Lieferung 108

Karl May

9. August 1884

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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Reiches, gerettet hatte, triumphirend wieder in das Hochthal von Anahuak zurückbrachte und auf dem Plaza mayor von neuem aufpflanzte.

Die Republik war im ganzen Bereiche von Mexiko neu hergestellt und die Autorität des Präsidenten Juarez wurde wieder anerkannt. Der Kaisertraum war ausgeträumt und - der Kaiser selbst? Wir werden sehen.

Am fünfzehnten Mai berichtete General Eskobedo Folgendes an den Kriegsminister des Präsidenten in San Luis Potosi:

          »Lager vor Queretaro, am 15. Mai 1867.
Heute Morgen um drei Uhr haben die Truppen das Fort La Cruz genommen, indem sie den Feind an jenem Punkte überrumpelten. Kurz darauf wurde die Garnison des Platzes gefangen genommen und die Stadt durch unsere Truppen besetzt, während der Feind mit einem Theile der Seinigen sich auf den Cerro de las Campanas zurückzog, in großer Unordnung und von unserer Artillerie auf das Wirksamste beschossen. Schließlich, etwa um die achte Stunde, ergab sich mir Maximilian auf Discretion, ebenfalls auf dem erwähnten Cerro. Haben Sie die Güte, dem Bürger Präsidenten meine Glückwünsche zu diesem großen Triumphe der nationalen Sache darzubringen.
          General Eskobedo.«

In dieser Depesche ist allerdings der Verrath des Obersten Lopez nicht erwähnt, aber höhere republikanische Offiziere pflegten, wenn darauf die Rede kam, diese Angelegenheit mit der Bemerkung zu beseitigen: »Solche Leute benützt man und giebt ihnen dann einen Fußtritt.«

Kaum war die Kunde erschollen, daß der Kaiser gefangen sei, so vereinigten die Vertreter fast aller Mächte sich in der eifrigsten Anstrengung zur Rettung des Gefangenen. Allein der Zapoteke schien taub zu sein. Wie konnte er auf die Vorstellungen von Mächten hören, welche seine Erniedrigung geduldet und das Kaiserthum anerkannt hatten.

Der österreichische Gesandte in Washington wendete sich an die Regierung der Union mit der Bitte, die Begnadigung des Kaisers nachzusuchen, und diese Bitte wurde auch wirklich erhört. Aber der Zapoteke antwortete kurz:

»Ich gebe allerdings zu, daß der Prinz die Schuld eines Anderen büßt, welcher weit schuldiger ist als er selbst, aber seine Invasion war ein Attentat auf die Unabhängigkeit meines Volkes, und daher ist es unmöglich, ihn zu begnadigen. Sollen wir in ihm den Mittelpunkt aller feindseligen Machinationen bestehen lassen? Es mag der Republik zum Ruhme gereichen, des Gefangenen Leben zu schonen, aber mit dieser Ansicht ist gegen die Logik der Nothwendigkeit nicht aufzukommen.
          Juarez.«

Am einundzwanzigsten Mai hatte der Kaiser eine Zusammenkunft mit Eskobedo. Er entbot sich, abzudanken und verlangte dafür Leben und sicheres Geleit aus dem Lande für sich, seine deutschen Offiziere und Soldaten und ebenso für Mejia und seinen mexikanischen Privatsecretär. Miramon wurde ausgelassen.

Juarez verwarf alle diese Punkte. Er hatte die Ansicht, daß ein gefangener Kaiser ohne Land und Volk ganz überflüssig von Abdankung spreche.

Und doch that er noch einen Schritt, um Max zu retten. Er entzog näm-


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lich den gegen diesen gerichteten Proceß der gewöhnlichen Standrechtsübung und brachte denselben vor ein eigens zu diesem Zwecke bestelltes Kriegsgericht.

Er wollte dadurch Zeit gewinnen, damit die Leidenschaften sich indeß abkühlen sollten. Während dessen konnte er seinen Einfluß aufbieten, so daß von dem Kriegsgerichte nicht auf Tod, sondern auf einfache Landesverweisung erkannt worden wäre. Diese Absicht wäre wohl erreicht worden, allein grad Derjenige, welchen er retten wollte, arbeitete ihm entgegen.

Max nämlich setzte ein Schriftstück auf, in welchem er zu Gunsten des alten, schwachen Iturbida entsagte und die Herren Larez, Lakunza und Marquez zu Mitgliedern der Zwischenregierung ernannte, lauter Feinde des Präsidenten.

Außerdem wurden von verschiedenen Seiten Versuche unternommen, Max zu befreien. Dadurch wurde die Aufregung der Republikaner hochgradig erhalten und Juarez sah sich gezwungen, nun endlich auf Alles zu verzichten, was er zu Gunsten des Gefangenen hätte unternehmen können.

Das aus sieben Mitgliedern bestehende Kriegsgericht begann am dreizehnten Juni seine Sitzungen. Die Anklage lautete auf Verschwörung, Usurpation und das an den rechtmäßigen Vertheidigern begangene Verbrechen der Aechtung. Mitangeklagt waren Mejia und Miramon. Am vierzehnten Juni Nachts elf Uhr wurde gegen alle Drei der Todesspruch gefällt. Das Hauptquartier bestätigte dieses Urtheil, welches am sechzehnten vollzogen werden sollte, doch wurde den Verurtheilten noch eine weitere Frist von drei Tagen bewilligt, damit sie Zeit fänden, ihre Angelegenheiten zu ordnen.

Dieser Aufschub wurde von dem preußischen Geschäftsträger, Herrn von Magnus, schleunigst benutzt, um doch noch das Leben Maximilians zu retten. Er sendete folgenden Protest an die Regierung des Präsidenten Juarez:

          »An Seine Excellenz Sennor Sebastian Lerdo de Tejada.
Heute in Queretaro angekommen, werde ich mir klar, daß die am vierzehnten dieses Monats verurtheilten Gefangenen bereits am verflossenen Sonntag, den sechzehnten, moralisch gestorben sind. So wird die ganze Welt es ansehen, denn da alle Vorbereitungen für jenen Tag getroffen waren, so warteten sie eine ganze Stunde darauf, zum Richtplatze geführt zu werden, ehe der die Urtheilsvollstreckung aufschiebende Befehl ihnen angezeigt wurde. Der humane Geist unseres Zeitalters wird es nicht gestatten, daß sie, die einen so schrecklichen Todeskampf bereits bestanden haben, nun morgen zum zweiten Male zum Tode geführt werden sollen. Im Namen der Humanität und der Ehre beschwöre ich Sie, anzuordnen, daß ihnen das Leben nicht genommen werde, und ich wiederhole Ihnen nochmals meine sichere Ueberzeugung, daß mein Herrscher, Seine Majestät, der König von Preußen und alle gekrönten Häupter Europas bereitwilligst darauf eingehen werden, Eurer Excellenz jede Bürgschaft zu stellen, daß keiner der Gefangenen jemals wieder den mexikanischen Boden betreten wird.«

Es war zu spät. Die Antwort des Ministers lautete:

»Ich bedaure, Ihnen mittheilen zu müssen, daß, wie ich Ihnen schon vorgestern anzeigte, der Präsident der Republik nicht der Ansicht ist, daß es sich mit den großen Rücksichten auf die Gerechtigkeit und auf die Nothwendigkeit der


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Sicherstellung des zukünftigen Friedens der Republik vereinigen lassen, Maximilian von Habsburg zu begnadigen.«

Max hatte sich Tinte und Feder bringen lassen und schrieb in der letzten Nacht einen Brief an seine Frau und einen an seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Der erstere lautete:

          »Meine vielgeliebte Charlotte!
Wenn Gott es zuläßt, daß Du eines Tages genesest und diese Zeilen liest, so wirst Du die ganze Grausamkeit des Schicksals erkennen lernen, welches mich ununterbrochen schlägt seit Deiner Abreise nach Europa. Du hast mit Dir mein Glück und meine Seele fortgeführt. Warum habe ich Deine Stimme nicht gehört! - So viele Ereignisse, ach, so viele plötzliche Schläge haben die Fülle meiner Hoffnungen zerstört, so daß der Tod für mich eine glückliche Befreiung und keine Agonie ist. Ich werde glorreich fallen wie ein Soldat, wie ein besiegter König, nicht entehrt. - Wenn meine Leiden zu heftig sind, wenn Gott mich bald mit Dir vereinigt, so werde ich seine göttliche Hand segnen, welche uns schwer getroffen hat. Adieu, adieu!
          Dein armer Max.«

Diesem Briefe legte er eine Haarlocke bei, welche ihm die Frau seines Kerkermeisters abgeschnitten hatte. Er küßte sie und steckte sie in das bereits geschlossene Couvert.

Ganz verschieden nun war das Verhalten der beiden übrigen Gefangenen.

Der treue Mejia war in Beziehung auf sich ganz entzückt über das Todesurtheil. Er war ein Indianer, welcher eine Klage über körperliches Leid und Wehe gar nicht kennt und für den es der größte Ruhm ist, für seinen Freund, den er liebt, zu sterben.

Anders bei Miramon.

In jener Nacht des Ueberfalles war er erschrocken aufgewacht und hatte nach Oberst Lopez gesandt. Dieser war auch wirklich kurze Zeit darauf erschienen.

»Was geschieht? Welch ein Lärm ist das?« hatte Miramon gefragt.

Lopez hatte kaltblütig die Achsel gezuckt und geantwortet:

»Die Republikaner sind in der Stadt.«

»Alle Teufel! Sind sie Sturm gelaufen?«

»Nein.«

»Wie sind sie denn hereingekommen?«

»Niemand weiß es.«

»Wer führt sie an?«

»Velez.«

»Ich denke, daß er erst in drei Tagen kommt!«

»Er hat Ihnen nicht Wort gehalten, wie es scheint.«

Der Ton, in welchem diese Antworten gegeben wurden, hatte den General frappirt. Er hatte geahnt, was vorgegangen sei.

»Aber Ihnen hat er desto mehr Wort gehalten?«

»Das müßte man untersuchen.«

»Verräther!« hatte Miramon gezischt.

»Pah! Was sind denn Sie? Soll ich bekannt geben, was Sie mich


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beauftragten, mit General Velez zu verhandeln? Sie haben sich in Ihrer eigenen Schlinge gefangen und werden ganz dasselbe Schicksal erleiden, welches Sie dem Kaiser bereiten wollten.«

Damit war er davongegangen.

Miramon hatte sich bewaffnet, fand aber, daß aller Widerstand nutzlos sei. Er war, ebenso wie Mejia, mit dem Kaiser gefangen genommen worden.

Seit dieser Zeit saß er finster brütend in seinem Gefängnisse.

Er war ein Feind von Juarez gewesen, hatte diesen stürzen wollen und doch gefühlt, daß er nicht die Kraft besitze, dies allein zu vollbringen. In Mexiko einen Verbündeten zu finden, war ihm unmöglich gewesen und so war ihm der Gedanke gekommen, Juarez durch einen Fremden zu stürzen, dessen Herrschaft ja auch nur auf kurze Zeit berechnet sein könne - er hatte zu Denjenigen gehört, welche die Kaiserkrone gemacht und dem Erzherzog von Oesterreich gebracht hatten. Dieser Prinz war, wie das Werkzeug Napoleons, so auch das seinige gewesen.

Seit Maxens Einzug in Mexiko hatte Miramon für einen Anhänger desselben gegolten, war aber im Stillen bemüht gewesen, nur für sein eigenes Interesse zu handeln. In der Ueberzeugung der jedenfalls nur kurzen Dauer des Kaiserreiches hatte er im Trüben gefischt; aber seine Rechnung war an der Zähigkeit und Ausdauer von Juarez gescheitert. Diesen zu stürzen, hatte er Alles aufgeboten, aber es war ihm nicht gelungen. Seine letzte Falle war der Verrath an dem Kaiser gewesen - er hatte sich selbst in derselben gefangen.

Jetzt nun sah er ein, daß Alles verloren sei. Einen einzigen Hoffnungsstrahl hatte er zu sehen geglaubt, die Begnadigung des Kaisers. Wäre diese ausgesprochen worden, so hätte man auch die Generäle Dessen, den man Usurpator nannte, nicht tödten können. Es wäre nur eine Verbannung ausgesprochen worden, welche Miramon Gelegenheit gegeben hätte, seine feindselige Rolle von neuem aufzunehmen.

Dieses war es, was jedenfalls auch mit in Betracht gezogen wurde, als der Gedanke an die Begnadigung des Kaisers zur Sprache kam. Man hätte nicht nur in Max einen immerwährenden Prätendenten der mexikanischen Herrschaft gehabt, sondern es wären in Miramon und Consorten Männer am Leben geblieben, welche als ewige Ruhestörer eine stete Aufmerksamkeit erregt und eine immerwährende Sorge bereitet hätten.

Auch dies müssen Diejenigen bedenken, welche einen Schrei der Entrüstung ausstießen, als sie die Kunde von dem Tode des Kaisers vernahmen.

Also jetzt saß Miramon, aller, auch der letzten Hoffnung bar, im Gefängnisse. Nicht Reue war es, welche über ihn kam, sondern ein Gefühl des Hasses, der Wuth gegen Lopez, der ihn betrogen hatte. Und aus Rache gegen diesen Verräther ließ Miramon einen der Untersuchungsrichter kommen und vertraute ihm an, was Lopez gethan hatte.

»Zu welchem Zwecke sprechen Sie zu mir von dieser obscuren Angelegenheit?« fragte der Richter.

»Ich hege die Hoffnung, daß Sie meine Mittheilung dem Kaiser vermitteln werden,« antwortete Miramon.


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»Welchen Nutzen könnte er davon haben? Er hat nur noch wenige Stunden zu leben.«

»Den Nutzen, daß er wenigstens weiß, wem er sein gegenwärtiges Schicksal zu verdanken hat.«

»Er weiß dies bereits.«

»Ah, er hat von Lopez' Verrath gehört?«

Der Richter antwortete nicht gleich. Er hielt den strengen Blick auf Miramon gerichtet und antwortete dann:

»Er weiß allerdings, daß unsere Truppen nicht dadurch in die Stadt gekommen sind, daß sie Fort de la Cruz erstürmt haben.«

»Sondern, daß sie von einem der Unserigen verrätherischer Weise eingelassen worden sind?«

»Ja. Aber der Kaiser weiß auch, wie wir Alle, daß Lopez eigentlich nur das Werkzeug eines kaiserlichen Generals war.«

Miramon gewann es über sich, eine gleichgiltige Miene zu heucheln, und sprach:

»Das ist mir neu; das ist mir höchst unwahrscheinlich. Jedenfalls eine Erfindung von Lopez, um seine That zu beschönigen!«

»Sie irren! Es kann Lopez nicht einfallen, von dieser That zu sprechen, also hat er auch ganz und gar keine Gelegenheit, dieselbe zu beschönigen, wie Sie sich auszudrücken belieben.«

»Dennoch möchte ich den Namen Dessen kennen, in dessen Auftrage er gehandelt haben soll.«

»Sie kennen diesen Namen besser, als jeder Andere.«

»Ich?« fragte Miramon mit gut gespieltem Erstaunen.

»Ja, Sie, denn Sie sind es selbst.«

Da wollte Miramon zornig auffahren.

»Ich?« rief er. »Was fällt Ihnen ein!«

Der Richter machte eine abwehrende, verächtliche Handbewegung und meinte:

»Schweigen wir darüber.«

»Nein, Sennor, schweigen wir nicht darüber. Es kann nicht davon die Rede sein, daß ich einen so grassen, so entehrenden Vorwurf auf mir sitzen lasse.«

»Und dennoch wird er auf Ihnen sitzen bleiben. Wir kennen die Unterredung, welche Sie mit Lopez geführt haben, sehr genau.«

»Ich habe keine auf diesen Gegenstand bezügliche Unterredung mit ihm gehabt. Und selbst wenn eine solche stattgefunden hätte, wer könnte sie Ihnen verrathen haben?«

»Der, welcher zugegen war.«

»Also Lopez selbst!«

»Nein. Dieser wird sich hüten, ein Wort darüber zu verlieren!«

»Wer aber sonst?«

»Ich will es Ihnen sagen, obgleich ich dies nicht nothwendig habe. Der General, welcher mit Ihnen in heimliche Unterhaltung getreten war, ist als ein schlauer und vorsichtiger Mann bekannt - -«

»Welchen General meinen Sie?«

»Namen sind nicht nothwendig. Und überdies sind Sie ja wenigstens ebenso


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gut unterrichtet, wie ich selbst. Dieser Offizier wußte ganz genau, welche Gefahren ein solches geheimes Verhältniß mit sich bringen kann. Er mußte sich überzeugen, ob Sie es ehrlich meinten, und es gelang ihm, einen Mann zu gewinnen, welcher sich in Ihrer unmittelbaren Nähe zu befinden pflegte.«

»Alle Teufel! Wer ist das?« fragte Miramon zornig.

»Ich wiederhole, daß ich Namen nicht nenne.«

»So erkläre ich dieses ganze Gerücht für eine niederträchtige und armselige Lüge!«

»Diese Erklärung ist überflüssig. Der Betreffende hat Sie Tag und Nacht beobachtet und Wort für Wort jener Unterredung belauscht.«

»Und doch ist es eine Lüge!«

»Leugnen Sie nicht!« meinte der Richter in strengem Tone.

»Sennor!« brauste Miramon auf.

»Pah!« erklang es im Tone der Verachtung. »Ihr Zuruf kann nicht die mindeste Wirkung haben. Man weiß, was geschehen ist. Wenn man die drei Personen nach der Richtstätte führt, wird man Max bemitleiden, den treuen braven Mejia bewundern und Sie ver- ah, erlassen Sie mir, das Wort auszusprechen, welches Sie sich ja selbst sagen können.«

Dabei drehte sich der Richter um, und verließ das Gefängniß.

Miramon blieb in einer fürchterlichen Stimmung zurück.

»Ver- - - verachten, Sie aber wird man verachten, hat dieser Mensch gemeint. Das bietet er mir! O, wäre ich frei! Ich wollte diesen Creaturen des Zapoteken lehren, mich zu verachten!«

Er war unfähig, Reue zu fühlen, und auch der Zuspruch des Beichtvaters, welcher ihm gewährt worden war, brachte ihn nicht dazu.

Ein amerikanischer Bericht vom 30. Mai hatte gesagt:

»Morgen werden wahrscheinlich Maximilian und seine vornehmsten Generäle zum Tode durch Pulver und Blei verurtheilt werden.«

Man sieht aus diesem und ähnlichen Berichten, daß man über das Schicksal der Gefangenen selbst im Auslande nicht im Zweifel war. Eine jede Regierung besitzt das Recht, Denjenigen, welcher durch Gewalt oder List ihre Fundamente zu untergraben strebt, als Verräther und Empörer zu bezeichnen und zu bestrafen. Von diesem Standpunkte aus war das bereits allerwärts vorher geweissagte Todesurtheil ausgesprochen worden, und heute, am 19. Juni sollte dasselbe auf dem östlich vor der Stadt gelegenen Cerro de las Campanas vollzogen werden.

Max hatte die ihm von Curt gebotene Rettung verschmäht; er war nach dem Cerro geflohen und hatte damit aus eigener Entschließung den ersten Schritt in's Grab gethan.

Am Morgen des angegebenen Tages herrschte in Queretaro eine dumpfe Stille, obgleich kein Mensch schlief, sondern alle Welt wach und auf den Beinen war. Der Mexikaner pflegt sich überhaupt sehr früh vom Lager zu erheben, und so waren die Theile der Stadt, durch welche der Zug kommen mußte, bereits vor sechs mit Tausenden und Abertausenden bedeckt.

Bürger, Soldaten, Vaqueros zu Pferde und zu Fuße, Indianer und Weiße, Neger, Mestizen, Mulatten, Terzeronen, Quarteronen, Chinos, überhaupt Menschen


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in allen Farben und Trachten standen wartend auf den Plätzen, oder schoben sich in dichter Menge schweigend durch die Straßen, um die Hinrichtung eines Kaisers zu sehen.

Es war nicht das Gefühl wilder Befriedigung, welches aus den Augen dieser meist doch nur halb civilisirten Menschen leuchtete; nein, sondern in ihren ernsten Gesichtern sprach sich eine Theilnahme aus, welcher auch der Barbar dem Unglücke nicht versagen sollte.

Man redete nicht laut. Wo man sich unterhielt, da geschah es im leisen Flüstertone. Es war, als ob man sich in der Kirche oder in einem Trauerhause befinde.

Um sieben Uhr wurden die Gefangenen aus den Zellen ihrer verschiedenen Gefängnisse geholt.

Für einen Jeden war ein von einer starken Eskorte umgebener Wagen bestimmt und ein starkes Holzkreuz, an welches gelehnt, er die Kugeln empfangen sollte.

Auf dem Hauptplatze trafen die drei Wagen zusammen und fuhren dann langsamen Schrittes und von einer ungeheuren Menschenmenge gefolgt, nach dem Richtplatze.

Der Zug wurde von einer Schwadron Lanciers eröffnet. Dann kam die Musik, welche einen Trauermarsch spielte. Das Spalier bildete ein Bataillon Infanterie, das Gewehr im Arme, in zwei Reihen, jede vier Mann hoch.

Als der Zug die hohe Spitalpforte erreichte, warf Mejia einen herausfordernden Blick auf die Menge und rief mit lauter Stimme dem Kaiser zu:

»Majestät, geben Sie uns zum letzten Male ein Beispiel von Ihrem edlen Muth. Wir folgen Ihnen in Tod und Grab!«

Grad in diesem Augenblicke zogen die Franziskaner vorüber. Die beiden Vordersten trugen das Kreuz und das geweihte Wasser, die Anderen hielten Kerzen in den Händen.

Jeder der drei Särge, welche hinter den Verurtheilten folgten, wurde von vier Indianern getragen. Dann folgten die drei Hinrichtungskreuze nebst den Bänken.

In den Augen Maximilians lag während des ganzen Weges ein Ausdruck, den Niemand vergessen kann, der den verlassenen und verrathenen Kaiser in seiner letzten Stunde geschaut hat.

Sobald sein Wagen den Hauptplatz verlassen hatte, wendete er das große Auge mit unverwandtem Blicke nach Osten, wo die Heimath lag, und Alles, Alles, was er verlassen hatte, um einem Trugbilde zu folgen, welches ihn in das nun offene Grab führen sollte. Dort drüben über der See lag auch Miramare, wo die Kaiserin gestörten Geistes durch die Gemächer und die Gärten irrte, nichts von all der Herrlichkeit bemerkend, durch welche sich dieser Edelsitz vor tausend anderen auszeichnet.

Ein schmerzvolles Lächeln umspielte seine Lippen. Die eine blasse Hand lag ruhig auf dem Polster des Wagens, während die andere leise den schönen, langen Bart strich.

Als der Zug den Richtplatz erreichte, wurde die Menge zurückgehalten, und die Truppen bildeten ein Viereck, welches nach einer Seite offen blieb.


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Eskobedo, welcher die Exekution selbst befehligte, näherte sich mit seinem Stabe den drei Wagen und befahl den Gefangenen auszusteigen.

»Vamos nos à la libertad - sterben wir für die Freiheit!« sagte Max mit einem Blick in die aufgehende Sonne, die ihm zum letzten Male leuchten sollte. Dann zog er seine Uhr und ließ eine daran angebrachte Feder spielen. Es sprang ein Deckel auf, welcher das Miniaturportrait der Kaiserin Charlotte barg. Er küßte das Bild und reichte dann die Uhr dem Beichtvater mit der Bitte:

»Ueberbringen Sie dieses Andenken meiner geliebten Gattin in Europa. Sollte dieselbe Sie jemals verstehen können, so sagen Sie ihr, daß meine Augen sich schließen mit ihrem Bildnisse, welches ich mit nach oben nehme!«

Die Sterbeglocken hallten dumpf zusammen. An der dicken, äußern Kirchhofmauer hielten die Verurtheilten, denen ihre Plätze angewiesen wurden. Maximilian schritt in fester, aufrechter Haltung nach dem Holzkreuze und der Bank, welche man für ihn neben dem geöffneten Grabe aufgestellt hatte. Mejia that desgleichen. Miramon aber wankte. Sein Auge irrte wie nach Hilfe suchend über die Höhe und in die Ebene hinaus.

Jetzt wurden das Todesurtheil und die Gründe verlesen, und dann ertheilte man den Gefangenen die Erlaubniß, noch einmal zu sprechen. Miramon stammelte einige Worte. Mejia machte eine stolze Handbewegung als Zeichen, daß er auf diese Gnade verzichte. Aber der Kaiser ergriff die Gelegenheit, zum letzten Male auf Erden seine Stimme öffentlich hören zu lassen.

Man hat viel über seine letzten Worte gefabelt; man hat ihm Reden in den Mund gelegt, welche die Zeit einer ganzen Viertelstunde in Anspruch genommen hätte; sie sind erfunden. Nach authentischen Berichten trat er einen Schritt vor und sagte mit lauter, fester Stimme:

»Ich sterbe für eine gerechte Sache, die der Freiheit und Unabhängigkeit Mexikos. Möge mein Blut das Unglück meines neuen Vaterlandes auf immer besiegen! Es lebe Mexiko!«

Diese Worte fanden keinen Widerspruch, aber auch nicht den leisesten Wiederhall.

Nun wurden drei Pelotons herauscommandirt, ein jedes aus fünf Mann und zwei Unteroffizieren bestehend. Sie näherten sich den Verurtheilten bis auf drei Schritte.

Der Kaiser winkte den Feldwebel, welcher die Pelotons befehligte, zu sich heran, zog eine Hand voll Goldstücke hervor und sagte:

»Vertheilen Sie dies nach meinem Tode unter Ihre Leute und sagen Sie ihnen, daß sie nach meinem Herzen zielen sollen. Auf die Brust! Zielt nach meinem Herzen! Zielt gut!«

Der Feldwebel trat zurück und der Kaiser ebenso. Die geladenen Gewehre wurden erhoben. Miramon sank auf die Bank nieder, wo er zusammengesunken sitzen blieb. Die Franziskaner legten ihm die Arme kreuzweise über einander. Der Kaiser umarmte Mejia. Dieser erwiderte die Umarmung schluchzend und mit einigen Worten, welche Niemand verstehen konnte. Dann kreuzte der treue, tapfere General die Arme über die Brust, die Kugeln muthig erwartend.

Der Bischof trat hierauf zu Maximilian heran und sagte:


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»Majestät, geben Sie in meiner Person dem Lande und Volke von Mexiko den Kuß der Versöhnung. Mögen Sie im letzten Augenblicke Allen und Alles verzeihen!«

Max ließ sich umarmen und küssen. Er war tief erregt. Er wußte, was der Bischof meinte. Ein kurzer, innerer Kampf folgte, dann aber sagte er laut:

»Sagen Sie Lopez, daß ich ihm seinen Verrath verzeihe!«

Viele von den Umstehenden weinten und selbst Diejenigen, welche keine Thränen hatten, waren sichtlich gerührt. Was Eskobedo fühlte, konnte kein Mensch errathen. Sein Gesicht war ernst und unbeweglich. An ihn wendete Max sich jetzt mit den Worten:

»A la disposicion de usted - ich stelle mich zu Ihrer Verfügung!«

Bei diesen Worten lehnte er sich aufrecht an das Kreuz, welches für ihn bestimmt war. Der Feldwebel blickte auf Eskobedo. Dieser nickte mit dem Kopfe und gebot:

»Adelante - vorwärts!«

Die Schützen traten an. Ein entblößter Degen hob sich und die Gewehrläufe senkten sich, der Degen hob sich abermals, die Schüsse krachten, die Hörner gellten und die Trommeln wirbelten -

Der Kaiser fiel, durch das Herz getroffen, auf das Kreuz, an welches er sich gelehnt hatte. Man hob ihn auf und legte ihn sofort in den Sarg.

Miramon war schwerfällig in den Sand gerollt, aber todt. Mejia blieb stehen und fuchtelte mit den Armen in der Luft umher. Er war schlecht getroffen. Einer der Unteroffiziere trat ganz zu ihm heran, hielt ihm die Mündung seines Gewehres hinters Ohr und drückte ab. Dieser Schuß aus nächster Nähe streckte den treuen Mann zu Boden.

»Libertad y independencia - Freiheit und Unabhängigkeit,« erscholl es rund über die drei Särge hinweg.

Dies war die Grabrede, welche die mexikanische Nation dem todten Kaiser und seinen vornehmsten Generälen hielt. -

Am dreißigsten Juni erhielt der Kaiser von Oesterreich, welcher sich in München aufhielt, die Trauerbotschaft von der Hinrichtung Maximilians. Das »Neue Wiener Fremdenblatt« berichtete damals über den Tod des Erschossenen:

»Kaiser Maximilian von Mexiko ist todt. Aus dem kühnen Zuge eines geistvollen Prinzen ist ein Trauerspiel geworden, so grandios, wie es noch in keinem Sinne eines Dichters entstand. Der Kaiser, ausgezogen, um ein Werk der Civilisation zu vollbringen, liegt nun, von dem Kriegsgerichte seiner Feinde verurtheilt, todt auf den Feldern von Mexiko und die Kaiserin sitzt wahnsinnig auf dem Schlosse zu Miramare. Fürwahr, die Geschichte hat der kommenden Generation da eines ihrer geheimnißvollsten Räthsel aufgegeben!«

Wir aber sagen:

»So starb Maximilian von Oesterreich. Er war werth, für eine bessere Sache zu sterben; er hat dies durch sein Verhalten in den letzten Tagen seines Lebens bewiesen!«

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Juarez war nun wieder Alleinherrscher von Mexiko. Curt hatte der Hin-


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richtung nicht beigewohnt. Es widerstrebte seinem Gefühle, einen Mann sterben zu sehen, den er hatte retten wollen. Er saß zur Zeit der Execution mit dem kleinen André in seinem Zelte. Er hörte das Trauergeläute. Die Executionsschüsse drangen an sein Ohr.

»Jetzt! Jetzt sind sie todt!« rief André.

»Er war bereits todt, als er mich von sich wies,« antwortete Curt.

»War keine Rettung mehr möglich? Man hätte ihn vielleicht doch heimlich aus seinem Gefängnisse entführen können.«

»Ehe Max gefangen war, konnte ich ihn retten, ohne ein Verbrechen zu begehen.«

»War es denn später eins?«

»Gewiß, und zwar ein Verbrechen, welches von jedem Gesetzbuche mit hoher Strafe belegt wird. Es heißt widerrechtliche Befreiung eines Gefangenen.«

»Nun, so wäre die Befreiung erst auch widerrechtlich gewesen.«

»Nein, er befand sich noch mitten unter den Seinigen. Sobald er aber in die Gewalt der Republikaner gerathen war, sah ich mich gezwungen, die Hand abzulassen.«

»Hm. Sie mögen recht haben. Er hat es nicht anders gewollt.«

»Und so brauchen wir uns keine Vorwürfe zu machen. Hier aber haben wir nichts mehr zu thun. Ich wollte nur noch diese verhängnißvollen Schüsse hören. Jetzt nun bin ich Zeuge eines der größten geschichtlichen Trauerspiele gewesen und werde Queretaro verlassen.«

»Ohne Abschied oder Urlaub?«

»Ich bin von Eskobedo nicht abhängig.«

»Wohin gehen Sie?«

»Zu Juarez.«

»Ah, darf ich mit?«

»Natürlich,« nickte Curt.

»Ah, da werde ich Sennorita Emilia sehen! Geht Herr Doctor Sternau auch mit uns?«

»Ich hoffe es. Reiten Sie voraus zu ihm, damit ich ihn bereit finde, wenn ich komme.«

Am anderen Morgen ritten die Drei unter Begleitung der beiden Indianerhäuptlinge nach San Luis Potosi. Als sie durch Guanajuato kamen, hielt der kleine André an.

»Ah, meine Herren, kennen Sie dieses Pferd?« fragte er.

Dabei deutete er auf ein gesatteltes Pferd, welches vor einer Venta hielt.

»Das Pferd des schwarzen Gérard,« antwortete Sternau. »Er muß hier abgestiegen sein. Gehen wir hinein.«

Aber sie brauchten nicht in das Haus zu treten. Gérard hatte sie bereits gesehen und kam heraus. Er war in Santa Jaga gewesen und hatte sie aufsuchen wollen, um ihnen mitzutheilen, daß dort Alles noch in Ordnung sei. Natürlich schloß er sich ihnen an.

Als sie Potosi erreichten und ihre Pferde untergebracht hatten, begab sich


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Sternau mit Curt sofort zu dem Präsidenten, welcher sie empfing, obgleich er mit Geschäften überhäuft war.

»Sie bringen Trauriges?« fragte er ernst, nachdem die Begrüßungsworte gewechselt worden waren.

»Ja,« antwortete Curt. »Ich bringe den Schall der Schüsse, unter denen Max von Oesterreich gefallen ist.«

»So waren Sie bei der Execution zugegen?«

»Nein. Ich mußte verschmähen, ein Schauspiel anzustaunen, welches ich hatte kommen sehen.«

»Eskobedo's Courier ist bereits angelangt. Maximilian ist muthig und als ein Mann gestorben. Ich war sein politischer Gegner, aber nicht sein persönlicher Feind.«

Es war, als ob er es für nöthig gehalten hätte, diese Entschuldigung hier auszusprechen; daher fiel Sternau schnell ein:

»Wir wissen das am besten, Sennor!«

»Ah!« sagte Juarez, indem er ein leises, geheimnißvolles Lächeln bemerken ließ. »So hatten Sie mich verstanden.«

»Ja, Sennor.«

»Und Sie haben sich bemüht?« frug Juarez.

»Sogar sehr eifrig, aber ohne Erfolg, sogar Lieutenant Helmers hier wurde abgewiesen,« antwortete Sternau.

»So hielten Sie es also doch für möglich, Herr Lieutenant, den Erzherzog - Sie verstehen?«

»Es war sogar sehr leicht,« antwortete Curt.

Da schüttelte Juarez den Kopf, trat an das Fenster und sah lange schweigend hinaus. Dann drehte er sich rasch wieder zu den Beiden um und sagte:

»So hat er es nicht anders gewollt. Er ist todt, richten wir nicht auch noch privatim über ihn. Ihnen aber danke ich, daß Sie meine Andeutungen verstanden und nach ihnen gehandelt haben. Man wird mich falsch beurtheilen, Sie aber kennen mich besser, obgleich Sie schweigen müssen, so lange ich noch die Zügel der mexikanischen Angelegenheiten in den Händen halte. Während dieser Zeit darf kein Republikaner wissen, was ich that und was ich wünschte. Aber wenn ich einmal abgetreten oder todt sein werde, dann denken Sie daran, daß die Zeit gekommen sei, der Welt mitzutheilen, wie gern ich meinen Gegner retten wollte. Dies ist das Vermächtniß, welches ich Ihnen anvertraue, wenn Sie das Land verlassen, welches der Schauplatz einer Tragödie war, welche ich weder veranlaßt, noch verschuldet habe.«

Er sprach sehr ernst und aus bewegtem Herzen. Die beiden Zuhörer waren ebenso bewegt. Es entstand eine Pause, welche Juarez mit der Frage beendete:

»Und nicht wahr, daß Sie Mexiko verlassen, wird sehr bald geschehen?«

»Wir hoffen es allerdings,« antwortete Sternau. »Aber einige Zeit werden wir doch immer noch unter Ihrem Schutze bleiben müssen, Sennor.«

»Das freut mich. Sie wissen, daß Alles gern geschieht, was ich für Sie thun kann. Wir müssen, ehe Sie abreisen können, die Angelegenheit der Rodriganda beenden, so weit dieselbe nämlich vor das mexikanische Forum gehört.«

»An welchen Richter haben wir uns da zu wenden?«


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»An mich selbst. Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Sache in ebenso gerechte wie eifrige Hände gelegt wird. Die Gefangenen befinden sich noch im Kloster della Barbara?«

»Ja. Sie sind sehr gut bewacht.«

»Holen Sie sie. Lassen Sie auch die alte Maria Hermoyes, den alten Haziendero Petro Arbellez nebst seiner Tochter und die Indianerin Karja herbeirufen.«

»Nach Potosi hier?«

»Nein. Ich werde nach der Hauptstadt gehen. Dorthin haben Sie die Gefangenen zu bringen.«

»Stehen nicht nur Diejenigen, welche hier eingeboren oder naturalisirt sind, unter Ihrer Jurisdiction?«

»Allerdings. Ich kann zwar Alle in Anklagestand versetzen, aber nur über Pablo Cortejo und dessen Tochter aburtheilen.«

»Und die Anderen?«

»Führen Sie dieselben nach Spanien, wo die Angelegenheit zu beenden ist.«

»An welche Behörde haben wir uns da zu wenden?«

»An das Obertribunalgericht zu Barcelona.«

»Ich danke. Werden Sie die Untersuchung hier öffentlich führen?«

»Natürlich! »Ich möchte dagegen Einspruch erheben.«

»Warum?«

»Es würde von der Sache, ehe wir hier mit derselben fertig sind, so viel nach Spanien verlauten, daß die Schuldigen, welche sich dort befinden, Zeit gewinnen, sich der Gerechtigkeit zu entziehen.«

»Das ist allerdings richtig. Wir werden also vorsichtig sein und die Untersuchung so discret wie möglich führen müssen. Um aber Allem vorzubeugen, werde ich mich nach Spanien unter Beifügung der Gründe mit der Bitte wenden, den jetzigen Grafen Alfonzo unter eine wenn auch heimliche aber desto strengere Polizeiaufsicht zu nehmen. Genügt Ihnen das?«

»Vollständig, Sennor!«

»Zum Transporte der Gefangenen vom Kloster della Barbara nach der Hauptstadt stelle ich Ihnen ein hinreichendes Militärdetachement zur Verfügung. Wann reisen Sie ab?«

»Morgen früh. Wir wollen bis dahin die Pferde ausruhen lassen.«

»So werde ich die nöthigen Befehle geben.«

Damit war die Unterredung beendet. Sternau besprach sich mit den Anderen darüber, wer nach der Hazienda reiten werde, um die Bewohner derselben zu holen. Da Emma, Resedilla und Karja sich dort befanden, so wurden Donnerpfeil, Gérard und Bärenherz auserwählt. Am anderen Morgen wurde aufgebrochen.

Vorher aber wurde noch ein Herz glücklich gemacht, welches ein solches Glück nicht für möglich gehalten hätte.

Nach der erwähnten Besprechung nämlich begab André sich zu Sennorita Emilia, welche sich ja in Potosi befand. Es war Abend, und das Gemach, welches sie nebst noch zwei Anderen bewohnte, war von einer Lampe hell erleuchtet. Juarez


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hatte sie für die ihm geleisteten Dienste so freigebig belohnt, daß sie sehr im Stande war, sich einer fein ausgestatteten Wohnung zu bedienen.

Als er eintrat, lag das schöne Mädchen hingegossen auf einer Ottomane. Sie stand zwar nicht mehr in den Tagen der ersten, der besten Jugend, aber ihre Schönheit gehörte zu denen, welche nicht verschwinden, sondern mit den Jahren an Zauber zu gewinnen scheinen.

Als sie ihn erblickte, erhob sie sich rasch aus den Kissen.

»Ah, Monsieur André,« rief sie. »Ihr wieder hier? Das freut mich, das freut mich wirklich recht herzlich!«

Der kleine Jäger machte ein halb seliges und halb verlegenes Gesicht, und fragte:

»Freut Ihr Euch denn wirklich, daß so ein alter Büffeltödter zu Euch kommt, Mademoiselle?«

»Natürlich, natürlich! Seht Ihr denn nicht, daß ich Euch beide Hände entgegenstrecke?«

»Alle Wetter, ja! Aber - hm!«

Er zögerte, ihre Hände zu nehmen und sprach:

»Diese kleinen, schönen, weißen Patschchen, und da meine sonnverbrannten Tatzen. Paßt das zusammen?«

Dabei ergriff sie seine Hände, um sie kräftig zu schütteln, und dann fuhr sie fort:

»Ihr scheut Euch vor meinen Händen. Wißt Ihr denn, was ohne Euch aus denselben geworden wäre?«

»Na, was denn, Mademoiselle?«

»Sie wären jetzt kalt, starr, todt und faulten unter der Erde!«

»Donnerwetter, das wäre, weiß Gott, zu jammerschade. Aber, hm, wo denn eigentlich?«

»In Tula, wo ich ja erschossen oder gar gehängt worden wäre, wenn Ihr mich nicht gerettet hättet.«

»Ich?« fragte er verwundert.

»Ja, Ihr!« antwortete sie.

»Unsinn! Der Retter war dieser famose Lieutenant Helmers, aber doch nicht ich.«

»Ihr habt Beide gleich viel gethan, Einer so viel wie der Andere. Kommt, setzt Euch doch endlich nieder.«

Sie wollte ihn nach der Ottomane ziehen; er aber sträubte sich.

»Halt!« sagte er. »Nicht dorthin! Dieser Platz ist ja aus Sammet fabricirt.«

»Was thut das?«

»Sehr viel! Meine Hosen und so ein Sammet. Der kleine André und so ein Kanapee, oder was es ist. Das würde grad so passen wie eine Eidechse in den Milchreis oder in den Hirsebrei!«

Sie fußte ihn kräftig an und zog ihn neben sich in die schwellenden Polster nieder.

»Himmel hilf!« rief er. »Das geht tief hinab. So ein Polster giebt es ja selbst im besten Walde nicht.«


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»Meint Ihr? Und diese Kissen haben noch dazu die Eigenthümlichkeit, daß es sich darauf so recht gemüthlich plaudern läßt.«

»Im Walde auf dem Moose auch.«

»Geht mir jetzt mit dem Walde. Wir sind hier und wollen von uns reden, nicht aber von Euren Büffeln und Bären.«

»Gut,« sagte er, sich scheu in die Ecke drückend, wo er aber auch von den Spannfedern recht beunruhigend auf und nieder geschaukelt wurde. »Also von uns wollen wir reden? So fangt einmal an!«

»Warum Ihr nicht?«

»Ich? Alle Wetter! Wovon sollte ich denn anfangen?«

Er blinzelte ganz furchtsam zu ihr herüber. Sie bemerkte das und fragte:

»Fürchtet Ihr Euch vor mir, oder redet Ihr etwa nicht gern von mir?«

Er nickte bedenklich mit dem Kopfe und antwortete:

»Hm! Mit dem Fürchten ist es nicht so ganz richtig!«

»Ah! Warum?«

»Nun, das will ich Euch erklären. Sagt einmal, wenn nun jetzt hier der Teufel hereinkäme, würdet Ihr - -«

»Pfui, der Teufel! Wie kommt Ihr auf den? Bin ich ihm etwa so ähnlich?«

»Ganz und gar nicht! Aber würdet Ihr Euch nicht vor ihm fürchten?«

»Ein wenig, ja.«

»Oder wenn ein Engel hereinkäme, würdet Ihr Euch da nicht auch fürchten?«

»Hm! Ein wenig scheuen würde ich mich allerdings.«

»Nun seht, Mademoiselle. Man fürchtet sich vor Allem, was ganz und gar häßlich und schlecht, oder ganz und gar schön und gut ist. Man steht so sehr in der Mitte zwischen Beiden, daß man sich weder an das Eine noch an das Andere getraut.«

»Das habt Ihr sehr gut erklärt, mein lieber André. Aber was wollt Ihr denn damit in Beziehung auf mich sagen?«

»Daß ich mich fürchte, weil Ihr ein Engel seid.«

Sie machte eine allerliebste verwunderte Miene und rief:

»Wie? Ihr könnt auch galant sein?«

»Galant?« fragte er erschrocken. »Ist das denn galant?«

»Natürlich!«

»Alle Wetter! Da bitte ich um Verzeihung! Nehmt mir das nur ja nicht übel. Ich habe es bei Gott nicht böse gemeint!«

»Davon bin ich überzeugt. Aber, meint Ihr etwa, daß Ihr gegen mich nicht galant sein dürft?«

»Wie dürfte ich so etwas wagen!«

»Warum denn nicht?«

Sie rückte ihm dabei etwas näher, und er drückte sich, als er dies bemerkte, so viel wie möglich in seiner Ecke zusammen.

»Ich, der Andreas Straubenberger! Und Ihr, der Engel, die schöne Sen-


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norita Emilia. Das verhält sich ja grad so wie die Stiefelschmiere zur Morgenröthe!«

Sie lachte herzlich auf und meinte:

»Was war denn eigentlich Euer Vater, André?«

»Ein blutarmer Teufel in der Rheinpfalz.«

»Und mein Vater war ein blutarmer Teufel in Paris. Habt Ihr Euch da vor mir zu fürchten?«

»Der Väter wegen nicht, aber der Tochter wegen!«

»Da irrt Ihr Euch. Ich bin ein Mädchen, nichts weiter, eine Kundschafterin des Präsidenten. Ihr aber seid ein wackerer, tapferer Jäger, der hundert schöne, lobenswerthe Thaten zu seinem Lobe hat. Wißt Ihr noch, wie Ihr Euch damals in Chihuahua für Eure Freunde aufgeopfert habt?«

»Hm! Ja!«

Er dachte dabei an die Küsse, welche er von dem schönen Mädchen zum Lohne erhalten hatte.

»Und sodann habt Ihr mir das Leben gerettet!«

»Das ist ja nur eine Kleinigkeit!«

»Was? Ihr haltet mein Leben für eine Kleinigkeit?« fragte sie.

Er fuhr erschrocken empor.

»Alle Teufel, das habe ich nicht gemeint,« rief er. »Dem Kerl, der Euer Leben eine Kleinigkeit nennen wollte, den würde ich auf den Kopf schlagen, daß ihm die Seele zu allen zehn Fußzehen hinausfahren sollte!«

»Nun seht, Monsieur, und doch hing dieses Leben nur an einem Faden. Ihr habt mich gerettet. Ich wünsche sehr, ich hätte stets so einen Beschützer bei mir.«

Da blitzte sein gutes, ehrliches Auge vor Freude hell auf.

»Wirklich, wünscht Ihr das, Mademoiselle?« fragte er rasch.

»Ja,« antwortete sie. »So einen Beschützer, wie Ihr seid, oder am Liebsten Euch selbst.«

»Nun, das könnt Ihr ja sehr leicht haben.«

»Wieso?« fragte sie, sehr gespannt auf die Antwort, die er ihr geben werde.

»Nun - hm!« hustete er verlegen. »Braucht Ihr nicht vielleicht einen - hm! einen Diener?«

»Einen Diener? Warum?«

»Dann würde ich fragen, ob ich der Diener sein darf.«

»Ihr? O nein! Als Diener würde ich Euch nicht haben mögen.«

»Sapperment!« meinte er enttäuscht. »Ich würde aber stets so treu und aufmerksam sein wie kein Zweiter!«

»Das glaube ich Euch sehr gern, denn Ihr seid eine gute, treue Seele. Aber als Diener wäret Ihr ja mein Untergebener!«

»Das grad will ich ja!«

»Aber ich will es nicht. Ich schätze Euch, ich achte Euch so hoch, daß ich Euch nie unter mich stellen könnte.«

»Nun, so stellt mich neben Euch!«

»Als was denn?«


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»Hm! Das ist freilich eine ganz verteufelte Geschichte. Da hört meine Weisheit beinahe auf. Braucht Ihr nicht einen Reisebegleiter?«

»Vielleicht. Aber ich werde von jetzt an sehr wenig auf Reisen sein.«

»Nun, so stellt mich als Hausmeister an!«

»Ich habe kein Haus.«

»So baue ich Euch eins. Ich bin nicht ganz ohne!«

Er blinzelte dabei mit den Augen und machte mit den beiden ersten Fingern der Rechten das Zeichen des Geldzählens.

»So, so!« lachte sie. »Das brauche ich nicht anzunehmen. Denn ich bin auch nicht ganz ohne.«

Sie blinzelte dabei ebenso wie er schalkhaft zu ihm hinüber und machte dabei dieselbe Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.

»Das freut mich,« meinte er. »Also mit dem Haushofmeister ist es nichts. So macht mich zum Aufseher oder Verwalter!«

»Ich habe keine Fabrik oder ein Rittergut.«

»Das schadet nichts. Baut Euch eine Brauerei! Ich bin ja eigentlich ein Brauer.« .

»Wenn ich bauen wollte, so würde ich auf die Brauerei verzichten und doch lieber auf Euern vorigen Vorschlag eingehen.«

»Ein Haus zu bauen? Sapperment! So werde ich Hausmeister!«

»Dann wäret Ihr ja doch immer mein Untergebener.«

»Das ist wahr. Aber wenn es sich partout um ein Haus handeln muß, so giebt es da ja nur den Hausherrn, der nicht Untergebener ist.«

»Richtig. Was aber hält Euch denn ab, das zu werden?«

»Nichts. Nur müßte ich es sein, der das Haus baut, nicht Ihr.«

»Aber wenn ich es dennoch baute?«

»So wärt Ihr die Herrin.«

»Wäre denn ein Herr da ganz und gar keine Möglichkeit?«

Er sah sie groß an, nickte mit dem Kopfe und antwortete:

»Freilich doch, aber dann wäre er nicht Hausherr, sondern Haus- -«

»Nun, warum stockt Ihr denn? Redet doch aus.«

»Hm! Es ist ein verteufelt dummes Wort.«

»Welches denn?«

»Haus- - hm - - Hausva- - Hausvater!«

Endlich hatte er das Wort herausgebracht. Er holte tief Athem, legte den Kopf furchtsam nach hinten und machte die Augen zu, um nicht sehen zu müssen, wie zornig er sie gemacht habe. Aber anstatt Worte des Zornes zu hören, vernahm er in halb leisem, freundlichem Tone die Frage:

»Nun, Monsieur, ist das nicht ein schöner Posten? Möchtet Ihr ihn nicht haben? Möchtet Ihr denn nicht bei mir Hausvater sein?«

Da öffnete er langsam die Augen und sagte ebenso langsam:

»Aber wer sollte denn da die Hausmutter machen?«

»Nun, wer anders als ich.«

»Ihr?« rief er.


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Er war so erschrocken, daß er aufspringen wollte. Sie aber hielt ihn zurück und fragte:

»Glaubt Ihr etwa, daß ich eine schlechte Hausfrau sein würde?«

»Nein, nein! Ganz und gar nicht,« antwortete er. »Aber es geht nicht, es geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil - Ihr dann ja meine - Frau werden müßtet.«

Sie lachte laut auf und fragte:

»Und dieses kleine Wort auszusprechen, ist Euch so schwer geworden?«

»Sehr schwer, ungeheuer schwer, fürchterlich schwer. Lieber will ich einen Bär mit einer Stricknadel erstechen, als daß ich mich auf so etwas einlasse.«

»So habt Ihr wohl noch niemals einem Mädchen eine Liebeserklärung gemacht?«

»Nein - hm, ja, nein, nämlich was man so eine richtige Liebeserklärung nennt.«

»Aber gut gewesen seid Ihr einmal Einer?«

»Ja, höllisch gut. Aber mein Bruder war ihr lieber, und darum ging ich in die weite Welt.«

»Und seit jener Zeit bis heute seid Ihr Keiner wieder so gut gewesen, Monsieur?«

Da machte er abermals die Augen zu, aber aus einem ganz anderen Grund als vorher. Sein Gesicht nahm einen eigenthümlich seelenvollen Ausdruck an, welcher es verschönte, und ohne die Augen zu öffnen, antwortete er:

»O doch, Mademoiselle. Einer Einzigen bin ich gut. Aber nein, gut sein, das ist nicht der richtige Ausdruck, das ist viel, viel, viel zu wenig. Ich denke an sie bei Tag und Nacht. Ich träume von ihr. Ich möchte ihr jeden Tropfen meines Blutes einzeln opfern. Ich könnte auf alles und jedes Glück verzichten, um sie nur froh zu sehen. Ich wäre im Stande, tausend und abertausend Herzeleide zu erdulden, nur damit sie mich einmal freundlich anblicken möchte.«

Da wurde das Auge Emilia's groß und feucht. Ihr schönes Angesicht zeigte einen tiefen Ernst, und ihre Stimme vibrirte leise, als sie fragte:

"Darf ich nicht wissen, wer Die ist?"

»Darf ich nicht wissen, wer Die ist, die Ihr so unendlich liebt?«

Da öffnete er, wie erschrocken, rasch die Augen und antwortete:

»Nein, um Gotteswillen, nein!«

»Warum nicht?«

»Weil Ihr zornig, entsetzlich zornig werden würdet.«

»Nun, wenn Ihr es mir nicht mittheilt, so will ich es Euch sagen.«

»Das könnt Ihr nicht. Ihr wißt es ja nicht.«

»Ich will es Euch beweisen, daß ich es weiß. Legt einmal den Kopf so nach hinten und macht dazu die Augen zu, grad wie Ihr es vorhin gethan habt.«

Er gehorchte, ohne zu ahnen, was sie wollte. Da, kaum hatte er die Augen geschlossen, so fühlte er sich von zwei warmen, weichen Armen umfangen; seine Wange wurde an einen vollen Busen gedrückt, unter dem er das Klopfen eines


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Herzens deutlich hörte und fühlte; zwei Lippen legten sich auf seinen Mund, wieder und wieder und abermals, und dann hörte er die leisen, liebevollen Worte:

»Ich bin es, ich! Nicht wahr, ich weiß es, wen Du lieb hast?«

Er antwortete nicht, er öffnete auch die Augen nicht. Er bewegte sich nicht, sondern er blieb liegen, wie ein Hund, den die schöne Herrin liebkost und der vor Freude und Entzücken darüber vergehen und sich in Wonne auflösen möchte.

Sie drückte ihn an sich, küßte ihn abermals und fragte wieder:

»Antworte mir, André. Nicht wahr, ich bin es, die Du so unendlich lieb hast?«

»Ja,« wagte er ganz leise zu sagen.

»So mache Deine Augen auf.«

Er gehorchte. Er erblickte ihr schönes, freudeglänzendes Gesicht so nahe an dem seinigen. Er fühlte, daß der Hauch ihres Athems ihn berührte; es war ihm so eigenthümlich, so traumhaft, so wirr im Kopfe. Er strich sich langsam die Haare aus der Stirn und fragte:

»Träume ich, oder ist es wirklich wahr?! O Gott, es ist des Glückes zu viel.«

Sanft entwand er sich den Fesseln der Liebe und erhob sich.

Langsam und fast taumelnd schritt er zum Fenster. Dort stand er lange, lange Zeit mit gefalteten Händen, und in die Nacht hinaus zu den Sternen emporblickend. Sie ließ ihn ruhig gewähren. Sie hatte den Werth dieses rauhen Mannes kennen gelernt. Wurde sie auch nicht von der Gluth zu ihm gezogen, welche sie Gérard gegenüber gefühlt hatte, so war sie ihm, ihrem Lebensretter, dagegen mit jenem stillen, reinen Gefühle ergeben, welches der Volksmund »von Herzen gut sein« nennt und welches mehr Bürgschaft eines dauernden Glückes bietet, als ein hell aufloderndes, aber ebenso schnell wieder in sich zusammensinkendes Herzensfeuer.

Sie war Spionin gewesen. Was hatte sie zu hoffen? Sollte sie ihre Schönheit einem auf Adel oder Reichthum stolzen Protzen opfern, um dann von ihm verlassen zu werden? Nein. Sie wußte, daß sie schön war, aber sie wußte auch, daß sie mit dieser Gottesgabe hier einem braven Manne ein unendliches Glück bereiten werde, und sie zog dies letztere vor, nicht aus Berechnung, sondern weil ihr Herz sie dazu trieb. Sie war ihm ja so herzensgut, diesem einfachen, biederen Andreas, dessen Character ihr mehr Gewähr eines wirklichen und dauerhaften Glückes bot, als die egoistische, genußsüchtige Liebe all der vornehmen Anbeter, welche sie bisher gehabt hatte.

Da drehte er sich um und kehrte langsam zu ihr zurück. Sein ehrliches Gesicht glänzte wie verklärt und in seinem Auge standen Thränentropfen, welche ihm über die Wange rollten.

»Weißt Du, was ich jetzt gethan habe?« fragte er.

»Was? Sage es.«

»Gebetet. Ja, gebetet habe ich, daß der liebe Gott mir den Verstand und die Gedanken lasse. Ich habe jetzt erkannt, daß es ebenso schwer ist, sich in ein großes Glück zu finden wie in ein schweres Herzeleid. Und nun sage mir, ob Du wirklich im Ernste gesprochen hast und ob es wahr ist, daß ich Dich in


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Wirklichkeit besitzen soll, Dich, die ich im Stillen angebetet habe, als ob Du meine Königin seist, und ich bin der Sclave, der Unterthan, welcher bereit ist, für Dich zu leben und aber auch für Dich zu jeder Stunde in den Tod zu gehen!«

Die Frage, welche er aussprach, glänzte ihr auch aus seinen ehrlichen, treuen Augen entgegen, und zwar so angstvoll und unsicher, daß sie ihre beiden Hände ausstreckte, die seinigen ergriff und schnell antwortete:

»Ja, es ist wahr, mein lieber André. Ich will Dein Weib sein, Deine Hausfrau, bei der Du eine Heimath findest, nachdem Du so lange Jahre ruhe- und heimathslos gewesen bist.«

Da stieß er einen Ruf des höchsten Entzückens aus. Er schlang die Arme um sie, drückte sie fest und innig an sich und sagte:

»Gott segne Dich für dieses Wort! O, nun bin ich ein ganz anderer Kerl! Nun tausche ich nicht mit Sternau oder Mariano, mit keinem einzigen Menschen! Mögen sie mich immerhin den kleinen André nennen. Ich fühle mich jetzt auf einmal so groß, so groß, daß es mir gar nicht einfallen kann, einen von ihnen zu beneiden.«

Da schob sie ihn leise von sich, maß unter einem glücklichen Lächeln seine Gestalt, zog ihn wieder an sich heran, so daß sie wieder Brust an Brust standen, und sagte:

»Messen wir uns einmal, lieber André. Bin ich etwa länger als Du?«

Er verglich ihre Höhe mit der seinigen und meinte ganz erstaunt:

»Wahrhaftig, ich bin noch einen Zoll länger als Du. Wer hätte das gedacht!«

»Du siehst, daß der Schein trügt. Wir Frauen sehen größer aus als wir sind. Wir passen sehr gut zusammen. Nicht?«

»Außerordentlich gut. Ich bekomme Respect vor mir selber. Und nun sollst Du sehen, daß auch die Anderen den gleichen Respect haben sollen. Die Liebe ist doch ein wunderbares Ding, ich glaube, daß sie gar im Stande sein wird, aus dem kleinen André einen großen Kerl zu machen.«

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Einige Zeit später hielt der wieder zu seinen Ehren und Würden gelangte Präsident Juarez seinen Einzug in der Hauptstadt Mexiko. Es herrschte ein unbeschreiblicher Jubel unter der Bevölkerung, als der Zapoteke, welcher einst zur Flucht gezwungen gewesen war, aber trotzdem seinen starren Muth nicht verloren und auf seinen Titel verzichtet hatte, nun als Retter des Vaterlandes in der Stadt einritt. Alle Straßen waren mit Ehrenpforten, Guirlanden und Flaggen geschmückt, und ein wahrer Regen von duftenden Blumen flog auf ihn und das Pferd, welches ihn trug und mit stolzen Schritten über die lieblichen Kinder Floras hinwegtänzelte.

Aber bereits am ersten Tage nach seinem Einzuge hatte sich der laute Jubel in eine stille, ernste Erwartung umgewandelt; Juarez begann zu sichten. In unerbittlicher Gerechtigkeit untersuchte er Diejenigen, welche seit dem ersten Tage der französischen Invasion eine Rolle gespielt hatten, nach ihrem patriotischen Werthe. Er begann, die Schafe von den Böcken zu scheiden und das Gewürm von dem


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Baume der nationalen Wohlfahrt zu schütteln. Tausende fühlten sich im Besitze eines bösen Gewissens. Viele entflohen heimlich, als sie sahen, wie ernst es dem Präsidenten war. Wo es möglich war, ließ er Gnade walten, aber wo er erkannte, daß Milde nicht angewandt oder gar für das Allgemeinwohl gefährlich sei, da ließ er sich von seinem Herzen nicht hinreißen, sondern strafte mit jener einsichtsvollen Unnachsichtlichkeit, welcher man es dankbar anmerkt, daß sie nicht aus Persönlichkeit und Eigennutz entspringt.

Da er selbst eine beinahe ruhelose Thätigkeit entfaltete, so dauerte es nur kurze Zeit, bis in allen Abtheilungen des Regierungsmechanismus die größte Ordnung herrschte, und so kam es, daß er selbst von denjenigen Regierungen, welche vorher mit Napoleon geliebäugelt hatten, als Herrscher des mexikanischen Reiches anerkannt wurde.

Eines Spätabends, als die Bewohner der Hauptstadt bereits im Schlummer lagen, näherte sich der letzteren von Norden her ein Reiterzug. Der Mond schien hell und so konnte man erkennen, daß derselbe aus mehreren Gefangenen und ihrer Escorte bestand. Die Ersteren waren sorgfältig gefesselt und auf ihre Pferde gebunden. Zwei Maulthiere trugen eine Art von Sänfte, aus welcher fast ununterbrochen das Wimmern einer weiblichen Stimme erscholl, um das sich die Begleiter aber nicht im Geringsten kümmerten.

Dieser Trupp erreichte die Stadt, ritt durch einige Straßen und hielt dann vor dem Regierungsgebäude, an dessen Thore die Reiter der Escorte sich von ihren Pferden schwangen. Einer von ihnen trat ein und wurde von dem wachthabenden Posten gefragt, was er wolle und wen er bringe.

»Ist der Präsident noch wach?« lautete die kurze Gegenfrage.

»Ja. Er arbeitet alle Nächte bis zum Anbruch des Morgens.«

»So lassen Sie mich melden. Ich heiße Sternau.«

»Sternau? Hm. Man darf Niemand melden. Der Präsident will ungestört sein. Kommen Sie am Tage wieder.«

»Ob und wann ich wiederkommen soll, haben wohl nicht Sie zu bestimmen. Sie haben mich melden zu lassen und der Präsident wird mich sofort empfangen.«

Diese Worte waren in einem so befehlenden Tone gesprochen, daß der Posten gehorchte, ohne einen weiteren Einwand zu wagen. Es dauerte auch nur eine kurze Zeit, so wurde Sternau benachrichtigt, daß Juarez bereit sei, ihn zu empfangen.

Als er bei dem Präsidenten eintrat, wollte er sich wegen seines späten Erscheinens entschuldigen, wurde aber durch den freundlichen Ausruf unterbrochen:

»Endlich, endlich kommen Sie! Ich habe Sie bereits längst mit Ungeduld erwartet.«

»Wir konnten nicht eher, Sennor. Wir hatten auf die Herren und Damen der Hazienda zu warten und unterdessen war Josefa Cortejo so krank geworden, daß es unmöglich war, sie nach der Hauptstadt zu transportiren.«

»Was fehlte ihr?«

»Sie wissen bereits, Sennor, daß sie auf der Hazienda von einem Vaquero so gegen die Wand und die Diele geworfen wurde, daß sie einige Verletzungen davontrug, welche vollständig falsch behandelt worden sind. Die Folgen davon


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stellten sich nun in Santa Jaga ein, und zwar in Gestalt einer heftigen Entzündung, deren ich kaum Herr werden konnte.«

»Aber jetzt ist sie bereits wieder hergestellt?«

»Nein. Sie wird nicht wieder hergestellt werden.«

»Was Sie sagen!« rief Juarez, beinahe erschrocken. »Verstehe ich Sie recht? Sie meinen, daß sie sterben werde?«

»Ja.«

»Doch nicht eher, als bis wir mit ihr fertig sind!«

»Ich hoffe das. Ich habe alle Sorgfalt und alle möglichen künstlichen Mittel anwenden müssen, um sie nach hier zu bringen. Sie hat trotzdem fast unbeschreibliche Schmerzen auszustehen gehabt. Sie wimmert Tag und Nacht. Wenn die Wirkung meiner Mittel zu Ende ist, wird sie aufhören, zu leben.«

Juarez nickte leise mit dem Kopfe und meinte ernsten Tones:

»Da ist Gott selbst eingetreten, um sie zu bestrafen, noch ehe die Gesetze des menschlichen Richters aufgeschlagen zu werden brauchen. Es giebt, das sehen wir auch hier wieder, eine Gerechtigkeit, welche zwar nur sich selbst verantwortlich ist, aber strenger bestraft, als wir es vermögen. - Sie haben die anderen Gefangenen auch mitgebracht?«

»Alle außer Einem, dem Neffen des Paters nämlich.«

»Warum diesen nicht?«

»Auch ihn hat Gottes Strafe getroffen, oder vielmehr, er ist sein eigener Richter gewesen. Er hat sich in der Zelle, in welcher er aufbewahrt wurde, erhängt.«

»Das ist mir außerordentlich unangenehm. Ich glaubte, die Geheimnisse des Paters entdecken zu können, und nun ist dieser an den Folgen des Schlaganfalles gestorben, und sein Neffe, welcher jedenfalls sein einziger Vertrauter war, hat sich getödtet.«

»Ich verzweifle trotzdem noch nicht an der Enthüllung jener Geheimnisse. Es ist wahrscheinlich, daß sich bei einer genauen Durchforschung des Klosters Bella Barbara Vieles entdecken läßt, was uns jetzt noch entgangen ist.«

»Ich werde eine sehr genaue Durchsuchung aller vorhandenen Räume vornehmen lassen. Aber, wie steht es, Sennor Sternau, haben Sie die Gefangenen in's Verhör genommen?«

»Ja.«

»Und irgendwie ein Geständniß erhalten?«

»Leider nein.«

»Das habe ich erwartet. Die Charactere, mit denen wir es zu thun haben, sind so verstockt, daß ein offenes Geständniß ganz und gar nicht zu erwarten ist. Wir werden also nothgedrungen einen Indizienbeweis führen müssen.«

Sternau wiegte den Kopf bedenklich hin und her und antwortete:

»Einem Indizienbeweise, selbst wenn er mit aller Logik und vollster Sicherheit gezogen wurde, haftet immer ein kleines Portionchen Zweifelhaftigkeit an. Er giebt dem Verbrecher stets noch Gelegenheit zum Leugnen und zu der Behauptung, daß er unschuldig sei, trotz aller Beweise. Das ist um so unangenehmer, als selbst der scharfsinnigste Richter nicht untrüglich ist. Daher möchte ich eine


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Ueberführung auf Indizien hin, mögen sie noch so untrüglich sein, gern vermeiden, zumal wir es hier mit einem höchst außerordentlichen Falle zu thun haben und auch zur möglichsten Geheimhaltung, wenigstens einstweilen, gezwungen sind.«

»So meinen Sie, daß wir auf ein Geständniß doch noch hoffen dürfen?

»Ja, nämlich von Seiten der Josefa Cortejo. Wir haben einen kräftigen Verbündeten in den Schmerzen, welche sie zu erdulden hat. Ich habe dieselben bisher durch meine Mittel zu lindern gesucht. Das werde ich nicht länger thun. Ich bin überzeugt, daß sich diese Schmerzen in so fürchterliche Qualen verwandeln werden, wie sie von der Tortur nicht schlimmer hervorgebracht werden könnten. Das muß und wird ihrer Verstocktheit ein Ende machen.«

»Als Mensch bedaure ich dieses Mädchen, als Jurist aber muß ich sagen, daß sie ihr Loos verdient hat. Sie sind eben jetzt erst angekommen?«

»Ja.«

»Sie werden natürlich Alle Wohnung bei mir nehmen. Das Palais hat mehr als genug Zimmer für sie. Landola und die Cortejo's werde ich streng in Gewahrsam nehmen. Ich will sofort die nöthigen Befehle ertheilen.«

Er griff zur Klingel, Sternau aber hinderte ihn, jetzt schon das Zeichen zu geben, und sagte dann:

»Noch eins, Sennor. Sie wissen, daß Graf Emanuel noch irrsinnig ist und zwar in Folge des Giftes, welches man ihm gegeben hat. Ich habe Ihnen auch erzählt, daß ich das Gegengift kenne und es bereits einmal bereitete. Es gelang mir damals, meine Frau mit demselben herzustellen. Jetzt brauche ich eine neue Dosis dieses Gegengiftes.«

»Ja, Sie haben mir einmal davon erzählt. Ich entsinne mich dieses Gegengiftes und seiner fürchterlichen Zubereitungsweise. Es ist dazu der Mundschaum eines Menschen nöthig, welcher fast bis zum Wahnsinn gekitzelt wird?«

»Allerdings. Ich muß diese Procedur eine unmenschliche nennen, aber ebenso muß ich den Grafen herstellen.«

»Ich errathe Sie. Einer der Gefangenen ist es, der Ihnen diesen Schaum liefern soll. Auf welchen ist Ihre Wahl gefallen?«

»Auf Landola. Er ist der Böseste und Schlimmste von Allen. Die Procedur muß natürlich im Geheimen vorgenommen werden und ist unmöglich, wenn ich nicht die Erlaubniß dazu erhalte.«

Juarez schritt einige Male nachdenklich im Zimmer auf und ab, dann blieb er vor Sternau stehen und sagte:

»Gut. Eigentlich widerstrebt es mir, aber der arme Graf muß gerettet werden und Landola, der tausendfache Bösewicht, verdient ein Mitleid nicht. Ich ertheile Ihnen die nothwendige Erlaubniß, doch unter der Bedingung, daß Sie ihn nicht tödten oder wahnsinnig machen.«

»Das wird nicht geschehen, Sennor. Ich glaube im Gegentheile, daß wir ihn durch dieses Verfahren zu einem Geständnisse bringen werden. Auch ich bin Mensch und habe als solcher meine Gefühle; aber wenn zum Beispiele die Vivisection unschuldige Thiere ohne Zahl in wahrhaft teuflischer Weise quälen darf, um Fragen zu beantworten, welche theils untergeordneter Natur und theils durch die Section lebender Geschöpfe gar nicht zu lösen sind, so sehe ich kein Verbrechen


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darin, einen Teufel, wie Landola ist, zu zwingen, sein Gift herzugeben, um einen der vielen Unschuldigen zu retten, die er in's Elend stürzte.«

So waren die Beiden also einig, und nun wurden die Angekommenen mit aller Sorgfalt untergebracht.

Bereits am anderen Tage begann das Verhör, es hatte keinen Erfolg. Aber es verging nur kurze Zeit, so zeigte es sich, daß Sternau ganz richtig vermuthet hatte. Die Schmerzen Josefas steigerten sich in einer Weise, daß sie dieselben nicht mehr ertragen konnte. Es gab Minuten, in denen sie vor Qualen förmlich brüllte und heulte. Sternau rieth, ihren Vater nun in ihre Zelle zu führen.

Pablo Cortejo, so verstockt er war, konnte doch den Zustand seiner Tochter nicht ersehen und ihr Geschrei nicht erhören, ohne davon nicht nur ergriffen, sondern geradezu niedergeschmettert zu werden. Er sah, daß sie nur noch Stunden zu leben habe, gräßliche Stunden, sie, für die er gesündigt hatte und ein Verbrecher geworden war. Es war ihm, als ob plötzlich ein verzehrendes Feuer in ihm brenne. Ein herbeigeholter Priester benutzte diesen Augenblick, Vater und Tochter zu einem Geständnisse zu bewegen und dadurch wenigstens ihr Gewissen zu reinigen und ihre Seelen zu retten. Josefa, dem Tode nahe, schrie mit zeternder Stimme, daß sie Alles sagen wolle, und nun gab es auch für ihren Vater kein Zurückhalten mehr. Juarez selbst eilte herbei. Sämmtliche Zeugen kamen mit ihm und das umfassende Geständniß der Beiden wurde zu Protocoll genommen und in gehöriger, rechtsgiltiger Weise unterzeichnet.

Nur eine Stunde später war Josefa eine Leiche.

Nun galt es nur noch, auch Landola und Gasparino Cortejo zum Bekenntnisse ihrer Thaten zu bringen. Sie blieben beim Leugnen, obgleich ihnen das erwähnte Protocoll verlesen wurde.

Aber in der nächsten Nacht wurden Beide in ein tief liegendes Gewölbe geschafft, in welchem Sternau, Juarez, Büffelstirn und Bärenherz sich befanden. Was da unten vorgenommen wurde, ist Geheimniß geblieben. Wäre aber Jemand auf den Gedanken gekommen, an dem Luftloche zu horchen, welches von außen nach diesem Gewölbe hinabführte, so hätte er, obgleich dieses Loch von innen sehr sorgfältig verstopft war, ein nicht ganz zu unterdrückendes Brüllen und Stöhnen vernommen, welches aus keiner menschlichen Kehle zu kommen schien. Und als die beiden Gefangenen dann nach ihren Zellen zurückgebracht wurden, war Landola ohnmächtig und steif, wie eine Leiche, und Cortejo wankte in völlig gebrochener Haltung zwischen seinen Führern, so daß sie ihn halten und unterstützen mußten.

Nach ihnen verließen auch die Anderen das Gewölbe. Die beiden Indianer schienen kalt und theilnahmslos; aber Juarez und Sternau waren bleich. Der Letztere steckte ein kleines Fläschchen in die Tasche und der Erstere trug ein Actenstück in der Hand, welches alle Aussagen enthielt, die ihnen in der letzten halben Stunde gemacht worden waren.

Erst in seinem Zimmer angekommen, ergriff der Präsident das Wort:

»Das war fürchterlich, entsetzlich! Das war haarsträubend! Hätte ich das vorher gewußt, so wäre es sehr fraglich gewesen, ob ich mitgegangen wäre. Aber wir haben nun Alles beisammen, was wir brauchen, und können kurz verfahren.


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Landola und Gasparino Cortejo gehen mit Ihnen nach Spanien und Pablo Cortejo - hm.«

Er brach ab, um in ein nachdenkliches Schweigen zu verfallen.

»Was geschieht mit ihm?« fragte Sternau.

»Er bleibt hüben, er ist meiner Gerichtsbarkeit verfallen. Uebrigens hat er bereits als Empörer den Tod verdient. Sprechen wir jetzt nicht weiter über ihn, wir haben heute Abend genug Schreckliches zu sehen und zu hören gehabt.« -

Am anderen Tage bemerkten die Nachbarn des Palastes der Rodriganda, welcher nach Abzug der Franzosen fast leer gestanden hatte, daß derselbe jetzt von mehr Personen als vorher bewohnt sei. Aber wer diese Personen seien, erfuhr Niemand. Diese Letzteren ließen sich nicht sehen, da die Kunde, daß Graf Ferdinando noch lebe, nicht eher nach Spanien dringen sollte, als dieser selbst dort angelangt sei.

Es gab in Schnelligkeit sehr Vieles und Schwieriges zu ordnen und dann nach einiger Zeit trabte des Nachts eine ziemliche Anzahl von Reitern, welche einige Wagen umgaben, durch die Stadt, um den Weg einzuschlagen, welchen die Diligence zu fahren pflegte, wenn sie nach Vera Cruz ging.

Der alte, brave Haziendero nebst seiner Tochter Emma und seinem Schwiegersohne Helmers blieben zurück. Sie hatten von dem Grafen den Auftrag bekommen, unter dem Schutze des Präsidenten die Angelegenheiten seiner mexikanischen Besitzungen in einstweilige Fürsorge zu nehmen.

Eine kurze Zeit später verlautete das Gerücht, daß der verschwundene Prätendent Pablo Cortejo, lächerlichen Angedenkens, ergriffen worden sei. Und bald darauf erzählte man sich, daß er, als Aufrührer und auch noch aus anderen Gründen zum Tode verurtheilt, im Hofe des Gefängnisses eine Kugel vor den Kopf bekommen habe.

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Der Personenzug, welcher von Hof über Reichenbach her Mittags gegen halb zwölf Uhr in Dresden einzutreffen pflegt, war soeben in den böhmischen Bahnhof eingelaufen, und den geöffneten Waggons entstiegen hunderte von Passagieren, welche sich freuten, ihr Ziel erreicht zu haben.

Unter diesen befanden sich Zwei, welche die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Es war eine Dame und ein Herr. Die Erstere ging fein in Seide gekleidet und hatte ihr Gesicht mit einem Schleier verhüllt. Solche Erscheinungen sind auf einem Bahnhofe nichts Seltenes, und so wäre sie wohl nicht so sehr beachtet worden, wenn ihr Begleiter sich ebenso unauffällig getragen hätte.

Dieser aber hatte sich auf eine Weise gekleidet, welche hier in Dresden nichts weniger als gewöhnlich war. Seine Hose war unendlich weit und aus einem roth und himmelblau carrirten Stoffe gefertigt. Sie wurde um die Hüften von einem grünen Shawl festgehalten, in welchem drei Pistolen, zwei Messer und zwei Revolver steckten. Dann kam eine weiß und violett gestreifte Weste, aus deren Taschen zwei überstarke Uhrketten hingen, an welchen einige Dutzend Petschafte und Berloquen befestigt waren. Darüber sah man eine kurze, dunkelrothe Jacke, welche reiche Goldstickereien zeigte. Um den offenen, blosen Hals war ein gelbseidenes Tuch gebunden, dessen Zipfel, über beide Achseln geworfen,


Ende der einhundertachten Lieferung - Schluß folgt.



Karl May: Waldröschen

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