomahawks!«

Während ich dies rief, hatte ich auch schon einen Keil in den Spalt gesteckt und trieb ihn durch Hiebe mit dem eisenbeschlagenen Kolben meines Bärentöters ein. Jetzt konnte man die Kameraden schaffen sehen! Tomahawks hatten bloß Winnetou und Schahko Matto; das war aber genug. Abgestorbene Bäume standen einige in der Nähe. Die Spähne flogen; es wurden wie im Handumdrehen neue, stärkere Keile fertig. Mein Bärentöter und Hammerdulls alte Gun, deren Kolben stark mit Bandeisen umwunden war, wurden als Schlägel gebraucht. Kurz und gut, es waren kaum zwei Minuten vergangen, so hatten wir den Spalt so weit erweitert, daß wir Old Wabble herausziehen konnten. Wir legten ihn auf die Erde und befreiten ihn von dem Knebel, was wir eigentlich schon früher hätten thun sollen, in der Aufregung aber vergessen hatten.

Er blieb zunächst ohne Bewegung liegen und stieß einen Schwall geronnenen Blutes aus dem Munde; dann folgte ein heller, dünner Blutstrahl nach. Die Brust erweiterte sich; wir hörten einen tiefen, tiefen Atemzug. Hierauf öffneten sich die Augen; sie waren dunkelrot gefärbt. Und nun, nun kam etwas, was ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde, nämlich ein Schrei, aber was für ein Schrei! Ich habe Löwen und Tiger


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brüllen hören; ich kenne die Trompetentöne des Elefanten, ich habe den entsetzlichen, gar nicht zu beschreibenden Todesschrei von Pferden gehört; aber nichts von dem allem ist mit dem fürchterlichen, langgezogenen, kein Ende nehmenden Schrei zu vergleichen, welcher jetzt, die Schmerzen einer ganzen Welt herausbrüllend, aus Old Wabbles Mund kam und drüben vom jenseitigen Seeufer und hüben aus der Waldestiefe vom mitleidlosen Echo zurückgeschickt wurde. Es schüttelte uns!

Hierauf war es wieder eine Weile still. Mit den widerstreitendsten Gefühlen in unsern Herzen standen wir um ihn herum; das Mitleid hatte aber doch die Oberhand. Jetzt begann er zu stöhnen, lauter, immer lauter; dann folgte ein plötzliches Gebrüll, wie von einer Schar wilder Tiere. Ich hielt mir die Hände an die Ohren; wieder das leisere Stöhnen und jammern, und dann abermals ein eruptives Geheul, von welchem wir förmlich zurückgeworfen wurden. So ging es fort und fort, dieses Wimmern und Stöhnen, von heulenden Stößen unterbrochen; es wollte kein Ende nehmen. Er schien weder sehen noch hören, auch nicht sprechen zu können. Was konnten wir thun? Holbers blieb bei ihm, um ihm Wasser einzuflößen; wir aber entfernten uns, um ein Grab für die Tramps herzustellen. Gesprochen wurde kein Wort über den Unglücklichen. Ein heiliges Grauen hatte uns gepackt. Wir fühlten uns im Bereiche der Allgerechtigkeit, welche nach so erfolgloser Langmut jetzt endlich mit dem alten Gotteslästerer abzurechnen begann.

Wir fanden endlich an dem Westufer der Halbinsel, was wir suchten, nämlich eine ganze Menge ab-, an- und herausgespülter Steine, welche zur Herstellung selbst einer so großen Begräbnisstelle ausreichten. Zum Graben einer Vertiefung, wie sie für so viele Leichen nötig ge-


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wesen [gewesen] wäre, fehlten uns die Werkzeuge. Wir begannen, die Steine nach der Mitte der Halbinsel zu schleppen, wo es eine natürliche, fast metertiefe Senkung gab. Dorthin sollte das Grab kommen.

Das war eine Arbeit, welche viel Zeit in Anspruch nahm und während welcher wir immer das Gebrüll des Königs der Cow-boys hörten, bis er nach vielleicht einer Stunde stiller wurde. Später kam Holbers zu mir und sagte, daß der Alte jetzt sehen könne und zu sprechen beginne. Ich ging zu ihm hin. Er lag lang ausgestreckt da, holte leise und unregelmäßig Atem und starrte mich an. Seine Augen hatten sich ziemlich entrötet.

»Old - Shat - - ter - - - hand,« flüsterte er. Dann hob er den Oberkörper ein wenig und schrie mich an: »Hund, verfluchter, fort, fort, fort mit dir!«

»Mr. Cutter, Ihr steht vor der Ewigkeit!« antwortete ich. »Niemand kann Euch helfen! In kurzer Zeit, vielleicht schon in einer Stunde, giebt es für Euch den letzten Atemzug. Macht Eure Rechnung hier mit Gott; im Jenseits ist's zum Bitten vielleicht nicht mehr Zeit!«

»Schäfchenhirt! Packe dich von hier! Ich will sterben ohne dich und ohne ihn! Geh mir aus den Augen!«

Ich ging natürlich nicht, sondern fuhr fort:

»Erinnert Euch, was ich auf Fenners Farm gesagt habe! Ihr sollt um eine einzige Minute der Verlängerung Eures Lebens zu Gott wimmern; Eure Seele soll zetern aus Angst vor der göttlichen Gerechtigkeit, und wenn die Faust des Todes Euren Körper krümmt, sollt Ihr nach Vergebung Eurer Sünden heulen!«

»Fort, fort, sage ich!« heulte er wütend. »Gebt mir ein Messer, ein Messer, sage ich, daß ich diesen Kerl, noch ehe ich sterbe, erstechen kann!«


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Old Surehand war herbeigekommen; er hörte das und sagte:

»Den macht Ihr nun im letzten Augenblicke auch nicht erst noch anders. Oder wollt Ihr es einmal mit dem Gebet versuchen?«

Ich sah ihn an. Es war ihm wirklich ernst mit diesen Worten; dennoch fragte ich:

»Warum gebt Ihr mir diesen guten Rat?«

»Weil wir gestern vom Gebet gesprochen haben. Ihr glaubt ja doch so fest und unerschütterlich an seine Macht!«

»Well! Wenn es Gott gefällt, so werdet Ihr einen Beweis von dieser Macht erhalten, doch jetzt, in diesem Augenblick noch nicht!«

Old Wabble war nämlich jetzt nicht mehr bei sich. Er fiel in seinen früheren Zustand zurück und wechselte, wie vorhin, mit Wimmern und tierischem Brüllen ab. Ich entfernte mich. Als er nach einer halben Stunde ruhig geworden war, ging ich wieder hin zu ihm. Er kannte mich und zischte mich an:

»Kennst du noch den Fact, und wieder den Fact, und zum drittenmal den Fact, damals im Llano estacado? Bring mir nun von deinem Gotte einen Fact, du Himmelsschaf!«

Sollte ich ihm, der jetzt noch spottete, in meiner vorigen Weise antworten? Nein. Ich konnte nichts mehr für diese verlorene Seele thun. Es gab nur eine Macht, die helfen konnte, und das war nicht die meinige. Old Surehand hatte gemerkt, wohin ich wieder gegangen war, und war mir wieder nachgekommen; wir befanden uns allein bei dem Alten. Ich kniete nieder und betete, nicht leise, sondern laut, daß Old Surehand und Old Wabble es hörten. Was ich betete? Ich weiß es nicht mehr,


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und wenn ich es noch wüßte, würde ich es hier nicht wiederholen. Als ich fertig war und aufstand, waren Old Surehands Augen feucht. Er drückte mir die Hand und sagte leise:

»Jetzt weiß ich, was richtig beten heißt! Wenn das nicht hilft, so will ihm Gott nicht helfen!«

Old Wabble hatte mich, ganz gegen meine Erwartung, nicht ein einziges Mal unterbrochen. Sein Auge sah mich spöttisch an; aber aus seinem vor Schmerz verzerrten Munde war auch jetzt keine Silbe zu hören. Sollte er sich jetzt doch scheuen, mich zu verhöhnen? Das würde ein gutes Zeichen sein. Ich durfte diese Wirkung nicht stören und ging, indem ich Old Surehand mit mir fortzog.

Nach einiger Zeit waren wir so weit, daß wir die Leichen in die Bodensenkung legen konnten, um sie dann erst mit Gezweig und dann mit Steinen zu bedecken. Da kam mir ein Gedanke, nein, kein Gedanke, sondern eine Eingebung; es war eine, das fühlte ich: Ich ließ den alten Wabble holen und nach dem Grabe bringen. Das verursachte ihm große Schmerzen; er schrie in einem fort und fragte dann, warum er nicht habe liegen bleiben dürfen.

»Ihr sollt sehen, wohin wir Eure skalpierten Kameraden legen,« antwortete ich. »Wir lassen einen Platz für Euch, denn ehe die heutige Sonne untergeht, liegt Ihr bei ihnen hier unter diesen Steinen. Ihr habt nur noch Zeit zur Reue und zum Sterben, weiter keine!«

Ich hatte erwartet, daß er mich wütend anschreien werde; er aber war still, ganz still. Er sah zu, daß wir einen Tramp nach dem andern in die Vertiefung legten und dann mit Ästen und Zweigen bedeckten; er sah auch, daß wir Steine darüber aufhäuften und eine Lücke für seinen eigenen Körper ließen. Sein Auge folgte jeder


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unserer Bewegungen; er sagte immer noch nichts. Aber in seinem Blicke lag eine immer größer werdende Angst; das bemerkte ich wohl. Nun waren wir endlich mit dem Grabe, bis auf ihn - - die letzte Leiche, fertig und gingen fort, scheinbar ohne uns um ihn zu kümmern. Ich fühlte aber eine Spannung, die gar nicht größer sein konnte.

Da plötzlich erzitterte die Luft von einem Schrei, nicht anders, als wie sein erster Schrei gewesen war. Ich suchte ihn wieder auf. Die Schmerzen hatten ihn wieder gepackt, doch ohne ihm die Besinnung zu rauben. Er wand sich wie ein Wurm; er schlug und stampfte um sich, doch kam kein Fluch und keine Verwünschung mehr aus seinem Munde. Dann lag er wieder still, wimmernd und stöhnend zwar, doch sonst bewegungslos. Seine Zähne knirschten, und der Schweiß trat in schweren, dicken Tropfen auf seine Stirn und sein Gesicht. Ich wischte sie wiederholt ab; sie kamen immer wieder. So verging eine lange Zeit. Da hörte ich ihn halblaut sagen:

»Mr. Shatterhand!«

Ich bog mich über ihn, und nun fragte er langsam und mit öfteren Unterbrechungen:

»Ihr wißt alles - - alles - -. Kennt Ihr das alte, alte --- Lied - - Lied - - von der - - Ewigkeit ----?«

»Welches Lied? Wie ist der Anfang?«

»E - - ter - - nity - - oh - - thunder - - word - - -.«

»Ich kann es auswendig.«

»Betet - - be - - tet es!«

Ich blickte Old Surehand, der mit mir zu ihm gekommen war, bedeutungsvoll an, setzte mich neben den Alten hin und begann, natürlich in der englischen Übersetzung-


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»O Ewigkeit, du Donnerwort,
Du Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder Ende!
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Vielleicht schon morgen oder heut
Fall ich in deine Hände.
Mein ganz erschrocknes Herz erbebt,
Daß mir die Zung'am Gaumen klebt!«

Hier hielt ich inne. Er war still. Seine Brust bewegte sich schwer. Es arbeitete in ihm. Dann bat er: »Weiter - - weiter - - Mr. Shatter - - hand -Ich that ihm den Willen und fuhr fort:

»O Gott, wie bist du so gerecht!
Wie strafst du mich, den bösen Knecht,
Mit wohlverdienten Schmerzen!
Schon hier erfaßt mich deine Faust,
Daß es mich würgt, daß es mich graust
In meinem tiefsten Herzen.
Die Zähne klappern mir vor Pein;
Wie muß es erst da drüben sein!«

Die Strophen dieses alten, kraftvollen Kirchenliedes sind, wenn sie richtig gelesen oder gesprochen werden, allerdings geeignet, wie Schwerterspitzen durch Mark und Bein zu gehen. Ich sah, daß es ihn schüttelte, doch forderte er mich auf»Weiter - - immer --- weiter! Ich --- höre es ---!« Ich that ihm natürlich den Willen:

»Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf,
Ermuntre dich, verlornes Schaf,
Denn es enteilt dein Leben!
Wach auf, denn es ist hohe Zeit,
Und es naht schon die Ewigkeit,
Dir deinen Lohn zu geben!


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Zeig reuig deine Sünden an,
Daß dir die Gnade helfen kann!«

Was war das?! Seine Zähne schlugen zusammen. Ja, wahrhaftig, ich hörte sie klappern! Der Schweiß stand nicht mehr tropfenweis auf seiner Stirn, sondern er lag als eine zusammenhängende, naßkalte Schicht auf ihr. Dabei murmelte er, wie ein Betrunkener lallend:

»Zeig reuig - - - deine Sünden - - - an, daß dir - - - die Gnade - - - hel --- helfen kann - - -!« Und plötzlich stieß er laut, schnell und voller unsäglicher Angst hervor: »Wie lange braucht man zur Gnade, wie lange! Sagt es schnell, schnell!«

»Einen Augenblick nur, wenn Ihr's ehrlich meint,« antwortete ich.

»Das ist zu wenig, viel zu wenig! >Zeig reuig deine Sünden an!< Ich habe mehr Sünden auf meinem Gewissen als Sterne am Himmel stehen. Wie kann ich die in dieser Zeit beichten, wie kann, wie kann ich das!«

»Gott zählt sie nicht einzeln, wenn Ihr sie wirklich bereut!«

»Nein, alle, alle muß ich ihm aufzählen, alle! Und habe ich Zeit dazu, Zeit? Wann muß ich sterben, sagt es mir!«

»Eure Todesstunde schlägt heut. Hier steht Euer Grab schon offen!«

»Schon offen, schon offen; oh mein Himmel, oh mein Gott! Gebt mir mehr Zeit, mehr! Gebt mir einen Tag, zwei Tage, eine Woche!«

Da, da war es, was ich ihm auf Fenners Farm vorausgesagt hatte: Er flehte um eine Gnadenfrist!

»Aber ich fühle es,« fuhr er kreischend fort; »ich bekomme keine Zeit, keine Frist, keine Gnade, kein Erbarmen! Der Tod greift mir nach dem Herzen, und die


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Hölle mit allen ihren Teufeln wühlt mir schon im Leibe! Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand, Ihr seid ein gläubiger, ein frommer Mann. Ihr müßt, Ihr müßt es wissen: Giebt es einen Gott?«

Ich legte ihm die Hand auf die Stirn und antwortete:

»Ich schwöre nie; heut und hier schwöre ich bei meiner Seligkeit, daß es einen Gott giebt!«

»Und ein Jenseits, ein ewiges Leben?«

»So wahr es einen Gott giebt, so wahr auch ein Jenseits und ein ewiges Leben!«

»Und jede Sünde wird dort bestraft?«

»Jede Sünde, welche nicht vergeben worden ist.«

»Oh Gott, oh Allerbarmer! Wer wird mir meine vielen, vielen, schweren Sünden vergeben? Könnt Ihr es thun, Mr. Shatterhand; könnt Ihr?«

»Ich kann es nicht. Bittet Gott darum! Er allein kann es.«

»Er hört mich nicht; er mag von mir nichts wissen! Es ist zu spät, zu spät!«

»Für Gottes Liebe und Barmherzigkeit kommt keine Reue zu spät!«

»Hätte ich früher auf Euch gehört, früher! Ihr habt Euch Mühe mit mir gegeben. Ihr habt recht gehabt: Das Sterben währt länger, viel, viel länger als das Leben! Fast hundert Jahre habe ich gelebt; nun sind sie hin, hin wie ein Wind; aber diese Stunde, diese Stunde, sie ist länger als mein ganzes Leben; sie ist schon eine Ewigkeit! Ich habe Gott geleugnet und über ihn gelacht; ich habe gesagt, daß ich keinen Gott brauche, im Leben nicht und im Sterben nicht. Ich Unglücklicher! Ich Wahnsinniger! Es giebt einen Gott; es giebt einen; ich fühle es jetzt! Und der Mensch braucht einen Gott;


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ja er braucht einen! Wie kann man leben und wie sterben ohne Gott! Wie kalt, wie kalt ist's in mir, huh - - -! Wie finster, wie finster, huuuh - - -! Das ist ein tiefer - - - tiefer - - bodenloser Abgrund - - Hilfe, Hilfe! Das schlägt über mir zusammen - - über mir - - Hilfe - - -Hilfe! Das krallt sich um meine - - - Hilfe - - - Gnade - -Gnade - - Gna - - -!«

Er hatte die Augen geschlossen und die Hilferufe mit erst schriller und dann ersterbender Stimme ausgestoßen. Jetzt schloß er den Mund und bewegte kein Glied seines Körpers, kein Härchen seiner Augenwimpern mehr.

»Oh mein Gott!« seufzte Old Surehand. »Ich sah schon manchen Menschen im Kampfe fallen; aber ein wirkliches Sterben, so wie dieses, sah ich doch noch nie! Wer da nicht an Gott glauben lernt, dem wäre besser, er wäre nie geboren!«

Die Hilferufe Old Wabbles hatten die Gefährten alle herbeigerufen; sie standen rund umher. Ich schob dem Alten die Hand unter das Gewand und legte sie ihm auf das Herz; ich fühlte kaum noch dessen leisen, langaussetzenden Schlag.

»Die Hüte ab, Mesch'schurs!« bat ich. »Wir stehen vor einem hehren, heiligen Augenblick: Ein verlorener Sohn kehrt jetzt zurück ins Vaterhaus. Betet, betet, betet, daß der Inbegriff aller Liebe sich seiner erbarme, jetzt in dieser schweren, letzten Minute und jenseits in der Ewigkeit!«

Sie beteten; selbst die drei Häuptlinge beteten und --- Old Surehand betete auch! Die Sekunden dehnten sich zu Minuten und die Minuten zu Viertelstunden. Ein dünnes Zweiglein knickte unter den Zehen


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eines kleinen Vogels. Das klang durch diese tiefe, heilige Stille wie sonst das Brechen eines starken Baumes, so schien es uns, und der leichte Flügelschlag des Vogels dünkte uns das Rauschen von Adlerschwingen zu sein!

Da schlug Old Wabble die Augen auf und richtete sie auf mich. Sein Blick war klar und mild, und seine Stimme klang zwar leise doch deutlich, als er sagte:

»Ich schlief jetzt einen langen, langen, tiefen Schlaf und sah im Traum mein Vaterhaus und meine Mutter drin, die ich beide hier nie gesehen habe. Ich war bös, sehr bös gewesen und hatte sie betrübt, so träumte mir; ich bat sie um Verzeihung. Da zog sie mich an sich und küßte mich. Old Wabble ist nie im Leben geküßt worden, nur jetzt in seiner Todesstunde. War das vielleicht der Geist von meiner Mutter, Mr. Shatterhand?«

»Ich möchte es Euch gönnen. Ihr werdet's bald erfahren,« antwortete ich.

Da ging ein Lächeln über seine viel durchfurchten Züge, und er sprach in rührend frohem Tone:

»Ja, ich werde es erfahren, in wenigen Augenblicken. Sie hat mir verziehen, als ich sie darum bat! Kann Gott weniger gnädig sein als sie?«

»Seine Gnade reicht so weit, so weit die Himmel reichen; sie ist ohne Anfang und auch ohne Ende. Bittet ihn, Mr. Cutter, bittet ihn!«

Da legte er die unverletzte Hand in diejenige des gebrochenen Armes, faltete beide und sagte:

»So will ich denn gern beten, zum ersten und zum letzten Mal in diesem meinem Leben! Herrgott, ich bin der böseste von allen Menschen gewesen, die es gegeben hat. Es giebt keine Zahl für die Menge meiner Sünden, doch ist mir bitter leid um sie, und meine Reue wächst höher auf als diese Berge hier. Sei gnädig und barmherzig


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mit mir, wie meine Mutter es im Traume mit mir war, und nimm mich, wie sie es that, in Deine Arme auf. Amen!«

Welch ein Gebet! Er, der keine Schule genossen und nie mit seinem Gotte gesprochen hatte, betete jetzt in so geläufiger Weise, wie ein Pfarrer betet! Er hatte leise und mit Unterbrechungen gesprochen, war aber von uns allen verstanden worden. Dieser Sterbende war ein böser Mensch und zuletzt mein Todfeind gewesen, und doch liefen die Thränen, die ich nicht zurückzuhalten vermochte, mir über die Wangen herab.

»War es so richtig, Mr. Shatterhand?« fragte er.

»Ja, so war es gut.«

»Und wird Gott mir meine Bitte erfüllen?«

»Ja.«

»Ah, wenn ich das doch deutlich aus Eurem Munde hören könnte!«

»Ihr sollt es hören. Ich bin zwar kein geweihter Priester, und keine Macht der Kirche ist mir anvertraut; wenn ich damit eine Sünde begehe, so wird Gott auch mir gnädig sein; ich bin ja der einzige hier, der zu Euch reden kann! Spricht die Stimme wahr, die ich jetzt in mir höre, so seid Ihr von Gottes Gerechtigkeit gerichtet, aber von seiner Barmherzigkeit begnadigt worden. Geht also heim in Frieden! Ihr habt im Traum das irdische Vaterhaus gesehen; es steht Euch nun die Thür des himmlischen offen. Eure Sünden bleiben hier zurück. Lebt wohl!«

Ich nahm seine Hand in die meinige. Er hatte die Augen wieder geschlossen. Ich legte mein Ohr an seinen Mund und hörte ihn noch hauchen:

»Lebt - - wohl! - - Ich --- bin - - so froh, - - so froh ----!«


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Das Lächeln war in seinem Angesichte geblieben; es war so mild, als ob er wieder von seiner Mutter träumte. Doch war's kein Traum mehr, der ihm die Erbarmung zeigte; er sah sie jetzt in Wirklichkeit, in jener Wirklichkeit, die über allem Irdischen erhaben ist; - - er war tot! -

Was für ein sonderbares Geschöpf ist doch der Mensch! Welche Gefühle hatten wir noch vor wenigen Stunden für diesen nun Verstorbenen gehabt! Und jetzt stand ich so tief berührt vor seiner Leiche, als ob mir ein lieber, lieber Kamerad gestorben sei! Seine Bekehrung hatte alles Vergangene gut gemacht. Und ich war nicht der einzige, dem es so erging. Dick Hammerdull kam herbei, ergriff die Hand des Toten, schüttelte sie leise und sagte:

»Leb wohl, alter Wabble! Hättest du eher gewußt, was du jetzt weißt, so wärest du nicht eines so elenden Todes gestorben. Das war gewaltig dumm von dir; ich trage es dir aber nicht nach! Pitt Holbers, gieb ihm auch die Hand!«

Holbers brauchte gar nicht dazu aufgefordert zu werden, denn er stand schon bereit dazu. Er sagte dabei, und zwar gar nicht in seiner trockenen Weise, sondern tief bewegt:

»Farewell, alter King! Dein Königreich hat nun ein Ende. Wärest du gescheit gewesen, so hättest du mit uns anstatt mit den Tramps reiten können. Schade, jammerschade um so einen tüchtigen Boy, der du früher gewesen bist! Komm, lieber Dick! Wollen ihn in sein letztes Bette legen!«

»Nein, jetzt noch nicht!« entgegnete ich.

»Ja, müssen wir nicht weiter?« fragte Hammerdull.

»Wir haben nur noch zwei Stunden Tag; da verlohnt es sich nicht, nun erst ein anderes Lager aufzusuchen. Wir bleiben hier.«


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»Aber die Utahs, und der General?!«

»Laßt sie ziehen! Sie entkommen uns nicht, nun erst recht nicht, da wir die Schmerzen zu rächen haben, welche dieser Tote hat ausstehen müssen. Früh schien es mir, als ob wir keine Zeit hätten; jetzt habe ich mehr als genug!«

»Ich stimme meinem Bruder Shatterhand bei,« erklärte Winnetou. »Old Wabble soll nicht warm begraben werden!«

Es war also ausgemacht, daß wir heut auf der Halbinsel blieben. Einer aber von uns ließ sich nicht bereit dazu finden, Old Surehand nämlich. Er winkte mich auf die Seite und sagte: »Ich kann nicht hier bleiben, Mr. Shatterhand. Ich werde fortreiten, und zwar heimlich, damit niemand auf den Gedanken kommt, mich aufzuhalten. Jemandem aber muß ich es sagen, und das sollt Ihr sein. Verratet mich nicht, bis ich fort bin!«

»Ist es denn unbedingt notwendig, daß Ihr Euch entfernen müßt?« erkundigte ich mich. »Könnt Ihr wirklich nicht hier bleiben?«

»Ich muß fort!«

»Und allein?«

»Ganz allein!«

»Hm! Ihr seid ein tüchtiger Westmann, und ich will also nicht von den Gefahren sprechen, welche Euch begegnen können; aber wollt Ihr mir nicht wenigstens sagen, welcher Art das Unternehmen ist, welches Euch hindert, hier bei uns zu bleiben, Mr. Surehand?«

»Das kann ich nicht.«

»Darf ich auch nicht erfahren, wohin Ihr wollt?«

»Nein.«

»Hm! Ich habe nicht die Absicht, Euch Vorwürfe


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zu machen, aber Euer Verhalten grenzt doch etwas an Vertrauenslosigkeit.«

Da antwortete er, schnell mißmutig geworden:

»Ob ich Vertrauen zu Euch habe, müßt Ihr ebenso gut wissen wie ich, Sir. Ich habe Euch schon gesagt, daß es sich um ein Geheimnis handelt, von welchem ich nicht sprechen darf und sprechen will.«

»Auch zu mir nicht?«

»Nein!« erklang es sehr kurz und abweisend.

»Well! Jeder hat das Recht, seine Angelegenheiten für sich zu behalten; aber ich bin Euch von Jefferson-City aus bis hierher nachgeritten, in der Meinung, mit Euch gute Kameradschaft zu halten. Ich sage nicht, daß daraus Rechte für mich und Pflichten für Euch entstehen, doch sollte es mir leid thun, wenn Ihr Absichten hegt, welche Euch in Schaden bringen, wenn Ihr sie allein betreibt, während sie gelingen würden, wenn es Euch beliebte, nicht so verschlossen, sondern offen gegen mich zu sein. Seid Ihr denn Eurer Sache so gewiß, daß Ihr behaupten könnt, uns nicht zu brauchen?«

»Wäre ich allein hierher geritten, wenn ich geglaubt hätte, Hilfe nötig zu haben?«

»Sehr richtig! Aber, habt Ihr denn wirklich keine nötig gehabt?«

»Ihr meint natürlich meine Gefangenschaft bei den Utahs?«

»Ja.«

»Ich hätte mich wohl auch von ihnen fortgefunden!«

Jetzt war ich es, welcher einen zurückhaltenden Ton annahm:

»Ich bin überzeugt davon. Betrachten wir also die Sache für abgemacht! Reitet also in Gottes Namen; ich hindere Euch nicht!«


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Ich wollte mich abwenden; da nahm er mich bei der Hand und bat:

»Seid nicht bös auf mich, Sir! Meine Worte klangen nach Undankbarkeit. Ihr wißt aber jedenfalls, daß ich nicht undankbar bin.«

»Das weiß ich!«

»Und - - und--- ich will Euch wenigstens eins sagen: Ich bin so verschwiegen gewesen, weil ich glaubte, Ihr würdet Euch von mir wenden, wenn Ihr hörtet, wer ich bin.«

»Unsinn! Seid, wer Ihr wollt! Old Surehand ist ein braver Kerl!«

»Aber - - aber - - aber der Sohn eines --- Zuchthäuslers!«

»Pshaw

»Wie? Ihr erschreckt da nicht?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Bedenkt doch, Sir --- Zuchthäusler!«

»Ich weiß, daß es in den Zuchthäusern und Gefängnissen auch schon brave Leute gegeben hat!«

»Aber, mein Vater ist sogar im Zuchthause gestorben!«

»Traurig genug! Aber das geht doch meine Freundschaft für Euch nichts an!«

»Wirklich nicht?«

»Wirklich nicht!«

»Meine Mutter war auch Zuchthäuslerin!«

»Das ist ja ganz entsetzlich!«

»Und mein Oheim auch!«

»Armer, armer Teufel, der Ihr seid!«

»Beide sind ausgebrochen und entflohen!«

»Das gönne ich ihnen!«

»Aber, Sir, Ihr fragt doch gar nicht, weshalb sie bestraft wurden!«


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»Was bringt es für Nutzen, wenn ich es erfahre?«

»Wegen Falschmünzerei nämlich!«

»Das ist schlimm! Falschmünzerei wird sehr schwer bestraft.«

»Nun ---? Ihr redet immer noch mit mir?«

»Warum nicht?«

»Mit dem Sohne und Neffen von Falschmünzern, von Zuchthäuslern?«

»Hört 'mal, Mr. Surehand, was gehen mich die Münzen und die Gefängnisse der Vereinigten Staaten an? Selbst angenommen, daß Eure Verwandten dieses Verbrechen begangen und die Strafe wirklich verdient hatten, was habt denn Ihr dafür gekonnt?«

»Ihr wendet Euch also nicht von mir ab?«

»Hört, Sir, beleidigt mich nicht! Ich bin ein Mensch, ein Christ, aber kein Barbar! Wer Strafe verdient, der mag sie tragen; ist sie vorüber, so steht er wieder da wie zuvor, wenigstens in meinen Augen. Ich bin überhaupt der Ansicht, daß wenigstens fünfzig Prozent der Bestraften nicht Verbrecher, sondern entweder kranke Menschen oder Opfer unglücklicher Verhältnisse sind.«

»Ja, Ihr denkt in jeder Beziehung human; das weiß ich ja. Und zu meiner Freude kann ich Euch sagen, daß meine Eltern und mein Oheim unschuldig gewesen sind; sie hatten nichts Böses gethan.«

»Desto größer ist das Unglück, welches sie betroffen hat. Wie Ihr habt denken können, daß ich, selbst wenn sie schuldig gewesen wären, Euch das hätte entgelten lassen, das kann ich nicht begreifen! Werdet Ihr auch jetzt noch so verschlossen sein?«

»Ich muß!«

»Well! So sagt mir wenigstens, wann wir uns wieder treffen werden!«


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»Von heut in vier Tagen.«

»Wo?«

»Im Pui-bakeh (* Wald des Herzens.), welcher fast in der Mitte des Parks von San Louis liegt. Winnetou wird ihn kennen. Er hat die Form eines Herzens; daher der Name dieses Waldes. Ich bin sicher dort.«

»Wenn Euch nichts dreinkommt!«

»Was sollte dazwischen kommen?«

»Hört, Mr. Surehand, Ihr rechnet noch mit denselben Ziffern, mit denen Ihr gerechnet habt, als Ihr Euch von Jefferson-City aus auf den Weg machtet. Inzwischen aber ist manches geschehen, und die Verhältnisse haben sich geändert. Der >General< ist da, und es ist ---«

»Pshaw!« fiel er mir in die Rede. »Den fürchte ich nicht! Was geht der mich überhaupt an?«

»Vielleicht mehr, als Ihr denkt!«

»Gar nichts, ganz und gar nichts, Sir!«

»Nun, ich will mich da nicht mit Euch streiten! Ferner sind die Utahs da.«

»Mir gleich!«

»Und der Medizinmann der Komantschen ist auch da!«

»Der ist mir erst recht gleichgültig! Es ist überhaupt sehr zweifelhaft, daß er sich hier befindet. Habt Ihr ihn gesehen?«

»Nein.«

»Nach dem, was Eure Kameraden erzählten, hatte er sich doch den Tramps angeschlossen; er müßte also doch eigentlich mit hier auf der Halbinsel gewesen sein. Er hat sich also von ihnen getrennt.«

»Jedenfalls; und das war klug von ihm!«

»Wenn er wirklich klug war, so ist er zurückgeblieben.«


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»Ich denke da anders. Wenn ein Mann mit seinem Weibe hier herauf nach der Wildnis reitet, müssen sehr dringende Gründe vorliegen, dies zu thun. Das werdet Ihr ebenso einsehen wie ich.«

»Allerdings.«

»Diese Gründe sind jedenfalls noch vorhanden; er ist also wohl nicht umgekehrt. Die Tramps haben nicht wissen sollen, was er hier oben will; darum hat er sich von ihnen getrennt. So wird es sein.«

»Warum aber ist er erst mit ihnen geritten?«

»Aus Rache und Feindschaft gegen uns, und um unter ihrem Schutze in das Gebirge zu kommen. Sobald er es aber erreicht hatte, hat er sich aus dem Staub gemacht. Er ist ganz gewißlich hier.«

»Mag er; mich kümmert er nicht! Also Ihr wißt nun, woran Ihr seid: Von heut an in vier Tagen warte ich am Pui-bahek auf Euch. Ihr könnt Euch bis dahin ja mit der Jagd auf die Utahs beschäftigen und sie für den hier begangenen Massenmord bestrafen! Hoffentlich folgt niemand von Euch meiner Fährte!«

»Da könnt Ihr ruhig sein.«

»Wollt Ihr mir das versprechen?«

»Ja; mein Wort darauf!«

»So sind wir fertig. Lebt wohl!«

»Noch nicht! Wollt Ihr Euch nicht Fleisch von uns mitnehmen?«

»Nein; ihr braucht es selbst, und es würde auffallen, wenn ich mich jetzt mit Proviant versorgte.«

»Wir thun es heimlich!«

»Danke! Ich finde unterwegs Wild genug. Also nochmals: Lebt wohl!«

»Lebt wohl, Mr. Surehand! Ich wünsche, daß wir uns glücklich wiedersehen!«


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Wir trennten uns, und ich richtete es so ein, daß er unauffällig zu seinem Pferde kommen und sich entfernen konnte. Später erregte es dann allgemeine Verwunderung, als man ihn vermißte und von mir erfuhr, daß er sich, ohne Abschied zu nehmen, entfernt habe. Sie wollten alle wissen, aus welchem Grunde er heimlich fortgegangen sei, ich sagte aber nichts. Nur Winnetou sprach keine Frage aus, doch als ich später, als es dunkel geworden war, an seiner Seite saß, hielt er es für angemessen, die Bemerkung zu machen:

»Wir werden Old Surehand wieder befreien müssen!«

»Das denke ich auch,« nickte ich.

»Oder seine Leiche sehen!«

»Auch das ist möglich.«

»Hat mein Bruder nicht versucht, ihn zurückzuhalten?«

»Es war ohne Erfolg.«

»Du hättest ihm sagen können, daß du mehr weißt, als er denkt.«

»Ich hätte es gethan, aber er wollte sein Geheimnis für sich behalten.«

»So ist es recht, daß du geschwiegen hast. Vertrauen soll man nicht erzwingen.«

»Er wird bald einsehen, daß es besser gewesen wäre, offen zu sein!«

»Ja. Wie wird er staunen, wenn er erfährt, daß der Scharfsinn meines Bruders Shatterhand in so kurzer Zeit weitergekommen ist als er in vielen Jahren! Ist es durch seine Entfernung nötig geworden, uns anders zu verhalten, als wenn er bei uns geblieben wäre?«

»Nein.«

»Wir werden also den Utahs folgen?«

»Ja.«


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»Ihre Fährten werden morgen früh nicht mehr zu sehen und zu lesen sein.«

»Das stört uns nicht. Der >General<, welcher sie anführt, will hinauf nach der Kaskade; wir wissen also, wohin sie reiten.«

»Und sie wissen, daß wir ihnen folgen; sie werden uns also Fallen stellen, um sich dafür zu rächen, daß Old Surehand ihnen entkommen ist.«

»Darum nehme ich an, daß er ihnen wieder in die Hände fallen wird.«

»Wir werden uns beeilen. Er kann während der Nacht nicht sehr schnell reiten; wir aber können uns beeilen. Das hätte er bedenken sollen. Er wird, selbst wenn ihm nichts passiert, die Kaskade gar nicht viel eher erreichen als wir. Er hätte bleiben sollen!«

Als Old Wabble kalt geworden war und wir uns überzeugt hatten, daß er nicht etwa scheintot sei, legten wir ihn in das Grab und bedeckten auch ihn mit Reisern und mit Steinen. Es wurde ein Gebet und ein Vaterunser gesprochen und dann fertigten wir ein Holzkreuz, welches auf dem Grabe befestigt wurde. So liegt der alte König der Cowboys, der sein ganzes Leben in den Ebenen des Westens zugebracht hatte, auf der Höhe des Gebirges begraben, und zwar von denen begraben, welchen er in die Berge folgte, um ihnen die Rache und den Tod zu bringen, der ihn selbst ereilte.

Wir lagerten uns um sein vom Feuer beschienenes Grab und schliefen einen nicht so langen Schlaf wie er, nämlich nur bis zum nächsten Morgen; da brachen wir auf, sobald der Tag zu grauen begann.

Die Spuren der Utahs waren im weichen Waldboden noch zu sehen; sobald wir aber festeren Weg bekamen, verschwanden sie. Das konnte uns nicht stören.


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Wir suchten gar nicht nach ihnen, sondern verfolgten, ohne uns um etwas anderes zu kümmern, unsere Richtung, so schnell es uns das Terrain erlaubte.

Es ging vom See des grünen Wassers abwärts nach dem unten liegenden Park von San Louis. Gegen Mittag hatten wir ihn erreicht. Er lag in seiner ganzen Ausdehnung und Schönheit vor unsern Augen, viele, viele Meilen breit und von dementsprechender Länge. Für den Jäger konnte es keinen schönern Anblick geben, als diesen rund von himmelhohen Bergkolossen eingeschlossenen Park, in welchem Wälder und Prairien, Felsen und Gewässer in einer Weise miteinander abwechselten, als ob Jagdliebhaber ihn unter einem Aufwande von allerdings vielen, vielen Millionen haben künstlich anlegen lassen, und zwar zum Aufenthalte und gelegentlichen Abschusse aller jagdbaren Tiere des wilden Westens.

Hier hatten früher die Bisons zu Abertausenden gelebt; jetzt waren sie vertrieben. Die Kugeln der Goldsucher hatten sie verjagt. Noch vor kurzer Zeit war grad der Park von San Louis das Hauptziel dieser abenteuernden Menschen gewesen; jetzt hatten sie ihn verlassen, um sich nach den Bergen der Cores Range zu wenden, von welcher man erzählte, daß dort unerschöpfliche Goldlager entdeckt worden seien. Das erfuhren wir aber erst später; jetzt waren wir noch der Ansicht, welcher auch Toby Spencer gewesen war, daß man hier, und zwar an der Foam-Kaskade, bedeutende Funde gemacht habe. Ganz von Prospekters verlassen war der Park aber trotzdem nicht. Die Elite derselben, um mich so auszudrücken, war fort; die zur Hefe gehörigen aber hatten bleiben müssen, weil ihnen die Mittel zu einer so weiten Wanderung fehlten. Diese Menschen trieben sich nun im Park umher, um, wie die Lumpensammler der Städte, in den


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verlassenen Minen und Placers nachzustochern und dabei keine Gelegenheit zu versäumen, da zu ernten, wo von ihnen nicht gesäet worden war.

Old Surehand hatte uns nach dem Pui-bakeh, dem »Wald des Herzens«, bestellt. Winnetou wußte, wo dieser lag; es fiel uns aber gar nicht ein, ihn aufzusuchen. Unser Ziel war zunächst die Foam-Kaskade, wohin er jedenfalls auch geritten war.

Wir kamen während des ganzen Vormittages durch eine Gegend, welche ganz das Aussehen hatte, als ob sie aus dem schönen, deutschen Schwabenlande hierher versetzt worden sei. Zu Mittag ritten wir einem Wäldchen zu, in welchem wir den Pferden für eine Stunde Ruhe gönnen wollten. Es floß ein klarer Bach hindurch, welcher den zum Mittagsmahle nötigen Trunk zu liefern hatte.

Noch hatten wir das Wäldchen nicht ganz erreicht, so trafen wir auf eine Fährte, welche von seitwärts her nach demselben Ziele führte. Sie war höchstens eine Stunde alt und deutete auf vielleicht zwölf bis fünfzehn Pferde hin. Wir hielten natürlich an. Winnetou stieg ab und ging zunächst allein vorwärts, um zu erfahren, mit welcher Art Menschen wir da zusammentreffen würden. Er kam sehr bald zurück. Hervorragende Westmänner konnten nicht in dem Wäldchen sein, denn das Beschleichen solcher Leute hätte längere Zeit in Anspruch genommen. Sein Gesicht hatte jenen vornehm schalkhaften Ausdruck, den man bei ihm selten sah und der immer ein spaßhaftes Vorkommnis verhieß.

»Gefährlich sind diese Leute wohl nicht?« fragte Treskow, als er dieses Lächeln des Apatschen sah.

»Sogar sehr gefährlich!« antwortete dieser, schnell ernst werdend.


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»Indianer?«

»Nein.«

»Also Weiße. Wieviel?«

»Dreizehn.«

»Gut bewaffnet?«

»Ja, nur der Rote nicht.«

»Ah! Es ist ein Roter dabei?«

»Ein gefangener Roter. Drum hat Winnetou sie gefährlich genannt.«

»Das wird interessant! Wo lagern sie? Ist es weit von hier?«

»Am jenseitigen Rande des Wäldchens.«

»Was mögen sie wohl sein? Jäger?«

»Diese Bleichgesichter sind keine Jäger, keine Westmänner, sondern Goldsucher. Aber warum fragt Treskow nicht nach dem Wichtigsten?«

»Nach dem Wichtigsten? Was wäre das?«

»Der Indianer.«

»Ah, der! Richtig! Kann man sehen, welchem Stamme er angehört?«

»Er gehört keinem Stamme an.«

»So! Kennt ihn Winnetou vielleicht?«

»Ich kenne ihn.«

»Wer ist's?«

»Meine Brüder kennen ihn auch, denn er ist ein guter Freund von uns.«

»Ein Indianer? Ein guter Freund von uns? Das errate ich nicht!«

»Treskow mag Old Shatterhand fragen, dem ich es ansehe, daß er es erraten hat!«

Ohne die Frage abzuwarten, antwortete ich:

»Ein Indianer, der keinem Stamme angehört, der hier im Park von San Louis ist, und dessen Freunde


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wir sind, das, Mr. Treskow, ist doch sehr leicht zu erraten. Das kann nur Kolma Puschi sein.«

»Alle Wetter! Unser geheimnisvoller Retter! Und den haben die Weißen gefangen genommen? Wir machen ihn natürlich los!«

»Aber nicht gleich,« fiel Winnetou ein. »Wir thun, als ob wir ihn gar nicht kennen; der Schreck ist dann um so größer.«

Ich hatte allerdings erwartet, Kolma Puschi hier im Parke zu treffen, doch jetzt noch nicht und nicht als Gefangenen. Ich nahm mir vor, mir dies als Fingerzeig dienen zu lassen und das, was ich bisher erraten und berechnet hatte, nicht mehr allein für mich zu behalten. Wir ritten um das Wäldchen herum bis wieder an den Bach, wo die Weißen mit ihrem Gefangenen lagerten.

Als sie uns kommen sahen, sprangen sie alle auf und griffen zu ihren Gewehren. Es waren lauter heruntergelumpte Kerls, denen man alles mögliche, nur nichts Gutes zuzutrauen hatte.

»Good day, Mesch'schurs!« grüßte ich, indem wir anhielten. »Wie es scheint, lagert sich's vortrefflich hier. Wir hatten auch die Absicht, uns da für ein Stündchen niederzulassen.«

»Wer seid ihr?« fragte einer.

»Westmänner sind wir.«

»Doch auch Indianer! Das ist verdächtig. Wir haben so einen Kerl hier, der uns bestohlen hat. Er wird sehr wahrscheinlich ein Utah sein. Gehören eure Roten zu diesem Stamme?«

»Nein; sie sind ein Apatsche, ein Komantsche und ein Osage.«

»Well; da hat es keine Gefahr. Diese Stämme wohnen sehr weit von hier, und so bin ich überzeugt,


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daß ihr euch um den roten Spitzbuben nicht kümmern werdet.«

Wir hatten uns einen Spaß machen wollen; als ich jetzt aber den Gefangenen genau betrachtete, ließ ich diesen Gedanken sogleich fallen. Ja, es war Kolma Puschi, und es wäre die größte Rücksichtslosigkeit von uns gewesen, wenn wir ihn nicht sofort befreit hätten, denn er war in einer Weise gefesselt, welche ihm große Schmerzen bereiten mußte. Ein Blick von mir hin zu Winnetou genügte, diesen von meiner Absicht zu verständigen. Wir stiegen alle von den Pferden und hobbelten sie an. Während wir dies thaten, hatten die Weißen ihre Gewehre weggelegt und sich wieder niedergesetzt. Ich trat nahe an sie heran, den Stutzen in der Hand, und sprach die Frage aus:

»Wißt Ihr genau, Gentlemen, daß Euch dieser Mann bestohlen hat?«

»Natürlich! Wir haben ihn dabei erwischt,« antwortete der vorige Sprecher.

»Well, so wollen wir uns Euch vorstellen. Ich heiße Old Shatterhand. Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und ---«

»Winnetou?!« rief der Mann aus. »Alle Wetter! Da bekommen wir ja einen hochberühmten Besuch! Ihr seid uns willkommen, sehr willkommen! Setzt Euch nieder, Mesch'schurs! Setzt Euch nieder, und sagt, ist das der Henrystutzen, den Ihr da in den Händen habt, Mr. Shatterhand? Und auf dem Rücken der Bärentöter?«

»Ihr scheint von meinen Gewehren gehört zu haben. Ich will Euch sagen, Sir, daß ihr mir ganz gut gefallt; nur eins gefällt mir nicht!«

»Was?«

»Daß Ihr diesen Indianer gebunden habt.«


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»Warum sollte das Euch nicht gefallen? Er geht Euch doch gar nichts an!«

»Er geht uns sogar sehr viel an, denn er ist ein guter Freund von uns. Macht keine Sperenzien, Sir! Ich will in aller Freundlichkeit mit Euch sprechen. Laßt Ihr mit Euch reden, so scheiden wir in Frieden; wenn nicht, so gehen unsere Gewehre augenblicklich los! Nehmt dem Gefangenen die Fesseln ab! Wer sein Gewehr hebt, wird augenblicklich erschossen!«

Als ich das sagte, richteten sich alle unsere Läufe auf die Prospekters. Das hatten sie nicht erwartet! Gut war es, daß sie uns kannten, wenigstens den Namen nach, denn das hatte zur Folge, daß sie gar nicht daran dachten, uns Widerstand zu leisten. Der Anführer fragte mich nur:

»Ist das Euer Ernst, Mr. Shatterhand?«

»Ja; ich scherze nicht.«

»Na, so haben wir gescherzt und wollen jetzt damit aufhören!«

Er ging zu Kolma Puschi und band ihn los. Dieser stand auf, reckte seine Glieder, nahm ein auf der Erde liegendes Gewehr zu sich, zog einem der Weißen ein Messer aus dem Gürtel, kam zu uns her und sagte: »Ich danke meinem Bruder Shatterhand! Das ist meine Flinte und das mein Messer; weiter haben sie mir bisher nichts abgenommen. Bestohlen worden sind sie von mir natürlich nicht!«

»Ich bin überzeugt davon! Was meint mein Bruder Kolma Puschi, was mit ihnen geschehen soll? Wir werden seinen Wunsch erfüllen.«

»Laßt sie laufen!«

»Wirklich?«

»Ja. Ich befinde mich nur seit einer Stunde in ihren Händen; sie sind es gar nicht wert, daß man ihnen


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wegen einer Strafe Beachtung schenkt. Ich will nicht, daß meine Brüder sich mit ihnen beschäftigen!«

»Ganz kann ich diesen Wunsch nicht erfüllen; einige Worte muß ich ihnen sagen, ehe wir weiter reiten, denn bei ihnen bleiben, werden wir ja nicht. Ich will von ihnen erfahren, aus welchem Grunde sie einen Indianer, der ihnen auf keinen Fall etwas gethan haben kann, gefangen genommen und gefesselt haben.«

»Das kann ich meinem Bruder Shatterhand auch sagen!«

»Nein! Ich will es von ihnen selbst wissen!«

Da fuhr sich der, welcher gesprochen hatte, mit der Hand in die Haare, kratzte sich vor Verlegenheit und sagte dann:

»Hoffentlich haltet Ihr uns nicht für feige Memmen, weil wir uns nicht wehren, Sir! Es ist nicht Feigheit, sondern die Achtung vor solchen Männern, wie Ihr seid. Ich will Euch alles ehrlich sagen: Wir sind als Prospekters hier und haben ganz armselige Geschäfte gemacht. Dieser Indianer hält sich ständig hier im Parke auf, und man weiß von ihm, daß er gute Placers kennt, die er aber niemandem verrät. Wir haben ihn festgenommen, um ihn zu zwingen, uns eine gute Stelle zu sagen; dann wollten wir ihn wieder freilassen. So ist die Sache, und ich denke, daß Ihr sie uns nicht anrechnen werdet. Wir konnten unmöglich wissen, daß er ein Freund von Euch ist!«

»Schon gut! Ist es so, wie er gesagt hat?« antwortete ich ihm, mich mit der Frage dann an Kolma Puschi wendend.

»Es ist so,« sagte dieser. »Ich bitte, ihnen nichts zu thun!«

»Well! Wir wollen also nachsichtig sein; aber ich


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hoffe, daß wir auch ferner keinen Grund bekommen, uns anders zu verhalten als heut. Wer ein Placer finden will, der mag sich eins suchen. Das ist der beste Rat, den ich Euch geben kann, Gentlemen! Ich bitte Euch, nicht eher als nach zwei Stunden von hier aufzubrechen, sonst gehen unsere Gewehre doch noch los!«

Während dieser meiner Worte hatte Kolma Puschi sein Pferd bestiegen, welches sich natürlich bei denen der Prospekters befand, und wir ritten fort, ohne diesen Leuten noch einen Blick zuzuwerfen. Sie waren Menschen niedersten Ranges.

Um so weit wie möglich von ihnen fortzukommen, ritten wir Galopp, so lange es ging, und hielten dann an einem Orte an, der ebenso wie jenes Wäldchen zum Ausruhen paßte.

Ich war auf Kolma Puschis Pferd neugierig gewesen, denn wir hatten es unten am Rush-Creek nur für kurze Zeit zu sehen bekommen. Es war ein Mustang von vorzüglichem Baue, schnell und auch ausdauernd, wie wir in dieser kurzen Zeit schon merken konnten.

Während wir aßen, schwieg die Unterhaltung. Die Anwesenheit des geheimnisvollen Roten bewirkte das. Als ich mein Stück Fleisch verzehrt hatte und das Messer wieder in den Gürtel steckte, war auch er fertig. Er stand auf, ging zu seinem Pferde, schwang sich in den Sattel und sagte:

»Meine Brüder haben mir einen großen Dienst erwiesen; ich danke ihnen! Ich werde mich freuen, sie einmal wiederzusehen.«

»Will mein Bruder Kolma Puschi schon fort?« fragte ich.

»Ja,« antwortete er.

»Warum will er sich so schnell von uns trennen?«


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»Er ist wie der Wind: Er muß dahin gehen, wohin er soll!«

»Ja, er ist wie der Wind, den man wohl kommen fühlt; wenn er aber fort ist, weiß man nicht, wohin er ging. Mein Bruder mag wieder absteigen und noch eine Weile bei uns bleiben, denn ich habe notwendig mit ihm zu sprechen!«

»Mein Bruder Shatterhand mag verzeihen! Ich muß fort!«

»Warum scheut sich Kolma Puschi so vor uns?«

»Kolma Puschi scheut sich vor keinem Menschen; aber das, was seine Aufgabe ist, gebietet ihm, allein zu sein.«

Es war eine Lust für mich, Winnetou in das Gesicht zu sehen. Er ahnte, was ich vorhatte, und freute sich innerlich auf die Wirkungen, welche mein Verhalten hervorbringen mußte.

»Mein roter Bruder braucht sich nicht lange mehr mit dieser Aufgabe abzugeben,« erwiderte ich; »sie ist bald gelöst.«

»Old Shatterhand spricht Worte, welche ich nicht verstehe. Ich werde mich entfernen und sage meinen Brüdern Lebewohl!«

Schon hob er die Hand, um sein Pferd anzutreiben; da sagte ich:

»Kolma Puschi wird nicht fortreiten, sondern hier bleiben!«

»Ich muß fort!« entgegnete er mit aller Bestimmtheit.

»Well, so sage ich nur noch das Wort: Wenn mein B r u d e r Kolma Puschi fort muß, so bitte ich meine S c h w e s t e r Kolma Puschi, daß sie noch hier bei uns bleiben möge!«

Ich hatte die beiden Worte Bruder und Schwester


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scharf betont. Meine Gefährten sahen mich verwundert an; Kolma Puschi aber war mit einem schnellen Sprunge von ihrem Pferde herab, kam zu mir geeilt und rief, fast außer sich:

»Was sagt Old Shatterhand? Welche Worte habe ich von ihm gehört?«

»Ich habe gesagt, daß Kolma Puschi nicht mein Bruder, sondern meine Schwester ist,« antwortete ich.

»Hältst du mich etwa für ein Weib?«

»Ja.«

»Du irrst, du irrst!«

»Ich irre nicht. Old Shatterhand weiß stets, was er sagt!«

Da rief sie, mir beide Hände abwehrend entgegenstrekkend: »Nein, nein! Diesmal weiß Old Shatterhand doch nicht, was er sagt!«

»Ich weiß es, ich weiß!«

»Nein, nein! Wie könnte ein Weib ein solcher Krieger sein, wie Kolma Puschi ist!«

»Tehua, die schöne Schwester Ikwehtsi'pas, konnte schon in ihrer Jugend gut reiten und gut schießen!«

Da fuhr sie, laut aufschreiend, einige Schritte zurück und starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ich fuhr fort:

»Kolma Puschi wird nun wohl noch hier bei uns bleiben?«

»Was - - was - - was weißt du --- du von Tehua, und was --- was --- was kannst du von Ikwehtsi'pa wissen?!«

»Ich weiß viel, sehr viel von beiden. Ist meine Schwester Kolma Puschi stark genug in ihrem Herzen, es zu hören?«


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»Sprich, sprich, oh sprich!« antwortete sie, indem sie die Hände bittend faltete und ganz nahe zu mir herantrat.

»Ich weiß, daß Ikwehtsi'pa auch Wawa Derrick genannt wurde.«

»Uff, uff!« rief sie aus.

»Hat meine Schwester einmal die Namen Tibo taka und Tibo wete gehört? Ist ihr die Erzählung vom Myrtle-wreath bekannt?«

»Uff, uff, uff! Sprich weiter, weiter! Sprich ja weiter!«

»Bist du wirklich stark genug, alles zu hören, alles?«

»Ich bin stark. Nur weiter, weiter, weiter!«

»Ich habe dich zu grüßen von den beiden kleinen Babies, welche vor Jahren hießen Leo Bender und Fred Bender.«

Da fielen ihr die Arme nieder; es wollte ein Schrei aus ihrer Brust; sie brachte ihn aber nicht heraus. Sie sank langsam, langsam nieder, legte die Hände in das Gras, grub das Gesicht hinein und begann zu weinen, laut, fast überlaut und so herzbrechend, daß es mir nun doch angst um sie wurde.

Man kann sich denken, mit welchem Erstaunen meine Gefährten uns zugehört hatten, und mit welchem Ausdrucke ihre Augen jetzt an der Weinenden hingen, der ich vielleicht doch zuviel Stärke und Selbstbeherrschung zugetraut hatte. Da stand Apanatschka auf, trat an mich heran und sagte:

»Mein Bruder Shatterhand hat von Tibo taka, Tibo wete und von Wawa Derrick gesprochen. Das sind Worte und Namen, welche ich kenne. Warum weint Kolma Puschi darüber?«

»Sie weint vor Freude, nicht vor Schmerz.«


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»Ist Kolma Puschi nicht ein Mann, ein Krieger?«

»Sie ist ein Weib.«

»Uff, uff!«

»Ja, sie ist ein Weib. Mein Bruder Apanatschka mag seine Kraft zusammennehmen und jetzt sehr stark sein. Tibo taka war nicht sein Vater und Tibo, wete nicht seine Mutter. Mein Bruder hatte einen andern Vater und eine andere Mutter - - -«

Ich konnte nicht weiter sprechen, denn Kolma Puschi sprang jetzt auf, faßte mich bei der Hand und Schrie, auf Apanatschka zeigend:

»Ist das Leo - - - - ist das etwa Leo Bender - - - -?!«

»Nicht Leo, sondern Fred Bender, der jüngere Bruder,« antwortete ich. »Kolma Puschi kann es glauben; ich weiß es ganz genau.«

Da wendete sie sich zu ihm, brach vor ihm nieder, schlang beide Arme um seine Knie und schluchzte:

»Mein Sohn, mein Sohn! Es ist Fred, mein Sohn, mein Sohn!«

Da rief, nein, schrie mich Apanatschka an.

»Ist sie - - sie - - sie meine Mutter, wirklich meine Mutter?«

»Ja, sie ist's,« antwortete ich.

Da faßte er sie an, hob sie empor, sah ihr in das Gesicht und rief:

»Kolma Puschi ist kein Mann, sondern ein Weib! Kolma Puschi ist meine Mutter, meine Mutter! Darum also, darum hatte ich dich gleich so lieb, so sehr lieb, als ich dich erblickte!«

Nun aber war es auch mit seinen Kräften aus; er sank mit ihr in die Knie nieder, hielt sie fest umschlungen und drückte seinen Kopf an ihre Wange. Winnetou stand


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auf und ging fort; ich winkte den andern; sie folgten mir. Wir entfernten uns, um die beiden allein zu lassen; sie durften nicht gestört werden. Aber es dauerte nicht lange, so kam Apanatschka zu mir und sagte in eiliger, eindringlich bittender Weise:

»Mein Bruder Shatterhand mag zu uns kommen! Wir wissen ja nichts, noch gar nichts und haben so viel, so viel zu fragen!«

Er führte mich zu Kolma Puschi zurück, welche an der Erde saß und mir erwartungsvoll entgegenblickte. Apanatschka setzte sich neben sie, schlang den Arm um sie und forderte mich auf:

»Mein Bruder mag sich zu uns setzen und uns sagen, auf welche Weise er so genau erfahren hat, daß Kolma Puschi meine Mutter ist! Ich habe Tibo wete stets dafür gehalten.«

»Tibo wete ist deine Tante, die Schwester deiner Mutter; sie wurde in ihrer Jugend Tokbela genannt.«

»Das ist richtig; oh Gott, das ist so richtig!« rief die Mutter. »Mr. Shatterhand, denkt nach, denkt ja nach, ob auch alles richtig ist, was wir von Euch erfahren! Ich könnte wahnsinnig werden, wie meine Schwester es ist, wenn Ihr Euch irrtet, wenn ich jetzt glaubte, meinen Sohn gefunden zu haben, und er es doch nicht wäre! Denkt nach; ich bitte Euch, denkt nach!«

Ihre Sprache und Ausdrucksweise war jetzt diejenige einer weißen Lady; darum verzichtete ich auf die indianische Art, sie Kolma Puschi oder »meine Schwester« zu nennen, und antwortete:

»Bitte, mir zu sagen, ob Ihr Mrs. Bender seid? Bitte?«

»Ich bin Tehua Bender,« antwortete sie.


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»So irre ich mich nicht; Apanatschka ist Euer jüngster Sohn.«

»Also wirklich, wirklich, Mr. Shatterhand?«

»Er ist es. Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

»Beweise, bitte Beweise!«

»Ihr fordert Beweise? Spricht nicht Euer Herz für ihn?«

»Es spricht für ihn; ja, es spricht für ihn! Es sprach sofort für ihn, als ich ihn zum erstenmal sah, als er durch den Eingang des Camp geritten kam. Mein Herz beteuert mir, daß er mein Sohn ist, und doch zittert es vor Angst, daß er es doch vielleicht nicht sei. Es fordert Beweise nicht aus Zweifel, sondern um beruhigt sein und das Glück, welches es hier gefunden hat, ohne Sorge für die Zukunft genießen zu können.«

»Ja, was versteht Ihr da unter Beweisen, Mrs. Bender? Soll ich Euch einen Geburtsschein bringen? Das kann ich nicht!«

»Das meine ich auch nicht; aber es muß doch andere Beweise geben!«

»Es giebt welche; nur sind sie mir in diesem Augenblicke nicht zur Hand. Würdet Ihr Eure Schwester wieder erkennen?«

»Gewiß, ganz gewiß!«

»Und Euern Schwager?«

»Ich habe keinen Schwager.«

»War Tokbela nicht verheiratet?«

»Nein. Die Trauung wurde unterbrochen.«

»Durch Euern Bruder, den Padre Diterico?«

»Ja.«

»Wie hieß der Bräutigam?«

»Thibaut.«

»Euer Bruder schoß auf ihn?«


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»Ja; er verwundete ihn den Arm.«

»So ist kein Irrtum möglich. Was war dieser Thibaut?«

»Ein Taschenspieler.«

»Wußte Tokbela das?«

»Nein.«

»Ihr verlangt Beweise von mir; die kann ich Euch aber nur dann geben, wenn ich die damaligen Verhältnisse und Ereignisse kenne. Ich muß Euch nämlich aufrichtig sagen, daß mein ganzes Wissen bis jetzt nur auf Kombination beruht. Doch darf Euch das nicht ängstlich machen. Apanatschka ist Euer Sohn Fred, und ich denke, daß Ihr sehr bald auch seinen Bruder Leo sehen werdet.«

»Leo? Mein Himmel! Lebt er noch? Auch er lebt noch?«

»Ja.«

»Wo?«

»Er ist jetzt hier im Park. Er hat während langer Jahre nach Euch geforscht, doch ist all sein Suchen bisher vergeblich gewesen.«

»So habt Ihr das, was Ihr wißt, wohl von ihm erfahren, Sir?«

»Leider nein. Ich weiß kein Wort von ihm, nichts, gar nichts, als daß sein Vater im Zuchthause gestorben ist und seine Mutter und sein Oheim auch an diesem traurigen Orte gewesen sind.«

»Das weiß er? Das hat er Euch gesagt? Woher weiß er es? Von wem hat er es erfahren? Er war damals nur einige Jahre alt!«

»Das hat er mir nicht mitgeteilt. Aber sagt, ist mit dem Oheim, welcher auch im Gefängnis war, Euer Bruder Ikwehtsi'pa gemeint?«

»Ja.«


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»Schrecklich! Er, der Prediger, soll Falschmünzer gewesen sein?!«

»Leider! Man hatte Beweise, die er nicht entkräften konnte.«

»Aber wie war es möglich, daß man drei Personen unschuldig verurteilen konnte? Bei einem einzelnen Angeklagten ist das eher möglich.«

»Mein Schwager hatte alles so raffiniert überlegt und eingerichtet, daß eine Verteidigung für uns ganz unmöglich war.«

»Das war ein Bruder Eures Mannes?«

»Kein leiblicher, sondern ein Stiefbruder.«

»Hm! Also nicht bloß Halbbruder?«

»Nein. Er stammte von dem ersten Manne meiner Schwiegermutter.«

»Wie hieß er?«

»Eigentlich Etters, Daniel Etters, doch wurde er später nach seinem Stiefvater auch Bender genannt, und zwar John Bender, weil der verstorbene Erstgeborene John geheißen hatte.«

»Von diesen beiden Namen war Euch John Bender geläufiger als Dan oder Daniel Etters?«

»Ja. Der letztere Name wurde gar nie in Anwendung gebracht.«

»Ah! Darum steht J. B. und nicht das eigentlich richtige D. E. auf dem Kreuze!«

»Welches Kreuz meint Ihr?«

»Das am Grabe Euers Bruders.«

»Was? So seid Ihr schon einmal oben bei dem Grabe gewesen?«

»Nein.«

»Wie könnt Ihr da von dem Kreuze wissen?«


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»Ein Bekannter hat mir davon erzählt. Er hat es gesehen und gelesen.«

»Wer war das?«

»Sein Name ist Harbour.«

»Harbour? Ja, den haben wir gekannt! Also der ist oben gewesen?«

»Das fragt Ihr mich, Mrs. Bender? Ihr habt ihn ja gesehen!«

»Ich? Wer behauptet das?«

»Ich behaupte es. Ihr seid es doch gewesen, die ihn durch das halbe gebratene Bighorn vom Tode des Verhungerns errettet habt!«

»Vermutung, Sir!« lächelte sie.

»Ja, aber eine Vermutung, welche das Richtige trifft! Warum habt Ihr Euch fern gehalten, Euch nicht von ihm sehen lassen?«

»Er hätte mich erkannt. Also er hat Euch von diesem Grabe erzählt?«

»Ja. Und dieser seiner Erzählung habe ich es zu verdanken, daß ich die Thatsachen so nach und nach erraten konnte.«

»Hat Winnetou mit raten helfen?«

»In seiner stillen, wortlosen Weise, ja. Er hat als kleiner Knabe Euren Bruder gesehen, der dann plötzlich verschwunden war.«

»Mit mir und Tokbela, ja.«

»Darf ich den Grund dieses plötzlichen Verschwindens erfahren?«

»Ja. Mein Bruder Derrick - sein indianischer Name war Ikwehtsi'pa; als Christ wurde er Diterico oder englisch Derrick genannt - war ein berühmter Prediger, hatte aber nicht studiert. Er wollte das nachträglich thun und ging deshalb nach dem Osten. Vorher


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hatte ich Bender gesehen und er mich; wir liebten uns; aber ehe ich seine Frau werden konnte, hatte ich mir die Kenntnisse und Umgangsformen der Bleichgesichter anzueignen. Mein Bruder war stolz; er wollte nicht wissen lassen, daß er noch zu lernen habe. Ich wurde von mehreren roten Kriegern zur Squaw begehrt; diese wären mir gefolgt und hätten Bender getötet. Das sind die zwei Gründe, daß wir von daheim fortgingen, ohne zu sagen, warum. Mein Bruder besuchte ein Kolleg, und ich kam mit Tokbela in eine Pension. Bender besuchte uns da. Er brachte seinen Bruder mit. Dieser sah mich und gab sich von da an alle Mühe, mich Bender abtrünnig zu machen. Es gelang ihm nicht, und seine Liebe zu mir verwandelte sich in Haß gegen mich. Bender war reich, Etters arm; der Arme hatte eine Anstellung im Geschäft des Reichen; er kannte alle Räume dieses Geschäftes und alle Möbel, welche in diesen Räumen standen. Als wir verheiratet waren, wohnte Tokbela bei uns. Etters brachte einen jungen Mann zu uns, welcher Thibaut hieß. Nach einiger Zeit bemerkten wir, daß Thibaut und Tokbela sich liebten. Bender erfuhr Schlimmes über Thibaut und verbot ihm, wiederzukommen. Etters nahm das übel und brachte seinen Freund doch immer wieder mit; er mußte deshalb aus dem Geschäft treten und durfte uns nun auch nicht mehr besuchen. Beide beschlossen, sich zu rächen.«

»Ich ahne! Thibaut war ja Falschmünzer!«

»Ihr vermutet das Richtige, Mr. Shatterhand. Eines Tages kam die Polizei zu uns; sie fand im Kassenschranke anstatt des guten Geldes fast lauter falsches Geld. Im Rocke meines Bruders war auch falsches Geld eingenäht, und in meinem Zimmer entdeckte man die Platten. Wir wurden alle drei verhaftet. Es wurden


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uns Schriften vorgelegt; sie waren gefälscht, aber ganz genau nach der Hand meines Mannes und meines Bruders; diese Schriftstücke bewiesen ihre und auch meine Schuld. Wir wurden verurteilt und eingeliefert.«

»Und Benders Geschäft?«

»Dieses wurde von Etters fortgeführt; Bender konnte das nicht hindern. Tokbela, meine Schwester, kam mit meinen beiden Knaben in dieselbe Pension, in welcher ich als Mädchen gewesen war.«

»Schrecklich! Ihr, die an die Freiheit gewöhnte Indianerin im Gefängnisse!«

»Uff! Man schnitt mir das Haar ab; ich mußte das Kleid der Verbrecher anziehen und wurde in eine kleine, enge Zelle gesteckt. Ich war unglücklich, sehr unglücklich, und weinte Tag und Nacht!«

»Thibaut machte sich indessen wieder an Eure Schwester Tokbela?«

»So ist es. Sie versprach ihm, sein Weib zu werden, wenn er uns befreie. Er bestach einen Schließer des Gefängnisses, welcher mit meinem Bruder floh.«

»Warum nicht mit Bender oder Euch?«

»Des Goldes wegen. Mein Bruder kannte einige Placers; er hatte von dort Gold geholt und es an unserm Hochzeitstage Bender geschenkt. Das wußte Etters. Darum befreiten sie nur meinen Bruder, um Gold von ihm oder durch ihn zu bekommen. Als er mit dem Schließer floh, nahm er Tokbela und meine Knaben mit. Er brachte sie nach Denver, wo er sie unter dem Schutze des Gefängnisbeamten ließ, während er in die Berge ging, um wieder Gold zu holen. Er brauchte dieses, um den Beamten zu belohnen und dann Bender und mich auch zu befreien. Der Beamte gründete mit dem Golde, welches er bekam, ein Wechselgeschäft; Tokbela und die


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Knaben wohnten bei ihm; er hatte die Kinder liebgewonnen. Mein Bruder aber verließ Denver, um nun auch Bender und mich zu befreien. Es gelang ihm dies nur halb; ich wurde frei, aber Bender war aus Gram um sein verlorenes Glück und seine geraubte Ehre krank geworden und im Gefängnisse gestorben. Derrick brachte mich nach Denver. Dort waren inzwischen Etters, welcher Bankerott gemacht hatte, und Thibaut eingetroffen. Sie hatten Tokbela durch Lügen dahin gebracht, Thibauts Frau zu werden. Wir kamen am Hochzeitstage an und fanden Bräutigam und Braut bereit, sich die Hände zu reichen. Derrick riß der Braut den Kranz vom Kopfe und ---«

»Bitte, Mrs. Bender; ich muß Euch unterbrechen. Tokbela sagt im Gegenteile, er habe ihr ihn auf den Kopf gesetzt.«

»Das spricht sie im Irrtum des Wahnsinnes.«

»Ah! Ihr wußtet, daß sie wahnsinnig ist?«

»Ja. Etters und Thibaut fielen über Derrick her, und es entspann sich ein Kampf, in welchem Derrick Thibaut in den Arm schoß.«

»Das war doch nicht in der Kirche?«

»Nein, sondern in der Wohnung Tokbelas, bei dem früheren Gefängnisbeamten, dem jetzigen Bankier.«

»Bitte, es kommt mir da ein Gedanke. Hieß dieser Bankier vielleicht Wallace?«

»Nein. Wie kommt Ihr auf diesen Namen, Sir?«

»Davon später. Erzählt weiter.«

»Tokbela hatte sich über unsere Gefangenschaft gegrämt; sie war krank und schwach dadurch geworden. Der Schreck über die unterbrochene Trauung und den Kampf dabei warf sie nieder. Sie sprach irr im Fieber, und aus dem Fieber ging ihr Geist in den Wahnsinn über. Sie tobte; sie war nur dann ruhig, wenn sich Fred, mein


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kleinster Knabe, bei ihr befand, den sie sehr liebte. Mein Bruder that sie zu einem Irrenarzte, und den Knaben mit, ohne den sie nicht gegangen wäre. Derrick, ich und Leo wohnten beim Bankier. Etters und Thibaut waren verschwunden; so dachten wir. Das Gold war alle geworden, und Derrick mußte wieder in die Berge. Ich bat ihn, mich mitzunehmen, und er that es, denn ich war im Reiten und Schießen so gewandt gewesen wie ein roter Krieger. Wir kamen bis zum Devilshead, wo wir überfallen wurden. Etters und Thibaut waren nicht verschwunden gewesen; sie hatten sich versteckt gehalten, um uns zu beobachten, und waren uns gefolgt. Etters, den wir noch stets John Bender nannten, schoß Derrick nieder, und ich wurde im Schreck darüber entwaffnet und gebunden. Die Mörder hatten wohl geglaubt, daß wir schon am Placer gewesen seien und Gold bei uns hätten. Da sie keines fanden, waren sie so ergrimmt, daß sie beschlossen, mich nicht schnell zu töten, sondern langsam verschmachten zu lassen. Sie scharrten meinen Bruder hart am Felsen in die Erde und legten mich auf sein Grab. Dort banden sie mich so fest, daß ich nicht fortkonnte. Ich lag dort drei Tage und vier Nächte und war dem Sterben nahe, als Indianer kamen und mich befreiten.«

»Von welchem Stamme?«

»Es waren Capote-Utahs.«

»Ah! Seltsam! Weiter!«

»Diese Utahs gaben mir zu essen und zu trinken und nahmen mich dann mit. Ein junger Krieger unter ihnen, Tusahga Saritsch genannt, wollte mich zu seiner Squaw machen und ließ mich darum nicht fort von sich. In den Weidegründen der Utahs angekommen, weigerte ich mich, seine Squaw zu werden. Er wollte mich zwingen; ich war inzwischen wieder stark geworden, kämpfte mit ihm


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und besiegte ihn. Er verzichtete nun gern auf mich, und auch kein anderer begehrte mich, denn eine Squaw, welche Krieger besiegt, mochte keiner haben.«

»Wie steht es jetzt zwischen Euch und den Capote-Utahs?«

»Sie sind meine Freunde. Tusahga Saritsch liebt mich noch heut, wenn er auch damals auf mich als Squaw verzichtete. Ich kann von ihm verlangen, was ich will. Die Freiheit gaben sie mir damals freilich nicht gleich wieder. Erst nach zwei Jahren erhielt ich sie zurück, nachdem ich auf die Medizin geschworen hatte, mich stets als einen Krieger der Capote-Utahs zu betrachten. Ich eilte natürlich sofort nach Denver. Meine Kinder waren verschwunden. Etters und Thibaut waren zu dem Irrenarzte gekommen und hatten ihm unter Drohungen Tokbela abverlangt. Sie war mit ihnen gegangen, hatte aber getobt, als sie von Fred getrennt werden sollte; sie waren also gezwungen gewesen, den Knaben mitzunehmen. Auch der Bankier war verschwunden, und zwar mit Leo, meinem Sohne. Ich forschte nach und erfuhr bei dem Scherif, daß einige Tage nach seinem Verschwinden Polizisten gekommen seien, um ihn wegen Befreiung eines Gefangenen zu verhaften.«

»So steht zu vermuten, daß er von Etters oder Thibaut anonym denunziert worden, aber noch rechtzeitig von irgend jemand gewarnt worden ist. Er hat die Flucht ergriffen und jede Spur sorgfältig verwischt.«

»Das hat er gethan, denn ich habe viele Jahre lang ebenso vergeblich nach ihm wie nach Tokbela gesucht.«

»So kann ich Euch zu Eurer Beruhigung sagen, daß er einen andern Namen angenommen und den Knaben sorgfältig erzogen hat. Er oder nun sein Sohn, wohnt jetzt in Jefferson-City.«


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»Wirklich? Das wißt Ihr, Sir?«

»Ja; ich bin bei ihm gewesen. Doch, erzählt jetzt weiter!«

»Ich bin schnell fertig. Ich suchte nach meinen Kindern, doch vergeblich. Ich ritt über alle Savannen, durch alle Thäler; ich forschte in den Städten -und bei den Roten; ich fand sie nicht. Als Frau hätte ich das nicht thun können; ich legte Männerkleidung an und bin darum bis jetzt ein Mann geblieben. Als alles, alles vergebens war, kehrte ich, fast verzweifelt, zum Devils-head zurück. Die Hand Gottes treibt den Mörder zur Stätte seiner That zurück; das wußte ich, und darum ist der Himmel dieses Parks mein Zelt geworden. Der Mörder ist noch nicht gekommen, aber er wird kommen, er wird! Ich bin überzeugt davon. Dann wehe ihm! Gestorben kann er noch nicht sein, denn Gott ist gerecht; er wird ihn mir zuführen, damit ich mit ihm abrechnen und ihn bestrafen kann!«

»Würdet Ihr ihn erkennen, wenn er käme?«

»Ja.«

»Es sind aber so viele Jahre seit jener Zeit vergangen, Mrs. Bender!«

»Ich kenne ihn; ich kenne ihn! Und wenn er sich noch so sehr verändert hätte, an seinen Zähnen würde ich ihn erkennen!«

»An seinen beiden Zahnlücken in der obern Zahnreihe?«

»Uff! Das wißt Ihr? Ihr kennt ihn also auch?«

»Ich kenne ihn nicht. Oder, wenn ich richtig vermute, so kenne ich ihn doch! Euer Sohn Leo hat mir das von den Zahnlücken gesagt.«

»Leo? Er lebt? Ihr habt wirklich, wirklich mit ihm gesprochen?«


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»Ja.«

»So sagt schnell, schnell, wo befindet er sich?«

»Hier im Park von San Louis. Ihr werdet ihn sehen, wenn heut nicht schon, so doch morgen oder übermorgen. Und wenn mich nicht alles trügt, so bringt Gott grad jetzt den Mörder Euch getrieben. Er ist nach dem Schauplatz seiner That unterwegs. Thibaut kommt mit Tokbela, und Etters ist ihnen schon voran. Übrigens kann ich Euch sagen, welchen Weg diese beiden Kerls damals mit Tokbela und Leo von Denver aus eingeschlagen haben.«

»Das habt Ihr erfahren? Von wem?«

»Von Winnetou und Schahko Matto.«

»Sagt es, Mr. Shatterhand; sagt es mir!«

»Sie sind zu den Osagen gekommen und haben sie nicht nur um den ganzen Jahresbetrag ihrer Jagd betrogen, sondern auch einige ihrer Krieger ermordet. Dann haben sie sich getrennt, und Thibaut ist mit Eurer Schwester und dem Knaben zu den Komantschen vom Stamme der Naiini. Dort hat er sich verbergen müssen, weil seine Verbrechen an den Tag gekommen waren. Er ist unterwegs von Winnetous Vater am Rande des Llano estacado gefunden und vom Tode des Verschmachtens errettet worden.«

»Das muß ich ausführlicher hören! Die beiden müssen es mir erzählen!«

Sie sprang auf und wollte fort.

»Wartet, Mrs. Bender!« bat ich. »Sie können es Euch unterwegs erzählen. Wir wollen keine Zeit verlieren; wir müssen vorwärts, hinauf nach dem Devils-head. Oder seid Ihr auch jetzt noch gewillt, Euch von uns zu trennen und Euern Weg allein fortzusetzen?«


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»Nein, nein! Ich bleibe bei Euch. Das versteht sich ganz von selbst!«

»So will ich die Gefährten rufen. Wir brechen von hier auf.«

Wir waren in kurzer Zeit wieder unterwegs. Kolma Puschi kannte den Weg besser noch als Winnetou. Sie ritt mit diesem und Apanatschka und dem Osagen voran. Diese vier pflogen eine Unterhaltung, bei welcher ich nicht nötig war; ich ritt hinter ihnen her. Nach mir folgten die beiden Toasts mit Treskow. Hammerdull war vor Verwunderung ganz begeistert darüber, daß der geheimnisvolle Indianer sich als eine Squaw entpuppt hatte. Ich hörte ihn hinter mir sagen:

»Hat man jemals erlebt, daß ein Mann eigentlich eine Frau ist? Aus diesem Kolma Puschi, dessen Mut und List wir so bewundert haben, ist eine Squaw herausgekrochene die man noch mehr bewundern muß als vorher, da sie noch ein männlicher Indianer war! Was meinst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Nichts!« antwortete der Lange.

»Das ist eigentlich das Richtige. Nichts, gar nichts! Wer soll da wissen, was er dazu zu sagen hat? Von jetzt an halte ich alles für möglich. Jetzt werde ich gar nicht erschrecken, wenn umgekehrt mein alter Pitt Holbers sich in eine Squaw verwandelt!«

»Wird mir gar nicht einfallen, alter Dick!«

»Ob es dir einfällt oder nicht, das bleibt sich gleich, das ist ganz und gar egal. Was willst du dagegen machen, wenn du plötzlich zu der Erkenntnis kommst, daß du ein heimliches, verkleidetes Frauenzimmer bist?«

»Was ich da machen würde, das weiß ich ganz genau!«

»Was denn?«


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»Ich würde dich augenblicklich heiraten!«

»Hallo! Ohne mich erst zu fragen?«

»Ja, ohne dich zu fragen!«

»So ließe ich mich nach der Trauung augenblicklich wieder von dir scheiden!«

»Und ich gäbe dich nicht wieder her!«

»Das würden wir wohl sehen! Denkst du etwa, ich würde die Scheidung beantragen, ohne die richtigen Scheidegründe zu haben?«

»Die giebt es nicht!«

»Mehr als genug!«

»Sag nur einen einzigen!«

»Da ist er gleich: mangelhafte Ernährung; das ist doch einer!«

»Siehst du etwa schlecht genährt aus?«

»Ich nicht, aber du! Ich gebe an, daß ich meine Frau nicht ernähren kann, und wenn man mir das nicht glaubt, so stelle ich dich zur Betrachtung hin. Wer dann dich ansieht und immer noch glaubt, daß ich für dich genug zu essen habe, der kann sich einrahmen und als Traumbild an die Wand hängen lassen!«

»Was mir an der Fülle fehlt, das gebe ich in der Länge zu!«

»Was nützt mir eine Frau, die so lang ist, daß ich ihr nicht zuweilen >den Kopf waschen< kann? Du weißt wohl, was ich damit meine?«

»Yes

»Diese Prozedur ist nämlich zuweilen sehr notwendig bei dir, altes Coon. Du bist zu Zeiten ein solcher Querkopf, daß man gar nicht mehr weiß, wohin man ihn dir zu richten hat.«

»So laß ihn, wie und wo er ist! Der deinige steht


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auch nicht immer da, wo er zu stehen hat; das kann ich dir sehr leicht beweisen.«

»Nun, wie?«

»Denk nur an das Baby der grauen Bärenmutter! Balgt sich dieser dicke Mensch mit einem Grizzly herum, als ob er mit ihm eben aus der Schule käme! Man sieht es deiner Haut noch heute an, was für eine würdevolle Rolle du dabei gespielt hast!«

»Ob ich sie gespielt habe, oder ob sie der Bär gespielt hat, das bleibt sich ganz gleich, wenn sie überhaupt nur gespielt worden ist! Auch ist es mir ganz unbegreiflich, wie du von unserer Verheiratung weg auf diese Rolle kommen kannst! Sprich lieber von 'was Besserem, zum Beispiel davon, was wir mit dem »Generale« machen werden, wenn er in unsere Hände fällt!«

»Nichts ist leichter gesagt als das!«

»Nun?«

»Wir bezahlen ihn mit gleicher Münze. Er wird auch in einen Baum gespannt. Meiner Ansicht nach hat er das reichlich verdient.«

»Da gebe ich dir natürlich recht. Ich werde mit der größten Wonne helfen, für ihn einen Baumspalt herzurichten, in dem er noch viel besser singen soll, als Old Wabble, der arme Teufel, in dem seinigen gesungen hat. Er wird eingespannt; es bleibt dabei!«

Der Gerechtigkeitssinn der beiden Freunde hatte ganz dasselbe getroffen, was das alte Testament und was auch das Wüstengesetz der mohammedanischen Beduinen verlangt: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut. Es gab, höchstens außer Hammerdull und Holbers, keinen einzigen unter uns, der nicht eine Rechnung mit diesem sogenannten Generale auszugleichen hätte. Schahko Matto wollte ihn wegen Mord und Betrug zur Rechenschaft


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ziehen; Treskow suchte ihn wegen anderer Verbrechen; von Winnetou und mir will ich nicht sprechen. Und Apanatschka und Kolma Puschi? Diesen beiden war er mehr, viel mehr als uns anderen allen zusammen schuldig. Denn daß er und sonst niemand der lang gesuchte Dan Etters war, darüber gab es bei mir nicht den geringsten Zweifel. Das Fehlen der oft erwähnten Zahnlücken konnte mich nicht irre machen, da es ja falsche Zähne giebt, die es überhaupt schon bei den alten Ägyptern gab. Daß niemand, selbst Old Surehand nicht, auf diesen Gedanken gekommen war, erschien mir geradezu als unbegreiflich. Dieser Etters war mir so sicher, daß ich schon jetzt daran dachte, welche Strafe man für ihn wohl in Vorschlag bringen müsse.

Später wurde ich zu Kolma Puschi gerufen, und ich kann sagen, daß während dieses Rittes so viel gesprochen und erzählt, so viel gefragt und geantwortet wurde, wie wohl selten auf einem andern. Darüber verging der Nachmittag, und es brach der Abend herein, ohne daß wir nur daran gedacht hatten, daß es so schnell dunkel werden könne. Wir hatten vor, jetzt noch nicht anzuhalten, denn der Mond stand am Himmel und mußte uns heut, ehe er unterging, eine gute halbe Stunde leuchten. Da konnten wir noch reiten.

Die Sonne war schon längst verschwunden, als wir in eins der sanft ausgeworfenen Thäler einbogen, welche dem Park von San Louis die ihm eigentümliche Terrainbewegung geben. Da sahen wir eine Fährte von der Seite herkommen, welche die gleiche Richtung nahm. Die Untersuchung derselben zeigte, daß sie von drei Pferden stammte und höchstens eine halbe Stunde alt sein konnte. Ich dachte sofort an den Medizinmann mit seiner Squaw und dem Packpferde.

Winnetou hatte denselben Gedanken,


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wie ich aus dem Blicke merkte, den er mir zuwarf. Es nahte wieder eine Scene!

Wir trieben unsere Pferde mehr an und ritten schweigend weiter. Winnetou hing, weit vornübergebeugt, im Sattel, um sich die Spuren nicht entgehen zu lassen, doch waren sie schon nach zehn Minuten nicht mehr zu sehen. Der Schein des Mondes begann zwar zu wirken, doch war er zu schwach, unsern Augen in Beziehung auf diese Fährte zu Hilfe zu kommen. Ich stieg also mit Winnetou ab. Wir ließen unsere Pferde führen und gingen voran, uns von Zeit zu Zeit tief zum Boden niederbückend, ob die Eindrücke noch vorhanden seien. So verging die Zeit, und der Mond wollte untergehen. War es da nicht besser, jetzt hier zu lagern und die Spur morgen früh wieder aufzunehmen?

Noch während wir uns mit dieser Frage beschäftigten, bemerkten wir einen Brandgeruch, den uns der leise Wind entgegenbrachte. Das Feuer, von dem er kam, mußte eben jetzt erst angezündet worden sein, sonst hätten wir ihn schon eher gespürt. Wir baten die Gefährten, zu warten und gingen leise weiter. Es dauerte nicht lange, so gab es in der Thalmulde rechts eine kleine, von Baumwipfeln überschattete Bucht, in welcher wir das Feuer brennen sahen. Wir legten uns auf die Erde und krochen näher, denn wir sahen drei Pferde und zwei an dem Feuer sitzende Personen, konnten aber nicht erkennen, wer sie waren. Als wir nahe genug gekommen waren, erkannten wir sie. Winnetou flüsterte:

»Uff! Der Medizinmann und seine Squaw!«

»Ja, sie sind es; ganz so, wie wir dachten,« stimmte ich bei.

»Nehmen wir ihn gefangen?«

»Wie mein Bruder will.«


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»Wenn wir ihn ergreifen, haben wir ihn zu schleppen; lassen wir ihn aber noch laufen, so ist es möglich, daß er uns doch noch entgeht. Es ist also doch besser, wenn wir ihn festnehmen?«

»Ich stimme bei. Wollen wir erst die andern holen?«

»Nein. Wir nehmen ihn gleich so fest, daß er sich nicht wehren kann.«

Wir schoben uns so weit an das Feuer heran, wie es möglich war, ohne daß wir gesehen werden mußten. Die Squaw aß, der Mann hatte sich faul in das Gras gestreckt.

»Jetzt!« sagte Winnetou leise.

Wir standen auf, sprangen hin und warfen uns auf ihn. Er stieß einen Schrei aus und bekam meine Faust zweimal an den Kopf; da war er still. Wir banden ihn mit seinem eigenen Lasso; dann ging Winnetou, die Gefährten zu holen, denn es war bequem, gleich hier an diesem Orte zu übernachten. Sie kamen und stiegen von ihren Pferden. Die Squaw bekümmerte sich nicht um uns; sie hatte auch nichts gesagt, als wir ihren Mann festnahmen. Apanatschka nahm seine Mutter bei der Hand, führte sie an das Feuer, zeigte auf die Squaw und sagte:

»Das ist Tibo wete Elen!«

Ellen war nämlich der christliche Name Tokbelas.

Kolma Puschi blickte eine ganze Weile stumm auf die Squaw nieder und sagte dann mit einem tiefen, tiefen Seufzer:

»Das soll meine liebliche, meine schöne Tokbela sein?«

»Sie ist es,« bekräftigte ich.

»Mein Gott, mein Gott, was ist da aus der schönsten Tochter unsers Volkes geworden! Wie muß da auch ich verändert sein!«


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Ja, sie waren beide schön, sehr schön gewesen; aber das Alter, das Leben in der Wildnis und der Wahnsinn hatten den »Himmel« - denn Tokbela heißt »Himmel« - so entstellt, daß ihre Schwester Zeit brauchte, sie wieder zu erkennen. Kolma Puschi wollte zu ihr niederknieen, um sich mit ihr zu beschäftigen, da aber sagte Winnetou zu ihr:

»Meine Schwester hat den Mann noch nicht angesehen; sie mag sich aber einstweilen noch verbergen, denn das Bewußtsein wird ihm jetzt zurückkehren. Er soll nicht gleich bemerken, wer sich hier befindet. Hinter den Bäumen ist ein Versteck.«

Mit diesen Worten waren auch die andern gemeint, welche der Aufforderung folgten und sich verbargen, so daß Thibaut nur Winnetou und mich sehen konnte, wenn er erwachte.

Wir brauchten nicht lange zu warten, so bewegte er sich und schlug die Augen auf. Als er uns erkannte, rief er:

»Der Apatsche! Und Old Shatterhand! Uff, uff, uff! Was wollt ihr von mir? Was habe ich euch gethan, daß ihr mich bindet?«

»Daß wir Euch schon wieder binden, wollt Ihr sagen,« antwortete ich. »Wir folgen da einer alten, guten Gewohnheit, von der wir nicht lassen mögen, weil sie sich vortrefflich bewährt hat.«

»Aber man überfällt und bindet doch nur dann einen Menschen, wenn man einen Grund dazu hat! Habe ich euch einen gegeben?«

»Schon wiederholt!«

»Auch jetzt wieder?«

»Direkt eigentlich nicht, aber indirekt.«

»Indirekt? Uff, uff! Was heißt das?«


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»Schweigt mit Euern >Uffs<, und gebärdet Euch nicht immerfort als Indianer! Der Taschenspieler Thibaut wird wohl noch wissen, was man unter direkt und indirekt zu verstehen hat! Nicht?«

»Verflucht! Taschenspieler?«

»Ja, Taschenspieler, Fälscher, Dieb, Gauner, Räuber, Falschmünzer, Mörder und sonst dergleichen. Ihr hört, es ist eine lange Reihe von Koseworten, welche alle vortrefflich auf Euch passen.«

»Oder vielmehr auf Euch!«

»Pshaw! Ihr wolltet für jetzt wissen, warum wir Euch schon wieder einmal gebunden haben. Ich will es Euch gern sagen: Ihr sollt nicht zu zeitig zu dem verabredeten Stelldichein erscheinen.«

»Stelldichein? Ihr faselt wohl?«

»Das weniger!«

»Wo sollte das sein?«

»Am Devils-head.«

»Wann?«

»Am sechsundzwanzigsten September.«

»Ihr pflegt zwar stets gern in Rätseln zu sprechen, wie ich schon erfahren habe, heut aber ist es mir ganz und gar unmöglich, zu erraten, was Ihr meint!«

»So will ich nicht sagen, am sechsundzwanzigsten September, sondern am Tage des heiligen Cyprian. Das werdet Ihr wohl besser verstehen.«

»Cyprian? Was geht mich dieser Heilige an?«

»Ihr sollt an seinem Namenstage am Devils-head eintreffen.«

»Wer hat das gesagt?«

»Dan Etters.«

»Donnerwetter!« fuhr er auf. »Ich kenne keinen Dan Etters!«


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»So kennt er Euch!«

»Auch nicht!«

»Nicht? Er schreibt Euch doch Briefe!«

»Briefe? Habe keine Ahnung!«

»Briefe auf Leder, die Schrift mit Zinnober gefärbt. Ist das nicht wahr?«

»Hole Euch der Teufel! - Ich weiß von keinem Briefe etwas!«

»Er steckt in Eurer Satteltasche.«

»Stänkerer! Ich glaube gar, Ihr habt meine Sachen durchsucht!«

»Natürlich!«

»Wann denn?«

»Wann es mir beliebte! Nach meiner Berechnung würdet Ihr einen Tag vor dem Namensfeste des heiligen Cyprian nach dem Devils-head kommen; darum haben wir Euch ein wenig festgebunden, damit Ihr Euch verweilen sollt. Was wollt Ihr denn so zeitig dort! Habe ich recht?«

»Ich wollte, Ihr wäret mitsamt Eurem Cyprian da, wo der Pfeffer wächst!«

»Ich glaube wohl, daß Ihr das gerne wünscht, doch ist es mir leider nicht möglich, Euch diesen Wunsch zu erfüllen, denn ich werde anderswo gebraucht.«

»Sagt einmal, wer ist denn eigentlich der Wawa Derrick, von dem Eure Squaw zuweilen redet? Ich möchte das doch gar zu gern erfahren!«


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»Fragt sie selbst!«

»Ist nicht nötig! Wawa ist ein Moquiwort; ich vermute also, daß sie eine Moquiindianerin ist und ihren Bruder meint.«

»Habe nichts dagegen!«

»Ich denke aber grad, daß Ihr gegen diesen Bruder etwas gehabt habt.«

»Denkt, was Ihr wollt!«

»Gegen ihn und gegen die Familie Bender!«

»Donnerwetter!« schrie er erschrocken.

»Bitte, regt Euch nicht auf! Was wißt Ihr denn so ungefähr von dieser Familie? Man sucht nämlich einen gewissen Fred Bender.«

Er erschrak so, daß er nicht antworten konnte.

»Dieser Fred Bender soll nämlich von Euch zu den Osagen geschleppt worden sein, bei denen ihr noch eine Rechnung stehen habt.«

»Eine Rechnung? - Ich weiß von nichts!«

»Ihr habt da mit dem famosen >General< einen Handel in Fällen und Häuten etabliert, der Euch, wenn es fehlschlägt, den Kopf kosten kann.«

»Ich kenne keinen General!«

»Auch sollt Ihr bei dieser Gelegenheit mit ihm einige Osagen umgebracht haben.«

»Ihr habt eine ungeheure Phantasie, Mr. Shatterhand!«

»Oh nein! Schahko Matto ist ja, wie Ihr wißt, bei mir. Er hat Euch auch schon gesehen, aber nichts gesagt, um uns den Spaß nicht zu verderben.«

»So macht euch euern Spaß, nur mich laßt in Ruh! Ich habe nichts mit Euch zu thun!«

»Bitte, bitte! Wenn wir uns unsern Spaß machen sollen, dürft Ihr nicht dabei fehlen. Ihr habt ja die Hauptrolle dabei zu übernehmen!«


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»So sagt mir nur bei allen Teufeln, was Ihr eigentlich von mir wollt!«

»So macht euch euern Spaß, nur mich laßt in Ruh! Ich habe nichts mit Euch zu thun!«

»Bitte, bitte! Wenn wir uns unsern Spaß machen sollen, dürft Ihr nicht dabei fehlen. Ihr habt ja die Hauptrolle dabei zu übernehmen!«

»So sagt mir nur bei allen Teufeln, was Ihr eigentlich von mir wollt!«

»Ich will gar nichts von Euch. Ich will Euch nur jemanden zeigen.«

»Wen?«

»Einen Indianer. Bin neugierig, ob Ihr ihn kennt. Seht ihn Euch einmal an!«

Ich winkte Kolma Puschi. Sie kam und stellte sich vor ihn hin.«

»Seht ihn Euch genau an!« forderte ich Thibaut auf. »Ihr kennt ihn.«

Die beiden bohrten ihre Blicke ineinander. In Thibaut dämmerte eine Ahnung auf; das sah ich ihm an; er sagte aber nichts.

»Vielleicht kennt Ihr mich, wenn Ihr mich sprechen hört,« sagte Kolma Puschi.

»Alle tausend Teufel!« schrie er auf. »Wer - wer ist denn das?«

»Erinnerst du dich?«

»Nein - nein - - nein!«

»Denk an den Devils-head! Dort schiedest du von mir, Mörder!«

»Uff, uff! Stehen denn die Toten wieder auf? Es kann nicht sein!«

»Ja, die Toten stehen auf! Ich bin kein Mann, sondern ein Weib.«

»Es kann nicht sein! Es kann und darf nicht sein! Ich gebe es nicht zu!«

»Es kann schon sein; es ist schon so; ich bin Tehua Bender!«

»Tehua, Tehua Bender ---!«

Er schloß die Augen und lag still.


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»Habt auch Ihr ihn erkannt?« fragte ich Kolma Puschi in leisem Tone.

»Sofort!« nickte sie.

»Wollt Ihr weiter mit ihm reden?«

»Nein; jetzt nicht.«

»Aber mit Eurer Schwester?«

»Ja.«

Da nahm ich den Medizinmann unter den Armen, hob ihn empor und stellte ihn mit dem Gesichte an den nächsten Baumstamm. Da wurde er angebunden, ohne daß er etwas sagte. Er hatte genug. Das Erscheinen der von ihm Totgeglaubten war ihm durch Mark und Bein gegangen.

Diese setzte sich neben ihre Schwester, und ich war höchst neugierig, wie die Wahnsinnige sich nun verhalten werde. Würde sie sie erkennen?

»Tokbela, liebe Tokbela!« sagte Kolma Puschi, indem sie die Schwester bei der Hand ergriff. »Kennst du mich? Kennst du mich wieder?«

Die Squaw antwortete nicht.

»Tokbela, ich bin deine Schwester, deine Schwester Tehua!«

»Tehua!« hauchte die Wahnsinnige, doch ganz ausdruckslos.

»Sieh mich an! Sieh mich an! Du mußt mich doch wieder erkennen!«

Sie blickte aber gar nicht auf.

»Sagt den Namen Eures jüngsten Sohnes!« flüsterte ich Kolma Puschi zu.


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»Tokbela, horch!« sagte sie. »Fred ist da. Fred Bender ist hier!«

Da richtete die Irre den Blick auf sie, sah ihr lange, lange, leider verständnislos, in das Gesicht und wiederholte aber doch den Namen:

»Fred Bender --- Fred Bender!«

»Kennst du Etters, Daniel Etters?«

Sie schüttelte sich und antwortete:

»Etters --- Etters --- böser Mann - sehr böser Mann!«

»Er hat unsern Wawa Derrick ermordet! Hörst du? Wawa Derrick?«

»Wawa Derrick! Wo ist mein Myrtle-wreath, mein Myrtle-wreath?«

»Der ist weg, fort; aber ich bin hier, deine Schwester Tehua Bender.«

Da kam doch ein wenig Leben in das Auge der Squaw. Sie fragte:

»Tehua Bender? Tehua Bender? Das - - das ist meine Schwester.«

»Ja, deine Schwester! Sieh mich an! Schau mich an, ob du mich kennst!«

»Tehua - - Tehua - - Tokbela, Tokbela, die bin ich, ich, ich!«

»Ja, die bist du! Kennst du Fred Bender und Leo Bender, meine Söhne?«

»Fred Bender - - Leo Bender --- Fred ist mein, ist mein, mein!«

»Ja, er ist dein. Du hattest ihn lieb.«


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»Lieb - - sehr lieb!« nickte sie, indem sie freundlich lächelte. »Fred ist mein Boy. Fred --- auf meinem Arm --- an meinem Herzen!«

»Du sangst ihm gern das Wiegenlied.«

»Wiegenlied--- ja, ja, Wiegenlied---!«

»Dann holte dich unser Wawa Derrick mit ihm und Leo ab, nach Denver. Hörst du mich? Wawa Derrick brachte euch nach Denver!«

Dieser Name erweckte Erinnerungen in ihr, aber keine angenehmen. Sie schüttelte traurig den Kopf, legte die Hand auf denselben und sagte:

»Denver - - Denver --- da war mein Myrtle-wreath - in Denver.«

»Besinne dich; besinne dich! Sieh mich doch an; sieh mich doch an!«

Sie legte ihr die Hände an beide Seiten des Kopfes, drehte denselben so, daß die Irre sie ansehen mußte, und fügte hinzu:

»Sieh mich an und sag meinen Namen! Sag mir jetzt, wer ich bin!«

»Wer ich bin ---! Ich bin Tokbela, bin Tibo wete Elen!«

»Wer bist du - -?«

»Wer bist du - du - du - -?« jetzt sah sie die Schwester mit einem Blicke an, in welchem Bewußtsein und Wille lag; dann antwortete sie: »Du bist - - - bist ein Mann - - bist ein Mann.«

»Mein Gott, sie kennt mich nicht, sie kennt mich nicht!« klagte Tehua.

»Ihr fordert zu viel von ihr,« sagte ich. »Man


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muß abwarten, bis ein lichter Augenblick kommt; dann ist mehr Hoffnung vorhanden, daß sie sich besinnt; jetzt aber ist's vergebliches Bemühen.«

»Arme Tehua, arme, arme Schwester!«

Sie zog den Kopf der Squaw an ihre Brust und streichelte ihr die faltigen, hohlen Wangen. Diese Liebkosung war für die Unglückliche eine solche Seltenheit, daß sie die Augen wieder schloß und ihrem Gesichte einen lauschenden Ausdruck gab. Das dauerte aber nicht lange. Die Aufmerksamkeit verlor sich schnell und machte der seelenlosen Leere Platz, welche gewöhnlich auf diesem Gesicht zu finden war.

Da beugte sich Apanatschka zu seiner Mutter hinüber und fragte:

»War Tokbela schön, als sie jung war?«

»Sehr schön, sehr!«

»Ihr Geist war damals stets bei ihr?«

»Ja.«

»Und war sie glücklich?«

»So glücklich wie die Blume auf der Prairie, wenn die Sonne ihr den Tau aus dem Angesichte küßt. Sie war der Liebling des Stammes.«

»Und wer nahm ihr ihr Glück, ihre Seele?«

»Thibaut, der dort am Baume hängt.«

»Das ist nicht wahr!« rief dieser, der natürlich jedes Wort gehört hatte, welches gesprochen worden war. »Ich habe sie nicht wahnsinnig gemacht, sondern Euer Bruder ist's gewesen, als er unsere Trauung unterbrach. Ihm müßt Ihr die Vorwürfe machen, aber nicht mir!«

Da stand Schahko Matto auf, stellte sich vor ihn hin und sagte:


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»Hund, wagst du noch, zu leugnen! Ich weiß nicht, wie die Bleichgesichter fühlen und wie sie sich lieben, aber wenn du dieser Squaw niemals begegnet wärest, so hätte sie ihre Seele nicht verloren und wäre so glücklich geblieben, wie sie vorher war. Es erbarmt mich ihr Auge, und ihr Gesicht thut mir weh. Sie kann dich nicht anklagen und keine Rechenschaft von dir fordern; ich werde es an ihrer Stelle thun. Gestehst du, uns damals betrogen zu haben, als wir dich als Gast bei uns aufgenommen hatten?«

»Nein!«

»Hast du unsere Krieger mit ermordet?«

»Nein!«

»Uff! Du wirst meine Antwort auf dieses Leugnen gleich zu hören bekommen!«

Der Osage trat zu uns und fragte:

»Warum wollen meine Brüder diesen Menschen mit hinauf nach dem Devils-head nehmen? Brauchen sie ihn da oben?«

»Nein,« antwortete Winnetou.

»Ist er euch notwendig in irgend einer andern Weise?«

»Nein.«

»So hört, was Schahko Matto euch zu sagen hat! Ich bin mit euch hierhergeritten, um, zu rächen, was damals an uns verübt worden ist. Wir haben Tibo taka gefangen, und wir werden auch den General ergreifen. Ich bin bisher zu allem still gewesen. Jetzt weiß ich, daß ich den General nicht bekommen kann, weil die Rache anderer größer als diejenige der Osagen ist. Dafür will ich diesen Tibo taka haben; ja, ich will und muß ihn


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haben, heut, gleich jetzt! Ich will ihn nicht töten, wie man einen Hund abschlachtet. Ich habe gesehen, wie ihr handelt und daß ihr selbst demjenigen, welcher den Tod verdient, Gelegenheit gebt, für sein Leben zu kämpfen. Er gehört mir; ich sage es; aber er soll sich wehren dürfen! Beratet darüber! Überlaßt ihr mir ihn, so mag er mit mir kämpfen; seid ihr aber nicht damit einverstanden und wollt ihn schützen, so erschieße ich ihn, ohne euch zu fragen. Ich gebe euch eine Viertelstunde Zeit. Thut, was ihr wollt; aber ich halte mein Wort! Soll ich nicht mit ihm kämpfen, so erschieße ich ihn! ich habe gesprochen. Howgh!«

Er ging ein Stück zur Seite und setzte sich dort nieder. Sein Antrag kam uns ganz unerwartet. Er mußte ernst, sehr ernst genommen werden, denn wir waren fest überzeugt, daß er jedes seiner Worte einlösen werde. Der Fall war sehr einfach: Erlaubten wir den Kampf nicht, so war Thibaut in einer Viertelstunde eine Leiche; erlaubten wir ihn, so konnte er sich wehren und sein Leben retten. Unsere Verhandlung war also kurz; sie dauerte kaum fünf Minuten; der Kampf sollte stattfinden. Thibaut weigerte sich freilich, darauf einzugehen; als er aber merkte, daß es dem Osagen Ernst mit dem Erschießen war, fügte er sich. In Beziehung auf die Waffen war Schahko Matto stolz genug, die Wahl seinem Gegner zu überlassen; dieser entschied für die Kugel. Es sollte jeder drei Schüsse auf Winnetous Kommando haben, mehr nicht; die Schüsse waren zu gleicher Zeit abzugeben, und zwar auf die Entfernung von fünfzig Schritten.

Ich steckte draußen im Thale diese Distanz ab; dann wurde an jedem Endpunkte der Linie ein Feuer angezündet, damit das Ziel gesehen werden könne. Wir banden


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Thibaut die Hände los; an die Füße bekam er einen Riemen, der ihm bequem zu stehen, auch langsam zu gehen, aber nicht zu fliehen erlaubte. Hierauf gaben wir ihm sein Gewehr und drei Kugeln und führten ihn an seinen Platz. Wir waren natürlich alle auf dem Plane; nur die Squaw war am Lagerfeuer sitzen geblieben.

Als Winnetou das Zeichen gab, fielen die beiden Schüsse fast wie einer; keiner hatte getroffen. Thibaut lachte höhnisch auf.

»Lacht nicht!« warnte ich ihn. »Ihr kennt den Osagen nicht! Habt Ihr für den Fall Eures Todes einen Wunsch? Habt Ihr einen Auftrag, den wir ausführen können?«

»Ich wünsche, daß, wenn ich erschossen werde, auch euch alle der Teufel holen möge!«

»Denkt an die Squaw!«

»Denkt Ihr an sie; mich geht sie nichts mehr an!«

»Well! Jetzt eine Frage: Der General ist Dan Etters?«

»Fragt ihn selbst, nicht mich!«

Er legte das Gewehr wieder an; Winnetou gab das Zeichen und die Schüsse krachten. Thibaut wankte, griff mit der Hand nach der Brust und sank nieder. Winnetou beugte sich zu ihm nieder und untersuchte seine Wunde.

»Wie auf zwei Schritte getroffen, genau in das Herz; er ist tot,« sagte er.

Der Osage kam langsamen Schrittes herbei, sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen, ging zum Lagerfeuer und setzte sich dort nieder. Er war wieder nicht getroffen


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worden; wir aber hatten wieder ein Grab herzustellen, eine Arbeit, an welche sich Hammerdull und Holbers auf der Stelle machten. Die Squaw ahnte nicht, daß sie jetzt Witwe war; der Verlust, welcher sie jetzt betroffen hatte, war aber jedenfalls mehr ein Gewinn für sie.

Über die nun folgende Nacht kann ich hinweggehen; es geschah nichts, was ich erwähnen müßte; am Morgen brachen wir ebenso zeitig wie gestern auf. Apanatschka ritt neben seiner Mutter und sprach sehr viel mit ihr, doch möchte ich, falls der Ausdruck gestattet ist, sagen, daß das eine einsilbige Gesprächigkeit war. Er zeigte sich bedrückt. Es war ihm doch nicht gleichgültig, daß Tibo taka, den er für seinen Vater gehalten hatte, eines solchen Todes hatte sterben müssen. Dieses Bedrücktsein machte ihm alle Ehre!

Wir befanden uns jetzt aller Vermutung nach am Anfange des Endes, und unser Ritt wurde, je weiter wir kamen, ein desto gefährlicherer. Es war anzunehmen, daß der General uns möglichst viele Fallen gelegt habe. Es gab Orte genug, an denen wir vorüber mußten, welche zu Verstecken geeignet waren, aus denen auf uns geschossen werden konnte; aber es geschah nichts derartiges. Entweder dachte er nicht, daß wir heut kämen, oder er hatte sich den Streich gegen uns bis oben an der Foam-Kaskade oder am Devils-head aufgespart.

Um kurz zu sein, will ich nur bemerken, daß wir gegen Abend in der Nähe der Foam-Kaskade ankamen. Man denke sich den berühmten Staubbach des Lauterbrunner Thales in der Schweiz, nur den Felsen nicht ganz so hoch und den herabstürzenden, sich in Staub auflösenden Bach von dreifacher Stärke, so hat man ein Bild


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von der Foam-Kaskade im Parke von San Louis. Hoch oben die Felsen mit Wald gekrönt und auch unten der tiefe Grund fast ganz mit Fels und Wald bedeckt. Es war ein Chaos von Steingetrümmer, von einem schier undurchdringlichen Wipfeldache überwölbt. Sobald wir uns unter diesem Dache befanden, wurde es tief dämmerdunkel um uns her.

»Wo geht der Weg von hier nach dem Devils-head?« fragte ich Kolma Puschi, »dort haben wir die Utahs zu suchen.«

»Hier links durch den Wald und dann die Felsen sehr steil hinauf,« antwortete sie. »Bereiten euch die Utahs Sorge?«

»Nein; doch müssen wir natürlich wissen, wo sie sind.«

»Ich gehöre noch heute zu ihnen und werde mit ihnen sprechen. Wenn ich bei euch bin, habt ihr nichts von ihnen zu fürchten.«

Wir hatten ihr natürlich unser Zusammentreffen mit Tusahga Saritsch und seinen Kriegern erzählt.

»Wir fürchten uns, wie gesagt, nicht vor ihnen, und ich möchte mich doch lieber nicht auf Eure Vermittelung verlassen,« sagte ich.

»Warum nicht?«

»Sie haben schon selbst eine Rache auf uns und hierzu dem >Generale< ihre Hilfe gegen uns versprochen. Das sind zwei Instanzen gegen uns, während Ihr nur eine, nämlich Euern Einfluß, für uns aufbieten könnt. Im besten Talle giebt es eine lange Verhandlung, während welcher der General uns vielleicht gar entkommt.


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Nein, nein; wir verlassen uns lieber ganz auf uns selbst!«

»So kommt! Ich kenne den Wald und jeden einzelnen Felsen und werde euch führen.«

Sie ritt voran, und wir folgten ihr im Indianermarsche wohl eine halbe Stunde lang, bis es so dunkel wurde, daß wir absteigen und die Pferde führen mußten. Draußen war es wohl erst Dämmerung, im tiefen Walde hier aber schon vollständig Nacht. So ging es weiter und immer weiter, eine schier endlose Zeit, wie uns deuchte. Da hörten wir vor uns das Wiehern eines Pferdes und hielten an.

Wem gehörte dieses Pferd? Das mußten wir wissen. Die Gefährten mußten stehen bleiben, und wir, nämlich Winnetou und ich, wie gewöhnlich, gingen weiter. Es wurde schon nach kurzer Zeit vor uns heller; der Wald hörte auf, und nur wenige Schritte davon öffnete sich die Felsenwand, um einen schmalen Pfad sehen zu lassen, welcher sehr steil emporführte. Das war jedenfalls der Weg nach dem Devils-head. Auf dem lichten Raum zwischen ihm und dem Walde lagen die uns nur zu wohlbekannten Capote-Utahs als Wächter vor dem Felsensteg. Wenn wir nach dem Devils-head wollten, mußten wir hierherkommen; das wußten sie, und darum hatten sie sich da gelagert, um uns abzufangen. Diese kurzsichtigen Menschen! Sie konnten sich doch denken, daß wir ihnen nicht schnurstracks in die Hände reiten, sondern rekognoszieren würden!

Der »General« war nicht bei ihnen; dafür aber sahen wir jemand, der nicht zu ihnen gehörte, nämlich unsern Old Surehand! Es war also doch eingetroffen, was wir


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beide uns gedacht und vorhergesagt hatten: sie hatten ihn wieder festgenommen! Warum hatte er uns verlassen, anstatt nur die kurze Nacht noch zu warten! Ich war in diesem Augenblicke zornig auf ihn.

»Dort steht er nun am Baume, festgebunden und ein Gefangener wie vorher!« sagte ich. »Mein Bruder mag auf mich warten!«

»Wohin will Old Shatterhand gehen?« fragte er.

»Ich will die Gefährten holen.«

»Ihn zu befreien?«

»Ja. Und wenn der Häuptling der Apatschen nicht mitmacht, so springe ich allein mitten unter die roten Kerls hinein. Diese Geschichte muß ein Ende nehmen. Ich habe das ewige Anschleichen satt!«

»Uff! Winnetou wird natürlich sehr gern mit dabei sein!«

»So werden wir die Pferde in ein Versteck führen und dann kommen. Bleib du einstweilen hier!«

Ich eilte zurück, denn es war keine Zeit zu verlieren. Was wir thun wollten, mußte geschehen, so lange es noch hell war.

Ein Versteck für die Pferde war hier, wo das Terrain aus lauter Verstecken bestand, rasch gefunden; wir ließen Treskow als Wächter dort und gingen dann zu Winnetou, welcher indessen seinen taktischen Gedanken nachgehangen hatte. Die andern wurden, weit auseinandergezogen, in einem Halbkreise rund um die Roten aufgestellt, und nachdem sie ihre Weisungen erhalten hatten, konnten wir den Streich, der freilich beinahe ein Schwabenstreich war, beginnen. Ich hatte keine Geduld


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mehr. Mein Zorn wollte und mußte sich bethätigen, und Winnetou, der gute, war so nachsichtig gewesen, mich nicht durch Widerspruch noch mehr aufzubringen.

Der Häuptling saß natürlich, um ihn unter den eigenen Augen zu haben, ganz in der Nähe des Gefangenen. Die Roten waren still; keiner sprach ein Wort. Da waren wir beide plötzlich unter ihnen. Winnetou schnitt in einem Nu die Fesseln Old Surehands durch, und ich faßte den Häuptling mit einer Hand beim Halse und gab ihm die andere Faust auf den Schädel, daß er zusammmensank. Die Indsmen sprangen auf, griffen zu den Waffen und erhoben ihr Kriegsgeheul. Ich richtete aber schon den Lauf des Stutzens auf den Kopf des Häuptlings und überbrüllte sie:

»Seid sofort still, sonst schieße ich Tusahga Saritsch in den Kopf!«

Sie schwiegen.

»Rührt euch nicht!« fuhr ich fort. »Wenn ein Einziger die Waffe auf uns richtet, ist es des Häuptlings Tod. Es wird ihm und euch nichts geschehen, wenn ihr Frieden haltet. Ihr seid von uns eingeschlossen, und wir können euch niederschießen; daß wir es dennoch nicht thun wollen, wird euch gleich Kolma Puschi sagen!«

Die Genannte trat unter den Bäumen hervor. Bei ihrem Anblicke nahmen die Utahs eine beruhigendere Haltung an. Sie sprach zu ihnen so, wie es den Umständen angemessen war, und brachte es zu unserer Freude so weit, daß die Roten uns vorläufig ihre Waffen ablieferten. Ihr Einfluß war wirklich größer, als ich gedacht hatte. Den Häuptling banden wir.

Das erste war natürlich, daß wir nach dem Generale


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fragten. Er war nach dem Devils-head geritten und wollte morgen am Vormittage wiederkommen. Dennoch schickte ich sofort den Osagen ein Stück den Felsenpfad hinan, um denselben zu bewachen und dafür zu sorgen, daß wir nicht von Douglas-Etters überrascht würden. Dieser mußte durch diesen Engpaß kommen, weil es keinen andern Weg gab, wie Kolma Puschi sagte.

Man kann sich denken, was der Häuptling für Augen machte, als er wieder zu sich kam und Old Surehand frei, sich aber gebunden sah! ich hatte dafür gesorgt, daß er für unser Interesse gewonnen wurde. Kolma Puschi saß bei ihm und klärte ihn auf. Sie erzählte ihm, was der General alles an ihr verbrochen hatte, denn ich war nun gezwungen gewesen, ihr zu versichern, daß dieser kein anderer als Dan Etters sei. Sie sagte ihm auch, daß sein jetziger Verbündeter damals ihren Bruder erschossen und sie auf dessen Grabe festgebunden habe. Damit gewann sie ihn schon mehr als halb für sich und uns; als sie ihm aber in meinem Auftrage mitteilte, daß wir eigentlich gekommen seien, den schauderhaften Tod Old Wabbles und der Tramps an den Utahs zu rächen, von dieser Rache aber absehen würden, falls sie sich von dem Generale ab- und uns zuwendeten, da erklärte er so laut, daß wir es alle hörten:

»Wenn ihr uns das versprecht, werden wir ihn nicht länger beschützen; aber wir haben ihm versprochen, seine Brüder zu sein, und darauf habe ich das Kalumet mit ihm geraucht; darum ist es uns verboten, seine Feinde zu sein. Es ist uns also nur möglich, das zu thun, was ich euch sagen werde: Wir entfernen uns jetzt gleich von hier und ziehen durch den Wald zurück bis in den Park hinaus; am Morgen reiten wir dann weiter. Ihr seid


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also Herren dieses Weges, auf welchem er kommen muß, und könnt ihn ergreifen und mit ihm machen, was euch beliebt. Tusahga Saritsch hat gesprochen. Howgh!«

Weder Winnetou noch ich glaubte, ihm ganz trauen zu dürfen, aber Kolma Puschi stand für ihn ein, und so bedachten wir uns nicht lange und nahmen seinen Vorschlag an. Noch war keine halbe Stunde vergangen, so zogen sie, ihre Pferde führend und mit Feuerbränden in den Händen, durch das Dunkel des Waldes ab, und wir gaben ihnen Kolma Puschi mit, welche uns nach ihrer Rückkehr meldete, daß die Utahs wirklich fort seien und keine hinterlistige Absicht gegen uns hegten. Nun löschten wir das Feuer aus und legten uns schlafen; die Wache im Engpasse wurde aber die ganze Nacht unterhalten. Old Surehand schien, ohne gefragt zu werden, uns nicht sagen zu wollen, wie er wieder in die Hände der Utahs geraten war; wir aber wollten ihn nicht durch Fragen kränken, und so wurde die Sache totgeschwiegen.

Wir warteten fast den ganzen Vormittag, ohne daß der General kam; da stieg der Gedanke in uns auf, daß wir von den Utahs belogen worden seien. Es war ja möglich, daß er gar nicht nach dem Devils-head geritten war. Es blieb uns keine andere Wahl: wir mußten hin.

Es war das zu Pferde ein außerordentlich schwieriger Weg. Harbour hatte recht gehabt, als er ihn als solchen beschrieb. Es ging immer zwischen ganz engen Felsenwänden oder an Abgründen hin, Kolma Puschi als Führerin voran. Wir mußten die größten Anforderungen an unsere Pferde stellen. Wir waren schon über zwei Stunden so geritten, als Kolma Puschi sagte, daß es nur noch eine gute halbe Stunde dauern werde. Kaum hatte


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sie das gesagt, so ertönte vor uns ein Ruf. Wir sahen einen Reiter, welcher um eine Biegung herum uns entgegen kam; es war der General. Sein erster Ruf hatte unserer Führerin gegolten, an welcher sein Auge voll Entsetzen hing. Dann erblickte er mich, der ich hinter ihr ritt.

»Alle tausend Donnerwetter, Old Shatterhand!« schrie er auf.

Er lenkte sein Pferd um, wozu er grad noch Raum hatte, und verschwand.

»Ihm nach! Rasch, schnell! Was das Pferd laufen kann!« rief ich Kolma Puschi zu. »Wenn er uns jetzt entkommt, sehen wir ihn nie wieder!«

Sie spornte ihr Pferd an, und nun begann eine so halsbrecherische Jagd, daß mir noch jetzt graust, wenn ich daran denke. Wir waren hinter ihm; aber er trieb sein Pferd zu rasender Eile. Bald sahen wir ihn und bald nicht, je nachdem der Weg in gerader Richtung ging oder sich krümmte. Winnetou folgte mir. Noch nicht eine Viertelstunde hatte diese Hetze gedauert, so öffnete sich der Engweg auf einen breiten Querpaß. Der General lenkte rechts um. Kolma Puschi folgte ihm, drehte sich aber um und rief mir zu:

»Einige nach links, ihm entgegen!«

Ich lenkte also nach dieser Richtung und bedeutete Winnetou:

»Du wieder rechts! Wir zwei sind genug!.«

Die beiden Wege führten, wie aus Kolma Puschis Verhalten zu schließen war, später jedenfalls wieder zusammen, und so mußten wir den Flüchtling zwischen uns bekommen. ich ritt so schnell, wie der Weg es erlaubte,


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wieder zwischen Felsen hin, welche höher und immer höher wurden, und nahm, um für alles gerüstet zu sein, den Stutzen in die Hand.

Jetzt erreichte ich eine Stelle, wo links ein tiefer Abgrund gähnte und rechts eine tief eingeschnittene, natürliche' Schneuße fast gradlinig in die Höhe führte. Da hörte ich den Galopp eines Pferdes, welches mir entgegenkam. Es erschien um die Rundung, der Reiter war der General. Er sah den Abgrund an der Seite, mich mit dem Gewehre vor sich und stieß einen gräßlichen Fluch aus. Fast noch im Galoppe, warf er sich vom Pferde herunter und sprang in die Schneuße. Ich konnte ihn erschießen, wollte ihn aber lebendig haben. Da erschienen auch zunächst Winnetou und Kolma Puschi, welche, wie ich auch, ihre Pferde parierten.

»Hier hinauf ist er!« rief ich. »Kommt nach, kommt nach!«

»Das ist das Devils-head,« antwortete Kolma Puschi. »Da giebt es keinen andern Weg als diesen. Er ist unser!«

Nun ging ein Klettern los, welches einem Gemsjäger Ehre gemacht hätte. Der General war uns nur wenig voraus. Sein Gewehr hinderte ihn; er warf es fort. Ich hatte nur den Stutzen übergehängt, den Bärentöter aber unten gelassen. So arbeiteten wir uns höher und immer höher. Die Schneuße wurde enger und hörte da auf, wo ein schmaler Steinsims seitwärts führte. Auf diesem klimmte der General weiter; ich folgte ihm. Es war zum Schwindeln. Der Sims hatte eine Unterbrechung; es galt einen Sprung von fast Manneslänge. Der Flüchtling wagte ihn in seiner Angst; er erreichte


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auch den jenseitigen Stein; aber dieser hing nicht fest mit der Felsenmauer zusammen; er brach los und stürzte, verschiedentlich aufpolternd, mit dem Generale in die Tiefe. Ich wendete mich zurück.

»Kehrt um; er ist abgestürzt!« rief ich nun den beiden zu.

Nun ging es mit ebenso großer Hast den Weg zurück, auf welchem wir heraufgeklettert waren. Unten angekommen, sprangen wir auf die Pferde und jagten zurück. Nach kurzer Zeit schon sahen wir unsere Kameraden. Sie standen bei einem Haufen abgestürzter Felsentrümmer. Der Stein hatte andere, noch viel größere, auch nicht fest eingefugte Stücke, mit herabgerissen, und unter dem größten dieser Stücke, welches sicher vierzig Zentner wog, lag der General. Sein Oberkörper, von den Rippen an, war frei; die untere Hälfte lag unter dem Steine, jedenfalls zu Mus zermalmt. Er fühlte jetzt nichts; er hatte das Bewußtsein verloren.

»Mein Himmel!« rief ich aus. »Genau wie Old Wabble! Der Unterleib eingepreßt! Welch eine Vergeltung!«

»Und hier! Seht her!« sagte Kolma Puschi, indem er auf die Felswand deutete. »Was seht Ihr da? Was steht da zu lesen, von meiner Hand eingegraben?«

Wir sahen Figuren, zwischen ihnen ein Kreuz, und unter diesem stand zu lesen: An dieser Stelle wurde der Padre Diterico von J. B. aus Rache an seinem Bruder E. B. ermordet. Darunter war eine Sonne mit den Buchstaben E. B. zu sehen. Es lief mir kalt über den Rücken. Ich fragte Kolma Puschi:


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»Ist das das Felsengrab?«

»Ja. Diese Unterschrift ist mein Name E. B. Emily ist nämlich mein christlicher Name. Dieser Mann liegt grad auf dem Grabe meines Bruders, genau da, wo er mich damals festgebunden hatte, und wo ich im Kampfe mit ihm meinen Trauring verlor.«

»Einen Trauring? Ist es dieser?«

Ich zog den Ring vom Finger und reichte ihn ihr. Sie sah ihn an, las die innere Schrift und rief jubelnd aus:

»E. B. 5. VIII 1842. Er ist's; er ist's! Meinen Ring habe ich wieder, meinen Ring! Wo habt Ihr ihn her, Mr. Shatterhand?«

»Dem General abgestreift, als er in Helmers Home am Rande des Llano estacado fünfzig Hiebe aufgezählt bekam.«

»Welch ein Zufall, - welch ein Zufall!«

»Das ist kein Zufall,« sagte da Old Surehand. »Wer hier nicht zu der Erkenntnis kommt, daß es einen Gott giebt, und wer hier nicht glauben und nicht beten lernt, der ist ewig verloren! Ich glaubte und betete lange, lange Jahre nicht mehr; jetzt habe ich es aber wieder gelernt.«

»Die Belohnung wird auch gleich folgen,« sagte ich. »Sagt mir nun endlich einmal aufrichtig, seit wann Ihr nicht mehr gebetet habt!«

»Seit mein Pflegevater Wallace mir erzählte, was sich in meiner Familie erreignet hat. Seit jener Zeit suche ich nach meiner Mutter, nach ihrem Bruder und ihrer Schwester.«


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»Und warum seid Ihr jetzt hier herauf?«

»Es wurde bei Wallace ein Brief für mich abgegeben, der mich für den sechsundzwanzigsten September nach dem Devils-head bestellte; ich sollte aber keinem einzigen Menschen etwas davon sagen.«

»Dieser Brief war von dem Generale hier. Er hat Euch im Llano erkannt und nach Euch geforscht. Er wollte Euch verderben; er lockte Euch hierher, um Euch wahrscheinlich zu ermorden.«

»Dieser General hier? Was hat denn der mit diesen Angelegenheiten zu thun?«

»Dieser General ist Dan Etters, den Ihr suchtet.«

»Dan Etters ---?! Herrgott, ist's wahr?«

»Ja. Ich kann es Euch sogleich beweisen. Ihr habt doch auch gute Westmannsaugen. Seht doch seinen Mund! Er steht weit offen, und hier---!«

Ich griff dem Zermalmten in den Mund und zog die künstliche Gaumenplatte mit zwei Oberzähnen heraus.

»Das sind falsche Zähne,« fuhr ich fort. »Seht Ihr nun die Zahnlücken?«

Welch ein Erstaunen gab das jetzt! Ich ließ sie aber nicht zu Worte kommen und sprach weiter:

»Ich sprach davon, daß der Lohn für Eure Umwandlung schon gegeben sei. Ihr heißet Leo Bender, und hier steht Eure Mutter.«

Die hierauf folgende Scene ist unmöglich zu schildern. Ich wurde umdrängt, gefragt, gedrückt --- ; ich floh davon und blieb fort, bis ich einen langgezogenen, ganz entsetzlichen Schrei hörte, der mich zurücktrieb. Dan Etters war zur Besinnung gekommen und ließ ein Brüllen hören,


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gegen welches dasjenige Old Wabbles ein Pianissimo war. Es war mit ihm kein Wort zu reden; er hörte nicht; er brüllte nur, nicht wie ein Löwe, sondern wie eine Schar wilder Tiere, in allen Höhen- und Tiefenlagen. Es war nicht auszuhalten. Wir mußten uns entfernen. Geholfen konnte ihm nicht werden, denn es war vollständig unmöglich, den Fels zu heben, um ihn unter demselben hervorzuziehen. Er mußte an Ort und Stelle sterben, grad so wie er da lag, am Schauplatze seiner Mordthat. Später, als wir ihn nicht mehr hörten, gingen wir wieder hin. Da hatte er die Zähne fest zusammengebissen und starrte uns mit unbeschreiblich tierischen, nein, viehischen Augen an.

»Dan Etters, hört Ihr mich?« fragte ich ihn.

»Old Shatterhand! - Sei verdammt!« antwortete er.

»Habt Ihr einen Wunsch?«

»Verdammt in alle Ewigkeit, du Hund!«

»Der Tod hält Euch gepackt. Ich möchte mit Euch beten!«

»Beten? Hahahahaha! Willst du nicht lieber - «

Es war gräßlich, unmenschlich, was er sagte!

Ich fragte trotzdem weiter; andre fragten, baten, ermahnten und warnten ihn. Er hatte nur Flüche und Lästerungen zur Antwort. Um nicht das Allerschlimmste hören zu müssen, gingen wir fort. Da begann er, wieder zu brüllen. Was für Schmerzen mußten das sein, die ihm ein solches Geheul entlockten! Und doch ließ er sich nicht durch sie zur Reue führen; er wurde nur noch verstockter.


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Wir nahmen unser Lager so weit von ihm, daß wir sein Geschrei nur wie ein fernes Windsgeheul hörten. Dort wurde nun erzählt, den Rest des Nachmittages, den Abend und die ganze Nacht hindurch; wovon und worüber, das läßt sich ja denken. Es gab noch gar manche Frage und manches Rätsel; aber derjenige, der sie lösen und beantworten konnte, war teuflisch genug, uns alle Auskunft zu verweigern, Dan Etters nämlich. Er wurde des Abends und auch in der Nacht öfters aufgesucht, aber wir erhielten nur Flüche und höhnisches Gelächter zur Antwort. Sogar mit Wasser erquicken ließ er sich nicht; als ich versuchte, dies zu thun, spie er mir in das Gesicht. Dann brüllte und heulte und lästerte er wieder längere Zeit, bis wir am Morgen fanden, daß er gestorben war, gestorben nicht wie ein Mensch, sondern wie - wie -wie, es fehlt mir jeder Vergleich; es kann kein toller Hund, kein Vieh, auch nicht die allerniedrigste Kreatur so verenden wie er. Old Wabble war ein Engel gegen ihn. Wir haben ihn liegen lassen, so wie er lag, und einen Steinhügel darüber gehäuft. Kann Gott seiner armen Seele gnädig sein? Vielleicht doch - doch - - doch --- doch!

 

Und nun das Ende, lieber Leser? Ich weiß, du möchtest recht ausführliche Auskunft über jede einzelne Person haben, aber wollte ich sie dir geben, so würde ich mir vorgreifen und mich um die Freude bringen, dir in einem der folgenden Bände noch mehr von ihnen erzählen zu können. Nur über Tokbela muß ich dich beruhigen. Ihr Wahnsinn ist in eine stille Melancholie übergegangen, welche sie nicht hindert, an allem, was ihre


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Umgebung betrifft und bewegt, innigen Anteil zu nehmen. »Ihr Geist ist wieder bei ihr.«

Auch von Dick Hammerdull und Pitt Holbers wirst du noch hören. Diese beiden lieben Kerle nämlich --- doch ob sie sind, oder ob sie nicht sind, das ist ja ganz egal, wenn sie nur noch sind! --


Einführung zu "Old Surehand"


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