Lieferung 22

Karl May

21. April 1883

Waldröschen
oder
Die Rächerjagd rund um die Erde.

Großer Enthüllungsroman
über die
Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft

von

Capitain Ramon Diaz de la Escosura.


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treffe. Es ist dann bereits dunkel, und man wird mich in Sant Anita nicht zum zweiten Male sehen.«

Es blieb bei diesem Entschlusse. Eine gehörige Zeit vor dem Stelldichein machte er sich auf und ging hinaus nach dem Dorfe. Reiten wollte er nicht, weil dies bei einer Unterredung mit Landola zu unbequem gewesen wäre. Als er klopfte, erschien die Alte wieder.

»Wer ist da?« fragte sie in die Dunkelheit hinein.

»Ein Bekannter,« antwortete er, »und zwar der Sennor, welcher heute hier gewesen ist.«

Jetzt erkannte sie ihn an der Stimme.

»Ah, der mir einen Peso gab! O, ein Peso ist gut! Was wollt Ihr?«

»Ist Sennor Benito zu Hause?«

»Nein, er ist ausgegangen.«

»Wann kommt er wieder?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sagt nur die Wahrheit, Sennora! Ich habe wirklich sehr nothwendig mit ihm zu sprechen.«

»Sehr nothwendig?« fragte sie mit schlauer Betonung. »Das merke ich nun eben nicht!«

»Ah, Ihr wollt abermals einen Peso? Wenn ich ihn Euch nun gebe, ist Benito dann zu Hause?«

»Ja.«

»Nun, da habt Ihr ihn!«

Er zog das Silberstück aus der Tasche und gab es ihr.

»So kommt!« sagte sie jetzt.

Sie schloß die Thür auf, ließ ihn eintreten und führte ihn in dasselbe Loch, wo er bereits beim ersten Male gewartet hatte. Dieses Mal dauerte es nicht lange, bis der Giftmischer erschien.

»Was wollt Ihr?« fragte er.

»Ich habe heute Etwas vergessen, und zwar die Frage an Euch zu richten: Bekommt ein Scheintodter Faulflecke?«

»Nein.«

»Aber diese müssen vorhanden sein; es ist nothwendig.«

»Hm, das ist schlimm!« sagte Benito mit schlauem Lächeln. »Wollt Ihr nicht lieber den Mann gleich tödten? Dann werden die Flecke sicher zu sehen sein.«

»Nein, sterben soll er nicht.«

»So müßt Ihr sehen, wie Ihr ohne die Flecke verkommt.«

»Der Arzt wird ohne sie die Leiche nicht begraben lassen!«

»Das ist seine und Eure Sache, aber nicht die meinige.«

»Kann man Faulflecke denn nicht künstlich hervorbringen?«

»Hm, vielleicht!«

»Vielleicht? Ich denke, Ihr müßt so etwas gewiß wissen!«

»Ich weiß es auch gewiß. Es geht, wenn man das rechte Mittel hat, und dieses Mittel besitze ich.«


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»Kann ich es bekommen?«

»Ich weiß nicht, ob es Euch zu theuer ist.«

»Benito, Ihr seid ein Schelm! Ihr wollt nur Geld von mir erpressen!«

»Nein, Ihr seid ein Schelm! Ihr wollt eine theure Medizin von mir billig, oder gar umsonst haben!«

»Was kostet das Mittel?«

»Zehn Pesos.«

»Das ist zu theuer! Ich fürchte, Ihr werdet mir ein paar Tropfen Säure oder Pflanzensaft geben, der kaum einige Tlacos werth ist.«

»Das ist wahr!« gestand der Indianer aufrichtig.

»Nun, warum verlangt Ihr da zehn Pesos?«

»Geht, und macht Euch das Mittel selbst, wenn es Euch bei mir zu theuer ist!«

»Hole Euch der Teufel! Ihr wißt, daß ich Nichts davon verstehe! Fünf Pesos will ich geben.«

»Gebt zehn, oder geht fort. Anders nicht!«

Er that, als wolle er gehen.

»Halt, ich gebe Dir zehn!« sagte Cortejo eilig.

»So wartet! Ich werde das Mittel holen.«

Er ging und kehrte bereits nach einigen Minuten mit einem Fläschchen zurück, in welchem sich eine gelbliche Flüssigkeit befand.

»Wißt Ihr die Stellen, an welcher sich bei einem Verstorbenen die Faulflecke zeigen?« fragte er.

»Ja.«

»So tränkt ein Läppchen mit dieser Flüssigkeit und reibt die Stellen damit ein. Je mehr Ihr nehmt, desto dunkler werden die Stellen.«

»Ihr meint, so muß ich in der Mitte mehr nehmen als am Rande?«

»Das versteht sich!«

»So gebt her. Hier habt Ihr das Geld!«

Er gab die zehn Pesos hin, welche der Indianer mit einem vergnügten Schmunzeln in seine Tasche versenkte, denn er hatte heute eine Einnahme gehabt, wie selten bisher.

Als der Sekretär ging, stand die Alte bereits an der Thür, um sie zu öffnen. An dieser Höflichkeit waren nicht nur die beiden Pesos schuld, sondern sicher auch der Umstand, daß er sie jetzt bei seinem zweiten Besuche nicht Du, sondern Ihr genannt hatte.

Er schritt nun langsam dem Paseo zu, denn er hatte noch Zeit bis zur Stunde des Rendezvous. Dennoch traf er den Kapitän bereits an.

»Ah, pünktlich!« sagte dieser, als er ihn erkannte. »Das ist recht; ich liebe das!«

»Ich ebenso. Wo habt Ihr Eure Zeit hingebracht, Sennor Landola?«

»Ah, es giebt verschiedene Löcher, in denen man sich wohlbefinden kann; man spricht aber nicht davon,« lautete die Antwort. »Gebt mir Euren Arm; wir wollen zur Sache kommen!«


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Sie schritten, Arm in Arm spazierend und dabei leise flüsternd, weiter.

»Also Ihr habt den Brief Eures Bruders Gasparino erhalten?« begann der Seekapitän.

»Ja. Und Ihr Eure Instruction, Sennor?«

»Nein.«

»Ah, ich dachte doch!«

»Hm, Ihr drücktet Euch nur falsch aus, Sennor,« sagte Landola mit einem kurzen Lachen.

»Wie so?«

»Weil Kapitän Henrico Landola sein eigener Herr und Meister ist. Er läßt sich von keinem Andern einen Befehl oder eine Instruction ertheilen.«

»So verzeiht! Ich hatte das Wort nicht im Sinne einer Subordination gemeint.«

»Dann ist es gut. So will ich Euch also sagen, daß Euer Bruder mich gebeten hat, eine Fracht aufzunehmen, welche Ihr mir abliefern werdet.«

»Welche Fracht ist es?«

»Hm, vielleicht ein Mensch!« sagte der Kapitän leichthin.

»Todt oder lebendig?«

»Mir egal. Ich weiß nur, daß er später wieder lebendig sein wird.«

»Was sollt Ihr mit ihm thun?«

»Verschwinden lassen.«

»Wo?«

»Das steht in meinem Belieben.«

»Wer bezahlt Euch die Kosten?«

»Euer Bruder.«

»Sind sie bereits entrichtet?«

»Ich rechne später mit ihm über.«

»So habe ich Euch nichts zu bezahlen?«

»Nein. Wann kann ich diese Fracht erhalten?«

»Wie lange liegt Ihr im Hafen?«

»Bis die Sache in Ordnung ist. Doch hoffe ich, daß Ihr mich in dem verdammten Fieberneste nicht auf die Folter spannen werdet, sonst segle ich auf und davon. Ich habe keine Lust, zu sterben!«

»Ich werde mich beeilen. Wißt Ihr, um wen es sich handelt?«

»Nein. Ich nehme meine Fracht auf und bekümmere mich den Teufel darum, wer es ist.«

Wenn es hell gewesen wäre, so hätte Cortejo an der Miene des Kapitäns sehen können, daß er log. Landola durchschaute sämmtliche Pläne der beiden Brüder Cortejo und hatte sich bereits schon längst im Stillen vorgenommen, seinen Vortheil dabei zu wahren.

»Aber er wird Euch seinen Namen sagen,« bemerkte der Sekretär.

»Ich werde es nicht glauben!«

»Eure Matrosen werden es hören!«

»Es wird kein einziger ihn zu sehen bekommen.«

»Werden wir später erfahren, wohin Ihr ihn schafft?«


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»Vielleicht. Das kann ich jetzt nicht wissen.«

»Gut! Ich nehme an, der Mann stirbt morgen -«

»Wann wird er da begraben?«

»In zwei Tagen eigentlich, aber sein Sohn ist nicht da -«

»So begräbt man ihn ohne dies!«

»Das geht nicht gut an!«

»Ah, so ist es ein vornehmer Mann! Alle Teufel, so wird am Ende gar ein solcher Arzt oder Doctor sagen, daß er ihn conserviren und einbalsamiren wolle!«

»Das werde ich nicht zugeben. Man kann ja sagen, daß dies in der Familie nie gebräuchlich gewesen sei, oder daß der Verstorbene irgend ein Vorurtheil gegen dergleichen gehabt habe.«

»Richtig! Wie aber bringen wir ihn nach dem Hafen?«

»Ihr selbst wollt ihn holen?« fragte Cortejo schnell.

»Nein. Dieses »wir« galt Euch, aber nicht mir.«

»Hm! Im Sarge doch nicht!«

»Nein, das wäre zu auffällig.«

»In einem Kasten?«

»Da erstickt er!«

»Man bohrt Löcher.«

»Ist erst recht auffällig!«

»So wird ein leichter Korb das Beste sein!«

»Jedenfalls. Aber wie bringt Ihr diesen zur Küste?«

»Auf Maulthieren.«

»Und auf das Schiff? Die Zollbeamten sind gar aufmerksame Kerls, Sennor Cortejo.«

»Das Einschiffen des Korbes wird Eure Sache sein, Sennor Landola.«

»Hin, das ist mir nicht lieb! Aber meinetwegen; ich werde Euch den Gefallen thun. Seht nur, daß Euch der Korb unterwegs nicht abhanden kommt!«

»Das macht mir allerdings Sorge. Der Weg von hier zur Küste ist keineswegs sicher. Es treiben da allerhand rothe und weiße Kerls ihr Wesen, denen nicht zu trauen ist.«

»Ihr müßt für eine gute Bedeckung sorgen.«

»Das ist schwierig. Man müßte die Leute einweihen.«

»Nicht nöthig! Geht doch selbst mit!«

»Ich kann nicht.«

»So habt Ihr ja einen Sohn!«

»Hm! Auch dieser kann nicht - eigentlich. Aber ich werde es mir überlegen. Wie aber merkt Ihr, daß wir angekommen sind, Sennor Kapitano?«

»Sehr einfach; Ihr sendet mir einen Boten auf das Schiff.«

»Ihr kommt dann selbst?«

»Das weiß ich noch nicht. Ihr schafft den Korb doch nicht etwa bis in die Stadt hinein?«

»Fällt mir nicht ein!«

»So sucht Euch einen recht einsamen Platz an der Küste aus, wo ein Boot gut landen kann. Sobald ich höre, daß Ihr dort seid, komme ich des Nachts


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und hole den Korb ab. Aber vor den Zöllnern müßt Ihr Euch in Acht nehmen.«

»Ich werde es im schlimmsten Falle auf einige Schüsse ankommen lassen!«

»Recht so! Auch ich werde mich bewaffnen. Nun aber sind wir wohl zu Ende. Oder habt Ihr noch Etwas?«

»Ich wüßte nichts.«

»So wollen wir uns verabschieden!«

»Habt Ihr auf einmal so nothwendig?«

»Sagtet Ihr heute nicht selbst, daß man vorsichtig sein müsse?«

»Heute Abend sieht uns kein Mensch.«

»Aber ich habe noch eine kleine Zerstreuung vor, Sennor Cortejo. Ihr wißt, das Leben zur See ist verdammt langweilig; kommt man dann einmal an das Land, so wird man doch kein Esel sein!«

»Ich verstehe. Also gute Nacht, Sennor!«

»Gute Nacht. Beeilt Euch also mit dem Begräbnisse!«

»Es soll rasch genug gehen!«

Die beiden Biedermänner gingen auseinander. - -

Graf Ferdinando, welcher verwundet auf seinem Ruhebette lag, hatte keine Ahnung davon, daß bereits über sein Begräbniß verfügt war.

Das Glück, oder vielmehr der Teufel, war Cortejo günstig gesinnt. Nämlich, als er den Palast seines Herrn erreichte und nach seiner Wohnung gehen wollte, traf er auf die alte Maria Hermoyes, welche vom Brunnen kam und ein volles Wasserglas in der Hand trug.

»Wie geht es Don Ferdinando?« fragte er.

»Er klagt nicht,« sagte sie.

»Hat sich das Wundfieber bereits eingestellt?«

»Nein; aber einen erschrecklichen Durst hat er. Ich muß ihm fast viertelstündlich ein Glas Wasser holen.«

»Gleich vom Brunnen, wie ich sehe?«

»Ja. Es muß kalt sein.

»War der Arzt wieder hier?«

»Zwei Mal.«

»Was sagt er?«

»Daß keine edlen Theile verletzt sind; es ist daher nichts zu befürchten, wenn nicht etwas Unerwartetes dazwischen kommt.«

»Wünschen wir, daß der Graf bald gesund sei. In so heißen Gegenden kann die kleinste Verletzung lebensgefährlich werden.«

»Das ist wahr. Aber ich habe keine Zeit, Sennor. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Sie hatten vor der Thür zu ihrer Wohnung gestanden. Jedenfalls hatte die Alte in der Letzteren etwas Schnelles zu thun oder etwas zu holen. Sie setzte das Glas einstweilen in eine nahe Mauernische und trat in das Zimmer.

Cortejo hatte sich noch kaum von der Stelle gerührt. Das Pulver steckte in seiner Tasche. Ein rascher Blick überzeugte ihn, daß er allein und unbemerkt sei. In fieberhafter, zitternder Eile zog er das Dütchen hervor, öffnete es und schüttete


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den Inhalt in das Glas; dann entfernte er sich mit schnellen Schritten, wobei ihm sein Herz ebenso laut zu klopfen schien, wie der Schall seiner Schritte war.

Seine Tochter Josefa war noch nicht zur Ruhe gegangen, sondern sie erwartete ihn. Sie war seine Vertraute; sie war in gewissen Dingen noch raffinirter und entschlossener als er, und er wußte, daß er ihr vertrauen könne. Darum hatte er selten ein Geheimniß vor ihr.

»Hast Du ihn getroffen?« fragte sie.

»Ja.«

Der Ton dieses Wortes war ein eigenthümlich rauher und heiserer. Sie blickte ihn an und sagte:

»Ah, Du bist ja ganz erregt; Du wechselst die Farbe!«

»Das denkst Du nur!«

»Nein, ich sehe es. Was ist's?«

»Nichts, als das rasche Gehen.«

»Ja, ich hörte Deine schnellen Schritte. Seid Ihr klar mit einander?«

»Ja.«

»Wann soll es geschehen?«

»Sobald wie möglich.«

»Und dann?«

»Dann wird er begraben. Wir nehmen die Leiche aus dem Sarge und schaffen sie in einem Korbe nach der Küste, wo sie von dem Kapitän in Empfang genommen wird.«

»Das klingt leicht und gut. Aber hast Du von dem Indianer das Mittel erhalten?«

»Ja; es besteht in einem Saft, für den ich zehn Pesos habe bezahlen müssen.«

»Dieser Benito ist ein Schuft!«

»O, er hält auch mich für nichts Anderes,« lachte der Sekretär.

»Ich habe nachgedacht, wie wir dem Grafen das Pulver beibringen werden,« sagte sie, »aber nichts Sicheres gefunden.«

»So bin ich glücklicher gewesen, und zwar durch den Zufall.«

Sie sah ihn an; sie sah den unheimlichen Glanz seines Auges und die Röthe seiner sonst bleichen Wangen.

»Du hast Etwas!« sagte sie. »Gestehe es mir!«

»Nun,« lächelte er, »ich gestehe, daß Du vorhin Recht hattest.«

»Womit?«

»Mit der Behauptung, daß ich erregt sei.«

»Worüber warst Du es?«

»Ueber das Gelingen unseres Anschlages.«

»Ah«, sagte sie, freudig erstaunt; »er ist bereits gelungen?«

»Ja.«

»Wie?«

»Ich glaube, daß Don Ferdinando in diesem Augenblicke das Gift bereits in seinen Adern hat.«

»Nicht möglich!« rief sie, indem ihre Eulenaugen unheimlich erglühten.

»Nicht nur möglich, sondern sogar wirklich!«


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»Wie hast Du es ihm beigebracht?«

»Durch ein Glas Wasser.«

Er erzählte ihr, wie es gekommen war. Sie hörte ihm wortlos zu und schlug, als er geendet hatte, in wortlosem Entzücken die Hände zusammen.

»Gott sei Dank!« sagte sie. »Nun haben wir gewonnen; nun ist alle Ungewißheit vorüber; nun weiß ich gewiß, daß ich Gräfin werde! Wann kann Alfonzo hier sein?«

»In einigen Tagen. Hat er sich aber gesputet, so könnte er bereits am morgenden Tage eintreffen.«

»So kann ich diese Nacht vor Freude und Erwartung nicht schlafen!«

»Du wirst aber dennoch wohlthun, Dein Schlafzimmer aufzusuchen.«

»Warum?«

»Wenn mit dem Grafen etwas Ungewöhnliches passirt, wird man natürlich Alles wecken. Jedermann wird im Negligee erscheinen, und dann könnte es auffallen, wenn Du vollständig angekleidet bist. Wir müssen auch im Kleinsten vorsichtig sein.«

»Du hast Recht. Ich setze nun den Fall, der Graf wird starrkrämpfig. Wirst Du dann dieser Maria die Herrschaft im Krankenzimmer überlassen?«

»Das fällt mir gar nicht ein!«

»Ich wollte Dir es auch rathen und Dich zugleich warnen.«

»Weshalb?«

»Der Graf scheint ein anderes Testament gemacht zu haben.«

»Donnerwetter!« fluchte Cortejo überrascht.

»Ja, ich vermuthe es wenigstens.«

»Aus welchem Grunde?«

»Nicht wahr, man pflegt vor einem Duelle stets erst seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen?«

»Allerdings. Jedenfalls hat dies Don Ferdinando auch nicht versäumt.«

»Er hat sehr lange geschrieben, wie der Diener sagte.«

»Das ist aber noch kein Grund zu der Vermuthung, daß er ein neues Testament angefertigt habe.«

»Ich habe noch andere Gründe.«

»Welche?«

»Warum hält er Das, was er schrieb, so geheim?«

»Das thut ein Jeder.«

»Warum verschließt er es nicht in seinem Schreibtische, wo er doch Aehnliches aufzubewahren pflegt?«

»Er hat es anderswo aufbewahrt?«

»Ja.«

»Wo?«

»In den Händen dieser alten Maria Hermoyes.«

»Alle Teufel!« rief Cortejo bestürzt. »Weiß Du das genau?«

»Ja.«

»Woher?«

»Sie ist mit einem großen, fünffach versiegelten Couverte aus seinen Gemächern


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gekommen, und als sie nach dem Duell zu ihm gerufen wurde, hat sie dieses Couvert wieder mitgebracht.«

»Wer sagte dies?«

»Der Kammerdiener.«

»Das ist allerdings auffällig! Mir hat er gestern ein so großes Mißtrauen gezeigt und ihr ein ebenso großes Vertrauen. Er hat eine Aenderung seines Testamentes vorgenommen.«

»Ich zweifle nicht daran.«

»Aber was sollte er verändern? Alfonzo bleibt doch der Erbe.«

»Oder auch nicht,« sagte Josefa.

»Warum nicht?«

»Don Ferdinando ist mit ihm nicht zufrieden; er kann ihn enterben, da Alfonzo nur der Neffe ist.«

»Das ist richtig. Und dabei ist auffällig, daß er gerade dieser Amme sein Vertrauen schenkt.«

»Ja. Sie hat Alfonzo mit herübergebracht und kann vielleicht Etwas ahnen.«

»Sollte sie diese Ahnung dem Grafen mitgetheilt haben!«

»Wir müssen sie unschädlich machen, Vater!«

»Wenn sie uns zwingt, ja!«

»Wo denkst Du, daß der Graf das Couvert aufbewahrt hat?«

»Jedenfalls im mittelsten Fache des Schreibtisches, wo alles Wichtige zu liegen kommt.«

»So ist das Erste, was Du thun mußt, dieses Fach zu öffnen, wenn das Pulver wirkt.«

»Ich werde es möglich zu machen suchen. Jetzt aber gute Nacht!«

»Schlafe wohl! Ich werde nicht schlafen können.«

Er ging zur Ruhe. Sie suchte zwar ihr Schlafzimmer auf, doch fand sie, wie sie gesagt hatte, den Schlummer nicht. Mit wachen Augen lag sie auf dem Bette und träumte von zukünftiger Herrlichkeit, von einem üppigen, glänzenden Leben. Daß dieses Leben nur mit schweren Verbrechen erkauft worden sei, das machte ihr nicht das mindeste Bedenken.

So verging eine Stunde nach der anderen. Cortejo lag im tiefsten Schlafe; da klopfte es hastig an seine Thür. Er erwachte und frug, wer draußen sei.

»Arnoldo, der Diener,« antwortete es.

»Was willst Du?«

»O bitte, Sennor, öffnet mir!«

»Warum?«

»Oeffnet schnell! Es muß mit Don Ferdinando etwas passirt sein.«

»Gleich!«

Cortejo sprang aus dem Bette, fuhr in den Schlafrock und brannte schnell ein Licht an; dann öffnete er die Thür. Der Diener trat ein.

»Was ist denn mit ihm passirt?« fragte der Sekretär.

»Ich weiß es nicht. Ich habe heute die Wache. Ich saß auf dem Stuhle im Vorzimmer und schlummerte ein wenig; da hörte ich einen Schrei. Er kam aus der Krankenstube, welche von innen verschlossen ist. Ich fragte, was es gebe, erhielt


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aber keine Antwort. Die alte Maria klagt und jammert zum Erbarmen, aber sie öffnet nicht. Da bin ich fortgelaufen, um es Euch zu melden, Sennor.«

»Daran hast Du recht gethan. Wir müssen die Sache sofort untersuchen.«

Er folgte dem Diener nach dem Vorzimmer, wo sie allerdings die Amme klagen hörten. Sie klopften, aber es erfolgte keine Antwort.

»Aufgemacht!« rief da Cortejo gebieterisch und stieß mit dem Fuße gegen die Thür.

Dies brachte die fast sinnlose Alte zu sich. Sie kam herbei und öffnete.

»Was ist geschehen?« fragte Cortejo.

»O, der liebe, gute, gnädige Herr!« jammerte sie weinend.

»Was ist mit ihm?«

»Er ist todt - todt - todt!«

Cortejo trat an das Lager des Grafen und blickte diesen an. Don Ferdinando lag da, bleich und mit eingefallenem Gesichte, wie eine Leiche.

»Wann ist es geschehen?« fragte er die Amme.

»Ich weiß es nicht,« antwortete sie.

»Du mußt es wissen; Du hast bei ihm gewacht!«

»Ich schlummerte, und als ich aufwachte, da war er todt. Ich weiß nicht, wie lange ich nachher geweint habe.«

»Unglückliche! Du bist vielleicht Schuld an seinem Tode!« donnerte er sie an. »Warum hast Du nicht geöffnet, als der Diener herein wollte? Es wäre wohl noch Rettung möglich gewesen!«

»Nein; er war bereits todt!« entschuldigte sie sich.

Der Blick Cortejo's war gleich beim Eintreten nach dem Schreibtische geglitten und hatte bemerkt, daß der Schlüssel im Loche steckte.

»Geht, weckt die Leute, und holt schnell den Arzt herbei! Schnell, schnell!«

Auf diesen Befehl eilte der Diener fort, und auch die Amme verließ händeringend das Zimmer. Mit einem raschen Schritte stand Cortejo am Schreibtische, öffnete das Fach und sah das Couvert. Er nahm es, steckte es in seine Tasche und verschloß das Fach wieder. Dann eilte er den Beiden nach.

Dies war so schnell gegangen, daß die Amme jetzt erst die Thür des Vorzimmers erreicht hatte. Er faßte ihren Arm und sagte:

»Halt, Maria! Nicht wahr, Don Ferdinando hatte Vertrauen zu Dir?«

»O, mehr als zu jedem Andern,« antwortete sie schluchzend.

»Gut, so sollst Du auch jetzt bei ihm bleiben, bis das Gericht kommt. Du sollst darüber wachen, daß nichts abhanden kommt. Gehe wieder hinein; ich werde die Leute selbst wecken.«

Das war der Alten recht. Sie kehrte in das Krankenzimmer zurück und begann ihr Wehklagen von Neuem.

Auf den Ruf Cortejo's erwachten sämmtliche Bewohner des Palastes und eilten herbei, um sich von dem unerwarteten Tode ihres Gebieters zu überzeugen. Es erhob sich ein großes Klagen, welches erst ein Ende nahm, als der Arzt erschien.

Dieser war im höchsten Grade bestürzt über das unerwartete Ereigniß und jagte zunächst die heulenden Weiber und Diener fort. Nur Cortejo, nebst dem Kammerdiener und der Amme, erlaubte er, zu bleiben.


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Er untersuchte die Leiche und schüttelte den Kopf.

»Tetanus!« sagte er. »Starrkrampf. Er ist noch warm. Wir müssen warten.«

Cortejo fürchtete, daß er auf den Gedanken kommen werde, eine Ader zu schlagen; das war aber nicht der Fall. Der Arzt erklärte, bis zum Morgen selbst bei der Leiche bleiben zu wollen, und so zog sich der Sekretär mit dem Diener zurück. Nur Maria, die Amme, blieb bei dem Doctor.

Als Cortejo in sein Zimmer zurückkehrte, fand er Josefa seiner wartend. Sie war, wie auch die Andern, vorhin im tiefsten Negligee zu der Leiche geeilt, hatte sich aber jetzt wieder angekleidet.

»Hast Du den Brief?« war ihre erste Frage.

»Ja, ich fand ihn im mittleren Fache.«

»Was enthielt er?«

»Es steht keine Adresse darauf. Laß uns sehen!«

Er erbrach die Siegel, zog die Bogen aus dem Couvert, entfaltete sie und las. Er wurde blaß.

»Was ist's?« fragte sie besorgt.

»Da, lies selbst!« sagte er, als er fertig war.

Sie folgte der Aufforderung; auch sie entfärbte sich. Als sie zu Ende war, warf sie die Bogen zur Erde.

»Dachte ich es mir doch!« rief sie.

»Ich auch!« sagte er.

»Enterbt!«

»Keinen Heller hätten wir bekommen!«

»Dieser Maria hat er einen förmlichen Reichthum ausgesetzt,« zürnte das ergrimmte Mädchen.

»Und wir sollten in eine Untersuchung verwickelt werden. Es sollte nachgewiesen werden, daß Alfonzo wirklich Graf von Rodriganda sei.«

»Wie gut, daß wir diesen Wisch haben!«

»Verbrenne ihn!«

»Es ist doch nicht bemerkt worden, daß Du beim Schreibtische warst?«

»Nein.«

»Auch die Amme hat nichts gesehen?«

»Nein. Es ist so schnell gegangen, daß sie ganz sicher glaubt, ich habe hinter ihr sogleich das Zimmer verlassen.«

»So steht Nichts zu befürchten?«

»Nicht das Mindeste.«

»Gut. Der Brief wird verbrannt, und damit ist alle Besorgniß verschwunden. Nun fehlt nur noch Alfonzo.«

»Ich werde in seinem Interesse handeln. Die Behörde wird sich zunächst in Allem an mich als den Sekretär des Verstorbenen wenden müssen.«

»Wie steht es mit den Verwesungsflecken?«

»Es wird sich eine Gelegenheit finden, sie anzubringen.«

»Du oder ich?«

»Ich. Ich verstehe das besser.«


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»Bleibt der Graf im Zimmer liegen?«

»Nein; das wird gerichtlich verschlossen, bis das Testament eröffnet worden ist.«

»Wann wird dies geschehen?«

»Nach hiesigen Gesetzen noch heute, um zu sehen, wer der Erbe ist und hier zu gebieten hat.«

»Aber wohin kommt die Leiche?«

»Auf ein Paradebette im großen Salon. Bereite alles Nöthige dazu vor. Er wird schwarz ausgeschlagen.«

»Mein Gott, giebt es da zu thun!«

»Für mich ebenso. Ich habe für den Sarg zu sorgen und alles Uebrige zu leiten. Der Tag graut bereits. Ich werde die Arbeit sogleich beginnen.«

»Ich ebenso, und zwar mit diesem Papiere.«

Sie warf das Couvert sammt Inhalt in den Marmorkamin und verbrannte es.

Nach einigen Stunden wurde Cortejo zu dem Arzte gerufen.

»Sie sind der Sekretär von Don Ferdinando?« fragte dieser.

»Ja.«

»Sie haben alle seine Angelegenheiten geleitet?«

»Allerdings.«

»So erkläre ich Ihnen, daß der Graf wirklich todt ist.«

Cortejo machte ein sehr erschüttertes Gesicht.

»Ist das nur möglich!« klagte er.

»Auch ich hielt es für unmöglich, mußte aber doch endlich daran glauben.«

»Sie sagten, es sei Tetanus?«

»Ja. In unserem südlichen Klima kann die kleinste Verletzung zum Tode durch Starrkrampf führen.«

»O, Sennor, es ist wohl nicht nur allein das Klima schuld,« bemerkte Cortejo.

»Was sonst?«

»Die Familie de Rodriganda ist zu Tetanus geneigt.«

»Ah, der Starrkrampf ist erblich in der Familie?« fragte der Arzt überrascht.

»Allerdings. Der Vater sowohl als auch der Großvater des Grafen starben daran. Dieser traurige Fall ist bereits seit vier Jahrhunderten bei den Rodriganda erblich, wie ich ganz genau weiß.«

»O, so bin ich beruhigt, so habe ich mir keine Vorwürfe zu machen!«

»Gewiß nicht, Sennor. Aber, werden Sie mir gestatten, die Leiche hier zu entfernen? In einer halben Stunde werden die Vertreter der Behörde erscheinen, um die Nachlaßangelegenheit zu ordnen.«

»Wollen wir die Leiche nicht öffnen?«

»Ich möchte diese Frage verneinen.«

»Warum?«

»Kein Rodriganda ist geöffnet worden, eben des Starrkrampfes wegen. Es ist das so eine Art von Familientradition.«

»Das müßte man respectiren!«

»Ich bitte darum, Sennor! Ich weiß genau, daß Don Ferdinando, so oft vom Tode die Rede war, stets sehr energisch gegen das Messer protestirt hat. Uebrigens frage ich, ob ich mir eine geschäftliche Bemerkung gestatten darf?


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»Sprechen Sie, Sennor!«

»Sie erhielten als Hausarzt des Grafen ein Gehalt von vierhundert Pesos?«

»Ja.«

»Es ist Gebrauch der Familie de Rodriganda, beim Todesfalle dem Hausarzt ein fünffaches Gehalt auszuzahlen. Sollten Sie im Testament nicht erwähnt sein, so werde ich den Erben veranlassen, sich dieses Gebrauches zu erinnern

Spätauflage

Der Arzt verbeugte sich sehr dankbar. Mit dieser Bemerkung hatte der schlaue Sekretär jeden Widerstand von vorn herein gebrochen. Der Doctor fragte nur noch:

»Wer wird der Erbe sein?«

»Don Alfonzo, wie ich vermuthe.«

»Sie waren als Zeuge zugegen, als der jetzt verstorbene Graf sein Testament abfaßte?«

»Ja.«

»So kann ich Ihre Vermuthung als Gewißheit nehmen. Wollen Sie die Gewogenheit haben, mich Don Alfonzo zu empfehlen? Ich habe stets das Vertrauen Don Ferdinando's besessen.«

»Ich werde mein Möglichstes thun, Sennor!« antwortete Cortejo bejahend.

»So werde ich Ihnen für die Herren von der Behörde den Todtenschein ausstellen, behalte mir aber eine nochmalige Untersuchung der Leiche vor, ehe sie beerdigt wird.«

»Ich bitte sogar darum, Sennor!«

Somit war die Hauptsache in Ordnung gebracht.

Man hatte den Todten noch nicht entfernt, als die Gerichte erschienen. Die alte Amme mußte sich entfernen, und nur Cortejo durfte bleiben als Derjenige, welcher zu Lebzeiten des Grafen diesen zu vertreten gehabt hatte.

Don Ferdinando hatte sein erstes Testament bei der Behörde deponirt; dieses wurde jetzt geöffnet. Es stellte sich heraus, daß Alfonzo der einzige Erbe sei. Von den weiteren Punkten war hervorzuheben, daß dem Erben anempfohlen wurde, den Sekretär, welchem überdies ein höchst beträchtliches Legat zufiel, in seinem Dienste zu behalten. Auch sämmtliche Bedienstete waren bedacht, doch sollten sie dies erst nach dem Begräbnisse erfahren.

»Und wo befindet sich Graf Alfonzo?« fragte der Testamentseröffner.

»Auf einer fernen Hacienda.«

»Wann kehrt er zurück?«

»Vielleicht schon heute, spätestens in einigen Tagen.«

»Lassen Sie mich sein Eintreffen sofort erfahren, Sennor! Ich werde ihn besuchen, um das Nöthige mit ihm zu bereden. Für jetzt aber ertheile ich Ihnen Vollmacht, im Sinne des Testamentes für die Beerdigung zu sorgen und das Uebrige zu leiten. Wo befinden sich die Papiere des Verstorbenen?«

»In der Bibliothek und hier.«

»Und die Gelder, Werthsachen und dergleichen?«

»In diesem Schreibtische.«

»So sehe ich mich genöthigt, die ganze Wohnung Don Ferdinando's bis auf


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Weiteres unter Siegel zu legen. Sie haften dafür, daß die Siegel respectirt werden!«

Cortejo nickte und meinte dann:

»Ich ersuche Sie, mir zuvor eine Summe zum Zwecke der Beerdigung auszuhändigen. Ich werde darüber Rechnung ablegen.«

»Die sollen Sie haben.«

Somit war Alles geordnet, und die Zimmer des Grafen wurden versiegelt, nachdem die Leiche nach dem Salon geschafft worden war.

Im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht von dem Tode des allgemein beliebten Grafen Ferdinando durch die ganze Stadt. Man erfuhr, daß er die Wunde im Duell erhalten habe, und es wurden ausnahmslos von jeder distinguirten Familie Condolenzkarten abgegeben.

Bereits am Nachmittage gelang es Cortejo, eine längere Zeit bei dem Todten allein zu sein, und das benutzte er, die Flecken anzubringen. Sie gelangen so gut, daß selbst ein Kenner getäuscht werden konnte, und als des andern Tages der Arzt kam, um die Leiche einer nochmaligen Untersuchung zu unterwerfen, ertheilte er beim Erblicken dieser Flecken sofort die Erlaubniß zur Beerdigung.

Aber dieser zweite Tag brachte noch etwas Anderes.

Am Nachmittage saß Cortejo bei der Schreiberei, als er den Hufschlag eines Pferdes hörte, dessen Reiter vor dem Portale anhielt. Er bekümmerte sich nicht um denselben, sondern ließ dies der Dienerschaft über, bald aber vernahm er rasche, sporenklirrende Schritte vor seiner Thür; diese wurde geöffnet und vor ihm stand - Alfonzo.

Er fuhr vom Schreibtische empor.

»Alfonzo!« rief er.

»Oheim!« antwortete der Andere.

»O, ich habe auf Dich gewartet!«

»O, ich habe mich nach Mexiko und Euch gesehnt!«

»Weißt Du schon, daß der Graf todt ist?«

»Ja,« lachte Alfonzo.

»Du lachst! Worüber?«

»Ueber Deine Allwissenheit.«

»Wie so?«

»Du schriebst mir, daß Graf Ferdinando sterben werde; ich komme, steige vom Pferde und - erfahre, daß er todt ist. Das nenne ich prompt!«

»Und Du fragst nicht, wer der Erbe ist?«

»Nein. Der bin ja ich.«

»Oho!«

Alfonzo erbleichte, als er diesen Ausruf hörte.

»Oder etwa nicht?«

»Na, habe keine Sorge,« beruhigte ihn sein Oheim, »Du bist der Erbe, aber es fehlte nicht viel, so warst Du es doch nicht.«

»Wer sonst?«

»Graf Emanuel in Rodriganda.«

»Der Teufel hole ihn! Wie kam das?«


// 518 //

»Du wirst es sofort erfahren. Vor allen Dingen sage mir, wie Du aussiehst?«

Der Angekommene warf einen lachenden Blick auf seinen zerfetzten Anzug und sagte:

»Ja, ich komme direkt aus der Wildniß. Doch läßt sich da leicht helfen; ich darf nur nach meinen Zimmern gehen und mich umkleiden.«

Da öffnete sich die Thür und Josefa trat ein. Als sie den Cousin erblickte, erbleichte sie vor freudigem Schreck, dann trat eine tiefe Gluth in ihre Wangen und sie rief, die Arme ausbreitend:

»Alfonzo! Mein Alfonzo! Komm in meine Arme, theurer Cousin!«

Und da er keine Anstalt machte, ihr in die Arme zu fallen, so flog sie auf ihn zu, drückte ihn an ihre busenlose Brust und küßte ihn heiß und stürmisch auf den Mund. Er wollte sie von sich abwehren, da ihm dies aber nicht gelang, so wurde er zornig.

»Laß mich!« gebot er ihr. »Ich verbitte mir diesen Spektakel! Wie kannst Du mich so laut Cousin nennen! Wenn es Jemand hört, so sind wir verrathen.«

»O, ich bin so unendlich glücklich, Dich wieder zu haben!« rief sie.

»Das ist aber noch kein Grund, mir mit Deinem einzigen Zahne die Lippen abzubeißen!«

Das half. Ihre Eulenaugen sprühten plötzlich ein zorniges Feuer, und sie sagte, sich stolz von ihm abwendend:

»Diese Beleidigung wirst Du mir abbitten!«

»Heute nicht!« lachte er.

»Aber morgen!«

»Nie!«

»Warte es ab! Ich lasse mich nicht ungestraft beleidigen, wo mein Herz vor überschwenglicher Liebe überfließt!«

»Laß es meinetwegen überlaufen, mich aber verschone mit dieser überflüssigen Brühe. Wo sind die Schlüssel zu meiner Wohnung, Cortejo?«

Der Gefragte hatte dieser Empfangsscene mit Spannung zugesehen. Jetzt deutete er mit finsterer Miene auf ein schwarzes Bret, welches an der Wand befestigt war; es enthielt an vielen messingenen Haken eine Menge von Schlüsseln.

»Dort sind sie,« sagte er finster.

Alfonzo blickte ihn überrascht an.

»Was hast Du?« fragte er.

»Nichts!«

»Nun, so kann der Sekretär sich schon die Mühe machen, seinem Herrn die Schlüssel zu reichen!«

Das Gesicht Cortejo's wurde noch finsterer, und er antwortete:

»Oder der Neffe kann so rücksichtsvoll sein, seinem Onkel eine solche Handreichung zu erlassen!«

Alfonzo lachte.

»Onkel,« sagte er, »spiele nicht Komödie; ich tauge weder als Mitspieler, noch als Publikum!«

»Bis jetzt bist Du nur Statist gewesen; es ist allerdings möglich, daß Du


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gezwungen wirst, von der Bühne abzutreten. Nimm Deine Schlüssel, gehe auf Deine Zimmer und kleide Dich um; dann sendest Du den Diener und lässest mich zu Dir rufen!«

Das war in einem so festen Tone gesprochen, daß der leichtsinnige junge Mann doch den Muth zu einer weiteren Entgegnung nicht hatte. Er gehorchte und ging.

Cortejo wendete sich an seine Tochter:

»Josefa, wir haben eine große Dummheit begangen.«

»Welche?«

»Daß Du gestern das zweite Testament verbrannt hast. Dort im Kamin liegt noch die Asche.«

Ihre Augen leuchteten triumphirend auf; aber dennoch sagte sie im bedauernden Tone:

»Ja. Aber warum war es eine Thorheit?«

»Weil wir ihn in der Hand hätten, wenn das Testament noch da wäre.«

»Haben wir ihn nicht auch so in der Hand?«

»Sicher nicht.«

»Wir wollen es versuchen.«

Cortejo setzte seine Arbeit fort, und Josefa ging nach ihrem Zimmer. Dort öffnete sie das verborgene Fach eines Schrankes und zog einige Bogen Papier hervor. Es war - das gestrige Testament.

»O, wie gut, wie gut und klug war es,« murmelte sie, »daß ich gestern das kleine Taschenspielerstückchen machte und eine Zeitung anstatt des Testamentes verbrannte! Er ist in meiner Hand und soll mir sicherlich nicht entrinnen!«

Als Alfonzo sich umgekleidet hatte, klingelte er dem Diener und befahl diesem, den Sekretär zu rufen.

Dieser kam sofort, nahm ungenirt auf einem Stuhle Platz und begann die Unterredung:

»Wie ist es Dir gegangen, Alfonzo? Du siehst wirklich recht abenteuerlich aus!«

»Miserabel ist es mir gegangen, ja ganz und gar miserabel! Ich werde es Dir erzählen; zuvor aber möchte ich erfahren, was hier geschehen ist; das ist die Hauptsache. Rede also, Onkel!«

Cortejo nickte mit dem Kopfe und fragte:

»Meinen Brief hast Du erhalten?«

»Ja.«

»Und die beiden Couriere sind Dir auch begegnet?«

»Welche Couriere?«

»Ah, also hast Du sie nicht getroffen?«

»Nein. Ich war zu Umwegen gezwungen.«

»Ich sandte im Auftrage Don Ferdinando's zwei reitende Boten an Dich ab, um Dich holen zu lassen.«

»Gleich zwei? Da muß die Veranlassung sehr wichtig gewesen sein.«

»Allerdings!«

»Wohl die Krankheit des Grafen?«

»Nein, sondern Dein Duell.«


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»Donnerwetter! Das mit dem Grafen Embarez?«

»Ja. Embarez schrieb dem Grafen und gab drei Tage Zeit, nach welcher Frist er die Angelegenheit in den Blättern veröffentlichen wollte.«

»Der Teufel soll ihn holen! Ich hätte das Gesicht des Grafen sehen mögen!«

»Ich habe es gesehen; es war nicht vergnüglich.«

»Das glaube ich! Was that er?«

»Er sandte zunächst die Couriere ab, welche Dich holen sollten, und ging dann zu Embarez, um - -«

»Um eine Frist für mich zu erbitten, vielleicht?« fiel ihm Alfonzo in die Rede.

»Das fiel ihm nicht ein,« antwortete Cortejo. »Don Ferdinando war ein Ehrenmann und kein Feigling; er hielt auf seinen Namen. Daher ging er zu Embarez, um die Ehrensache für Dich auszufechten.«

»Donnerwetter! Ist dies wahr, so ist die Angelegenheit beendet.«

»Ganz und gar.«

»So sage ich, daß dieser gute Don Ferdinando in seinem ganzen Leben keinen besseren Gedanken gehabt hat, als sich an meiner Stelle erstechen zu lassen! Denn ich vermuthe, daß sein Tod die Folge jenes Duells ist.«

»Dies ist die allgemeine Meinung.«

»So starb er aus einem anderen Grunde?«

»Aus einem ganz und gar anderen.«

»Du machst mich neugierig, Dein Brief enthielt bereits eine Andeutung. Woran ist er gestorben?«

Cortejo zog den Brief seines Bruders aus der Tasche, welchen er bereits Josefa gezeigt hatte, und gab denselben dem Neffen.

»Lies diesen Brief,« sagte er.

Alfonzo durchflog das Schreiben, und fragte dann gespannt:

»So ist also dieser Brief die Ursache von dem Tode Don Ferdinando's?«

»Ja, aber nicht von seinem Tode. Er lebt.«

Alfonzo sprang auf.

»Er lebt?« rief er. »Bist Du nicht gescheidt!«

»Ich hoffe, wenigstens ebenso gescheidt zu sein, wie Du!« antwortete der Sekretär.

»Aber es ist ja eine Dummheit, ihn leben zu lassen!«

»Ich folge der Weisung meines Bruders, der Dein Vater ist.«

»Aber wie stimmt das? Ihr sagt, er sei todt, und Du behauptest, daß er noch lebe!«

»Das ist sehr einfach; er ist scheintodt.«

Alfonzo erbleichte.

»Scheintodt! Donnerwetter! Das muß fürchterlich sein!«

»Es ist Starrkrampf!«

»So weiß er, was mit und um ihn vorgeht?«

»Vielleicht.«

»Aber wie hast Du das fertig gebracht, Onkel?«

»Ich gab ihm ein Gift, welches den Starrkrampf hervorbringt. Diese Wirkung dauert eine Woche; dann lebt er wieder auf.«


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»Und was geschieht dann mit ihm?«

»Er wird auf dem Schiffe unseres guten Henrico Landola erwachen.«

»Der ihn verschwinden läßt?«

»Ja. Ich werde ihn nach der Küste schaffen, eingepackt in einem Korbe.«

»Das ist schwer! Zwischen hier und dem Meere giebt es viel Gesindel.«

»Das ist wahr. Ich muß eine Bedeckung haben und darf diese Leute doch nicht einweihen. Ich befinde mich wirklich in Verlegenheit, woher ich solche Männer nehmen soll.«

Da antwortete Alfonzo rasch:

»O, da kann ich Dir helfen!«

»Du?« fragte Cortejo verwundert.

»Ja.«

»Kennst Du zuverlässige Leute, welche tapfer, verschwiegen und nicht neugierig sind?«

»Ich kenne welche, die diese Eigenschaften in hohem Grade besitzen.«

»Wer ist es?«

»Es sind meine Begleiter von der Hacienda her.«

»Ah, Vaqueros! Die taugen mir nicht!«

»Nicht Vaqueros, sondern Indianer.«

»Das ginge eher. Sind es christliche?«

»Nein, heidnische.«

»Also Indios bravos! Von welchem Stamme sind sie?«

»Es sind Comanchen.«

»Comanchen?« fragte der Sekretär erschrocken. »Du scherzest!«

»Es ist mein Ernst!«

»Aber die Comanchen sind ja fürchterliche Kerls! Sie wohnen gar nicht in Mexiko, sondern an der Grenze und kommen nur herein, um zu morden, zu rauben und zu plündern. Ich habe noch Keinen gesehen!«

»Auch ich hatte noch Keinen gesehen. Sie sind allerdings hundert Mal fürchterlicher, als unsere wilden Indianer; aber sie sind meine Freunde und werden Dir treu dienen.«

»Deine Freunde? Sie haben Dich nach Mexiko begleitet?«

»Ja. Sie sind in den Bergen vor der Stadt in einem Verstecke.«

»Aber das klingt ja wie ein Abenteuer, wie ein Roman!«

»Es ist auch ein ganzer Roman, den ich erlebt habe. Ich sehe schon, daß ich ihn Dir erzählen muß.«

Er begann nun, seine Erlebnisse auf der Hacienda zu erzählen. Er berichtete von den Comanchen, den Apachen, von der Höhle des Königsschatzes, von den Kämpfen, von seiner fürchterlichen Lage am Baume des Alligatorenteiches. Er erzählte sogar ganz aufrichtig von seinem Angriffe auf die Tochter des Haciendero und sagte dann auch, was er den sechs Comanchen für ihre Begleitung versprochen hatte.

Cortejo hörte mit offenem Munde und starren Gesichtszügen zu, bis er geendet hatte. Dann rief er:


// 522 //

»Mein Gott, das ist ja kaum zu glauben! Du hast also diese ungeheuren Schätze wirklich gesehen?«

»Ja.«

»Und sie sind fort?«

»Fort!«

»Wohin?«

»Das weiß nur dieser verdammte Büffelstirn und vielleicht noch seine armseligen Miztecas!«

»Man muß suchen, jahrelang suchen nöthigenfalls!« meinte Cortejo begeistert.

»Das werde ich auch thun, nun ich der Besitzer der Hacienda bin.«

»Und an dem Baume hast Du wirklich gehangen?«

»Wirklich! Es waren die fürchterlichsten Stunden meines Lebens. Diese beiden Häuptlinge werden sie mir entgelten müssen.«

»Und diesen Donnerpfeil, diesen Deutschen, hast Du erschlagen?«

»Ich hoffe, daß er an dem Hiebe zu Grunde gegangen ist oder noch zu Grunde geht!«

»Er muß jedenfalls sterben, denn er ist der einzige Weiße, der den Schatz gesehen hat!«

»Ich werde mit einer Schwadron Lanzenreiter nach der Hacienda gehen.«

»Du wirst die Schwadron bekommen; dem Grafen de Rodriganda wird man sie nicht abschlagen.«

»Dann nehme ich Rache an dem ganzen Gelichter; darauf kannst Du Dich verlassen!«

»Also Du denkst, daß Deine Comanchen mich begleiten werden?«

»Ja, denn wir werden sie bezahlen. Willst Du heute mit ihnen sprechen?«

»Wann?«

»Am Abend. Sie erwarten, daß ich ihnen da ihre Belohnung bringe.«

»Ich reite mit.«

»So sorge für Alles, was ich ihnen versprochen habe!«

»Wie viel ist es?«

»Ich werde es Dir aufschreiben. Aber, vor allen Dingen, wie steht es hier mit der Erbschaft?«

»Du bist der Universalerbe.«

»Ist das Testament eröffnet?«

»Ja. Ich soll den Präsidenten benachrichtigen, wenn Du da bist, so will er kommen und die Sache ordnen.«

»So sende gleich zu ihm.«

»Fast wäre uns das Erbe entgangen.«

»Wieso?«

»Don Ferdinando hatte ein zweites Testament gemacht.«

»Hole ihn der Teufel! Wie kam dies?«

Cortejo erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Alfonzo:

»Diese Amme muß man zum Teufel jagen!«

»Das wäre dumm, denn sie würde reden. Man muß sie vollständig unschädlich machen.«


// 523 //

»Das soll heißen?«

»Man stopft ihr das Maul durch Geschenke, oder man läßt sie auf irgend eine Weise verschwinden.«

»Ich habe keine Lust, ein solches Weib noch zu beschenken!«

»So thun wir also das Zweite! Jetzt aber hast Du zunächst eine heilige Pflicht zu erfüllen.«

»Welche wäre das?«

»Da fragt dieser Mensch, welche Pflicht er hat!« lachte Cortejo. »Bedenke doch, daß Du Sohn und Neffe des Verstorbenen bist! Was sollen die Diener sagen, wenn Du Dich um den Todten nicht bekümmerst!«

»Du meinst, ich solle mir die Leiche ansehen?«

»Ja.«

»Ein wenig weinen?«

»Natürlich!«

»Wohl gar am Sarge beten?«

»Das versteht sich!«

»Und große Trauer anlegen?«

»Wie es sich schickt!«

»Gut, ich werde diese saure Arbeit auf mich nehmen! Zuvor aber muß ich Dir Eins sagen. Es betrifft Josefa.«

»So sprich!« sagte Cortejo erwartungsvoll.

»Was hatte dieser überschwängliche Empfang heute zu bedeuten?«

»Ueberschwänglich? Das habe ich nicht gefunden. Soll die Cousine sich nicht freuen, wenn der Cousin zurückkehrt?«

»Das war nicht cousinenhaft. Ich glaube gar, das Mädchen ist verliebt in mich!«

»Ich glaube es auch,« sagte Cortejo kalt.

»Ah! Und Du verbietest es ihr nicht?«

»Ich kann es ihr nicht verbieten, weil sich die Liebe aus keinem Verbote Etwas macht!«

»Aber Du siehst doch ein, daß sie hier nicht am Platze ist!«

»Nein, das sehe ich nicht ein.«

»Nicht? Ah! Du meinst also vielleicht gar, Josefa und ich könnten ein Paar werden?«

»Ich halte es für möglich.«

»Aber ich nicht!« rief Alfonzo zornig, »denn sie ist bürgerlich!«

»Du auch!« erklang es scharf.

»O, ich bin von heute an Graf Rodriganda!«

»Und sie kann am Hochzeitstage ebenso sagen wie Du: Ich bin von heute an Gräfin von Rodriganda!«

»Das wird niemals geschehen!«

»Ihr seid Euch ebenbürtig. Dein Grafenthum ist kein Grund, sie zu verachten.«

»Aber sie ist älter als ich, auch nicht schön, ja nicht einmal hübsch!«

»So wird sie keine Anfechtung zur Untreue zu erdulden haben; das ist viel werth, lieber Alfonzo.«

»Sie hat ferner kein Herz und kein Gewissen.«


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»Du auch nicht.«

»Nicht einmal Zähne!«

»Sie läßt sich welche einsetzen.«

»Ich halte sie jedes Verbrechens fähig!«

»Wir Dich auch.«

»Hole Euch der Teufel!« rief er grimmig.

»Wenn er uns holt, so nimmt er Dich auch mit,« sagte Cortejo ruhig. »Wir gehören zusammen. Ja, wir sind vor dem Gesetze alle Drei verschiedener Verbrechen schuldig, und das Verbrechen bindet mehr als die Tugend. Du wirst nie in Deinem Leben Dich von uns lossagen können; das merke Dir!«

»Und wenn ich es dennoch thue?«

»So bist Du verloren.«

»Und Ihr mit!«

»Ich glaube das nicht. Es kommt sehr auf die Art und Weise an, wie man solche Dinge angreift.«

»Ich kenne diese Art und Weise.«

»Wir auch. Wenn Du vernünftig nachdenkst, so wirst Du finden, daß wir Dir überlegen sind. Was Du bist, das bist Du durch uns. Du stehst und fällst mit uns. Uebrigens wollen wir dies Thema fallen lassen.«

»Und zwar für immer, hoffe ich!«

»Wenigstens für jetzt. Gehe zu Deinem Vater und Onkel und versuche, Deine Rolle gut zu spielen!«

Das erste Wort in Beziehung auf Josefa war gesprochen. Alfonzo war nun vorbereitet; er wußte, was man von ihm wollte, und nun stand es bei ihm, sich für oder gegen sie zu entscheiden.

Er spielte am Sarge des Grafen den über alle Maßen Betrübten, und seine Thränen flossen so, daß die Diener wirklich Mitleid mit ihm fühlten. Uebrigens wurde er bald gestört, denn es kamen viele Leute, welche sich den Todten ansehen wollten. Es ist in Mexiko Sitte, daß in solchen Fällen Jedermann Zutritt hat. Man treibt ein förmliches Schaugepränge mit der Leiche, und so kommen Arme und Reiche, Vornehme und Geringe, um die Pracht der Ausstattung sich anzusehen.

Cortejo stand nach einiger Zeit im Begriff, einmal sich in dieses Gewühl der Neugierigen zu mischen, um irgend Etwas im Saale zu besorgen, als ein Mann aus demselben trat, bei dessen Anblick er bis in das Innerste erschrak. Es war ein Indianer mit einer scharfen Habichtsnase, auf welcher eine monströse Brille saß - Benito der Giftdoctor.

Auch er sah Cortejo und trat sofort auf ihn zu.

Nun, habe ich Euch betrogen, Sennor?

»Nun,« sagte er, »habe ich Euch betrogen, Sennor?«

Der Sekretär zog ihn sofort in ein leeres Zimmer.

»Unglückseliger,« sagte er, »was habt Ihr hier zu suchen?«

»Nichts. Ich sehe gerne Leichen an,« antwortete der Indianer sehr ruhig.

»Aber wie kommt Ihr hierher?«

»Hm, ich kannte Euch schon längst. Ich ahnte, wer das Gift bekommen sollte, und kam nun, um zu sehen, ob die Gabe gut getroffen war.«

»Nun?«


// 525 //

»Sie war richtig.«

»Wann wird er erwachen?«

»In sechs Tagen, er ist sich jedoch Alles bewußt.«

»Mein Gott! So hört er, was um ihn vorgeht?«

»Ja, selbst mit dem einen Auge, das Ihr nicht ganz zugemacht, kann er sehen.«

»Aber das ist ja gefährlich!«

»Das ist Eure Sache, Sennor. Ich sehe Euch nicht in die Karte; aber wenn es Euch einmal sehr gut gehen sollte, so vergeßt den armen Benito nicht!«

Er sprach diese Worte mit einem Augenwinke, der nicht beredter sein konnte und schlüpfte dann zur Thür hinaus. Cortejo folgte ihm. Draußen ging gerade Alfonzo vorüber.

»Wer war der Kerl? Was hattest Du mit ihm?« fragte er, da gerade Niemand zugegen war.

»Alle Wetter, hatte ich jetzt einen Schreck!« antwortete Cortejo.

»Worüber?«

»Eben über diesen Menschen.«

»Warum?«

»Es war dieser Benito.«

»Benito? Welcher Benito?«

Der Sekretär war noch immer ziemlich fassungslos. Er antwortete, nachdem er sich umgeblickt hatte:

»Der Giftdoctor.«

»Donnerwetter! Von dem das Mittel war?«

»Ja.«

»Hast Du ihm denn gesagt, wer Du bist?«

»Nein; er hat mich gekannt.«

»Ahnt er, wer das Gift bekommen hat?«

»Er weiß es nun sogar.«

»Das ist schlimm!«

»Sehr schlimm!«

»Ist er verschwiegen?«

»Wer kann auf die Verschwiegenheit solcher Leute rechnen!«

»Er wird sich wie ein Blutegel an Dich hängen.«

»Ich werde ihn abschütteln!«

»Abschütteln und zertreten, das ist das Beste.«

»Uebrigens habe ich von ihm Etwas erfahren, was mir große Sorge machen wird.«

»Was?«

»Der Graf ist bei Besinnung.«

»Nicht möglich!«

»Er hört und sieht Alles.«

»Das ist schrecklich!« Dann aber flog ein höhnisches Lächeln über das Gesicht Alfonzo's und er sagte: »So möchte ich wissen, was er gedacht hat, als er mich weinen und jammern hörte!«


// 526 //

Da kam ein Diener herbeigeeilt und meldete, daß der Präsident den Grafen zu sprechen wünsche. Alfonzo ließ den Beamten zu sich bescheiden und nahm Cortejo mit. Die Erbschaftsangelegenheit wurde zur größten Zufriedenheit geordnet. Er war nun der Besitzer von Millionen.

Am Abende, als Alles zur Ruhe gegangen war und nur die Klagefrauen bei dem Todten wachten, öffnete sich eine Hinterpforte des Palastes, und es wurden drei Pferde herausgeführt. Zwei trugen Reitsättel, und das dritte war mit Waffen und andern Dingen hoch bepackt. Alfonzo und Cortejo stiegen auf und verließen auf finsteren, unbelebten Straßen die Stadt.

Sie wandten sich nach den Bergen, welche im Norden der Stadt liegen, und kamen nach einem Ritte, welcher über eine Stunde währte, in ein enges Thal, in welchem ein kleines Feuer brannte, an welchem aber Niemand zu bemerken war.

Die Indianer hatten sich vorsichtiger Weise von demselben zurückgezogen, um erst zu sehen, wer die Nahenden seien. Als sie Alfonzo erkannten, kamen sie herbei.

»Mein weißer Bruder hielt Wort,« sagte der Anführer.

»Was ich verspreche, das gilt,« antwortete Alfonzo stolz.

»Wer ist der andere weiße Mann?«

»Mein Freund.«

»So mag er die Pfeife des Friedens mit uns rauchen!«

»Ist das nicht zu umgehen? Wir haben keine Zeit.«

»Zur Pfeife des Friedens ist stets Zeit. Wer sie nicht mit uns rauchen will, der ist unser Feind. Und was der Mann thut, das muß er mit dem Nachdenken des Geistes thun.«

Es blieb den Beiden nichts Anderes übrig; sie mußten sich in die indianische Sitte fügen.

Man setzte sich auf die Erde, brannte die Pfeife an und ließ sie dann von Hand zu Hand gehen. Dann erst fragte der Anführer:

»Meine Brüder haben uns Alles mitgebracht, und zwar Gewehre, Messer, Blei und Pulver?«

»Wir sind für Alles besorgt gewesen, auch um Perlen und Schmuck für die Squaws.«

»So.«

Der Comanche hatte nach der vorsichtigen Sitte der Wilden Alles einzeln aufgeführt. Jetzt fragte er:

»Und auch genug?«

»So viel, wie wir ausgemacht haben.«

»Wir werden abladen. Haben meine weißen Brüder vorher noch Etwas zu sagen?«

»Ja,« antwortete Alfonzo.

»So mag der weiße Graf sprechen!«

»Wollen meine rothen Brüder gleich wieder zurückkehren?« fragte Alfonzo.

»Ja.«

»Wollen sie sich nicht noch mehr Waffen und Schmuck verdienen?«

»Was sollen wir für diese Sachen thun?«

»Diesen Mann beschützen, mit dem Ihr die Pfeife des Friedens geraucht habt.«

»Ist er in Gefahr, daß er des Schutzes seiner rothen Freunde bedarf?«

»Nein. Er will von den Bergen hinabreiten bis an das Meer -«


// 527 //

»Wo das große Wasser ist?«

»Ja. Auf dem Wege dorthin giebt es viele böse Menschen, und darum sollen meine Brüder mit ihm gehen, um ihn zu beschützen.«

»Wie viele Tage muß man reiten, um das große Wasser zu sehen, auf dem die Schiffe gehen?«

»Fünf Tage.«

»Wollen meine weißen Brüder jedem von uns geben noch zwei Messer, sowie auch zwei Spiegel, in welchem man das Gesicht sehen kann?«

»Ja.«

»Ein rothes Tuch, um den Kopf zu binden, nicht minder zwei Sporen, wie sie die Weißen tragen?«

»Ja.«

»Eine hölzerne Pfeife, um Tabak zu rauchen, und dazu ein Pack Tabak, so groß wie der Kopf eines Mannes?«

»Auch das.«

»So werden wir den weißen Bruder bis an das große Wasser begleiten. Wann reitet er fort?«

»In zwei oder drei Tagen.«

»So sollen wir hier warten?«

»Ja.«

»Dann müssen uns die weißen Brüder noch geben etwas rundes Silber, welches die Weißen Geld nennen, damit wir nicht zu hungern brauchen, sondern uns in den Häusern der Weißen kaufen können, was wir essen wollen.«

»Auch das sollt Ihr haben.«

»Wie viel?«

»Zehn Pesos.«

»Kann man davon sechs Männern so lange zu essen geben?«

»Ja.«

»So gebe mein Bruder das Silber!«

Die Comanchen erhielten das Geld und auch Alles, was das Lastpferd herbeigeschleppt hatte. Sie äußerten eine große Freude, und als sie noch ein Paquet Cigarren erblickten, welches zugegeben worden war, so kannte diese Freude keine Grenzen.

Nach einem nur noch kurzen Aufenthalte ritten die Beiden wieder davon, der Stadt entgegen.

Als sie nach Hause kamen und sich zur Ruhe begeben wollten, blickte Cortejo noch einmal in den Saal, in welchem die Leiche lag. Dort saß die Amme bei den Klageweibern. Als sie den Sekretär erblickte, erhob sie sich und kam auf ihn zu.

»Verzeiht, Sennor! Es ist nicht die rechte Zeit dazu, aber darf ich dennoch eine Frage sagen?«

»Welche?«

»Das Testament ist eröffnet worden, und zwar gestern gleich nach dem Tode des Grafen. War es das Testament, welches im mittleren Fache des Schreibtisches lag?«


// 528 //

»Es wird dasselbe wohl gewesen sein. Der Präsident hat Alles übernommen und versiegelt.«

»Ich hörte, daß Don Alfonzo Haupterbe ist, und daß Viele ein Geschenk erhalten haben.«

»Allerdings.«

»Habe auch ich Etwas erhalten?«

»Ja. Du bekommst tausend Pesos und freie Pflege bis zu Deinem Tode.«

Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»So stand es im Testamente?«

»Ja.«

»O, dann ist es nicht das richtige Testament gewesen.«

»Warum denkst Du das?«

»Weil Don Ferdinando mir etwas Anderes versprochen und auch im Testament hinzugeschrieben hat.«

»Was war das?«

»Ich sollte in meine Heimath nach Spanien zurückkehren dürfen und so viel erhalten, daß ich bis zu meinem Tode ohne Sorgen leben kann.«

»Und er hat dies auch zum Testament hinzugeschrieben? Wann?«

»Am Abend vor seinem Tode.«

»Da konnte er ja gar nicht schreiben; er war verwundet.«

»O, er konnte schreiben. Ich mußte ihn emporsetzen und die Feder eintauchen; es ging ganz gut.«

»Und wohin ist dann das Testament gekommen?«

»In das mittlere Fach des Schreibtisches.«

»So muß ich einmal mit dem Präsidenten sprechen, ob das darin steht, von dem Du redest.«

»Ja, sprecht mit ihm, Sennor! Nun der gnädige Herr todt ist, mag ich nicht länger hier bleiben.«

»Wenn sich aber das Geschriebene nicht im Testament befindet?«

»So ist ein falsches Testament eröffnet worden.«

»Waren denn zwei da?«

»Ja.«

»Woher weißt Du das?«

»Don Ferdinando sagte es, als er das zweite schrieb.«

»Ah, warum machte er ein zweites?«

»Das kann ich nicht sagen; aber ich müßte dann mit dem Präsidenten sprechen, damit er das richtige sucht.«

»Laßt mich zuvor selbst mit ihm reden, Maria. Du sollst erfahren, was er gesagt hat.«

»Ja.«

»Gewiß!«

Er ging, indem er einen leisen Fluch zwischen die Zähne murmelte. Dieses Weib konnte ihm noch viel zu schaffen machen.

Am andern Tage wurde das Begräbniß des Grafen de Rodriganda gefeiert. Die ganze Haute volée betheiligte sich dabei. Der Graf wurde auf dem Friedhofe


Ende der zweiundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Waldröschen

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