Neuntes Kapitel.

Der tolle Prinz.

Über die Residenz von Süderland breitete sich ein wunderbar schöner, sternenvoller Abend, und die Luft war so mild und erquickend, daß die Promenaden von Spaziergängern wimmelten, welche unter den duftenden Bäumen wandelten, um nach des Tages Sorge und Arbeit den angestrengten und ermüdeten Geist zu erfrischen.

Unter den Promenirenden bewegten sich zwei junge Männer, welche ihrer Haltung und Kleidung nach zu den besseren Kreisen des Mittelstandes gehörten, Arm in Arm, und den Blicken, mit welchen sie die ihnen Begegnenden musterten, war es anzusehen, daß sie irgend Jemand erwarteten.

"Sie kommen nicht," meinte der Eine von ihnen, den Hut, als ob er schwitze, abnehmend, um die hohe, breite Stirn mit dem weißen Mouchoir zu trocknen.

"Sie werden kommen, Karl, darauf verlaß Dich. Anna hat mir noch in der Dämmerstunde bejahend zugenickt, als ich vorüberging."

"Sie wird kommen, ja; sie ist ein ruhiges, festes und treues Gemüth, und Du thatest damals wohl, gerade sie zu wählen."

"War es nicht ein eigenthümlicher Scherz, der dann so schön in Erfüllung ging?"

"So schön? Ja, ich habe auch und lange Zeit geglaubt, daß es uns zum Glücke geschehen sei," meinte Karl mit halblauter Stimme, aus welcher eine tiefe, schwere Trauer klang.

"Zweifelst Du jetzt wirklich?"

"Wir saßen im Parke," fuhr der Gefragte, ohne auf diese Worte zu hören, wie rezitirend fort, "und uns gegenüber nahmen zwei unbekannte Damen Platz, die Eine blond und schmächtig, die Andere braun, dunkeläugig, voll Feuer und Leben und von einer Gestalt, an welcher ein Corregio nichts auszusetzen gehabt hätte. Wir wählten uns im Scherze eine von ihnen; Du wolltest die Blonde, Sanfte, ich die Braune, Schöne, Feurige. Aus dem Scherze wurde Ernst - Du bist glücklich und ich - elend."

"Karl!" rief der Andere.

"Zweifelst Du?"

"Ich begreife es nicht. Emma ist schön, besitzt ein gutes Gemüth, einen häuslichen, wirthschaftlichen Sinn und "- -

"Und weiß, daß sie schön ist," fiel Karl ein. "Sie hat ihre |66B Mutter bei der Geburt verloren und wurde von ihrem Vater durch übergroße Zärtlichkeit und unverständige Nachsicht so verzogen, daß sie kein anderes Gesetz kennt, als das Gefühl des Augenblicks. Sie kennt ihre körperlichen Vorzüge sehr genau; sie bemerkt es, wenn sie bewundert wird, und thut man dies nicht, so fordert sie durch Blick, Bewegung und Geberde dazu auf. Sie hatte mich lieb, aber sie will ihre Vorzüge nicht mir allein widmen, sie bedarf auch der Anerkennung Anderer, welche sie mit suchendem Auge einkassirt. Bei einem solchen Charakter oder vielmehr Naturell ist sie allen Versuchungen ausgesetzt, denen gegenüber sie nicht diejenige Festigkeit besitzt, welche erforderlich ist zur inneren und äußeren Treue gegen den Geliebten."

"Du richtest zu streng. Auch ich habe sie später etwas weniger ernst gefunden, als ich sie vorher taxirte; aber sie ist noch jung, und die mangelhafte Erziehung wird sich nachholen lassen."

"Du bist ein großer Psycholog, Paul, um zu wissen, daß eine junge zweiundzwanzigjährige Dame noch zu ziehen ist."

"Pah! Du als Literat, der sehr berühmte Romane und Novellen schreibt, bist natürlich seelenkundiger als der bescheidene Uhrmacher Paul Held; aber ich meine, wenn ein Mädchen den Mann ihrer Wahl wirklich lieb hat, so wird sie ihren Fehlern gern entsagen."

"Richtig, doch von diesem gern entsagen bis zum wirklichen Aufgeben der Fehler ist ein weiter und schwieriger Weg, zu welchem eine Charakterfestigkeit gehört, welche dem Leichtsinne entgeht. Emma hat mich heut noch innig lieb, aber ihre Gefallsucht wird sie auf Abwege treiben, auf denen sie vielleicht jetzt schon wandelt."

"Karl!" rief der Andere zum zweiten Male.

"Ich bleibe bei dieser Behauptung. War es früher nicht ihr größtes Glück, des Abends an meinem Arme sich zu erholen? Und was thut sie jetzt? Sie verspricht mir, zu kommen, hält aber selten Wort, und wenn ich nachforsche, so höre ich, daß sie nicht daheim geblieben, sondern bei dieser Frau Schneider gewesen ist, deren Existenz mir eine höchst problematische zu sein scheint. Dieses Weib hat eine Tochter, welche den Anziehungspunkt gewisser Herrenkreise bildet. Ich habe Emma gebeten, die Familie zu meiden, sie hat meinen Wunsch nicht berücksichtigt; ich habe es ihr mit Strenge befohlen, sie ist mir ungehorsam gewesen; ich säe Aufrichtigkeit und ernte Lügen; diesem Zustande möchte ich ein Ende machen und kann es doch nicht, weil ich - - sie zu innig, zu innig liebe!"

"Armer Freund!"

"Ja, arm, sehr arm!" Wie reich und glücklich war ich vorher. Ich gehöre zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, daß ich mehr einnehme als ich bedarf; ich könnte es schnell vorwärts bringen, doch glaube mir, Paul, seid meiner Bekanntschaft mit Emma habe ich nicht eine einzige Arbeit vollendet, welche ich mit gutem Gewissen dem Drucke hätte übergeben dürfen. Wenn es so fortgeht, so bin ich geistig und wirthschaftlich ruinirt."

"Sei einmal ernst mit ihr!"

"Ich bin es gewesen, doch hilft der Ernst so wenig wie die Liebe. Ich möchte am Liebsten - - doch schau dort hinüber! Ist das nicht Anna?"

"Ja, sie ist es," meinte Held, erfreut über den Anblick der Geliebten.

"Und allein - ganz so wie ich vermuthete!"

Die junge Dame, jene sanfte Blondine, von welcher Karl Goldschmidt gesprochen hatte, begrüßte die Beiden und wandte sich dann an den Literaten.

"Ich bringe Emma leider heut nicht mit -"

"Heut? Sagen Sie lieber - immer!"

"Sie versprach mir noch am Nachmittage, mitzugehen, doch als ich kam um sie abzuholen, war sie bereits ausgegangen."

"Dann kehre ich nach Hause zurück."

"Bleibe bei uns, Karl! Du störst uns nicht," bat Held.

"Das weiß ich. Aber Du weißt nicht, was es heißt, Andere glücklich zu sehen, selbst aber unglücklich zu sein. Gute Nacht!"

Er ging, doch nicht nach Hause, sondern unwillkürlich lenkte er seine Schritte nach der Straße, in welcher Emma's Vater wohnte. Dieser schien ausgegangen zu sein, da keines der Fenster erleuchtet war. Karl wußte, daß nur ein Vorsaalschlüssel vorhanden sei und kannte auch den Ort, wohin dieser gelegt wurde, wenn Vater und Tochter nach verschiedener Richtung die Wohnung verließen. Er stieg die Treppe empor, zog den Schlüssel unter dem Schranke hervor und öffnete. Dann trat er in Emma's Zimmer, welches nach der Seite des Hofes lag. Es war ihm niemals eingefallen zu lauschen oder zu spähen, jetzt aber hielt er es als eine Pflicht gegen sich selbst, nach Momenten zu suchen, welche geeignet waren, ihm über das Verhalten der Geliebten Aufklärung zu geben.

Er brannte die Lampe an und warf einen Blick im Zimmer umher. Er fand Alles in der gewohnten Ordnung. Wollte er |67A irgend einen Anhalt gewinnen, so mußte er eingehender forschen. Er untersuchte den Schrank, den Sekretär, die Nähtoilette und die Kästen der Kommode. Schon war er mit den Letzteren beinahe zu Ende, so erblickte er ein Kästchen, welches ihm vollständig fremd war; es mußte erst kürzlich in den Besitz der Geliebten gekommen sein. Er öffnete es und fand einige duftende Couverts, auf denen ein sammetnes Etui lag. Das Letztere enthielt eine kostbare Schmuckgarnitur, und in jedem Couverte stak ein zierlich geschriebenes Billetchen. Er las die Letzteren; sie dufteten so sehr nach dem Weihrauche der Bewunderung und enthielten der Schmeicheleien so kräftige, daß nur einer unkundigen Seele die grobe Absicht dieser Schreibereien entgehen konnten. Unterschrieben waren die Billets mit "von Polenz, Oberlieutenant."

"Hund!" knirschte Karl. "Oder ist es nicht Hundenatur, auf fremdem Gebiete zu revieren? Diese Herren dürfen mit ihren sogenannten noblen Passionen ungestraft das Glück und Wohl ihrer Nebenmenschen tödten, und wenn ein armer Teufel vor Hunger die Hand nach einem elenden Stücke Geldes ausstreckt, so reißt man ihn aus all seinen Verhältnissen, aus der menschlichen Gesellschaft, und steckt ihn, der nur noch als eine Nummer gilt, zwischen kalte nackte Mauern, die er nur verläßt, um die Seinen noch ärger bestraft zu finden, als er selbst es war. Ich werde diesen Lieutenant von Polenz finden und ein Wörtchen mit ihm sprechen!"

Er brachte Alles wieder an den früheren Platz zurück und verließ dann die Wohnung.

Nicht weit von derselben stand das Haus, dessen Parterre die Familie Schneider bewohnte. Er trat an einen der Fensterläden und horchte. Das helle fröhliche Lachen Emma's, welches ihn früher so oft beglückt hatte, ertönte im Innern. Hatte sie ihm ihr Wort gebrochen, blos um den Abend bei diesen Leuten zuzubringen? Er zweifelte. Zwar hatte er auf den Billets keine Bestellung für den heutigen Abend gefunden, doch konnte Emma diese schriftliche Bestellung, wenn eine solche erfolgt war, auch anderswo versteckt oder zu sich genommen haben. Er beschloß daher, jedenfalls zu warten, was der Abend bringen werde.

Gegenüber lag ein hohes, alterthümliches Haus mit einem breiten, tiefen Thorwege. Der eine Flügel des letzteren stand offen, und er trat in den dunklen Flur und schloß das Thor in der Weise, daß nur eine Spalte blieb, um die Straße zu beobachten.

Er hatte noch nicht lange in diesem Verstecke gestanden, als er von fern her Sporen klirren hörte. Zwei Männer nahten und hielten unweit des Thorweges an, es waren Offiziere.

"Wohin führen wir sie heut?"

"Promeniren?"

"Pah, poussiren!"

"Also nach den Promenaden?"

"Zu volkreich. Will allein sein mit ihr!"

"Also Stadtpark - entfernteste Parthie, da wo der Reitweg endet?"

"Ja."

"Es gibt dort zwei sehr bequeme Bänke, von dichtem Gebüsch überschattet. Kein Mensch verirrt sich in diesen Winkel."

"Trefflich! Habe mir mit diesem Mädchen beinahe Mühe geben müssen - soll nicht umsonst gewesen sein - will süßen Lohn, haha - - Sie gehen mit der Ihren voran; ich werde folgen!"

Dieser Letztere sprach kurz und in einem Tone, welchem man die Gewohnheit des Befehlens anhörte. Sollte er wirklich bloßer Lieutenant sein?

Der andere stieß einen halblauten Pfiff aus, und kurze Zeit darauf öffnete sich drüben die Thür. Emma trat hervor; der Befehlshaberische nahm sie sofort in die Arme und küßte sie. Hinter ihr verließ ein anderes Mädchen das Haus, welches der andere Offizier am Arme nahm, um sich sofort nach der vorgezeichneten Richtung zu bewegen.

"Emma, mein schönes, süßes, entzückendes Kind," hörte Karl seinen Nebenbuhler sprechen, "sind Sie gern gekommen?"

"Gern!"

"Und hat dieser - dieser Scriblifax, dessen Sie sich nicht erwehren können, nicht Beschlag auf den heutigen Abend gelegt?"

"O ja!"

"Und Sie sind nicht mit ihm gegangen! Meinetwegen, nicht wahr, mein himmlisches Mädchen?"

"Ja, nur Ihretwegen, Herr Lieutenant!"

"Recht so, meine Venus, mein unvergleichlicher Engel! Habe mich lieb, nur mich allein, dann wirst Du Glück finden ohne Ende, ein Glück, von welchem wir heut die süßesten Tropfen schlürfen können. Komm, laß uns gehen!"

Sie folgten dem vorausgegangenen Paare.

|67B Karl lehnte hinter dem Thore und hatte die fieberheiße Stirn an die kalte Mauer gelegt.

"Verloren - Alles, alles verloren! Sie wird ihm gehören und dann zu Grunde gehen. Emma, wie lieb, wie unendlich lieb habe ich Dich gehabt! Und nun - - aber, ist sie wirklich verloren? Noch nicht, wenn ich sie nicht aufgebe! Sie wird, sie muß erkennen, welcher Unterschied ist zwischen einer schmutzigen Sinnlichkeit und den reinen, treuen Gefühlen, welche ich ihr entgegenbringe. Ich werde ihnen folgen, oder vielmehr, ich werde einen anderen Weg einschlagen, um ihnen zuvorzukommen.

Er kannte den Ort, welcher das Ziel ihres Spazierganges war, und es konnte ihm nicht leicht fallen, denselben noch vor ihnen zu erreichen. Als das erste Paar dort anlangte, hatte er sich bereits ein bequemes Versteck hinter derjenigen Bank, welche am verborgensten lag, hergerichtet, und als dann auch Emma mit ihrem Begleiter erschien und sich hart vor ihm plazirte, hätte er sie mit der Hand erreichen können, und er vermochte jedes ihrer Worte zu verstehen.

Der Offizier hatte den Überrock ausgezogen und als Teppich für das Mädchen auf den Sitz gelegt. Später nahm er auch die Mütze vom Kopfe, jedenfalls um durch den Anblick seines schönen, reich gelockten Haares die Zahl seiner sichtbaren Vorzüge zu vermehren. So wurde sein Gesicht vollständig frei; Karl konnte ihn ganz genau erkennen.

|68A "Der tolle Prinz - in Lieutenantsuniform!" murmelte er überrascht. "Das gibt eine Schlägerei, wenn ich mich unterstehe, ihm den Besitz meiner Braut streitig zu machen! Pah," setzte er zähneknirschend hinzu - "mir ganz gleich!"

Es waren fürchterliche Augenblicke für den jungen Mann, welcher zusehen mußte, daß der Gegner sich in Zärtlichkeiten erging, die ihm selbst verweigert gewesen waren, doch wollte er so lang wie möglich unbemerkt bleiben, um zu erfahren, wie weit die Untreue seines Mädchens bis jetzt gegangen war.

"Hast Du den Schmuck bereits getragen, den ich Dir brachte?" hörte er fragen.

"Noch nicht."

"Warum?"

"Vater darf ihn nicht sehen, und die Garnitur ist so kostbar, daß ich beschlossen habe, sie zu ersten Male an - an - an unserem Hochzeitstage zu tragen."

"Recht so, mein Herz, denn daraus erkenne ich, daß Du ein sparsames, haushälterisches Weibchen sein wirst. Doch bis zur Hochzeit kann noch mancher Monat, vielleicht sogar ein ganzes Jahr vergehen. Ehe ich mir eine Frau nehmen kann, muß ich erst Hauptmann sein. Wird Dir das nicht zu lang?"

"Nein, denn ich werde Dich ja öfters sehen."

"Natürlich, auf der Promenade oder - - oder wohl auch bei Dir?"

"Bei mir? Ich danke, Papa soll noch nichts von unserer Liebe wissen!"

"Allerdings, doch ist dies noch immer kein Hinderniß, uns in Deiner Wohnung zu sehen. Papa braucht ja nichts davon zu wissen."

"Das ist unmöglich! Er würde trotzdem bemerken, daß ich Dich bei mir sehe."

"Er würde es nicht bemerken. Soll ich Dir das beweisen?"

"Wie so?"

"Heut ist er ausgegangen?"

"Ja. Es ist heut der Tag, an welchem er ein Spielchen zu machen pflegt."

"Wenn komm er da nach Hause?"

"Vor Mitternacht sicher nicht."

"Weckt er Dich dann, wenn Du bereits schläfst?"

|68B "Nie."

"Also! Es ist jetzt ein Viertel vor elf Uhr. Laß uns aufbrechen!"

"Warum?"

"Ich werde Dich recht schön ersuchen, einmal sehen zu dürfen, wie mein zukünftiges Weibchen wohnt."

"Das geht nicht; nein, das ist unmöglich!"

"Warum? Verlange ich mit dieser Bitte zu viel?"

"Nein, aber zu so später Stunde - - nein, es ist unmöglich, Du mußt früher kommen!"

Ja, mein Herz, kann ich früher kommen, ohne bemerkt zu werden?"

"Ich darf nicht!"

"So liebst Du mich nicht!"

"O doch!"

"Nein. Ich glaube nicht an eine Liebe, welche mir einen so einfachen Wunsch verweigert. Darf ich nicht einmal das Zimmer sehen, welches mein Mädchen bewohnt, so ist von Liebe und Vertrauen keine Rede."

"Du bist grausam!"

"Nein. Entscheide Dich! Soll ich allein gehen oder wollen wir jetzt mit einander aufbrechen?"

Sie zögerte eine Weile mit der Antwort, dann klang es gepreßt:

"Komm!"

Sie erhoben sich und traten den Rückweg an. Das andere Paar schien zu sehr in seine eigenen Angelegenheiten vertieft zu sein, um diese Entfernung zu bemerken. Karl erhob sich, um noch vor den Vorangegangenen die Stadt zu gewinnen.

Er glaubte jetzt zu der Annahme berechtigt zu sein, daß er Emma noch nicht verloren geben dürfe; es galt nur, den Einfluß des prinzlichen Abenteurers zu zerstören, und das konnte ja nicht schwer fallen.

Er suchte gegenüber dem Wohnhause eine dunkle Thüröffnung, in welche er trat, bis sie mit ihrem Begleiter erschien. Sie zog den Hausschlüssel hervor, um zu öffnen, und eben wollte sie zur Seite treten, um dem Prinzen den Vortritt zu geben, als es hinter ihnen erklang:

"Halt! Magst Du nicht allein hinaufgehen, Emma?"

Sie fuhr erschrocken herum.

|69A "Karl!"

"Ja, ich bin es. Bitte, geh hinauf! Ich werde Dir morgen am Tage meinen Besuch machen, um weiter mit Dir zu sprechen; zu so später Zeit aber verlangt kein ehrlicher Mann Zutritt bei einer Dame."

"Herr, wer sind Sie?" brauste der Prinz auf.

"Ich habe keine Veranlassung, meinen wahren Namen zu verbergen; doch brauche ich ihn nicht zu nennen; ich bin der Scriblifax, von welchem diese Dame Ihnen erzählt hat."

"Schön! Dann treten Sie gefälligst zur Seite! Ich gestehe Ihnen nicht das mindeste Recht zu, uns den Eingang zu verwehren."

"Und ich gestehe Ihnen nicht die Erlaubniß zu, ein Mädchen unglücklich zu machen, welche brav war, ehe es Ihnen gelang, Sie durch Lüge und Verstellung zu bethören. Dieses Haus werden Sie heut nicht betreten!"

"Wirklich?" klang es höhnisch. "Marsch, zur Seite!"

Emma war bereits nach den ersten Worten der Gegner im Flur verschwunden, doch stand die Thür noch offen. Wer Sieger blieb, konnte eintreten. Der Prinz hatte den Literaten beim Arme gefaßt und versuchte, ihn von der Thür zu drängen; es gelang ihm nicht.

"Herr, nehmen Sie die Hand von mir," drohte Karl. "Ich möchte sonst vergessen, wer Sie sind!"

"Ah! Wer bin ich denn?"

"Entweder ein Prinz oder ein Schurke, was Beides zuweilen recht gut vereinigt zu sein scheint. Wählen Sie zwischen Beiden!"

"Spion!" knirschte der Prinz und faßte seinen Gegner mit beiden Fäusten vor der Brust. "Fort, sage ich, und zwar zum letzten Male!"

Karl drängte die Fäuste des Prinzen von sich ab, faßte ihn bei der Hüfte und schleuderte ihn gegen die Mauer.

"Wollen sehen, wer fortgeht, Sie oder - - - oh - Hülfe - - oh - - !"

Er brach zusammen, ohne den Satz vollständig aussprechen zu können. Der Prinz, von Wuth hingerissen, hatte den Degen gezogen und ihm denselben in die Brust gestoßen.

"So, Bursche; Du bist beseitigt. Jetzt hinauf!"

Ohne sich um die Folgen seiner That zu bekümmern, tastete er sich den Flur entlang nach der Treppe hin und stieg dieselbe empor. Droben stand Emma, zitternd vor Angst und Besorgniß.

"Wer da? Bist Du es, Emma?"

"Ja."

"Öffne! Du wohnst doch hier, nicht wahr?"

"Ja. Aber bitte, laß mich heut allein! Wo ist Goldschmidt?"

"Vor der Thür."

"Was ist mit ihm? Um Gottes willen, sage es! Ich hörte ihn um Hülfe rufen."

"Ich mußte ihm ein wenig die Haut ritzen; das ist Alles!"

"Himmel, Du hast nach ihm gestochen?"

"Allerdings. Solchen Menschen muß gezeigt werden, wie weit sie die Erlaubniß haben, mit Anderen zu verkehren."

"Mein Gott, was hast Du gethan! Das wird ein Unglück geben, wie es mich - - -"

"Papperlapapp! Wer weiß denn, wer es gewesen ist?"

"Goldschmidt selbst wird es sagen!"

"Der? Pah, der sagt nichts mehr!"

"So ist er todt? O Gott, das ist ja gar nicht möglich! Daran bin ich schuld!"

Sie bebte vor Schreck am ganzen Körper; er aber blieb vollständig ruhig.

"Denke dies nicht, Emma. Er selbst trägt die Schuld allein, denn er besitzt nicht die mindeste Berechtigung, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Und was wird es sein? Man findet ihn, trägt ihn fort, scharrt ihn ein, sucht nach dem Thäter, erfährt aber nichts - tout voilà! Bitte fasse Dich und öffne!"

"Ich kann nicht, heut nicht! Der Todte liegt unten, und Papa muß bald kommen. Geh fort, geh fort; nur heut geh fort, wenn Du nicht willst, daß ich vor Angst vergehen soll!"

"Nur heut? So darf ich ein anderes Mal mit herauf?"

"Ja; aber jetzt mußt Du gehen!"

"Wenn soll ich wiederkommen?"

"Ich weiß es nicht!"

"Morgen?"

"Nein, da ist Papa zu Hause!"

"Wenn hat er wieder Spieltag?"

"Sonnabend."

"Bon! So komme ich nächsten Sonnabend!"

"Ja doch, aber bitte, gehe jetzt!"

"Punkt neun Uhr?"

|69B "Ja."

"Du wirst Alles offen halten und dafür sorgen, daß mich Niemand kommen sieht!"

"Ich werde es, doch entferne Dich jetzt! Mir schwindelt vor Angst."

"Dann den Abschiedskuß! Gute Nacht, mein Leben. Träume süß von mir und von - unserer Hochzeit!"

Er stieg die Treppe wieder hinab und verließ das Haus. Sein Opfer lag regungslos in einer Blutlache vor der Thür; er warf einen kurzen Blick auf den Leblosen und schritt davon.

"Er hat seinen Lohn. Ein Prinz oder ein Schurke! Donnerwetter, das hat mir noch Niemand geboten, doch er hat seinen Lohn! Er erkannte mich,; es war ein Glück, daß das Mädchen bereits fort war, sonst wäre es mit dieser höchst interessanten Liaison zu Ende gewesen, ohne daß ich die Früchte meiner Bemühungen hätte pflücken dürfen."

Er bog nach einiger Zeit in die Promenaden ein, welche sich mittlerweile von ihrem Publikum entleert hatten, und gelangte auf diesem Wege in die Nähe des königlichen Schlosses. Da vernahm er von der Hauptstraße her den Galopp eines Pferdes. Er blieb stehen.

"Wer ist das? Es darf ja um diese Zeit hier weder gefahren noch geritten werden! Gewiß ein fremder Sonntagsreiter, den ich ein wenig in die Trense nehmen werde!"

Er eilte vorwärts und stand bald auf dem breiten Wege, welcher nach dem Hauptportale des Schlosses führte. Der Galopp des Pferdes hatte sich in einen kurzen Trab und dieser in langsamen Schritt verwandelt. Der Reiter wurde sichtbar. Der Prinz trat ihm einige Schritte entgegen. Das Pferd schien keiner gewöhnlichen Rasse anzugehören, der Mann aber, welcher auf demselben saß, trug einen Südwester im Nacken, eine kurze Jacke und ein paar riesige Seemannsstiefel.

"Halt! Werda?"

Der Reiter hielt sein Pferd an und betrachtete sich den Offizier, welchem der Mond voll in das Gesicht schien.

"Ich!" antwortete er dann ruhig.

"Ich? Wer ist dieser Ich?"

"Na, ich natürlich!"

"Donnerwetter, wer Du bist, meine ich!"

"Hm, was Du meinst, das weiß ich schon, mein Junge. Aber sage mir einmal, was nützt es Dir denn eigentlich, wenn ich Dir sage, wer ich bin?"

Der Mann schlug die Arme über der Brust zusammen und hatte ganz das Ansehen und die Haltung, als ob er eine recht urgemüthliche Konversation in Gang bringen wolle.

"Was ist das?" ertönte die ganz erstaunte Gegenfrage. "Du wagst es zu duzen? Kerl, Dir soll ja der Teufel in den Korpus fahren, daß - - -"

"Pah!" unterbrach ihn der Andere. "Wer mit mir Brüderschaft macht, den pflege ich Du zu nennen; das ist bei uns zur See und vielleicht auch zu Lande nicht anders Mode. Und vor dem Teufel segelt mein Korpus jedenfalls nicht sofort davon. Doch, apropos, wer bist denn eigentlich Du, alter Maate?"

"Kerl, Du bist verrückt! Siehst Du nicht, daß ich Offizier bin? Und weißt Du nicht, daß hier in der Nähe des Schlosses zur Nachtzeit das Reiten verboten ist?"

"Offizier? Hm, ja; aber was ist das weiter? Es muß jeder Mensch Etwas sein - was, das bleibt sich gleich, wenn er es nur versteht, seine Stelle brav und ehrlich auszufüllen. So so, also hier darf man nicht reiten! Warum denn nicht, he?"

"Das wird sich finden! Jetzt bist Du arretirt. Vorwärts zur Schloßwache!"

"Arretirt? Meinetwegen! Zwar glaube ich nicht, daß Du der richtige Kerl bist, einen rechten, echten Seemann zu arretiren, aber ich bin nicht der Mann, einen guten Spaß zu verderben. Nur wünsche ich, daß Dir der Gang zur Schloßwache kein Bauchgrimmen mache. Vorwärts also. Segel auf, und fort!"

Einen höchst belustigten Blick auf den Lieutenant werfend, nahm er die Zügel wieder auf und ritt hinter dem Offizier her, welcher vor Zorn bebend nach der Seitenfronte herumbog, wo aus einigen Parterrefenstern helle Lichtstrahlen heraus auf den Platz fielen.

"Hier bleibst Du halten!" gebot der Offizier und wandte sich dann nach dem Schlosse. "Posten herbei!"

Eine am Thore stehende Schildwache kam herzu und honneurirte beim Anblicke der Uniform.

"Wer hat heut das Wachtkommando?"

"Oberlieutenant von Randau."

"Schön. Die Wache heraus!"

"Zu Befehl, Herr Lieutenant!"

|70A Er schritt zurück und rief mit lauter Stimme:

"Wache heraus!"

Im Nu entströmten der Thür die Gestalten der Soldaten, welche sich in Reih und Glied aufstellten.

"Ah," machte der Arretirte; "man bringt mich nicht selbst zum Wachtlokal; man will sich nicht sehen lassen: das Bauchgrimmen ist da!"

"Maul halten!" schnauzte ihn der Offizier an und wandte sich dann zum Lieutenant von der Wache: "Herr Oberlieutenant, Sie kennen mich?"

Randau blickte schärfer auf.

"Zu Befehl, königl- - -"

"Halt! Diesen Menschen habe ich zu Pferde hier am Schlosse aufgegriffen, wobei er sich in unterschiedlichen Injurien und Gemeinheiten erging. Ich übergebe den Inkulpaten Ihnen und dringe auf strengste Bestrafung!"

"Zu Befehl!" Dann fügte er, zum Arrestanten tretend hinzu: "Herab, Bursche; wollen Dich hübsch vor Anker legen!"

"So? Wärt mir auch die Kerls danach!" Dann nahm er sein Pferd straffer in die Zügel, drängte es hart an den Wachtkommandanten heran, zog ein großes, mehrmals versiegeltes Schreiben aus der Satteltasche und reichte es ihm entgegen. "Herr Oberlieutenant, Sie sind Kommandant der Wache hier am Schlosse?"

Dieser Ton schien einer ganz anderen Stimme und einem ganz andern Manne anzugehören, und unwillkürlich antwortete der Gefragte:

"Ja. Warum?"

"Ich bin Kurier seiner fürstlichen Durchlaucht des Prinzen Arthur von Sternburg und habe Ihnen diese Depesche zu übergeben. Ich thue dies mit der Weisung, dieselbe morgen früh nach dem Lever Seiner Majestät dem Könige eigenhändig zu präsentiren, verstehen Sie, eigenhändig, denn der Inhalt des Schriftstückes ist von solcher Wichtigkeit, daß ich Sie verantwortlich mache für jeden Zufall, welchem es gelingen sollte, dieser Zuschrift das Wesen einer Depesche zu rauben. Im Übrigen gebe ich mir die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!"

Er zog das Pferd empor und gab ihm die Sporen, daß es auf den Hinterbeinen eine Umdrehung machte und dann mit allen Vieren in die Höhe ging. Dabei wandte er das lächelnde Gesicht zum Prinzen:

"Adieu, mein Junge; laß Dir die Arretur besser bekommen, als sie gelungen ist!"

Dann fegte er im Galoppe davon und ließ sein Thier erst dann wieder in ruhigen Schritt fallen, als er das Schloß weit hinter sich hatte.

"Prinz Hugo als Lieutenant!" murmelte er vor sich hin. "Gewiß kam er von irgend einem seiner Streiche zurück, welche er inkognito auszuführen pflegt. Er hat mich noch nie gesehen und also auch nicht erkannt. Die kleine Lehre und der etwas größere Ärger, welcher dieselbe begleiten wird, kann ihm nichts schaden. - Jetzt nun zu diesem Dichter, den ich so lange nicht gesehen habe! Für ihn muß ich ein Stündchen erübrigen, und dann geht es wieder retour!"

Er bog in eine Straße ein und hielt vor einem Hause, dessen schmaler erster Stock erleuchtet war.

"Er hat Licht, vielleicht gar Gesellschaft bei sich, da die Schatten so unruhig sich an den Gardinen bewegen."

Nachdem er abgestiegen war, band er das Pferd an eine Ladenangel und begab sich nach der ersten Etage. Auf sein Klingeln wurde die Entreethür geöffnet, und eine ältliche Frau erschien unter derselben.

"Wer ist noch da?" frug sie.

"Ich, meine liebe Frau Goldschmidt. Ist Karl zu Hause?"

Sie leuchtete empor und erkannte ihn.

"Mein Gott, Durchlaucht! Sie hier? Haben Sie es auch schon erfahren?"

"Was?"

"Von - - oh, Sie wissen nichts? Bitte, bitte, treten Sie ein, treten Sie ein!"

Er bemerkte ihre Augen voller Thränen und sah, daß Sie sich in einer außerordentlichen Aufregung befand. Im Zimmer befanden sich mehrere Personen, auf deren Gesichtern ein tiefer Ernst ausgebreitet lag, und aus dem geöffneten Nebenraume erklangen halblaute Stimmen.

"Hier ist etwas geschehen! Was ist es?" frug er die Mutter des Freundes.

"Durchlaucht, Karl ist ermordet worden," antwortete sie, die Hände ringend und in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend.

"Unmöglich! Von wem?"

|70B "Das weiß noch Niemand."

"Wo ist er?"

"Draußen. Kommen Sie!"

Sie führte ihn in das Nebenzimmer. Zwei Ärzte standen vor dem entkleideten Körper des Literaten.

"Was wollen Sie?" frug der Eine den Eintretenden.

"Meine Herren, mein Name ist von Sternburg, Seekapitän von Sternburg. Dieser Todte ist ein Studiengenosse von mir, und ich kam, ihn zu besuchen."

"Ah, dann haben Sie Zutritt, Durchlaucht," klang die höfliche Antwort. "Übrigens ist der Verwundete nicht todt. Der Stich hat weder Herz noch Lunge verletzt, und nur der schwere Blutverlust hat eine todesähnliche Ermattung herbeigeführt."

"Er ist nicht todt? Er lebt!" rief die Mutter. "Gott sei Dank; ich wäre ihm nachgefolgt."

Der Arzt machte eine abwehrende Bewegung.

"Leise, leise, Frau Goldschmidt! Wir können Ihnen unmöglich ganz die Hoffnung nehmen, doch vermögen wir auch nicht zu verschweigen, daß sein Leben nur an einem Faden hängt; es kann im Augenblicke seines Erwachens auf eine Minute aufflackern und dann sofort für immer verlöschen. Wir werden hier bleiben bis er zu sich kommt, um nach den eintretenden Umständen handeln zu können. Schicken Sie alle überflüssigen Personen fort und vermeiden Sie jedes Geräusch."

Man nahm Platz und auch der Kapitän ließ sich in der Nähe des Bettes nieder. Es verging beinahe eine Stunde, bis der Verwundete die Augen aufschlug und einen schmerzlichen Seufzer ausstieß.

"Wasser!" klang es durch die lautlose Stille des Raumes.

Es wurde ihm gereicht.

"Emma," hauchte es leise zwischen seinen bleichen Lippen hervor; dann fielen die schweren Lider wieder zu.

Arthur begab sich leise nach der vorderen Stube, wo die Mutter des Kranken leise weinend in einer Ecke Platz genommen hatte.

"Warum gehen Sie nicht in die Krankenstube?" frug er sie.

"Weil ich den Schmerz da nicht zurückhalten könnte. Mein Gott, wer muß der Bösewicht gewesen sein! Karl ist so gut, das wissen Sie auch, Durchlaucht; er beleidigt mit Wissen keinen Menschen, und dennoch bringt man ihn mir als Leiche nach Hause!"

"Haben Sie bereits Anzeige gemacht?"

"Nein."

"Warum nicht?"

"Weil - weil ich gar nicht daran gedacht habe."

"Wo hat man ihn gefunden?"

"Vor der Thür des Hauses, in welchem seine Braut wohnt."

"So ist er bei ihr gewesen?"

"Jedenfalls."

"Und man hat ihn beim Austritte überfallen - hm; das klingt mir nicht wahrscheinlich. Geben Sie die Sache ja der Polizei über, welche allerdings auch ganz von selber sehr ernstliche Notiz von dem Vorfalle nehmen wird. Ich habe leider nicht Zeit, länger zu verweilen, werde aber dafür sorgen, daß ich au fait bleibe über das Befinden Ihres Sohnes."

Nach einigen Worten des Trostes und der Beruhigung verließ er die Wohnung. Als er aus der Thür des Hauses trat, bemerkte er eine weibliche Gestalt, welcher die gegenüberliegende Seite der Straße zu gewinnen suchte. Sie war vor dem Schalle seiner Schritte geflohen und hatte also Ursache, sich in der Nähe des Hauses nicht sehen zu lassen. Er eilte ihr nach und hatte sie nach einigen raschen Schritten erreicht.

"Halt, meine Dame! Warum sind Sie so eilig?"

Er erfaßte sie am Arme und blickte in ein erschrockenes, brünettes Mädchenangesicht, dessen Augen ängstlich die seinigen zu vermeiden suchten. Sie antwortete nicht.

"Nun? Darf ich um Antwort bitten, Fräulein? Warum flohen Sie vor mir?"

"Ich floh nicht vor Ihnen," klang es leise.

"Vor wem denn?"

"Vor - vor Niemand."

"Vor Niemand? Damit wollen Sie sagen, vor keiner bestimmten Person. Aber dennoch hatten Sie das Bestreben, nicht bemerkt zu werden. Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?"

Sie schwieg. Er fühlte ihre Hand, die er gefaßt hatte, zwischen der seinigen zittern.

"Ich hoffe, Sie werden mir Auskunft geben, sonst fühlte ich mich in die unangenehme Lage versetzt, Sie nach einem Orte zu bringen, wo Sie zur Antwort gezwungen sind."

"Warum?"

"Es ist an einem Freunde von mir ein Mordanfall verübt |71A worden, und ich vermuthe nach Ihrem Verhalten, daß Sie zu dieser Thatsache auf irgend eine Weise in Beziehung stehen."

"Lebt Karl noch?"

"Karl? Ah, Sie kennen ihn? Sie kamen, um sich Gewißheit über seinen Zustand zu holen! Ihr Name, Fräulein?"

"Emma Vollmer."

"Mir unbekannt. Sie sind vielleicht - - -?"

"Ich - ich war die - die Geliebte Karls."

"War? Sie sind es nicht mehr? Ah! - - - Er wurde vor Ihrer Thür gefunden?"

"Ja."

"So war er vorher bei Ihnen?"

"Nein."

"Aber Sie waren daheim?"

Sie schwieg. Dieser Mann frug trotz eines Inquisitionsrichters. Wer war er? Mußte sie denn überhaupt Rede stehen? Und doch hielt er sie so fest, und doch sprach er in einem solchen Tone, daß sie antworten mußte:

"Nein."

"Ah - - -!"

Er faßte sie auch am andern Arme und zog sie näher, um ihr lange und fest in das Angesicht zu blicken.

"Sie haben jetzt einen andern Geliebten?"

"Ja."

"Was ist er?"

"Offizier."

"Welchen Ranges?"

"Lieutenant."

"Wie heißt er?"

"Hugo von Zarheim."

"Zarheim? Pah, gibts nicht - findet man sogar im Gothaer nicht! Hugo - - oh - - hm - - Sie waren heut mit ihm promeniren?"

"Ja."

"Er begleitete Sie bis zur Thür?"

"Ja."

"Und da trat Ihnen Karl entgegen?"

Sie schwieg. Er wiederholte seine Frage dringlicher.

"Nein. Ich habe ihn heut gar nicht gesehen."

"Ah, Fräulein, Sie mögen Andere täuschen, vielleicht sogar meinen Freund, der es jedenfalls ehrlich mit Ihnen gemeint hat, mir aber sagt der Ton Ihrer Stimme etwas ganz Anderes als Ihre Worte. Wie alt ist dieser Lieutenant Hugo?"

"Einundzwanzig."

"Blond?"

"Ja."

"Ein feines Schnurrbärtchen?"

"Ja."

"Eine Narbe über die rechte Wange?"

"Ja," antwortete sie verwundert.

|72A "Schön; ich vermuthete den Zusammenhang, weil ich ihn zufälliger Weise traf, als er von Ihnen kam. Fräulein, Karl Goldschmidt ist ein Ehrenmann, ein berühmter Dichter, welcher unter den besten und reichsten Mädchen des Landes wählen könnte, wenn er etwas mehr prätensiös sein wollte; haben Sie sich von ihm getrennt, so haben Sie auf ein Glück verzichtet, wie es Ihnen an der Seite eines Andern niemals werden kann. Dieser Lieutenant Hugo von Zarheim aber ist ein Wüstling, ein Schwindler, welcher schon hundert Mädchen unglücklich gemacht hat und auch Sie verlassen wird, wenn Sie ihm gewährt haben, was er sucht. Er ist nicht Lieutenant und heißt nicht Zarheim, sondern er ist Reitergeneral und heißt Hugo, Prinz von Süderland. Er ist der jüngste Sohn Ihres Königs und unter dem Namen der "tolle Prinz" bekannt."

|72B "Hugo - Prinz Hugo - ein königlicher Prinz?!" klang es von ihren Lippen, aber mehr erstaunt als erschrocken. "Ists wahr?"

"Es ist wahr. Kennen Sie den Prinzen nicht persönlich?"

"Nein."

"So verschaffen Sie sich sein Bild und vergleichen Sie! Sie wissen jetzt genug, und ich hoffe, Sie handeln so, daß ich zu Karl, wenn er je wieder aufleben sollte, mit Achtung von Ihnen sprechen darf. In Beziehung aber des Anfalles ist es sehr möglich oder vielmehr sogar wahrscheinlich, daß Sie gerichtlich vernommen werden. Jetzt gehen Sie. - Gute Nacht!"

Sie enteilte mit hastigen Schritten, und er trat zu seinem Pferde. Als er sich aufgeschwungen hatte, warf er noch einen Blick hinauf nach den Fenstern, hinter denen plötzlich so vieles und großes Leid eingekehrt war, und ritt dann davon.

Als er die Residenz |73A im Rücken hatte, dehnte sich die breite Heerstraße in langen Windungen zwischen blühenden Gefilden hin, bis sie in den Wald trat, dessen magisches Dunkel das Gemüth des einsamen Reiters zum Träumen stimmte.

Diese Emma Vollmer war ein schönes, sogar ein sehr schönes Mädchen, welche alle Gaben der Natur besaß, um einen Mann innig glücklich zu machen, und doch - - that sie es? Kann ein Mann überhaupt an seine Liebe, an sein Weib glauben? Droben am Himmel stehen Millionen von Sternen so fest, und dennoch, je näher man ihnen kommt, je besser man sie kennen lernt, desto mehr bemerkt man, daß sie alle, alle diese scheinbare Festigkeit nie besessen haben und nie besitzen werden. Sind nicht alle unsere Ideale geistige oder verkörperte Lichtgebilde, welche aufgehen, kulminiren und - verschwinden?"

"Und wie ist es mit meinem Stern?" frug er halblaut. "O Almah, herrliches unvergleichliches entzückendes Wesen, sei mir eine Sonne, welche niemals trügt, und ich will der Parse sein, der vor Deinem Glanze knieend liegt und Anbetung athmet bis zum letzten Hauche seines Lebens!"

Er verfiel in ein tiefes, glückliches Sinnen. Er gedachte des Abends am Nil, an welchem er die Herrliche zum ersten Male erblickte, an die Sehnsucht, die ihn dann erfüllt hatte, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, sie zu stillen, und an das namenlose Glück, welches ihn gleich einem großen Schrecken durchzuckt hatte, als sie ihm zum zweiten Male in seiner eigenen Behausung entgegengetreten war. So sann und sann er; Viertelstunden einten sich zu Stunden; eine Meile Weges wurde nach der anderen zurückgelegt, und als der Morgen erglänzte, hielt er auf seinem dampfenden Rosse am Rande der Ebene, deren gegenseitige Grenze der Höhenzug bildete, hinter welchem das Terrain zur Küste des Meeres niederstieg.

Eine Stunde später saß Nurwan Pascha mit Almah auf dem Balkon seiner Wohnung und schlürfte den Mocca, welchen ihm das schöne Mädchen drunten in der Küche der Kastellanin eigenhändig bereitet hatte. Auf der herrlichen Scene vor und unter ihnen lag der goldene Glanz des Sonnenlichtes; die Wogen der See blitzten in grünlich-goldenen und bläulich-silbernen Reflexen, welche sich draußen am fernen Horizonte in von unvergleichlichen Farben gesättigten Tinten verloren, und hier in der Nähe, auf der Küste, am Quai, im Hafen regte sich ein Leben von so vielseitiger, munterer Geschäftigkeit, daß man nicht müde wurde, seinem nie ruhenden Pulse zu folgen.

Vom äußersten Ende der Stadt ertönte ein scharfer, schriller Doppelpfiff; gleich einer Riesenschlange wand sich ein Dampfzug an der Küste hin, trat dann zwischen die Berge hinein und verschwand hinter den Höhen, welche das Binnenland vor den gefräßigen Fluthen des Meeres schützten.

"Mit diesem Zuge fährt er," meinte der Pascha.

"Wer."

"Ah, es ist wahr, Du weißt nichts davon. Ich meine unsern neuen Diener."

"Bill Willmers? Wohin fährt er?"

"Nach der Residenz. Er hat mir eine höchst wichtige Depesche zu besorgen."

"Eine höchst wichtige? So hast Du wohl ein recht gutes Vertrauen zu ihm, Papa?"

"Allerdings. Du hast jedenfalls meine gestrige Überraschung bei seinem Anblicke bemerkt. Es war mir, als sei mein liebster, bester Jugendfreund herbeigekommen, um mich zu begrüßen, ganz er, jeder Zug des Gesichtes, die Haltung, die Stimme, der treue, verständige Blick des Auges, und trotzdem er es unmöglich sein kann, da dieser Freund in meinem Alter steht, und trotzdem er einen mir vollständig fremden Namen führt, kann ich mich nicht von dem Gedanken, von der Ahnung trennen, daß mein Irrthum nicht ganz und gar ein vollständiger sei. So oft ich mit ihm spreche, möchte ich ihn nicht Willmers sondern Brandauer nennen."

"Weißt Du, Papa, daß es mir auch recht eigenthümlich mit diesem Matrosen geht?"

"Wie so?"

"Papa das kann ich Dir nicht sagen! Du bist mein Vater, und was Du thust und sprichst, das ist, als hätte es Gott gethan und gesprochen. Wie andere Männer sind, das weiß ich nicht, aber - aber, wenn jetzt ein Sturm hereinbräche, daß die Wogen über unserer kleinen Yacht zusammenschäumten, und dieser Willmers spräche zu mir: "Komm, ich gehe mit Dir in das Wasser und bringe Dich an das Land, ich würde ihm folgen und darauf schwören, daß er es vollbringt."

Das scharfe Auge des Pascha blickte hinaus in das Weite; es war seinem adlerartigen Blicke nicht anzusehen, was er über die |73B Worte der Tochter dachte. Diese hatte den prachtvollen Arm, welcher berückend unter dem leichten, seidenen Gewebe hervorschimmerte, auf die Balustrade gelegt und beobachtete das Treiben in der Nähe.

"Papa, schau den Reiter da unten!" rief sie plötzlich. "Ist ein solcher Galopp nicht fürchterlich?"

"Allerdings gefährlich, höchst gefährlich bei solchem Terrain. Der Mensch muß beim leisesten Fehltritte des Pferdes den Hals brechen. Ich wette, es ist einer jener jungen, unvorsichtigen Kavallerieoffiziere, denen der Ruhm, ein kühner Reiter zu sein, höher gilt, als die Herzensrufe des Vaters und der Mutter!"

"Er lenkt nach der Höhe ein -"

"Und zwar auf dem Wege, welcher nach Schloß Sternburg führt. Wer mag es sein?"

Er erhob sich und blickte stärker hinab.

"Willmers!" rief er dann, ebenso überrascht wie zornig.

"Willmers, Papa? Das ist doch nicht möglich! Ein Matrose kann doch auf keinen Fall ein solcher Reiter sein!"

"Er ist es aber doch. Es scheint, als sei an diesem einfachen Manne Alles ungewöhnlich, sogar - sein Gehorsam, seine Dienstfertigkeit. Ich glaube ihn mit meiner höchst dringlichen Depesche unterwegs nach der Hauptstadt und muß bemerken, daß es ihm beliebt, spazieren zu reiten, bevor er an die Ausführung meines Befehles denkt. Nur bin ich neugierig, von wem er sich das Pferd geborgt hat!"

"Papa, ich bitte -!"

"Was?"

"Sei nicht barsch mit ihm; er wird es nicht wieder thun! Du glaubst es gar nicht, wie Dein Blick schmerzt, wenn Du zürnst!"

"Und ihn soll er nicht schmerzen?"

"Vergieb ihm! Er kennt Dich noch nicht und wird es nicht bös gemeint haben."

"Eine Depesche ist kein gewöhnlicher Brief, Kind. Ich muß ihn empfangen, wie er es verdient hat!"

Er erhob sich und begab sich hinab, um den Kommenden zu erwarten. Almah war nicht von seiner Seite gewichen. Hatte sie die Ahnung, daß ein einziger Strahl ihres Auges hinreichend sei, alle schmerzenden Blitze unschädlich zu machen, welche das Auge des Vaters schleudern könnte?

Der Huftritt des Pferdes ertönte, und Arthur ritt in den Hof. Die Beiden bemerkend, nahm er den Hengst kurz auf und sprengte in zierlichem kurzem Galopp, einen Bogen schlagend, bis vor die breiten Granitstufen, auf denen sie standen, und stand dann nach einem gewandten Schwunge aus dem Sattel vor ihnen. Der Pascha blickte ihm zornig in das vom scharfen Ritte geröthete Gesicht.

"Wem gehört das Pferd?"

"Dem Prinzen von Sternburg."

"Wer hat Dir erlaubt, es zu reiten?"

"Der Kastellan."

"Und wer noch?"

"Niemand."

"So! Also meiner Erlaubniß bedarf es zu einem Spazierritte, währenddessen ich Dich auf der Reise nach der Residenz vermuthe, nicht! Du bist kein gehorsamer Diener; ich kann Dich nicht gebrauchen; Du kannst gehen!"

"Der Gescholtene schlug kein Auge nieder; er blickte dem Pascha ruhig in das Angesicht und antwortete:

"Zu Befehl, Excellenz!"

Sich scharf auf dem Absatze herumdrehend, schritt er davon.

"Papa!" bat Almah, indem sie die Hand auf den Arm des Vaters legte.

Dieser hatte eine solche Eile von Seiten des Dieners gar nicht erwartet.

"Willmers!" gebot er.

Der Gerufene drehte sich um.

"Excellenz!"

"Komm noch einmal näher!"

Arthur folgte dem Rufe.

"Warum gehorchst Du jetzt so schleunig?"

"Um Excellenz zu beweisen, daß ich kein ungehorsamer Diener bin."

"Und dennoch bist Du es, sonst hättest Du den vorhin abgelassenen Kurierzug nach der Residenz benutzt, um meine Depesche zu expediren."

"Excellenz haben mir nicht befohlen, diesen Zug zu benützen."

"Gebot ich Dir nicht, die Depesche schleunigst zu übermitteln? Es ging am Abende kein Zug mehr, wie Du sagtest, folglich -"

"Folglich bin ich zu Pferde nach der Residenz, Excellenz."

|74A "Zu Pferde? Diesen weiten Weg? Unmöglich!"

"Bei einem solchen Pferde ist es sehr möglich. Ich kehre eben zurück; die Depesche wurde um Mitternacht übergeben."

"Wem?"

"Dem Kommandanten der Schloßwache."

"So wird sie der König heut Vormittag lesen. Du wurdest gefragt, von wem sie sei?"

"Nein. Ich schnitt alle Erkundigungen durch die Angabe ab, daß ich ein Kurier von Schloß Sternburg sei."

"Gut! Ich habe mich vorhin geirrt. Du bleibst!"

"Zu Befehl, Excellenz!"

Er wandte sich ab und trat zum Pferde, welches er nach dem Stall führte. Dann suchte er das Stübchen auf, welches er als Domestik erhalten hatte.

"Papa, bat sie ihn, als ich von ihm fortgewiesen wurde! Sie ist gut und mild; ihr Angesicht lügt nicht, wie die Züge so vieler Frauen, welche man innerlich ganz anders findet, als das Äußere es verspricht. Ihr Auge ist rein und wahr wie das Kristall der Quelle, welche das kleinste Sandkorn des Bodens erblicken läßt. Almah, sei Du das köstliche Ziel, nach welchem ich strebe, und wenn es mir beschieden ist, es zu erreichen, so will ich vom Geschicke nichts mehr verlangen, als nur die Kraft, mir Deine Liebe für immer erhalten zu können!"

Er öffnete das Medaillon und drückte das Bild der heimlich Geliebten an seine Lippen. Dann stellte er sich sinnend an das Fenster.

"Was mag es sein, was den berühmten Admiral nach Tremona führt? Und wie kam der Vater mit ihm zusammen? Es ist ein eigenthümlicher Brief, welchen er mir schreibt!"

Er öffnete ein Kästchen und entnahm demselben einen Bogen, welchen er entfaltete und las:

"Mein lieber Junge!

Ich erfuhr in Deinem letzten Briefe, daß Du Urlaub bekommst und nach Tremona gehen wirst. Das gönne ich Dir von ganzem Herzen und wünsche, ich könnte bei Dir sein. Da dies aber nicht der Fall sein kann, so sende ich Dir einen Stellvertreter, nämlich keinen Anderen, als den berühmten Seehelden Nurwan Pascha, welcher eine Kleinigkeit mit der Süderländischen Regierung zu reguliren hat und mich frug, ob es in Tremona ein anständiges Logement gebe, wo er einige Zeit lang ungestört seinen Neigungen leben könne. Ich erzählte ihm von Dir und Schloß Sternburg und erhielt von ihm die Erlaubniß, ihn Deiner Gastfreundschaft empfehlen zu dürfen. Er wird einige Tage nach dem gegenwärtigen Briefe bei Dir anlangen, und ich bin überzeugt, daß Ihr beiden Seethiere bald Wohlgefallen an einander finden werdet. Sorge besonders dafür, daß er sich frei und ohne von zudringlicher Neugierde belästigt zu sein, bewegen kann!

Allem Anscheine nach bereitet sich zwischen Norland und Süderland ein Bruch vor, dessen Länge und Breite jetzt unmöglich abzumessen ist, und ich habe eine kleine Ahnung, daß der Besuch des Pascha in Tremona mit diesem Umstande in enge Verbindung zu bringen sei. Mir scheint, es fehle Süderland im Falle eines Krieges an einem tüchtigen Seemanne, vielleicht - doch soll diese Bemerkung keineswegs eine Mahnung enthalten, den Pascha unter Deine Aufsicht zu nehmen. Er ist eine vollständig undurchdringliche Persönlichkeit, und neben seiner hohen seemännischen Charge ein gewandter Diplomat, dem man nicht gern eine unangenehme Deklination einflößen möchte. So soll ihm noch vor ganz Kurzem beim Vizekönige von Egypten eine Mission gelungen sein, an deren Schwierigkeit die Bemühungen seiner Vorgänger gründlich scheiterten. Nimm ihn auf wie mich selbst - à propos, er hat eine Tochter, welche er, - ich sage Dir einstweilen nur so viel, daß ich sie heirathen werde, wenn Du kein Mittel findest, dies zu verhindern. Leider wird er sie wohl nicht mitbringen; sie ist in echt orientalischer Abgeschlossenheit erzogen worden, und so scheint es wahrscheinlich, daß er sie nicht dem bewegten Leben einer großen Hafenstadt aussetzen werde.

Vielleicht ist es mir möglich, noch vor Ablauf Deines Urlaubes Dich in Tremona zu überraschen. Bis dahin sei gegrüßt von Deinem treuen Vater.

Ist es Dir noch nicht gelungen, eine Spur von der Zigeunerin Zarba aufzufinden? Ich würde Vieles darum geben, ihr einige Fragen vorlegen zu können. Der Obige."

Noch war er mit dem Zusammenfalten dieses Briefes beschäftigt, so klopfte es und die Kastellanin trat ein.

"Darf ich das Frühstück serviren, Durchlaucht? Mein lieber junger Herr sind die ganze lange Nacht hindurch zu Pferde gewesen und haben während dieser Zeit wohl kaum etwas Ordentliches genossen!"

|74B "Ja, ich habe Hunger, meine liebe Mutter Horn. Zeigen Sie einmal, was Sie mir bringen!"

"Ich bringe immer nur, was Sie gern haben, Durchlaucht. Und wissen Sie, wer es geschnitten und auf den Teller arrangirt hat?"

"Natürlich Sie."

"O nein, Fräulein Almah ist es gewesen."

"Die Türkin? Die wird doch das Frühstück für ihren Bedienten nicht selbst bereiten! Ich nehme natürlich an, daß sie gewußt hat, für wen es bestimmt ist."

"Sie hat es gewußt und dennoch die kleinen Händchen nicht geschont. "Er ist während der ganzen Nacht zu Pferde gewesen und von Papa dafür gar noch ausgescholten worden," hat sie gesagt; "ich muß dafür sorgen, daß er nicht hungert." Übrigens ist sie gar keine Türkin, sondern eine Christin."

"Ah! Ist dies wahr?"

"Sie hat es mir selbst gesagt; und auch ihr Vater ist ein Christ. Er hat sie auf einer einsamen Insel erzogen, und wenn er fort gewesen ist, so hat sie sich mit zwei Heiden und einer alten Dienerin allein befunden."

"Welche Insel ist das gewesen?"

"Das weiß ich nicht, aber wenn Sie es wissen wollen, so werde ich sie einmal fragen. O, sie sagt mir Alles; sie ist die echte reine Liebe. Durchlaucht, wenn ich ein Mann wäre, die müßte meine Frau werden! Sie ist so schön wie die Sonne, und so gut wie keine Andre mehr. Wenn ich daran denke, daß sie einmal beinahe ertrunken wäre, so zittre ich vor Angst!"

"Ertrunken?"

"Ja, ertrunken. Das ist da drüben gewesen in - na da, wo der König Pharao auch ertrunken ist -!"

"In Egypten?"

"Ja, so heißt die Gegend. Da ist sie mit der Frau vom Könige einmal des Abends auf dem Wasser spazieren gefahren und dabei aus dem Kahn gefallen. Herr Jesses, wie leicht konnte sie da verloren sein. Aber da ist ein Fremder gewesen, der hat sie noch erfaßt und ist mit ihr an das Land geschwommen."

"Wer war es?"

"Das weiß ich nicht."

"Aber sie weiß es?"

"Auch nicht. Er hat der Königin seine Karte gegeben, und die hat sie wieder verloren."

"Ah, wessen Karte man verliert, an Dem ist Einem nicht viel gelegen."

"Das mag wahr sein, hier aber ist es sicherlich anders; denn Almah kann ihr Herzeleid darüber, daß sie ihrem Retter nicht einmal danken kann, gar nicht beschreiben."

"Vielleicht findet sie ihn noch!"

"Das ist möglich, denn sie weiß wenigstens so viel, daß er Korvettenkapitän gewesen ist. Vielleicht könnten Durchlaucht ihn ausfindig machen, da es ein Kamerad ist; aber Sie dürfen leider wegen dem Inkognito nicht mit ihr darüber sprechen. Herr Jesses, wäre das schön, wenn das Inkognito nicht wäre!"

"Warum?"

"Weil dann zwei gute, liebe Menschen mit einander verkehren könnten, wie es sich für sie schickt und gehört. Adieu, Durchlaucht; nun muß ich fort, denn es gilt, an das Diner zu denken!"

Der Kapitän lächelte still vor sich hin. Auch ihm kam es so vor, daß es weit schöner wäre, wenn er sich ihr in seiner wahren Eigenschaft zeigen könne, doch leider schien es ihm nicht gerathen, den Pascha durch das Geständniß der Wahrheit in Verlegenheit zu bringen.

|75A Aus diesem Grunde besorgte er einige Aufträge desselben im Laufe des Vormittags mit dienstlicher Treue, und war eben in das Schloß zurückgekehrt, als er, die Höhe herniederblickend, eine Lohnequipage bemerkte, welche sich dem Schlosse zu emporbewegte. Sie war offen, und er konnte deutlich die Gestalt erkennen, welche, in einen Militärüberrock gehüllt, in stolz-nachlässiger Haltung im Fonde saß.

"Prinz Hugo! Ah, als Abgesandter seines Vaters, jedenfalls in Folge der von mir überbrachten Depesche!"

Sein Gesicht nahm einen finstern Ausdruck an. "Heute wird er nicht die Lieutenantsuniform tragen, und - ah, wenn er Almah erblickt, so wird er Feuer und Flamme sein. Einem Charakter von seiner Rücksichtslosigkeit ist es zuzutrauen, daß er die Heiligkeit des Gastrechtes und die Eigenschaften ihres Vaters vergißt. Doch dann wehe ihm; ich werde über sie wachen!"

Er sorgte dafür, daß ihn der Prinz nicht sofort zu sehen bekam, und dies fiel ihm nicht schwer, da zur persönlichen Bedienung des Pascha einer der arabischen Matrosen von der Yacht gerufen worden war, und er nur die Aufgabe zu haben schien, die Verbindung mit der Außenwelt zu unterhalten.

Als er nach einiger Zeit in sein Zimmer zurückkehrte und dabei an der Küche vorübergehen mußte, stand die Thüre derselben um eine Lücke offen und er vernahm die Stimme Almahs. Unwillkürlich blieb er stehen.

"Er ist kein Prinz!"

"Kein Prinz?" frug die erstaunte Stimme der Kastellanin. "Wie so?"

"Von Geburt mag er es wohl sein, aber nicht von Gesinnung. Einen Prinzen habe ich mir anders vorgestellt."

"Wie denn ungefähr?"

"Wie - wie - nicht wie diesen Mann, dessen Augen beleidigen und dessen Höflichkeiten kränken, sondern wie - wie - nun -" lachte sie - "fast so stolz, ehrlich und gut wie den Matrosen, den Papa gestern gemiethet hat. Papa sagt auch, daß er gar nicht wie ein Vordeckmann aussehe und der Sohn sehr anständiger Eltern sein müsse. Ich möchte gar nicht wieder hinauf zu Papa, wenn ich nicht ihm und dem Gaste die Honneurs der Tafel zu machen hätte, wie sich der Prinz ausdrückt."

|75B "Ja, ein guter Herr ist er nicht, dieser Prinz Hugo, meinte die Kastellanin; "man darf es natürlich nur nicht öffentlich sagen. Er wird im ganzen Lande nicht anders genannt, als der "tolle Prinz," und besonders müssen sich die jungen Damen hüten, ihm zu begegnen."

"Sie ist gewarnt," dachte Arthur und trat in sein Zimmer.

Als er nach eingenommenem Mittagsmahle hinaustrat und einen Blick hinunter nach der Stadt warf, sah er einen Mann emporsteigen, welcher zuweilen halten blieb und das Schloß wie einer beobachtete, welcher sich noch nicht vollständig klar ist über die besten Schritte zur Erreichung eines vorgesteckten Zieles. Er bleib zuweilen einige Augenblicke sinnend stehen und schritt dann wieder eine Strecke empor, um von Neuem sinnend innezuhalten. Endlich erreichte er doch das Thor und sah sich hier Arthur gegenüber.

"Friede sei mit Dir, mein Sohn!" grüßte er salbungsvoll, das weiße Leinentuch aus der Tasche des langen Schoßrockes nehmend, um sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen. "Wer wohnt in diesem schönen Hause?"

"Es gehört dem Fürsten von Sternburg."

"Ist der Fürst zu sprechen?"

"Er ist nicht hier."

"Wer vertritt ihn hier?"

"Sein Sohn, Prinz Arthur."

"Prinz Arthur, der Norländische Seekapitän? Ist er daheim?"

"Warum?"

"Warum? Mein Sohn, ich bin ein Diener am großen Weinberge Christi; was ich thue und was ich frage, das thue und frage ich auf Geheiß des göttlichen Geistes, dessen Eingebung nicht Jedermann erfahren darf. Ist der Prinz daheim?"

"Warum? frage ich nochmals, denn auch ich bin ein Diener und gehorche meinem Herrn. Auf meine Auskunft kommt es an, ob er daheim ist oder nicht."

"Mein Sohn, ich habe mit einem Gaste des Prinzen zu sprechen."

"Wer ist dieser Gast?"

"Ein Türke, ein Ungläubiger, dessen Seele ich retten will vor dem ewigen Verderben. Ist der Prinz daheim?"

"Jetzt ist er nicht im Schlosse anwesend; er wird Euch also in Euren frommen Bemühungen nicht stören, ehrwürdiger Vater. |76A Geht durch das Portal und eine Treppe empor, so werdet Ihr einen Diener finden, welcher Euch anmelden kann!"

"Ich danke Dir, mein Sohn. Nimm meinen väterlichen Segen!"

Er schritt nach dem Portale zu, in welchem er verschwand.

"Ein Jesuit. Die frommen Väter werden hier im Lande geduldet; mir sind sie ein Gräuel! Bekehrungsversuch? Pah! Jedenfalls ist es eine ganz andere Absicht, die ihn zum Pascha treibt."

Er blieb am Thore halten, um die Rückkehr des Mannes zu erwarten. Es dauerte gar nicht lange, so sah er ihn kommen.

"Mein Sohn, ich muß Dir zürnen!" klang ein Vorwurf zwischen den schmalen, bleichen Lippen der hagern Gestalt hervor.

"Weshalb?"

"Der Ungläubige war nicht allein; er hatte einen hohen Offizier bei sich, dessen Anwesenheit ihn verhinderte, meinen Worten Gehör zu schenken. Warum hast Du mir nicht gesagt, daß er keine Zeit habe?"

"Weil Ihr mich nicht darnach gefragt habt. Adieu!"

Er wandte sich indignirt ab und ging nach dem Garten. Er wandte sich, um seinen Gedanken ungestört nachhängen zu können nach dem hintersten Theile desselben, und war kaum dort angelangt, so vernahm er seitwärts ein Geräusch, welches ihn emporblicken ließ.

Auf der hohen Mauer ritt ein Mann, welcher ihm grüßend zunickte und dann mit einem Sprunge vor ihm stand.

"Was willst Du? Wer hat Dir erlaubt, auf eine so ungewöhnliche Weise hier Zutritt zu nehmen?"

"Zarba!"

Der Mann sprach nur dies eine Wort aus; aber es hatte eine sehr in die Augen fallende Wirkung.

"Zarba?" rief Arthur. "Kennst Du sie? Wo ist sie? Schickt sie vielleicht Dich hierher?"

Der Mann lächelte. Er war beinahe in Lumpen gekleidet, und sein Gesicht, der lang herabhängende Schnurrbart und die nackten, schmutzigen Füße ließen in ihm einen Zigeuner erkennen.

"Zu Euch, dem Prinzen nicht!" antwortete er.

"Du kennst mich?"

"Ich kenne Euch und liebe Euch, denn Ihr seid ein Freund von meiner Herrin, welche mächtig und groß ist unter dem Volke der Weissagung."

"Wer ist Deine Herrin?"

"Zarba."

"Und sie sendet Dich nicht zu mir?"

"Nein."

"Aber Du kommst doch nach Schloß Sternburg. Was sollst Du hier?"

"Es ist ein großer Mann hier anwesend, welcher aus dem Morgenlande stammt und vom Fürsten geschickt wurde?"

"Ja," antwortete Arthur erstaunt. "Wer hat Dir davon erzählt?"

"Zarba weiß Alles. Ich muß mit diesem Manne sprechen."

"Was?"

"Nichts. Ich habe ihm nur ein Schreiben zu geben."

"Er ist jetzt nicht allein; er hat Besuch. Du mußt also warten!"

"Ich kann nicht warten. Wollt Ihr dieses Papier ihm übergeben?"

"Ja."

"Ich komme wieder, um mir die Antwort zu holen."

Er wandte sich wieder nach der Mauer.

"Halt!" gebot Arthur. "Du wirst mir einige Fragen beantworten, ehe Du von hier gehst!"

"Welche?"

"Wo ist Zarba?"

"Das darf ich nicht sagen."

"Und wenn ich Dich zwinge?"

"Der Zigeuner ist frei. Ihn zwingt Niemand. Und wenn ihn die Gewalt besiegt, so stirbt er, aber sein Mund schweigt."

"Aber wenn ich Dich bitte?"

"Dann werde ich Euch Auskunft geben."

"Nun?"

"Zarba wußte, daß Ihr nach ihr fragen würdet, und gebot mir, Euch zu sagen, daß ihr Geist stets neben Euch wandelt, ihr Auge alles sieht, was Ihr thut und ihrem Ohre kein Laut Eures Mundes entgeht. Sie muß verborgen bleiben noch eine kleine Weile; ist aber die Zeit gekommen, so wird sie erscheinen, auch ohne daß Ihr sie ruft."

"Ist sie weit von hier?"

"Ich sagte, daß mein Mund schweigen und mein Fuß eilen |76B muß. Ich habe den Mann zu verfolgen, welcher mit Euch draußen am Thore sprach."

"Wer ist er?"

"Eine Viper, welche Euch sticht, sobald Ihr sie berührt. Seid gegrüßt von Zarba, der Königin ihres Volkes, und lebt wohl!"

Einen nahe an der Mauer stehenden Baum benutzend, kletterte er auf dieselbe empor und war in der nächsten Minute auf der andern Seite verschwunden.

Arthur hielt das kleine, zusammengefaltete und mit einem höchst eigenthümlichen Siegel versehene Billet in der Hand. Jetzt hatte er Gelegenheit gehabt, den Wunsch des Vaters zu befolgen und sich über Zarba vollständige Gewißheit zu verschaffen, doch war ihm der Bote mit der Glattheit eines Aals entschlüpft. Aber er mußte ja wiederkommen, um sich die Antwort zu holen, und dann gab es vielleicht Gelegenheit, die jetzt erfolglose Erkundigung mit besserer Wirkung zu erneuern.

Er schritt langsam wieder dem Schlosse zu, da hörte er leichte Schritte, welche ihm entgegenkamen, und blieb halten. Es war Almah. Der Weg hier war schmal und wurde zu beiden Seiten von Buschwerk begrenzt. Er machte Miene, sich in das Letztere einzudrücken, um den Weg freizugeben, sie aber hielt ihn mit einer Bewegung ihrer Hand davon ab.

"Bill - nicht wahr, so heißest Du -?"

"Ja."

"Papa hat Dir wehe gethan. Sei ihm nicht gram dafür!"

Er blickte ihr in die Augen, und dann mußte er die seinigen schließen, denn er fühlte, welche Gluth seinem Herzen entstieg, um sich in den Blick zu drängen.

"Almah - nicht wahr, so heißen Sie?"

"Ja."

"Und wissen Sie, was dieses Wort bedeutet?"

"Nein."

"Almah heißt Seele, und - ohne Seele gibt es kein Leben, gibt es nur Tod. Erhalten Sie dem das Leben, welcher ohne Sie sterben müßte!"

Er theilte das Gebüsch mit den Armen und zwängte sich hindurch. Er fühlte, daß er zuviel gesagt habe, aber bei dem Anblick dieses herrlichen Geschöpfes hatte sich die Liebe in ihm aufgebäumt, so daß ihm die Worte wider Willen und gegen alle Absicht entfahren waren.

Er suchte den verlassenen Pfad wieder zu gewinnen und war dann auf demselben noch nicht weit fortgeschritten, so vernahm er abermals ein nahendes Geräusch. Er bog um eine Ecke und wäre fast mit Prinz Hugo zusammengestoßen. Dieser erkannte ihn sofort und blieb überrascht stehen. Er trug Generalsuniform und schien im Begriffe zu stehen, Jemand zu suchen.

"Halt! Treffe ich Dich hier, Bursche?" meinte er mit einem stechenden, verächtlichen Blicke. "Hast Du den "Jungen" an der Schloßwache vergessen? Hier, nimm ein Souvenir daran!"

Er holte aus, um Arthur einen Schlag in das Gesicht zu versetzen, dieser aber erhob einfach den Fuß und versetzte ihm einen solchen Tritt in die Gegend des Magens, daß er nach hinten zwischen die Sträucher stürzte.

"Behalte mit dem "Jungen" auch das Souvenir. Nur ein Schurke nimmt etwas von Dir an!"

Mit diesen Worten wandte er sich ruhig vorwärts. Er erwartete, daß der Gegner ihm sofort folgen werde, da er aber nicht das geringste Zeichen davon bemerkte, so blieb er nach kurzer Zeit stehen.

"Er ist mit dem Pascha fertig und hat bemerkt, daß Almah in den Garten ging. Jetzt folgt er ihr und wird es vorziehen, sie statt meiner aufzusuchen. Soll ich ihm folgen? Ja, denn in seiner Nähe vermag sie nur ein starker, schlagfertiger Arm vor Beleidigungen zu schützen!"

Er schritt noch eine kurze Strecke vorwärts und bog in einen zweiten Weg ein, welcher ebenfalls nach der Gegend des Gartens führte, in welcher die beiden zu vermuthen waren. Lange blieb er ohne das geringste Zeichen, daß sie sich getroffen hatten und noch anwesend seien, endlich aber vernahm er zwei Stimmen und schritt leise der Gegend zu, in welcher dieselben ertönten.

Gerade an dem Orte, an welchem er mit dem Zigeuner gesprochen hatte, stand Almah und vor ihr der tolle Prinz, welcher vor der Begegnung mit ihr, jedenfalls die Spuren entfernt hatte, welche seine Uniform von der Begegnung mit Arthur davongetragen hatte. Man sah es dem Mädchen an, daß sie sich ihm gegenüber in Verlegenheit befand. Ihre Wangen waren geröthet, und ihr Blick irrte suchend über die Umgebung, als ob sie nach einer Gelegenheit spähe, dem ihr lästigen Gespräche zu entgehen.

"Ich wiederhole, daß Ihr Vater der schönste Mann ist, welcher |77A meinem Blicke begegnete. Und Ihre Mutter, Fräulein, muß alle Reize in sich vereinigt haben, welche dem Weibe gegeben sind, um sich den Mann unterthänig zu machen."

"Ich kenne nur Papa. Mutter starb, als ich noch ein Kind war," antwortete sie verlegen.

"Kein Wunder," fuhr der Prinz fort, ohne auf ihre Worte zu achten, "daß ich in Ihnen die herrlichste aller Frauen vor mir sehe. Fräulein, sie haben keine Ahnung von der Gewalt, mit welcher Ihr Anblick Jeden packt, welcher in Ihre Nähe kommt - - -"

Er erfaßte ihre Hand, die sie ihm aber zu entziehen suchte.

"O, lassen Sie mir dieses kleine süße Händchen! Ich muß es küssen; ich muß meinen Arm um diese unvergleichliche Taille legen, muß dieses bezaubernde Köpfchen an mein Herz ziehen, um diese Lippen - - -"

"Prinz," rief sie, "lassen Sie mich!"

"Dich lassen?" antwortete er, die sich mit aller Macht Sträubende fest an sich ziehend. "Das wäre das unverzeihlichste Verbrechen gegen die Göttlichkeit des Schönen. Nein, festhalten werde ich Dich, Du Entzückende, um von Deinen Lippen Wonne und Seligkeit zu trinken!"

Sie wandte alle ihr zu Gebot stehende Kraft an, sich aus seiner Umarmung zu befreien, vergebens.

"Lassen Sie mich, Prinz, sonst rufe ich um Hülfe!"

"Rufe, mein Herz,; es wird Dich hier Niemand hören!" antwortete er, sich mit seinem Munde ihren Lippen nahend.

"Sie braucht nicht zu rufen, denn sie ist bereits gehört worden," ertönte eine feste, ruhige Stimme, und der Matrose stand vor ihm. "Lassen Sie meine Herrin los, Prinz!"

"Ah, Du bist es?" erklang es knirschend. "Schön, ich werde sogleich mit Dir abrechnen, vorher aber muß ich diese Lippen - - -"

Er kam nicht zum Kusse, denn Arthur packte ihn, so daß er die Arme von Almah lassen mußte, und schleuderte ihn mit solcher Wucht an die Mauer, daß er zusammenknickte. Dennoch aber raffte sich der Prinz schnell wieder empor und zog den Degen.

"Hund, das wagst Du! So stirb!"

Arthur faßte ihn bei der Faust und entriß ihm den Degen.

"Sterben, nicht wahr, wie gestern Karl Goldschmidt, Dein Opfer? Du bist ein ehrloser Schurke, und ich werde Dich als solchen kennzeichnen, damit fortan die Unschuld vor Dir sicher sei!"

Er entriß ihm den Degen, zertrat denselben mit dem Fuße und schleuderte ihm das Gefäß mit solcher Kraft in das Gesicht, daß ein rother Blutstrahl aufspritzte. Vor Wuth und Schmerz laut heulend, stürzte sich der Getroffene auf ihn, fühlte sich aber sofort mit unwiderstehlicher Kraft gepackt und zu Boden geworfen. Dann riß der starke Seemann eine Ruthe vom nächsten Busche und zog ihm dieselbe wiederholt über das Angesicht.

"So, an diesem Zeichen soll man Dich erkennen, und der gestrige Tag soll der letzte sein, an dem es Dir gelingt, ein Mädchen zu bethören!"

Ein mächtiger Faustschlag vollendete den Sieg; der Prinz lag entehrt und besinnungslos am Boden. Als sich Arthur erhob war Almah entflohen. - - -


Einführung "Scepter und Hammer"

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