(|121|)A XIII. [Dreizehntes Kapitel.]

Vom Reis zum Kapudan Pascha.

Die Sonne hatte sich schon längst aus den Fluthen des rothen Meeres erhoben, doch war der Morgen noch nicht so weit vorgerückt, daß ihre Strahlen sehr beschwerlich gefallen wären. Auf den Fluthen des Nils tummelte sich ein reges Leben, und auch in den Straßen und Gassen von Assuan herrschte ein Verkehr, der nach einigen Stunden, wenn das Gestirn des Tages höher zu stehen kam, nothwendig ersterben mußte.

Am Ufer lag zwischen andern Fahrzeugen ein Sandal, der die Blicke aller Kenner auf sich zog. Der Rumpf hatte eine schärfere und schlankere Bauart, als sonst bei diesen Fahrzeugen zu bemerken war; von dem Segelbaue konnte man nichts sehen, da Alles im Reffe lag, aber die eigenthümliche und fremdartige Takelung ließ vermuthen, daß auch die Leinwand eine ungewöhnliche Form und Stellung besitzen werde.

Auf dem Vorderdecke dieses Fahrzeuges saßen mehrere Männer, welche Tabak rauchten und sich dabei in aller Gemüthsruhe das am Ufer sichtbare Leben und Treiben beschauten; am Hinterdecke aber, ganz nahe am Steuer stande Zwei, die in einer zu lebhaften Unterhaltung begriffen waren, als daß sie, wenigstens jetzt, für diesen Gegenstand ein Interesse haben können. Der Eine war ein sehr hochgewachsener, noch junger Mann in der Tracht eines Reïs, und der Andere zeigte eine schmächtigere, weit kleinere Statur, die sich durch eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit auszeichnete.

"Also Bab-el-Run heißt die Straße, Ali," meinte der Erstere.

"Ja, Bab-el-Run, Effendi. Meine Gestalt ist kurz, aber mein Gedächtniß ist so lang wie der Nil; wie könnte ich mir sonst meinen eigenen Namen merken!"

"Und über dem Thore des Hauses steht das erste Surat des Kuran."

"Das erste, das ist gut; da habe ich nicht so viel zu zählen, als wenn es das neunzigste oder hunderachtundvierzigste wäre."

"Und Du wirst Deine Sache gut machen, Ali?"

"Maschallah, habe ich sie jemals schlecht gemacht? Nur ein einziges Mal bin ich dumm gewesen, weil ich das Krokodil nicht gleich verschlungen habe, als es mich fressen wollte. Sei ohne |121B Sorge, Sihdi! Assuan ist nicht bekannt, als ob hier besonders kluge Leute wohnten."

"Hier hast Du Geld. Man weiß nicht, ob Du welches brauchen wirst."

"Maschallah, Sihdi, ich weiß, daß ich stets welches brauche; aber was ich übrig behalte, das sollst Du ehrlich wieder bekommen. Das Geld ist wie der Vogel: man weiß, aus welchem Ei er kommt, aber wenn er ausgekrochen ist, so weiß man nicht, wohin er fliegt."

"So gehe!" lachte Katombo.

"Sallam - - -"

Das aaleïkum" war nicht mehr zu hören, denn Ali hatte bereits den Fuß auf den Bord gesetzt, um an das Ufer zu springen. Hier gab er sich ganz das Ansehen eines Mannes, der ohne ein besonderes Ziel behaglich dahinzuschlendern vermag, weil ihm die liebe Zeit nicht allzu karg zugemessen ist, und erst nach einiger Zeit trat er zu einem müßig stehenden Lastträger.

"Sallam aaleïkum!"

"Aaleïkum!" lautete die einsilbige Antwort.

"Ist Friede in Deinem Hause?"

"Friede immerdar!"

"Und Glück bei Deinem Geschäfte?"

"Allah gibt Jedem, was er braucht. Gibt er viel, so braucht man viel, gibt er wenig, so braucht man wenig."

"Hamdullillah, Preis sei Gott, daß ich gefunden habe, was ich suche!"

"Was suchest Du?"

"Sag lieber: "Wen suchest Du?" Ich suche einen weisen Mann, der mir eine Frage beantworten kann, und da Deine Worte von Gelehrsamkeit duften wie die Bücher des Kadis, so glaube ich, daß Du mir Antwort geben kannst."

"So frage!" gebot der Lastträger, welcher sich außerordentlich geschmeichelt fühlte, und nun eine Frage erwartete, zu deren Beantwortung ein ungewöhnlicher Scharfsinn gehöre.

"Wo liegt die Straße Bab-el-Run?"

Das Gesicht des Lastträgers verfinsterte sich mit einem Male.

"Ist das Deine gelehrte Frage?"

"Ja."

"So gehe, wo Du hergekommen bist, sonst werde ich Dir die Straße Bab-el-Run mit diesem da zeigen!" Dabei erhob er den |122A Prügel, an welchem er Doppellasten zu befestigen pflegte, um sie auf der Achsel zu tragen. "Glaubst Du, daß sich ein ehrlicher Mann von einem Mukkle (Spaßvogel) äffen läßt? Fort, sonst kommst Du dreimal schneller weg, als Du denkst!"

Dabei machte er eine so sprechende Bewegung, daß Ali schleunigst das Weite suchte.

"Maschallah, war das ein Grobian! Also auf diese Weise geht es nicht; ich muß es auf eine andere versuchen!"

Er bog jetzt eilig in ein Gäßchen ein, in welchem ihm ein Sorbethändler begegnete. Er trat auf ihn zu und frug kurz:

"Wo ist die Straße Bab-el-Run?"

Der Händler setzte seinen Limonadenapparat zur Erde und legte beide Hände an die Ohren.

"Was? Wie?"

Ali merkte, daß der Mann schwerhörig war und trat ihm so nahe wie möglich, um ihm seine Frage in das Ohr zu brüllen. Indem kamen zwei Maulthiere herbei, welche eine Sänfte trugen, in welcher jedenfalls eine vornehme Frau saß, denn zwei Läufer gingen ihr voran, laut ihr "Remalek" und "Schimalek" ("rechts" und "links") rufend, um die Begegnenden zum Ausweichen anzuhalten. In der Rechten trug jeder von ihnen eine schwere Nilpeitsche, um ihren Worten, wenn sie nicht befolgt wurden, nach Landessitte den gehörigen Nachdruck zu geben. Eben brüllte Ali sein

"Wo ist die Straße Bab - - -"

so erhielt er, ohne vollständig ausgesprochen zu haben, einen fürchterlichen Hieb über den Rücken. Er fuhr erzürnt herum.

"Schimalek!" donnerte ihm der Läufer entgegen und applizirte ihm einen zweiten und ebenso kräftigen Hieb auf dieselbe Stelle.

"Schim - - ach so! Allah kerihm, haut der Kerl zu!"

Er retirirte sich zu der angegebenen Seite, aber doch nicht schnell genug, so daß er noch einen dritten Hieb empfing. Der Sorbethändler hatte natürlich die Warnung noch viel weniger vernommen. Der andere Läufer bearbeitete ihn auf das Lebhafteste mit der Peitsche, immer sein "Remalek" rufend; aber ehe der schwerhörige Mann seinen Apparat emporraffte, waren die Maulthiere zur Stelle und schritten so kontinuirlich weiter, daß er zur Seite geworfen und sein Gefäß umgerissen wurde, so daß die Limonade über die Gasse schwemmte.

Als Ali das Unheil bemerkte, welches er angerichtet hatte, machte er sich eiligst aus dem Staube, und hielt nicht eher an, als bis er um einige Ecken gebogen war. Dort blieb er stehen, um sich den Revers seines beleidigten Körpers zu reiben.

"Allah akbar, Gott ist groß, aber diese Hiebe waren noch größer. Welch ein Glück, daß ich entkommen bin! Hätte mich der Händler festnehmen lassen und angezeigt, so hätte ich ihm seinen ganzen Sorbet bezahlen müssen. Wie es scheint, ist es heut mein Kismet, daß ich die Straße Bab-el-Run nicht finden soll!"

Er schaute sich um und bemerkte einen Wassermann, welcher seinen Esel vor sich hertrieb, an dessen beiden Seiten die offenen Fässer hingen. Er wartete, bis derselbe nahe war und trat ihm dann entgegen.

"Willst Du mir nicht sagen, wo die Straße Bab-el-Run ist, ïa Abd-el-Ma (o Diener des Wassers)?"

Der wie ein Herkules gebaute Mann sah ihn ruhig von unten bis oben an, ergriff dann sein Schöpfgefäß, tauchte es tief in eines der Fässer, so daß es voll wurde, und goß ihm das Wasser in das Gesicht. Dann setzte er, ohne ein Wort zu verlieren, seinen Weg weiter fort, als ob nicht das Mindeste vorgefallen wäre. Ali stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt, und es dauerte lange, ehe er auf den Gedanken kam, seine Schärpe abzubinden, um sich mit derselben abzutrocknen. Er befand sich im Bazar der Schneider, und ihm gegenüber lag ein Laden, dessen Besitzer den ganzen Vorgang mit angesehen hatte. Er winkte ihm einzutreten.

"Sallam aaleïkum!" grüßte Ali.

"Sallam, Friede seit mit Dir! Warum begoß Dich dieser Mann mit Wasser?"

"Ich weiß es nicht. Kannst Du es mir sagen?"

"Was sprachst Du zu ihm?"

"Ich frug ihn, wo die Straße Bab-el-Run ist."

"Bist Du fremd in Assuan?"

"Ja."

"Wo kommst Du her?"

"Von Kairo."

"Maschallah, so hat er Dich unschuldig bestraft! Die Straße Bab-el-Run ist dieselbe, in der Du Dich befindest, und der Mann hat geglaubt, Du willst mit ihm scherzen. Was suchst Du in dieser Straße? Ich werde Dich gern berichten."

"Das Haus des Mudellir."

"Das liegt sehr weit von hier; Du kannst es an der heiligen |122B Fatha erkennen, welche über dem Thore zu lesen ist. Was willst Du bei Hamd-el-Arek?"

Ali hatte zwar bisher Unglück gehabt, aber er war trotzdem ein schlauer Kopf und besann sich kurz:

"Ich will ihn um Gerechtigkeit bitten."

"Um Gerechtigkeit?" dehnte der Schneider. "Der Prophet spricht: "Wenn Du einen Freund findest, so öffne ihm Dein Herz, dann wird Dein Fuß nicht straucheln. Sprich weiter!"

"Bist Du mein Freund?"

"Versuche es, so wirst Du es bald sehen! Ich bin ein Freund aller Gerechten, aber ein Feind aller Ungerechten."

"Ich habe einen Bruder im Wadi-el-Mogreb, welches nicht weit von hier liegt. Er starb und hat mir seine Habe hinterlassen, aber als ich von Kairo in das Wadi kam, da - "

"Da hatte der Mudellir Deine Erbschaft eingezogen?" fiel ihm der Schneider eifrig in die Rede.

"Du sagst es."

"Und nun willst Du zu ihm gehen und sie von ihm fordern?"

"Sie von ihm fordern!" nickte Ali.

Der Schneider blickte sich vorsichtig um, legte dann die Hand an den Mund und flüsterte:

"Weißt Du, was Du bekommst?"

"Was?"

"Die Bastonnade, aber von Deiner Erbschaft nicht so viel, wie ein Durrhakorn (Hirsekorn) groß ist. Gehe nicht zu ihm, sondern kehre eilends nach Kairo zurück!"

"Sagst Du die Wahrheit?"

"Ich sage sie, denn ich kenne den, von dem Du sprichst. er hat ein ganzes Jahr lang seine Gewänder bei mir genommen, und als ich kam und ihn demüthig um Zahlung bat, kannte er mich nicht und ließ mich in den Bock spannen. Meine Zahlung habe ich redlich erhalten, denn für jedes Silberstück, welches ich verlangte, bekam ich einen Bastonnadenstreich! Allah i charkilik, Gott verbrenne ihn!"

"Und die Tochter meines Bruders ist auch mit verschwunden."

"Maschallah, ist das wahr? So hat er sie in sein Harem gesteckt! Die schönsten Jungfrauen des Bezirkes treibt er zusammen, obgleich Sada, seine Frau, nichts davon erfahren darf. In dem Hause, welches ich Dir beschrieb, werden sie eingeschlossen; ich weiß das ganz genau, denn meine Schwester gehört zu den Hüterinnen der Frauengemächer."

"Kommt sie zuweilen, Dich zu besuchen?"

"Sie kommt täglich, wenn sie ihre Einkäufe für die Küche macht."

"Würdest Du mir erlauben, einmal mit ihr zu sprechen?"

Der Schneider schüttelte langsam und bedächtig das Haupt.

"Das ist zu gefährlich!"

"So laß Dir etwas sagen, Mann: Die Tochter meines Bruders hatte einen Geliebten, welcher mit nach Assuan gekommen ist. Er ist ein sehr wohlhabender Kaufmann und hat einen ganzen Beutel voll Goldstücke bei sich. Er würde gern mit Dir sprechen. Darf ich ihn holen?"

Der Schneider blickte nachdenklich vor sich nieder.

"Warte einmal; ich will das Kismet befragen!"

Er griff in die Tasche seiner weiten Pluderhose und zog drei Würfel hervor, die er eine Weile in den hohlen Händen rollte und dann auf den Boden fallen ließ. Er zählte die oben aufliegenden Augen und meinte dann:

"Geh und hole ihn, ich darf Euch vertrauen!"

Ali verließ den Laden und kehrte schleunigst zum Sandal zurück, wo ihn Katombo mit Sehnsucht erwartete. Als er ihn kommen sah, stieg er zur Kajüte nieder, in welcher er ihn empfing.

"Nun?"

"Sihdi, ich bin Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi, und was Du mir befiehlst, das bringe ich zu Stande!"

"Hast Du die Straße gefunden?"

"Sofort," antwortete er, sich in die Brust werfend.

"Und weiter?"

"In dieser Straße wohnt ein Schneider, der ein großer Feind des Mudellir ist, weil dieser ihm die Bastonnade geben ließ, anstatt ihn zu bezahlen. Seine Schwester ist Haremshüterin beim Mudellir und wird jetzt zu ihm kommen. Willst Du mit ihr sprechen? Ich habe gesagt, mein Bruder im Wadi-el-Mogreb sei gestorben und ich bin aus Kairo gekommen um die Erbschaft zu holen. Der Mudellir aber hat sie mir weggenommen und auch die Tochter meines Bruders dazu, deren Bräutigam Du bist. Du bist ein Kaufmann und hast viel Goldstücke mit."

|123A "Ali, Dein Verstand ist ebenso groß, wie Dein Name lang ist. Warte ein wenig; ich werde gleich fertig sein!"

Er durfte natürlich in dem Anzuge eines Reïs nicht mitgehen, sondern er mußte ein anderes Gewand anlegen. Nach dem dies geschehen war, verließen sie das Fahrzeug und schritten nach der Straße Bab-el-Run, deren Lage sich Ali genau gemerkt hatte. Der Schneider schien ihrer bereits zu harren. Vielleicht war seine Schwester mittlerweile gekommen.

"Mein Freund hier hat mir Deinen Laden empfohlen," begann Katombo nach der üblichen Begrüßung. "Hast Du einen Anzug für mich?"

Des Schneiders Auge leuchtete befriedigt auf; er sah, daß er einen Mann vor sich haben, der eine delikate Sache auf die rechte Weise einzuleiten verstand.

"Du findest bei mir Alles, was Du begehrst. Willst Du einen guten oder einen billigen Stoff?"

"Der gute ist stets der billigste."

"Du sprichst weise, wie ein Kenner spricht. Setz Dich nieder und nimm die Pfeife! Ich werde Dir vorlegen."

Er brachte die verschiedensten Anzüge zum Vorschein. Katombo behielt eine derselben und bezahlte ihm doppelt so viel, als er verlangte. Der Schneider bedankte sich:

"Gesegnet sei die Hand, welche lieber gibt als nimmt! Erhebt Euch, Ihr Männer! Tretet durch diese Thür, Ihr werdet auch dort finden, was Ihr sucht."

Sie folgten seiner Aufforderung und traten in ein kleines, enges Gemach, in welchem eine kurze dicke und verhüllte Frauengestalt saß. Katombo verbeugte sich sehr tief herab, obgleich er wußte, daß er nur eine Dienerin vor sich habe.

"Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Dir! Der Kuran sagt: "Das Herz des Weibes gleicht der Rose; es spendet Duft und Wohlgeruch zu aller Zeit. Laß mich die Schwester des Weibes bewundern."

Neben ihr stand eine Thonvase, in welcher eine Rose steckte. Er nahm Beides, sog den Duft der Rose ein, ließ dabei eine Hand voll Goldstücke in die Vase fallen und setzte diese wieder an ihren Ort zurück. Diese Introduktion hatte eine außerordentliche Wirkung; der Schleier wurde gelüftet und ein volles, gutmüthig dreinschauendes Gesicht kam zum Vorschein; zwei fette Hände ergriffen die Vase und holten trotz des darin befindlichen Wassers das Geld heraus.

"Du hast den Kuran studirt und Worte und Handlungen der Höflichkeit gelernt. Ich werde Dir dienen, so weit ich es vermag."

"Du bist Aufseherin im Harem des Mudellir?"

"Ich bin es."

"Kennst Du die Namen aller seiner Frauen?"

"Ich kenne sie."

"Und weißt Du von Jeder, wo ihre Heimath ist?"

"Von Keiner. Warum soll ich ihnen Schmerz bereiten, indem ich sie nach ihrer Heimath frage?"

"Kennst Du eine Namens Sobeïde?"

"Ich kenne sie, doch ist sie nicht eine von seinen Frauen."

"Warum?"

"Er darf sie nicht berühren, sonst tödtet sie sich."

"Wann wurde sie Euch gebracht?"

"Vor noch nicht einem Monat."

"Weißt Du, woher sie kam?"

"Nein."

"Es ist meine Geliebte. Darf ich einmal mit ihr sprechen?"

"Wenn Du mir beim Barte des Propheten Verschwiegenheit gelobst."

"Ich schwöre es."

"So muß es noch heut geschehen, denn der Mudellir reist morgen nach Kairo ab und nimmt einige seiner Frauen mit, unter denen Sobeïde vielleicht sein könnte."

"Mit welchem Schiffe fährt er?"

"Ich weiß es nicht. Er nimmt das, welches ihm gefällt, ohne den Schiffer zu fragen, ob er ihm Schaden bringt."

"Wann soll ich Sobeïde sehen?"

"Grad um die Mittagszeit. Sie wird im Garten sein. Wenn Du Dir das Haus betrachtest, so ist die hintere Mauer des Gartens leicht zu finden. Da, wo ein Zitronenbaum über dieselbe emporragt, wird sie stehen. Wie Du hinaufkommst, mußt Du selber sehen."

"Kann ich mich auf Dich verlassen?"

Sie legte betheuernd die dicke Hand auf das Herz.

"Sicher!"

"Ich danke Dir. Wenn ich Dir etwas zu sagen habe, werde ich zu Deinem Bruder kommen."

|123B "Thue das!"

Katombo verabschiedete sich mit Ali. Draußen auf der Straße angekommen, schritten sie dieselbe hinab, bis sie ein einzeln stehendes Haus bemerkten, über dessen Thore die heilige Fatha zu lesen war. Auf einem Umwege suchten sie die hintere Seite des Gartens zu gewinnen, es gelang ihnen, und nun bemerkten sie, daß das Terrain ihrem Vorhaben außerordentlich günstig war. Die Umgebung zeigte sich so einsam und versteckt, daß man keinen Beobachter oder Verräther zu befürchten brauchte, und so kehrte Katombo außerordentlich befriedigt nach dem Sandal zurück.

Er hatte kaum seinen Anzug gewechselt, so trat Ali bei ihm ein.

"Sihdi, es reiten einige Offiziere am Flusse hin. Man sagt, sie suchen ein Fahrzeug für den Mudellir auf."

Sofort begab sich Katombo auf das Deck und kam gerade zur rechten Zeit um zu bemerken, daß einer von den Männern abstieg und auf den Sandal zuschritt. Am Wasser angekommen, verlangte er mit barscher Stimme ein Brett um hinüberkommen zu können. Es wurde ihm gelegt, und er schritt an Bord.

"Wo ist der Reïs?"

Man wies ihn zu Katombo, der ihn neugierig erwartete.

"Du bist der Führer dieses Schiffes?"

"Ich bin es."

"Was hast Du geladen?"

"Nichts."

"Wohin ist der Sandal bestimmt?"

"Nach dem Bahr-el-Abiad."

"Was willst Du dort holen?"

"Sennesblätter."

"Woher kommst Du?"

"Aus Kairo."

"Zeige mir das Innere Deines Schiffes."

"Wer bist Du?"

"Ich heiße Hamd-el-Arek und bin der Mudellir von Assuan. Kennst Du mich?"

"Ich habe Dich noch nie gesehen, aber Deinen Namen oft gehört. Komm und siehe!"

Er führte ihn durch die Kajüte und sämmtliche Räume. Als sie das Deck wieder betraten, schien der Statthalter im höchsten Grade befriedigt zu sein. Er legte Katombo seine Hand auf die Schulter.

"Bist Du ein guter Schiffer?"

"Urtheile selbst. Der Sandal ist nach meinem Plane gebaut."

"So vertraue ich Dir, denn der Bau und die Einrichtung sind unübertrefflich. Du wirst nicht nach dem Bahr-el-Abiad gehen!"

"Nicht?" frug der Reïs scheinbar verwundert.

"Nein, sondern zurück nach Kairo."

"Was soll ich in Kairo?"

"Mich sollst Du hinbringen, mich, meine Diener und eine von meinen Frauen. Wenn wir glücklich ankommen, wirst Du gut bezahlt."

Katombo bemühte sich, ein höchst verdrießliches Gesicht zu Stande zu bringen, und es gelang ihm so vollständig, daß der Mudellir die Stirn runzelte.

"Ich hoffe, Du beklagst Dich nicht über die Ehre, mich an Bord haben zu dürfen; die Nilpeitsche würde Dich eines Besseren belehren! Meine Dienerschaft kommt unter das Vorderdeck, die höhere Begleitung unter die Zelte, welche ich Dir senden werde, ich in die Kajüte und die Frau in die Kabine nebenan. Machst Du einen Versuch mit dem Sandal fortzugehen, so bekommst Du die Bastonnade bis Du stirbst."

"Ich werde gehorchen!" antwortete Katombo.

"Ich hoffe es um Deinetwillen. Du hast nur für Raum und gute Fahrt zu sorgen; alles andere werde ich selbst liefern."

Er verließ das Schiff, bestieg sein Pferd wieder und ritt davon. Katombo wußte nicht, ob er sich freuen solle; es galt, Gewißheit zu erlangen, und das konnte erst zu Mittage geschehen. Bis dahin hatte er allerdings genug zu thun, um seine Anordnungen zu treffen in Beziehung auf die Veränderungen, welche im Innern und auf dem Decke des Sandals vorgenommen werden mußten. Kurz vor Mittag aber verließ er mit Ali das Fahrzeug und begab sich trotz der außerordentlich drückenden Sonnenhitze nach dem Garten des Statthalters. Sie kamen unangefochten bei der ihnen angewiesenen Stelle an und suchten sorgfältig die Umgebung ab, um sich zu vergewissern, daß kein Lauscher vorhanden sei. Dann traten sie an den Punkt, wo sich der bezeichnete Baum über die Mauer erhob.

"Ich muß auf Deine Achseln treten, Ali!"

"Maschallah, das ist mir lieber als auf die Nase! Ich werde Dich schon erhalten können, Sihdi!"

"Herunter springe ich ohne Deine Hilfe. Du steckst Dich bis |124A dahin unter jenen Busch, um das Terrain zu beobachten. Wenn Du etwas Verdächtiges bemerkst, stößest Du den Schrei des Geiers aus."

"Den bringe ich fertig, Sihdi; wenn ich aber "Lubeka Allah Hümeh," den Gesang der Pilger, anstimmen sollte, so müßten wohl einige Töne über Bord geworfen werden. Doch, hier stehe ich, fest und sicher wie ein Elephant. Willst Du aufsteigen?"

"Ja, komm!"

Er schwang sich auf die Schultern des Dieners und konnte von hier aus gerade den oberen Rand der Mauer erfassen. Ein fester Griff, eine gewandte Volte und er saß oben.

|125A "Hamdullillah, Preis und Dank sei Gott, daß ich nicht droben bin! Ich käme nicht so leicht wieder herab, und wenn ich auch meinen langen Namen als Seil gebrauchen wollte," klang es von unten herauf; dann schlüpfte Ali hinter seinen Busch.

Katombo nahm zunächst eine solche Stellung unter den Zweigen ein, daß er nicht so leicht bemerkt werden konnte; dann blickte er hinab in den Garten.

Eine weiße Gestalt kam langsam den Gang daher. War es die Erwartete oder nicht? Er hatte vergessen der Haremshüterin seinen Namen zu sagen, und daher war es leicht begreiflich, wenn Sobeïde nur mit Mißtrauen auf das Abenteuer einging.

Er bemerkte, daß die Gestalt durch den Schleier hindurch die Stelle, an welcher er sich befand, sorgfältig musterte, und beschloß, sich durch ein kleines Wagniß Gewißheit zu verschaffen.

"Katombo!" rief er so laut, daß nur sie es noch zu hören vermochte.

Beim Klange dieses Namens zuckte sie zusammen, warf einige rasche Blicke umher und kam dann herbeigeeilt.

"Katombo, bist Du es wirklich?"

"Ich bin es. Doch blicke nicht empor, sondern thue, als ob Du Blüthen pflücktest! Daheim ist alles wohl. Vater und Schwestern lassen Dich grüßen. Ich habe Deinen Aufenthalt entdeckt und bin gekommen, Dich zu retten."

"Das ist unmöglich."

"Warum?"

"Ich muß noch heute Nacht zu Schiffe; der Mudellir schleppt mich nach Kairo."

"Dich allein?"

"Ja!"

"Dann ist Alles gut; denn er fährt mit meinem Sandal."

"Allah kerihm, Gott ist gnädig!"

"Du wirst neben der Kajüte untergebracht. Ich habe an der Seite nach dem Raume zu ein Brett locker gemacht, damit wir mit einander reden können. Hüte Dich eine Bewegung zu machen, aus der er sieht, daß Du mich und die Leute kennst!"

"Hast Du ein Messer bei Dir?"

|125B "Ja."

"Wirf es mir herab!"

Er zog es aus dem Gürtel und ließ es hinunterfallen.

"Hier nimm; doch ich hoffe, daß Du es nicht brauchst!"

Ein leiser Ruf erscholl.

Die Hüterin gibt mir das Zeichen. Lebe wohl!"

"Friede und Hoffnung sei mit Dir!"

Sie eilte davon, und Katombo sprang von der Mauer herab. Ali kam aus dem Busche hervor.

"Du hast sie gesehen?"

"Ja."

"Und mit ihr gesprochen, Sihdi?"

"Ja."

"Hat sie nichts von mir gesagt?"

Katombo mußte über die trockene Naivetät des Dieners lachen.

"O doch!"

"Was sagte sie, Sihdi? Sage es schnell!"

"Sie frug mich, warum Du heute morgen so naß gewesen bist."

Ali blickte verlegen vor sich nieder.

"Hatte Dich vielleicht wieder El Timsach, das Krokodil, in das Wasser gezogen?"

"Nein, Sihdi. Es war eine fürchterliche Überschwemmung in der Straße Bab-el-Run, von der ich Dir ein ander Mal erzählen werde."

"Gut; ich kann warten. Aber jetzt komm! Wir sind hier keineswegs in Sicherheit."

Sie verließen den Ort und kehrten in einem weiten Bogen nach dem Flusse zurück.

Im Laufe des Nachmittags kamen alle nöthigen Reiserequisiten auf dem Sandal an, und während des Lärmens, welcher bei der Zurichtung des Schiffes unvermeidlich war, konnte das kleine Geräusch nicht auffallen, welches Katombo dadurch verursachte, daß er noch einige Bretter an der Koje lockerte, in welcher Sobeïde untergebracht werden sollte. Auch einen Riegel brachte er an, durch welchen der kleine Raum von innen fest verschlossen werden konnte. Auf diese Weise war das Mädchen vor jeder Fährlichkeit geschützt.

Der Nachmittag verging und ebenso der Abend. Es wurde Nacht, und die Sterne leuchteten vom tiefblauen Firmamente so ruhig hernieder, als ob es auf Erden weder Leid noch Schmerzen, weder Angst noch Sorgen gebe. Da plötzlich tauchten Fackeln auf |126A dem Platze auf, vor welchem die Barken, Dahabiés und Sandals ankerten. Vier Träger brachten einen Palankin, den ein schwarzer Verschnittener begleitete. Sie näherten sich der Stelle, wo die "Djuhr-el-Djienne" ankerte, und verlangten eine Landungsbrücke übergelegt. Diesem Wunsche wurde entsprochen, und nun brachten sie den Palankin an Deck. Der Verschnittene trug eine Nilpeitsche in der Hand.

"Wo ist der Reïs?" frug er mit seiner unnatürlichen Falsettstimme, welche im grellsten Widerspruch mit seinem herkulischen Körperbaue stand.

"Hier bin ich," antwortete Katombo, indem er näher trat.

"Öffne den Raum für diese Frau, aber schnell, sonst mache ich Dir Beine!"

Der Reïs sah sich den Mann ruhig an. Dann meinte er: "Ich werde öffnen, aber nicht schneller, als es mir beliebt. Hier an Bord gilt nur meine Peitsche und nicht die Deinige. Merke Dir das!"

Der Kastrat fletschte ihm die großen, weißen Zähne entgegen, hatte aber doch nicht den rechten Muth, seine Drohung auszuführen.

"Wollen sehen!" meinte er höhnisch.

"Werden auch sehen!" antwortete Katombo. "Komm!"

Die Sänfte wurde nach der Kajütenluke getragen, wo Sobeïde ausstieg. Der Verschnittene führte sie hinab. Nach kaum einigen Minuten, während welcher Zeit sich die Palankinträger bereits wieder entfernt hatten, kehrte er eiligen Laufes zurück und kam gerade auf Katombo zu.

"Gib mir Hammer und Zange!"

"Wozu?"

"Wie kannst Du einen Riegel machen an die Thür, welche die Frau von ihrem Gebieter trennt! Sie ist sein Eigenthum, und er muß zu ihr können, so oft er will. Ich will den Riegel entfernen!"

"Du willst? Allah akbar, Gott ist groß im Himmel und auf Erden, und ich bin Gott auf meinem Schiffe. Der Riegel bleibt wo er ist!"

"Er kommt fort, sage ich!"

"Er bleibt, sage ich!"

"So warte, Du Kelb, Du Hund!"

Er holte mit der Peitsche aus, doch Katombo kam ihm zuvor. Er riß ihm die Peitsche aus der Hand, zog sie ihm drei, vier Male über das Gesicht und faßte ihn dann bei der Gurgel. Es kostete ihn nur eine geringe Anstrengung, den entmannten Neger zu Boden zu werfen.

"Fesselt ihn," gebot er seinen herbeispringenden Untergebenen; "gebt ihm einen Knebel und werft ihn in das Strafloch!"

Sie gehorchten, und nun ging Katombo zur Kajüte, in welcher eine halbleuchtende Lampe brannte. Die Thür zur Nebenkoje war verriegelt. Er klopfte an.

"Wer ist da?"

"Katombo!"

Jetzt sprang die Thür auf, und mit einem lauten konvulsivischen Schluchzen warf sich Sobeïde an seine Brust. Alles Gesetz, alle Strenge, alle Zurückhaltung war vergessen, und die Unglückliche folgte nur der Gewalt ihres Herzens.

"Katombo, bin ich nun sicher?"

"Du bist es, und keine Hand soll wagen, Dich auch nur leise anzutasten!"

"Wo ist der fürchterliche Mensch?"

"Gefangen und im Schiffskerker."

"Ia Allah! O Gott, Du machst Dich unglücklich! Er besitzt die größte Macht beim Mudellir, und Du bist verloren!"

"Noch nicht. Hätte ich Dich noch nicht hier, so könnte ich demüthig sein, nun Du aber in Sicherheit bist, bin ich der Kapitän meines Sandals, und wehe dem, der es wagt, gegen meinen gerechten Willen zu handeln! Dieser Riegel ist fest; er wird Dich vor Hamd-el-Arek schützen; und diese Bretter brauchst Du nur auf die Seite zu schieben, so gelangst Du in den Raum, den ich für mich hergerichtet habe, weil der Mudellir in meiner Kajüte wohnen will. Befiehl, und es wird geschehen, was Du gebietest!"

"Du wirst Nichts gegen ihn ausrichten können, denn er kommt mit über zwanzig Mann!"

"Ich fürchte mich nicht, obgleich ich nur zehn Männer bei mir habe."

"Fliehe, ehe er kommt!"

"Das geht nicht. Dich darf ich ihm nehmen, aber er hat sein ganzes Gepäck bereits an Bord, und wenn ich absegle ohne ihn, hat er das Recht, mir den Kopf vor die Füße zu legen, mir und all den Meinen."

"So schütze mich vor ihm und jenen gräßlichen Schwarzen!"

"Sei getrost; es wird Dir nichts geschehen!"

|126B Er ging wieder nach oben und gewahrte, daß der Landeplatz sich zum zweiten Male erhellte. Der Mudellir kam mit seiner Begleitung, und der Augenblick der Abfahrt war also nahe. Katombo hatte dazu alles vorbereiten lassen; der Sandal hing nur noch an einem Taue, und die Segel lagen hißgerecht, so daß es nur weniger Augenblicke bedurfte, um das Fahrzeug auf die Mitte des Stromes zu bringen.

Die Landungsbrücke wurde gelegt, und die Reisegesellschaft kam an Bord. Es mußte ein dringender Befehl vom Vizekönig eingetroffen sein, sonst hätte sich der Statthalter nicht so gesputet. Katombo empfing ihn auf dem Mitteldeck, anstatt aber seinen Gruß zu erwidern, stieß ihm der stolze Beamte nur das eine Wort entgegen:

"Abfahren!"

Das hatte der Reïs gewünscht, denn sobald das Fahrzeug sich im Strome befand, war er nach Schifferrecht alleiniger Herr desselben.

"Ho-ih!" ertönte seine Stimme, und sofort wurde das Ankertau gekappt, die Segel stiegen an den Masten empor, der Sandal drehte seinen Kiel der Fluth entgegen und befand sich bald in tiefem Fahrwasser.

Unterdessen war das Deck der Schauplatz eines wirren Treibens gewesen, da Jeder unter Beeinträchtigung der Andern sich so bequem wie möglich einrichten wollte. Jetzt war bereits einige Ordnung vorhanden, die aber bald in Gefahr gerieth, vollständig wieder zerstört zu werden. Es öffnete sich nämlich die Kajütenthüre und der Mudellir trat hervor. Im Scheine der brennenden Fackeln sah man den Ausdruck des höchsten Zornes auf seinem Angesicht.

"Reïs!" brüllte er, sich funkelnden Auges umblickend.

Katombo schritt langsam auf ihn zu. Ein Wink von ihm genügte, um seine Leute hinter sich zu versammeln.

"Du rufst mich?"

"Ja, ich rufe Dich! Wer hat Dir befohlen, einen Riegel an mein Nebengemach anzubringen? Er war heut, als ich den Sandal besichtigte, nicht vorhanden."

"Befohlen?" antwortete Katombo ruhig, jedoch das Wort sehr scharf betonend. "Befohlen hat es mir Niemand, sondern ich that es aus eigenem Antriebe."

"So befehle ich Dir, ihn sofort abzureißen!"

"Befehle?" Und wieder legte er den schweren Ton auf dieses Wort. "Wem gehört dieser Sandal?"

"Nun Dir!"

"Das denke ich auch, und darum bin ich es allein, der hier zu befehlen hat. Wer etwas von mir wünscht, hat nur zu bitten!"

"Hund!" brüllte Hamd-el-Arek und machte Miene, sich auf ihn zu stürzen, doch besann er sich noch und blickte sich suchend um. "Simo!"

"Simo? Meinst Du Deinen Schwarzen?"

"Ja. Wo ist er?"

"Im Arrest. Er drohte mir mit der Peitsche und muß also seine Strafe leiden."

"Mensch, bist Du wahnsinnig!"

"Weniger als Du. Ich kenne mein Recht; Du aber willst haben, was Dir nicht gehört."

"Heraus mit dem Gefangenen, oder ich schieße Dich nieder! Er soll Dir das Fell zerbläuen, daß es die Winde in Fetzen mit sich nehmen. Herbei, Ihr Männer, faßt ihn!"

Katombo zog sich einige Schritte bis auf die Seinigen zurück; in seinen Händen funkelten die Läufe zweier Pistolen.

"Was ist das! Meuterei? Du rufst Deine Männer gegen mich auf? Weißt Du nicht, daß ich hier Recht habe über Leben und Tod? Was willst Du mit Deiner Handvoll Leute? Die Andern stecken unter Deck und können nicht herauf, denn ich ließ die Luke verriegeln, sobald Du die Stimme gegen mich erhobst."

Der Mudellir sah sich genauer um und gewahrte nun allerdings, daß sich augenblicklich nur fünf seiner Leute auf Deck befanden.

"Den Riegel weg!" befahl er abermals, aber seine Stimme hatte nicht mehr den zuversichtlichen Klang wie vorher.

"Hast Du ein Recht zu diesem Verlangen? Ist die Bewohnerin der Koje Deine Frau?"

"Ja."

"Du lügst!"

"Mensch!" knirschte der Statthalter. "Was wagst Du?"

"Ich wage Nichts, Du aber wagst Dein Leben, wenn Du Dich nicht sofort in Deine Kajüte begibst."

"Wer sagt Dir, daß sie nicht meine Frau und nicht meine Sklavin ist?"

"Hamm-Barak, der Armenier!"

Dieser Name brachte eine wunderbare Wirkung auf den |127A Mudellir hervor. Er trat zurück und fuhr sich unwillkürlich mit der Hand nach dem Kopfe:

"Hamm-Barak! Kennst Du ihn?"

"Ich kenne ihn."

"Wo trafst Du ihn?"

"In Siut."

"Wo ist er jetzt?"

"Gefangen in Siut!"

"Gefangen! Bei wem?"

"Bei Manu-Remusat, dem berühmten Abu-el-Reïsahn."

"Ein fürchterlicher Fluch entfuhr den Lippen des Statthalters.

"Du lügst, Hund, und ich werde Dich zertreten, heut oder morgen."

"Sage mir, dem Reïs dieses Schiffes, noch einmal in das Gesicht, daß ich lüge, so schlage ich Dir die Peitsche Deines eigenen Henkers in das Gesicht! Ich selbst bin es, der diesen Hamm-Barak gefangen hat; ich selbst habe ihn verhört, und ich selbst war in Deinem Garten, um Sobeïde zu befreien, denn wisse, dieser Sandal gehört keinem Andern als Manu-Remusat, den Du verfolgest. Bis Siut bin ich Dein Herr und Meister; dann verlässest Du das Schiff und magst gehen, wohin Du willst. Legt die Waffen ab!"

Die Worte hatten ihn wie ein Donnerschlag getroffen, so daß er sich von Katombo unwillkürlich die Pistolen, den Säbel und das Messer nehmen ließ. Die Andern folgten natürlich seinem Beispiele. Ohne ein Wort zu sagen, wandte sich der Mudellir um und ging in die Kajüte. Auf einen Wink Katombo's eilte Ali herbei und schob den Riegel vor; der Statthalter war gefangen.

Während dessen schoß der Sandal mit der Geschwindigkeit eines Dampfers vorwärts. Katombo war Herr des Schiffes und ließ noch während dieser Nacht ein Zelt für Sobeïde auf dem Verdeck errichten, und zwar an einer Stelle, daß sie nicht beobachtet werden konnte, selbst wenn sie es auf einige Schritte verließ. Er ging dann hinab, schob die Bretter zur Seite und bat sie, mit ihm zu kommen.

"Hinauf?" frug sie besorgt.

"Hinauf!"

"Wo ist der Mudellir?"

"Gefangen."

"Und seine Leute?"

"Gefangen."

"Remallah, was hast Du gethan!"

"Blos das, was ich verantworten kann."

Er führte die tief Verschleierte hinauf, wo es ihr in der lauen Nachtluft besser behagte, als in der dumpfen Schwüle ihres kleinen Verschlages. - -

Einige Tage später bewegte sich eine Karawane durch die östliche Säumung der lybischen Wüste, eine Karawane, welche aus vierzig köstlichen Reitkameelen und ebenso vielen Lastkameelen bestand. Etwas vorauf ritt ein junger Mann in Mamelukentracht auf einem jener köstlichen arabischen Barakkpferde, welche meist ein seidenähnliches silbergraues Haar besitzen und von keiner andern Rasse übertroffen werden.

Schon waren die Schatten bedeutend länger als Thier und Reiter selbst; der Abend lag nicht fern, und es war wünschenswerth, bald einen Ruhepunkt oder das Ziel der Wanderung zu erreichen. Da plötzlich streckte das vorderste Hedjihn (Reitkameel) den langen Hals weit aus, sog die Luft in einem langen Zuge durch die Nüstern, stieß einen lauten gellenden Schrei aus und eilte dann wie vom Sturme getrieben in gerader Richtung davon. Die Männer stießen einen Jubelruf aus und folgten auf ihren Thieren in demselben beschleunigten Tempo. Das Hedjihn hatte die wassergeschwängerte Luft des Nilthales gerochen, und bald schoß die Karawane von den Sandbergen, welche es im Westen begrenzen, herab in die grünende duftende Senkung.

"Siut!" rief der Reiter auf der silbergrauen Stute. "Geht in das Karawanserai, und wartet dort auf meine Befehle!"

Er ließ der Stute die Zügel vollständig schießen und flog seitwärts von den Andern längs des Flusses hinan an dem Hause des Kawuahdschi vorüber. Abd-el-Oman stand gerade vor seiner Thür. Als er den Reiter vorbeisprengen sah, murmelte er in den Bart:

"Omar-Bathu, der Mamelukenfürst, der reicher ist als der Khedive selbst! Er wird den Schech-el-Reïsahn besuchen."

Er hatte richtig vermuthet, denn der Reiter bog in das Thor Manu-Remusats ein, sprengte durch den Garten in den Hof und hielt gerade vor der Treppe, welche zum Divan des Obersten der Schiffskapitäne führte. Er mußte mit dem Wege und den Lokalitäten sehr vertraut sein.

Der Hufschlag seines Pferdes war nicht unbemerkt geblieben; |127B einige Diener eilten herbei, und oben öffnete sich eine Thür, aus welcher der Besitzer des Hauses in eigener Person hervortrat.

"Remusat!"

"Bathu!"

Kaum waren die Rufe erklungen, so lagen sich die beiden Männer in den Armen.

"Gesegnet sei der Gedanke, der Dich zu mir führt," meinte zuerst Remusat. "Trete ein und sei mir willkommen!"

Nur wenige Augenblicke vergingen, so saßen sie mit den dampfenden Pfeifen vor dem duftenden Mokka.

"Monden sind vergangen, seit ich Dich nicht bei mir sah. Wohin hast Du Deine Zelte getragen?"

"Bald hierhin und bald dorthin, wo das Schwert gerade Arbeit fand. Wir haben gesiegt und viele Beute gemacht, denn Allah liebt den Muthigen und segnet seine Wege. Und Du? Wie ist es mit den Deinen? Wo ist Katombo, der Wackere, und wie befindet sich Sobeïde?"

Die letzten Worte waren leiser und fast zagend gesprochen.

"Katombo fuhr mit dem Sandal nach Assuan, und Sobeïde - sie - sie ist - - "

Da legte ihm Omar-Bathu die Hand auf den Arm.

"Ich weiß, der Mann spricht nicht von seinen Frauen, aber nach Sobeïde darf ich doch fragen; sie liebt mich, und Du hast sie mir verlobt. Heut komme ich, um offen um sie zu werben und sie nach Kairo in meinen Palast zu führen als einziges Weib, welches ich jemals nehmen werde. Die Kameele, welche meine Brautgabe bringen, liegen bereits im Serai."

Manu-Remusat senkte das Haupt.

"Freund, es ist großes Herzeleid eingezogen in mein Haus, denn Sobeïde war verschwunden."

"Verschwunden?"

Der Mameluke sprang empor, schleuderte die Pfeife in den fernsten Winkel und legte die Hand an den Griff seines krummen Säbels.

"Ja, verschwunden."

"So wurde sie geraubt, denn freiwillig entfliehen kann Sobeïde nie. Wer war der Teufel, der mir dieses that?"

Ich suchte wochenlang vergebens, bis endlich Katombo vom Bahr-el-Azreck zurückkehrte und bereits eine Stunde später den Namen des Räubers entdeckt hatte.

"Ja, Katombo ist klug, kühn und wacker; er ist mein Freund. Doch sag, wer ist der Räuber? Ich muß seinen Kopf zu meinen Füßen sehen."

"Er ist ein Mächtiger, bis zu dessen Kopf die Degen Tausender nicht zu reichen vermögen - -"

"So nenne ihn doch!" rief Bathu mit dem Fuße stampfend. "Bei allen Scheïtans (Teufeln) der Hölle, ich muß seinen Namen wissen!"

"So höre ihn: Hamd-el-Arek, der Mudellir von Assuan."

"Dieser? Das Schoßkind des Khedive? Den sollen alle Djiens (böse Geister) durch die Lüfte reiten, daß er gliederweise in die Tschehema (Hölle) stürzt. Was hast Du gethan?"

"Ich wollte selbst gehen und sie von ihm fordern - -"

"Er hätte Dich erdrosseln lassen," fiel ihm Bathu in die Rede.

"Doch Katombo bat mich, ihn zu senden."

"Daran that er recht. Wenn Einer sie zurückbringt, so ist er es, aber wenn ich - -"

Er wurde unterbrochen, denn die Thüre öffnete sich und Ali trat ein.

"Sallam aaleïkum, Sihdi, Friede sei mit Dir!"

"Ali!" rief Remusat, und jetzt entfiel auch ihm die Pfeife. "Du kommst von Assuan. Was bringst Du für Botschaft?"

Der Mamelukenfürst stürzte auf ihn zu und faßte ihn bei der Schulter. "Ja sage es, schnell, heraus damit! Ihr kamt glücklich nach Assuan?"

"Ja, Sihdi. Wir gingen dorthin, um Sobeïde, die Tochter unsers Schech-el-Reïsahn zu holen."

"Und was habt Ihr erreicht? Rasch, schnell, augenblicklich!"

"Sihdi, ich heiße Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi -"

"Zum Teufel mit Deinem Namen! Ich will wissen, ob Ihr glücklich gewesen seid oder nicht!"

"Laß mich ruhig aussprechen, so erfährst Du es am schnellsten."

"So sprich!"

"Ich heiße Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi, und was ich einmal will, das vollbringe ich auch."

"Hamdullillah, Preis sei Gott! So habt Ihr sie gesehen?"

"Ja; zuerst sah sie Sihdi Katombo, als er auf der Mauer saß; dann sah ich sie, als - - -"

"Still jetzt! Sage nur zunächst das eine: Bringt Ihr sie?"

|128A "Ja. Ich bin mit dem kleinen Boote vorangerudert, um es Euch zu melden."

"Und Hamd-el-Arek, was sagt er dazu?"

"Was er sagt, das konnten wir nicht hören, denn er sitzt als Gefangener in der Kajüte."

"Der Mudellir?"

"Der Mudellir! Sihdi Katombo hat ihn und alle seine Leute auf dem Sandal gefangen."

"Das klingt unglaublich. Erzähle!"

Der gute Ali begann seinen schwierigen Bericht; es dauerte lange, ehe er, von hundert und aber hundert Fragen unterbrochen, mit demselben fertig wurde, aber kaum hatte er geendet, so krachte vom Flusse her eine Pistolensalve als Zeichen, daß der Sandal angekommen sei.

Manu-Remusat und Omar-Bathu eilten sofort hinaus an den Strom; Ali und die gerade anwesenden Diener folgten ihnen. Das Schiff hatte bereits den Vorderanker geworfen und drehte graziös seinen Stern an das Ufer. Eine Minute verging, dann sprangen alle, Herren und Diener, an Bord.

Sobeïde kniete, übermannt von Bewegung, in ihrem Zelte. Remusat stürzte zu ihr hin, warf sich neben ihr nieder und drückte sie lautlos an sein Vaterherz. Auf dem Hinterdecke begrüßten sich Katombo und Omar-Bathu; die Diener bewillkommneten die Schiffer; es war eine Scene, die sich unmöglich beschreiben läßt, und das Durcheinander entwirrte sich erst, als Sobeïde am Arme ihres Vaters aus ihrem Zelte trat, um an das Land zu gehen. Er führte sie zu Omar-Bathu.

"Hier nimm sie hin, um die Du heut geworben hast, sie sei Dein, und darum sollst Du sie in das Haus ihres Vaters bringen!"

Omar ergriff ihre Hand, half ihr über Bord und führte sie davon. Alle Anwesenden waren erstaunt über das die bisherige Gewohnheit über den Haufen werfende Verhalten des Abu-el-Reïsahn. Dieser aber trat nun zu Katombo und reichte ihm beide Hände.

"Mein Sohn, laß Dir später von mir danken! Du wirst Dich wundern über das, was ich jetzt that; aber Du hast die Gefangenen an Bord, und die Wuth des feurigen Bathu wäre nicht zu zügeln, wenn er den Mudellir erblickte. Wir müssen schnell handeln. Was räthst Du mir?"

"Deiner Tochter ist nichts geschehen, daher verzichte auf eine persönliche Rache und ziehe es lieber vor, den Mudellir beim Khedive zu verklagen. Vergreifen wir uns mit den Waffen in der Hand an ihm und den Seinigen, so sind wir verloren, da der Vizekönig nicht uns, sondern auf ihn hören wird."

"Deine Rede ist weise, und ich werde sie befolgen. Wo sind die Gefangenen?"

"Der Mudellir befindet sich in der Kajüte, und seine Leute habe ich alle im Vorderraume zusammengesperrt."

"Gib ihnen die Freiheit. Da drüben liegt eine Barke, welche nach Kairo geht. Unsere Leute mögen alles, was ihm gehört, hinüberschaffen und ihn dann selbst hinüberbringen. Du nahmst ihnen ihre Waffen?"

"Ja."

"Gib sie ihnen wieder. Es gibt keine größere Demüthigung für den freien und muthigen Mann, als seiner Waffen beraubt zu sein."

"Ist es nicht besser, sie bekommen sie erst auf der Barke ausgehändigt?"

"Nein, Katombo. Oder soll er meinen, daß wir uns vor ihm fürchten? Sein Angesicht muß erröthen, wenn er sieht, mit welcher Höflichkeit wir den Räuber meines Kindes behandeln."

"Ich thue es nicht gern, aber wenn Du befiehlst, so muß ich gehorchen."

Er befahl die Waffen herbeizubringen, und gab dann einen Wink, die Luke zu öffnen, welche in den Vorderraum führte. Er selbst schob den Riegel von der Kajütenthür zurück.

Wie ein verwundeter Tiger sprang Hamd-el-Arek daraus hervor; als er aber die Zahl der Anwesenden bemerkte, wandte er sich um, trat an die Schanzverkleidung und that, als ob er von Allem nichts bemerke. Seine Begleiter waren jetzt auf das Deck gestiegen; nur der Verschnittene fehlte noch.

"Ihr seid wieder frei," verkündigte Manu-Remusat. "Nehmt Eure Waffen!"

Er ergriff die Pistolen, den Säbel und das Messer des Mudellir und näherte sich ihm.

"Hamd-el-Arek, nimm, was Dir gehört!"

|129A Der Angeredete griff zu, ohne sich umzudrehen. Unterdessen dachte Katombo an den Verschnittenen. Er befahl, auch diesen noch zu holen, und einer von den Leuten ging hinab, um ihn freizulassen. Als der Schwarze aus der Luke emportauchte, bot sein Gesicht einen höchst unschönen Anblick dar. Die Schwielen, welche von den Hieben Katombos stammten, waren aufgesprungen, und dazu entstellte eine unbeschreibliche Wuth die Züge des Verschnittenen. Sein Auge suchte Katombo, und kaum hatte er ihn erblickt, so riß er ein Messer aus dem Gürtel des ihm Zunächststehenden und stürzte auf ihn zu.

Katombo hatte sich abgewandt und achtete auf den Angreifer nicht eher, als bis er durch einen allgemeinen Schrei auf denselben aufmerksam gemacht wurde. Und doch wäre es zu spät gewesen, wenn sich nicht Manu-Remusat dazwischen geworfen hätte. Dieser faßte den Schwarzen beim Arme, um ihn am Stoße zu verhindern; doch die Wuth gab dem Angreifenden ungewöhnliche Kräfte; er riß sich los und versetzte Remusat einen Stich in die Wange, aus welcher sofort das Blut aufspritzte. Der Verwundete trat einen Schritt zurück, warf sich dann mit aller Kraft auf ihn und bohrte ihm das Messer, welches er ihm entriß, bis an das Heft in die Schulter.

Da richtete sich der Mudellir empor.

"Blut? Ja, Ihr sollt Blut haben! Drauf auf sie; haut sie zusammen!"

Er spannte die Pistole und zielte auf Remusat. Im Augenblicke des Schusses warf sich dieser zur Seite und entriß Katombo eine seiner Pistolen. Der Schuß war vorübergegangen. Jetzt blitzte es in den Händen Remusats auf, und der Mudellir stürzte, mitten durch die Stirn getroffen, zu Boden. Auf den Fall ihres Führers erhoben die Assuaner ein fürchterliches Geheul und drangen auf die Siuter ein. Es entspann sich ein allgemeiner Kampf, der allerdings mit der vollständigen Niederlage der ersteren endete, aber auch den letzteren manche Wunde brachte.

Dies alles war in weniger als fünf Minuten geschehen. Omar-Bathu, der Mameluke, hatte die Schüsse und das Geschrei gehört und kam jetzt herbeigeeilt, doch zu spät, denn eben wurde der letzte Assuaner niedergeworfen.

|129B "Allah akbar, was ist hier geschehen?" frug er. "Wer hat den Gefangenen Waffen gegeben?"

"Ich," antwortete Remusat kleinmüthig und doch wuthentbrannt über die Scene, welche das Deck mit Blut überschwemmt und mit Leichen bedeckt hatte.

"Du? Warum?"

"Ich wollte - Maschallah, ich wollte den größten Fehler begehen, den ich in meinem Leben begangen habe."

"Du hast recht gesagt; denn seht Ihr dort die Khawassen (Polizisten) und den Mann an ihrer Spitze? Wer ist es?"

"Der Kaschef."

"Dann erlaubt mir, daß ich gehe. Wenn ich Euch retten will, darf ich hier nicht getroffen werden."

Natürlich hatte man auch in der Stadt das Schießen und Getöse des Kampfes gehört, der Kaschef war aufmerksam geworden und kam nun mit seinen Khawassen herbei, um den Thatbefund aufzunehmen. Er stieg an Bord und grüßte mit einer Miene, in welcher ein schlimmes Wetter leuchtete.

"Was ist hier geschehen?"

"Ein Kampf, wie Du siehst."

"Zwischen wem?"

"Zwischen Assuaner Männern und meinen Schiffern."

Der Kaschef warf den Blick umher und erkannte die Leiche des Mudellirs.

"Remallah! Wer ist das? Ist das nicht Hamd-el-Arek, der Mudellir von Assuan?"

"Er ist es."

"Wer hat ihn getödtet?"

"Ich."

"Warum?"

"Weil er zuerst auf mich schoß."

"Kannst Du dies beweisen?"

"Diese Männer alle sind Zeuge."

"Sie gelten nichts, denn sie haben sich mit an dem Kampfe betheiligt. Wie kommt der Mudellir auf Deinen Sandal?"

"Er wollte mit demselben nach Kairo fahren."

"So war er Gast auf Deinem Schiffe, und Du hast ihm den Tod gegeben! Ich muß Dich gefangen nehmen."

"Warte zuvor, bis Du alles weißt. Katombo, erzähle es ihm!"

|130A Katombo, welcher aus einer schweren Armwunde blutete, trat vor und gab ihm trotz des rinnenden Blutes einen kurzen aber doch genügenden Bericht über alles Vorgefallene. Diese Erzählung schien die Strenge des Beamten zu mildern. Er wandte sich an Remusat.

"Hast Du nicht gewußt, daß der Mudellir der Freund des Khedive ist? Ihn kann keine Anklage treffen, denn er ist todt, Du aber wirst sie in ganzer Strenge fühlen."

Während er die nothwendigen Aufzeichnungen machte, wurden die Verwundeten, die sich nicht entfernen durften, nothdürftig verbunden. Der Fall war ein so außerordentlicher, bei dem sich ein Polizeibeamter auszeichnen konnte, daß er höchst sorgfältig zu Werke ging und es längst schon Nacht war, als er endlich seine Entscheidung gab.

"Manu-Remusat, ich will Dich nicht arretiren, denn Du bist schwer beleidigt und gekränkt worden, aber wache über Dich und die Deinen, daß Keiner fehlt, wenn Ihr vor Gericht gefordert werdet. Dieser Sandal darf den Ankerplatz nicht verlassen, bis aus Kairo eine Besichtigung eingetreten ist, die Todten werden beerdigt, wenn der Kadi sie gesehen hat; die lebenden Assuaner aber nehme ich als Gefangene mit mir - im Namen des Khedive und des Gesetzes!"

Mit der wichtigsten Amtsmiene, die er ermöglichen konnte, nickte er Remusat und Katombo zu und verließ den Sandal, während zwei Khawassen als Wache auf demselben zurückblieben. Der Schech-el-Reïsahn wandte sich zu Katombo:

"Du hattest Recht, mein Sohn, als Du ihnen die Waffen nicht geben mochtest. Ich war so froh, mein Kind wiederzuhaben, und nun ist der Fittich des Todes über meine Freude gestrichen. Auch Du bist verwundet. Statt Dir zu danken für die Treue und Liebe, mit welcher Du für mich handeltest, habe ich Dein Blut verschuldet. Kannst Du mir vergeben?"

"Sihdi, sprich nicht so. Komme heim, wo man Dich mit Schmerzen und Sehnsucht erwarten wird!"

Sie gingen dem Hause zu. Unter dem Thore erwartete sie Omar-Bathu, der Mamelukenfürst.

"Wie ist es gegangen?" frug er.

Manu-Remusat erzählte ihm das Ergebniß der polizeilichen Untersuchung. Omar-Bathu wurde nachdenklich.

"Wußte der Kaschef, daß ich vor ihm auf dem Sandal gewesen bin?" erkundigte er sich.

"Er hat nichts gesagt."

"So ist es möglich, daß alle Deine Habe gerettet werden kann."

"Glaubst Du, daß sie verloren sei?"

"Ich hielt es für möglich oder sogar für sehr wahrscheinlich."

"Warum?"

"Der Kaschef muß schleunigst direkt an den Khedive Anzeige machen, da Hamd-el-Arek der Liebling desselben war. Er wird wohl noch heut einen zuverlässigen Boten nach Kairo schicken, und was dann erfolgt, kannst Du Dir denken."

"Ja, das kann ich mir denken: der Khedive ist gerecht und wird seinen Günstling nicht ungestraft sterben lassen."

"Der Khedive ist gerecht, und Du bist reich; die Gerechtigkeit bedarf des Reichthums, wenn sie bestehen will. Sie wird ihren Arm nach Siut ausstrecken, um Dich von dem Mammon zu befreien, der das Heil Deiner Seele gefährdet, und vielleicht gar diese Seele aus den Banden des Körpers erlösen, der ihr hinderlich ist, empor zu Allah zu steigen. Komm herauf in Deinen Divan, damit wir weiter über diese Sache sprechen!"

Sie schritten durch den Hof und die Stufen zu dem Sprechzimmer empor. Dort wurden sie von den beiden Mädchen empfangen, die sich allerdings zunächst mit dem Vater beschäftigten, welcher nicht unverwundet davongekommen war. Katombo stand da und beobachtete die kindliche Sorgfalt, mit welcher Ayescha die Wunde trotz der Anwesenheit zweier Männer behandelte; mit Entzücken aber bemerkte er trotz ihrer Verhüllung den Schreck, welcher durch ihre Glieder zuckte, als sie dann bemerkte, daß auch er verletzt worden sei, und zwar noch schwerer als der Vater.

"Katombo!" hauchte sie, unwillkürlich einen Schritt auf ihn zutretend. Manu-Remusat hörte den Schreckensruf.

"Fürchte Dich nicht vor mir, meine Tochter," meinte er, sie bei der Hand erfassend und zunächst auf Omar-Bathu deutend. "Dieser Mann hat die Hand Deiner Schwester begehrt, Du darfst Dich vor ihm nicht scheuen. Und erinnerst Du Dich meines Versprechens, welches ich Euch gab, als Katombo nach Assuan ging, um uns Sobeïde zu holen? Ich schwur, daß Du sein Weib sein solltest, wenn es ihm gelänge, mir die geraubte Tochter wiederzugeben. Gehe hin zu ihm, führe ihn in sein Gemach oder in Dein Harem, denn Du bist sein Weib, und er soll keinen Preis für Dich |130B zahlen, sondern mein Sohn sein, der sich einst nach meinem Tode mit Omar-Bathu in mein Erbe theilt!"

Da trat der Mamelukenfürst näher und legte ihm die Hand auf den Arm.

"Manu-Remusat, Du weißt, daß ich der Schätze so viele besitze, wie Keiner, der am Nile oder in der Wüste wohnt. Gib Katombo all Dein Erbe; er ist es werth und hat es verdient; mir aber gib Sobeïde, denn sie allein macht mich glücklicher, als all' Dein Gold und alle Deine Edelsteine. Dort unten im Serai halten meine Kameele mit den Gaben, welche ich Dir für Sobeïde brachte. Erlaube, daß ich sie herbeiholen lasse!"

"Warum soll ich Schätze von Dir nehmen, da ich doch nicht einmal die meinigen erhalten kann?"

"Du wirst sie erhalten. Rufe den Kadi, damit er jetzt gleich unsere Ehe schließe!"

Manu-Remusat neigte zustimmend das Haupt und klatschte in die Hände, um dem sofort erscheinenden Diener den betreffenden Befehl zu ertheilen.

"Komm!" flüsterte jetzt Ayescha.

Halb zärtlich und halb zagend ergriff sie Katombos Hand und trat mit ihm durch die Thür, welche nach ihrem Harem führte. Dort angekommen mußte sich der Jüngling auf einen seidenen Divan niederlassen, worauf sie seine Wunde untersuchte und verband. Er fühlte kaum die Schmerzen, welche ihm dadurch verursacht wurden; er fühlte nur die Seligkeit, welche ihm die Nähe des herrlichen Wesens bereitete, und das Entzücken des Gedankens, mit ihr von jetzt an immerdar vereinigt sein zu können. Sie hatte den Schleier längst vom Angesicht genommen, und er konnte nun sein Auge an ihrer Schönheit weiden. Seine Züge besaßen schon lange Zeit nicht mehr jene künstliche Bräune, welche sie bei den Zigeunern gehabt hatten, zwar waren sie von der Sonne des Südens mit einem tieferen Kolorit überzogen worden, doch ließ sich ihre kaukasische Abstammung unmöglich mehr verkennen, und die edle Ruhe, welche sich in ihnen mit dem Ausdrucke der Entschlossenheit und des Muthes paarte, gaben ihnen ein Selbstbewußtsein, welches ein weibliches Herz sehr wohl zu fesseln vermochte.

Jetzt legte er den Arm um sie und frug sie in jenem Tone, der nur der wahren innigen Liebe eigen ist:

"Hast Du mein gedacht, als ich in Assuan war, Ayescha?"

"Ja, Geliebter, an jedem Tage, zu jeder Stunde und zu aller Zeit."

"Hast Du geglaubt, daß ich Dir Sobeïde wiederbringe?"

"Ich habe nicht daran gezweifelt, denn ich weiß, daß Du alles vermagst, was Du Dir einmal vorgenommen hast."

"So muß es sein; der Mann muß an die Liebe seines Weibes und sie muß an die Macht des Mannes glauben! Deine Liebe ist wahr und innig, und wir werden unendlich glücklich sein. Halte sie fest, Ayescha, denn es werden böse Tage kommen. Der Smum (Samum, giftiger Wüstenwind) erhebt sich über uns, und die Gefahr des Todes wälzt sich heran wie die Wogen des Kataraktes, der Alles zu verschlingen droht. Wirst Du stark und muthig bleiben an meiner Seite? Wirst Du Allah vertrauen, der im Himmel wacht, und mir, der tausend Leben hingeben würde, um das Deinige zu schützen?"

"Ich vertraue ihm und Dir!"

Sie schmiegte sich fester an seine Brust, und er blickte ihr mit unendlicher Seligkeit in die herrlichen Augen, die so klar und offen in die seinen blickten.

"Ich danke Dir! Und nun mag kommen, was da will, wir werden gerüstet sein und nicht verzagen!"

Der Stern, zu dem er einstens in heißer Liebe aufgeblickt hatte, war untergegangen auf Nimmerwiederkehr; Zarba war vergessen, und an dem neuen Himmel erglänzte ihm ein neues Licht, dessen Glanz ihn niemals täuschen konnte.

So saßen sie, selig in sich versunken, bis sich der Vorhang leise öffnete und Sobeïde erschien.

"Kommt, der Kadi ist da!"

"Müssen wir uns nicht schmücken?" frug Ayescha.

"Nein. Der Vater sagt, es sei heut keine Zeit dazu."

Sie verließen das Gemach und traten in den Divan, wo der Beamte sich neben Remusat und Omar-Bathu niedergelassen hatte, um das "Nargileh der Einleitung" zu rauchen. Er erhob sich, verbeugte sich auf das Tiefste vor den Eintretenden und ließ sich dann wieder in seine würdevolle Haltung nieder. Auch Katombo nahm Platz und griff zur Pfeife, welche ihm einer der Sklaven reichte. Die beiden Mädchen setzten sich mit untergeschlagenen Beinen und tief verschleiert auf die Kissen, welche man zu diesem Zwecke auf den Teppich gelegt hatte.

|131A Das Schweigen dauerte so lange, bis der Kadi seine Pfeife geraucht hatte. Endlich legte er sie weg und räusperte sich zum Zeichen, daß die Verhandlung ihren Anfang nehmen werde. Er begann mit der heiligen Fathha (Eröffnung), welche die erste Sure des Koran bildet und von keinem Muselmanne bei einer wichtigen Angelegenheit hinweggelassen wird:

"Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über welche Du zürnest und nicht den der Irrenden! Laßt uns beginnen mit Omar-Bathu, dem großen und gefürchteten Emir der Mameluken!"

Omar erhob sich, und der Kadi legte sich ein Pergamentblatt auf die Knie und griff zu dem Schilfrohre, um die nöthigen Aufzeichnungen vorzunehmen.

"Wie ist Dein erlauchter Name?"

"Omar-el-Bathu."

"Wie hieß Dein Vater und der Vater Deines Vaters?"

"Mein Vater war der Mamelukenprinz Kaman-Ebn-Aku-el-Aret-Ben-Ommanam. Sein Vater war der berühmte Fürst Behluwan-Aku-el-Aret-Ben-Ommanam, den der große Sultan el Kebihr (Napoleon) liebte."

"Wie ist der Name Deiner Mutter?"

"Der wahre Gläubige nennt einem Andern nicht den Namen eines Weibes. Sie war die Schwester des Sultan Ageb-Nureddin von Tebris."

"Ich sehe, daß Du ein strenggläubiger Sohn des Propheten bist. Du darfst Dich setzen!"

Er wandte sich jetzt an Manu-Remusat:

"Wie ist Dein vollständiger Name?"

"Er lautet Manu-Remusat-el-Benu-Halal."

"Welche Deiner Töchter willst Du Omar-Bathu verkaufen?"

"Die Älteste."

"Wie viel gibt er Dir dafür?"

"Der Preis liegt im Serai; Manu-Remusat zählt ihn nicht."

"Habt Ihr noch etwas zu bemerken?"

"Nein."

"So setzt Eure Namen unter das, was ich geschrieben habe!"

Dies geschah und dann wandte sich der Kadi an Katombo:

"Jetzt mag der junge Reïs sprechen! Wie ist Dein lobenswerter Name?"

"Katombo."

"Ist er nicht länger?"

"Nein!"

"Wie ist der Name Deines Vaters?"

"Ich kenne ihn nicht."

Der Kadi machte eine Bewegung der größten Überraschung. Wenn es im Oriente schon nicht empfiehlt, einen einzigen Namen zu besitzen, so ist es geradezu eine ganz außerordentliche Schande, seinen Vater nicht zu kennen.

"Allah kerihm, Gott ist gnädig! Du kennst den Namen Deines Vaters nicht?"

"Nein."

"Wie hieß der Vater Deines Vaters?"

"Auch das weiß ich nicht."

"Wessen Tochter war Deine Mutter?"

"Ich habe weder sie gekannt noch ihren Vater."

"Allah akbar! Gott gibt jedem Baume seinen Kern und jedem Thiere seinen Erzeuger; Dich aber hat er den Vater nicht sehen lassen. Du bist unglücklich unter den Kindern der Erde und verlassen unter den Söhnen der Menschen! Was soll ich schreiben, wenn Du keinen Vater hast?"

"Hüte Deine Zunge, o Kadi, denn ich bin nicht gewohnt zu hören, was mir nicht gefällt! Ich wurde meinem Vater geraubt, als ich noch nicht lallen konnte; wer ist schuld daran, ich oder Du?"

"Du nicht, und auch ich nicht!"

"Allah erleuchte Deinen Verstand, daß Du das Richtige erkennst; warum sprichst Du also Worte, die mich beleidigen? Schreibe den Namen dessen, der mir dann Vater geworden ist!"

"So sage ihn!"

"Sein Name lautet Kanaveda-el-Vajda-el-Brinjaari!" antwortete Katombo, indem er den Namen des Zigeunervaters nebst seinem Stand möglichst in das Arabische übertrug.

"Und wer war Deine Mutter?"

|131B "Sie war Vajdzina, das heißt Fürstin beim Volke der Lombadaaren."

"Allah segne Dich, mein Sohn, den Du hast große und berühmte Eltern gehabt. Aber sie müssen in einem sehr fernen Lande wohnen, den die Worte, welche Du sagst, gehören nicht in die Gegend el Arab."

Katombo hütete sich wohl, ihm irgend welche Aufklärung zu geben, und so wandte sich der Kadi wieder an Manu-Remusat.

"Deinen Namen habe ich schon geschrieben. Welche Deiner Töchter willst Du diesem Katombo-Ebn-Kanaveda-el-Vajda-el-Brinjaari zur Frau geben?"

Der Gefragte konnte mit den Andern ein leises Lächeln darüber nicht verbergen, daß Katombo plötzlich einen so schönen, langen und hochtrabenden Namen erhalten hatte, und antwortete:

"Die Jüngste."

"Wie viel gibt er Dir dafür?"

"Er hat einen Preis gezahlt, wie ihn kein König geben kann, ich zähle ihn nicht."

"Habt Ihr noch etwas zu bemerken?"

"Nein."

"So schreibt Eure Namen auf dieses Pergament!"

Es geschah; der Kadi gab sein Siegel und seine Unterschrift dazu und reichte Omar-Bathu und Katombo je eines der Schriftstücke. Dann erhob er sich.

"Steht auf, denn ich habe meines Amtes gewartet, und wir werden Al-Kadar, die siebenundneunzigste Sure des Kuran beten!"

Sie erhoben sich alle, auch die Frauen, um die Hände zu falten, und der Kadi betete:

"Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wahrlich, wir haben ihn, den Kuran, in der Nacht Al-Kadar geoffenbart. Was lehrt Dich aber begreifen, was die Nacht Al-Kadar ist? Die Nacht Al-Kadar ist besser als tausend Monate. In derselben stieg herab der Engel der Geister, mit Erlaubniß ihres Herrn, mit den Bestimmungen Gottes über alle Dinge. Friede und Heil bringe Euch diese Nacht bis zur Morgenröthe!" Er ließ eine kurze Pause eintreten und fügte dann hinzu: "Ihr Männer, jetzt steht Euch der Weg zum Harem Eurer Weiber offen; führt sie dahin, wo sie Euch sein sollen wie die Huri des Paradieses, um zu beglücken Eure Herzen und zu stärken Eure Glieder für die Kämpfe und Mühen des Lebens!"

Jeder der beiden Verheiratheten nahm seine Frau und entfernte sich mit ihr. Manu-Remusat blieb mit dem Kadi zurück. Er griff hinter sein Kissen und zog einen Beutel hervor, zwischen dessen Maschen glänzendes Gold durchschimmerte.

"Deine Hand soll offen sein dem Bruder und reichlich geben dem Diener des Propheten!" sagt der Kuran. Hier, Kadi, nimm was Dir gehört!"

Der Beamte ergriff den Beutel mit einer Miene, in welcher sich die freudigste Überraschung aussprach. Er schwieg einen Augenblick, als ringe er mit einem Entschluß; dann frug er:

"Wirst Du den Männern Deiner Töchter heut ein Fest geben, wie es gebräuchlich ist unter den Kindern des Propheten?"

"Nein. Es ist Trübsal über mich gekommen und Herzeleid über mein ganzes Haus. Du bist Kadi und wirst wissen, was ich meine."

"Ich weiß es."

"Der Kaschef hat es Dir erzählt?"

"Er war bei mir." Er zögerte noch einen Augenblick; aber das reiche Geschenk hatte ihn mittheilsam gemacht; darum fuhr er halblaut fort: "Er hat mir sein Amt für so lange übertragen, als er abwesend ist."

"Wo geht er hin?"

"Nach Kairo."

"Wann?"

"Um Mitternacht."

"Mit welchem Schiffe?"

"Mit dem Deinen."

"Mit welchem? Er ist noch nicht hier gewesen, um es zu miethen."

"Er wird es nicht miethen. Er wird um Mitternacht mit acht Khawassen Deinen Sandal besteigen, um ihn, gerade so, wie er ist, nach Kairo zu fahren, damit der Khedive Alles mit eigenen Augen sehen soll."

Manu-Remusat erschrak, denn er mußte aus dieser Maßnahme ersehen, daß sein Untergang beschlossen sei.

|132A "Und Dir läßt er den Auftrag zurück, mich und die Meinen streng zu bewachen."

"So ist es. Was ist Dir Deine Freiheit werth?"

"Wie viel gilt Dir das Leben des Kaschef?"

"Ich sehe, daß Du ein kluger Mann bist, Manu-Remusat. Sage mir offen Deine Gedanken!"

"Du wirst Kaschef, wenn er nicht nach Kairo kommt und auch niemals von Kairo zurückkehrt."

"Deine Gedanken sind auch die meinigen. Sprich weiter!"

"Welches steht Dir höher im Preise, meine Freiheit oder diese Stelle?"

"Allah schenke Dir alles Gute und mir die Stelle! Aber er wird zurückkehren und Du wirst sterben!"

"Meinst Du, daß Manu-Remusat sich vor einem Henker fürchte und ihm sein Haupt mit knechtischer Ergebenheit unter den Säbel legt? Wer wird mich bis Mitternacht bewachen, Du oder er?"

"Ich, denn er hat keine Zeit dazu, weil er sich zur Reise vorbereiten muß. Ich soll immer zwölf Khawassen um Dein Haus stellen, bis er wiederkehrt, und nur diejenigen Diener aus- und eingehen lassen, welche für Euch Nahrung holen."

"So merke auf, was ich Dir sage! ich schwöre Dir beim Barte des Propheten, daß er niemals zurückkehren wird, wenn Du mir schwörst, bis um Mitternacht Deine Khawassen von mir fern zu halten."

"So schwöre es!"

"Ich schwöre. Auch Du?"

"Auch ich."

"Beim Barte des Propheten?"

"Beim Barte des Propheten!"

"So gib mir Deine Hand!"

"Hier hast Du sie!"

Sie schlugen ein. Dann zog Remusat einen kostbaren Ring von seinem Finger und reichte ihn dem Kadi.

"Hier, nimm diesen Diamant als Bestätigung meines Schwures. Er ist groß und hat mehr Werth als vieles Gold. Du darfst ihn ohne Scheu tragen, denn es hat ihn hier noch Niemand gesehen."

"Deine Hand ist wie die Hand des Morgens, welcher Licht und Wärme bringt und Segen spendet. Allah sei mit Dir auf allen Deinen Wegen. Sallam aaleïkum!"

"Sallam aaleïkum, Friede sei mit Dir!"

Der Kadi entfernte sich. Er hatte ein besseres Geschäft gemacht, als er jemals erwarten konnte. Manu-Remusat gab einem herbeigerufenen Diener Befehl, sofort seine beiden Schwiegersöhne rufen zu lassen. Sie erschienen, und er theilte ihnen seine Unterredung mit dem Kadi mit.

|133A "Fliehe mit mir!" meinte Omar-Bathu, der Mameluk. "Du bist nirgends sicher, als nur bei mir in der Wüste."

"Auch dorthin dringen die Häscher des Khedive."

"Ich werde Dich zu schützen wissen!"

"Du wirst mich schützen und dann mit mir untergehen. Nein, Omar, nimm Sobeïde und die Schätze, welche Du ihr brachtest, und kehre zu den Deinigen zurück! Ich weiß einen Ort, an dem ich sicherer bin, als selbst im wilden Dschebel Artalan, und von da aus werde ich zuweilen kommen, um Dich und Sobeïde zu besuchen."

"Wo ist dieser Ort?"

"Es ist eine Insel im Meere, die Niemand kennt als nur ich allein, ich entdeckte sie, als ich noch der Bei-el-Reïs des Khedive war. Dorthin gehe ich mit Katombo und Ayescha, und nur die Möve, welche in den Lüften schwebt, wird uns sehen."

"So willst Du den Nil hinunterfahren?"

"Ja, mit dem Sandal und meinen Dahabiés, in die ich bis zur Mitternacht meine Habe verlade."

"Und der Kaschef, welcher mit dem Sandal fahren will?"

"Wird in Ketten fahren oder auf dem Grunde des Niles auf den Tag der Auferstehung warten."

"Ich werde Dich begleiten, bis Du sicher bist!"

"Du wirst noch heut Siut verlassen und nur allein für die Sicherheit Sobeïdens sorgen. Ich habe Katombo bei mir und viele treue Diener, auf die ich mich verlassen kann. Macht Euch fertig, ich werde jetzt die Tochter vorbereiten!"

Kurze Zeit später begann zwischen dem Hause und dem Flusse im Dunkel der Nacht ein außerordentlich reges und geschäftiges Leben sich zu entfalten. Auf mehreren Dahabiés vernahm man das Geräusch von Kisten und Ballen, welche an Bord gebracht und in den Raum verladen wurden; emsige Gestalten eilten hin und her, und nur der Sandal lag einsam und verlassen da, wie ein schlafendes Wasserungeheuer, welches sich im Traume von den Wogen leise hin und her wiegen läßt.

Draußen vor der Stadt hielt im Dunkel dieselbe Karawane, welche kurz vor der Dämmerung ihren Einzug in Siut gehalten hatte. In ihrer Mitte lag auf dem Boden eines jener Hedschin (Reitkameele) |133B welche, vom Stamme der Bischarihn erzeugt, für die edelsten und besten Thiere der Wüste gelten. Es trug, wie man beim Schimmer des südlichen Sternenhimmels erkennen konnte, auf seinem Rücken einen mit kostbaren Teppichen belegten und behangenen Tachterwan (Kameelkorb für Frauen), der nur zur Aufnahme eines vornehmen Weibes bestimmt sein konnte. Unter den Reitern, welche abgestiegen waren und bei ihren Thieren hielten, herrschte eine tiefe lautlose Stille, welche erst unterbrochen wurde, als leise nahende Fußtritte zu vernehmen waren.

Zwei barfüßige Diener brachten eine Sänfte getragen, hinter welcher Manu-Remusat und Omar-Bathu schritten. Die Sänfte wurde niedergesetzt und geöffnet. Sobeïde stieg aus. Als sie die fremden Männer bemerkte, die sie mit sich fortnehmen sollten, warf sie die Arme um den Hals ihres Vaters und brach in ein lautes Schluchzen aus. Remusat hob leise den Schleier und küßte sie auf die Stirn.

"Weine nicht wieder, mein Kind, denn mein Herz blutete bereits, als Du von Ayescha schiedest. Banne den Schmerz in die Tiefe des Herzens, denn Allah ist gnädig und wird geben, daß wir uns wiedersehen."

Sie schluchzte leise fort, bis er sie in die Arme Omar-Bathus legte.

"Sie war mir verloren und wurde mir wiedergebracht. Ich gebe sie Dir; aber das Kind bleibt dem Vater, so lange die Pulse schlagen: ich werde Dich und sie wiedersehen!"

"Mein Zelt wird Dir offen stehen, so oft Dein Fuß zu mir kommt, und dann wirst Du Dich an dem Glücke Deiner Kinder erfreuen. Gern hätte ich Dich bis nach Kairo begleitet, denn ich bin mächtig unter den Meinen und mein Name hätte Dir vielen Nutzen bringen können. Doch Du hast nicht gewollt."

"Ich hätte Dich in das Verderben gezogen, welches meiner wartet, sobald man mich ergreift. Nun aber weiß ich Dich und mein Kind bei Dir in Sicherheit. Allah sei mit Euch jetzt und in Ewigkeit! Lebe wohl, meine Tochter; lebe wohl, mein Sohn; lebt wohl, ihr Männer. Sallam aaleïkum, Friede und Heil sei mit Euch!"

"Sallam aaleïkum!" ertönte es als Gegengruß rundum im Kreise der Reiter. Sobeïde bestieg unter immerfort rinnenden Thränen den Tachterwan; |134A die Trennung war ihrem Gemüthe zu schnell und unerwartet gekommen. Die Kameele erhoben sich vom Boden; die Reiter bestiegen ihre Pferde, und nach einem letzten "Sallam" stob die Schaar von dannen.

Noch einige Minuten stand Manu-Remusat allein auf der Stelle, bis der Hufschlag der Thiere vollständig verklungen war, dann wandte er sich um, erst langsam und später immer eiliger zurückkehrend, aber nicht zu seinem Hause, denn dieses stand bereits vollständig leer, sondern an das Ufer des Flusses, wo man schon seiner wartete.

Wäre es Tag gewesen, so hätte man weit unterhalb des Kaffeehauses eine Dahabié schwimmen sehen, welcher eine zweite und eine dritte folgte. Sie alle waren möglichst geräuschlos vom Lande gestoßen und ließen sich ohne Segel einstweilen nur von den Wogen treiben. Die ersteren konnten nur dann erst aufgezogen werden, wenn man das Gebiet der Stadt verlassen hatte, und das war kein ganz ungefährliches Unternehmen, da das Fahrwasser des Niles wegen seiner alljährlichen Überschwemmungen so trügerisch ist, daß die Schiffer, wenn sie nicht durch die Noth oder irgendein unabweisbares Gebot gezwungen sind des Nachts zu fahren, gewöhnlich des Abends an das Ufer legen, um erst mit dem Beginne des Morgens weiterzufahren.

Der Sandal aber lag noch ebenso ruhig wie vorher. Manu-Remusat schlich sich vorsichtig auf ihn zu. Am Ufer lagerten zwischen allerlei Tau- und anderen Schiffswerk eine Anzahl von Männern, welche er sich unter seinen Untergebenen ausgewählt hatte; bei ihnen hielt Katombo.

"Wo ist Ayescha?" frug er diesen.

"Dort auf der Taurolle sitzt sie."

"Werden wir sie wirklich in den Raum bringen, selbst wenn alles gelingt? Ich hätte sie doch auf einer Dahabié einschiffen sollen, wir konnten sie dann später an Bord nehmen."

"Sie will sich auf keinen Augenblick von Dir und mir scheiden. Sie hat ein muthiges Herz und wird uns das Werk nicht erschweren. Hier ist die Strickleiter; befestige sie an das Tau, wenn Alle eingestiegen sind. Wenn Du sie straff anziehst, wird Ayescha leicht emporsteigen können. Jetzt aber will ich hinauf, denn es ist nicht weit von Mitternacht, und der Kaschef kann alle Augenblicke kommen."

"Sei vorsichtig, mein Sohn, denn von Dir hängt das Gelingen unseres Werkes ab!"

Katombo trat in das Wasser und watete leise bis an die Seitenwand des Fahrzeuges. Hier hing ein Tau vom Bord herab. Er ergriff es und schwang sich empor. Die Fußspitzen an die Planken stemmend und sich fest am Seile haltend, schob er nur die Augen über Deck, um erst zu sehen, wo die Wächter waren. Sie saßen beim Scheine der Schiffslaterne hinten am Steuer und er erkannte aus den Bewegungen ihrer Arme, daß sie würfelten.

Schnell schwang er sich an Bord und kroch vorsichtig zwischen den herumliegenden Leichen nach der Raumluke. Hier glitt er die Treppe hinab und trat zur Seitenwand, wo er eine Seitenluke öffnete, welche groß genug war, einen auch kräftigen Mann hindurchzulassen. Er hatte gewußt, daß im Raume, der jetzt keine nennenswerthe Ladung hatte, Taue genug lagen. Er ergriff eines derselben, befestigte es an dem Lukennagel und ließ es außen niedergleiten. Es wurde von den Männern bemerkt, welche sofort einer nach dem andern in das Wasser gingen, emporkletterten und sich hereinschwangen.

Zuletzt befand sich nur noch Manu-Remusat mit Ayescha am Ufer. Der erstere ging in das Wasser, um die Strickleiter an das Tau zu befestigen; sie wurde emporgezogen. Nun ging er zurück und trug die Tochter herbei, welche sich auf die schwanken Sprossen stellte. Er faßte die Leiter und zog sie straff an, so daß das muthige Mädchen leichter emporsteigen konnte. Sie wurde von Katombo in Empfang genommen und in das Innere des Schiffes gezogen. Jetzt stieg Remusat nach und die Leiter wurde hereingenommen.

"Jetzt Alle hinunter in den Ballastraum!" gebot Katombo. "Dorthin wird Niemand kommen, wenn das Schiff je untersucht werden sollte."

Diesem Befehle wurde Folge geleistet, so daß nur die beiden Männer mit Ayescha zurückblieben. Diese Letztere wurde von Katombo in den Verschlag geführt, welchen er vorher für sich und Sobeïde hergerichtet hatte. Er verschloß die Kajütenthür mit dem Riegel und kehrte dann zu Manu-Remusat an die Luke zurück.

Sie hatten noch nicht lange an derselben gestanden, so bemerkten sie mehrere Gestalten, welche sich dem Ufer näherten.

"Sie kommen," meinte Remusat. "Jetzt müssen wir uns zu Ayescha zurückziehen."

|134B Sie thaten dies und schoben, als sie in den Verschlag getreten waren, die losen Bretter vor.

Einige Sekunden später bemerkten sie an dem Geräusch, welches an der Schiffswand zu hören war, daß der Kaschef mit seinen Khawassen an Bord stieg, und nach einigen Minuten kamen mehrere Leute mit einem Lichte in den Raum hinab, um denselben zu untersuchen.

Was Katombo erwartet hatte, geschah, sie stiegen nicht hinab in den Ballastraum, sondern kehrten, ohne den Verschlag entdeckt zu haben, auf das Deck zurück. Nun hörte man Hölzer knarren und Seile und Taue rollen. Ein schwerer Schlag an den Bug bewies, daß der Anker aufgenommen wurde, der Sandal kam in langsame Bewegung. Er ging mit seinem Spriete landab, während der Stern am Ufer saß; als aber die Wasser seine Seite im spitzen Winkel fassen konnten, wandte er sich schneller; sie drängten sich mit stiller lautloser Kraft an Backbord, während sie am Steuerbord widerstrebend rauschten, bis der Stern sich vom Lande löste und das Fahrzeug den Wogen und dem Steuer nun vollständig gehorchte.

"Ob sie wohl segeln?" frug Manu-Remusat.

"Nein."

"Wie willst Du das erkennen?"

"Der Sandal würde dann schneller gehen als das Wasser, und folglich müßte das letztere an seinem Holze rauschen; es läßt sich aber nicht das geringste Geräusch vernehmen, folglich treibt er mit der Fluth."

"Du bist klüger geworden als Dein Lehrer, Katombo, und wenn Du so fort in den Büchern lernst, so wirst Du ein großer und berühmter Schiffer werden."

"Die Bücher thun es nicht allein, man muß hinauf auf die hohe See, und da bin ich noch nicht gewesen."

"Wir werden jetzt hinausgehen."

"Mit welchem Schiffe?"

"Mit unserer "Djuhr-el-Djinne". Wir dürfen kein anderes Fahrzeug nehmen, weil Niemand unseren Aufenthalt erfahren soll."

"Aber wird der Sandal auch seetüchtig sein?"

"Er würde es nicht sein, wenn er so flach auf den Bug gebaut wäre, wie andere Flußschiffe; Du aber hast ihn scharf auf den Kiel gesetzt und wenn wir Einiges im Takelwerk verändern, so können wir bei nicht gar zu bösem Wetter eine Fahrt von mehreren Tagen wagen."

Jetzt verging eine längere Zeit; dann wurde nebenan die Kajüte geöffnet, und der Kaschef trat ein, begleitet von einem seiner Khawassen, welcher die Lampe anzündete. Er setzte sich auf eines der daliegenden Polster und meinte, mit einem behaglichen Gähnen die Beine unterschiebend:

"Hier werde ich bleiben bis es Tag ist. Kommt etwas Wichtiges vor, so ruft Ihr mich; jetzt aber holst Du mir meine Pfeife."

Er lag mit dem Rücken gegen die Thür, welche ihn von den Lauschern trennte; der Khawaß entfernte sich; Katombo stieß Manu-Remusat an.

"Jetzt!" flüsterte er.

"Warum? Übereile Dich nicht!"

"Wir bekommen ihn nicht besser, und die Leute können es im Ballastraume nicht lange aushalten."

Er ergriff den Riegel leise, schob ihn mit einem schnellen Rucke auf, zog die Thür herüber und hatte in demselben Augenblicke auch schon den Kaschef so bei der Kehle gepackt, daß dieser keinen Laut auszustoßen vermochte. Er zog ihn herein zu Remusat.

"Halte ihn, bis ich den Khawassen habe!"

Remusat griff zu, und Katombo trat in die Kajüte. Nur wenige Augenblicke später trat der Polizist herein, das Nargileh in der Hand. Er bemerkte sofort, wen er vor sich hatte, bekam aber keine Zeit zu entfliehen oder auch nur aufzuschreien, denn Katombo ergriff ihn rasch beim Halse und riß ihn herein, so daß er die Pfeife fallen ließ und die Hände weit auseinanderschlug.

In diesem Augenblicke ertönte hinter ihm ein lauter Schrei; er blickte sich überrascht um und sah im Scheine des Lichtes draußen im Verschlage eine Waffe blinken. Schnell entschlossen riß er seinen Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn dem Khawassen in die Brust. Remusat hatte den Fehler begangen, seine Hand vom Halse des Kaschef zu nehmen, und dieser war dadurch zu Athem und zu der Kraft gekommen, seine Pistole zu ziehen. Er wollte schießen; Remusat ergriff ihn bei der Faust, konnte aber nicht verhindern, daß der Schuß losging. Glücklicher Weise schlug die Kugel, ohne Jemand zu treffen, in das Gebälk des Verschlages.

"Nieder mit ihm!" rief Katombo, welcher Ayescha zu Boden sinken sah.

Eine Ohnmacht hatte sie ergriffen; er aber glaubte, daß sie |135A von der Kugel getroffen worden sei, stürzte sich auf den Kaschef und stieß ihm den Dolch von hinten so kunstgerecht in das Herz, daß der Getroffene leblos zusammenbrach. Dann zog er die Kajütenthür zu und verriegelte sie von innen.

"Bist Du verwundet, Vater?"

"Nein," antwortete Remusat.

"So eile nach dem Ballastraume und rufe die Leute. Ich halte hier die Kajüte, und Du gehst auf das Deck; es darf keiner entkommen!"

Manu-Remusat schob die Bretter des Verschlages zurück und kroch hinaus. Schon klopfte es laut und heftig an die Kajütenthür; Katombo aber kümmerte sich nicht darum, sondern bückte sich zu Ayescha nieder, um nach ihrer Wunde zu sehen.

"Hamdullillah, Preis sei Gott; sie ist nicht verwundet; sie ist nur ohnmächtig, und die Kugel ist hier in diesen Balken gedrungen!"

Jetzt stellte er sich hinter die Thür und zog seine beiden Doppelpistolen.

"Kaschef - Sihdi - Effendi - Effendina!" rief es draußen, und als keine Antwort ertönte, krachten kräftige Fußtritte gegen die Thür.

Da erscholl vom Verdecke herab ein lauter Ruf des Schreckes, und nun war es Zeit für Katombo. Er stieß die Thür auf, drei Männer standen auf der engen Treppe; der Hinterste wandte sich soeben um, um zu sehen, was droben am Decke vorgegangen sei. Zwei Schüsse krachten und noch einer, alle gut gezielt. Der kleine Raum füllte sich mit dichtem Pulverdampf. Katombo zog die Thür wieder in den Riegel und wandte sich nach dem Verschlage.

"Vater - Katombo!" hörte er Ayescha rufen.

Der Knall der Schüsse hatte sie aus der Ohnmacht geweckt.

"Hier, Ayescha!"

"Allah helfe uns! Was ist vorgegangen?"

"Wir siegen. Bleibe noch hier; ich komme gleich wieder!"

Er drang hinaus in den Raum, welcher leer war und eilte zur Treppe empor. Oben leuchteten die Sterne wie vorher, und beim Scheine derselben konnte er sehen, wie Remusat einen Khawassen niederstieß, den letzten, welcher zu sehen war.

"Fertig?" frug er.

"Erst sieben. Wo sind die andern?"

"Todt, auf der Kajütentreppe."

"Holt sie herauf!" gebot Remusat seinen Leuten.

In kurzer Zeit lagen die Leichen auf dem Vorderdeck, und Ayescha ruhte, angegriffen von dem Geschehenen, unter demselben Zelte, unter welchem vor ihr Sobeïde sich befunden hatte. Jetzt wurden Steine aus dem Raume geholt, um die Todten zu versenken. Während dieser Arbeit leuchteten zu beiden Seiten des Stromes hinter dem Sandal helle Schilffeuer auf. Man hatte an den Ufern die Schüsse und das Geschrei des Kampfes vernommen; das stattliche Fahrzeug aber war mittlerweile mit dem Strome so weit fortgegangen, daß man es nicht mehr erblicken konnte. Endlich war die letzte Leiche den Fluthen übergeben, und nun galt es, die Spuren des Kampfes zu verwischen

"Schöpft Wasser, Ihr Männer, und scheuert das Deck und die Kajüte," gebot Remusat. "Am Morgen muß Alles blank sein wie zuvor; dann ziehen wir die Segel auf und holen die Dahabiés ein."

Zwischen Bord und Masten tummelten sich nun die Schiffer; Manu-Remusat beaufsichtigte sie, und Katombo saß im Zelte bei Ayescha, um sie zu beruhigen und ihre Bangigkeit über die Folgen ihres heutigen Abenteuers zu verscheuchen. Sie lag an seinem Herzen und schlummerte endlich ein, eingewiegt von den süßen Worten, welche er nicht müde wurde ihr in das Ohr zu flüstern. Auch er war müde nach den anstrengenden Ereignissen der letzten Tage; er legte den Kopf an die Zeltwand und schloß die Augen; Der Schlaf umarmte ihn gerade so, wie er sein junges Weib in den Armen hielt.

Als er erwachte, blickte die Sonne bereits über die Höhen des Dschebel Nokkladam herüber. Er ließ den Kopf Ayeschas auf das Kissen gleiten und erhob sich.

Das blanke Deck zeigte nicht die geringste Spur des stattgefundenen Gefechtes, und an den Masten flatterten bereits die Segel, welche Manu-Remusat soeben aufnehmen ließ. Sie wurden straff gespannt; der Wind fing sich in ihnen, und bald war die Schnelligkeit des Sandals um mehr als das Doppelte vergrößert. Über den blitzenden Wassern kreuzten die Schwalben, jene Namensschwestern des Sandals, welche der Araber Djuhr-el-Djienne, Vögel des Paradieses nennt, weil die fromme Sage von ihnen erzählt, daß sie den Menschen nicht verlassen wollten, als dieser aus dem Paradiese getrieben wurde, sondern an dem flammenden Schwerte des Engels vorüberflogen, um den Ureltern des menschlichen Geschlechtes in die |135B Verbannung zu folgen; im Schilfe schnäbelten sich die weißen Niltauben, die dem Eingeborenen heilig sind, ziemlich unbekümmert um die Krokodile, welche hier und da mit dem Aussehen von schlammüberzogenen Holzklötzen am Ufer oder irgend einer Sandbank lagen, und hoch droben in der Luft ließ der Geier bereits seinen schrillen Ruf vernehmen, während der schlanke Falke an ihm vorüberschoß, um ihm seine Beute abzujagen. An den Ufern wechselten Reis- mit anderen Feldern, eine grünende Pflanzung folgte der andern, und über ihnen allen ragten die schwanken, gefiederten Wedel der Palmen empor. Zuweilen sah man einen nackten Fellah in sein ärmliches Boot steigen, um Fische zu fangen, oder es trat ein Fellahmädchen an das Wasser, um den thönernen Krug zu füllen und ihn auf dem Kopfe heimzutragen und dabei einem bronzenen Bilde zu gleichen, dessen Formen der Künstler nicht schöner und plastischer darzustellen vermocht hätte. Dann fuhr man wieder an einem Felde vorüber, dessen Besitzer mit einem Joch Ochsen einen Holzpflug von demselben primitiven Baue regierte, wie die alten Egypter schon vor dreitausend Jahren sich desselben bedienten. Es war eine Scenerie, die jeden Fremden in ihrer streng individuellen Eigenthümlichkeit auf das Höchste interessiren mußte.

Nach und nach belebte sich der Strom immer mehr, und kaum waren einige Stunden vergangen, so hatte der Sandal die drei Dahabiés überholt. Die Flußreise ging glücklich von statten, bis die "Djuhr-el-Djienne" wohlbehalten im Hafen von Bulakh vor Anker ging.

Hier wurden die Dahabiés erwartet und nach ihrer Ankunft sammt ihrem Inhalte sofort verkauft. Die Besatzung dieser drei Fahrzeuge wußte nicht, was während der ersten Nacht ihrer Reise auf dem Sandal passirt war, und konnte daher ohne alles Bedenken entlassen werden.

Anders war es mit der Bedienung des Sandals. Auf diese mußte Manu-Remusat Rücksicht nehmen. Er behielt sie bei sich und beschloß, sie sogar mit nach seiner einsamen Insel zu nehmen. Übrigens hätte er ja auch gar nicht anders gekonnt, da er ja Leute brauchte, um das Fahrzeug zu regieren.

Vor dem Verkaufe der Dahabiés war Alles, was sie Nothwendiges für die Flüchtlinge an Bord führten, auf den Sandal gebracht worden, auf welchem man nun Kairo verließ, um nach Alexandrien zu gehen.

Auch hier kam die "Djuhr-el-Djienne" glücklich und unangefochten an, und sofort nahm Remusat die nöthigen Arbeiter an Bord, um die von ihm beabsichtigten Veränderungen an dem Fahrzeuge vorzunehmen.

Leider war gerade gegenwärtig keine günstige Zeit zum Auslaufen. Die Pforte stand im Kriege mit Norland, welches ein ansehnliches Geschwader in die türkischen Gewässer geschickt hatte. Einige Segel davon kreuzten draußen vor Alexandrien, und wenn es auch einmal einen Tag lange schien, als ob die Blokade aufgegeben worden sei, so waren sie am andern Morgen sicher wieder zu sehen.

Schon waren die Arbeiten auf dem Sandal ihrer Vollendung nahe, als Remusat mit Katombo auf dem Verdeck stand, um sich ihre Befürchtungen in Beziehung der Ausfahrt mitzutheilen. Länger zu bleiben war nicht rathsam; bei Nacht getraute sich wohl kaum ein Lootse aus dem Hafen, und wenn sie es wagten, am Tage die Anker zu lichten, so fielen sie mit Sicherheit in die Hände der feindlichen Kreuzer.

"Es ist besser, wir bleiben," meinte Manu-Remusat. "Es wird sehr schwer halten, unsern Sandal zu erkennen; der Name ist fort und ein anderer an seiner Stelle, und wer die Takelung sieht wird meinen, ein kleines Schiff von der Sorte vor sich zu haben, welches die Franken Küstenklepper nennen."

"Aber Dich und mich kann man erkennen, obgleich wir das Fahrzeug nicht verlassen und in keinen Serai und zu keinem Kawuadschi kommen. Wir werden gewiß einen Lootsen finden, der es versteht und wagt, uns des Nachts aus dem Hafen zu bringen."

"Aber wir müssen der Küste folgen und werden also immerhin auf Kreuzer stoßen."

"Der Küste? Nein, wir gehen in die offene See."

"Bist Du sicher, die Schiffsbücher gut zu führen und alle Berechnungen richtig machen zu können?"

"Ich fürchte mich vor keinem Admiral," lächelte Katombo.

"Dann könnten wir es wagen, obgleich ich Dich dazu nicht brauche; doch muß man alle Fälle in Berathung ziehen. Aber wer ist dort der Mann, welcher uns und unser Fahrzeug so sorgfältig in die Augen nimmt?"

"Welcher?"

"Der am Krahn, in der Kleidung eines Levantiners."

|136A "Ah der! Mir scheint, daß ihm der Anzug eines Mameluken besser stehen würde."

"Eines Mameluken? Wirklich. Allah akbar, Gott ist groß, und meine Augen waren mit Blindheit geschlagen! Es ist derselbe Mameluk, welcher Omar-Bathu stets begleitete, wenn dieser mich besuchte. Sollte er hier sein um uns zu finden? Ich werde ihn rufen!"

"Thue es, wenn Du seiner Verschwiegenheit sicher bist!"

"Ich bin es. Es ist ein verschwiegener Mann und Omar-Bathu treu ergeben."

Er brauchte nicht laut zu rufen, sondern nur zu winken, da der Mameluk ohne Unterlaß herüberblickte. Auf das Zeichen hin kam er näher und trat über die Laufplanke an Bord.

"Sallam aaleïkum!"

"Aaleïkum! Wen suchst Du?"

"Ich darf den Namen dessen, den ich suche, nicht nennen."

"Wer hat es Dir verboten?"

|137A "Mein Herr, Omar-Bathu, der Mamelukenbei. Ich soll hier zwei Männer und ein junges Weib aufsuchen und dann schnell zurückkehren, um zu melden, daß sie die See glücklich erreicht haben."

"Du hast sie gefunden. Wie geht es meiner Tochter?"

"Mein Herr läßt Dir sagen, daß sie gesund und glücklich ist, nur betrübt sie sich, daß Du nicht bei ihr sein kannst mit der Schwester und dem Sohne."

"Wie ist es möglich, daß Du so schnell nach Alexandrien gekommen bist."

"Mein Herr gab mir zwei seiner besten Djemmels mit, ein Bischerihnhedschin und eine Tuaregfalle."

"Und warum kamst Du nicht gleich zu mir, als Du mich erblicktest?"

"Ich erkannte Dich sofort, aber ich wußte nicht, ob dieses Schiff das Deinige sei, denn mein Herr hat es mir anders beschrieben."

"Hast Du mir sonst noch etwas zu sagen."

"Ja. Der Kaschef von Siut ist ermordet worden mit zehn seiner Khawassen; man weiß es bereits in Kairo und meint, daß Du es gewesen bist. Verweile Dich nicht länger in Alexandrien!"

"Ich werde Deinen Rath befolgen, doch komme herunter und stärke Dich mit Speise und Trank!"

"Dieses darf ich nicht eher thun, als bis ich die Befehle meines Herrn erfüllt habe. Willst Du, Sihdi, daß ich Dir einen Lootsen schicke, der draußen in Rosette wohnt und Dich des Nachts ganz sicher aus dem Hafen bringen wird? Es ist der Bruder meines Weibes."

"Thue es, und zehn Goldstücke sind Dein eigen!"

"Gib sie ihm, wenn Du sie geben willst. Ich aber habe Omar-Bathu zu gehorchen und darf nichts von Dir nehmen. Sallam aaleïkum!"

Er sprang über die Laufplanke hinüber und verschwand in dem Getriebe der Menschen, welche am Ufer auf- und niederwogten.

Das Erscheinen des Mameluken hatte alle Zweifel und Bedenken beseitigt; es wurde alles zur Abfahrt gerüstet, und während dessen erwarteten sie seine Wiederkehr. Aber er kam nicht; es begann bereits zu dunkeln, und schon wollte sich ein böser Argwohn sowohl bei Remusat als auch bei Katombo geltend machen, als ein |137B Mann die Planke betrat, den man sofort als einen Schiffer erkannte.

"Wer bist Du?" frug Remusat.

"Mein Name ist Tiba-Ben-Afram. Mich sendet mein Bruder."

"Wer ist Dein Bruder?"

"Du hast ihn bereits gesprochen, Sihdi, als er Dir Grüße brachte von Omar-Bathu, dem Mamelukenbei."

"Wo ist er?"

"Zurückgekehrt zu seinem Herrn, denn er weiß, daß ich Dich sicher aus dem Hafen bringen werde."

"Warum kam er nicht noch einmal her mit Dir?"

"Er fürchtete Deine Belohnung."

"Wann können wir fahren?"

"Sogleich, wenn Du befiehlst, Sihdi. Es ist guter Wind und in zehn Minuten bricht die Nacht herein."

"Wo hast Du das Boot, in welchem Du zurückkehren wirst?"

"Es wartet mein draußen auf der Rhede."

"So laßt uns beginnen."

"Im Namen des allbarmherzigen Gottes!" fügte der fromme Muselmann bei, indem er das Haupt dreimal mit der Hand berührte und sich nach der Gegend von Mekka tief verneigte.

Jetzt wurden die Anker gelichtet und die Segel emporgezogen. Der Aufbruch des Sandals fiel keinem Menschen auf, da jeder Beobachter denken mußte, daß er nur hinaus nach Rosette wolle. Dort angekommen, ging er aber nicht vor Anker, sondern beschrieb einen weiten Bogen um den Quai herum und hielt dann auf die offene See zu.

Der Lootse stand ganz vorn am Bug und gab laut seine Weisungen; Katombo selbst stand am Steuer und lenkte das Schiff. Der Abend war sehr dunkel, und die Sterne hatten das Himmelsgewölbe noch nicht erstiegen. Nach und nach wurden die Kommandos des Lootsen immer leiser, bis er plötzlich ein Licht ergriff und dreimal hoch im Kreise schwenkte, ehe er es wieder hinter den Schirm stellte, wo es gestanden hatte.

Der Pfiff einer Möve war die Antwort auf dieses Signal, und gleich darauf sah man ein Boot dem Sandal nahen.

"Werft eine Leine aus, es ist mein Kahn!" erklärte der Lootse.

Als dies geschehen war, schwang sich ein Knabe von kaum |138A vierzehn Jahren an Bord, während das Boot im Schlepptau nachgezogen wurde.

"Hast Du den Feind gesehen?" frug der Vater den Sohn.

"Ja."

"Und warst nahe an ihm?"

"Ja."

Dabei nickte der Knabe mit einer Miene, als ob dies etwas sehr Leichtes und Selbstverständliches sei.

"Wo befindet er sich?"

"Er segelt Nord bei Ost und gerade Ost von hier, um nach Damiette zu gehen."

"So sind wir sicher. Gebt vorn eine Laterne aus, damit ich das Fahrwasser erkenne!"

Diesem Befehle wurde Folge geleistet, und nun gab er seine Kommandos wieder laut vom Buge aus, und trotz der Gefährlichkeit des Fahrwassers gelangten sie nach noch nicht zwei Stunden in die offene freie See.

Jetzt wollte sich der Lootse verabschieden, und Manu-Remusat zog eine Handvoll Goldstücke hervor.

"Hier nimm! Du hast es reichlich verdient."

"Sihdi, behalte Dein Geld und gedenke mein! Mein Bruder bat mich, Dich durch die Blokade zu bringen, und ich habe es gethan, weil es ihm und Allah gefällig war. Dein Dank ist mir lieber als das Gold, welches Du mir bietest!"

Er trat an die Regeling und sprang trotz der Dunkelheit mit einer wahrhaft virtuosen Sicherheit hinunter in das Boot. Sein Sohn folgte ihm mit ganz derselben Gewandtheit.

"Sallam aaleïkum!" hörte man noch den Gruß der Beiden; die Wogen hoben das Boot empor, ein Wellenthal verbarg es wieder; dann - war die letzte Verbindung mit der Heimath zerrissen.

Manu-Remusat trat zu Katombo.

"Glaubst Du, daß es gute Menschen gibt, die Allah lieben muß?"

"Ich glaube es, denn dieser Mann hat es bewiesen."

"Allah segne ihn und seinen Bruder, sammt uns allen, die zu uns gehören, obgleich wir sie verlassen mußten! Jetzt aber gib mir das Steuer und gehe zur Ruhe; Du bedarfst ihrer, denn morgen mußt Du das Schiff regieren, während ich schlafe!"

Katombo folgte dem Gebote. Als er am Morgen erwachte, erblickte er ringsum nur Himmel und Wasser; das Schiff war glücklich aus dem gesperrten Hafen in die offene See gekommen. Des Nachts war dies noch nicht zu behaupten gewesen, da mit Anbruch des Tages sehr leicht einer der Kreuzer zurückgekehrt sein und bemerkt werden konnte.

Auch die Luft war günstig und das Wetter so schön, daß der Sandal fast anderthalb Tage lang seine Fahrt ohne die geringste Unterbrechung oder Störung machen konnte. Am Nachmittage des zweiten Tages saßen Remusat und Katombo bei Ayescha im Zelte, während einer der Leute das Steuer führte. Da trat Ali herbei, welcher mit zur Bemannung gehörte, und klatschte in die Hände, zum Zeichen, daß er etwas zu melden habe. An den Eingang des Zeltes durfte er sich nicht wagen, weil ein Weib sich in demselben befand. Katombo erhob sich und ging hinaus.

"Was gibt es, Ali?"

"Schau dorthin, Sihdi!"

Dabei deutete er mit der Hand fast gerade nach Nord.

"Ein Segel!" bemerkte Katombo.

"Ein Segel, Sihdi? Allah segne Deine Augen, aber einer von uns Beiden sieht falsch, und meine Augen trügen mich niemals!"

Katombo suchte den ganzen Horizont ab, konnte aber nur das entdecken, was er bereits gesehen hatte.

"Dann trügen sie Dich jetzt, denn es gibt nur dies eine Segel!"

"Sihdi, Du weißt, daß ich Ali-el-Hakemi-Ebn-Abbas-Ebn-er-Rumi-Ben-Hafis-Omar-en-Nasafi bin, und was ich sage, das ist wahr, denn dieses Schiff, das dort gefahren kommt, hat nicht nur ein, sondern viele Segel!"

Jetzt mußte Katombo lächeln.

"Jetzt hast Du Recht, Ali mit dem langen Namen! Dieses Schiff hat sehr viele Segel; aber der Seemann sagt nicht: dort kommt ein Schiff, sondern: dort kommt ein Segel. Das mußt Du Dir merken. Rufe den Emir-el-Reïsahn herbei."

Manu-Remusat kam, und Katombo zeigte ihm das Segel.

"Zu welcher Flagge glaubst Du, daß es gehört?"

"Ich weiß es nicht und mag es auch nicht erfahren."

"Soll ich etwas mehr Ost bei Süd halten?"

"Um ihm aus dem Kurse zu gehen? Nein, das ist nicht nothwendig, denn siehe, es geht ja ganz scharf auf Süd und wird uns nicht bemerken."

|138B "Aber es ging vorhin Süd bei Ost!"

"Das hat nur so geschienen; jetzt, da der Winkel offener ist, kann man es deutlicher sehen. Ich gehe wieder in das Zelt, komm nach, wenn es seinen Lauf nicht ändert!"

Er ging. Katombo beobachtete den Lauf des fremden Fahrzeuges. Dieses hielt allerdings ganz streng auf Süd; in einer Viertelstunde mußte es bereits verschwunden sein, und darum kehrte auch er in das Zelt zurück, gab aber vorher Ali die Weisung, genau aufzuschauen und alles Auffällige sofort zu melden.

In der angegebenen Zeit klatschte der Diener auch wirklich in die Hände. Katombo steckte nur den Kopf hinaus.

"Was gibt es?"

"Das Schiff ist fort, Sihdi!"

"Gut!"

Es verging etwas über eine Stunde; da klatschte der wackere Ali schon wieder.

"Etwas Neues?" frug Katombo.

"Ja, Sihdi. Wieder ein Schiff!"

"Mit vielen Segeln?"

"Ja. Es sieht aus gerade wie das vorige."

Katombo verließ das Zelt.

"Wo fährt es?"

"Beinahe gerade im Süd von uns; dort!"

Katombo erkannte dasselbe Fahrzeug, welches vorher im Nord von dem Sandal gesegelt war, und dann den Kurs nach Süd gehalten hatte.

"Hole schnell den Herrn!" befahl er.

Manu-Remusat eilte schnell herbei, wirklich erstaunt über die seltsame Schnelligkeit, mit welcher das fremde Fahrzeug ihm von einer Seite auf die andere gekommen war. Er nahm das Rohr zur Hand und betrachtete es sorgfältiger.

"Katombo, wir sind verloren!"

"Warum?"

"Es ist ein Kriegsschiff, und zwar muß es ein feindliches sein."

"Hat es die Flagge gezogen?"

"Nein, aber es ging erst im Nord von uns und hat seinen Kurs nur verändert, um uns den Rettungsweg nach der Küste von Derna abzuschneiden. Das ist gewiß. Nur kann ich die Schnelligkeit nicht begreifen, mit der dies geschehen ist. Allah allein weiß es!"

"Gib mir das Rohr!"

Er bekam es und schaute aufmerksam hindurch.

"Du hast Recht: Allah weiß es, ich aber auch!"

"So erkläre es mir!"

"Es ist ein Dampfer, der auch mit Segeln geht, wenn der Wind es erlaubt. Siehst Du den leichten Streif an seinem Stern? Er wird jetzt immer dichter und schwärzer. Jetzt hält das Schiff gerade auf uns zu und gibt vollen Dampf. Du hast Recht; es macht Jagd auf uns!"

"Was thun wir? Uns ergeben?"

"Nein, uns wehren!"

"Das geht nicht. Dort an Bord gibt es zehn Mal mehr Leute als bei uns, und wir haben keine Kanonen."

"Willst Du ihnen Dein Kind und Deine Schätze preisgeben?"

"Sie führen nicht mit Frauen Krieg, und mein Gut wird mir verbleiben, denn ich bin ein Flüchtling des Vizekönigs und kein Soldat."

"So thue, was Du denkst. Ich ergebe mich in Deinen Willen!"

"Laß uns auch die Leute fragen!"

Dies geschah. Das Orlogschiff kam immer näher und zeigte sich in Folge dessen von Augenblick zu Augenblick größer und mächtiger. Die Bemannung des Sandals war im Gebrauche der Handwaffen wohlgeübt und keineswegs feig zu nennen, aber es gehörte dennoch beinahe der Muth der Verzweiflung dazu, es mit einem solchen Gegner aufzunehmen. Alle außer Einem stimmten daher der Ansicht von Manu-Remusat bei. Dieser Eine war Ali.

"Allah akbar, Gott ist groß, und mein Handschar ist spitz und scharf. Warum soll sich ein Gläubiger den Ungläubigen ergeben? Ich werde sie verschlingen, wie die Heuschrecke das Gras des Feldes und das Laub der Bäume frißt!"

Er kam natürlich mit seiner Meinung nicht durch, sondern es wurde beschlossen, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, falls das Schiff wirklich ein feindliches sein sollte.

Mittlerweile war es so nahe gekommen, daß es eine seiner Stückpforten öffnen konnte. Es ließ plötzlich alle Segel fallen, hißte die Flagge auf und gab mit einem Schuße das Zeichen, ein Gleiches zu thun.

|139A "Ein Norländer, also wirklich ein Feind!" rief Remusat. "Eine Flagge haben wir nicht; laßt die Segel fallen!"

Dies geschah, und nun sahen sie der Ankunft des Bootes, welches der Norländer aussetzte, um an Bord des Sandals zu gehen, mit banger Erwartung entgegen. Ayescha zitterte vor Angst am ganzen Leibe, und Remusat sowohl als auch Katombo versuchten vergeblich, sie zu beruhigen. Das Boot legte an, und ein Offizier stieg mit acht Mann an Bord.

"Wer ist der Befehlshaber dieses Fahrzeugs?" frug er.

"Ich," antwortete Remusat.

"Wem gehört es?"

"Mir selbst."

"Was hat es geladen?"

"Haus- und Wirthschaftsgeräth für mich."

"Wo kommt es her?"

"Aus Siut."

"Ah? Sollte dies die Wahrheit sein? Ein Nilschiff auf offener See! Wohin ist es bestimmt?"

"Nach Msarata."

"Wo haben Sie Ihre Papiere?"

"Ich habe keine, ich bin ein Flüchtling."

"Interessant!" lächelte der noch sehr junge Mann. "Um aus Egypten zu fliehen, fährt man von Siut aus durch ganz Egypten und geht mit einem Nilkahne unter Klippertakelage nach Msarata, welches unter der gleichen Oberhoheit des Sultans steht. Wie ist Ihr Name, mein Herr?"

"Remusat."

"Das ist ein sehr berühmter Name, denn ich erinnere mich, von einem gewissen Remusat gelesen zu haben, der sehr Vieles über China, die Mongolei und Tibet geschrieben haben soll. Doch dieser Mann hat vor verschiedenen Jahrhunderten gelebt, und Sie können es also nicht sein, sonst hätte ich mich aus Rücksicht für Ihren schriftstellerischen Ruhm verabschiedet, ohne Sie weiter zu belästigen. So aber muß ich um die Erlaubniß bitten, Ihr Fahrzeug untersuchen zu dürfen!"

"Thun Sie es!"

Der Marineoffizier warf zunächst einen Blick auf dem Decke umher und bemerkte dabei:

"Diese guten Leute sind ja ganz außerordentlich bewaffnet!"

"Sie wissen wohl, daß bei uns jeder Mann berechtigt ist Waffen zu tragen; man braucht jedoch deshalb noch nicht ein Krieger zu sein."

"Schön! Führen Sie mich zur Kajüte und in den Raum!"

Remusat begleitete ihn, während alle Andern auf dem Decke blieben. Als er wieder nach oben kam, zeigte seine Miene einen gewissen Grad von Unsicherheit.

"Ich habe allerdings nichts Verdächtiges bemerken können, und doch geben mir Ihre Angaben Grund zu dem Wunsche, Sie und die Ihrigen persönlich durchsuchen zu lassen. Wer auf offene See geht, bedarf ganz nothwendig derjenigen Papiere, durch welche er sich und seine Absichten zu legitimiren vermag."

"Maschallah, Sie wollen einen Kapitän peinlich durchsuchen lassen!" brauste Remusat auf.

"Sie sind nicht Kapitän, sondern ein Privatschiffer, der mir dringend verdächtig erscheinen muß. Wollen Sie sich fügen?"

"Ich muß!"

Die Untersuchung wurde vorgenommen, ohne allen Erfolg, und schon glaubte sich Manu-Remusat frei, als der Offizier achselzuckend meinte:

"Auch das kleinste Fahrzeug kann ein sicheres Versteck für geheime Schriften, Depeschen und dergleichen haben. Was birgt dort das Zelt?"

"Meine Tochter."

"Ah! Ich werde sie begrüßen."

Er trat näher und öffnete den Vorhang. Die Hand Katombos fuhr nach dem Griffe seines Dolches, doch der Offizier machte vor der tief Verschleierten nur eine sehr höfliche Verbeugung und trat dann zurück.

"Ich wünschte gern, Ihnen die Erlaubniß geben zu können, Ihren Kurs fortzusetzen, sehe mich aber leider außer Stande dazu. Wo ist Ihr Steuermann?"

"Hier," antwortete Katombo.

"Sie Beide werden mich an Bord meines Schiffes begleiten, damit ich Sie dem Kapitän vorstelle. Er mag das Weitere verfügen."

Zu einer Widerrede oder gar einem ernstlichen Widerstande wäre es nun zu spät gewesen. Die beiden Aufgeforderten mußten in das Boot steigen und wurden an das Schiff gerudert, unter dessen Spriete man die in goldenen Lettern abgefaßte Inschrift "Der |139B Drache" lesen konnte. Sie stiegen das herabgelassene Fallrepp empor und wurden von einigen Schiffssoldaten in Empfang genommen, während der Lieutenant nach dem Quarterdecke schritt, um dort seinen Rapport abzustatten.

Nach einigen Augenblicken kehrte er zurück um sie zu holen. Unter einem luftigen Zelte saßen die Offiziere beisammen; einer von ihnen, welcher eine etwas reservirte Haltung eingenommen hatte, saß etwas weiter zurück. Der Kapitän erhob sich nicht bei dem Erscheinen der beiden Männer, er nickte nur leichthin mit dem Kopfe.

|140A "Ich habe Ihre Angaben vernommen," meinte er. "Haben Sie in Allem die Wahrheit gesagt?"

"In Allem."

"Haben Sie etwas hinzuzufügen?"

"Nein."

"Ihr Name ist Remusat?"

"Ja."

"Vielleicht gar Manu-Remusat?"

"Allerdings."

"Dann sind Sie der einstige Freund des Vizekönigs von Egypten?"

"So ist es."

"Dann habe ich allerdings keinen Grund, die Wahrheit Ihrer Angaben zu bezweifeln."

"Und dennoch enthalten sie Lügen, Kapitän," fiel der Reservirte ein, welcher die Uniform eines Volontärs ohne alle Abzeichen trug. "Bitte, fragen Sie einmal dort den Steuermann, ob er nicht Katombo heißt!"

Bei dem Klange dieser Stimme fuhr Katombo herum und beim Anblicke des Sprechers überzog eine tödtliche Blässe sein Angesicht. Wie kam dieser Mann, sein Peiniger, sein Henker, sein Todfeind auf die See? Er hatte keine Zeit, über diese Frage nachzudenken, denn soeben erklang es aus dem Munde des Kapitäns:

"Wie heißen Sie?"

Er faßte sich und antwortete so fest wie möglich:

"Katombo."

"Sehen Sie, Kapitän, daß ich Recht habe?" meinte der vorige Sprecher. "Dieser Mensch ist ein vormaliger Zigeuner, welcher einst in meinen Palast eindrang um zu stehlen. Er wurde ertappt und entkam, nachdem er einen meiner Diener erstochen hatte. Seine eigene Mutter, welche wohl für ihn Wache gestanden hatte, mochte er in der Aufregung verkennen und für eine für ihn gefährliche Person halten, er faßte sie und warf sie in den Fluß, aus welchem man sie einige Tage später als Leiche auffischte."

Katombo's Züge waren jetzt womöglich noch bleicher geworden.

"Lügner! Schurke! Mörder!" knirschte er. "Du selbst hast Sie ertränkt, jetzt hast Du Dich verrathen! Erst raubtest Du mir die Geliebte, dann nahmst Du mich widerrechtlich gefangen, und als - - -"

|140B "Halt!" donnerte da der Herzog von Raumburg. "Kapitän, Sie hören, daß dieser Mensch wahnsinnig ist. Ich bin bei Ihnen an Bord gegangen, um meine Anschauungen in Betreff des Marinewesens praktisch zu erweitern, nicht aber, um mich von einem Mörder und Vagabunden insultiren zu lassen. Thun Sie Ihre Pflicht. Sie hören ja, daß der Mann identisch mit der Person ist, die ich meine!"

Der Kapitän gab einen Wink, und sofort legten sich zehn eisenfeste Matrosenhände um Katombo, der sich gegen eine solche Umschlingung nicht zu wehren vermochte.

"Vater, ich bin unschuldig, sage es Ayescha!" konnte er Manu-Remusat noch zurufen; dann wurde er unter das Verdeck geschleift.

Der Letztere war über diesen unerwarteten Vorfall so erschrocken, daß er nicht die kleinste Bewegung unternommen hatte, seinem Schwiegersohn zu Hilfe zu kommen. Jetzt wandte er sich an den Kapitän:

"Kapitän, hier liegt ein fürchterlicher Irrthum vor! Bei Allah und dem Propheten, ich gebe meine Ehre und mein Leben zum Pfande, daß dieser Mann, der der Mann meiner Tochter ist, niemals das gethan hat, dessen man ihn beschuldigt!"

"Der Mann Ihrer Tochter? Ihre Ehre zum Pfande! Es ist höchst unvorsichtig, dieses uns zu sagen, denn nun erhalten Ihre Angaben und gegenwärtigen Intentionen eine Beleuchtung, welche mir Veranlassung gibt, mich auch Ihrer Person zu bemächtigen. Sie sind mein Gefangener, und, merken Sie wohl, nicht nur mein Kriegs-, sondern auch mein Kriminalgefangener. Über Ihr Schiff und angebliches Eigenthum behalte ich mir weitere Bestimmungen vor!"

Er wurde ungeachtet aller seiner Protestationen abgeführt.

Die Bemannung eines zweiten Bootes stieß zu den acht Leuten, welche sich bereits an Bord des Sandals befanden. Sie holten die Untergebenen Manu-Remusats als Gefangene an Bord des Kriegsschiffes. Dann wurde der Sandal an das Schlepptau genommen; der "Drache" ließ seine Maschine spielen; die Segel wurden wieder gehißt, und die Fahrt begann von Neuem.

Währenddem begann es schnell zu dunkeln. In einer der Mittelkabinen saß ein Mann in türkischer Tracht, mit dem weltbekannten rothen Fez auf dem Kopfe. Er schien in sehr ernstes Sinnen versunken; seine Brauen hatten sich zusammengezogen, und |141A sein Mund zuckte hin und wieder, wenn er einen Blick durch das kleine runde Fenster warf, welches einen begrenzten Blick hinaus auf die See gestattete. Da klopfte es an die Thür, und auf seinen Ruf erschien ein Schiffsjunge mit einem ziemlich gut belegten Speisebrette in der Hand.

"Guten Abend, Herr Pascha!"

"Guten Abend!"

"Hier ist Ihr Essen. Haben Sie sonst einen Wunsch?"

"Melde mich dem Kapitän!"

"Das darf ich nicht, Herr Pascha, denn er will gar nicht mehr mit Ihnen reden, weil Sie immer Wünsche bringen, sagt er, die er nicht erfüllen kann. Und außerdem hat er heut gar schrecklich viel zu thun."

"Wohl wegen dem Fahrzeuge, welches er wieder weggenommen hat?"

"Ja."

"Wo war es her?"

"Hm, aus Egypten."

"Wem gehörte es?"

"Wunderlicher Name! Einem gewissen Manu-Remusat."

Der Türke wäre vor Überraschung beinahe in die Höhe gesprungen, wenn er sich nicht besonnen hätte, daß er dann mit dem Kopfe an die allzuniedrige Decke gestoßen hätte.

"Manu-Remusat? Ist er gefangen wie ich?"

"Ja; er und seine Leute."

"Wie viele sind es?"

"Mit ihm und dem Steuermann achtzehn."

Der Türke schwieg einige Augenblicke; dann frug er fast leise:

"Sagtest Du mir nicht einmal, daß Ihr mit dem Kapitän und den Offizieren nicht zufrieden seid?"

"Hm, ja! Verdammt viel Prügel und verteufelt wenig zu essen! Ich sagte Ihnen das aber nur, weil Sie ein so guter und unglücklicher Herr sind."

"Höre, Junge, wie heißest Du?"

"Balduin Schubert."

"Hast Du Eltern und Geschwister?"

"Nur einen Bruder, den Thomas, der ein Schmiedelehrjunge ist."

"Willst Du reich werden?"

"Donnerwetter, alle Tage, wenn es sein muß!"

"Kannst Du es nicht so weit bringen, daß ich einmal heimlich mit diesem Manu-Remusat sprechen kann?"

"Nein, nein, das geht nicht, denn da bekäme ich die neunschwänzige Katze viel schlimmer als vorher. Gute Nacht, Herr Pascha!"

Wie ein Wind war er zur Thür hinaus und riegelte die Kabine zu. Draußen in dem engen Raumgange blieb er nachdenklich stehen.

"Ob ich es wohl wage? Wo er steckt, das weiß ich, und alle Mannen denken, daß ich nun bereits in meiner Koje schlafen werde bis zur nächsten Wache! Der Thomas hat mir so viel von ihm erzählt, wie er unschuldig gefangen gewesen ist, wie ihm der Herzog seine Liebste genommen hat, wie der gute Meister Brandauer sein Freund geworden ist und ihm nachher viel Geld gegeben hat, so daß er in die Fremde gehen konnte, um etwas Ordentliches zu sehen und zu lernen. Wie prächtig wäre es doch, wenn ich einmal nach Hause käme und zu dem Thomas und dem Brandauer sagen könnte, ich habe ihn auch gerettet! Ja, gut, ich werde zu ihm gehen!"

Er schlich sich hinunter in den Raum und trat hier vor einen aus starken Bohlen ausgeführten Verschlag, der so niedrig war, daß ein Mann kaum aufrecht darin sitzen konnte. Er klopfte.

"Katombo, Herr Katombo!"

"Wer ists?" frug es von innen.

"Kennen Sie den Schmied Brandauer, bei dem Sie gewohnt haben?"

"Natürlich, wer ist draußen?"

"Kennen Sie auch den Lehrjungen Thomas, der das B wie P ausspricht?"

"Ja."

"Ich bin sein Bruder, der Balduin, von dem er so viele Cigarren geraucht hat, zwei Stück für drei Pfennige, Sie haben auch eine bekommen damals, Sie wissen schon!"

"Du bist der Bruder des Thomas? Was thust Du hier?"

"Ich bin Schiffsjunge."

"Wohin ist der "Drache" bestimmt?"

"Er war bestimmt zum Kreuzen, kehrt aber jetzt nach Norland zurück, weil er einen sehr wichtigen Gefangenen gemacht hat!"

"Wen?"

"Malek-Pascha."

"Maschallah, den Großvezier?"

|141B "Ja. Wir haben ihn in einer Feluke aufgegriffen, in der er nach Tenedo wollte."

"Und die Mannschaft der Feluke?"

"Ist auch kriegsgefangen."

"Wo?"

"Drüben im Raume."

"Wo sind meine Leute?"

"Die Türken sind im Backbord-, die Ihrigen im Steuerbordraume untergebracht."

"Wo ist Manu-Remusat?"

"Bei ihnen."

"Und meine Frau?"

"Ihre Frau? Haben Sie eine Frau? Ah, die verschleierte Dame in der Kajüte des Herzoges!"

"In der Kajüte des Herzoges? Maschallah, wer hat sie dort einquartiert?"

"Der Herzog selbst, er begnügt sich mit dem Nebenraume."

"Hat er ihr Gesicht gesehen?"

"Nein; das weiß ich sehr genau, denn ich habe seine und ihre Bedienung. Sie ist verteufelt kouragirt und hat beim Essen ein Messer zurückbehalten, mit dem sie sich erstechen will, wenn Jemand ihre Kleidung anrührt."

"Willst Du mir eine Botschaft an sie ausrichten?"

"Wollen Sie nicht selbst mit ihr sprechen?"

"Willst Du mich verführen?"

"Fällt mir gar nicht ein! Meister Brandauer hat Sie gerettet, und was der kann, das kann ich auch. Ich werde Sie befreien."

"Wirklich!" jauchzte es hinter der Bohlenwand auf.

"Ja. Sie fliehen, und ich reiße mit aus, denn ich habe diese ewige Prügelei satt."

"Aber wie es anfangen? kannst Du mir öffnen?"

"Ja; der Verschluß besteht ja nur in zwei hölzernen Riegeln."

"Kannst Du mir einen Matrosenanzug besorgen?"

"Ja. Tom hat einen in seiner Kiste und wird es nicht gleich merken, wenn ich ihn mir einmal heimlich borge."

"Also die Gefangenen sind alle im Raume untergebracht?"

"Ja."

"Wo schlafen die Offiziers?"

"In ihren Kajüten."

"Und die Marsgasten (Matrosen) und Soldaten?"

"Unter Vorderdeck."

"Kann man dies nach oben hin von außen verschließen?"

"Ja."

"Die Kajüten auch?"

"Ja."

"Kann ich von hier aus zu meinen Leuten?"

"Sehr leicht."

"Wie viele Mann halten die Wache?"

"Zwanzig, ohne dem Offizier."

"Geht mein Fahrzeug noch am Schlepptau?"

"Ja. Man hat es ganz genau untersucht, aber nichts weggenommen."

"Wo hat man unsere Waffen hingethan?"

"In die Handwaffenkammer."

"Wie gelangt man dorthin?"

"Nur durch die Kapitänskajüte, die der Kommandeur jetzt dem Herzog abgetreten hat und wo nun Ihre Frau wohnt."

"Ah, es wird gehen. Danken kann ich Dir jetzt nicht, sondern später. Sind große Nägel an Bord?"

"So viele Sie wollen. Wozu?"

"Zum Vernageln der Kajüten und Luken. Besorge so viele Du kannst und einige Hämmer dazu an einen Ort unter dem Decke, wo sie nicht vorzeitig bemerkt werden. Mir bringst Du ein scharfes spitzes Messer."

"Ich kann mehr als ein Dutzend bringen, der Koch hat deren genug."

"Gut. Wann wirst Du kommen?"

"Zur nächsten Wache, wenn Alles schläft."

"Kannst Du noch einmal zu meiner Frau gehen?"

"Ja. Die Offiziers sind alle bei Tafel."

"So bereite sie vor und sieh zugleich nach, ob der Eingang zur Waffenkammer offen ist!"

"Wirs Alles geschehen, Herr Katombo!"

Er ging, und der Gefangene blieb in einer unbeschreiblichen Aufregung zurück. Er lag im engen Kerker; sein Weib befand sich in den Händen des Herzoges, von dem Alles zu erwarten stand, wenn nicht schleunige Hülfe ermöglicht wurde - er lebte wie im |142A Fieber, ob vor Grimm oder allzureger Ungeduld und Erwartung, er wußte es selbst nicht. Die Minuten dehnten sich aus zu Ewigkeiten, bei jedem Laute und jedem Geräusche horchte er auf. In seinem finstern Loche konnte er den Lauf der Zeit nicht verfolgen, und schon glaubte er, daß der Schiffsjunge ihn nur geäfft habe oder wenigstens verhindert worden sei, sein Versprechen zu erfüllen, da, da endlich! vernahm er leise Schritte, die sich seinem Käfige näherten. Die Riegel wurden zurückgeschoben, und eine leise Stimme sprach:

"Jetzt kommen Sie heraus!"

Katombo kroch hervor und streckte mit einer wahren Wollust seine Glieder.

"Hast Du die Messer?"

"Ja; Schlachtmesser, Vorschneidemesser und Tischmesser eine ganze Menge, und hier ist auch ein Schiffssäbel für Sie."

"Die Nägel?"

"Liegen bereit, in der großen Taurolle am Mittelmast. Es sind vier Hämmer dabei; ich habe Alles dem Zimmermann genommen."

"Warst Du bei meiner Frau?"

"Ja. Sie fürchtet sich um Sie und läßt Sie bitten, ja doch Ihr Leben zu schonen."

"Wie steht es mit der Waffenkammer?"

"Die ist verschlossen, aber ein Fußtritt bricht die Thür sehr leicht ein."

"Wie steht es oben?"

"Es schläft Alles, und die Wachen ahnen nicht das Geringste."

"So führe mich zu den Meinen."

"Kommen Sie!"

Er faßte ihn bei der Hand, zog ihn durch den Raum und brachte ihn vor eine Thür, hinter welcher man ein Geräusch vernahm, als ob menschliche Körper im Stroh raschelten.

"Hier ist es."

Katombo tastete und fühlte drei Riegel, welche er zurückschob.

"Wer da?" frug es laut von innen.

Er öffnete.

"Remusat sprich leise. Ich bin es, Katombo."

"Katombo? Hamdullillah, Preis sei Gott, Du bist frei?"

"Ja. Wollt Ihr es auch sein?"

"Frage nicht, sondern gib uns Waffen!"

Sie waren Alle aufgesprungen und streckten ihm ihre Hände entgegen.

"Ja, Waffen, Waffen her, damit wir frei werden!"

Katombo drängte sie zurück.

"Ihr Männer, hört, was ich Euch sage: Wir wollen nicht nur frei sein, sondern wir wollen auch das Schiff haben, auf dem wir uns befinden, sonst holen Sie uns schon nach einigen Stunden wieder. Die ganze Besatzung schläft, außer den Deckwachen. Hier habt Ihr jeder ein Messer. Wir schleichen uns hinauf und beseitigen die Wachen ohne alles Geräusch. Darauf kommt Alles an, denn wenn vorzeitiger Lärm entsteht, so sind wir verloren. Wir kriechen also am Boden hin, ein Jeder bis zu seinem Mann. Du, Ali, schleichst Dich in die Kapitänskajüte, um die Tochter Deines Herrn zu schützen; sie ist dort. Ihr drei, Hafis, Bako und Rahman, kriecht bis zum Mittelmast; dort liegt eine Taurolle, in welcher Nägel und Hämmer liegen. Für den Fall, daß je ein Ruf ausgestoßen wird, der uns schaden könnte, springt Ihr dann gleich vor und vernagelt schleunigst die Vorder- und Hinterluke nebst dem Eingang zur Offizierskajüte. Jeder von Euch eins von diesen Dreien. Wir Andern machen die Wachen stumm. Das Übrige muß sich dann aus den Verhältnissen ergeben. Seid Ihr einverstanden?"

"Ja!" flüsterte es rund im Kreise, und nur Remusat setzte hinzu:

"Wie befindet sich Ayescha?"

"Gut. Also vorwärts - halt!"

Er streckte den Arm vor um sie zurückzuhalten, denn oben erschallten Schritte.

"Der Offizier von der Runde," bemerkte Baldrian ängstlich.

"Kommt er herab?"

"Jedenfalls."

"Desto besser. Komm, Vater! Ihr Andern wartet noch!"

Er lehnte die Thür nur an, ohne sie zu verriegeln, und schlüpfte mit Manu-Remusat hinter die Treppe. Wirklich näherten sich die Schritte und kamen die engen Stufen herab. Es war derselbe Lieutenant, welcher den Sandal bestiegen hatte. Er trug eine Blendlaterne und wollte sich jedenfalls überzeugen, daß sich die Gefangenen in Sicherheit befänden. Als er die letzte Stufe überschritten |142B hatte, tauchte Katombo aus seinem Winkel auf und faßte ihn von hinten bei der Kehle. Remusat erhob das Messer, doch Katombo mahnte:

"Nicht stechen! Ich brauche die Uniform."

Er preßte die Kehle des Mannes so lange zusammen, bis dieser erstickt zu Boden sank.

|143A Remusat hatte die Laterne ergriffen und leuchtete; Katombo zog dem Todten die Kleider aus und trat hinter die Treppe; bald kam er als Offizier hervor.

"Nun vorwärts! Jeder kennt seinen Platz und mag seine Schuldigkeit thun; ich brauche Euch nicht erst zu sagen, was auf dem Spiele steht."

"Wollen wir die Türken nicht mit herauslassen?" frug der Schiffsjunge.

"Nein. Sie wären uns im Wege und könnten sehr leicht alles verderben. Vorwärts!"

Er schritt voran und blies die Laterne erst in der Nähe des Oberdeckes aus. Kaum auf dasselbe gestiegen, sah er eine Gestalt auf sich zukommen.

"Wer da!"

"Ronde!"

"Alles in Ordnung und nichts pas - - -"

"Passirt!" wollte der Deckoffizier sagen, kam aber nicht dazu das Wort vollständig auszusprechen, da ihm bei der ersten Silbe das Messer Katombos in das Herz fuhr.

Dieser schritt weiter und wurde noch von drei Posten angerufen, welche ganz dieselbe Antwort erhielten. Vorn am Steven traf er mit Manu-Remusat zusammen.

"Wie steht es?" frug er diesen.

"Es lebt Keiner mehr außer dem Steuermanne."

"So komm! Zuerst nehme ich ihn, und dann nimmst Du das Steuer."

Sie gingen nach hinten, Katombo mit lautem militärischem Schritte und Manu-Remusat eine Strecke hinter ihm, leise und schleichend.

"Ronde?" frug der Steuermann, aus seinem Hause tretend.

"Ronde!" antwortete Katombo in bejahendem Tone.

"Werden bald nach Nord fallen müssen, denn wir haben die Höhe von Kap Matapan bereits überschritten."

"So überschreite auch die!"

Bei dem letzten, laut betonten Worte sank der nichtsahnende Mann, mitten in das Herz getroffen, zu Boden. Sofort tauchte Remusat empor.

"Maschallah, hast Du einen sicheren Stoß! Gerade als ob Du |143B Djezzar Bei (Oberhenker) des Großsultans gewesen wärst! Also ich nehme das Steuer. Wie halten wir?"

"Den jetzigen Kurs, sonst müßten wir manövriren, und dazu haben wir jetzt die Leute nicht. Es ist ein großes Glück für uns, daß der "Drache" nur unter Segeln fährt, ginge die Maschine, so hätten wir den Streich kaum wagen können."

"Was wirst Du jetzt thun?"

"Ich werde - - ah, da kommt der, den ich brauche!" Und zu dem Schiffsjungen gewendet, welcher jetzt herbeigesprungen kam, frug er: "Wo schlafen der Maschinist und die Feuerleute?"

"Dort im Langboote, wenn des Nachts nur gesegelt wird. Sie haben des Tages so viel Hitze auszustehen, daß sie des Abends das kühle Deck aufsuchen. An sie habe ich gar nicht gedacht; die hätten Alles verderben können!"

"Dann ist es gut, daß wir so leise gewirthschaftet haben, daß sie uns nicht hören konnten. Wie kommt man zu den Speisevorräten und dem Wasser?"

"Durch die Kambuse (Küche)."

"Also braucht man die andern Räume nicht zu berühren?"

"Nein. Es führt nur diese eine Thür hinab in den Vorrathsraum, und der Proviantmeister hat den Schlüssel dazu."

Hamdullillah, so haben wir das Spiel gewonnen! Gibt es genug Laternen und Handspeichen?"

"So viele Sie wollen."

"So komm!"

Er eilte nach dem Mitteldeck, wo seine Leute ihn erwarteten. Er vertheilte sie und gab ihnen die Anweisung nebst den nöthigen Werkzeugen, alle Thüren und Luken zu vernageln und mit Handspeichen zuzustemmen. Sie begaben sich paarweise an die ihnen angewiesenen Plätze.

Unter Deck schlief alles, vom Kapitän bis zum letzten Jungen herab. Da auf einmal ertönten laute und vielzählige Hammerschläge durch das ganze Schiff, daß alle Mannen erwachten. Man sprang auf und schritt zu den Thüren der Kajüten und den schweren Fallklappen, welche zum wasserfesten Verschluß der Luken angebracht waren, und gelangte augenblicklich zu der Überzeugung, daß man eingenagelt |144A werde. Es mußte etwas geschehen, es mußte vielleicht eine Meuterei ausgebrochen sein, oder hatten sich die Gefangenen befreit - alle, sowohl die Offiziere hinten als auch die Matrosen vorn strengten ihre Kräfte an, Thüren oder Klappen aufzusprengen, doch vergeblich, denn wenn auch die Nägel nachgegeben hätten, die eingestemmten Handspeichen wären selbst der riesigsten Kraft nicht gewichen. Die sehr natürliche Folge war ein Tumult unter Deck, der sich von Minute zu Minute zu vergrößern schien.

Unterdessen war Katombo an das Langboot getreten. Bei den ersten Hammerschlägen erwachten die schlafenden Maschinenleute und machten Miene, ihren Platz zu verlassen.

"Bleibt!" befahl er ihnen.

Sie erkannten die Uniform ihres Schiffes und gehorchten also dem Befehle.

"Ihr versteht, ohne alle fremde Hilfe eine Maschine zu behandeln?"

"Natürlich!" antwortete der Eine, ganz verwundert über diese höchst überflüssig scheinende Frage.

"Wollt Ihr eine fünfmal höhere Gage verdienen als die jetzige?"

"Natürlich!" klang es zum zweiten Male, und zwar mit noch kräftigerer Betonung als vorher.

"Nun gut; so hört was ich Euch sage: das Schiff befindet sich in den Händen Eurer Kriegsgefangenen, und alle Eure Mannen sind in den Raum eingenagelt - -"

"Wa - - -"

"Ruhig! Ihr sollt es besser haben als die Andern; Ihr sollt frei bleiben. Ihr bedient die Maschine, bis wir unser Ziel erreichen und erhaltet fünffachen Sold. Geht Ihr nicht mit darauf ein, so werdet Ihr natürlich auch eingesperrt. Gebt Antwort; ich habe keine Zeit!"

Sie sahen einander verlegen an; endlich meinte der Entschlossenste, indem er sich dennoch ein wenig hinter die Ohren kratzte:

"Das ist ja eine ganz verteufelte Geschichte! Sie tragen unsere Uniform und wollen uns zur Meuterei bewegen - - hm, wir sind bei der Maschine angestellt und werden sie bedienen so lange es von uns verlangt wird. Jetzt aber ist es das Beste, ich lege mich wieder auf das Ohr und bekümmere mich um nichts. Macht, was Ihr wollt! Jetzt ist es zu finster, um sehen zu können wie es steht; ich kann warten bis morgen früh!"

"Ich auch!"

"Ich auch!"

Sie wickelten sich in ihre Decken und legten sich wieder nieder. Katombo entfernte sich, sehr zufrieden mit dem praktischen Sinne dieser Männer. Als er in die Kapitänskajüte treten wollte, hörte er in derselben laut sprechen. Er legte das Ohr an die Thür und horchte.

"Ich muß hinaus. Zurück, sonst brauche ich Gewalt!" befahl eine männliche Stimme.

"Sie bleiben, oder ich steche Sie mit diesem Messer nieder!" klang die Antwort der muthigen Ayescha.

Er trat ein und stand an der Seite seines braven Weibes dem Herzoge gegenüber. Dieser fuhr zurück, als ob er ein Gespenst erblickt habe.

"Katombo!"

"Ja, Excellenz! Ich komme, um Ihnen behilflich zu sein, Ihre "Anschauungen in Beziehung des Marinewesens zu erweitern." Sie sollen nämlich erfahren, wie man es anzufangen hat, um mit einem kleinen Nilboote ein so starkes Orlogschiff wie der "Drache" ist, wegzunehmen. Sie sind mein Gefangener!"

Das Alles kam dem Herzoge so überraschend, daß er den Mund aufsperrte und kein Wort zu sagen vermochte. Eben hörte Katombo Schritte hinter sich, er sah sich um und erkannte drei seiner Leute, welche kamen, um sich neue Befehle zu holen.

"Nehmt diesen Menschen hinaus und bindet ihn!"

"Binden - Mich - ? Mich, den Herzog von Raumburg!"

Er richtete sich stolz auf und funkelte Katombo mit Augen an, als wolle er ihn mit seinen Blicken erstechen.

"Der Herzog von Raumburg? Pah, jetzt bist Du nichts als ein armseliger elender Lump an Herz und Geist, den ich einfach niederschmettern würde, wenn meine Hand nicht zu rein für Dein schmutziges Fell wäre. Bindet ihn, und zwar fest!"

Raumburg wurde ergriffen und hinausgezogen. Er wand sich unter den kräftigen Fäusten der Araber vergebens; in weniger als zwei Minuten lag er bewegungslos am Boden.

"Schafft ihn hinunter in den Stall, in welchem ich eingesperrt gewesen bin, und wartet unten; ich komme nach."

Jetzt war er mit Ayescha allein. Sie wollte ihn mit Zärtlichkeiten und Liebkosungen überhäufen, er aber wehrte ihr sanft ab, es |144B galt jetzt zu handeln. Ein Tritt zerschmetterte die Thür, welche zum Waffenraume führte; hier war alles reichlich zu finden, was er brauchte.

"Komm herauf auf das Deck, Ayescha, und bleibe einstweilen beim Vater, bis Ruhe und Ordnung hergestellt sind, dann habe ich auch Zeit für Dich zu sorgen."

Er führte sie zu Manu-Remusat, rief dann den Schiffsjungen und stieg mit ihm zunächst hinab zur Koje des Pascha. Er öffnete dieselbe und trat ein.

"Sallam aaleïkum!"

"Aaleïkum? Wer bist Du, und was hat der Lärm zu bedeuten, den ich höre?"

"Mein Name ist Katombo, und der Lärm hat zu bedeuten, daß Du frei bist."

"Frei! Ists wahr? Wer ists, der mir die Freiheit wiedergibt?"

"Ich!"

"Du? Ich kenne Dich nicht und habe Deinen Namen noch niemals gehört!"

"Manu-Remusat ist der Vater meines Weibes."

"Allah akbar, Gott ist groß! So habt Ihr Eure Fesseln zerbrochen?"

"So ist es. Die ganze Equipage des Drachen ist gefangen und mit ihr der Herzog von Raumburg, der sich an Bord befindet."

"Wer? Der Herzog von Raumburg!" rief der Großvezier mit jubelndem Tone. "Dieser Fang wiegt ja zehn gewonnene Schlachten auf, wie der Feind auf meine Gefangennahme seine Hoffnung setzte. Beim Propheten, ich gäbe viel, sehr viel darum, wenn er nicht Dein, sondern mein Gefangener wäre!"

"Darüber laß uns später sprechen; vielleicht trete ich ihn Dir ab. Sind unter Deinen Leuten welche, die ein Kriegsschiff zu bedienen verstehen?"

"Sie alle sind gute Seeleute."

"So gehe auf das Deck; Du findest Manu-Remusat am Steuer."

Der Pascha eilte, dieser Aufforderung nachzukommen, dann stieg Katombo hinab zu seinem früheren Kerker, in welchem er den Herzog bereits eingeriegelt fand. Von hier aus führte ein enger Gang zum andern Bord hinüber, wo die Türken gefangen saßen. Er ließ sich von Balduin führen, die drei Araber folgten. Der Schiffsjunge öffnete eine Thür, hinter welcher ein erstickender Dunst hervordrang. Beim Scheine der Laterne erkannte man die Gestalten der Gefangenen, welche auf fauligem Stroh lagen und sich jetzt erhoben.

"Wollt Ihr frei sein?" frug Katombo.

Ein einstimmiges "Ja" erscholl.

"So gelobt mir beim Propheten, daß Ihr mir gehorsam sein wollt, wenn Euer Herr, der Pascha es befiehlt!"

"Wir geloben es!"

"Kommt."

Der lange Zug setzte sich in Bewegung und langte oben auf dem Verdecke an. Die Befreiten wurden nach dem Vorderkastell gewiesen, Katombo wandte sich nach dem Steuer, wo ihm Malek-Pascha die Hand entgegenstreckte.

"Du hast dies Schiff erobert mit Allem, was darauf ist; es gehört Dir. Willst Du mich nach Stambul bringen?"

"Frage Remusat! Was er will, thue auch ich."

"Er hat mir Alles erzählt. Die Gnade des Khedive ist wie der Halm, der sich vor jedem Winde beugt, aber die Gnade Allahs ist ewig und unveränderlich. Mein Bruder Remusat geht mit nach Istambul, dem "Wangenglanz des Weltmanngesichtes", er hat es mir bereits versprochen. Der Großherr wird ihm geben Vergessenheit für die erlittenen Schmerzen."

"Ist es wahr?" frug Katombo den Vater.

Dieser nickte.

"So gehe ich mit, nur möchte ich dann, daß Du mir eine Bitte erfüllst, o Vezier!"

"Sprich sie aus; sie ist erfüllt!"

"Nimm dies Schiff mit Allem, was zu ihm gehört, als mein Geschenk entgegen!"

"Allah illa Allah! Sprichst Du im Ernste?"

"Wie sollte ich mit Dir scherzen!"

"Auch der Herzog gehört mir?"

"Dir und dem Großherrn. Er hat mir meine Jugend vergiftet, die Mutter getödtet und mich hinausgetrieben in die Fremde. Allah gab ihn heut in meine Hand, ich aber schenke ihn Dir, denn das Angesicht des Sultans wird über Dir leuchten in Freude und Segen, wenn Du ihm diesen Gefangenen bringst."

"Sein Angesicht soll auch über Dir erglänzen. Sei mein Sohn, |145A wie Du der Sohn meines Freundes und Bruders bist! Du warst Reïs?"

"Ja."

"Verstehst Du dieses Schiff zu führen?"

Das Auge Katombos leuchtete auf. Er mußte frisch zugreifen, denn hier öffnete sich ihm vielleicht eine glanzvolle Zukunft, wie sie ihm nicht wieder geboten wurde.

"Ich versteh es; frage Remusat!"

"Ich glaube es Dir und werde mich Dir anvertrauen. Du sollst Kapitän des Drachen sein, bis der Großherr etwas Besseres über Dich bestimmt."

"So bitte ich Dich, Deinen Leuten unverzüglich zu sagen, daß sie mir zu gehorchen haben! Es ist hohe Zeit, daß wir die nothwendige Ordnung an Bord erhalten."

"Komm!"

Er schritt ihm voran nach dem Vorderkastell, wo sich die Türken sofort vor ihm zur Erde warfen.

"Liegt im Staube und hört, was ich Euch sage! Dieser Mann ist mein Sohn und Freund; ich übergebe ihm die Leitung des Schiffes, und Ihr habt ihm bei Eurem Leben ebenso zu gehorchen wie mir selbst. Ihr kennt die Bastonnade und die Schlinge! Jetzt sprich Du mit ihnen weiter!"

Er kehrte zum Steuer zurück. Katombo aber rief auch seine Araber herbei und hatte bald seine Dispositionen so getroffen, daß jede Stelle wenigstens nothdürftig besetzt war und er hoffen konnte, Stambul glücklich zu erreichen.

Während dieser Vorkommnisse waren immerhin einige Stunden vergangen. In der ersten Zeit war der Lärm unter Deck in ununterbrochener stürmischer Weise erschollen; dann hatte er sich nach und nach vermindert, und endlich war es ruhig geworden. Die Überlisteten hatten eingesehen, daß sie an ihrer Lage nichts zu ändern vermochten.

Jetzt hellte sich der Osten, zum Zeichen, daß der Tag heranzubrechen beginne, und die Maschinisten stiegen zum Feuerraume hinab, um dem Schiffe Dampfkraft zu geben. Für Ayescha war das Zelt aus dem Sandal heraufgeholt und auf dem Quarterdecke aufgerichtet worden; Katombo stand neben demselben. Manu-Remusat hielt immer noch am Steuer, und Malek-Pascha hatte sich in die Kapitänskajüte zurückgezogen, welche, als die beste und eleganteste Räumlichkeit, ihm zum Aufenthalte dienen sollte.

Da trat Ali herauf zu Katombo.

"Sihdi, da unten pocht Einer immerfort und will mit dem Kapitän reden, dort wo die Offiziers stecken!"

Ali war Bootsmann geworden und that sich nicht wenig auf diese Würde zu gut.

"Rufe die Leute, die nicht beschäftigt sind, unter die Waffen, und dann wollen wir öffnen."

Die Waffen waren bereits vertheilt worden und nach wenigen Augenblicken marschirte eine stattliche Reihe Seemänner vor den Kajüten auf.

"Ali, öffne!" befahl Katombo.

Die Handspeichen wurden fortgenommen und die Nägel entfernt. Sofort trat der Kapitän hervor, gefolgt von sämmtlichen Offizieren. Sie hatten sich Alle bis an die Zähne bewaffnet, mußten aber einsehen, daß ein Widerstand ohne Hilfe ihrer eingeschlossenen Mannschaften ein gleich von vorn herein verunglücktes Unternehmen sei.

Daß etwas einer Meuterei oder einer Empörung Ähnliches vorliege, hatten sie sich wohl denken können, wie die Verhältnisse aber eigentlich und wirklich standen, das hatten sie sich natürlich nicht sagen können. Katombo hatte die Uniform ab- und seine Kleider wieder angelegt. Die Haltung welche er einnahm, mußte ihnen sagen, daß er der Mann sei, an den sie sich zu wenden hatten.

Die Offiziere blieben halten, der Kapitän trat vor.

"Wo ist Seine Durchlaucht der Herzog von Raumburg?"

Katombo lächelte überlegen.

"Sie stehen nicht an dem Platze, welcher Sie berechtigen könnte, irgend eine Frage an mich, den gegenwärtigen Kommandeur des "Drachen" zu richten. Das Schiff ist seit einigen Stunden Eigenthum meines Kriegsherrn, des Sultans von Stambul, und ich an Ihrer Stelle würde vorziehen, das Weitere ruhig abzuwarten. Dennoch will ich ausnahmsweise Ihre Frage beantworten: Malek-Pascha ist frei, Raumburg aber befindet sich jetzt in demselben Käfige, in welchen Sie mich einsperren zu lassen beliebten."

"Der Herzog - in diesem Loche!"

"Der Schuft - in diesem Loche! wollen Sie wohl sagen. Es haben bessere Männer dort gesteckt, wie ich mich selbst überzeugt habe, wenn auch nur für wenige Stunden, und zwar nicht nur als politische, sondern sogar auch als Kriminalgefangene, wie Sie sich entsinnen |145B werden. Auch Sie sind Gefangene, und zwar die meinigen, und es steht ganz in Ihrem Belieben, ob Ihre Lage leicht oder schwer zu ertragen sein wird. Geben Sie Ihre Waffen ab!"

Die Herren blickten einander fragend an, dann schnallte der Kapitän seinen Säbel ab und entledigte sich des Messers und der Pistolen. Die Übrigen folgten seinem Beispiele.

"Sie werden hier ruhig und im Gliede warten, bis ich Ihre Räume besichtigt habe. Wer eine verdächtige Bewegung unternimmt, wird erschossen!"

Er verschwand mit Ali in den Kajüten, und es dauerte sehr lange, ehe er zurückkehrte. Als dies geschah, trug der neue Bootsmann einen ganzen Pack von allerlei Effekten auf den Armen.

"Ich habe mir erlaubt mir Einiges auszusuchen, dessen Sie vorläufig nicht mehr bedürfen - Depeschen und Instruktionen, die für uns von großer Wichtigkeit, für Sie aber von keinem Belange mehr sind. Folgen Sie diesem Manne; er wird Ihnen diejenigen Räume anweisen, welche ich für Sie bestimme!"

Ali legte den Pack ab und führte sie zurück. Sie wurden eingeschlossen und erhielten nur die Hälfte des Platzes, den sie früher innegehabt hatten; den übrigen nahm Katombo für sich, Ayescha und Manu-Remusat in Anspruch.

Jetzt mußte Ali die konfiszirten Schriftstücke zu Malek-Pascha in die Kajüte tragen; dann wurden die Luken geöffnet, um mit den gefangenen Mannschaften zu verhandeln. Dies war eine nicht leichte Aufgabe, aber sie wurde zwar erst nach längerer Zeit aber endlich doch zur Zufriedenheit gelöst. Die Leute mußten ihre Waffen abgeben und blieben eingesperrt. Diese Maßregel war sehr nothwendig bei der geringen Anzahl von Männern, welche Katombo zur Verfügung standen.

Während dieser ganzen Zeit hatte sich der Großvezier nicht blicken lassen; die Papiere mußten von außerordentlicher Wichtigkeit für ihn sein. Nun aber kam er auf das Verdeck und schritt mit einer Miene auf Katombo zu, in welcher die hellste Genugthuung erglänzte.

"Allah ist mit Dir und Deiner Hand, denn wo Du hingreifst, da sprießt die Blume des Segens hervor. Die Instruktionen, welche Du gefunden hast, sind mehr als zehntausend Beutel werth. Wir haben heut den Feind besiegt zu Lande und zur See, ohne daß wir eine Schlacht geschlagen oder auch nur einen Mann verloren hätten. Im Gegentheile, wir haben einen gewonnen, nämlich Dich, dem alle Ehren offen stehen, welche die hohe Pforte zu vergeben hat. Ich sage noch einmal: sei mein Sohn! Willst Du?"

"Ich will."

"Und trage von jetzt an den Namen, den mein Erst- und Einziggeborener trug, bevor ihn der Engel des Todes zu sich nahm!"

"Welchen?"

"Den Namen Nurwan. Darf ich Dich so nennen?"

"Herr, ich bitte Dich darum!"

"So lasse Allah seinen Segen leuchten über Dir auf allen Deinen Wegen. Du hast mir das Leben und die Freiheit wiedergegeben, hast dem Großherrn den Sieg gebracht; es warten Deiner große Ehren und Würden, doch bleibe immer so kühn und stark, so treu und wahr, als ob Du lebtest auf der einsamen Insel, zu welcher Du mit Manu-Remusat und Deinem Weibe gehen wolltest. Und hast Du dann noch einen Feind, Allah inhal, der Herr verbrenne ihn!" - - -


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