VII. [Siebtes Kapitel.]

Schachzüge.

Wieder saßen im traulichen Abenddämmerschein die Gesellen vor der Schmiede und in ihrer Nähe die lauschenden Lehrbuben. Drin im Hause war Alles ruhig, obgleich einige durch die Lädenritzen fallende Lichtstrahle verriethen, daß die Zimmer nicht vereinsamt seien.

"Ich möchte nur wissen, pei welcher Waffe er gedient hat," meinte Schubert. "Er hat so etwas Liepes und zugleich Vornehmes an sich, und ich verwette ein Dutzend Ampalema gegen eine einzige Pfälzer mit Märker Einlage, daß er pei der Kavallerie gestanden hat."

"Das ist nicht am Den!" antwortete einfach Baldrian, der Grenadier.

"Nicht? Warum nicht, Paldrian? Meinst Du vielleicht, daß er Offizier bei der Linie gewesen ist?"

|45A Baldrian nickte mit dem Kopfe.

"Das pilde Dir nicht ein, denn zur Linie hat er ein viel zu noples Exterieur, wie wir Kavalleristen zu sagen pflegen."

"Ja, die Kavallerie hat viel Exterieur," meinte Heinrich, "nur müssen die Pferde gewaschen und die Leute gestriegelt worden sein! Wie könnt Ihr nur denken, daß der Hauptmann von Wallroth bei der Reiterei oder gar bei der Linie gestanden hat! Daß er ein gelehrter und außerordentlich tüchtiger Herr ist, das sieht man ihm ja schon von Weitem an, und da ist es ja gar nicht anders möglich, als daß er bei der Artillerie befehligt hat. Sie bedarf der besten Offiziere. Eine Flinte ist bald abgedrückt, und mit einem Käsemesser hauen und stechen, dazu gehört nicht viel; aber eine Kanone richtig zu bedienen, das erfordert schon etwas, und von einem einzigen guten Schusse hängt oft das Schicksal einer ganzen Schlacht ab."

"Du pist nicht recht pei Troste!" widersprach Thomas. "Wie kann das Schicksal einer Schlacht von einem einzigen Schusse aphängen!"

"Das verstehst Du nicht. Ich kann davon ein Beispiel erzählen. Nämlich vor elf Jahren in der Schlacht bei Bartlingen machten wir die letzte Anstrengung, den Feind zu stürzen. Sämmtliche Reserven hatten bereits in die Aktion eingegriffen; es stand Alles auf dem Spiele; wir waren auf der ganzen Linie im Avanciren, aber der Gegner hatte noch frische Kräfte zur Verfügung, und wenn er diese herbeizog, so mußten wir zurück und hatten die Schlacht verloren. Der Herzog von Raumburg, - man mag von ihm sagen, was man will, ein tüchtiger Feldherr ist er ohne Zweifel - hielt neben unserer Batterie auf einer Anhöhe und beobachtete durch das Fernrohr den feindlichen Oberstkommandirenden. Da plötzlich drehte er das Pferd zu mir herüber. "Heinrich Feldmann," sagte er, "Du bist der beste Artilleriste meiner Armee; siehst Du ganz da drüben den feindlichen Adjutanten reiten?"

"Zu Befehl, Generalissimus!" antwortete ich.

"Er hat die schriftliche Ordre zu überbringen, daß die Reserve vorgehen soll; sie steckt in seiner Satteltasche."

"Soll ich sie ihm herausschießen, Excellenz?" frug ich.

"Ja, doch schone den Mann und das Pferd. Er hat Sympathien für uns und hält sehr viel auf das Thier!"

"Wird gemacht, Durchlaucht!" Ich lade also sorgfältig und richte den Lauf meines Geschützes. Donnerwetter, der Kerl ist nur noch hundert Schritte vom Walde entfernt, und zwischen ihm und dem dichten Gebüsch liegt ein Wirthshaus, hinter welchem er vorüberreiten muß! Was thun? Es gibt nur eine Möglichkeit: Das Parterre des Hauses besteht aus einer einzigen Stube; man kann von vorn hinein und hinten durch die Fenster wieder heraussehen. Ich visire genau, der Reiter verschwindet hinter dem Hause, ich protze ab - die Kugel geht durch die beiden Fenster und reißt hinter dem Hause dem Adjutanten die Satteltasche in Stücke. Die Schlacht wurde gewonnen, und als ich am andern Morgen in das Wirthshaus kam, sah ich erst genau, welch einen Meisterschuß ich gethan hatte. Nun, meint Ihr noch immer nicht, daß das Schicksal einer Schlacht von einem einzigen Schusse abhängen kann?"

|46A "Lüge Du und der Teufel!" antwortete Thomas erbost über die Kühnheit des Artilleristen, ihm eine solchen Bären aufzubinden. "Du pist der unverschämteste Aufschneiter, den ich in meinem Lepen gesehen hape."

"Ja, das ist am Den!" stimmte Baldrian bei. -

"Glaubt, was Ihr wollt; es fällt mir gar nicht ein, zwei dumme Köpfe klug machen zu wollen! Aber das ist sicher, daß der Hauptmann von Wallroth bei der Artillerie gestanden hat, denn ich kenne ihn von meiner Dienstzeit her und sehr genau. Zwar führte er nicht meine Batterie, aber er war ein Liebling seiner Oberen und auch seiner Untergebenen. Dann verschwand er plötzlich, und ich habe ihn seit jener Zeit jetzt zum ersten Male wiedergesehen."

"Wo mag er wohl herstammen?" frug Thomas.

"Das weiß Niemand," antwortete Heinrich; "geht mich auch gar nichts an. Nur das fällt mir auf, daß er so vertraut mit der Zigeunerin ist."

"Mit der Zarpa? Das ist wahr. Wie mag er wohl mit diesem Weipsen zusammengekommen sein? Das ist nämlich eine Hexe, die ich sehr genau kenne. Ich hape sie erst kürzlich peopachtet, als - - Donnerwetter, was pin ich doch für ein Esel!"

"Was, Du kennst die Zigeunerin? Wo hast Du sie gesehen?"

"Darum hast Du Dich nichts zu pekümmern, denn ein Gelpschnapel wie Du praucht nicht Alles zu erfahren."

"Das ist am Den," bestätigte Baldrian höchst trocken.

"Richtig, alter Grenadier!" antwortete Heinrich. "Seit die ganz besondere Gunst des jungen Herrn auf den Kavalleristen gefallen ist, kann es mit Euch Beiden kein Mensch aushalten; der Grenadier beißt, der Kavallerist schlägt aus, und der Artillerist - pah, der läßt sie machen, was sie wollen. Er geht zu seiner Barbara Seidenmüller."

Er erhob sich lachend und ging. Thomas schien sich aus seiner Entfernung nicht viel zu machen.

"Laß ihn laufen, Paldrian," meinte er; "nun können wir ungestört mit einander sprechen. Hast Du die Zarpa wirklich noch nicht gesehen?"

"Nein."

"Ich hape sie zum ersten Male gesehen, als ich mein Gesellenstück |46B hier peim Meister machte. Das war ein sehr pewegter Tag und ein noch viel pewegterer Apend. Ich hatte vom frühen Morgen an tüchtig gearpeitet und freute mich auf die Ruhe; aper ich mußte dreimal hinüper nach dem Palaste des Herzogs, um die Zigeunerin zu holen und - - -"

"War sie denn beim Herzog?" fragte ganz erstaunt der sonst so wortkarge Baldrian.

"Natürlich. Sie war seine Geliepte; sie hatte es ihm angethan; sie hatte ihn verhext und verzaupert, so daß er ohne sie nicht lepen konnte."

"Was sollte sie denn hier?"

"Das weiß ich heute noch nicht. Die Meisterin pekam den jungen Herrn, der damals natürlich noch nicht der junge Herr war, und kaum war ihre Stunde vorüper, so mußte ich die Zarpa holen, die mit dem Neugeporenen wohl eine halpe Stunde lang fort war, ehe sie ihn wieder prachte. Sie war damals ein Mädchen, wie es keine zweite giept, und ich selpst hätte mich in sie verschameriren mögen, wenn ich mich nicht so sehr vor ihrer Zauperei gefürchtet hätte. Später war sie auf einige Jahre verschwunden; nachher kehrte sie einmal auf einen Tag hier ein; das war gerad, als ich den Meister auf Urlaup pesuchte, und seit dieser Zeit hat sie sich pis auf den heutigen Tag nicht wieder sehen lassen."

"Hm, das ist am Den!"

"Ja, das ist gewiß und wahrhaftig am den, und ich pin wirklich pegierig, was sie hier vorhat. Sie ist von Allen empfangen worden, als op sie der liepe Gott selper sei. Jetzt sitzen sie drin und sprechen so leise, als op die größten Staatsgeheimnisse verhandelt würden. Horche nur einmal an den Laden; Du hörst gewiß kein Wort von dem, was in der Stupe gesprochen wird!"

Allerdings war von außen kein Wort zu vernehmen; doch hatte das seinen Grund einfach in dem Umstande, daß in der Stube nicht gesprochen wurde.

Mutter Brandauer saß am Tische und strickte, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Sie zeigte bei dieser Beschäftigung einen Eifer, als gelte es, die Welt mit ihren Maschen glücklich zu machen. Der Schmied hatte die Hauspostille vor sich liegen und that, als ob er lese, und im dunkelsten Winkel des Zimmers saß Zarba und rauchte aus demselben kurzen Stummel, den sie auch in dem Arbeitskabinet des Herzogs in Brand gesteckt hatte.

|47A Wäre es heller gewesen, so hätte man ein eigenthümliches, aber wohlwollendes Lächeln bemerken können, mit welchem sie die beiden stillen Menschen beobachtete.

Endlich schlug Brandauer das Buch zu und warf einen fragenden Blick auf die Hausfrau, welche denselben bejahend erwiderte. Er stand auf, holte sich die lange Pfeife, stopfte sie sich mit jener Umständlichkeit, welche darauf ausgeht, sich einen wirklichen Genuß zu verschaffen, und griff dann zum Fidibus; dann schob er, einige tüchtige Rauchwolken ausstoßend, den Tabakskasten nach derjenigen Seite des Tisches, welche der Zigeunerin zugekehrt war, und meinte:

"Nimm Tabak, Zarba, wenn Du fertig bist."

"Danke, Meister! Eure Sorte paßt mir nicht."

"Hast wohl etwas Feineres?"

"Möglich! Die Zingaritta raucht ein Kraut, welches nur Fürsten bezahlen können."

"Oh! Woher beziehst Du es?"

"Es kommt aus dem Morgenlande und wächst zwischen den heimathlichen Bergen der Boinjaaren. Dort an den Abhängen des Pandjköra gehen die Jungfrauen, wenn der Mond das Herz des Krautes bestrahlt, beim Sternenscheine hinaus auf das Feld, um mit zarten Händen die Herzblätter einzusammeln, die man dann am großen Tage der Göttin zum Tempel bringt, damit der Geist der Zukunft auf sie niedersteige. Wer dann die Düfte dieses Krautes trinkt, über den kommt die Gabe der Weissagung, daß er die Sprache der Sterne versteht und weiß, was die Linien der Hand bedeuten."

"Rauchtest Du das Kraut auch als Mädchen?"

"Nein."

"Aber Du hattest doch die Gabe der Weissagung reichlicher als alle die Deinen!"

"Ich hatte der Gaben noch mehrere," antwortete sie ausweichend und mit düsterer Miene; "sie sind verschwunden, und mit ihnen ist hin die Jugend und das Glück. Zarba säete Liebe und erntete Haß, sie gab Glück und Seligkeit und nahm Spott und Verachtung dafür hin. Ihr Lachen hat sich in Weinen verkehrt, ihre Liebe ist zur Rache geworden; ihr Himmel heißt Hölle, ihr Segen wurde Fluch, und ihre Schritte verklingen im tiefsten Schatten der Nacht. Im Dunkel ihres Lebens leuchtet nur ein Licht, der Stern der Rache und der Vergeltung."

"Das klingt schlimm, Zarba, so schlimm und traurig, als hättest Du keine Freunde, welche Deiner in Liebe gedenken!"

"Freunde? Wo sind sie, und wie heißen ihre Namen?"

"Denkst Du nicht an uns?"

"An Euch? Seid Ihr meine Freunde?"

Ihr Auge funkelte unter den tiefen Höhlen hervor, und ihr Angesicht nahm den finstersten Ausdruck an, der ihr möglich war.

"Meinst Du vielleicht das Gegentheil?"

Sie schwieg eine Weile; dann entgegnete sie:

"Der Sohn dieser Erde spricht von Liebe; er glaubt an sie und opfert ihr sein Leben, und doch ist sie ein Gespenst, welches schrecklich anzuschauen ist, wenn sie die gleißende Hülle von sich wirft, denn ihr Name heißt - Selbstsucht. Euer Gott schuf und liebt die Menschen, um von ihnen angebetet zu werden; die Erde liebt die Sonne, weil sie sich an ihren Strahlen wärmt; das Kind liebt die Eltern, weil es von ihnen Alles empfängt, was es bedarf; die Eltern lieben das Kind, weil es Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blute ist; der Gatte liebt die Gattin, weil er durch sie glücklich werden will, und der Freund liebt den Freund, weil er seiner bedarf. O, ich kenne Eure Liebe, ich kenne Eure Hingebung, Eure Opferfreudigkeit! Eure Liebe hat mir das Herz aus dem Leibe gerissen, ich aber habe ihr den Schleier zerfetzt, hinter welchem sie ihr häßliches Angesicht verbirgt!"

"Zarba, Du hast nicht - -"

"Seid still! Ihr seid ein Mann und - ein Christ, und - ich hasse Beide!"

"Willst Du unsere heilige Religion schmähen, Zarba?"

"Schmähen? Nein - aber den Vorhang will ich heben, hinter welchem sie sich verbirgt. Was ist die Liebe, von welcher Euch gepredigt wird? Feindseliger Haß und tödtliche Selbstsucht. Wer nicht an Eure Satzung glaubt, wird verdammt. Was ist Eure Inquisition? Was ist Eure Mission? Auf blutigem Bahrtuche tragt Ihr Euren Glauben von Land zu Land, von Volk zu Volk; Ihr nehmt den Nationen das Hirn aus dem Kopfe und das Mark aus den Knochen, und doch - geht zu Denen, welche Ihr Heiden nennt, und seht, wo die Sünde ärger und raffinirter wüthet, bei ihnen oder bei Euch! Liebe? Ich kenne sie nicht, aber den Haß, die Vergeltung, die Rache kenne ich. Ihr handelt nach gleißnerischen Sätzen, welche feig und lügnerisch sind, uns aber lehrt Bhowannie, dasselbe zu thun, was |47B an uns gethan wird; sie ist die unerbittliche Göttin der Rache, und ihr diene ich, so lange noch eine Faser an meinem Leibe ist!"

Der Schmied schwieg. Er hatte das Gefühl, als sei dies das Beste, was er jetzt thun könne. Nach einer Pause fuhr die Zigeunerin fort:

"Doch unsere Gottheit ist gerecht; sie vergilt auch das Gute, obgleich es niemals aus Liebe, sondern aus Eigennutz geschieht. Brandauer, erinnert Ihr Euch des Tages, an welchem die Zigeunerin Zarba aufgegriffen wurde und als Hexe in das Wasser geworfen werden sollte?"

Er nickte zustimmend mit dem Kopfe.

"Sie wäre sicher ersäuft worden, obgleich sie jung und schön war wie keine Eures Volkes. Da aber drängte sich ein starker Mann durch die Menge, faßte sie und sprang mit ihr in einen Kahn und brachte sie an das andere Ufer, wo er sie in seinem Hause versteckte viele Tage lang. Brandauer, kennt Ihr den Mann?"

Er lächelte.

"Es war nicht viel, was er that, Zarba."

"O doch! Es war ja das Höchste, was er für mich thun konnte, denn er rettete mir mein Leben. Und das hat Zarba nie vergessen. Sie spricht täglich von ihm zu Bhowannie, und die Göttin breitet ihre Hände aus über sein Haupt und sein Haus, daß Glück in seinen Mauern wohne und Segen walte auf Allem, was er beginnt und vollbringt. Das Alter hat mir den Nacken gebeugt, den Rücken gekrümmt, das Antlitz durchfurcht und die Haare gebleicht; Zarba ist die verachtete, die häßliche Zigeunerin, vor welcher die Kinder fliehen und die Großen sich scheuen; aber ihre Hand ist mächtig und ihr Arm stärker als derjenige eines Fürsten. Wen sie haßt, den kann sie verderben, und wen sie liebt, dem bringt sie Glück und Wonne. Sie kann Herzöge entthronen und Könige einsetzen, wenn sie will, und - - -"

"Zarba - - -!"

"Du zweifelst?" Sie erhob sich und trat nahe an den Tisch heran. Das Licht fiel jetzt voll und hell über ihre Gestalt, und in seinem Schimmer funkelten ihre Augen wie schwarze Diamanten, welche in der Fülle des eingesogenen Strahles im Dunkel erglänzen. "Soll ich es Dir beweisen, Brandauer? Erinnerst Du Dich jener Nacht, in welcher Dein Weib in ihren Schmerzen lag und Ihr zu mir schicktet, weil Ihr an die Kunst der Zigeunerin glaubtet? Sie gebar ein Knäblein, und ich ging mit ihm hinaus unter die Sterne, um Bhowannie zu befragen, welches das Schicksal des Kindes sein werde. Ihr wolltet eine Antwort auf diese Frage, doch ich mußte schweigen, denn es war Großes und Unglaubliches, was ich erfuhr. Ich vertröstete Euch auf spätere Zeiten, und Ihr wartetet bis heut vergebens auf den Spruch, den ich Euch zu bringen habe. Das Knäblein ist zum Manne geworden, und - - -"

Sie wurde unterbrochen. Die Thür öffnete sich, und Max trat ein. Schnell auf ihn zutretend erfaßte sie seine Hand und zog ihn zum Tische.

"Das Knäblein ist zum Manne geworden," wiederholte sie und fuhr dann fort: "zum starken Manne, der mich beschützte und mir den Sohn wiedergab, der mir bereits verloren war, und nun kommt über mich der Geist der Vergeltung, welcher mir den Mund öffnet, zu reden von dem, was ich bisher verschweigen mußte."

Sie erhob die Hand und legte sie ihm, der gar nicht wußte, wie ihm geschah, auf das Haupt.

"Hört, was ich Euch sage! Es ist so gut, als ob Euer Gott vom Himmel stiege und meine Worte spräche: Dieses Haupt ist bestimmt, eine Krone zu tragen; diese Faust wird halten das Scepter, und von diesen Schultern wird wallen der Mantel des Herrschers. Der Sohn des Schmiedes wird ein König sein unter den Mächtigen der Erde. Ich sehe sie kommen, die Großen und die Kleinen, um ihre Kniee zu beugen und ihm zu huldigen, wie es jetzt thut Zarba, die Zigeunerin!"

Sie kniete vor ihm nieder, drückte ihre Stirne auf seine Hand, erhob sich dann und hatte mit zwei schnellen Schritten das Zimmer verlassen.

Sohn und Eltern blickten sich überrascht an. Sie wußten, daß Zarba keine Gauklerin sei, und so war ihr Erstaunen über diese Prophezeiung kein geringes.

"Was war das?" meinte Max. "War sie betrunken?"

"Nein, und doch kommt sie mir so vor," antwortete der Vater. "Ich weiß, daß sie großen Scharfsinn besitzt und aus der äußeren Erscheinung eines Menschen Manches schließt, woran ein anderes Menschenkind nicht denken würde. Dazu kommen die eigenthümlichen Ereignisse am Tage Deiner Geburt, Max, über welche sie uns bis heut die Aufklärung schuldig geblieben ist; ich erwartete, nichts Gewöhnliches von ihr zu hören; aber das, was sie jetzt sagte, ist unglaublich, so unglaublich, daß man wahnsinnig sein |48A müßte, um es für Wahrheit zu halten. Und doch weiß sie stets ganz genau, was sie thut oder redet - - -!"

"Sie wird mit ihren Worten einen Zweck verfolgen, welcher nicht verborgen bleiben kann," meinte Max. "Ich war einigermaßen überrascht über den eigenthümlichen Empfang, welcher mir bei meinem Eintritte wurde, die Scene selbst aber nehme ich kühl. Wir werden ja erfahren, was Zarba bezweckte. Für jetzt ist meine Aufmerksamkeit durch ganz andere Dinge in Anspruch genommen. Nicht wahr, Vater, Du besitzest ein Passe-Partout in das königliche Schloß?"

"Allerdings. Warum?"

"Würdest Du mir es einmal anvertrauen?"

"Dir? Was wolltest Du auf dem Schlosse oder beim König?"

"Erlaube, es für jetzt noch zu verschweigen; allein, daß es sich um etwas Wichtiges handelt, kannst Du Dir denken, da ich sonst eine solche Bitte nicht aussprechen würde."

"Hm, der König hat die Karte allerdings nur für mich bestimmt; doch denke ich, wenn die Sache wirklich richtig ist, so -"

"Keine Sorge, Vater! Ich stehe im Begriffe, dem König einen Dienst von außerordentlicher Wichtigkeit zu leisten."

"So warte!"

Der Schmied nahm die Lampe vom Tische und ging mit ihr in das Nebenzimmer. Als er zurückkehrte, hatte er eine Karte in der Hand, deren eine Seite mit einigen engen Zeilen beschrieben war, während die andere das Privatsiegel des Königs zeigte.

"Hier!"

"Danke! Ist der Hauptmann zu Hause?"

"Ja; er ist oben."

"Gute Nacht!"

Er stieg die Treppe empor und klopfte an der Thür des Zimmers, welches von Zarba und deren Sohn bewohnt wurde. Der Letztere öffnete.

"Verzeihung, Hauptmann, wenn ich belästige. Entschuldigen Sie mich mit der allerdings höchst wichtigen Angelegenheit, welche mich zu Ihnen führt!"

"Bitte, treten Sie ein, Herr Doktor!"

Max that es. Zarba hatte sich wieder in eine dunkle Ecke zurückgezogen und rauchte. Nachdem er sich gesetzt hatte, blickte er dem Hauptmann lächelnd in die Augen.

"Ich habe Ihnen eine Warnung auszusprechen."

"Ah! Sie lautet?"

"Man will Sie ermorden."

"Teufel! Ists wahr?"

Er war bei der Botschaft überrascht emporgefahren; als er aber den ruhigen Blick und die lächelnde Miene des Doktors bemerkte, ließ er sich wieder nieder und meinte:

"Pah; Sie scherzen! Aber meine Erfahrungen sind solche, daß ich an jedem Augenblicke bereit sein muß, an eine solche Bosheit zu glauben."

"Ich scherze nicht, Herr von Wallroth; es gilt wirklich Ihr Leben; aber nicht blos dieses, sondern auch das meinige und dasjenige Ihrer Mutter."

"Wirklich? Wer ist der Schuft, welcher - - -?"

"Sie fragen noch?"

"Ja - oh - mein - mein Vater!"

Er erhob sich erregt und durchmaß in langen, hastigen Schritten das Zimmer. Die Zigeunerin war ruhig geblieben. Sie stieß eine dichte Dampfwolke aus und meinte:

"Mein Sohn, der Geist sagt mir, daß es wahr ist, was Dir gesagt wurde. Das Messer ist geschliffen, welches uns treffen soll; doch wird es seine Spitze verlieren und denjenigen treffen, in dessen Hand es ruht!"

Der Hauptmann wandte sich ihr zu.

"Mutter, ich liebe Dich mit aller Kraft meiner Seele; aber ich könnte Dich dennoch hassen, weil Du mir einen solchen Vater gegeben hast! O, wenn ich daran denke, was ich durch ihn gelitten habe, so - so - so - - -!"

Er kämpfte mit Gewalt seine Aufregung nieder und trat zu Max.

"Also Ihre Worte enthalten wirklich die Wahrheit?"

"Wirklich. Ich war zugegen, als der Auftrag gegeben wurde, einen Schmiedesohn, einen verrückten Hauptmann und eine Zigeunerin zu ermorden."

"Gut, ich danke Ihnen!" Er trat zum Schranke und öffnete ihn. "Ich werde sofort und auf der Stelle zum Herzog gehen und ihn zwingen, mich - - -"

"Halt, Herr Hauptmann, keine Übereilung! Sie würden mit derselben nur das Gegentheil von dem erreichen, was Sie bezwecken. Sie sind hier in diesem Hause vollständig sicher, und |48B wenn ich Ihnen Mittheilung machte, von dem, was ich hörte, so geschah es nur, um Sie einer plötzlichen Überrumpelung gegenüber gerüstet zu wissen. Auf alle Fälle wird vor morgen Abend nichts gegen uns geschehen, und bis dahin können wir die Angelegenheit ja noch anderweit behandeln."

"Auf welche Weise soll der Angriff geschehen?"

"Ist noch unbestimmt."

"Wer ist gedungen?"

"Ein gewisser Helbig, welcher früher im Dienste des Herzogs gestanden hat."

"Ah, nun glaube ich vollständig, was Sie mir sagen!"

"So werden Sie mir auch die Bitte erfüllen, welche ich für gerathen halte. Gehen Sie vor morgen Abend nicht aus! Unternehmen Sie überhaupt nichts, ohne mich vorher davon benachrichtigt zu haben!"

Der Hauptmann schlug in die dargebotene Hand ein.

"Ich werde Ihnen von Stunde zu Stunde immer größeren Dank schuldig, Herr Doktor, so daß es einfache Pflicht ist, eine solche Bitte zu erfüllen. So ist also Ihre heutige Mission beim Herzog vollständig gescheitert?"

"Vollständig. Er mag von einer friedlichen Lösung der Angelegenheit nichts wissen, wie ich mich - allerdings ohne sein Wissen - überzeugte, und es gilt nun also einen Kampf Mann gegen Mann."

"Sohn gegen Vater! Nun wohlan; er hat mir das Leben gegeben, weiter nichts; den Dank, welchen ich ihm schulde, hat er quitt gemacht, wir sind uns fremd, und ich brauche ihn nicht zu schonen. Ihren Wunsch werde ich erfüllen, aber trifft mich ein Angriff, dann wehe dem, gegen den ich mich vertheidigen muß!"

Max ging. Er suchte das Schloß auf Umwegen zu erreichen und gelangte auch unbemerkt in den Garten desselben. Hier und im Gebäude selbst war ihm jeder Schrittbreit wohlbekannt, so daß er also genau wußte, wohin er sich zu wenden hatte.

Er klopfte an eine Pforte. Der hinter derselben haltende Posten öffnete.

"Wer da?"

"Ruhig!" antwortete er und zeigte die Karte vor.

"Passiren!" lautete die Entscheidung.

Er passirte mehrere Gänge und Treppen, welche alle hell erleuchtet waren; sämmtliche Posten ließen ihn nach Vorzeigen des Passe-partout passiren, und so gelangte er schließlich in den Korridor, in welchem die Zimmer und auch das Schlafkabinet des Königs lagen. Hier bemerkte er, daß die Schildwache fehlte, jedenfalls in Folge einer Vorsorge von Seiten des Herzogs oder des Kammerlakaien. Von dem Letzteren war keine Spur zu bemerken, was sich auch leicht erklären ließ, da es noch nicht zwei Uhr war.

Er suchte die Thüren und fand deren eine geöffnet. In das Zimmer tretend fand er dasselbe dunkel, doch fiel ein schwacher Lichtschein durch die Spalte einer Portière, welche zum nächsten Raume führte. Er trat hinzu und blickte hindurch. Es war ein kleines Kabinet, welches vor ihm lag. An einem Tische, auf welchem eine Lampe brannte, deren Licht durch einen farbigen Schirm gedämpft wurde, saß Grunert, der Kammerdiener. Vor ihm lagen mehrere Blätter einer illustrirten Zeitung; er hatte also gelesen, um sich wach zu halten, doch war ihm dies nicht gelungen. Er schlief mit auf die Arme niedergesenktem Kopfe.

|49A Hinter diesem Kabinete lag das des Königs. - Sollte Max es wagen, in dasselbe zu treten? Er entschloß sich dazu. Leise glitt er zwischen den beiden Portièren hindurch und stand dann vor der Ruhestätte des Königs. Er wußte sehr genau, was er wagte, aber seine Gründe waren so zwingend, daß er sein Eindringen wohl verantworten konnte.

Er trat näher. Der königliche Schläfer hatte die seidene Decke bis zur Brust empor gezogen, so daß die beiden Arme mit wie zum Gebete gefalteten Händen frei lagen. Max berührte die letzteren leise, und augenblicklich regte sich der König. Ein leiser Druck reichte hin; der Schläfer erwachte und öffnete halb im Traume die Augen. Max winkte Schweigen; der König verstand die Pantomime und erkannte den Doktor. Mit dem Ausdrucke der höchsten Überraschung wollte er sich emporrichten, unterließ dies aber auf eine warnende Bewegung |49B des Doktors, welcher einen Sessel ergriff und ihn an diejenige Seite des Bettes plazirte, welche von der Portière aus nicht beobachtet werden konnte.

Er nahm, hinter den kostbaren transparenten Vorhängen versteckt, Platz und neigte sich zu dem Könige nieder.

"Entschuldigung, Majestät!" flüsterte er - -

"Was ist Außerordentliches geschehen, Herr Doktor, daß Sie zu dieser Stunde hier heimlich Zutritt nehmen?" frug der König ebenso leise, aber mit dennoch zu vernehmender Strenge im Tone. "Wie haben Sie Einlaß gefunden?"

"Durch die Karte meines Vaters."

"Ah! Er gibt sie aus der Hand?"

"Nur mir, Majestät. Es soll ein Einbruch in Dero Arbeitskabinet vorgenommen werden."

"Ah! Sie erschrecken mich! Ist es möglich?"

"Ich weiß es bestimmt!"

|50A "Wer will diesen Einbruch unternehmen?"

"Kein gewöhnlicher Dieb, Majestät!"

"Nun?"

"Seine Durchlaucht der Herzog von Raumburg."

"Der Her - der Her - zog?" Der König konnte vor Überraschung das Wort kaum hervorbringen. "Unmöglich! Sie irren sich, Doktor!"

"Ich irre mich nicht; ich weiß es ganz genau."

"Was will er ?"

"Die Akten aus der Irrenanstalt, welche ich die Ehre hatte, Majestät zu überreichen."

"Ah, ich begreife! Und dennoch ist ein solcher Schritt - - parbleu, er muß einen Gehülfen haben!"

"Grunert!"

"Grunert? Wissen Sie dies genau?"

"Genau! Es scheint, der Herzog hat das Arbeitskabinet Eurer Majestät schon öfters besucht."

Der König schwieg; seine Mienen verfinsterten sich unter dem nachdenklichen Zuge, welcher über sie hinglitt.

"Woher wissen Sie Alles?" frug er endlich.

"Ich belauschte Beide zufällig."

"Wann kommt der Herzog?"

"Punkt Zwei."

"Grunert schläft im Vorzimmer?"

"Ja."

"Ich kann mir dies denken, da Sie sonst nicht hier säßen. Jetzt ist es ein Uhr. Sehen Sie nach, ob er noch schläft!"

Max schlich langsam und leise zur Portière, zog dieselbe ein wenig aus einander und blickte hindurch. Der Verräther lag noch ganz in derselben Stellung wie vorhin. Als der Doktor zum Bette zurückkehrte, hatte der König dasselbe bereits verlassen und war beschäftigt, sich anzukleiden. Max bemühte sich, ihm dabei behülflich zu sein, und rapportirte:

"Er schläft noch!"

"Er hatte heute nicht Dienst, tauschte aber mit einem Kollegen, welcher angeblich unwohl ist. Wenn er erwacht, wird er das Schlafzimmer nicht betreten, sondern sich nur durch den Eingang überzeugen, daß ich nicht wach bin. Lassen wir die Gardinen herab!"

Das Bett wurde verhüllt, so daß Grunert denken mußte, der König schlafe.

"So, und jetzt folgen Sie mir zur Bibliothek!"

Der König näherte sich der Portière und glitt, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Grunert wirklich schlief, gefolgt vom Doktor durch das Vorzimmer und dann durch die weiteren Räume bis an das Arbeitskabinet.

"Warten!" befahl er.

Ein Schlüssel klirrte, ein Schloß knackte.

"So, jetzt kommen Sie weiter. Die Dokumente sind in meiner Hand und dazu eine Waffe für den Nothfall. Sind Sie im Besitze einer solchen?"

"Ich trage einen Revolver."

"Dann treten wir in die Bibliothek!"

Diese lag neben dem Arbeitszimmer. Sie traten ein und nahmen auf einem Sopha Platz, welches hinter breiten Bücherschränken verborgen stand. Hier begann der König ein ausführliches Verhör; Max erzählte, was mitzutheilen ihm nothwendig schien, doch verschwieg er sowohl die Art und Weise, wie er hinter die Geheimnisse des Herzogs gekommen war, als auch die beiden anderen Anschläge, welche dieser mit Penentrier und Helbig geschmiedet hatte. Er durfte die Sorgen des hohen Mannes nicht vermehren und wußte sich stark genug, die Intentionen Raumburgs zu kreuzen.

Nach den nothwendigen Mittheilungen trat eine Stille ein, welche so tief wurde, daß man im Arbeitszimmer nebenan selbst eine Fliege hätte summen hören können. Es schlug halb und drei Viertel. Kurz vor zwei Uhr ließ sich ein Geräusch vernehmen. Max erhob sich, um zu lauschen.

"Grunert," berichtete er leise. "Er sitzt mit einer verschlossenen Blendlaterne in der Nähe des Schreibtisches."

"Haben Sie Feuerzeug bei sich?"

"Ja."

"Dort auf dem Tische steht eine Kerze. Sobald der Herzog eingetreten ist, brennen Sie dieselbe an, um zu leuchten. Nach unserem Eintritte decken Sie den Ausgang und überlassen das Übrige mir!"

Es vergingen noch einige Minuten der Spannung. Dann knisterte es drüben, und Max erhob sich, um zum zweiten Male zu lauschen.

"Der Herzog!" flüsterte er.

|50B Um jedes Geräusch zu vermeiden, entzündete er das Streichholz mit dem Nagel seines Fingers, setzte die Wachskerze, welche er in die Linke nahm, in Brand und griff dann zum Revolver.

"Vorwärts!"

Der König trat voran zur Portière und blickte hindurch.

Der Herzog von Raumburg, welcher jetzt trotz seiner Vermummung deutlich zu erkennen war, stand am Schreibtische des Königs und bemühte sich, ein Fach desselben zu öffnen; der Lakai stand neben ihm, um ihm zu leuchten. Die Fenster des Raumes waren so dicht verhangen, daß keine Spur des Lichtes hinunter in den Schloßhof zu fallen vermochte. Die beiden Männer standen mit dem Rücken nach der Bibliothek gekehrt, so daß sie den Eintritt des Königs und des Doktors, welche geräuschlos auftraten, nicht bemerkten.

Der Letztere glitt, das Licht mit der Hand beschattend, sofort nach dem Eingange hin, der Erstere aber trat einige Schritte vor und grüßte dann:

"Ah, guten Abend, Durchlaucht!"

Der Angeredete fuhr augenblicklich herum. Der Diener ließ beim Klange dieser Stimme die Laterne fallen, daß sie verlöschte. Jetzt nahm Max die Hand vom Lichte und stellte dasselbe auf das Marmorkamin, so daß der Raum genug erhellt war, um die schreckensbleichen Züge des Ministerpräsidenten und das Zittern des Lakaien zu bemerken.

"Majestät - -!" rief der Erstere.

"Ja, Serenissimus, die Majestät ist es, welche vor Ihnen steht, um Ihnen den Verlust aller bisher von hier verschwundenen Aktenstücke zu quittiren. Leider dürfte allerdings heut die Recherche nach gewissen Papieren erfolglos sein, da ich sie hier in meinen Händen halte. Haben Durchlaucht etwas zu bemerken?"

Die Gestalt des Herzogs, welche bisher wie vom plötzlichen Schrecke zusammengedrückt gestanden hatte, richtete sich jetzt wieder auf.

"Nein, Majestät!"

"Grunert, wähle zwischen Gnade und lebenslänglichem Zuchthause! Wirst Du Alles bekennen?"

Der Mann sank in die Kniee.

"Gnade, Majestät! Ich werde Alles erzählen!"

"Steh auf! Den Armleuchter!"

Der Diener verschwand in das Zimmer, in welchem er vorhin geschlafen hatte, und kehrte nach wenigen Augenblicken mit einem sechsarmigen Handleuchter zurück.

"Leuchte Durchlaucht hinab, Grunert!" Und sich zu Max wendend, fügte er hinzu: "Du hast einen trefflichen Gebrauch Deines Passe-partout gemacht und Dir meinen besten Dank verdient, lieber Max. Für jetzt magst Du entlassen sein. Habe die Güte und begleite Serenissimus so weit, als es Dir in Anbetracht der Sicherheit Deines Königs gerathen erscheint. Grüße Deine Eltern. Gute Nacht!"

Wie ein Automat drehte sich der Herzog nach dem Ausgange und entfernte sich. Max folgte ihm auf dem Fuße. Der Diener leuchtete. Während der Posten das große Hauptportal öffnete, befahl der Doktor dem Lakaien:

"Du kehrst zum Könige zurück. Ein Fluchtversuch würde Dich unglücklich machen. Übrigens bist Du ja begnadigt, sobald Dein Bekenntniß offen und vollständig ist!"

Der Herzog schritt wortlos auf die Straße hinaus. Max hielt sich an seiner Seite. Da plötzlich blieb der Erstere stehen.

"Mensch, sehen Sie dieses Terzerol?"

"Sehr deutlich, Durchlaucht."

"Nun wohl! Wenn Sie nicht sofort von meiner Seite weichen, schieße ich Sie nieder."

"Hier? Mitten in der Residenz? Am königlichen Schlosse? Auf der Straße?"

"Hier!"

"Dann bitte ich, loszudrücken!"

In seiner Rechten blitzte der blanke Lauf eines Revolvers.

"Schurke!"

"Wen meinen Durchlaucht? Es sind nur zwei Personen gegenwärtig, von denen ich dieses Wort nicht auf mich beziehen darf. Bitte, gehen wir weiter!"

"Halt, nicht eher von der Stelle, als bis ich erfahren habe, auf welche Weise der König von meinem Besuche unterrichtet wurde!"

"Das sollen Sie erfahren, doch nicht hier. - Ich werde mir die Ehre geben, Sie bis an den Fluß zu begleiten, und stehe Ihnen dabei mit der betreffenden Aufklärung zu Gebote."

Er schritt vorwärts; der Herzog folgte ihm unwillkürlich.

"Nun!"

"Was?"

"Auf welche Weise wurde der König benachrichtigt?"

|51A "Auf eine sehr abenteuerliche, Durchlaucht. Er lag im Schlafe, fühlte eine Hand, welche ihn berührte, und erwachte. Ein Mann stand vor ihm, winkte ihm Schweigen, damit der im Nebenzimmer anwesende Lakai nichts höre, und erzählte ihm, daß der Herzog von Raumburg einen Einbruch beabsichtige, welcher auf gewisse aus der Irrenanstalt stammende Papiere gerichtet sei."

"Wer war dieser Mann?"

"Der König erhob sich und erwartete mit dem Warner in der Bibliothek den hohen Spitzbuben mit - - -"

"Herrrrr - - -!" donnerte der Herzog, indem er das Terzerol erhob.

"Schön, Excellenz; mein Bericht mag für beendet gelten!"

"Wer war der Mann?"

"Ich."

"Sie also? Sie - Sie - - Sie - - -! Wie erhielten Sie Kunde von dem, was geschehen sollte?"

"Mein Bericht ist, wie ich bereits bemerkte, zu Ende, Durchlaucht. Hier stehen wir am Flusse. Auf Wiedersehen später."

Der Herzog wollte ihn fassen und halten, doch seine Hand griff in die nächtliche Finsterniß, in die Luft hinaus; er hörte nicht einmal die Schritte des sich Entfernenden.

"Verdammt sei dieser obskure Mensch, dieser Eisenhämmerer, der sich trotz alledem der Gunst des Königs erfreut und mir - - - Wie mag er nur bei allen Teufeln errathen haben, daß ich - - errathen? Pah, verrathen worden ist es, und zwar von keinem Andern, als von diesem Grunert selbst. Warum war der König sofort mit seiner Gnade da? Weil er sie ihm bereits vorher versprochen hatte, und nun wird der Verräther Alles erzählen, was er weiß. Doch ich kann ruhig sein. Wer wollte es wagen, den Herzog vom Raumburg öffentlich zur Verantwortung zu ziehen? Mit Grunert wird abgerechnet, und dieser Schmiedesohn wird ja schon morgen Abend nicht mehr im Stande sein, irgend Etwas auszuplaudern!"

Unterdessen schritt Max der Hofschmiede zu. Er wußte, weshalb ihn der König so schnell entlassen hatte. Der Wille des Letzteren führte ihn wieder nach der Irrenanstalt, um sich der beiden schuldigen Beamten zu versichern.

Die Eltern waren bereits zur Ruhe gegangen, und auch die Fenster des von Zarba und dem Hauptmann bewohnten Zimmers zeigten sich dunkel. Er machte die nothwendige Toilette, begab sich dann in eine der Hauptstraßen der Residenz und trat in ein Haus, vor dessen Thor eine zweispännige Chaise hielt.

Er stieg die Treppe empor und wurde von einem ältlichen Herrn empfangen, welcher bereits auf ihn gewartet zu haben schien.

"Sind sie bereit, Herr Staatsanwalt?"

"Längst."

"Die nöthigen Instruktionen gingen Ihnen zu?"

"Im Laufe des Abends, von Seiner Majestät höchsteigenhändig unterzeichnet."

"So lassen Sie uns aufbrechen, damit wir nicht zu spät kommen!"

Sie verließen das Haus und stiegen in den Wagen, welcher sie auf dieselbe Heerstraße führte, auf welcher Max bereits einmal die Landesirrenanstalt erreicht hatte. Wortlos neben einander sitzend, gaben sie ihren eigenen Gedanken Audienz. Die Pferde griffen wacker aus, und als der Morgen hereinbrach, sahen sie das burgähnliche Gebäude bereits in der Ferne im goldenen Strahle erglänzen. Eine Stunde später hielten sie vor dem Portale der Anstalt.

Der Pförtner erkannte den Doktor sofort wieder und ließ ihn unter tiefen Bücklingen ein.

"Der Herr Direktor?"

"Verreist."

"Ah! Seit wann?"

"Seit einer Stunde."

"Der Herr Oberarzt?"

"Auch verreist."

"Seit einer Stunde?"

"Ja."

"Allein?"

"Mit dem Herrn Direktor."

"Und die Familien der beiden Herren?"

"Auch verreist."

"Seit einer Stunde?"

"Ja."

"Wohin?"

"Ich weiß es nicht."

"Es war kurz vorher ein Herr da, welcher den Herrn Direktor zu sprechen verlangte?"

|51B "So ist es."

"Wie nannte er sich?"

"Doktor Ungerius."

"Merken wir uns diesen Namen, Herr Anwalt." Und sich wieder zu dem Pförtner wendend, fuhr er fort:

"Dieser Mann war klein, hager und von großer Lebhaftigkeit?"

"Allerdings."

"Reiste er mit dem Herrn Direktor zugleich ab?"

"Nein. Dieser fuhr mit dem Herrn Oberarzt allein; die Familien der beiden Herren aber brachen unter dem Schutze des Herrn Doktor Ungerius auf."

"Man reiste zu Wagen?"

"Ja; doch hatten die Damen, wie ich hörte, Anweisung, später die Bahn zu benutzen."

"Von welchem Punkte aus?"

"Weiß ich nicht."

"Mit wem fuhr der Direktor?"

"Mit einem hiesigen Lohnkutscher."

"Wie heißt der Mann?"

"Beyer."

"Hat er Familie und Gesinde?"

"Er hat Frau, Sohn, Tochter und Knecht."

"Wurde heut bereits ausgespeist?"

"Die Morgensuppe."

"Die beiden Assistenzärzte?"

"Befinden sich beim Kaffee."

"Bringen Sie uns zu ihnen."

Der Mann führte sie über den vorderen Hof hinüber in die Wohnung der beiden Unterärzte, welche gar nicht erstaunt zu sein schienen, als sie den königlichen Kommissär wieder erkannten.

"Guten Morgen, meine Herren," grüßte Max. "Mich kennen Sie bereits. Gestatten Sie mir, Ihnen den Herrn Generalstaatsanwalt von Hellmann vorzustellen, welcher sich einige Auskunft über den Herrn Direktor erbitten möchte! Doch vorher eine Frage: Wurde heut Morgen von Seiten des Herrn Direktors oder des Herrn Oberarztes bereits medizinirt?"

"Ich glaube ja. Beide Herren begaben sich in die Hausapotheke und suchten kurz vor ihrer Abreise einige Pfleglinge auf."

"Sie waren dabei?"

"Wir wurden ausgeschlossen."

"Gibt es einen Mechanismus, sämmtliches Aufsichtspersonal schnell zu versammeln?"

"Die Anstaltsglocke."

"Lassen Sie sofort läuten. Wo versammelt man sich?"

"In Nummer Vier des hiesigen Gebäudes."

"Schön! Sie bleiben hier, um die Fragen des Herrn Generalstaatsanwaltes zu beantworten, während ich in Nummer Vier einige Befehle zu ertheilen habe!"

Er ging. Kaum hatte er das betreffende Konferenzzimmer betreten, so läutete es, und von allen Seiten kam das männliche und weibliche Aufsichtspersonal herbeigeeilt. Auch der Pförtner, welcher die Glocke gezogen hatte, stellte sich wieder ein.

"Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen mitzutheilen, daß der Direktor und der bisherige Oberarzt dieser Anstalt unter Anklage zu stellen sind und sich ihrer Vernehmung durch die Flucht entzogen haben," redete Max die Versammelten an. "Die Leitung der Anstalt wird bis auf Weiteres in die Hände der beiden Assistenzärzte übergehen, und Ihre Obliegenheiten bleiben ganz dieselben wie bisher. Der Herr Generalstaatsanwalt, welcher mit mir hier angekommen ist, wird seine Erkundigungen natürlich auch an Sie zu adressiren haben, und es liegt in Ihrem eigenen Interesse, sich genau nur an die Wahrheit und Ihr Gewissen zu halten. Der Direktor und der Oberarzt haben kurz vor ihrer Abreise einige Zellen besucht?"

"Ja," ertönte die mehrstimmige Antwort.

"Welche Nummern?"

Es wurden ihm acht Nummern genannt, welche er sich notirte.

"Die Insassen dieser Nummern wurden jedenfalls vergiftet. Eilen Sie schleunigst, Ihre Vorkehrungen zu treffen; ich werde Ihnen die beiden Ärzte sofort zusenden."

Das Zimmer war im Nu leer. Max kehrte zum Staatsanwalt zurück, welcher mit den hauptsächlichsten Fragen zu Ende war.

"Meine Herren, die beiden flüchtigen Beamten hatten Ursache, gewisse Zungen schweigsam zu machen, und haben sich dabei eines sicher wirkenden Giftes bedient. Hier sind acht Zellen verzeichnet, welche von ihnen besucht wurden. Eilen Sie, den Bewohnern derselben zu Hülfe zu kommen!"

Diese Nachricht brachte die beiden ehrlichen Männer in eine nicht geringe Aufregung.

|52A "Herr Kommissär," meinte der Eine; "eines solchen Verbrechens ist kein Mensch fähig!"

"Bitte, halten Sie jede Bemerkung zurück! Sie wissen, daß die Wirkung eines starken Giftes nach Sekunden berechnet werden muß."

"Dann vorwärts," erwiderte er, nach dem Zettel greifend, welcher das Verzeichniß der acht Zellen enthielt; "laßt uns sehen, ob man wirklich so teuflisch zu sein vermag!"

"Halt!" meinte der andere Hülfsarzt. "Begeben wir uns vor allen Dingen in die Apotheke. Wir kennen den Inhalt des Giftschrankes so genau, daß wir bei einer für acht Personen berechneten Dosis sofort sehen werden, von welchem Gifte genommen wurde!"

Sämmtliche Herren begaben sich in die Apotheke. Der Giftschrank mußte aufgesprengt werden, da der Schlüssel zu demselben nicht zu finden war, und kaum hatten die beiden Ärzte einen Blick auf den Inhalt desselben geworfen, so ertönte der zweistimmige Ruf:

"Blausäure fehlt! Die Leute haben ein Blausäurepräparat erhalten."

"Haben Sie ein Gegengift bei der Hand?"

"Jawohl."

"So versehen Sie sich mit demselben und eilen Sie damit nach den betreffenden Zellen! Herr Staatsanwalt, ich gehe in die Stadt, um einige Erkundigungen einzuziehen. Sie beurlauben mich?"

Gern. Ich werde bis zu Ihrer Rückkehr nicht unthätig sein dürfen."

Max verließ die Anstalt und schritt der Stadt zu, welche eine kleine halbe Stunde entfernt lag. Vor derselben waren Straßenarbeiter beschäftigt, die Chaussee auszubessern. Er frug sie nach der Wohnung des Lohnkutschers Beyer und erhielt dieselbe so deutlich beschrieben, daß es ihm sehr leicht wurde, sie zu finden.

Er traf die Frau, die Kinder und auch den Knecht zu Hause an. Sie waren verlegen ob des vornehmen Besuches.

"Hier wohnt der Lohnfuhrwerksbesitzer Beyer?"

"Ja."

"Ist er nicht zu Hause?"

"Nein."

"Er hat den Herrn Direktor zu fahren?"

"Ja."

"Wohin?"

Er erhielt keine Antwort. Die Frau blickte ihn verlegen an, und auch dem Sohne und der Tochter war es anzumerken, daß sie antworten könnten, wenn sie gewußt hätten, daß es nicht verboten sei. Der Dokor mußte sie anders fassen.

|53A "Sie werden binnen einer halben Stunde arretirt werden."

"Arretirt?" frug die Frau erschrocken. "Wir? Weshalb?"

"Wegen Mithülfe zur Flucht zweier schwerer Verbrecher!"

"Davon wissen wir nichts!"

"Pah! Sie haben dem Direktor und dem Oberarzte der hiesigen Irrenanstalt zur Flucht verholfen."

"Dem Herrn Direktor? Zur Flucht? Hat er denn fliehen wollen?"

"Allerdings. Es liegt eine schwere Anklage gegen diese beiden Männer vor, und ich bin als königlicher Kommissär gekommen, sie zu arretiren. Ihr Mann hat ihnen seinen Wagen zur Flucht zur Verfügung gestellt, und Sie verweigern mir jede Auskunft, wohin die Fahrt gerichtet ist - ich werde Sie arretiren lassen müssen."

Das Erstaunen und die Angst der Leute war grenzenlos.

"Der Herr Direktor ein Verbrecher? Das ist gar nicht möglich!" rief die Frau und schlug dabei vor Verwunderung die Hände zusammen. "Und auf der Flucht? Das ist ja schrecklich! Aber wir haben ihm dabei nicht geholfen. Wir haben gemeint, es handle sich um eine Ferienreise."

"Warum verschweigen Sie das Ziel der Fahrt?"

"Weil der Herr Direktor meinte, daß es Niemand wissen solle."

"Nun?"

"Mein Mann muß sie über die Gebirge nach der Grenze und von da weiter fahren, bis sie ihn ablohnen."

"Ein gewisser, bestimmter Ort ist nicht genannt worden?"

"Nein."

"Wissen Sie, welchen Weg er eingeschlagen hat?"

"Nein. Es führen sehr viele Wege in das Gebirge, und mein Mann kennt sie alle sehr genau."

"Wann ist die Reise begonnen worden?"

"Vor zwei Stunden."

"Ich will einmal annehmen, daß Sie nicht so schuldig sind, als ich vorher dachte, und also von der Arretur absehen, doch verlange ich, daß Sie mir zu jeder Zeit zur Verfügung stehen, wenn ich eine Erkundigung an Sie zu richten habe!"

Sie gaben ihm das Versprechen, und schon stand er im Begriffe, sich zu verabschieden, als er einen Blick nach dem Spiegel |53B warf und unter demselben eine Bleistiftskizze bemerkte, welche sofort seine vollste Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er trat näher und sah, daß er sich nicht getäuscht hatte.

"Zarba, die Zigeunerin! Wie kommt dieses Bild hierher?"

"Sie kennen Zarba?" frug die Frau um Vieles zutraulicher. "O, sie ist unsere Wohlthäterin schon seit langer Zeit, Herr Kommissär. Mein Sohn hat einiges Talent zum Zeichnen und ihr Bild gemalt, so wie es dort beim Spiegel hängt. Nicht wahr, sie ist gut getroffen?" setzte sie mit einem stolzen Blicke auf ihren Sohn hinzu.

"Sehr gut. Wie alt ist der Junge?"

"Siebzehn."

"Und was wird er?"

"Er ist Schreiber und jetzt leider ohne Anstellung."

"Er scheint ein sehr schönes Talent zu besitzen, und ich werde, wenn es Ihnen recht ist, einen Maler herschicken, der ihn prüfen mag. Vielleicht läßt sich etwas aus ihm machen."

"O, wenn Sie das thun wollten, Herr Kommissär!" rief die Frau, beglückt und dankbar seine Hand ergreifend.

"Wollen sehen, liebe Frau; doch sagt mir, wie seid Ihr mit der Zigeunerin bekannt geworden ?"

"Das ist schon sehr lange Zeit her, wohl mehrere über zwanzig Jahre! Sie war damals eine gar angesehene Dame und wohnte in der Hauptstadt bei dem Herzoge von Raumburg. Das sollte allerdings verschwiegen bleiben; aber es wurde doch in allen Häusern der Stadt erzählt und man bedauerte das schöne Mädchen, weil - - doch, Herr Gott, Sie sind ja ein königlicher Kommissär und kommen wohl auch mit dem Herrn Herzog zusammen! Also meine Mutter war Hebamme und hatte dienstlich mit den allerhöchsten Herrschaften zu thun. Ich hatte damals erst vor Kurzem geheirathet und wohnte bei ihr in der Residenz. Da ereignete es sich, daß in einer Nacht zwei sehr hohe und vornehme Damen ihrer Hülfe bedurften nämlich die Königin Majestät und die reiche Fürstin von Sternburg, welche sich auf Besuch im königlichen Schlosse befand. Sie und die Königin waren nämlich weitläufige Cousinen, und der Fürst, welcher ein großer General und Feldherr ist, befand sich im Auslande, wo er im Krieg kommandirte. Die Fürstin starb an der Geburt, und weil mir kurz vorher mein Erstes auch gestorben war, so bekam ich das kleine Prinzeßchen - - ja, wollte sagen den kleinen Prinzen angelegt und wurde seine |54A Amme. Damals besuchte mich die schöne Zigeunerin alle Tage, und von daher schreibt sich unsere Bekanntschaft, Herr Kommissär."

Max ahnte nicht, welche Bedeutung diese kurze Erzählung jemals für ihn und sein Schicksal haben könne. Er frug:

"Und sie hat Euch dann öfters besucht?"

"Ja. Wir mußten ihr, wenn sie kam, über Alles Auskunft geben, und wenn sie wieder fort war, zu diesem Zweck allerlei Erkundigungen einziehen."

"Über wen?"

"Über - über - ja, darf ich das denn sagen? Zunächst über den Sohn des Hofschmiedes Brandauer und den Sohn des Fürsten von Sternburg, dann über den Engländer, welcher Lord Halingbrook heißt, über den Herzog von Raumburg und viele andere hochgeborene Herren und Damen."

"Die ihr alle persönlich kennt?"

"Nein. Ich kenne sie nicht. Mein Mann hat das Alles besorgt."

"Hat er etwas für seine Bemühungen erhalten?"

Sie lächelte.

"Wir können sehr zufrieden sein. Zarba muß noch von ihrer Jugend her viel Geld besitzen."

Er verabschiedete sich von den Leuten und versprach, des Sohnes nicht zu vergessen. Dann kehrte er zur Anstalt zurück.

Es hatte sich während seiner Abwesenheit wirklich herausgestellt, daß die acht Personen vergiftet worden seien; zwei waren bereits gestorben, andere zwei zeigten sich als schwer krank, und die Übrigen gaben Hoffnung, daß sichere Rettung vorhanden sei. Höchst seltsam war dabei die Ansicht der beiden braven Assistenten, daß sämmtliche acht Personen wohl kaum jemals wirklich geistig krank gewesen seien.

Max mußte die Bestimmung hierüber dem Generalstaatsanwalt überlassen, welcher beinahe noch bis zum Abend in der Anstalt zu thun hatte. Das dauerte ihm allerdings zu lange; er mußte bis zu dieser Zeit zu Hause sein, und daher verabschiedete er sich, um allein zur Stadt zurückzukehren.

Er kam dort an, als es bereits zu dunkeln begann, und fuhr zunächst beim königlichen Palais vor, um Bericht zu erstatten. Dann ging er nach seiner Wohnung. Hier erzählte er zunächst bei den Eltern die heutigen Erlebnisse und stieg dann hinauf nach der oberen Stube, um Zarba und den Hauptmann aufzusuchen.

Der Letztere nahm den regsten Antheil an den Ereignissen in der Anstalt und zeigte sich wüthend darüber, daß die beiden Beamten entkommen seien.

"Gewiß ist es noch nicht, daß sie entkommen," meinte Max. "Der Staatsanwalt hat sofort den Telegraphen spielen lassen, und von der Familie des Lohnkutschers, welcher die beiden Männer führt, habe ich genau erfahren, welche Richtung sie einhalten."

"Wie heißt der Lohnkutscher?" frug Zarba.

"Beyer. Ich habe Dein Bild in seiner Wohnung gesehen."

"Beyer. Und wohin geht die Fahrt?"

"Über das Gebirge nach der Grenze."

"Welchen Weg?"

"Ja, wenn wir das gewußt hätten, so wäre die Verfolgung schleunigst angetreten worden."

"Wollt Ihr sie wieder haben?"

"Natürlich."

"Gut, Ihr sollt sie haben; Zarba verspricht es Euch!"

Sie kam aus ihrer Ecke hervor und setzte sich zur Lampe.

"Mein Sohn, gieb mir Papier und ein Stück Blei!"

Sie erhielt Beides und malte auf das Erstere eine Reihe von Charakteren, für welche weder der Hauptmann noch Max ein Verständniß hatten.

"Nicht wahr, von uns kann jetzt keiner aus der Residenz fort?" frug sie.

"Nein," lautete die Antwort des Doktors.

"Dann muß ich einen Boten haben, einen Mann, auf den sich Zarba ganz und gar verlassen kann."

"Wohin?"

"Hinauf in die Berge."

"Wie lange braucht er Zeit, um zurückzukommen?"

"Drei Tage."

Max trat zum Fenster und öffnete es. Drunten saßen wie gewöhnlich die Gesellen vor der Thür.

"Thomas!"

"Zu Pefehl, Herr Doktor!"

"Magst Du einmal heraufkommen?"

"Sofort werde ich mich hinaufbegepen!"

Einige Augenblicke darauf krachte die Stiege unter den wuchtigen Schritten des ehemaligen Kavalleristen.

|54B "Guten Apend, meine Herrschaften. Hier pin ich, wie ich leipe und lepe!" grüßte er, sich in die strammste Positur stellend.

"Habt Ihr dieser Tage viel zu arbeiten, Thomas?" frug Max

"Zu arpeiten gipt es immer pei uns, Herr Doktor."

"Aber außerordentlich viel Arbeit - -?"

"Ist nicht so sehr schlimm!"

"Willst Du mir einen Gefallen thun?"

"Zu Pefehl, recht gern, Herr Doktor!"

"Du sollst einen Brief hinauf in das Gebirge schaffen."

"In das Gepirge? Da pin ich in meinem ganzen Lepen noch nicht gewesen. An wen ist der Prief gerichtet?"

Max sah die Zigeunerin fragend an.

"An den Waldhüter Tirban," antwortete diese.

"Tirpan? Ist mir niemals pekannt gewesen. Wo wohnt er?"

"Du fährst mit dem Frühzuge nach Süderhafen und gehst von da bis zum Abend auf der Straße fort, welche quer durch das Gebirge führt. Am Abend kommst Du an einen Krug, vor dessen Thür zwei Tannen stehen; dort kehrst Du ein und fragst den Wirth nach dem Waldhüter Tirban. Dieser wohnt auf einer Waldblöße, ihm gibst Du diesen Brief. Das Übrige wirst Du von ihm selbst erfahren."

"Gut! Also Süderhafen - Gepirgsstraße - Apend - Krug - zwei Tannen - Waldplöße - Tirpan - gut, ich werde ihn zu finden wissen."

"Aber wird Thomas nicht zu spät kommen?" frug Max. "Die Flüchtlinge sind heut früh fort, und er kommt erst morgen Abend zu Tirban."

"Dafür laßt mich sorgen, junger Herr! Willst Du mir ein Telegramm aufschreiben, mein Sohn?"

Der Hauptmann nahm Platz und griff zur Feder, Zarba überlegte einen Augenblick und diktirte dann:

"Oberschenke Waldenberg - Fuhrmann Beyer und zwei Männer - einen Tag lang aufhalten - mit Gewalt zur Tannenschlucht - Zarba."

Max hörte mit Erstaunen dem Diktate zu. Die Worte klangen nach Geheimnissen, welche zu ergründen er wohl begierig gewesen wäre. Die Gitana wurde ihm von Stunde zu Stunde eine immer mysteriösere Persönlichkeit. Er sah wahrhaftig jetzt eine ganze Zahl von Goldstücken in ihrer braunen Hand erglänzen, als sie in die Tasche griff, um den Betrag für die Depesche auf das Papier zu legen. Und dieser Betrag war so genau abgezählt, daß sich vermuthen ließ, dies sei nicht die erste Depesche, welche die Zingaritta expediren ließ.

"Willst Du diese Depesche noch heute Abend besorgen?" frug Max den Kavalleristen.

"Zu Pefehl, Herr Doktor!"

"Hier hast Du Reisegeld für morgen. Den Vater brauchst Du nicht um Erlaubniß zu fragen, ich werde dies für Dich thun."

"Zu Pefehl, Herr Doktor und guten Apend die Herrschaften!"

Damit drehte er sich um und schritt zur Thür hinaus. Unten angekommen, stellte er sich breitspurig vor die beiden andern Gesellen hin.

"Wißt Ihr etwas Neues?"

"Nun?" frug Heinrich.

"Ich pegepe mich morgen auf eine lange Reise."

"Wohin?"

"Geht Euch nichts an, Ihr Gelpschnäpel Ihr. Aper wenn Ihr in einer Stunde zu unserer Parpara Seidenmüller kommt, so will ich Euch einige Seidel zum Abschied gepen, weil das Reisegeld so reichlich ausgefallen ist."

"Ich komme, Thomas!" meinte der immer durstige Artillerist. "Das mit den Seideln ist der trefflichste Gedanke, den Du heute haben konntest!"

"Ja, das ist am Den!" bekräftigte nickend Baldrian, der Grenadier. - - -


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