(|109|)A XII. [Zwölftes Kapitel.]

Ein Rückblick.

Es war zu Siut in Egypten. Die glühende Mittagssonne verbreitete eine drückende Schwüle über die Stadt, in deren engen Straßen selten der eilende Schritt eines Menschen, der kurze Trab eines Esels oder das Schnauben eines Kameels zu hören war. Sprühende Gluth vibrirte über den Wassern des Nils, und kein einsamer Kahn, keine Barke war auf den Wogen zu sehen. Einige Sandals lagen im Hafen, aber von der Besatzung war kein Kopf, kein Glied zu sehen, da sich die Leute vor der Hitze an das Ufer zurückgezogen hatten, um sich in dem kühlen Raume eines Kawuah (Kaffeewirthes) zu erholen.

Am Ufer des Flusses stand ein großes Gebäude, von welchem allerdings nicht viel zu erkennen war, da das ganze zu ihm gehörige Areal von einer sehr hohen Backsteinmauer umgeben wurde. Diese Letztere umschloß zunächst einen Garten, der mit großer Kunst und Sorgfalt angelegt war; dann starrten Einem die vier fensterlosen Mauern des ein Rechteck bildenden Gebäudes entgegen. Das durch die Mauer gebrochene Thor lag dem Flusse zu, und ihm gegenüber öffnete sich der Eingang des Gebäudes, welches mit seinen vier Seiten einen mit Säulengängen eingefaßten Hof umschloß. Stieg man von diesem Hofe aus eine breite aus dem Syenit des Dschebel Mokkhadam gebaute Treppe empor, so gelangte man in ein weites Gemach, in welchem eine sehr angenehme und erquickende Kühle herrschte. Dieselbe wurde hervorgebracht durch die Ausdünstung des Wassers in den vielen porösen Thongefäßen, welche in zahlreich angebrachten Maueröffnungen standen. Der Boden war mit einem einzigen großen persischen Teppich von wundervoller Arbeit und Färbung belegt, und auf einer erhöhten Estrade stand ein mit rothem nubischem Sammet überzogener Divan, auf welchem ein Mann in jener Stellung (mit untergeschlagenen Beinen) Platz genommen hatte, welche der Türke Rahat otturmak. d.i. Ruhe der Glieder nennt.

Er mochte achtundvierzig oder neunundvierzig Jahre zählen, aber der Ausdruck von Betrübniß, welcher auf seinen edlen, männlich-schönen Zügen lag, ließ ihn um Einiges älter erscheinen. Der sicherste Werthmesser für den Reichthum eines Mannes pflegt in Egypten die Pfeife zu sein. Diesen Maßstab angelegt, mußte der Reichthum dieses Mannes ein sehr bedeutender genannt werden, denn der Kopf der Pfeife, welche er rauchte, war sicher aus einem Stücke Meerschaum von seltener Größe geschnitten, das Rosenholzrohr zeigte eine massive Golddrahtumwindung, zwischen welchen zahlreiche ächte Perlen hindurchblickten; die Spitze bestand aus einem großen Stücke jenes halbdurchsichtigen Bernsteines, welcher im Oriente theurer bezahlt wird als der wasserhelle, und der kristallene Kondensirknauf schimmerte von Brillanten, Smaragden und Rubinen, welche an sich schon ein Vermögen repräsentirten.

Zu seinen Füßen hockten zwei schwarze Sklaven; der Eine war beschäftigt, die Pfeife in stetem Gang zu erhalten, und der Andere kredenzte in kleinen, kaum mehr als fingerhutgroßen Tassen den schwarzen Trank des Mocca, der vollständig rein, ganz ohne Zucker und Sahne genossen wurde.

Da öffnete sich eine Seitenthür und eine verhüllte Frauengestalt trat ein. Sie näherte sich dem Manne, hob den Schleier ein wenig und küßte ihn auf die Stirn; dann strich sie ihm mit der kleinen, weißen Kinderhand über dieselbe und meinte mit halblauter und doch goldig reiner Stimme:

"Wieder lagern Wolken um Dein Haupt, und Schatten ziehen durch Dein Herz. Die Geschicke der Sterblichen stehen geschrieben und verzeichnet im Buche des Schicksals, und keine Hand kann wider Allahs Willen."

"Du sagst recht, Ayescha; aber doch thut der Wille Allahs wehe, wenn er das Herz zerreißt. Allah lenkt die Geschicke wie Wasserbäche, doch gibt er dem Manne Spielraum, seine Kraft zu erproben und zu entfalten. Mein Leben war ein schwerer Kampf; das Kismet (Vorherbestimmung) ist mir gütig gewesen; jetzt aber hat es mich getroffen mit dem Schlage einer Keule, die mein Leben zerschmettern kann. Ich kämpfe und ringe dagegen, doch all mein Reichthum, all meine Macht bringt mir keine Hilfe. Ich werfe mit Gold um mich, als besäße ich die Schätze der tausend und einen Nacht; ich schicke meine Freunde, meine Diener und meine Sklaven aus, aber Keiner will kommen, um mir die Kunde zu bringen, nach welcher ich mich sehne, wie die Nacht nach dem Lichte des Tages, wie die Wüste nach Thau und Regen und wie der Nil nach der gnadenreichen Leilet en Nuktha ("Nacht des Tropfens," jene Nacht, in welcher nach dem Glauben der Nilanwohner ein Thränentropfen vom Himmel fällt, um alljährlich die segensreichen Überschwemmungen hervorzubringen)."

|109B "Vater, es gibt nur Einen, welcher klug und tapfer genug ist, das Geheimniß zu enthüllen und Dir die ersehnte Kunde zu bringen; aber dieser ist nicht da."

"Wer?"

"Katombo."

Der Mann erhob forschend seinen Blick.

"Kennst Du ihn so genau, daß Du dies behaupten kannst?"

Sie schwieg einige Sekunden in halber Verlegenheit; dann antwortete sie:

"Hast Du mir nicht so viel von ihm erzählt?"

"Ja, das habe ich und Du hast das Richtige getroffen. Wäre er nicht so fern, sondern hier gewesen, so hätte er mir längst des Herzens Muth und Freude zurückgegeben, denn keiner von Denen, welche ich aussandte, Sobeïde zu suchen, wird sie finden und mir wiederbringen."

"Allah ist groß; er kann helfen, wenn er will, und oft erscheint seine Hilfe zu einer Zeit, in welcher wir sie am wenigsten erwarten. Ich stand soeben auf dem Dache, um die feuchte Luft des Stromes zu athmen, und sah ein Boot auf dem Wasser schwimmen. Es hatte unsere Farben und wurde von einem Manne gerudert, der nach dem Hafen zuhielt. Ich kam sofort, um es Dir zu verkünden. Sollte es einer Deiner Boten sein?"

"Kam er stromab oder stromauf?"

"Stromab."

"So muß er das Ufer bereits erreicht haben und augenblicklich hier sein. Hörst Du?"

Man konnte deutliche Schritte vernehmen, deren Schall vom Hofe heraufdrang. Sie kamen die Stufen empor, und dann wurde der Eingang geöffnet. Ein Diener trat ein und verbeugte sich bis zur Erde.

|110A "Hoher Scheik, ein Schiffer verlangt Dich zu sprechen."

"Laß ihn herein!"

Der Diener verbeugte sich nochmals, trat ab und ließ den Mann ein, den er angemeldet hatte. Dieser trug die gewöhnliche Tracht der Nilbarkenleute und schwitzte aus allen Poren.

"Was willst Du?"

"Bist Du Manu-Remusat, der große und berühmte Abu-el-Reïsahn (Vater der Schiffsführer)?"

"Ich bin es."

"Mich sendet Katombo, Dein Kapitän."

"Katombo?!"

Er machte eine Bewegung zum Aufspringen, überwand sich aber; eine solche Erregung paßte nicht zu der charakteristischen Ruhe, welcher der Orientale als Zeichen der Würde sich zu befleißigen strebt.

"Katombo," antwortete der Gefragte, sich als Zeichen der Zustimmung tief verneigend; "er sendet mich, um Dir seine Ankunft zu melden."

"Wo ist er?"

"So nahe, daß er in wenigen Minuten eintreffen wird. Ich mußte sehr schnell rudern, um Dich eher anzutreffen."

"So nahe ist er? Daraus sehe ich, daß ihm entweder ein Unglück widerfahren ist, oder er eine sehr gute und glückliche Fahrt gemacht hat. Welches von beiden ist das Richtige?"

"Ich weiß es nicht. Sihdi Katombo hat mich erst in Dongola gemiethet, als er sich auf der Rückfahrt befand."

"Habt Ihr gut geladen?"

"So viel, daß kaum Platz für die Mannen übrig ist."

"Habt Ihr die Schellal (Stromschnellen) glücklich überwunden?"

"So glücklich, daß weder ein Mann noch ein fingergroß von der Ladung verloren gegangen ist."

"So war die Fahrt eine gute, eine bessere, als ich jemals selbst gemacht habe. Gehe hinunter zu den Dienern und laß Dir Speise und Trank geben!"

Der Schiffer entfernte sich und Manu-Remusat erhob sich. Er hatte nicht bemerkt, daß seine Tochter bei der Nachricht von der Ankunft Katombos unwillkürlich und freudig zusammengezuckt war.

|110B "Bereite das Mahl, Ayescha. Ich werde nach dem Flusse gehen, um Katombo zu empfangen."

Das Mädchen schwebte aus dem Gemache wie ein aus einer höheren Welt stammendes Wesen, dessen Schritte man nicht hört und dessen Schönheit den Erdensohn in seligen Rausch versetzt. Remusat wand um den Fes, welcher seinen Kopf bedeckte, einen langen, weichen Kaschmirshawl, dessen beide Enden von dem so gebildeten Turban über sein Gesicht herabfielen und dasselbe vor den sengenden Strahlen der Sonnen beschützten. Er verließ das Haus, schritt durch den Garten zum Thore hinaus und wandte sich dem Flusse zu. Wer ihn kannte, der sprach sicher von der großen Ehre und Bevorzugung, welche Demjenigen widerfuhr, wegen dessen der berühmteste und reichste Nilfahrer sich in eigener Person an den Fluß bemühte. Katombo mußte sehr hoch in seiner Gunst stehen, daß er ihm entgegenging, statt ihn in seinem kühlen Divan zu erwarten.

Als er das Ufer erreichte, bemerkte er eine ungewöhnlich große Dahabié, welche in einem Bogen auf das Ufer zusteuerte. Das Segel war gerefft, und nur der Stromgang trieb das Fahrzeug an das Gestade, wo es am Buge beim Anker genommen wurde, während der Stern sich nach abwärts legte. Ein junger Mann, ganz derselbe, welcher einst als Zigeuner der Verlobte Zarba's gewesen war, nur um mehrere Jahre älter, stand auf dem Hinterdecke, setzte den Fuß auf den Bord und sprang mit einem kühnen Satze wohl zwölf Fuß über das Zwischenwasser auf das Ufer hinüber. Dort kreuzte er die Arme über die Brust und beugte sich tief zum Boden hernieder.

"Habakek (willkommen), Katombo! War Allah mit Dir und Deiner Dahabié?"

"Allah schützte uns, und die guten Geister des Himmels hielten die Wogen und die Winde, daß sie uns nicht schaden konnten."

"Hast Du gute Fracht?"

"Ich war Dir ungehorsam, o Scheik el Reïsahn. Ich sollte bringen Sennesblätter aus Gondar und bringe welche aus Amhara."

"Bis Amhara kamst Du?" frug Manu-Remusat erstaunt. "So bist Du ein Liebling des Propheten, der Dir günstige Lüfte gab, und hast ein Herz voll Muth und Unerschrockenheit. Dein Ungehorsam bringt mir Gewinn, denn weißt Du, daß die Sennesblätter |111A aus Amhara besser und feiner sind als die, welche man in Gondar kauft?"

"Ich weiß es, Sihdi, darum fuhr ich so weit hinauf."

"Welchen Preis gabst Du?"

"Denselben, welchen Du mir erlaubtest für die Gondarer Waare."

"Ist es möglich? So hast Du mir einen reichen Gewinn bereitet, Katombo! Hast Du eine vollständige Ladung?"

"Es ist jeder Raum benutzt, Sihdi. Aber ich habe Dir dennoch ein Geständniß zu machen, denn die Sennesblätter sind nicht die einzige Fracht, welche ich eingenommen habe."

"Was hast Du noch?" frug Remusat, indem seine Stirn sich jetzt wirklich ein wenig verfinsterte. "Ich hoffe nicht, daß Du etwas gekauft hast, was ich nur unter Schaden wieder weggeben kann!"

"Elfenbein, Sihdi!" antwortete Katombo mit so anspruchslosem Tone, als handle es sich um Sand oder Backsteine aus der Nähe von Siut.

"Elfenbein!" rief Remusat beinahe laut. "Wie viel?"

"Achtzig Zentner."

"Achtzig Zentner! Du bist wahrhaftig ein großer Liebling Allahs. Aber dazu hat ja das Geld nicht gereicht, welches ich Dir mitgab."

"Es hat gereicht; ich bringe Dir noch welches mit zurück."

"Ich erstaune. Woher ist das Elfenbein?"

"Vom Bahr el Azrek, wohin es mit einer Karawane aus dem Lande Solat kam."

"Hast Du es gekauft oder getauscht?"

"Keines von beiden, Sihdi; ich habe es erbeutet."

"Sagst Du die Wahrheit, Katombo? Erbeutet? Wer etwas erbeuten will, muß kämpfen. So hast Du also einen Kampf gehabt!"

"So ist es, Sihdi. Hast Du nicht gehört von den Raubsandals, welche im Bahr el Abiad und Bahr el Azrek friedliche Handelsschiffe anzufallen pflegen?"

"Ich kenne sie und möchte Keinem rathen, mit ihnen anzubinden. Flucht ist das Einzige, was retten kann, denn die Besatzung eines jeden Fahrzeuges, welches in ihre Hände geräth, wird ohne Gnade und Barmherzigkeit niedergemacht. Und doch sind diese Sandals viel schneller als unsere Dahabiés, fast so schnell wie die Dampfer, welche man im Abendlande baut."

Verzeihe, Sihdi, so ist also Flucht nicht das Einzige, was retten kann, sondern ein muthiges Herz und eine starke Faust. Dies dachte ich mir, und darum bin ich nicht geflohen, als mich zwei von diesen Sandals verfolgten, sondern ich habe ihnen Stand gehalten, sie erobert und die Räuber alle getödtet. Ihre Fracht, welche sie sich wohl auch geraubt hatten, habe ich für Dich genommen, Sihdi; auch das Elfenbein war dabei; ich behielt es, während ich alles Andere verkaufte, auch die beiden Sandals dazu."

"Katombo, Du bist ein großer Beluhwan, ein Held, wie der Nil keinen zweiten kennt; aber Du hast Unrecht gethan, die Sandals zu verkaufen und das Elfenbein mir zu bringen; es gehört ja Denen, welchen es geraubt wurde!"

"Sie Alle leben nicht mehr. Die Fahrzeuge gehörten den Räubern, welche ich getödtet habe, und die, denen sie die Fracht raubten, wurden von ihnen niedergemacht. Du sagst ja selbst, daß sie niemals Pardon geben."

"So hast Du Recht und sollst belohnt werden, wie es sich geziemt. Das Geld, welches Du übrig hast, ist Dein."

"Sihdi, Deine Hand öffnet sich mit Wohlthun und Barmherzigkeit, doch kann ich ein so reiches Geschenk nicht annehmen, denn die Summe, welche ich wiederbringe, ist doppelt so groß als die, welche Du mir mitgabst. Die Sandals wurden mir in Chartum gut bezahlt."

"Und dennoch bleibt es bei Dem, was ich sagte, denn das Wort des Propheten lautet: "Halte, was Du versprichst, denn der Athem Deines Mundes, der die Rede trägt, geht wohl heraus, kehrt aber nicht wieder in denselben zurück!" Wie viel bringst Du wieder?"

"Erlaube, Sihdi, daß ich Dir in Deiner Wohnung Rechnung ablege! Deine Gnade führte Dich herbei zum Wasser, aber die Sonne brennt so heiß, daß Dein treuer Diener fürchtet, sie könne Deine Gesundheit trüben."

"So komm! Aber mußt Du nicht auf dem Schiffe sein?"

"Der Steuermann ist ein tüchtiger Schiffer; er wird meine Stelle vertreten, bis wir mit einander gesprochen haben."

Sie wandten sich dem Hause zu, in welchem alle Diener herbeieilten, um Katombo ihre Freude über seine Rückkehr zu erkennen zu geben. Er genoß also nicht nur die Gunst seines Herrn und Prinzipals, sondern auch die Liebe aller Derer, die mit ihm zu |111B verkehren hatten. Übrigens war mit seinem Äußeren eine höchst vortheilhafte Veränderung vorgegangen. Seine Gestalt hatte sich nach Höhe und Breite entwickelt; sein früher jugendliches Ansehen war bedeutend männlicher geworden; ein prächtiger Vollbart zog sich um seine gebräunten Wangen, und wie er so neben Manu-Remusat die Stufen emporstieg, zeigte sich seine Gestalt beinahe stattlicher, kräftiger und würdevoller als diejenige seines Chefs, obgleich dieselbe ganz geeignet war, einen Achtung gebietenden Eindruck hervorzubringen.

Sie betraten das kühle Zimmer, im welchem Remusat vorhin gesessen hatte. Die beiden Sklaven hatten sich mittlerweile entfernt. Der Egypter nahm wie früher auf dem Divan Platz.

"Setze Dich zu mir, denn ich bin sehr mit Dir zufrieden!"

Katombo gehorchte, im Stillen erfreut über diese ehrenvolle Aufforderung, die gewiß noch an keinen Andern ergangen war. Er legte den krummen Säbel und die Pistolen ab, welche sein Gürtel bisher getragen hatte, und zog verschiedene Papiere aus der Tasche.

"Hier ist meine Abrechnung, Sihdi. Sie wird Dir zeigen, daß ich kein untreuer Diener war."

Manu-Remusat nahm sie und klatschte in die Hände. Sogleich erschienen die beiden Schwarzen.

"Tabak!"

Auf diesen Zuruf hin brachten sie zwei Pfeifen, welche sie Remusat und Katombo darreichten. Nachdem das duftenden Kraut von Dschebeli in Brand gesteckt worden war, knieten sie zur weiteren Bedienung vor den beiden Männern nieder.

Manu-Remusat durchlas und verglich die Papiere; dann, als er fertig war, steckte er sie zu sich.

"Ich sehe, daß Du ein treuer, muthiger und gewandter Diener bist. Das Geld, welches Du mitbringst, gehört Dir, und ich stehe im Begriffe, Dir einen Beweis meines Vertrauens zu geben, wie Du größer ihn niemals erlangen kannst."

"Sprich, Sihdi! Ich werde hören und gehorchen."

"Ich werde Dir eine Aufgabe ertheilen, welche Du vielleicht nur dann erfüllen kannst, wenn Du Dein Leben wagst. Soll ich weiter sprechen?"

"Ich lausche Deiner Rede, Sihdi. Mein Herz und meine Liebe gehören Dir, folglich auch mein Leben."

"Du weißt, daß kein wahrer Moslemin zu einem andern Manne von seinen Frauen spricht. Wenn ich diesen guten und löblichen Gebrauch übertrete, so wirst Du erkennen, daß auch ich Dich lieb habe und Dir mein ganzes Vertrauen schenke. Ich habe keinen Harem wie andere Gläubige. Der Tod hat das Weib meiner Seele von mir gerissen; mein Herz ist ihr treu geblieben bis auf den heutigen Tag, und weder eine Frau noch eine Sklavin hat es vermocht, die Trauer um sie von mir wegzunehmen. Als sie von mir schied, hinterließ sie mir die zwei größten Kleinode meines Lebens, meine beiden Töchter. Du hast sie noch niemals gesehen, obgleich Du bereits drei Jahre in meinem Hause weilst. Sie sind schön wie die Huris des Paradieses, lieblich wie die Fittiche der Schwalbe und gut und folgsam wie Roath (Ruth), von der die Schriften der Kalifen und die Bücher der Juden und Christen erzählen. Sie waren meine Freude des Morgens, meine Wonne des Abends, und all meine Sorge bei Tag und bei Nacht hatte nur ihr Glück im Auge. Jetzt ist die Freude in Leid verwandelt, und die Wonne hat sich in Schmerz und Gram verkehrt, denn Sobeïde, die ältere von ihnen, ist verschwunden, und weder ich noch einer meiner Diener hat vermocht, eine Spur von ihr aufzufinden."

Er schwieg. Sein Antlitz hatte sich wieder verdüstert, und in seinem dunklen Auge stand eine Thräne. Katombo hielt den Blick zu Boden gesenkt; er schien nachzusinnen. Dann erhob er ihn zu seinem Herrn.

"Darf ich sprechen, Sihdi?"

"Sprich!"

"Du sagtest selbst, daß ein ächter Moslem nicht von Frauen reden darf - "

"Der Mann darf von seinem Weibe und der Bruder von seiner Schwester reden. Sprich zu mir, wie der Sohn zu seinem Vater; sprich von Sobeïde, wie der Bruder von seiner Schwester; frage mich nach Allem was Du willst, ich werde Dir gern antworten!"

"Seit wann ist Sobeïde verschwunden?"

"Morgen werden es drei Wochen."

"Am Tage oder des Nachts?"

"Des Abends."

"War sie allein?"

"Ja. Sie war in den Kiosk gegangen, welcher an die Mauerecke des Gartens gebaut ist. Sie hatte dies niemals allein, sondern stets in Begleitung ihrer Schwester gethan; sie ist also entflohen, und dies verdoppelt meinen Schmerz."

|112A "Hatte sie gesagt, daß sie nach dem Kiosk gehe?"

"Ja."

"Hatte sie ihre Schwester nicht aufgefordert, sie zu begleiten?"

"Nein."

"Wo war die Schwester, als Sobeïde ging?"

"Bei mir. Wir spielten Schach. Sobeïde saß dabei; sie erhob sich und ging, ohne ein Wort zu sagen."

"Spielte sie auch Schach?"

"Nicht gern und nicht gut."

"Hat sie erst ihr Harem aufgesucht, ehe sie nach dem Kiosk ging? Erinnere Dich genau, Sihdi!"

"Nein, denn sie ging hier die Stufen hinab in den Hof und von da aus nach dem Garten. Selim, der Verschnittene, war im Hofe und hat es gesehen."

"Welches Gewand trug sie?"

"Das, welches sie gewöhnlich trug."

"Vermissest Du etwas von ihren andern Gewändern, von ihrer Wäsche, ihrem Schmucke und ihrem oder Deinem Gelde?"

"Nicht das Geringste. Ich selbst habe nachgeforscht und auch Ayescha nachsuchen lassen."

"So freue Dich, Sihdi, denn Deine Tochter ist nicht freiwillig von Dir gegangen; sie ist nicht entflohen."

"Nicht entflohen? Was sonst?"

"Sie ist geraubt, sie ist entführt worden."

"Allah akbar, Gott ist groß! Du träufelst mir Balsam in die Wunde meines Herzens, die aber dennoch nicht genesen wird, denn sie ist mir doch verloren!"

"Allah akbar, Gott ist groß, sagst Du; er nimmt, und er gibt wieder; aber er steigt nicht vom Himmel herab, um Dir Deine Tochter selbst wiederzubringen, sondern er gab Dir einen klugen Sinn, einen starken Arm und treue Diener, damit Du Dir wieder holen sollst, was Dir geraubt wurde."

"Mein kluger Sinn ist zu Ende mit seinen Plänen; mein starker Arm ist ermattet vom Kummer, und meine Diener, die ich aussandte, sind entweder noch gar nicht zurückgekehrt, oder sie kamen ohne die, welche sie mir wiederbringen sollten. Ich habe nur noch Dich, Katombo. Willst Du gehen und Sobeïde suchen?"

"Ich will, Sihdi. Als Du mich mit der Dahabié hinaufsandtest in das unbekannte Land, wußte ich, daß ich Deinen Willen erfüllen würde, und jetzt, da Du mich nach Deinem geraubten Kinde suchen heißest, sagt mir eine geheime Stimme, daß ich es finden werde."

"Hab Dank, Katombo! Du gibst mir Hoffnung und neues Leben. Hier kommt Speise und Trank. Ich werde Beides wieder genießen können, denn ich vertraue auf Dich und Deine Geschicklichkeit. Wann wirst Du gehen?"

"Erlaube mir, Sihdi, daß ich heut noch bleibe. Ich muß mir Alles genau betrachten und überlegen, um einen richtigen Plan bilden zu können. Die Andern haben nichts vermocht, weil sie ohne ein bestimmtes Ziel von Dir gingen."

"Du redest klug und richtig. Auch mußt Du Dich von Deiner Reise erholen. Iß und trink und verlange getrost von mir; Du sollst Alles reichlich haben, was Du zur Erfüllung meines Auftrages von mir forderst!"

Die Diener stellten einen nach orientalischer Sitte niedrigen Tisch vor die Beiden hin und bedeckten ihn mit Speisen, wie sie nur ein reicher Mann bezahlen und genießen kann. Katombo langte fleißig zu; Manu-Remusat aber aß nur sehr wenig. Der Gram ist der schlechteste Koch, den es geben kann.

Nach vollendetem Mahle verabschiedete sich der frühere Zigeuner von seinem Herrn. Er hatte sich bereits während des Essens Alles reiflich überlegt und schritt nach dem Garten, um zu dem Kiosk zu gelangen, aus welchem Sobeïde seiner Meinung nach entführt worden war. Dieses war ein aus Holz gezimmertes Gartenhaus in persischem Stile. Die Thür stand offen; einige Backsteinstufen führten zu ihr empor. Die Schritte Katombos verursachten auf dem weichen und sorgfältig gepflegten Rasen nicht das mindeste Geräusch; auf den Stufen aber knirschten seine Schuhe, und in demselben Augenblicke vernahm er ein leichtes Geräusch im Innern des Kiosk. Er öffnete die nur angelehnte Thür und - blieb mit einem Laute der Überraschung unter derselben stehen: Auf dem im Gartenhause befindlichen Divan hatte Ayescha gesessen und sich beim Schalle seiner Schritte erhoben.

"Katombo!" rief sie unwillkürlich, aber dieselbe Stellung beibehaltend.

Sie hatte den Schleier niedergelassen, doch wenn auch durch diese Hülle ihre Züge nicht zu erkennen waren, ihre großen, dunklen Augen waren doch zu sehen; ihre kleinen Füßchen, welche in den feinsten Saffianpantoffeln steckten, blickten unter dem halb aufgerafften |112B Gewande hervor, und auch die kleinen weißen Finger ihrer Rechten, welche den Schleier zusammenhielt, ließen sich deutlich bemerken.

"Verzeihe, Herrin, wenn ich Dich störe, und erlaube mir, mich wieder zurückzuziehen!" meinte Katombo.

"Was wolltest Du hier?" frug sie mit beinahe leiser Stimme.

"Dein Vater gebot mir, Sobeïde aufzusuchen, und ich glaubte, hier die erste Spur von ihr zu finden."

"Wirst Du sie wiederbringen?"

"Das weiß nur Allah und sein Prophet; aber ich werde Alles thun, was in meinen Kräften steht, Dir Deine Schwester wiederzugeben."

"Ich weiß es, Katombo!"

Diese süße, metallisch-reine Stimme nannte ihn beim Namen! Er mußte sich zwingen, ruhig zu bleiben.

"So darf ich gehen?"

"Nein, bleibe und suche!"

Er hatte ganz unmöglich glauben können, diese Erlaubniß zu erhalten. Sie erweckte Gefühle in ihm, die bereits einmal wach gewesen waren und bisher im tiefsten Herzen geschlummert hatten. Ayescha setzte sich wieder nieder, doch ohne ihr Händchen zurückzuziehen oder ihre Füße zu verhüllen. Er bemerkte dies sehr wohl; doch durfte er auf diese hohe Vergünstigung keine Rücksicht nehmen, da er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Zweck seiner Anwesenheit zu verwenden hatte. Leider waren alle etwaigen Spuren auf dem Fußboden und den wenigen im Kiosk befindlichen Gegenständen bereits unvorsichtiger Weise verwischt worden, und all sein Scharfsinn konnte ihn zu keiner Entdeckung führen.

Jetzt trat er an das eine Fenster, welches nach außerhalb der Mauer führte. Die dasselbe gegen die Sonne schützende Matte war aufgezogen. Er untersuchte die Einfassung der Öffnung und bemerkte in dem unteren Gewände die Bruchfläche eines stählernen oder eisernen Gegenstandes, welcher in dem Holze gesteckt hatte. Ein Nagel konnte es unmöglich gewesen sein, da die Fläche lang und schmal wie der Durchschnitt einer Messerklinge war. Schnell nahm er seinen Dolch zur Hand und grub den Gegenstand heraus. Es war die Spitze eines zweischneidigen Dolches.

Jetzt blickte er an der Außenseite des Kiosk und der Mauer hinab. Einige Zoll oberhalb der Stelle, wo der erstere auf der letzteren ruhte, stak ein tief eingeschlagener Nagel, und an ihm hing ein schimmernder Gegenstand. Katombo griff hinab und nahm ihn empor. Es war ein kleines Stück Goldschnur, wie man sie zur Verzierung von Jacken gebraucht.

Indem er lautlos dastand und nachdenklich die beiden Gegenstände betrachtete, klang es hinter ihm:

"Hast Du eine Spur?"

Er drehte sich um und stand hart vor Ayescha, welche aufgestanden und herbeigetreten war.

"Ich weiß es noch nicht. Hast Du oder Sobeïde jemals Waffen mit ihm Kiosk gehabt?"

"Nein."

"Oder ein Anderer?"

"Nein. Dieser Kiosk war blos für uns Beide, und Niemand konnte ihn öffnen als wir."

"Aber Dein Vater war hier?"

"Nur einmal als Sobeïde fort war."

"Du warst dabei?"

"Ja."

"Hatte er einen Dolch bei sich?"

"Nein."

"So stammt diese Spitze von einem Fremden! Trägt einer unserer Diener ein Kleid, an welchem sich eine solche Schnur befindet?"

Sie nahm das Stück und hielt es nahe an den Schleier, doch schien sie es durch das Gewebe hindurch nicht genau erkennen zu können, denn sie drehte sich ein wenig abseit, öffnete den Schleier und sah nun die Goldschnur genau und ziemlich lange Zeit an.

Wollte sie Katombo Gelegenheit geben, ihre Züge zu sehen? War dies nicht der Fall, so hätte sie sich weiter fortwenden müssen, denn der junge Mann erblickte das unvergleichliche Profil eines Angesichtes, dessen Schönheit ihm das Blut siedend durch die Adern pulsiren machte. Was war Zarba gegen diese köstliche orientalische Perle, Zarba, die ihn verlassen und verrathen und dann sich selbst verloren hatte! Was seit jenen schweren Tagen tief in seinem Innern vergraben gewesen war, in diesem Augenblick sprengte es seine Hülle und bäumte sich mit Riesengewalt empor, hochauflodernd wie ein Feuer, welches durch den Zutritt der Luft neuen Raum und neue Bahnen gewinnt.

|113A Da schloß sie den Schleier und wandte sich ihm wieder zu.

"Es trägt Niemand in unserem Hause solche Schnur."

Er senkte den Blick zur Erde; er brauchte Zeit, um seine Ruhe, seine Fassung wieder zu gewinnen. Da plötzlich leuchtete sein Auge auf, und es ging hell über sein intelligentes Gesicht.

"Ich habs, ich habs! Allah kerihm, Gott ist gnädig!"

"Was hast Du? Weißt Du, wo Sobeïde sich befindet und wer sie geraubt hat?"

Sie war vor Erregung schnell zu ihm herangetreten und legte ihm das Händchen auf die Schulter. Er zuckte unter dieser Berührung zusammen wie unter einem kräftigen Faustschlage; ihr Gesicht befand sich nahe dem seinigen; er fühlte den linden würzigen Athem ihres Mundes - er konnte nicht anders, er legte die Linke um sie und öffnete mit der Rechten ihren Schleier.

"Ayescha!"

"Katombo, was wagst Du, was thust Du!" flüsterte sie, erschrocken, verwirrt und beseligt zugleich.

"Ayescha, Licht meiner Augen, Stern meiner Seele, Sonne meines Lebens, darf ich Dich ohne Schleier sehen?"

"Nein - ja - nein!" antwortete sie, beim letzten Worte die Hand erhebend, um sich wieder zu verhüllen.

Er wehrte ihr diese Bewegung.

"O, laß mich den Strahl Deiner Augen und den Glanz Deines Angesichtes trinken, Du Holde, Du Reine, Du Unvergleichliche. Laß mich Deine Lippen küssen und dann sterben vor Wonne, vor Entzücken und vor Seligkeit!"

Er bog sich zu ihr nieder und berührte mit seinem Munde zweimal, dreimal ihre Lippen, ohne daß sie es ihm wehrte. Ihr Angesicht erglühte, aber sie griff weder zum Schleier noch suchte sie sich seinem Arme zu entziehen.

"Du bist kühn, Katombo, aber ich liebe Dich!" klang es leise und langsam zwischen ihren wie Perlen schimmernden Zähnen hervor.

"Und Du stehst so hoch über mir, wie der Himmel über der Erde, aber ich liebe Dich. Willst Du herabsteigen zu mir, dem Armen, dem Kleinen, und mich beglücken mit einer Seligkeit, wie sie in Allahs Himmeln nicht zu finden ist?"

|113B "Ich will, obgleich Du Allah lästerst mit Deinen Worten," erwiderte sie, ihr Köpfchen fest und innig an seine Brust schmiegend.

"Du willst? Du willst!" jauchzte er. "O, dann bin ich stark und mächtig; dann vermag ich Alles, selbst das Schwerste durch Dich! Dann werde ich Dir auch Deine Schwester wiederbringen!"

"Glaubst Du? Hast Du wirklich hier Spuren von ihr gefunden?"

"Ich weiß es noch nicht sicher, aber ich werde mir sofort die Gewißheit holen. Leb wohl, Ayescha, mein Ein und Alles! Ich werde heut, wenn der Abendstern im Zenithe steht, wieder hier sein und auf Dich warten. Wirst Du kommen? Kannst Du kommen, ohne daß man Dich bemerkt?"

"Ja, ich werde kommen, mein Geliebter!"

"Hab Dank, so viel Male Dank, als Sterne am Himmel stehen, als Tropfen im Meere wogen und als Körner des Sandes in der Wüste glühen!"

Er drückte sie an sich; er fühlte das entzückte Wogen ihres Busens an seiner Brust; er küßte sie wieder und immer wieder und ließ sie endlich leise auf den Divan gleiten. Dann trat er an die Fensteröffnung, hob den Fuß zu derselben empor, schwang sich hinaus und stand mit einem kühnen Sprunge unten an der Gartenmauer. Von hier aus schritt er eilends dem Flusse zu, bemerkte aber, sich einmal umdrehend, daß Ayescha am Fenster stand und ihm nachblickte.

Am Wasser angekommen, erstieg er sogleich seine Dahabié und trat zum Steuermann.

"Hat der Mann, welcher uns in Assuan bat ihn mitzunehmen, das Schiff bereits verlassen?"

"Ja."

"Und sein Gepäck mitgenommen?"

"Er hatte kein Gepäck, als ich ihn an Bord kommen sah."

"Wo ging er hin?"

"Am Flusse abwärts, den Weg, welcher nur zum Kawuahschi Abd-el-Oman führt."

"Hat er die Fahrt bezahlt?"

"Ja."

"Wußte er, wem die Dahabié gehört?"

"Er frug mich, und ich nannte ihm nur Deinen Namen; so sollte es ja sein, damit die Handelsfeinde unseres Herrn getäuscht würden."

|114A "Gut. Mache die Ladung fertig, morgen gelöscht zu werden!"

Er ging wieder an das Land und schritt den Weg hinab, den ihm der Reïs (Schiffsführer, Steuermann) bezeichnet hatte. Einige hundert Schritte abwärts von der Stelle, an welcher die Dahabié vor Anker lag, befand sich hart am Flusse eine Kaffeeschenke, in welcher nur Schiffer zu verkehren pflegten. Im großen vorderen Zimmer versammelten sich die niederen Leute, während es nach hinten einen kleineren aber sehr luftig gebauten und darum auch kühleren Raum gab, welcher nur für die höher Stehenden eingerichtet war, ganz dieselbe Einrichtung also wie in den Seewirthshäusern des Abendlandes, wie überhaupt an allen Hafenplätzen.

Katombo ging zur hinteren Thür und kam durch dieselbe in den reservirten Raum, wo sich kein Mensch befand. Er ließ sich auf dem längs der Wände hinlaufenden Divan nieder, und ein leichtes Händeklatschen brachte einen der Neger herbei, welche die Gäste zu bedienen hatten. Dieser hielt schon Pfeife und Kaffee in den Händen und reichte, niederkniend, Beides dem jungen Barkenkapitän entgegen.

"Wo ist Abd-el-Oman, Dein Herr?"

"Vorn, bei den Gästen, Sihdi."

"Rufe ihn zu mir, doch ohne daß es Jemand merkt!"

Der Schwarze verneigte sich und ging. Nach kaum einer Minute trat der Kawuahschi ein. Als er Katombo erblickte, kreuzte er die Arme auf der Brust und verneigte sich so tief, daß sein Turban fast die Matte berührte, mit welcher der Boden bedeckt war.

"Sallam aaleïkum, Friede sei mit Dir, ïa Reïs akbar, Du großer Kapitän, der Du der beste und berühmteste Schüler bist von Manu-Remusat, dem kühnsten und größten aller Schiffsführer!"

Katombo nickte bei diesem superlativen Gruße nur leicht mit dem Kopfe.

"Sallam aaleïkum, Du Schech el Kawuahn, Du Größester aller Kaffeewirthe in Egypten, der den besten Trank und den lieblichsten Tabak hat, so weit die Erde reicht!"

"Sihdi, Deine Rede ehrt mein Haus und tröstet mein Herz; aber spottet Dein Mund nicht doch vielleicht dessen, der lieber Dein als aller Anderer Diener ist?"

"Warum soll ich Lügen reden statt der Wahrheit? Sitze ich nicht bereits hier bei Dir, trotzdem ich erst vor wenigen Minuten hier angekommen bin? Welche Gäste haben Dich abgehalten, mein Kommen zu bemerken?"

"Es sind nur vier, Sihdi, drei Freunde und ein Fremder."

"Ein Fremder? Wo ist er her?"

"Ich frug ihn, doch hat er es mir nicht gesagt."

"Kam er auf dem Flusse oder mit einer Kaffilah (Karawane)?"

"Auf dem Flusse."

"Mit welchem Schiffe?"

"Er nannte das Deinige."

"Hast Du ihm gesagt, daß es nicht mir, sondern Manu-Remusat gehört?"

"Nein; sollte ich es ihm sagen?"

"Du hast sehr recht gethan! Sage ihm, daß ein Sihdi ihn hier sprechen will, verschweige aber, daß ich es bin. Und wenn er bei mir eingetreten ist, so hältst Du an der Thür Wache, bis ich Dich rufe!"

"Sihdi, ich weiß nicht, was Du mit ihm willst, aber ich gehorche Dir, denn Deine Hand hat noch niemals das gethan, was der Prophet verbietet."

Der Kawuahschi ging und nach einigen Augenblicken trat der Fremde ein. Man konnte es ihm auf den ersten Blick ansehen, daß er weder ein eingeborener Egypter noch ein Türke war; vielmehr wies seine lange, hagere Gestalt, sein gelbblasses Gesicht, seine riesige Habichtsnase und die kleinen, listig blickenden Augen auf armenische Abkunft hin. Diese konnte ihm nicht als Empfehlung dienen, denn es ist bekannt, daß sich Niemand so leicht und gern zu allerlei Schurkenstreichen gebrauchen läßt, wie gerade der Armenier, vorausgesetzt, daß er gut dafür bezahlt wird. Er trug einen Tarbusch auf dem Kopfe, den Oberleib bedeckte eine blaue, mit goldenen Schnüren besetzte Jacke, rothe Pumphosen hingen von seinen Lenden in weiten Falten bis zu den Füßen herab, welche in derben, ledernen Stiefeletten staken. In seinem Gürtel glänzten zwei Pistolenläufe, zwischen denen Katombo die Lederscheide eines Dolches bemerkte, dessen Griff reich mit Silber beschlagen war.

Der Mann blickte verwundert auf, als er den Kapitän der Dahabié erkannte.

"Sallam aaleïkum!" grüßte er, die Hand auf die Gegend des Herzens legend.

Katombo nickte blos, ohne den Gruß zu erwidern.

"Wie heißest Du?"

"Mein Name ist Schirwan, Sihdi."

|114B "Ich sehe, daß Du Dich wunderst, zu mir gerufen zu sein. Du sollst den Grund sogleich erfahren."

"Ich höre, Sihdi," antwortete der Armenier.

"Wo kauftest Du Deine Pistolen?"

"In Bulakh bei Abu-Soliman, dem berühmten Waffenhändler."

"Sie sind vortrefflich, ich sah es sofort, als ich Dich auf meinem Schiffe traf. Ich hätte Dich gefragt, ob Du sie verkaufest, aber was ein Reïs begehrt, das muß man ihm schenken, und Du hättest denken können, daß ich Deine Pistolen als Bakschisch haben wolle, darum wartete ich bis jetzt. Verkaufst Du sie?"

"Ja, Sihdi; warum soll ich sie nicht verkaufen, wenn ich einen guten Preis bekomme? Ich kann mir dann ja andere kaufen."

"Darf ich sie ansehen?"

"Hier sind sie."

Er zog sie aus dem Gürtel und reichte sie Katombo dar. Dieser nahm sie in Empfang und betrachtete sie aufmerksam.

"Sie sind wirklich von Abu-Soliman, von dem ich mir längst welche gewünscht habe; aber ich bin noch nicht nach Kairo gekommen."

Bei diesen Worten fiel sein Blick wie zufällig auf den Gürtel des Armeniers.

"Was hast Du da für einen Dolch? Auch er scheint vortrefflich zu sein."

"Er ist ausgezeichnet; ich erbte ihn von meinem Vater, der ihn in Damaskus kaufte."

"In Damaskus? Diese Stadt ist berühmt wegen ihrer unübertrefflichen Klingen. Verkaufst Du den Dolch?"

"Nein, Sihdi, mein Vater hat ihn im Kampfe getragen, ich würde seine Seele beschimpfen, wenn ich den Dolch fortgäbe."

"Aber betrachten darf man ihn?"

"Das darfst Du. Hier ist er."

Er reichte Katombo die Waffe sammt der Lederscheide entgegen. Der Reïs betrachtete zunächst die Letztere und zog dann die Klinge hervor; sie war auf jeden Fall früher länger gewesen, dann an der Spitze abgebrochen und wieder zugespitzt und geschärft worden.

"Ein sehr guter Stahl; es muß viel Kraft gekostet haben, die Spitze abzubrechen," meinte Katombo.

"Ich erhielt die Waffe so von meinem Vater."

"Wirklich? Dann muthest Du mir zu, kein Kenner zu sein. Siehst Du nicht, daß noch nicht drei Wochen vergangen sein können, seit diese Klinge wiederhergestellt wurde? Jedenfalls ist Dein Vater schon länger als diese Zeit todt."

"Du zweifelst an der Wahrheit meiner Worte?" frug der Armenier in halb beleidigtem und halb stolzem Tone.

"Ja," antwortete Katombo, ihn jetzt mit scharfem Auge fixirend. "Betrachte Deine Jacke!"

"Warum, Sihdi?"

"Hast Du nicht bemerkt, daß etwas an ihr fehlt?"

"Nein."

"So werde ich es Dir zeigen."

Er steckte wie in Gedanken sowohl den Dolch als auch die Pistolen zu sich und stand auf. Der Gegner stand jetzt waffenlos vor ihm; er deutete mit dem Finger nach einer der Schnuren, welche die Jacke desselben zierten.

"Fehlt hier Nichts?"

"Ein wenig von der Schnur," antwortete der Mann, ohne nach der beschädigten Stelle zu blicken. Er hatte den Mangel also selbst auch bemerkt, aber keine Gelegenheit gehabt, die Stelle ausbessern zu lassen.

"Warum hast Du die Jacke nicht in den Laden eines Schneiders gebracht?"

"Was geht Dich meine Jacke an?" frug der Mann, dem das Gespräch jetzt sonderbar und unangenehm zu werden begann.

"Ich frage Dich, weil ich um Dein Wohl besorgt bin, denn diese Stelle an Deiner Jacke kann ebenso verhängnißvoll für Dich werden wie Dein Dolch."

"Ich verstehe Dich nicht, Sihdi, sprich deutlich!"

"Das werde ich sogleich. Dein Stahl wurde in demselben Augenblick zerbrochen, in welchem Du die Schnur Deiner Jacke zerrissest. Sieh hier die verlorene Spitze und sieh hier das abgerissene Stück der Schnur."

Er griff in die Tasche und hielt ihm Beides entgegen. Der Armenier prallte zurück, faßte sich aber sofort wieder.

"Was geht mich dieses Eisen und diese Schnur an?"

"Sehr viel! Dieses Eisen ist die Spitze Deines Dolches und diese Schnur ist auch von Dir; siehe, wie sie paßt!"

Er hielt das Stück auf die Brust des Mannes und überzeugte sich, daß er sich nicht geirrt habe. Der Armenier ahnte jetzt, welchen |115A Zweck das ganze Gespräch verfolgte, und daß er sich von einem gewandten Gegner hatte übertölpeln lassen. Er trat um einige Schritte zurück.

"Was willst Du von mir? Ich verkaufe meine Waffen nun nicht: gib sie mir zurück, ich will gehen."

"Warte noch ein wenig. Wohin hast Du Sobeïde, die Tochter des Obersten der Schiffsführer, Manu-Remusat, gebracht?"

"Der Gefragte entfärbte sich, suchte aber eine gleichgiltige Miene zu erzwingen.

"Hat Dich die Sonnenhitze um den Verstand gebracht, daß Du mich fragst, wie nur ein Wahnsinniger fragen kann?"

"Hat Dir der Scheitan (Teufel) das Gehirn gestohlen, daß Du thatest, was nur ein Verrückter thun konnte? Weißt Du nicht, daß Mohamed sagt: "Wer Böses thut, den wird die Strafe treffen?" Sofort, als ich Dich zum ersten Male sah, fiel mir die Stelle auf, an der Dir die Schnur fehlte, und dies fiel mir wieder ein, als ich hörte, daß Sobeïde geraubt sei und ich die Spitze nebst der Schnur dort fand, wo die That geschehen ist. Der Kuran sagt: "Das Geständniß sühnt die halbe Schuld, und die Reue läßt auch die andere Hälfte vergessen." Denke an dieses Wort und öffne Deine Seele, damit Dir Vergebung werde!"

"Ich weiß von Nichts, geh von mir und suche Deinen Kopf, den Du verloren hast; zuvor aber gib mir meine Waffen zurück!"

"So leugnest Du?"

"Ich leugne. Heraus mit meinen Waffen!"

Er trat auf Katombo zu und faßte ihn am Arm.

"Hier hast Du sie!"

Der Reïs zog die eine Pistole hervor und schlug sie ihm so gegen die Stirn, daß er betäubt zurücktaumelte. Im Nu hatte ihn Katombo gepackt, riß ihn zu Boden nieder und wand ihm seine Schärpe um die Arme; dann schnitt er ihm einen Fetzen von der Jacke und steckte ihm denselben als Knebel in den Mund.

"Abd-el-Oman!"

Die Thür öffnete sich und der Kawuahschi, welcher draußen gewartet hatte, trat ein. Er sah den Gebundenen am Boden liegen und schlug vor Schreck die Hände zusammen.

"Sihdi, was thust Du meinem Hause! Soll ich Dich für einen Räuber, einen Mörder oder einen Henker halten?"

"Für keins von allen Dreien. Der Räuber liegt hier, ich habe ihn überwunden und werde Gericht über ihn halten."

"So mußt Du ihn zum Kaschef (Polizeivorsteher) oder zum Kadi (Richter) bringen lassen!"

"Das werde ich nicht thun, oder ich werde es auch thun, je nachdem sich dieser Mensch verhalten wird. Für jetzt übergebe ich ihn Deiner Obhut; feßle ihm noch die Beine und sperre ihn ein, bis ich ihn in einer Viertelstunde holen lasse."

"Ist er denn auch wirklich ein Räuber, Sihdi?"

"Ja."

"Allah kerihm, Gott ist gnädig! Wie leicht hätte er auch bei mir sein Handwerk versuchen können; ich werde ihn so binden, daß ihm die Seele wackeln soll, ich werde Alle, die bei mir sind und noch zu mir kommen, vor ihm warnen, ich werde um - - -"

"Nichts wirst Du, verstehst Du mich? Es soll jetzt noch Niemand wissen was vorgefallen ist, und darum darfst Du es nicht eher erzählen, als bis ich es selbst Dir erlaube. Du weißt, wie reich und mächtig Manu-Remusat ist; er kann Dich verderben, wenn Du plauderst!"

"Sihdi, Du sprichst weiser als ein Kalif und klüger als die Männer des Kuran; ich werde schweigen wie der Fisch im Wasser."

"Das ist verständig von Dir. Ich werde meine Diener mit der Sänfte senden, um ihn abzuholen; laß es Niemand sehen, wenn er aufgeladen wird."

Der Kawuahschi verbeugte sich dreimal statt einmal, als er die Münze erblickte, welche Katombo ihm als Bezahlung für den Kaffee und die Pfeife reichte.

"Allah segne Deine Hand, Sihdi, sie spendet Gutes und schüttet Wohlthat aus über Deine Diener. Kehre bald wieder ein im Hause dessen, welcher der gehorsamste Deiner Sklaven ist!"

Katombo verließ die Kaffeeschenke und kehrte auf demselben Wege in das Haus seines Gebieters zurück. Dieser saß noch auf dem Divan und rauchte seine Pfeife; er blickte erwartungsvoll auf, als der junge Reïs eintrat.

"Du kehrst zurück, Deine Augen leuchten und Deine Wangen erglühen wie die Morgenröthe, wenn sie den jungen Tag verkündet. Was hast Du mir zu sagen?"

"Sihdi, Du weißt, daß ich mit Deiner Tochter gesprochen habe?"

"Ich weiß es, denn sie selbst sagte es mir, daß Du im Kiosk gewesen bist, um nach den Spuren meines Kindes zu suchen. Wir haben auch gesucht, aber der Schmerz verdüsterte unsere Augen; Du |115B hast die Spitze eines Dolches und das abgerissene Stück einer goldenen Schnur gefunden?"

"So ist es, Sihdi."

"Stammen sie von jenem Abende her?"

"Ja."

"Aber wie willst Du den finden, dem Beides gehört? Nur Allah allein ist groß, er sieht und hört Alles, der Mensch aber ist nicht allwissend, er kann nicht in das Dunkel blicken."

"Sihdi, weißt Du nicht, daß der Geist des Menschen von Gott stammt und wieder zu Gott geht? Der Mensch ist ein Kind Allahs, und Vieles, was der Vater weiß, theilt er dem Sohne mit; von der Allwissenheit Allahs fiel ein Strahl hernieder auf das Geschlecht der Menschen und dieser Strahl wird Verstand genannt. Den Einen traf er viel und den Andern wenig, darum sieht der Eine, was der Andere nicht bemerkt."

"Und Du, was hast Du gesehen?"

"Den Räuber Deiner Tochter."

Manu-Remusat sprang empor wie von einer Feder in die Höhe geschnellt. Bei dieser unvermutheten Nachricht ließ er ganz die anerzogene muselmännische Ruhe und Würde außer Acht.

"Ihn, ihn hast Du gesehen? Das ist unmöglich, ich selbst habe ihn gesucht - vergebens, meine Diener haben ihm nachgeforscht drei Wochen lang - ebenso vergebens, und Du, der Du kaum einige Minuten lang von ihrem Verschwinden weißt, willst ihn bereits gesehen haben?"

"Sihdi, ich habe ihn bereits seit einer Woche gesehen!"

"Wo?"

"Auf meiner Dahabié."

"Bist Du wahnsinnig?"

"Nein, Sihdi, meine Sinne sind ebenso gesund wie meine Fäuste, mit denen ich ihn vor wenigen Augenblicken niedergeschlagen und gefangen genommen habe."

"Du hast ihn gefangen? Sag, wo?"

"Beim Kawuahschi Abd-el-Oman."

"Erzähle!"

"Erlaube mir zuvor, vier Deiner Diener zu senden, um ihn zu holen!"

"Thue es!"

Katombo ging in den Hof und gab dort die nöthige Instruktion, dann kehrte er zu Manu-Remusat zurück. Einer der Schwarzen mußte ihm eine Pfeife bringen, und dann begann er seinen Bericht, während dessen Ayescha hereintrat. Wegen der Wichtigkeit des Augenblickes erlaubte ihr der Vater zu bleiben, und Beide hörten mit äußerster Spannung den Worten des Erzählers zu. Als dieser geendet hatte, reichte ihm Manu-Remusat die Hand.

"Katombo, ich sagte vorhin zu Dir, Du solltest zu mir reden wie ein Sohn zu seinem Vater; ich werde Dein Vater sein, so lange Du eines solchen bedarfst oder so lange Allah mir das Leben schenkt. Erinnere mich an dieses Gelübde, wenn ich dessen jemals vergessen sollte!"

"ich danke Dir, Sihdi!"

Er wollte weiter sprechen, wurde aber von einem der Diener unterbrochen, welcher eintrat und die Ankunft des Palankins (Sänfte) meldete.

"Nehmt dem Menschen den Knebel aus dem Munde, die Fesseln von den Beinen und bringt ihn herauf!" befahl Katombo und wandte sich dann an Remusat: "Du bist der Gebieter, Sihdi, Du wirst ihn verhören!"

"Nein, das werde ich nicht, Du hast ihn gefangen genommen und er ist Dein Eigenthum; Deine Augen sind heller und Dein Verstand ist klarer als der meinige. Sprich Du mit ihm!"

"Du befiehlst es, Herr, und ich gehorche!"

Jetzt brachten die vier Diener den Armenier geführt.

"Bringt ihn näher und tretet dann ab," gebot Katombo. "Doch bleibt hinter der Thür!"

Sie stellten den Gefangenen in die Nähe des Divans und verließen dann das Gemach. Er stand mit finsterer Miene vor seinen Richtern, aber es war ihm dennoch anzusehen, daß ihm das Herz nicht gar zu muthig schlug.

"Du leugnetest vorhin," begann Katombo; "willst Du jetzt bekennen?"

Der Gefangene schwieg.

"Ich wiederhole meine Frage: Willst Du die That gestehen?"

Es erfolgte wieder keine Antwort.

"Ah, Du bist vor Angst plötzlich stumm geworden; ich werde Dir die Sprache wiedergeben."

Er klatschte in die Hände und sofort erschienen die vier Diener.

"Führt ihn hinab in den Hof, zieht ihm die Schuhe aus und |116A gebt ihm die Bastonnade, einstweilen blos zehn Hiebe auf jede Fußsohle!"

Sie ergriffen den Armenier, nahmen ihn trotz seines Widerstandes fest und führten ihn fort. Der Schall der Hiebe klang herauf in das Gemach, doch kein einziger Laut oder Schrei verkündete, daß er seine verlorene Stimme wieder bekommen habe; dann brachten sie ihn wieder herein. Er hatte Mühe, auf seinen nackten Füßen zu gehen, blieb aber aufrecht und finster vor Katombo stehen.

"Willst Du nun bekennen?" frug dieser wieder.

Die Antwort blieb abermals aus.

"Führt ihn wieder ab und gebt ihm zwanzig!" gebot er den Dienern, welche noch geblieben waren.

"Ich habe Nichts gethan, ich will vor den Kaschef geführt sein!" knirschte jetzt der Gefangene.

"Maschallah, die Schläge haben geholfen; tretet ab, Ihr Leute, aber haltet Euch bereit!" Dann wandte er sich wieder an den Inkulpaten: "Vor den Kaschef wirst Du nicht kommen, denn Du gingst ja auch nicht zu ihm, bevor Du in unsern Kiosk einstiegest. Wo ist die Tochter dieses Sihdi?"

"Ich kenne sie nicht und weiß nicht, was Du willst!"

"Höre, Mann, die Sprache ist Dir noch immer nicht vollständig zurückgegeben worden; ich werde meine Arznei nochmals anwenden, vielleicht wirst Du dann vollständig geheilt. Oder willst Du reden?"

Der Gefragte schwieg. Katombo klatschte zum zweiten Male, und die Diener traten ein.

"Gebt ihm vierzig auf jede Sohle, wenn er nicht verspricht, zu reden!"

Sie führten ihn ab und bald erschollen die Schläge von Neuem, gleich darauf aber auch das Wimmern des Gefangenen. Ayescha hüllte sich fester in ihre Schleier, die Exekution mochte ihr weiches Gemüth peinlich berühren; auch Manu-Remusat schien einiges Bedenken zu haben.

"Dürfen wir ihn schlagen, Katombo?" frug er, "oder müssen wir ihn nicht vielmehr dem Kadi übergeben?"

"Er ist ein Armenier und kein Unterthan des Vizekönigs, sonst hätte er sich darauf berufen. Und wir werden schneller mit ihm fertig, als der Kaschef oder Kadi; hat er Dir nicht schlimmere Streiche versetzt, als er jetzt erhält?"

"Du hast Recht, mein Sohn; aber siehe, da bringen sie ihn wieder!"

Wirklich traten die Exekutoren wieder mit dem Inkulpaten ein und einer von ihnen meldete, daß er nur fünfzehn Streiche erhalten habe, weil er jetzt reden wolle. Sie setzten ihn, da er nicht mehr zu stehen vermochte, auf den Teppich und entfernten sich dann wieder.

"Bete das Surat yesin, daß Dir Allah Deine Sprache wiedergegeben hat," begann Katombo, "und bitte ihn, daß er sie Dir erhalte, denn ich schwöre Dir bei Allah und seinem Propheten, daß Du nun sechzig Hiebe erhältst, sobald Du Dich weigerst zu sprechen. Merke Dir, sechzig auf jede Sohle, selbst wenn Du versprächest zu reden."

|117A "Ich bin in Deiner Hand; ich habe geschworen zu schweigen, aber Allah wird mir vergeben, wenn ich aus Schmerz meinen Schwur breche!" lautete jetzt die kleinmüthige und verzagte Antwort.

"So sprich: Du warst es, der das Mädchen raubte?"

"Ja."

"Allein kannst Du nicht gewesen sein; wer war bei Dir?"

"Die ganze Bemannung eines Sandals."

"Der Sandal war von dem gemiethet, für den Ihr das Mädchen raubtet?"

"Ja."

"Wer ist es?"

Der Armenier blickte ängstlich vor sich nieder.

"Willst Du die Sechzig haben? Du weißt, daß ich geschworen habe und also mein Wort halten werde!"

"Ich muß es gestehen: es ist der Mudellir (Statthalter) von Assuan."

"Hamd-el-Arek!" rief Manu-Remusat, indem er die Pfeife vor Überraschung zu Boden fallen ließ. "Mein Todfeind, der mächtige Hamd-el-Arek, welchen der Khedive (Vizekönig) beschützt wie einen Bruder! Allah akbar, jetzt begreife ich Alles! Er weiß, daß Sobeïde eine Perle ist unter den Töchtern Egyptens und hat sie rauben lassen, um seinen Harem mit ihr zu schmücken und sich zugleich an mir zu rächen. Fahre fort, mein Sohn; dieser Mann darf nicht geschont werden, und wenn er nicht Alles der Wahrheit gemäß bekennt, soll er nicht blos sechzig Streiche erhalten, sondern ich lasse ihn so lange schlagen, bis ihm der Schaum des Todes von den Lippen tropft. Redet er aber aufrichtig, so darf er auf meine Gnade rechnen und ich werde ihn so barmherzig behandeln, wie es seine Reue verdient; das schwöre ich bei dem Barte meiner Väter!"

"Du hörst diese Worte," meinet Katombo, "also denke an Dein Bestes! Wie heißest Du? Schirwan ist dein richtiger Name nicht. Wie nennt Dich der Mudellir?"

"Hamm-Barak."

"Standest Du in seinem Dienste?"

"Ja."

"Als was?"

|117B Der Gefragte schwieg verlegen. Katombo lächelte:

"Ich begreife; Du mußtest ihm diejenigen Dienste leisten, von denen Niemand etwas wissen durfte und für welche es im Haushalte keinen Namen gibt?"

"So ist es."

"Der Auftrag, welchen er Dir gab, bezog sich nicht direkt auf Sobeïde?"

"Nein; ich sollte von den beiden Töchtern dieses Sihdi eine bringen, gleichviel welche."

Ayescha machte eine Bewegung des Entsetzens, wie leicht hätte sie das Schicksal ihrer Schwester treffen können.

"Wie kamt Ihr in den Kiosk?"

"Ich kundschaftete es aus, daß die beiden Töchter des Scheik-el-Reïsahn sich des Abends dort befinden, und schwang mich mit meinen Leuten hinauf. Es kam nur Eine, und wir nahmen sie gefangen. Ich stieß meinen Dolch in das Fenster und hing unsere Strickleiter an denselben; meine Männer stiegen mit ihr hinab; ich mußte nachspringen, aber als ich zuvor den Dolch wieder herauszog, brach die Spitze ab."

"Du bist kein Springer, sonst wärst Du nicht an dem Nagel hängen geblieben. Ihr habt die Gefangene gesund und richtig abgeliefert?"

"Ja."

"Sie befindet sich in dem Harem des Mudellir?"

"Nein. Seine Lieblingsfrau ist eifersüchtig; er darf keine junge schöne Sklavin bringen."

"Wo ist sie dann?"

"In einem Hause der Straße Bab-el-Run, wohin wir sie bringen mußten. Man erkennt es an der ersten Sure des Koran, welche über seinem Thore steht."

"Wie viel erhieltest Du für die That?"

"Ich erhielt noch nichts; der Mudellir will mich erst nach meiner Rückkehr bezahlen."

"Warum gingst Du wieder nach Siut?"

"Ich sollte erkundschaften, ob Manu-Remusat unsere Spur entdeckt habe."

"Wußtest Du, daß die Dahabié, auf welcher Du fuhrst, ihm gehört?"

"Nein; der Steuermann nannte mir Deinen Namen."

|118A "Ist Hamd-el-Arek jetzt noch in Assuan? Ich hörte, daß der Khedive ihn nach Kairo berufen habe."

"Er wird noch einige Tage in Assuan bleiben, um sich Sobeïde günstig zu stimmen; aber lange Frist ist ihm nicht gelassen."

"Ich bin fertig mit Dir!" Dann wandte er sich an Manu-Remusat: "Das Weitere muß ich Dir überlassen, Sihdi!"

Remusat sprach noch einige unwesentliche Fragen aus, die sich meist auf das Verhalten und Befinden seiner Tochter bezogen. Über das Erstere wurde ihm ausführlicher Bescheid; über das Letztere aber konnte er natürlich nichts erfahren. Seine Schlußmeinung sprach er in den Worten aus:

"Du bleibst mein Gefangener, bis die Angelegenheit zu Ende ist. Erhalte ich meine Tochter unversehrt wieder, so werde ich Dir ein gnädiger Richter sein; findet aber das Gegentheil statt, so mußt Du sterben!"

Er ließ den Armenier abführen und sorgte dafür, daß an eine Flucht desselben nicht zu denken war. Dann reichte er Katombo nochmals die Hand:

"Ich wiederhole, daß ich Dir ein Vater bleiben werde. Allah halte seine Hand über Dir und alle die Deinen, so lange Du lebst und sie auf Erden sind! Du hast mir neue Hoffnung gegeben, wo keine mehr vorhanden war, hast mir den Weg gezeigt, den ich zu gehen habe, und nun werde ich noch heute aufbrechen nach Assuan, um mein Kind von seinem Räuber zurückzufordern."

"Das wirst Du nicht. Willst Du Deine andere Tochter schutzlos zurücklassen?"

"Ich übergebe Dir Ayescha, denn ich weiß, daß sie unter Deiner Obhut so sicher ist wie im Zelte der Erzväter."

Ein Gefühl des Stolzes und der Genugthuung überkam Katombo, dennoch aber antwortete er:

"Sagtest Du nicht selbst, daß Hamd-el-Arek Dein Todfeind sei? Er ist der Liebling des Vizekönigs. Willst Du in die Höhle des Löwen gehen? Du wirst nicht Deine Tochter retten, sondern darin umkommen!"

"Einst hatte ich die Macht, welche er besitzt; ich befehligte ganze Flotten, welche auf der See schwammen, und Alles was ich that, war recht und gut. Da wollte mir der Vizekönig eine seiner Töchter zum Weibe geben; ich aber liebte die Mutter meiner Töchter und schlug es ihm ab. Er schickte mich in die Verbannung. Der Streich war von Hamd-el-Arek ausgesonnen; dieser wußte, daß ich jedes andere Weib ausschlagen und also den König erzürnen werde. Er nahm meine Stelle ein in der Gunst des Herrschers und trachtet mir nun auch nach meinen Töchtern, Allah verdamme ihn. Ich werde ihn tödten, wo ich ihn nur finde!"

"Laß Den für Dich handeln, den Du vorhin Deinen Sohn nanntest, Sihdi! Du kannst nicht frei und ungehindert handeln, denn der Mudellir kennt Dich; mich aber hat er noch nie gesehen; von mir hat er noch nie gehört. Du kennst mein Auge und meinen Arm. Ich schwöre Dir, daß ich Dir Deine Tochter bringe oder sterben werde; ich schwöre es bei Allah und den sieben Himmeln des Propheten!"

Manu-Remusat wurde wankend; das war ihm anzusehen, und jetzt legte sich auch das Händchen Ayeschas auf seine Schulter.

"Erfülle seine Bitte, Vater, und bleibe bei mir. Er wird Dir Sobeïde wiederbringen!"

"Auch Du, meine Tochter? So sei es denn! Fahre Du hinauf nach Assuan; Du wirst meine Hoffnung ganz erfüllen. Nimm die leere Dahabié, welche noch nicht befrachtet ist; ich stelle sie unter Deinen Befehl."

"Verzeihe, Sihdi! Die Dahabié geht zu langsam. Gieb mir den Sandal, welcher nach meiner Zeichnung gebaut wurde und eigentlich in drei Tagen seine erste Fahrt stromab beginnen sollte!"

"Den kannst Du nicht nehmen; er ist ja beinahe vollständig befrachtet."

"Wir laden Alles auf die zweite Dahabié. Wenn alle unsere Schiffer helfen, sind wir vor Anbruch des Morgens fertig, und dann wird der Sandal so schnell segeln, daß er den Verlust der Zeit doppelt einbringt."

"Thue, was Du wünschest! Der Sandal wurde nach Deinem Plane gebaut; Du selbst gabst ihm den Namen Djuhr-el-Djienne (Schwalbe) und behauptest, daß er der beste Segler des Nils sein werde. Dir zu Ehren soll seine erste Fracht in dem Glücke bestehen, welches Du mir wiederbringst. Gehe jetzt, mein Sohn, und ertheile Deine Befehle; sie sollen so befolgt werden, als seien es meine eigenen!"

Katombo ging. Als er in den Hof trat, eilte ihm ein arabischer Diener entgegen, welcher sich durch eine, wenn auch nicht zu hohe aber äußerst nervige und geschmeidige Gestalt auszeichnete.

"Hamdullillah, Preis und Lob sei Gott, daß ich Dich wiedersehe! |118B Ich war krank, als Du abreistest. El-Timsach (Krokodil) hatte mich gebissen, ließ mich aber wieder fahren, weil es zu wenig Fleisch an mir fand, dennoch aber waren mir seine Zähne so tief in den Leib gefahren, daß ich Dir nicht folgen konnte. Jetzt aber hat mir Allah den Gebrauch meiner Glieder wiedergegeben, und so hoffe ich, daß ich mit Dir gehen darf, wenn Du wieder reisest."

"Das sollst Du, Ali, und zwar bald, denn bereits morgen früh fahren wir mit der neuen "Djuhr-el-Djienne" ab."

"Morgen früh? Mit Deinem Sandal, Sihdi?" Der Mann machte vor Freude einen Luftsprung, wie ihn die gelenkigste Meerkatze nicht besser fertig gebracht hätte, und fuhr dann fort: "Du bist der beste und gütigste Sihdi, den es geben kann in ganz Moslemistan, Parsistan, Indistan, Chinistan und Frankistan!"

Katombo lächelte selbst sehr vergnügt. Unter allen Leuten Manu-Remusats hatte er Ali am liebsten; dieser war nicht nur der treueste und zuverlässigste Diener, den es gab, sondern er zeichnete sich unter seinen meist ernsten Genossen durch eine ansehnliche Portion Lebhaftigkeit aus, die sehr oft geradezu in Frohsinn und eine Heiterkeit überging, welche sich in den possirlichsten Witzen erging.

"Mache Dich also bereit, Ali!"

"Sihdi, ich bin bereits fertig. Soll ich absegeln?"

"Nein," lachte Katombo; "aber wenn Du es so eilig hast, so gehe hinüber zur Dahabié, in welcher ich gekommen bin, und sage allen Männern, daß sie herunter zum Sandal kommen sollen; es gibt eilige Arbeit für sie!"

"Ich eile, ich laufe, ich springe, ich fliege, Sihdi!" antwortete Ali, und bei dem letzten seiner Worte war er schon so weit entfernt, daß es von Katombo gar nicht mehr gehört oder verstanden werden konnte.

Er sprang nach dem Flusse hin und erstieg die Dahabié. Einer der Männer, welcher ihn nicht kannte, trat ihm entgegen.

"Was willst Du hier?"

"Sage mir zuvor, was Du hier willst, Du Ben-el-Kuskussu!"

"Ich gehöre zu diesem Schiffe!"

"So bist Du wohl der Mann, der die überflüssigen Ratten und Mäuse todtzubeißen hat, wie ich an Deinem Großmaul ersehe?"

"Hüte Deine Zunge, Kleiner! Ich bin Omar, der Segelwächter."

"Omar, der Segelwächter? Was ist ein Segelwächter, und was ist Omar? Ein Segelwächter ist ein Mann, der nichts ist, ganz und gar nichts, und Omar ist ein Name, den so viele Männer tragen, wie Sand am Meere oder wie Flöhe in der Sahara. Ich aber heiße Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi und bin der erste Diener und Minister meines guten Herrn und Effendi Katombo. Siehe, wie Du vor Erstaunen den Mund aufsperrst, als ob Du die Pyramiden von Gizéh verschlingen wolltest, gerade wie Deine Ratten und Mäuse! Wo ist der Steuermann?"

"In der Kajüte!"

Ali eilte hinab und traf den Genannten an.

"Allah kerim, Gott ist gnädig; Du bist wieder gesund, Ali?" begrüßte ihn dieser. "Was thust Du auf der Dahabié? Schickt Dich der Reïs?"

"Ja. Sihdi Katombo läßt Dir sagen, daß alle Männer sofort nach der "Djuhr-el-Djienne" kommen sollen, wo es viele Arbeit gibt."

"Wir haben hier ja Arbeit auch genug!"

"Allah segne Deine Zunge, daß sie vollständiger reden lernt! Wenn mein Effendi befiehlt, so hat Jeder zu gehorchen. Weißt Du das, Du, dessen Verstand heller leuchtet wie Nurgehan?"

"Mach Dich von dannen, Du Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-und-so-weiter!" lachte der Steuermann, der den spitzigen Patron zu gut kannte, als daß er ihm seine Worte hätte übel nehmen mögen. Zugleich stieg er an Deck, um alle Mannen zusammenzurufen und mit ihnen, eine Wache ausgenommen, nach dem Sandal zu gehen.

Hier fanden sie Katombo bereits beschäftigt, das Transmettiren der Fracht nach der zweiten Dahabié zu überwachen. Der Steuermann frug ihn nach dem Grunde und dem Ziele der so schnell und plötzlich projektirten Reise, konnte aber leider zu seinem Verdrusse nicht das Mindeste erfahren.

Unter diesen Vorbereitungen verging der heiße Nachmittag. Die in jenen Gegenden äußerst kurze Dämmerung brach herein, und es wurde Abend. Dennoch aber hörte die Arbeit nicht auf; sie wurde beim Scheine der Fackeln und Laternen fortgesetzt, und zwar immer noch unter der persönlichen Leitung Katombos, der |119A dieselbe erst dann an den Steuermann abtrat, als der Abendstern beinahe seinen Kulminationspunkt erreicht hatte.

Jetzt verließ er den Sandal und kehrte nach dem Hause zurück. Doch betrat er dieses letztere nicht, vielmehr wandte er sich vom Gartenthor seitwärts und suchte den Kiosk zu erreichen, ohne von Jemand bemerkt zu werden. Es gelang ihm, obgleich in Folge des beabsichtigten Abganges des Sandals noch alle Augen offen und alle Hände beschäftigt waren. Er fand das Gartenhaus noch verschlossen und trat seitwärts hinter ein Feigengebüsch, um die Ankunft der Geliebten zu erwarten.

Noch hatte er nicht lange hier gestanden, als er leise Schritte vernahm. Eine schwarz verhüllte Frauengestalt nahte; er hatte Ayescha bisher nur in weißen Gewändern gesehen, aber das Klopfen seines Herzens sagte ihm, daß sie es dennoch sei und sich nur in dunkle Farbe gekleidet habe, um nicht bemerkt oder gar erkannt zu werden.

Sie blieb gerade vor ihm stehen, blickte empor zum Himmel nach dem Abendstern und flüsterte dann, indem sie forschend um sich blickte:

"Katombo!"

"Ayescha!"

"Du bist so beschäftigt, daß ich schon glaubte, Dich nicht anzutreffen!"

"Ich wäre gekommen, und wenn mich hundert Arme gehalten hätten. Hatte ich nicht viel mehr Recht zu der Frage, ob Du kommen werdest, Du mein Engel, meine Huri, meine Fee?"

"Hatte ich es Dir nicht versprochen? Komm; laß uns eintreten!"

Sie stieg die Stufen empor und öffnete. Er folgte ihr. Die Matte, welche das nach dem Garten gehende Fenster bedeckte, wurde aufgezogen, so daß der Strahl des Mondes und der Sterne in den Raum fiel, und dann nahmen sie Beide neben einander auf dem Divan Platz. Er entfernte den neidischen Schleier von ihrem Angesichte und blickte ihr lange, lange und wortlos in die dunklen, mit einem magischen Blicke auf ihm ruhenden Augen.

"Ayescha, ist diese Stunde kein Traum, keine Täuschung, keine Fata morgana, welche dem Pilger wunderbar Schönes und Köstliches vorspiegelt, um ihn dann in die tiefste Verzweiflung zu stürzen?"

"Es ist kein Traum und keine Spiegelung, Katombo, sondern Wahrheit. Ich war beinahe noch ein Kind, als ich Dich zum ersten Male bei uns sah, aber ich habe Dich geliebt seit jenem Tage bis heute, und ich werde Dich lieben, so lange Allah mir das Leben schenkt."

"Und weshalb liebst Du mich? Ich kam her elend und arm, ohne irgend eine der vielen Gaben, welche Allah an Glückliche vertheilt."

"Du hast die beste und edelste Gabe, welche Allah nur seinen Auserwählten bietet: Du bist ein Mann! Weißt Du nicht, daß es hier nur Sklaven gibt, die hier sich demüthig beugen und dort so hochmüthig sich brüsten? Gibt es ein Fatum, ein Kismet? Der Prophet sagt ja, und der Kuran sagt es auch. Aber wenn es Dein Kismet ist, ein Mann zu sein, so bist Du es doch nicht mit einem Male, sondern Du mußt es werden und bleiben durch Dich selbst. Vater nahm Dich auf, als Du arm und verlassen zu ihm kamst. Er frug Dich nur nach Deinem Namen, nach weiter nichts; aber Du hast mehr als diesen Namen."

"Ja, ich habe mehr, viel mehr, unendlich mehr als ihn, denn ich habe Dich, die mir kostbarer ist als alle Schätze und Ehren der Erde."

"Nein, Du hast Dich, und nur darum darfst Du auch mich besitzen. Ich habe gesehen, mit welchen Mühen Du nach des Vaters Liebe und Vertrauen gerungen hast; ich habe das Licht in Deiner Kammer leuchten sehen alle Nächte hindurch bis an den frühen Morgen; Du saßest bei den Büchern, welche Vater Dir gegeben hatte und in denen die schwere Kunst zu lernen ist, ein Schiff zu führen auf dem Strome und auf der großen See. Und wenn Du auf Reisen warst, so bin ich in Deine Kammer gegangen und habe viele Bücher gesehen in fremden Sprachen und mit Zeichen, die kein Taleb (Schriftgelehrter) versteht. Vater sagt, daß Du klüger und geschickter seist als er; Ali nennt Dich Effendi (Magister oder Doktor) und Du bist es auch. Du bist ein Mann, denn Du glaubst nicht an das Fatum und nicht an das Kismet, sondern Du willst durch Deine Arbeit und durch Deine Mühe werden, was Du wirst, und darum hebe ich meine Augen auf zu Dir und liebe Dich."

Es war ihm so wunderbar, so selig zu Muthe bei diesen Worten des herrlichen Mädchens. Er sah sich in seinem tiefsten, innersten Denken und Streben von ihr verstanden, und dies machte |119B ihn noch stolzer, noch glücklicher als ihre Liebe. Woher hatte sie die Anschauungen, die er hinter der Stirn eines orientalisch erzogenen Mädchens gar nicht erwarten und vermuthen konnte?

"Wer hat Dich gelehrt, am Kismet zu zweifeln?"

"Darf ich es Dir sagen, Katombo?"

"Sage es !"

"Aber Du wirst dann Dein Herz von mir wenden und mich nicht mehr lieben!"

Er legte ihr Köpfchen in überquellender Zärtlichkeit an seine Brust und flüsterte:

"Ayescha, ich war in einem fremden Lande, wo man ein wunderbar schönes Lied singt. Darin kommen Worte vor, die ich Dir als Antwort geben will."

"Wie lauten sie?"

"Ich hab Dich geliebet und liebe Dich heut, und werde Dich lieben in Ewigkeit!"

"Welch schöne Worte; in jenem Lande muß es Dichter geben, die ebenso groß und gut sind wie dir unsrigen!"

"Noch größer und besser!"

"Wie heißt es?"

"Germanistan."

"Und ich darf glauben, was dieses Lied sagt, und Dir ohne Sorge meine Antwort geben?"

"Du darfst es, denn lieber will ich sterben, als auf Deine Liebe verzichten!"

"So wisse, daß wir eine alte Sklavin hatten, die nach dem Tode der Mutter immer bei uns sein mußte. Sie war keine Gläubige, sondern eine Christin und hat mir und Sobeïden heimlich viel erzählt von ihrem Heilande, der Isa-Ben-Marryam (Jesus, der Sohn Mariens) geheißen hat und für die Elenden und Armen gar gestorben ist. Die Worte, welche er lehrte, waren wie Thau in der Dürre und wie Balsam für die Schmerzen. Wir haben viel geweint über seine Leiden; aber er wohnt jetzt bei Allah und regiert die Erde. Ich liebe ihn, und weil er verboten hat, an das Kismet zu glauben, so will ich ihm gehorsam sein."

"Weiß Dein Vater all dies?"

"Nein. Aber Du bist ein Gläubiger und wirst mich nun von Dir stoßen!"

"Nein, das werde ich nicht, denn was Isa-Ben-Marryam gesagt hat, das glaube auch ich. Doch das Herz ist ein Brunnen, aus dem nicht Jeder trinken darf; darum soll man nicht sprechen von seinen Gedanken, und nicht reden von den Gefühlen, welche in ihm wohnen. Wer glücklich ist, soll seine Seligkeit verschließen, und wer ein Leid zu tragen hat, darf es nicht Andern zeigen."

"Und doch hast Du es Andere sehen lassen!"

"Ich? Woher weißt Du, daß ich ein Leid im Herzen hatte?"

"Hast Du jemals gelacht, seit ich Dich kenne? Bist Du jemals munter und vergnügt gewesen? Auf Deiner Stirn stand geschrieben, daß Dich ein großes Unglück drückte, und erst heut sah ich Dein Auge zum ersten Male ohne Wolken. Willst Du mir sagen, was Dich so tief betrübte?"

"Ja; aber nun muß ich befürchten, daß Du dann mich nicht mehr liebst!"

Sie legte ihre Arme um seinen Nacken und flüsterte:

"Ich habe Dich geliebet und liebe Dich heut, und werde Dich lieben in Ewigkeit!"

Er küßte sie mit tiefer Bewegung auf die reine Stirn.

"Ja, ich trug ein großes Leid im Herzen! Was würdest Du thun, Ayescha, wenn ich Dich jetzt von mir stieße und eine Andere liebte, die mich blos für eine Woche sehen will, um mit meiner Liebe zu spielen?"

"Katombo, thue das nicht; ich würde sterben!" bat sie in angstvollem Tone.

"Nein, meine Seele, das thue ich nicht! Ich habe auch geglaubt, daß ich sterben müsse; aber das Herz des Mannes ist stark; es blutet fort, doch es bleibt leben, und das ist schlimmer als der Tod."

Sie sah ihn fragend an.

"So hast Du eine Andere geliebt, die Dich verlassen hat?"

"Ja. Und nicht wahr, nun wirst Du mir Deine Liebe entziehen?"

"O nein, denn Du hast mich ja damals noch nicht gekannt. Ich möchte vielmehr nun meine Liebe verdoppeln, damit Dein Herz seine Wunden vergißt!"

"Sie sind geheilt, heut, in einem einzigen Augenblick."

"An welchem?"

"Als Du mir sagtest, daß ich Dich lieben darf."

"Sie - war - wohl - - schön, sehr schön?" frug sie stockend.

|120A "Ja, sie war schön, aber nicht so gut wie Du!"

"O nein, gut kann sie nicht gewesen sein, sonst hätte sie Dir nicht einen solchen Gram bereitet. Ich hasse sie nicht, weil Du sie liebtest, sondern ich hasse sie, weil sie so schlimm gegen Dich war. Wie hieß sie?"

"Zarba."

"Zarba. Ich werde mir diesen bösen Namen merken, aber ich werde ihn niemals aussprechen, um nicht das Glück zu trüben, das ich Dir so gern geben möchte!"

Diese Worte des lieben engelsreinen Mädchens drangen ihm bis in die tiefsten Tiefen seines Innern, und Alles, was ihn bisher so unglücklich und elend gemacht hatte, drängte sich noch einmal eng zusammen, so daß es ihm heiß aus dem Herzen in die Augen stieg, aus welchen eine einzige aber desto schwerere Thräne niedertropfte. Sie fiel auf Ayeschas Wange. Sofort schlug das Mädchen die Arme um ihn und bat, nun selbst leise schluchzend:

"Weine nicht, Katombo, sondern liebe mich; Du sollst Alles vergessen, und ich werde Dir nie ein Leid thun, nie ein einziges!"

"Wirst Du auch mich nicht vergessen, wenn ich fern von Dir bin?"

"Ich werde stets an Dich denken, alle Tage, zu jeder Stunde und an jedem Augenblick! Kannst Du mir verzeihen, daß ich Dich fort von hier trieb, dorthin, wo nur Gefahr auf Dich wartet?"

"Du?"

"Ja ich, als ich den Vater bat, Dich an seiner Stelle nach Assuan zu senden?"

"Ich habe Dir ja gar nichts zu vergeben, vielmehr muß ich Dir Dank sagen, daß Du mir beistandest, als er mir meine Bitte nicht erfüllen wollte."

"Ich weiß, daß nur Du allein die Schwester bringen wirst; ich weiß, daß Du alle Gefahren besiegen wirst; Vater aber wäre nie zurückgekehrt. Sein Herz ist krank; o, gieb ihm Heilung, Katombo, denn Du liebst mich und ihn, und er hat Dich seinen Sohn genannt!"

"Ich habe ihm versprochen, daß ich sterben oder Sobeïde zurückbringen werde, und ich habe noch niemals mein Wort gebrochen. Er hat mich seinen Sohn genannt; aber werde ich es auch so sein dürfen, wie wir es wünschen - als Mann seiner Tochter?"

Bei dieser Frage verdunkelte ein Schatten den halb offen gebliebenen Eingang und - Manu-Remusat stand vor ihnen. Sie erhoben sich erschrocken; er aber legte seine beiden Hände auf ihre Häupter.

"Du darfst es sein, Katombo, denn Ihr liebt Euch so, wie ich mein Weib einst liebte, und seid werth, Euch zu beglücken. ich wollte Dich sprechen, Ayescha, fand Dich nicht im Harem und suchte Dich. Ich habe alle Eure Worte vernommen. Gehe nach Assuan, Katombo, und wenn Du mir Sobeïde bringst, sollst Du Ayescha zum Weibe haben, Es ist ein hoher, köstlicher Preis; verdiene ihn Dir!" - - -


Einführung "Scepter und Hammer"

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