Fünftes Kapitel.

An der Grenze.

Das Königreich Norland wird von dem Nachbarstaate Süderland durch ein Gebirge getrennt, welches in zwei parallelen Systemen von Westen nach Osten streicht. Sich nach und nach aus tiefen, sumpfigen Niederungen erhebend, steigt es in seiner mittleren Region viele tausend Fuß hoch über die Wolken empor und senkt sich dann allmählig zur Küste des Meeres hinab, um sich seinen felsigen Fuß von den Wogen desselben bespülen zu lassen. Nur einige schmale, schwer wegsame Pässe öffnend, bilden die beiden Hauptzüge zwischen sich eine langgezogene Reihe von Thälern und Schluchten, in welche der erwärmende Strahl der Sonne nur am hohen Mittag zu dringen vermag. Aus ihrem feuchten Grunde steigen düstere Tannen- und Föhrenwälder empor, welche nur selten der menschliche Fuß betritt, und läßt sich je einmal das Geräusch von Schritten vernehmen, so wird es verursacht von einem einsam revierenden Forstbeamten, einem verborgen dahinschleichenden Wildschützen oder einem Schmuggler, der es bei diesem Terrain wohl wagen darf, seinem verbotenen Gewerbe selbst am Tage nachzugehen.

Zuweilen allerdings geschieht es, daß er sich nicht allein befindet; es kommt vor, daß sich aus Rücksichten des Geschäftes und der Sicherheit Mehrere an einander schließen, die dann, wohl bewaffnet und mit schweren Paketen beladen, in einer langen und weiten, Intervalle bildenden Reihe über Berg und Thal, durch Busch und Dorn dringen und jederzeit bereit sind, die ihnen anvertrauten Waaren gegen jeden Angriff zu vertheidigen.

Diese Schmuggelei ist eine leicht zu erklärende Folge des heftigen Zollkrieges, welcher zwischen den beiden Nachbarstaaten geführt wird. Im Besitze ganz gleicher Hilfsmittel und an einem und demselben Meere liegend, haben sie einander stets rivalisirend gegenübergestanden. Zwar hat es nicht an wohlgemeinten Versuchen gefehlt, ein freundlicheres Verhältniß herbeizuführen, doch haben derartige Bemühungen immer nur einen momentanen Erfolg gehabt, da bei den beiden Nachbarvölkern eine gegenseitige Abneigung in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint, ihre Interessen |35A schwer zu vereinigen sind und die absolute Regierungsform hüben und drüben den Nationen keine Einrichtungen bietet, an der Politik des Herrscherhauses und der Verwaltung des Landes in der Weise theilzunehmen, welcher es möglich sein würde, eine dauernde Inklination heranwachsen zu lassen.

Max Joseph, König von Süderland, ist ein Regent, welcher die Traditionen seiner Dynastie in ihrem ganzen Umfange aufrecht zu erhalten weiß, alle Zweige der Administration um seine Person gruppirt, keinem Menschen Einsicht in seine Intentionen gestattet und das "l'état c'est moi" jedem seiner Worte und jedem seiner Befehle aufzudrücken gewohnt ist. Seine Minister sind weniger seine Berather, als vielmehr seine Diener im engeren Sinne des Wortes; er hat nie einen derselben mit besonderem Vertrauen beglückt, und wie er ein in sich abgeschlossener Charakter ist, so bleibt auch sein ganzes Bestreben darauf gerichtet, eine Schutzmauer um sein Volk zu ziehen, um dasselbe unabhängig von äußeren Einflüssen zu machen und es gegen jede von daher kommende Gefahr gerüstet zu sehen.

Dieses defensive Verhalten wird wohl auch mit bedingt durch die nachbarliche Politik, welche seit einigen Jahrzehnten offenbar als eine offensive bezeichnet werden muß und deren Vertreter kein Anderer als der Herzog von Raumburg ist.

Wilhelm der Zweite, König von Norland, ist ein Herrscher von so wohlmeinenden Gesinnungen, wie sie in solchem Umfange wohl keiner seiner Vorfahren aufzuweisen hatte. Leider läßt die Güte seines Herzens nicht Raum genug für die strenge Energie, welche ein Mann besitzen muß, in dessen Hände die größten und schwierigsten Aufgaben staatlicher Entwicklung gelegt sind. Die Güte, welche den Einen beglückt, scheint den Andern zu benachtheiligen, kränkt ihn vielleicht wirklich in seinem Rechte, und so kommt es, daß ein Theil der Bevölkerung den väterlichen Herrscher vergöttert, während der andere Theil in stillem, verborgenem Mißmuthe sich nach Veränderungen sehnt, die nur die Selbstsucht, der kurzsichtige persönliche Egoismus herbeiwünschen kann.

Das Königshaus repräsentirt die ältere Linie seiner Dynastie; die jüngere bildet das herzoglich Raumburgische Geschlecht. Nach alten, unumstößlichen Bestimmungen tritt das Letztere in die Herrschaft ein, wenn die ältere Linie aussterben sollte. Gegenwärtig ist dazu alle Hoffnung, oder nach einer andern Lesart, alle Befürchtung vorhanden. Das Königspaar wurde mit keinem Thronfolger gesegnet; das einzige Kind, eine Tochter, starb bereits einige Tage nach der Geburt. Der Herzog von Raumburg, welcher mit dem Könige zugleich erzogen wurde, besaß zu aller Zeit das unbeschränkte Vertrauen desselben, hat sich dasselbe nutzbar zu machen gewußt, nennt sich den eigentlichen Herrscher des Landes und erwartet nur das Ableben des Königs, um sich selbst oder seinen Sohn auf den Thron zu setzen. Er hat es ganz vortrefflich verstanden, die Fäden der Administration in seiner Hand zu vereinigen, die Militärmacht sich zu unterstellen und auch auf die diplomatischen Beziehungen zu dem Auslande den weitgehendsten Einfluß zu gewinnen. Dieser Einfluß trägt die alleinige Schuld an dem bisherigen unerquicklichen Verhältnisse zu dem Nachbarstaate, und daher erregte es nicht geringe Verwunderung, als man vernahm, nur seiner Vermittlung sei der gegenwärtige Besuch des Kronprinzen von Süderland mit der Prinzessin Asta zu verdanken. Daß dieser Besuch einen politischen Hintergrund habe, war nicht zu bezweifeln, und man erwartete mit allgemeiner Spannung die Zeit, in welcher derselbe auch gewöhnlichen Augen sichtbar werden mußte.

Es war am Nachmittage. Zwei Wanderer schritten auf der schmalen, holperigen Gebirgsstraße dahin, welche von der See heraufkommt und sich zwischen den finstern Gebirgsblöcken dahinwindet wie das Bette eines ausgetrockneten Baches, aus welchem man nur die größeren Felsblöcke entfernt hat, um ihn für den Fuß des Wanderers gangbar zu machen. Sie schienen alte Bekannte zu sein, obgleich zwischen ihrem Äußeren der größte Unterschied herrschte, den man sich nur denken kann.

Der Eine war eine hohe, fast mehr als breitschulterige Figur. Sein von dichtem Haarwuchse bewaldeter Kopf zeigte ein vom Wetter hart mitgenommenes Gesicht, dessen scharfes, offenes Auge mit den derben, gutmüthigen Zügen sehr glücklich harmonirte. Dieser Kopf war bedeckt von einem Hute, der so alt war, daß man den Stoff, aus dem er gefertigt war, und die ursprüngliche Farbe nur nach einer eingehenden chemischen Untersuchung hätte bestimmen können. Er war in unzählige Knillen und Falten gedrückt, und weil sein Besitzer jedenfalls eine freie Stirn liebte, so hatte er denjenigen Theil der breiten Krempe, welcher bestimmt ist, das Gesicht zu beschatten, einfach mit dem Messer abgeschnitten. Der Oberleib stak in einem kurzen, weiten, seegrünen Rocke, dessen Ärmel so kurz waren, daß man den vorderen Theil der sauber gewaschenen Hemdärmel |35B sah, aus denen ein paar braune, riesige Hände hervorblickten, deren je eine recht gut einen nicht zu kleinen Präsentirteller hätte vollständig bedecken können. Unter dem breit über den Rock geschlagenen sauberen Hemdkragen blickte ein roth und weiß gestreiftes Halstuch hervor, welches in einen sechs Zoll breiten Knoten geschlungen war, dessen Zipfel weit über die Brust herab bis auf den unteren Saum der blau- und orangekarrirten Weste hingen. Die Beine staken in hochgelben Nankinghosen, welche in fett getheerten Seemannsstiefeln verliefen, in die zur Noth ein zweijähriger Elephant hätte steigen können. Sein Gang schlug herüber und hinüber, von Backbord nach Steuerbord und von Steuerbord nach Backbord, gerade wie bei einem lang befahrenen Matrosen, der während der Dauer von vielen Jahren den festen, sichern Erdboden nicht unter den Füßen gefühlt hat.

Der Andere war eine kleine, schmächtige Figur. Er trug eine rothe phrygische Mütze, unter welcher ein rabenschwarzes Haar in langen Locken hervorquoll. Sein hageres Gesicht war außerordentlich scharf geschnitten und zeigte jenen orientalischen Typus, welchen man besonders an den Zigeunern zu bemerken pflegt. Sein schwarzes, unruhiges Auge wanderte rastlos von einem Gegenstande zum andern, und jeder Zollbreit des ganzen Mannes zeigte jene Unruhe und Beweglichkeit, die dem wandernden Volke der Zigeuner zu eigen ist. Seine Kleidung war einfach, bequem und nicht so auffallend wie diejenige seines gigantischen Reisegefährten, doch trug sein schwankender Gang ganz dieselben Spuren einer zurückgelegten längeren Seereise.

An Alter waren Beide einander ziemlich gleich, und auch nach ihrem Innern schienen sie verwandt zu sein, wie die kameradschaftliche Weise ihrer Unterhaltung zeigte.

"Ein verdammter Weg, nicht wahr, Bruderherz?" meinte der Riese. "Hätte ich gewußt, daß man in diesem Fahrwasser bei jedem Schritte an eine Klippe segelt, so hätte ich einen andern Kurs vorgezogen, wenn wir auch einige Tage später in der Residenz die Anker geworfen hätten."

"Ich muß herauf in das Gebirge," antwortete der Kleine. "Hättest Du die Bahn benützt, so wärest Du in einem halben Tage an Ort und Stelle gewesen."

"Die Eisenbahn? Hat Dich der Klabautermann gebissen, he? Soll ich etwa meinen Leichnam in eine Koje stecken, in der man weder stehen, noch sitzen, noch liegen kann und wo noch zehn Andere hocken, so daß ich meine armen Beine geradezu zum Fenster hinausrecken müßte? Und meinst Du wirklich, daß ich so einen braven Maate, wie Du bist, allein in diese Wildniß dampfen lasse, in der er jeden Augenblick Schiffbruch leiden und zum elenden Wrack werden kann? Hast Du mir nicht selbst erzählt, daß es hier eine Menge Ungeziefer gibt, dem nicht zu trauen ist, Schmuggler, Wilddiebe und wie die Piraten und Flibustier alle heißen mögen, denen es möglichen Falles auch nicht darauf ankommt, mit einer Kugel ein ehrliches Menschenkind in den Hafen zu bugsiren, von welchem aus Keiner wieder in See gegangen ist? Nein, wo Du bist, da bin ich auch, ich, der Steuermann Balduin Schubert auf seiner Majestät Kriegsschiff Neptun."

"Gut, Steuermann; wir sind Freunde und werden auf gleicher Länge und Breite bleiben, bis Du wieder an Bord irgend eines Fahrzeuges gehst."

"Ich?" frug Schubert erstaunt. "Nur ich? Ich denke, das thun wir Beide mit einander! Oder hast Du etwa gar Lust, unter das armselige Volk der Landratten zu gehen, die kein Floß von einem Dreimaster unterscheiden können und vor Angst in Ohnmacht fallen, wenn sie einen Tropfen Seewasser sehen?"

"Du weißt es, Steuermann, daß ich die See liebe, obgleich ich auf dem Wasser die schlimmsten Tage meines Lebens verbracht habe. Es ist mein Wunsch, einst auf dem Meere sterben zu können, aber ich weiß heute nicht, ob nicht die Verhältnisse mich am Lande festhalten werden."

"Verhältnisse? Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Was kann es denn für Verhältnisse geben, die Dich, den Bootsmann Karavey, verhindern könnten, wieder in See zu gehen?"

"Dieselben Verhältnisse, welche mich jetzt an das Land und herauf in das Gebirge treiben."

"Ich weiß kein Wort von ihnen. Du nennst mich Deinen besten Freund und hast mir noch kein Wort davon gesagt. Ist das recht, he? Wenn Du nicht augenblicklich den richtigen Faden abwickelst, so verdienst Du, gekielholt oder an den Brahmstängenstag gebunden zu werden!"

"Räsonnire nicht, Alter! Es war bisher niemals die richtige Zeit, von diesen Dingen zu sprechen; jetzt aber sollst Du Alles hören."

|36A "So stoße ab vom Lande!"

"Soll geschehen! Du kennst meine Abstammung und weißt, daß ich ein Gitano bin, der - "

"Papperlapapp! Gitano, Zingaritto, oder Zigeuner, mir Alles gleich. Du bist ein braver Junge, und da frage ich nicht, ob Deine Mutter eine Gräfin oder eine Vagab- wollte sagen, eine Zigeunerin war."

"Das bist Du. Aber außer Dir hat es genug Leute gegeben, welche doch darnach fragen. Mein Vater war Vajda und meine Mutter Vajdzina unseres Stammes. Ich und - "

"Stopp, Alter! Was bedeuten diese fremden Worte, he?"

"Sie heißen zu Deutsch Führer und Führerin. Ich und meine Schwester Zarba waren die einzigen Kinder, |36B welche ihnen Bhowannie gegeben hatte."

"Wieder ein solches Wort, bei dem man in die Zunge einen Knoten machen muß, wenn man es richtig aussprechen will!"

"Bhowannie ist die Göttin unseres Volkes. Zarba war der Liebling des Stammes, die Schönste aller Mädchen, die herrlichste unter den Blumen und Rosen der Erde. Wir waren stolz auf sie und hüteten sie vor den verlangenden Blicken der jungen Männer aller Länder, durch welche wir zogen. Sie war der Born unserer Freuden und der Quell unseres Glückes, denn sie verstand es besser als alle Andern, in die Zukunft zu blicken und die Schicksale der Sterblichen voherzuverkünden."

"Papperlapapp, Alter, das glaube ich nicht! |37A Um das zu können, müßte man allwissend sein, und das ist kein Mensch."

"Um das zu können, Steuermann, braucht man nicht allwissend zu sein. Die Eigenschaften eines Menschen sind ihm an die Stirn geschrieben; man liest sie aus jedem Blicke seines Auges, und man vernimmt sie aus jedem Worte seiner Rede. Verstehst Du das, und weißt Du, wen Du vor Dir hast, so wird es Dir nicht schwer, ihm ein Schicksal zu verkünden, welches sicher eintreffen muß. Zarba war unsere beste Wahrsagerin; sie verdiente für uns Gold und Silber von den Reichen und Speise, Trank und Kleidung von den Andern. Gar viele Jünglinge des Stammes hatten ihre Augen auf sie geworfen, doch sie erhörte keinen, weil ihr Herz nicht sprechen wollte. Da kamen wir in die Residenz, und sie erblickte einen jungen, blanken Offizier, der ihr Herz zur Rede zwang."

"Wer war es?"

"Ein hoher Herr, aber ein Schurke: der Herzog von Raumburg."

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Eine Zigeunerin und ein Herzog! Sie muß ganz verteufelt hübsch gewesen sein."

"Das war sie, Steuermann, und das war ihr Unglück."

"Da hat sie wohl gar geglaubt, Herzogin zu werden?"

"Was er ihr vorgeschwatzt und versprochen hat, weiß ich nicht. Sie aber ließ sich bethören, entfloh von uns und ging zu ihm."

"Habt Ihr sie nicht zurückgefordert?"

"Wir thaten es wiederholt, jedoch vergeblich."

"Da schlage der Blitz in die Kombüse! Wäre ich ihr Vater oder ihr Bruder gewesen, so hätte ich mich Bord an Bord mit dem Herzoge gelegt, ihn geentert, das Mädchen fest ins Schlepptau genommen und wäre dann mit ihr davongesegelt, daß es ihm nicht gelungen wäre, mich wieder einzuholen."

"Stopp, alter Heißsporn! Wollte ein Zigeuner einen Herzog ansegeln, so wäre dies ganz derselbe Wahnsinn, als wenn ein einruderiges Fischerboot eine eisernen Panzermonitor über den Haufen rennen wollte. Wir mußten sie verloren geben und wurden aus dem Lande gewiesen mit der Deutung, daß man kurzen Prozeß mit uns machen werde, falls wir es uns wieder beikommen ließen, die Grenze zu überschreiten. Vater und Mutter starben vor Gram; ich sollte Vajda des Stammes werden, verzichtete jedoch darauf und ließ die Meinigen allein ziehen. Ich blieb zurück, da ich von den sterbenden Eltern die Verpflichtung überkommen hatte, über Zarba zu wachen und sie zu rächen, falls ihr Böses geschehe. Daher kehrte ich trotz aller Gefahr in das Land zurück, ward aber ergriffen und für lange Zeit in das Gefängniß gesteckt. Als ich es verließ, erhielt ich doch meine Freiheit nicht wieder, denn ich wurde auf ein Schulschiff transportirt, welches ich lange Jahre nicht verlassen durfte. Ich wurde zu den niedrigsten Diensten kommandirt, und als man mich endlich auf ein Kriegsschiff versetzte, auf welchem ich als Leichtmatrose angestellt wurde, geschah es unter der strengen Weisung, daß ich niemals die Erlaubniß bekommen solle, an das Land zu gehen. So habe ich ein langes Leben als Gefangener zur See verbracht, bis wir einst geentert wurden und die Flagge streichen mußten. Hierdurch erhielt ich meine Freiheit wieder, nahm bei verschiedenen Nationalitäten Dienste und suchte dabei immer nach einer Gelegenheit, wieder in die Heimath zu kommen, um mit dem Herzoge abzurechnen. Das ist mir jetzt gelungen. Ich habe meinen Namen nicht verändern können, aber das Alter und die Anstrengungen haben das Ihrige gethan; Es wird mich Niemand wiederkennen, und ich kann ohne Sorge ein Land betreten, welches mir bei Todesstrafe verboten wurde."

"Das sind ja ganz verteufelte Geschichten, Bootsmann, die Du mir da erzählst! Es ist Dir verdammt schlimm ergangen, Alter, doch das wird nun wohl anders werden. Ich bin Dein Freund, das weißt Du, und was ich habe, das ist Alles auch Dein Eigenthum. Ich muß Dir nämlich sagen, daß ich Zeit meines Lebens sehr sparsam gewesen bin und ein Sümmchen besitze, um welches mich mancher Mann beneiden würde. Darum meine ich, daß - "

"Stopp, Alter, so ist es nicht gemeint! Ich kann und werde von Dir niemals auch nur einen Pfennig annehmen, denn - "

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, was fällt Dir ein, Bootsmann! Glaubst Du etwa, der Steuermann Balduin Schubert von Seiner Majestät Kriegsschiff Neptun nenne sich den Freund eines braven Mannes, ohne es auch zu sein, he? Als wir im indischen Meere an der Felseninsel strandeten, auf welcher Du als Einsiedler lebtest, hast Du mich alten Narren beinahe aus dem Rachen des Haifisches gezogen, der so ganz absonderlichen Appetit auf mein Fleisch hatte; das konntest Du getrost bleiben lassen, wenn Du jetzt nicht mit mir theilen, sondern lieber verhungern willst!"

"Weißt Du so genau, daß ich hungern werde?"

|37B "Ja! Du hast ja niemals eine Löhnung bekommen, und von den zwei oder drei Schiffen, deren Bord Du nach Deiner Befreiung betreten hast, wird Dir wohl nicht viel klingendes Andenken übrig geblieben sein."

"Von ihnen nicht, aber von der Insel."

"Von der Insel? Wieso?"

"Schau her!"

Der Zigeuner griff unter die Weste und zog ein ledernes Beutelchen hervor, welches er öffnete. Sein Inhalt bestand in Steinen, welche auf den ersten Anblick voll ständig werthlos erscheinen mochten.

"Steine?" meinte der biedere Steuermann kopfschüttelnd. "Was willst Du mit ihnen, he?"

Der Andere lächelte selbstbewußt.

"Für was hältst Du diese Steine?"

"Für - nun, alle Wetter, für Steine natürlich!"

"Das sind sie allerdings, aber was für welche! Hier diese acht sind Diamanten, deren kleinster jedenfalls mehr werth ist, als alle Deine sauer erworbenen Ersparnisse. Die andern sind Rubine, Saphire und Topase, für welche mir jeder Juwelenhändler so viel zahlt, daß ich nicht Noth zu leiden brauche, selbst wenn ich tausend Jahre alt werden sollte."

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter! Ist das wahr?"

"Weßhalb sollte ich Dich belügen?"

"Allerdings! Aber sage, Du Glückskind, wie bist Du denn eigentlich zu diesen Kostbarkeiten gekommen?"

"Das sollst Du ganz gewiß erfahren, doch jetzt ist keine Zeit dazu, denn mir klebt vor Durst und Hunger die Zunge am Gaumen, und dort das einsame Häuschen scheint ein Krug zu sein, in welchem wir bekommen können, was wir brauchen."

"Hast Recht, alter Seebär. Auch mir ist es inwendig wie einem Dreimaster, der ohne Ladung und Ballast auf den Wogen schlingert und jeden Augenblick kentern kann. Ich muß mir irgend Etwas in die Luke gießen und hoffe, daß es nichts ganz Schlechtes sein werde!"

Sie traten in die niedrige und arg verräucherte Gaststube des Kruges und fanden zwei Tische vor, deren einer bereits von zwei Männern besetzt war, welche die Neuangekommenen mit neugierigen Blicken musterten. Die seltsame Kleidung des Steuermanns mochte ihr Erstaunen erregen.

Der Wirth brachte auf Wunsch des Letzteren reichlich Speise und Trank herbei, denen die beiden hungrigen und durstigen Seeleute mit bestem Appetite zusprachen. Als sie nach beendigter Mahlzeit die Messer von sich legten, meinte Schubert, sich behaglich die Magengegend streichend:

"So das wäre geschehen! Und nun sage mir doch einmal, welchen Ort oder welchen Menschen Du hier oben in den Bergen zu suchen hast!"

"Später!" antwortete Karavey einsilbig, indem er einen mißtrauischen Blick auf die Gäste warf, die sich jetzt erhoben hatten, um den Krug zu verlassen.

Sie griffen in die Taschen, um ihre Zeche zu entrichten, und dabei zog der Eine von ihnen einen kleinen, zusammengefalteten Zettel mit hervor, welcher unbeachtet vor ihnen und dem Wirthe zu Boden fiel. Der Wirth begleitete Beide hinaus bis vor die Thür, wo sie noch einige Zeit ein angelegentliches und leise geführtes Gespräch unterhielten. Diese Gelegenheit benutzte Karavey, um das Papier aufzuheben und zu entfalten.

"Was willst Du mit dem Wische, Bootsmann?" frug Schubert.

"Nur sehen, was er enthält. Kannst Du lesen?"

"Nein, nur etwas buchstabiren. Warum?"

"Ich kenne nur die Zeichen der Zigeunersprache. Hier stehen drei Worte. Wie heißen sie?"

"Zeig her. Vielleicht bringe ich sie heraus!"

Er forschte lange auf dem Papiere herum, ehe er begann:

"Ta - ta - tannenschlucht - - Pa - pa - parole - Ka - ka - Karavey - also: Tannenschlucht. Parole: Karavey."

"Karavey? Das ist ja mein Name! Ist es wahr, daß er hier zu lesen steht, Steuermann?"

"Er steht hier!" bekräftigte der gefragte, stolz auf seine Lesefertigkeit.

Der Zigeuner blickte sinnend vor sich nieder. Dann frug er: "Wofür hast Du die beiden Bursche wohl gehalten?"

"Hm, viel Kluges und Ehrbares war es wohl nicht. Sie hatten keine braven Augen."

"Ich halte sie für Pascher."

"Kannst Recht haben, Alter!"

"Dann ist auch der Zettel zu verstehen."

|38A "Wieso?"

"Sie haben in der Tannenschlucht heut ein Geschäft."

"Aber wie kommt Dein Name dazu, als Parole zu gelten?"

"Das ist mir auch ein Räthsel. Es muß Einen unter ihnen geben, der ihn kennt."

"Und dieser Eine muß der Anführer sein, denn nur von diesem wohl wird die Parole ausgegeben."

"Was Du da sagst, ist sehr wahrscheinlich. Weißt Du, daß ich große Lust verspüre, die Tannenschlucht auszusuchen?"

"Heiliges Mars- und Brahmenwetter, bist Du bei Sinnen? Ein guter Bootsmann hält stets die Augen offen; Du aber wärest ja vollständig mit Blindheit geschlagen, wenn Du Dich ohne Ursache mitten unter dieses Volk vor Anker legen wolltest!"

"Und wenn ich nun eine gute Ursache dazu hätte?"

"Wie lautet sie?"

"Das Ziel meiner Wanderung liegt ganz in der Nähe der Tannenschlucht."

"So kennst Du diesen Ort, he?"

"Sehr gut, von meinen früheren Wanderungen her. Eine halbe Stunde oberhalb der Schlucht stand damals ein Häuschen, in welchem unser ständiger Lowenji wohnte."

"Was bedeutet dieses Wort?"

"Es heißt soviel wie Beschützer, Verberger, Verheimlicher - "

"Oder Hehler, Gelegenheitsmacher, nicht?" lachte der Steuermann.

"Auch richtig! Der Gitano ist ein gehetzter Hund, der sich nur wehren kann, wenn er nicht nach dem Gesetze fragt. Sein Lowenji wohnt stets an der Grenze zweier Länder, und die Lowenja, wie wir seine Hütte nennen, darf nie verlassen stehen; sie wird nach seinem Tode sofort mit einem neuen Lowenji besetzt, damit uns nie die Zuflucht und die Hilfe fehlt. Alle seine Geheimnisse erben auf den Nachfolger über, der Alles weiß, was man bei ihm erfragen will."

"Ah, jetzt verstehe ich! Du gehst nicht geraden Weges zur Residenz, sondern hierher, um Dich bei dem Manne nach Deiner Schwester zu erkundigen?"

"So ist es. Die Lowenja ist ganz sicher bewohnt, und ihr Besitzer wird mir wohl Auskunft geben können, wo Zarba jetzt zu finden ist, wenn sie noch am Leben ist. Vielleicht erfahre ich bei ihm auch, was es für eine Bewandtniß mit dieser Losung hat."

"Ist es weit zu ihm?"

"Beinahe noch zwei Stunden."

"So laß uns aufbrechen, damit wir noch vor Nacht dort ankommen!"

Sie bezahlten dem wieder eintretenden Wirthe das Genossene und verließen den Krug.

Die Straße stieg immer höher zwischen den Bergen hinauf; die Gegend wurde wilder und wilder, und als nach anderthalb Stunden der Zigeuner in einen Seitenpfad einbog, schlugen die dunklen Zweige der Tannen und Föhren dicht über ihren Köpfen zusammen. Nach einer beschwerlichen Wanderung gelangten sie an eine mit üppigem Farrenkraut und Dorngestrüpp überwucherte Waldblöße, an deren Rande ein Häuschen stand, dem auf den ersten Blick ein mehr als hundertjähriges Alter anzusehen war.

"Hier ists!" meinte Karavey, indem er über die Blöße hinweg gerade auf die Hütte zuhielt.

"Eine ganz niederträchtige Kabine, Alter," antwortete der Steuermann. "Man sollte meinen, diese Bude brauche kein einziges Segel aufzuhissen, um beim ersten Windstoße wrack zu gehen. Wer da drin wohnt, ist wahrlich nicht zu beneiden!"

Bei der niedrigen Thüre angekommen, klopfte der Zigeuner. Nur auf ein mehrmaliges Klopfen ließen sich schlürfende Schritte vernehmen; es wurde von innen geöffnet, und die Spitze einer fürchterlichen Habichtsnase erschien in dem schmalen Spalt, der vorsichtiger Weise freigegeben wurde.

"Wer ist draußen?" frug eine schnarrende Stimme.

"Wer wohnt hier?" lautete die Gegenfrage des Zigeuners.

"Tirban, der Waldhüter."

"Seid Ihr es selbst?"

"Ja."

"So tretet hervor! Ich habe Euch nach Etwas zu fragen."

"Zu fragen? Das könnt Ihr auch so thun; Ihr werdet meine Antwort auch durch die Spalte hören."

"Dieses Haus ist die Lowenja der wandernden Gitani?"

"Wie meint Ihr das?"

"Ich frage, ob Ihr der Lowenji seid!"

"Hm! Wer seid denn Ihr, und wie lautet Euer Name?"

"Ich heiße Karavey."

"Karavey? Zarba's Bruder, der einst unser Vajda werden |38B sollte und dann auf das große Wasser geschickt wurde, weil sich der Herzog vor ihm fürchtete?"

"Ich bin es!"

Jetzt wurde die Thür vollständig geöffnet, und es zeigte sich eine Gestalt, die man für noch älter als die Hütte hätte halten mögen. Sie war außerordentlich dürr und tief gebeugt; aber die kleinen, listigen Augen blitzten über die fürchterliche Nase hinweg in noch jugendlichem Feuer, und die Bewegung, mit welcher der Alte jetzt hervortrat und dem Angekommenen die skeletartige Hand entgegenstreckte, war schnell und energisch, wie man es bei diesem Alter sicher nicht erwartet hätte.

"Sei mir willkommen, Herr, und Bhowannie segne Deinen Eingang in meine arme Hütte! Wer ist der Mann, der bei Dir ist?"

"Ein Freund, der mir so viel gilt wie ich selber."

"So mag auch er willkommen sein. Tretet ein, und nehmt fürlieb mit dem, was ich Euch bieten kann!"

Sie traten in den engen, niederen Raum, der außer einem armseligen Lager nichts enthielt als einen rohen Tisch und zwei eben solche Bänke.

"Du nanntest den Namen meiner Schwester," begann Karavey, als sie sich niedergelassen hatten. "Lebt sie noch?"

|39A "Sie lebt und ist mächtig unter ihrem Volke."

"Wo werde ich sie finden?"

"In drei Tagen hier bei mir, wenn Du sie hier erwarten willst."

"Das dauert mir zu lang. Wo ist sie jetzt?"

"In der Hauptstadt, wo Du sie erfragen kannst im Hause des Hofschmiedes Brandauer."

"Hat sie einen Mann aus unserem Volke?"

"Nein."

"Oder - oder - Kinder?"

"Nein - ich weiß es nicht."

"Sieh diesen Zettel! Mein Name steht darauf. Weißt Du, auf wessen Befehl?"

Der Alte ergriff das Papier, warf einen Blick darauf und fuhr zurück.

"Von wem hast Du diese Worte?"

"Von zwei Fremden, die sie im Kruge verloren."

"Sie werden ihre Strafe erhalten. Wem am Abende die Ordre fehlt, der hat die ganze Strenge der Vajdzina zu erwarten."

"Wer ist jetzt die Vajdzina und über wen gebietet sie?"

"Das - das wirst Du später erfahren," antwortete Tirban mit einem sprechenden Blicke nach dem Steuermanne.

"Du kannst meinem Freunde ganz dasselbe Vertrauen schenken wie mir. Also, auf wessen Befehl wurde mein Name als Parole gegeben?"

"Auf den Befehl Deiner Schwester."

"Ah!"

Er stieß nur diesen Ruf aus und saß dann eine ganze Weile schweigend und in Nachdenken versunken da. Dann erhob er sich.

"Es ist gut, alter Tirban; ich weiß genug. Das Andere werde ich von Zarba selber hören, die ich in der Schmiede suchen gehe."

"So willst Du mich schon wieder verlassen, ohne mir zu erzählen von dem, was Du bisher erfahren hast?"

"Ja ich gehe. Nun ich erfahren habe, daß sie noch lebt, habe ich keine Ruhe, bis ich sie sehen und sprechen kann. Was meine Erlebnisse betrifft, so - aber, wer ist der Mann, der da auf das Haus zuschreitet?"

Sein Auge war durch das kleine, halb erblindete Fenster auf |39B eine lange, kräftige Gestalt gefallen, welche sich in eiligen Schritten der Hütte näherte. Tirban musterte sie und meinte dann:

"Ich kenne diese Menschen nicht und werde auch nicht öffnen. Er ist kein Mann unseres Volkes und soll Euch nicht hier bei mir sehen."

Der Fremde klopfte an die verschlossene Thür, ohne daß ihm von innen Antwort gegeben wurde. Als auch nach wiederholtem Klopfen Alles ruhig blieb, trat er zum Fenster und rief:

"Tirpan, öffne! Zarpa pefiehlt es."

"Zarba? Es ist ein Bote von ihr. Ich muß ihn einlassen!" meinte der Waldhüter.

Er verließ die Stube und brachte nach wenigen Augenblicken den Mann herein.

"Du kommst von Zarba?" frug er ihn.

"Ja, von Zarpa, die pei uns wohnt."

"Wo ist das?"

"Ich pin Opergeselle pei dem Hofschmiedemeister Prandauer. Hier ist ein Zettel, den sie mit Pleistift geschriepen hat. Kein Mensch kann das verrückte Zeug lesen, sie aper hat gemeint, daß Du schon wissen wirst, was sie meint."

Der Alte nahm den unversiegelten Zettel, schlug ihn auseinander und warf einen Blick auf die seltsamen Charaktere, mit denen er beschrieben war. Während dieser Zeit hatte der Steuermann den Boten scharf fixirt; es war ihm sofort dessen harte Aussprache des B aufgefallen.

"Du bist ein Schmied?" frug er ihn.

"Ja," antwortete der Gefragte, indem er einen verwunderten Blick auf die äußere Erscheinung des Steuermanns warf. "Opergeselle pei dem Hof-, Zeug-, Huf- und Waffenschmiedemeister Prandauer in der Hauptstadt."

"Hast Du noch Eltern?"

"Nein."

"Oder sonstige Anverwandte?"

"Nein. Nur einen Pruder, der auf das Wasser gegangen ist."

"Wie heißest Du?"

"Thomas Schupert ist mein Name. Warum?"

"Und Dein Bruder heißt Balduin?"

"Ja, Palduin. Ich hape ihn wohl an die dreißig Jahre nicht gesehen. Aper wie kannst Du seinen Namen wissen?"

|40A "Weil - weil - Thomas, ich habe Dich sofort an Deiner Sprache erkannt; willst Du mich nicht auch erkennen?"

"Palduin - Palduin Schupert? Ists möglich, Du wärst mein Pruder? Donnerwetter, ist das eine Freude. Komm an mein Herz; komm an meinen Pusen und laß Dich umarmen, wenn Du es wirklich pist, lieper Durchprenner Du!" -


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