Karl May's dritter Münchmeyer-Roman


Der verlorene Sohn

oder

Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.

Zweiter Band


Lieferung 29.

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»Das freut mich, Eduard; aber es freut mich nicht aus Hochmuth und Eitelkeit, sondern weil ich Dein sein werde.«

»So ist's recht, mein liebes, liebes Mädchen! Schau, als ich Dich zum ersten Male in diesem Anzuge sah, da war ich ganz erstaunt über Dich; daß Du so schön sein könntest, hatte ich gar nicht gedacht. Und daher hat der Gedanke, daß Du nicht mir, sondern einem Anderen gehören solltest, mir schier das Herz zerrissen!«

»Nun aber ist's wohl wieder heil?«

»Ja, wenn Du mir von Herzen gut sein willst.«

»Sehr gut, o, wie so gut, lieber Eduard!«

»Und dann später - willst Du da mein Weibchen sein?«

»Ich werde den lieben Gott täglich bitten, daß er mir dieses Glück nicht versagen möge!«

»Ist es wirklich ein Glück für Dich?«

»Ein großes, ein sehr großes!«

»Trotzdem Du so hübsch bist und auch reicher als ich?«

»Geh! Sei nicht hart! Bist Du etwa häßlich? Ich habe gar nicht gewußt, was für ein prächtiger Kerl Du bist. Aber als Du diesen Seidelmann mit einem Ruck zu Boden warfst, da stieg es in mir empor, so hell und so klar, daß nur Du es bist, dessen Frau ich werden mag!«

»Was aber wird Dein Vater sagen?«

»Habe keine Sorge! Seidelmann hat ihm den Kopf verdreht, aber er würde lieber sterben, als mich das Schicksal der Schreiberstochter erleiden lassen. Wenn ich ihm erzähle, was geschehen ist, so wird er Dir großen Dank wissen. Also, sind wir einig, Eduard?«

»Ja, liebes Engelchen!«

»Und wir werden uns niemals wieder betrüben?«

»Nein. Wir wollen Gott bitten, solche Trübsal fern von uns zu halten. Aber, Engelchen, was ist denn das? Du hast mich ja umarmt?«

»Darf ich das nicht?« fragte sie verschämt.

»O, gar gern! Und ich, ich halte Dich so fest und innig am Herzen! Und dieser Seidelmann durfte Dich nicht anrühren!«

»Lieber wäre ich gestorben!«

»Aber bei mir stirbst Du nicht?«

»Nein, nein, Du Lieber, Du Guter!« flüsterte sie.

»So glaube ich am Ende gar, daß ich es wagen darf, Dir - hm, Dir einen Kuß zu geben! Wie?«

»Ist das denn nothwendig?«

»Ich halte es für sehr nothwendig. Darf ich?«

Sie antwortete nicht; aber als er seine Lippen auf ihren Mund legte, da fühlte er einen liebevollen, warmen Gegendruck. Wie glücklich war er, dieses schöne Mädchen, und noch dazu in diesem Maskenanzuge, in seinen Armen zu halten. Es war kalt, und Engelchen war sehr decolletirt, aber sie


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fühlte die Kälte nicht. Sie lag ja an seinem Herzen, und er hatte das große, dicke Tuch sehr eng um sie geschlungen.

Der Lauscher unter der Treppe hörte jedes Wort; er hörte jetzt auch das leise, galvanische Geknister der Küsse. Er hätte mit beiden Fäusten drein schlagen mögen, wenn es nur gegangen wäre! Da pflückte dieser arme Webersbursche die Rose, welche er für sich hatte reserviren wollen - zweihundert Gulden pro Jahr; das war doch sehr gut bezahlt!

Nach langem Schweigen ergriff das Mädchen wieder das Wort.

»Nun aber sage mir, wie Du zu der Maskerade gekommen bist.«

»Das ist eigentlich auch so eine Art von Beichte.«

»Ist eine Schuld dabei?«

»Eigentlich nicht, aber doch ein Teil Lug und Trug.«

»Ich werde es Dir vergeben.«

»O,« lachte er leise, »nicht Du bist es, der mir zu vergeben hat!«

»Wer sonst?«

»Der junge Kaufmann Strauch, den ich um sein Vergnügen gebracht habe. Ich hoffe, daß er es nicht erfahren wird.«

»Du machst mich sehr neugierig.«

»Nun, das war so: Als Du dabei beharrtest, zur Maskerade zu gehen, da wurde es mir angst um Dich. Ich wußte, daß man Dir eine Schlinge legen wolle.«

»Du hattest sehr Recht. Das habe ich heute gesehen.«

»Ich wollte Dich beschützen und über Dich wachen. Das ging aber nur dann, wenn ich mit dabei sein konnte.«

»Richtig! Wie aber hast Du es fertig gebracht?«

»Ich mußte es so weit bringen, daß Einer nicht mitmachte, ohne daß er es den Anderen sagte.«

»Das war schwer.«

»Aber ich habe es doch fertig gebracht. Ich schrieb nämlich an Strauch einen Brief, in welchem ich ihm verbot, an der Maskerade theilzunehmen. Ebenso verbot ich ihm, die anderen Mitglieder des Casinos Etwas davon wissen zu lassen.«

»Und er hat gehorcht?«

»Ja.«

»Das ist wunderbar!«

»Nicht so sehr, wie Du denkst! Mir hätte er nicht gehorcht. Er hätte mich nur ausgelacht, mich gar für verrückt gehalten. Aber ich hatte eine prächtige Idee. Weißt Du, wie ich mich in dem Briefe unterschrieben habe?«

»Nun, wie?«

»Ich habe als Waldkönig unterzeichnet.«

»Herrgott!«

»Du erschrickst?«

»Ja, freilich!«

»Es war ja doch nur Spaß. Der Strauch hat wirklich geglaubt, daß


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der Waldkönig diesen Brief geschrieben hat, und daher ist er gehorsam gewesen. Ich war dann beim Maskenverleiher. Dort lag der Anzug, den Strauch hatte nehmen wollen. Ich nahm ihn für mich. Darum haben mich Alle für Strauch gehalten, und darum konnte ich Dich heute beschützen.«

»Wie sonderbar! Weißt Du, lieber Eduard, daß ich ganz stolz bin auf den Streich, den Du Dir da ausgesonnen hast? Das bringt nur Einer zusammen, der nicht auf den Kopf gefallen ist. Den Anzug hast Du Dir nur geborgt?«

»Ja, freilich!«

»Wann giebst Du ihn wieder zurück?«

»Morgen.«

»Vielleicht könntest Du da - ich denke nämlich, daß mein Anzug auch geborgt ist, dann müßte ich ihn zurückgeben. Könntest Du den Verleiher nicht einmal fragen?«

»Ja.«

»Wann gehst Du?«

»Gleich nach dem Mittagessen. Aber Dein Anzug braucht uns gar keine Sorge zu machen. Der Seidelmann hat ihn geschickt, und so sendest Du ihm das Zeug wieder zurück. Das ist das Einfachste.«

»Das ist wahr. Aber was wird Vater sagen, wenn er hört, daß er keine Arbeit mehr bekommt!«

»Eigentlich meine ich, daß er an diesem Unglücke selbst die Schuld trägt. Er hat sich von Seidelmann blenden lassen und Dich gezwungen, zum Ball zu gehen. Ein guter Vater sollte - na, ich will Dir nicht wehe thun. Verliert er die Arbeit, so wird Gott ihm helfen.«

»Aber Gott kommt nicht persönlich auf die Erde herab. Er hilft nur durch andere Menschen.«

»Das ist freilich wahr. Aber mir hat Seidelmann nicht nur die Arbeit entzogen, sondern er hat mich sogar um meinen sauer verdienten Lohn betrogen. Erst heute habe ich eingesehen, weshalb er das gethan hat.«

»Ich ahne es. Wohl meinetwegen?«

»Ja, Engelchen. Er hat mich in Noth und Elend bringen und gar aus der Gegend jagen wollen, um Dich dann sicher zu erbeuten.«

»Das wäre ihm nicht gelungen.«

»O, Du kennst ihn nicht! Er hat kein Gewissen. Wie nun, wenn ich heute nicht gewesen wäre?«

»So hätte ich nach Hilfe gerufen.«

»Hätte ich nicht mit ihm gewettet, so wäre die Sache wohl anders gekommen. Übrigens bist Du noch nicht sicher vor ihm. Er ist ein Wüstling; er hat seine Augen auf Dich geworfen, und er wird alle Hebel in Bewegung setzen, um seinen Willen doch noch zu haben.«

»Ich gehe nicht aus dem Hause. Und wenn ich dennoch einmal fortgehe, so mußt Du bei mir sein.«

»Ich habe mich selbst vor ihm in Acht zu nehmen. Er wird mir den


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heutigen Abend nie vergessen. Es ist nur gut, daß ich ihn ganz und gar nicht zu fürchten brauche.«

»Etwa, weil Du stärker bist als er?«

»Das nicht. Gegen Schlechtigkeit und List hilft keine Körperkraft. Aber ich stehe unter einem mächtigen Schutze.«

»Gottes?«

»Ja, aber auch unter einem anderen.«

»Welcher wäre das?«

»Das bringt mich auf das zurück, was ich vorhin sagen wollte, als ich meinte, daß Gott Euch helfen werde, wenn Ihr keine Arbeit bekommt. Seidelmann hat mir die Arbeit genommen und mich um den Lohn betrogen. Er dachte, ich sollte in Noth und Elend gerathen; aber gerade dieses Unglück ist mir zum Glück gewesen. Der Förster hat uns gespeist, und dann hat sich auch noch ein Anderer unser erbarmt.«

»Wer denn, lieber Eduard?«

»Denke an Beyer's Kinder.«

»Wieso?«

»Wer hat für sie bezahlt?«

»Der Fürst des Elendes.«

»Wer hat dem Herrn Pfarrer befohlen, sie zu uns zu thun?«

»Auch der Fürst.«

»Nun, dieser ist mein Beschützer.«

»Gott! Kennst Du ihn etwa?«

»Nein. Ich sollte eigentlich kein Wort verrathen; aber Ihr kommt wohl sehr bald in die Lage, Hilfe zu suchen, und da will ich Dir gestehen, daß ich Einen kenne, welcher ein Diener des Fürsten des Elendes ist «

»Wirklich? Eduard, ich erstaune! Wer ist dieser Mann, dieser Diener des Fürsten?«

»Das ist auch mir unbekannt.«

»Wo hält er sich auf?«

»Das darf ich nicht verrathen.«

»Aber Du kommst mit ihm zurück; Du sprichst mit ihm?«

»Ja. Die Noth, in welche mich Seidelmann stürzen wollte, hat ein Ende genommen, ehe sie nur zum Anfang kam. Auch ich stehe im Dienste des Fürsten des Elendes und beziehe einen so schönen Gehalt, daß ich leben kann wie ein Graf.«

»Herrgott! Ist das wahr?«

»Gewiß! Siehst Du, liebes Engelchen, wir lieben uns, und Du willst mein Weibchen werden. Da kann ich es wohl wagen, Dir diese Mittheilung zu machen, damit Du keine Sorge um mich und auch um Euch zu haben brauchst.«

»Das ist recht von Dir. Nun sehe ich, daß Du mich wirklich lieb hast. Aber ich darf wohl nicht davon sprechen?«

»Zu keinem Menschen.«


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»Auch nicht zu den Eltern?«

»Auch zu ihnen nicht. Willst Du es mir mit der Hand versprechen?«

»Ja; hier ist die Hand! So brauchst Du wohl für die Zukunft keine Sorge mehr zu tragen?«

»Nein. Wenn mir das gelingt, was wir jetzt vorhaben, so bin ich sicher, daß der Fürst des Elendes für mich sorgen wird.«

»Was wollt ihr thun?«

»Einen fangen.«

»Wen?«

»Hm! Darüber muß ich allerdings schweigen.«

»Ich errathe es aber. Herrgott, wenn es wahr wäre, was ich ahne! Ich hätte Tag und Nacht keine Ruhe mehr.«

»Warum?«

»Weil Derjenige, den ihr fangen wollt, so gar gefährlich ist.«

»Du wirst falsch rathen.«

»Nicht doch! Ist's nicht der Waldkönig? Wen gäbe es sonst in dieser Gegend, der zu fangen wäre.«

Sie hatte das Richtige getroffen; er aber beschloß, um sie zu beruhigen, lieber eine Unwahrheit zu sagen:

»Du irrst. Wir wollen den Bormann fangen, der gestern entflohen ist.«

»Gott sei Dank! Da brauche ich keine Angst zu haben. Der Bormann wird längst über alle Berge sein.«

»Das befürchte ich auch. Hast Du heute gehört, daß auch der Schreiber Beyer gestorben ist?«

»Ja. Das ist ein großes, ein fürchterliches Elend! Und daran ist der Seidelmann schuld. Die beiden Todten werden mit einander begraben und neben einander in ein Doppelgrab gelegt.«

»Gehst Du mit zu Grabe?«

»Ja. Es wird ein großer Trauerzug werden, obgleich die Leute so arm gewesen sind. Und Du?«

»Ich gehe auch mit, wenn ich Zeit habe.«

»Du arbeitest ja nicht.«

»Aber ich muß meinem geheimen Herrn zu jeder Zeit zur Verfügung stehen. Also, Du denkst, daß Dein Vater mir nicht bös sein wird, daß ich Dir heute gegen Seidelmann beigestanden habe?«

»Er wird Dir sogar dankbar sein, wenn ich ihm erzähle, was geschehen ist. Vielleicht erlaubt er Dir dann, wieder zu uns in die Stube zu kommen.«

»Das wäre mir so sehr lieb! Aber merkst Du, daß Du frierst?«

»Nein, lieber Eduard.«

»Aber ich habe es jetzt bemerkt. Es wird besser sein, daß ich gehe.«

»Jetzt noch nicht. Erst mußt Du noch einmal mit in die Stube kommen.«

»Warum?«


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»Das sage ich Dir, wenn wir drin sind.«

»Kannst Du hinein? Hast Du den Schlüssel?«

»Mutter wollte ihn legen. Ich finde ihn sogleich.«

Sie stand von der Bank auf, und dann hörte Eduard das leise Klirren des Schlüssels im Schlosse.

»Komm!« flüsterte dann das Mädchen.

Er folgte ihr in die Stube, in welcher es warm war. Sie brannte eine Lampe an und zeigte auf einen Stuhl, auf den er sich setzen sollte. Er that es. Sie legte das Tuch ab, welches sie bis jetzt getragen hatte, trat zu ihm, legte ihm den Arm um den Hals, blickte ihm liebevoll in die Augen und sagte:

»Ich wollte Dein liebes, gutes Gesicht heute noch einmal beim Licht sehen, Eduard. Bist Du mir wirklich nicht mehr bös?«

»Nein! Kein Bischen mehr,« antwortete er, indem er den Arm um ihre Taille legte und sie an sich drückte.

»Und Du wirst mich ebenso lieb behalten, auch wenn ich keine Italienerin mehr bin?«

Da leuchtete sein Gesicht freudig und glücklich auf. Er errieth jetzt, weshalb er noch einmal mit in die Stube kommen sollte. Sie hatte sein Gesicht sehen wollen? Ja; aber das war wohl nicht die Hauptsache. Er hatte ihr gesagt, daß er erst erkannt habe, wie schön sie sei, als sie dieses Gewand getragen hatte. Sie wollte sich ihm in dieser Schönheit noch einmal zeigen; sie wollte ihm damit ihre Liebe beweisen und ihm ein Geschenk damit machen, welches für ihn von hohem Werthe war.

»Bleib so fromm und gut wie heut,« sagte er, »dann kannst Du meiner Liebe für das ganze Leben versichert sein.«

Sie schmiegte sich innig an ihn und antwortete:

»Eduard, nun Du von Deiner Liebe wirklich zu mir gesprochen hast, fühle ich erst, daß ich ohne Dich gar nicht leben möchte, daß ich von Dir nie und nimmer lassen kann.«

Das Herz wollte ihm springen vor Seligkeit.

»Engelchen,« sagte er, »heute Morgen, ja, heute Morgen noch solch' ein Herzeleid, und nun heute Abend dieses Glück! Ich vermag es kaum zu fassen!«

»Ja, ich habe sehr Vieles gut zu machen! Eins aber kann ich Dir sagen: So, wie ich jetzt bei Dir stehe, soll mich kein Mensch mehr sehen, als nur Du allein!«

»Das gebe Gott! Und nun will ich gehen. Nicht?«

»Ja. Schlaf wohl, und gute Nacht!«

Sie umarmten sich und küßten sich innig; dann ging er. Er verließ das Haus durch die Hinterthür, an welcher es noch einen letzten Abschiedskuß gab, und stieg dann gleich über den Zaun hinüber in seinen Garten. Dort lößte sich zu seiner Verwunderung eine Gestalt von der Wand los und kam ihm einige Schritte entgegen. Er erkannte den fremden Mann, welcher in der Schänke Seidelmann zurückgeschleudert hatte, und ahnte nun, wen er vor sich habe.


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»Der Fürst - -?« fragte er leise.

»Des Elendes,« fügte der Andere hinzu. »Sie kannten mich nicht?«

»In der Schänke nicht. Ich begreife nicht, woher Sie die vielen und so verschiedenen Gestalten nehmen!«

»Kenntniß, Übung und Geschwindigkeit, das ist Alles! Sie waren wohl in eine Schlägerei gerathen?«

»Ja. Seidelmann wollte mir mein Mädchen verführen.«

»Darf ich die Erzählung hören?«

»Recht gern.«

Er berichtete ihm das Geschehene und fügte dann hinzu:

»Ich denke aber doch, daß es mir unter Umständen schaden kann, daß ich mich als den Pascherkönig unterschrieben habe.«

»Keine Sorge! Ja, es ist allerdings möglich, daß Ihnen einige kleine Unannehmlichkeiten bereitet werden, ernstlich aber wird es Ihnen nicht schaden können. Aber nehmen Sie sich nun doppelt und dreifach vor diesen Seidelmännern in Acht!«

»Ich werde vorsichtig sein!«

»Hoffentlich trägt Ihre Bekanntschaft mit mir auch etwas zu Ihrem Schutze bei. Ich bin nämlich heute auf eine Vermuthung gekommen, welche Seidelmanns die Köpfe kosten kann.«

»Wirklich? Das wäre!«

»Ja. Was ich Ihnen sage, bleibt natürlich unter uns!«

»Gewiß! Aber, Herr Arndt, vielleicht habe ich da bereits einen sehr großen, unverzeihlichen Fehler begangen.«

»Welchen? Ich will doch nicht befürchten, daß Sie geplaudert haben!«

»Nein; aber dem Engelchen habe ich einige Andeutungen gegeben.«

»Das hätten Sie unterlassen sollen! Was haben Sie gesagt?«

»O, ich war so glücklich, daß Alles so viel anders und besser gekommen war, als ich gedacht hatte, und Engelchen hatte solche Sorge um mich wegen der Rachsucht Seidelmanns, und da sagte ich, daß ich unter dem Schutze eines Mannes stehe, der ein Diener des Fürsten des Elendes sei.«

»Hat sie sich denn nach mir erkundigt?«

»Ja, aber ich habe ihr natürlich keine Auskunft gegeben.«

»Sagten Sie, daß wir uns treffen?«

»Ja.«

»Daß ich Sie besolde?«

»Ja. Es geschah nur, um sie über mich zu beruhigen. Sie hat mir mit der Hand versprochen, zu schweigen.«

»Sie hätten es dennoch unterlassen sollen! Sehen Sie darauf, daß sie ihr Versprechen hält, und thun Sie so Etwas nicht wieder, sonst müßte ich mich von Ihnen zurückziehen! Also ich sagte Ihnen, daß ich auf den Schacht zu Laube gehen wolle - -«

»Ja. Haben Sie mit ihm gesprochen?«


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»Nur ein paar Worte. Er ging dann, um denjenigen zu holen, bei welchem ich mein Anliegen vorbringen konnte. Wissen Sie nun, wer kam?«

»Herr, ich bin begierig, es zu erfahren!«

»Der fromme Seidelmann.«

»Der from - - -«

Das Wort blieb Eduard im Munde stecken, so überrascht war er.

»Ja, der Vorsteher der Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit; dieser kam, mein Lieber.«

»Haben Sie sich nicht geirrt? Haben Sie ihn wirklich erkannt?«

»Ich habe ihn erkannt, obgleich er sich verkleidet hatte und eine Maske trug. Aber sein glattes Kinn und sein weißes Halstuch verriethen ihn.«

»Ja, sein Kinn ist gar nicht zu verkennen; es ist ein Judaskinn.«

»Sapperlot! Sie thun ja, als ob sie Psycho= und Phrenologe seien!«

»Es kam mir so auf die Zunge.«

»Ich machte ihm weiß, daß ich ein bedeutendes Geschäft in Vorschlag habe, und da bemerkte er mir, daß er nichts entscheiden könne, da er der eigentliche Anführer nicht sei?«

»Nicht? Das läßt sich allerdings denken, da er nicht beständig hier wohnt. Wer aber mag der Anführer sein?«

»Jedenfalls einer seiner Verwandten. Er sagte, der Anführer habe heute Abend keine Zeit.«

»Sapperlot! Sollte Fritz gemeint sein, Fritz Seidelmann?«

»Das ist möglich; er oder sein Vater. Haben Sie vielleicht Seidelmann senior bei der Maskerade bemerkt?«

»Nein. Der ist jedenfalls zu Hause gewesen.«

»Also wäre der Junior gemeint. Vielleicht auch lößen die Drei einander ab. Morgen werde ich mir möglichste Gewißheit verschaffen, da ich des Abends wieder nach dem Schachte gehe. Das war es, was ich Ihnen mittheilen wollte. Apropos! Kennen Sie den Weg von hier nach Schloß Hirschenau?«

»Schloß Hirschenau bei Helfenstein?«

»Ja.«

»Sehr gut.«

»Sind Sie dort bekannt?«

»Nein.«

»Es ist möglich, daß Sie mich nächster Tage dorthin zu begleiten haben. Giebt es sonst noch etwas?«

»Nein, Herr Arndt.«

»Dann, gute Nacht!«

Er ging.

Als vorhin Eduard seine Geliebte verlassen hatte, war diese sogleich die Treppe empor nach ihrem Kämmerchen gegangen. Erst als ihre Schritte verklungen waren, hatte Seidelmann sein Versteck verlassen und dann auch das Haus durch dieselbe Hinterthür.


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»Welch' ein glücklicher Gedanke!« dachte er. »Wäre ich den Beiden nicht gefolgt, um sie zu belauschen, so hätte ich nichts erfahren. Ah! Köstlich! Aber nun sollt Ihr es mir büßen!«

Schon wollte er aus dem Schatten des Hauses hervortreten, als es ihm war, als habe er ein Stimmengeflüster gehört. Er duckte sich nieder, kroch mehr nach rechts und bemerkte Arndt und Eduard, welche im Gärtchen des Letzteren standen.

»Wer ist das?« fragte er sich. »Der Hauser und - - ah, wie gut, daß der Schnee leuchtet! Das ist der fremde Hallunke, der sich in der Schänke an mir vergriff. Sollte es vielleicht - hm, Donnerwetter! Sollte es der Diener des Fürsten des Elendes sein, von dem dieser Webergeselle erzählte? Ich werde ihn beobachten. Ich schleiche ihm nach. Ich muß wissen, wohin er geht!«

Er beharrte in seiner niedergedukten Stellung, bis er bemerkte, daß der Fremde sich entfernte. Eduard Hauser trat in seine kleine Wohnung, in deren Thür er verschwand.

Jetzt erhob sich Seidelmann wieder und schlich sich weiter. Er sah, daß der Fremde den Weg nach Osten einschlug, welcher sich dann theilte, geradeaus nach einem Nachbardorfe und rechts nach dem Forsthause. Er folgte ihm, bemerkte aber plötzlich, daß der Mann verschwunden war. Wohin? Seidelmann blieb stehen und lauschte.

Arndt war freilich ein Mann, dem sein Verfolger nicht gewachsen war. Er hatte ein außerordentlich scharfes Gehör. Kurz nachdem er Eduard verlassen hatte, war es ihm, als ob er leise Schritte in einiger Entfernung hinter sich vernehme. Er blieb nicht stehen; er schritt langsam weiter, blickte sich aber um.

Da erkannte er eine männliche Gestalt, welche ihm folgte. Er ging noch eine Strecke und drehte sich abermals um; die Gestalt war noch immer hinter ihm, jetzt aber ein Wenig näher.

»Das kann Zufall sein!« dachte er. »Ich werde es untersuchen!«

Er zog sein weißes Bettuch hervor, nahm es auseinander, warf es über und bückte sich nieder, so daß er von dem weißen Schnee nicht zu unterscheiden war. Er bemerkte, daß die Gestalt stehen blieb und in die Nacht hinein lauschte.

»Ah, es ist wirklich ein Verfolger, Jemand, der mir nachschleicht. Warte, Bursche, ich werde Dir einen Denkzettel geben und dabei zugleich sehen, wer Du bist!«

Er raffte mit den Händen einen möglichst großen Schneeballen zusammen und wartete dann.

Als Seidelmann keine Schritte mehr hörte, nahm er an, daß der Mann, dem er folgte, einen rascheren Lauf angenommen habe. Daher schritt auch er jetzt in verdoppelter Eile vorwärts. Dabei hielt er das Auge suchend in die Ferne, in das unbestimmte Schneeduster gerichtet, und so entging ihm der verhängnißvolle Punkt, dem er sich näherte.

Da plötzlich flatterte etwas Weißes hart vor ihm auf; er glaubte eine


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schwarze Gestalt, wie vom Himmel gefallen, vor sich zu sehen, und dann erhielt er einen Schlag in das Gesicht, daß ihm für einige Augenblicke Hören und Sehen verging.

Arndt hatte sich nämlich blitzschnell unter seinem Tuche vom Boden erhoben und ihn mit aller Gewalt den Schneeballen in das Gesicht geschlagen. Dann raffte er sein Tuch auf und sprang davon, dem Städtchen wieder zu.

Unweit der ersten Häuser hielt er an und blickte zurück.

»Der hat genug! Der geht heute nicht weiter!« lachte er vor sich hin »Der Seidelmann! Ah, ich will ihm lehren, mir nachzuschleichen, um zu sehen wo ich wohne! Dem brummen alle Sinne jetzt so sehr, daß er gar nicht gehört hat, wohin ich gelaufen bin. Sehen hat er nicht sogleich gekonnt. Jedenfalls kehrt er zurück. Ich werde nun den Spieß umdrehen und ihn beobachten.«

Er trat hinter die Ecke des ersten Hauses und wartete. Wirklich dauerte es nicht lange, so kam Seidelmann daher und ging vorüber. Arndt nahm das weiße Tuch über und folgte ihm. Es war gar keine Gefahr dabei, denn es war so spät, daß sich Niemand mehr auf der Straße zeigte.

Da bemerkte er, daß Seidelmann bei Hauser's Häuschen stehen blieb und sich dann hinter dasselbe schlich.

»Was wird er da wollen?« fragte er sich. »Das muß ich wissen!«

Er folgte ihm vorsichtig und gewahrte dann, daß er vor einem Laden der Wohnstube stand und zu horchen schien. Er stand wohl eine Viertelstunde still und unbeweglich: dann entfernte er sich. Auch jetzt hielt sich Arndt in immer gleicher Entfernung hinter ihm, bis Beide die Wohnung des Kaufmannes erreichten. Seidelmann zog einen Schlüssel hervor, öffnete und trat ein. Arndt blieb überlegend stehen.

»Soll ich umkehren oder nicht?« fragte er sich. »Da oben ist noch Licht. Man wartet also. Der junge Seidelmann bringt Neues mit nach Hause, und der alte, fromme Schuster wird ihm von dem Fremden am Schachte zu erzählen haben. Wer da lauschen könnte? Ich werde doch noch ein Wenig warten.«

Nach einer Weile bemerkte er, daß die Lichter von der vorderen Fronte des Hauses verschwunden; dann erleuchtete sich ein Fenster an der Gartenseite.

»Sollte nun hier die Conferenz stattfinden? Man muß sehen!«

Er stieg über den Zaun. Es gab keine Möglichkeit, bis zur Höhe des Fensters zu gelangen. Erst als er nach einiger Zeit sich nach dem Seitengebäude hinüberschlich, gewahrte er eine Leiter, deren er sich bedienen konnte. Er trug sie nach der hinteren Seite des Hauses, und lehnte sie neben dem erleuchteten Fenster an. Dann stieg er auf die Gefahr hin, bemerkt oder überrascht zu werden, hinan. Er durfte natürlich nicht seinen Kopf am Fenster zeigen. Er schielte nur so hinein, und da erblickte er denn die drei Seidelmänner, Vater, Sohn und Oheim. Die beiden Ersteren saßen am Tische, und der Letztere war soeben auf einen Stuhl gestiegen und stand im Begriffe, ein Bild von der Wand abzunehmen.


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Als dies geschehen war, zeigte sich ein großes und tiefes, viereckiges Loch in der Mauer. Seidelmann, der Vater griff hinein und brachte einen Carton zum Vorschein, welchen er öffnete und damit zum Tische trat. Er nahm etwas Schwarzes heraus. Es schienen breite, kostbare Spitzen zu sein, von denen ein ziemlich langes Stück abgemessen und dann abgeschnitten wurde.

»Schön!« flüsterte Arndt, indem er leise und langsam wieder von der Leiter stieg. »Belauschen kann ich sie nicht. Wenn Einer von ihnen an das Fenster tritt, muß er mich sofort erblicken. Es ist zu gefährlich! Aber etwas habe ich doch profitirt: Ich kenne den Ort, an welchem diese Schmuggler ihre Spitzen versteckt haben. Es kommt jedenfalls der Augenblick, an dem ich diese Entdeckung verwerthen kann!«

Er trug dann die Leiter an ihren Ort zurück und entfernte sich. Er hätte nur noch kurze Zeit verweilen sollen!

Als Fritz Seidelmann vorhin nach Hause kam, fand er Vater und Oheim seiner wartend.

»Donnerwetter, Junge, was hast Du denn heute abend für dummes Zeug gemacht?« empfing ihn der Vater.

Doch zeigte das Gelächter, mit welchem er diese Frage begleitete, daß er sich keineswegs in Zorn übe; den Sohn befinde.

»Was für dummes Zeug?« fragte dieser.

»Die Prügelei mit dem Hausers Jungen.«

»Pah! Das ist nicht der Rede werth!«

»Aber er ist Dir doch mit dem Täubchen davongeflogen! Er wird es wohl nun vor lauter Liebe fressen!«

»Woher wißt Ihr denn von dieser albernen Geschichte?«

»Das fragst Du noch? Mensch, das ganze Nest weiß es bereits, vom Pfarrer und Bürgermeister an bis zum Nachtwächter herab! Es sind ja gerade genug Leute dabei gewesen! Eine Dummheit von Dir, eine geradezu riesenhafte Dummheit!«

»Daß ich nicht wüßte!«

»Oho! Ich hätte Dich für gescheidter gehalten.«

»Hätte dieser Schuft, dieser Hauser, sich nicht unrechtmäßiger Weise eingeschlichen gehabt, so wäre es ganz anders gekommen!«

»Unsinn! Die Geschichte war dumm arrangirt. Ich weiß auch den Unterschied zwischen Henne und Henne; ich bin auch jung gewesen, und es fällt mir gar nicht ein, Dir die Flügel zu beschneiden, aber wenn ich ein Mädchen haben wollte, dessen ich nicht ganz sicher war, so habe ich es ganz anders angefangen. Ich gebe zu, daß das Engelchen ein feiner Bissen ist; aber sie in den Clubb einladen, das war Blödsinn. Es gab da hundert andere Gelegenheiten, im Stillen und mit größerer Sicherheit zum Ziele zu gelangen. Du bist famos blamirt! Mich geht es nichts an; aber ich ärgere mich, daß mein Sohn nicht gelernt hat, so etwas geschickter einzufädeln! Warum hast Du mich nicht um Rath gefragt? Warum hast Du mir nichts gesagt?«


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»Der Onkel wußte davon. Übrigens bringe ich aus dem verlorenen Scharmützel immerhin werthvolle Beute mit!«

»Die mag ich gar nicht sehen! Und was den Onkel betrifft, der kann mir auch gestohlen werden! Der hat heute auch einen Pudel geschossen, der gar nicht größer hätte sein können!«

»Wieso?«

»Ich ging zum Bürgermeister, wo dann, kurz bevor ich nach Hause ging, Dein Abenteuer erzählt wurde. Unterdessen hatte es unten im Comptoir geklingelt.«

»Das weiß ich. Ich schickte den Onkel.«

»Warum gingst Du nicht selbst?«

»Ich hatte keine Zeit; ich mußte ja in das Casino!«

»Casino hin, Casino her! Das Geschäft geht vor! Es ist einer der Anführer dagewesen, und zwar eines Geschäftes im Betrage von zwanzigtausend Gulden wegen. Der Onkel hat natürlich nicht disponiren können und dann den Fehler gemacht, mich nicht zu holen. Nun ist der Mann fort, und wir wissen nicht, ob er morgen wiederkommen wird!«

»Hat er es nicht versprochen?«

»Sicherheit hat er nicht gegeben.«

»Nun, so muß man es eben abwarten! Überdies müssen wir gerade jetzt höchst vorsichtig sein. Wißt Ihr, weshalb der Fürst des Elendes in dieser Gegend ist?«

»Um den Pascherkönig zu fangen.«

»Donnerwetter! Woher weißt Du das?«

»Ich habe es erlauscht. Das ist eben ein Stück der Beute, von der ich vorhin gesprochen habe.«

»Es soll ihm schwer werden, uns zu fangen! Wenn man nur eine Ahnung hätte, wer dieser elende Fürst ist!«

»Hm! Ich bin auf der Fährte!«

Die beiden Anderen sprangen in die Höhe.

»Wie?« fragte der Fromme. »Auf der Fährte? Sprich' deutlicher!«

»Er hat einen Diener hier, und Hauser's Eduard steht auch in seinem Sold und Dienst.«

Diese Nachricht brachte allerdings eine ganz bedeutende Wirkung hervor. Fritz sollte erzählen. Er sagte:

»Hier nicht. Das Gesinde ist neugierig; wir sind vor Lauschern nicht sicher. Kommt in die hintere Stube, wo wir nichts zu befürchten brauchen!«

Sie folgten seinem Rathe und dann erzählte er, was er gehört hatte. Als er geendet hatte, machten die beiden Anderen sehr ernste Gesichter.

»Das klingt ja fast gefährlich für uns!« meinte der Vater. »Also Du denkst, daß der Mann, dem Du gefolgt bist und der Dir den Schnee in das Gesicht getrieben hat, jener Diener des Fürsten ist?«

»Ja.«

»Man muß zu erfahren suchen, wo er sich aufhält.«


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»Hauser scheint mir gefährlicher!«

»Allerdings. Er kennt die hiesigen Verhältnisse besser als jener Diener und kann uns sehr viel schaden. Wenn man ihn unschädlich machen könnte!«

»Ich habe ein treffliches Mittel dazu.«

Er erzählte von dem Briefe, den Eduard an den Kaufmann Strauch geschrieben hatte. Das fiel den Beiden in die Ohren.

»Das wäre eine Handhabe!« meinte der Fromme. »Könnte man ihn noch in den Verdacht des Paschens bringen, so - - -«

»Verdacht?« fragte der Sohn. »Was nützt uns ein Verdacht! Paschen muß er, wirklich paschen!«

»Das thut er aber nicht!«

»Er muß es thun, wenn auch unbewußt. Ich habe auf dem Nachhauseweg darüber nachgedacht. Haben wir feine Spitzen da?«

»Ja.«

»Nun, so darf es uns in diesem Falle auf den Verlust einiger Ellen nicht ankommen. Ich sah vorhin durch seinen Stubenladen. Er ging zu Bette. Seinen Rock aber ließ er in der Stube.«

»Sprich deutlicher!«

»Ist das noch nicht deutlich genug? Man schleicht sich in seine Stube und steckt ihm eine Partie Spitzen zwischen das Futter seines Rockes; die sind fein; er bemerkt sie gar nicht. Dann schickt man ihn in irgend einer Weise über die Grenze und macht Anzeige. Er wird ergriffen; es kommt heraus, daß er sich als Waldkönig unterschrieben hat -«

Da fuhr der Fromme von seinem Stuhl auf.

»Bei Salomo und den Propheten, Du bist ein gescheidter Kopf!« rief er. »Ja, so muß es gemacht werden! Nicht, Bruder?«

»Hm! Ja,« antwortete der Gefragte. »Der Plan ist außerordentlich gut. Kann man denn in die Stube?«

»Sehr leicht,« antwortete Fritz. »Die Hinterthür macht keine Schwierigkeiten, und an der Stubenthür befindet sich ein Schraubendrücker, wie wir auch welche haben. Das nehme ich auf mich. Aber bald muß es geschehen, möglichst noch diese Nacht.«

»Wenn man es so einrichten könnte, daß er vor den Grenzern flieht, oder sich an ihnen vergreift!«

»Auch das ist nicht sehr schwierig. Die Hauptsache ist, daß wir die Spitzen in seinen Rock bringen. Ich schlage vor, daß wir es sofort versuchen. Was sagt Ihr dazu?«

»Dich treibt die Rache wegen dem Engelchen; aber Du hast Recht. Gilt er als der Pascherkönig, so läßt man uns in Ruhe. Überhaupt juckt es mir in allen Fingern, dieser frommen Sippe ein Tüchtiges auszuwischen. Nicht, Bruder?«

Der Vorsteher der Gesellschaft der Seligkeit nickte und antwortete:

»Du hast Recht. Das sind Leute, die in Schafskleidern gehen, inwendig


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aber sind sie reißende Wölfe. Sie sind räudig geworden und müssen ausgestoßen werden. Sie gehören zu dem Otterngezüchte, welches dem zukünftigen Zorne nicht entgehen wird. Ihr thut ein Gott wohlgefälliges Werk, wenn Ihr sie vernichtet!«

Der Plan wurde weiter und eingehender besprochen. Dann nahm der Kaufmann die Spitzen aus dem geheimen Behältnisse hinter dem Bilde. Es wurden einige Ellen abgeschnitten, und dann versah Fritz sich mit einer kleinen Laterne und Allem, was zu diesem Gange nöthig erschien. Auch eine Scheere, Nähnadel und Zwirn steckte er ein, um das losgetrennte Futter wieder annähen zu können. Nach diesen Vorbereitungen machte er sich auf den Weg, nur eine Viertelstunde später, nachdem Arndt die Leiter wieder weggestellt und den Garten verlassen hatte.

Er glaubte, die anderen Beiden, Vater und Oheim, würden sich unterdessen zur Ruhe begeben; aber die Angelegenheit war ihnen ebenso wichtig, wie interessant, und darum beschlossen sie, wach zu bleiben und seine Rückkehr zu erwarten.

Es verging wohl über eine Stunde, ehe er kam. Er bemerkte, daß sie noch Licht brennen hatten, und ging zu ihnen.

»Nun, ist's gelungen?« fragte sein Vater erwartungsvoll.

»Ja,« antwortete er.

»Aber lange Zeit hat es gedauert. Konntest Du nicht hinein?«

»O, ganz gut. Aber der Rock machte mir zu schaffen. Ich habe keine Übung im Nähen und mußte, nachdem ich die Naht aufgetrennt und die Spitzen in das Futter geschoben hatte, das Ding doch so zumachen, daß er nichts bemerken kann.«

»Die Hauptsache ist, daß er es nicht fühlen oder gar sehen kann, daß sich Etwas im Rocke befindet.«

»Habt keine Sorge! Ich habe meine Sache gut gemacht.«

»Das ist immer nur der Anfang. Wie aber wird es möglich sein, ihn über die Grenze zu bringen?«

»Hat er nicht Verwandte drüben?« fragte der Fromme.

»Ja,« antwortete Fritz. »Warum?«

»Man müßte einen Brief an ihn schreiben, in welchem er von diesen Verwandten zu einem Besuche eingeladen würde.«

»Das geht nicht: das ist zu umständlich, auch müßten wir da viel zu lange Zeit warten.«

»Wieso?«

»Der Brief käme doch mit der Post; wir müßten also vorher über die Grenze, um ihn drüben aufzugeben. Es könnten drei Tage vergehen, ehe die Sache zur Perfection kommt.«

»Das ist wahr,« sagte der Vater. »Und dazu kommt, daß das Briefschreiben immer gefährlich ist. Wer kann die Hand so verstellen, daß man ihm nichts anzuhaben vermag?«

»Ich!« meinte der Vorsteher.


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»Das denkst Du wohl, aber jetzt giebt es vereidete Sachverständige, die sich kaum jemals irren.«

»Gut! So mache ich einen anderen Vorschlag: Man sendet einen Boten, welcher scheinbar von Hausers Verwandten kommt.«

»Auch das ist gefährlich. Haben wir da drüben einen Mann, auf den man sich auf alle Fälle verlassen kann? Ich kenne keinen.«

Da stieß der Fromme ein kurzes, überlegenes Lachen aus und sagte:

»O, sancta simplicitas, o heilige Dummheit! Ich habe Euch wirklich für viel klüger gehalten, als Ihr seid! Muß dieser Bote denn ein Mann sein, der da drüben wohnt? Hier habt Ihr doch genug Leute, die Ihr genau kennt und denen Ihr vertrauen könnt!«

»Das ist richtig. Aber der Bote muß die Verwandten Hausers kennen. Das ist ja der Übelstand. Und selbst wenn wir so einen finden, weiß man nicht, ob er Fehler machen wird. Wir müssen eben außerordentlich vorsichtig sein. Übrigens müßte der Mann den Hausers unbekannt sein; er müßte sich also verkleiden, eine falsche Haartour tragen, und so weiter. Da ist es auf alle Fälle besser, wenn wir das selbst übernehmen.«

»Du meinst, Einer von uns soll den Boten machen?«

»Ja.«

»Hm! Das ist auch ein Risiko! Übrigens ist es jetzt spät. Wir haben morgen Vormittag Zeit genug, um die Angelegenheit zu überlegen. Jetzt wollen wir sie einmal beschlafen. Vielleicht kommt uns im Traume ein guter Gedanke.«

Aber zum Schlafengehen kam es doch noch nicht, denn gerade in diesem Augenblicke ließ sich unter dem Fenster ein kurzer, halblauter und eigenthümlicher Pfiff vernehmen.

»Was ist das?« fragte der Vorsteher. »Gilt es etwa uns?«

»Horch!« antwortete sein Bruder.

Der Pfiff wurde ein= und noch einmal wiederholt.

»Ja, es gilt uns,« antwortete Seidelmann. »Man will uns sprechen. Es ist jedenfalls wichtig.«

»Wohl ein Pascher?«

»Nein. Keiner unserer gewöhnlichen Pascher weiß, daß wir die Anführer sind. Wer sich in Schmuggelangelegenheiten direct an uns wendet, ist schon etwas Bedeutendes. Gehe hinunter, Fritz!«

»Soll ich ihn heraufbringen?«

»Wenn es nothwendig ist, ja.«

Der Sohn ging und kam nach kurzer Zeit mit einem Manne zurück, dem man es allerdings sofort anmerkte, daß er kein gewöhnlicher Pascher sei. Sein Oberkörper war ganz in einen dicken Pelz gewickelt; seine Beine steckten bis fast an den Leib in hohen Aufschlagestiefeln, welche ganz geeignet waren, die Kälte abzuhalten, und dazu hatte er eine gewaltige Bibermütze so tief in die Stirn gezogen, daß man nur wenig von dem behäbigen, bartlosen Gesicht zu sehen vermochte.


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Guten Abend! »Guten Abend, oder vielmehr guten Morgen!« grüßte er, die Mütze abnehmend, und nun trat Seidelmann rasch auf ihn zu, gab ihm die Hand und sagte:

»Herr Winkler! Sie! Welch eine Überraschung! Natürlich sind Sie uns herzlichst willkommen!«

»Das hoffe ich, Herr Seidelmann. Pfui Teufel, welch eine Kälte und ein Schnee! Und dazu mußte ich des Nachts kommen! Ich bin von der Amtsstadt aus zu Fuß nach hier.«

»Da muß es sich allerdings um etwas sehr Wichtiges handeln!«

»Freilich, freilich! Wenn ich selbst komme, und noch dazu des Nachts, so ist das stets ein Beweis, daß die Goldstücke springen werden.«

»So bin ich sehr begierig. Lassen Sie uns hören!«

»Hm! Wer ist dieser Herr?«

Dabei deutete er auf den ihm noch unbekannten Vorsteher der Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit.

»Mein Bruder.«

»Eingeweiht?«

»Ja. Sie können offen sprechen.«

»Nun, ich erhielt einen Brief des Hauptmannes mit einem ganz bedeutenden Auftrage, den ich bereit bin, zu effectuiren.«

»Wann?«

»Übermorgen des Nachts.«

»Sapperment! So rasch? Ich weiß ja gar nichts davon! Der Hauptmann hat mir kein Wort geschrieben.«

»Mit Absicht. Ist es wahr, daß sich diesseits der Grenze ein Wesen breitmacht, welches man den Fürsten des Elendes nennt?«

»Allerdings.«

»Wohl nur ein Spuck in den Köpfen alberner Leute?«

»O nein! Ganz und gar nicht! Dieser Fürst des Elendes existirt in Wirklichkeit. Wir haben sehr mit ihm zu rechnen, denn er scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, uns das Handwerk zu legen.«

»Donnerwetter! Sie müssen mich aufklären! Aber, haben Sie denn nicht einen Schluck Warmes oder wenigstens Erwärmendes da?«

»So Etwas ist stets vorhanden. Setzen Sie sich. Ich werde Ihnen von der Sorte geben, welche Ihnen die liebste ist.«

Er ging und brachte nach kurzer Zeit einige Flaschen nebst Gläsern mit. Es wurde eingeschenkt und getrunken, dann fragte Winkler:

»Also Sie sind mit diesem Fürsten des Elendes auch bereits in Berührung gekommen?«

»Leider!«

»Persönlich?«

»Das weiß man nicht genau.«

»Erzählen Sie! Ich muß in dieser Sache klar sehen!«


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Die beiden Seidelmanns berichteten ihm Alles, was sie als wissenswerth für ihn hielten. Er schüttelte den Kopf und sagte nachdenklich:

»Hm! Ich denke nicht, daß seine Angriffe direct gegen Sie gerichtet sind.«

»Gegen wen sonst?«

»Gegen den Hauptmann.«

»Aber er belauscht uns doch! Er will uns fassen!«

»Ganz richtig! Aber er will Sie nur fassen, weil er ahnt, daß Sie im Dienste des Hauptmannes stehen, auf den es in erster Linie abgesehen ist. Sagten Sie nicht, daß er in der Residenz sein Wesen trieb?«

»Allerdings. Dort ist er zuerst aufgetaucht.«

»Und hat sofort gegen den Hauptmann agitirt?«

»Sofort.«

»Nun, sehen Sie. Er ist ein persönlicher Feind des Hauptmannes, oder wohl gar ein gewiegter Polizist, der sich, um das Geheimniß des Hauptmannes zu durchdringen, ganz ebenso in das Geheimniß hüllt. Entweder hat er erfahren oder ahnt er es, daß der Hauptmann der oberste Leiter unsers Schmuggelhandels ist; er kann ihn in der Residenz nicht greifen und hofft, ihn hier an der Grenze mittelbar packen zu können. Leuchtet Ihnen das nicht ein?«

»Möglich ist es.«

»Sogar sehr wahrscheinlich. Wir haben uns nicht allein vorzusehen; das wäre viel zuwenig; wir haben uns auf einen Kampf auf Leben und Tod gefaßt zu machen.«

»Das klingt ja ungeheuer gefährlich!« meinte der Fromme.

Winkler machte ein sehr ernstes Gesicht. Bei nur oberflächlicher Betrachtung machte er ganz den Eindruck eines fröhlichen, gutmüthigen Lebemannes; seine immer lächelnden Züge konnten sehr für ihn einnehmen. Jetzt aber hatten seine kleinen Augen sich zusammengezogen, und sein Blick war scharf, finster und drohend geworden.

»Gefährlich ist es auch,« sagte er. »Ich bin deshalb persönlich zu Ihnen gekommen. Wollen wir offen sein, so müssen wir gestehen, daß wir durch unsere Beziehungen zu dem Hauptmanne reiche Leute geworden sind; in einigen Jahren wird man, wenn es so fortgeht, uns zu den Millionärs zu zählen haben. Das steht nun auf dem Spiele und nicht das allein, sondern auch unser Ruf, unsere Freiheit. Sie sehen ein, daß wir die Hände nicht in den Schooß legen dürfen!«

»Das haben wir uns natürlich auch bereits gesagt.«

»Nun also! Wir müssen alles Mögliche thun, um diesen Fürsten des Elendes unschädlich zu machen. Wir müssen ihn in unsere Hände bekommen und dann - so oder so! Verstanden?«

Er machte erst die Bewegung des Erschießens und dann diejenige des Hängens.

»Das versteht sich ganz von selbst,« meinte der Fromme. »Aber wie fangen wir das an? Haben Sie einen bestimmten Gedanken?«


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»Noch nicht. Dieser Feind von uns kann ohne Verbündete und Agenten nichts gegen uns machen -«

»Er hat allerdings welche.«

»Nun, so müssen wir uns zunächst an diese halten. Haben wir erst sie, so werden wir auch ihn bekommen. Sind Ihnen vielleicht solche Personen bekannt?«

»Bis jetzt nur dieser Weber Hauser.«

»Der muß beseitigt werden. Sie sind dem Fremden, mit welchem er heute gesprochen hat, nicht gefolgt!«

»Nein,« antwortete Fritz, an den diese Frage gerichtet war. »Er warf mir Schnee in's Gesicht, so daß ich nicht zu sehen vermochte, und als ich dann die Augen aufmachen konnte, war er verschwunden.«

»Das ist fatal, sehr fatal! Aber den Hauser müssen wir fassen. Sie sind hier bekannter als ich. Kennen Sie nicht irgend eine Art und Weise, wie man ihn unschädlich machen könnte?«

Die Drei blickten sich einander an; dann antwortete der Fromme:

»Wir haben bereits denselben Gedanken gehabt wie Sie und sind auch schon thätig gewesen.«

»Ah! Wie?«

»Dieser Webergeselle ist nämlich so frech gewesen, in einer Angelegenheit einen Brief zu schreiben, welchen er mit dem Worte "Pascherkönig" unterzeichnet hat.«

»Alle Teufel! Ist das wahr?«

»Ja. Wir wissen es genau.«

»So daß Sie ihn gerichtlich belangen können?«

»Er wird kaum vermögen, es zu leugnen!«

»Erzählen Sie!«

Fritz erzählte die Maskeradengeschichte. Als er geendet hatte, schüttelte Winkler den Kopf und sagte:

»Das Mädchen könnte allerdings gezwungen werden, einzugestehen, was er gesagt hat, und Kaufmann Strauch wird den Brief wohl auch noch besitzen. Aber was nützt es? Hauser wird es für einen Spaß ausgeben, den er gemacht hat, um Strauch zu bestimmen, nicht auf dem Maskenfeste zu erscheinen. Er wird dann nicht einmal eine Strafe erhalten. Das ist vorauszusehen.«

Da verzog der Fromme sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und sagte:

»Und wie nun, wenn er ein Pascher wäre?«

»Pascher? Ist er einer?«

»Ich frage nur, wenn er ein Pascher wäre? Würde man es ihm da auch glauben, daß er sich nur einen Spaß gemacht habe?«

»Auf keinen Fall. Aber wenn er wirklich schmuggelte, so stände er jedenfalls in Ihrem Dienste, und dann würden Sie sich ja wohl hüten, ihn zur Anzeige zu bringen!«


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»Das ist richtig. Aber setzen wir den Fall, daß er auf seine eigene Rechnung schmuggelte, daß er der Pascherkönig selbst wäre?«

Winkler machte ein sehr verdutztes Gesicht und sagte:

»Meine Herren, ich verstehe Sie nicht, ganz und gar nicht!«

»Sie werden mich gleich verstehen. Er wird nämlich bei einem Spitzenschmuggel erwischt; sodann erfährt man, daß er sich als Pascherkönig unterschrieben hat. Was wird mit ihm geschehen?«

»Hm! Das läßt sich nicht sagen; jedenfalls aber wird er lange Zeit für uns unschädlich sein. Wie aber soll man ihn beim Paschen erwischen, wenn er überhaupt nicht schmuggelt?«

»Das haben wir bereits besorgt. Er hat mehrere Ellen kostbare Spitzen, ohne es zu wissen und zu ahnen, zwischen dem Futter seines Rockes. Ist das nicht genug?«

Winkler sprang vom Stuhle auf und rief:

»Spitzen im Rocke? Ohne es zu wissen? Donnerwetter, das ist ein Meisterstück von Ihnen! Wie haben Sie das fertig gebracht?«

Fritz antwortete im Tone stolzen Selbstbewußtseins:

»Ich habe vor kaum zwei Stunden erlauscht, daß er jenen Brief geschrieben hat und mit dem Fürsten des Elendes in Verbindung steht, und schon hat er die Spitzen im Rocke! Sie werden zugeben, daß wir ebenso schnell wie entschlossen handeln!«

»Gewiß, gewiß! Nur muß man ihn auch veranlassen, über die Grenze zu gehen!«

»Darüber haben wir vorhin bereits verhandelt.«

»Und was haben Sie beschlossen?«

»Wir konnten noch zu keinem Entschlusse kommen. Es fehlt uns ein verschwiegener Mann, auf den wir uns verlassen können.«

»Wieso?«

Sie theilten ihm mit, was sie vorhin von einem Briefe oder einem Boten von jenseits der Grenze gesprochen hatten. Er hörte ihnen aufmerksam zu und sagte dann:

»Ihre Ansicht ist keine üble, nur fehlt meiner Meinung nach ein Punkt, der gerade sehr nothwendig ist.«

»Sie werden so freundlich sein, uns denselben mitzutheilen. Sie wissen ja, daß wir eine sehr gute Überzeugung hegen in Beziehung Ihres Scharfsinnes und Ihrer Umsicht.«

Der alte Seidelmann, welcher diese Worte sprach, machte dabei eine Handbewegung nach dem Walde hinaus. Winkler war der bedeutendste und verwegenste Schmuggeleiunternehmer jenseits der Grenze. Er lächelte geheimnißvoll, zwinkerte mit den Augen und fragte:

»Sie denken jetzt wohl an den Grenzoffizier, welchen man kürzlich da draußen bei den Bäumen gefunden hat?«

»Hm! Sprechen wir nicht davon!«

»Es ist allerdings besser, solche Episoden unerwähnt zu lassen; aber ich


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muß doch constatiren, daß es von Ihnen sehr klug war, die Winke, welche ich Ihnen gab, so genau zu befolgen.«

»Gut! Bleiben wir nun bei der Sache! Also, welches ist der Punkt, von welchem Sie vorhin sprachen?«

»Was kann diesem Hauser geschehen, wenn man einige Ellen Spitzen bei ihm findet? Sie werden confiscirt, und er hat Strafe zu zahlen. In Beziehung des Briefes wird er sich heraus zu beißen wissen. Hält man ihn fest, so wird er sich aussuchen lassen. Findet man dann die Spitzen wirklich bei ihm, so bricht ihm das den Hals noch lange nicht. Ja, man kann solche Sachen nicht einmal genau berechnen. Es können immerhin Umstände eintreten, welche seine Unschuld wahrscheinlich machen oder sogar beweisen.«

»O, ich bin sehr vorsichtig gewesen,« meinte Fritz. »Kein Mensch könnte sagen, daß man ihm die Spitzen heimlich eingenäht habe oder gar, daß dies von mir geschehen sei.«

»Trau, schau, wem! Der Teufel hat oft gerade da sein Spiel, wo und wann man am Allerwenigsten an ihn denkt. Allzu große Sicherheit hat schon manchen gescheidten Kerl in's Verderben gebracht. Wie nun, wenn man zufällig solche Spitzen bei Ihnen sieht oder findet?«

»Wer sollte sie gerade bei uns suchen? Überdies haben wir sie so außerordentlich gut versteckt, daß kein Mensch sie zu finden vermag. Und zur allergrößten Sicherheit werde ich sogar den Zwirn, mit dem ich Hausers Rock wieder zugenäht habe, an demselben Ort verstecken.«

»Das ist vorsichtig gehandelt. Ich kann es loben. Die Hauptsache aber wäre, daß Hauser sich nicht gutwillig untersuchen ließ, sondern sich widersetzte oder einen Fluchtversuch machte.«

»Daran haben auch wir gedacht. Er würde sich da bedeutend compromittiren. Aber, wie soll man das erreichen?«

»Hm! In der Welt ist Alles möglich. Ein gescheidter Kerl darf kein Dummhut sein! Lassen Sie mich nachdenken!«

Er schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb er plötzlich vor Fritz stehen und sagte:

»Könnte man vielleicht diesen Menschen treffen, so wie ganz und gar zufällig und möglichst nicht hier im Orte, sondern irgendwo anders? Aber dies müßte bald sein, vielleicht morgen?«

»Sehr leicht, sehr leicht,« antwortete Fritz rasch. »Er trägt morgen seinen Maskenanzug zurück.«

»Nach der Kreisstadt?«

»Ja.«

»Wann?«

»Er wird nach dem Mittagessen aufbrechen. Ich hörte das, als er es zu dem Mädchen sagte!«

»Hm! Wissen Sie, wo der Maskenverleiher wohnt?«

»Ganz genau!«


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»Giebt es keine Restauration in der Nähe, von welcher aus man das Haus des Verleihers beobachten könnte?«

»Gerade gegenüber liegt der Gasthof zum grauen Wolf.«

»Das ist schön. Beschreiben Sie mir diesen Hauser genau.«

Fritz that dies, und dann sagte Winkler:

»Das genügt, ihn sofort zu erkennen. Haben Sie nicht eine Perrücke und einen Vollbart, welche Beide mir passen würden?«

»Gewiß! Es ist genug Vorrath vorhanden, und zwar für alle möglichen Arten von Köpfen und Physiognomien.«

»Schön! So werde ich diesen Hauser einmal auf mein Conto nehmen. Er soll an mich denken!«

»Ah, Sie selbst wollen sich dieser Sache annehmen?«

»Warum nicht? Ich werde ihn so dupiren, daß ihm die Augen übergehen. Ich bin ja ebenso betheiligt wie Sie. Sie werden das nachher erfahren, wenn ich Ihnen die weitere Veranlassung meiner Anwesenheit mittheile. Es ist mir ein vortrefflicher Gedanke gekommen. Sie wissen genau, daß Hauser im Solde des Fürsten des Elendes steht?«

»Ja. Er sagte es zu seinem Mädchen, und ich habe es gehört.«

»Und Sie meinen nicht, daß er da bloß aufgeschnitten hat?«

»Nein. Der Kerl hat nämlich jetzt Geld, und ich wüßte nicht, woher er es sonst haben sollte, als von diesem geheimnißvollen Fürsten.«

»Schön! So wird er mir sagen, wer der Fürst ist!«

»Donnerwetter! Alle Teufel! Sapperment!« erklang es aus dem Munde der drei Seidelmann's.

»Ja. Auch soll er mir sagen, wer der Diener des Fürsten ist, der Ihnen heute den Schnee in das Gesicht geworfen hat.«

»Wie wollen Sie das anfangen?«

»Ich gebe mich selbst für einen Diener des Fürsten aus, nach Umständen sogar für den Fürsten selbst.«

Die Drei blickten ihn erstaunt an. Er lächelte überlegen und sagte:

»Sie staunen? Und doch ist dies das Leichteste und Einfachste, was sich nur denken läßt. Es führt am Schnellsten und Sichersten zum Ziele.«

»Allerdings, nämlich wenn er glaubt, was Sie sagen.«

»Er wird und muß es glauben!«

»Und wie wollen Sie ihn dazu bringen, nach der Grenze zu gehen und sich gegen die Beamten widerspänstig zu zeigen?«

»Ich vertraue ihm ein Paket an, welches die Grenzer nicht sehen dürfen, welches er also zu verheimlichen hat.«

»Ein Päckchen mit Contrebande? Da werden Sie sich verrathen. Der Fürst des Elendes verleitet die Seinen nicht zum Paschen.«

»Keine Contrebande!«

»Aber wenn die Grenzer es nicht sehen sollen, wird Hauser es gar nicht annehmen.«

»Unsinn! Das Paketchen wird wichtige Privatdocumente enthalten, deren


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Inhalt Niemand wissen darf, also auch die Grenzbeamten nicht. Hauser hat es nicht unter allen Umständen, sondern nur möglichst vor ihnen zu verbergen.«

»Das läßt sich eher hören. Aber sind Sie denn bereits im Besitze solcher Schriftstücke?«

»Unsinn! Sie haben doch Papier, Tinte und Feder?«

»Das versteht sich.«

»Nun, so werde ich nachher anfertigen, was ich brauche. Der Inhalt, den ich Hauser lesen lasse, um seine Bedenken zu zerstreuen, wird so eingerichtet sein, daß er sogar gern auf den Leim geht. Er wird ganz stolz darauf sein, daß er es ist, dem die Documente anvertraut werden. Das ist abgemacht. Nun aber zu dem Anderen. Der Hauptmann hat mich benachrichtigt, daß er übermorgen des Nachts einen Transport der hier angeführten Waaren, die ich besorgen soll, übernehmen wird.«

Er zog einige versiegelte Briefe und auch ein offenes Verzeichniß aus der Tasche. Das Letztere übergab er Seidelmann, dem Vater. Dieser las es durch, riß die Augen auf und sagte:

»Donnerwetter! Das beträgt ja über fünfzigtausend Gulden!«

»Über sechzigtausend sogar.«

»Ist das nicht zu gewagt?«

»Nein. Ich übernehme die Garantie. Sie haben es erst diesseits der Grenze in Empfang zu nehmen.«

»Sind Sie so sicher, nicht erwischt zu werden, daß Sie die Garantie übernehmen wollen?«

»Ja. Erst fühlte ich mich nicht sicher, nun ich aber mit Ihnen gesprochen habe, bin ich überzeugt, daß der Coup gelingen wird.«

»Wieso!«

»Morgen oder spätestens übermorgen bis Mittag wird Hauser erwischt. Er ist der Pascherkönig. Das wird der Polizei und den Grenzbeamten so viel zu thun geben, daß sie ihre Augen und Ohren nur bei ihm haben werden. Verstanden?«

»Wie aber soll es herauskommen, daß Strauch den Brief erhalten hat?« fragte Fritz. »Wie ich ihn kenne, wird er es verschweigen.«

»So ist es Ihre Sache, ihn zur Anzeige zu bewegen.«

»Er wird das aus Angst vor dem Pascherkönig nicht thun.«

»Das geht mich nichts an. Sie haben hier mitzuwirken. Wir sind gleich beteiligt. Ich nehme den Hauser auf mich, und so ist es gar nicht viel verlangt von mir, wenn ich erwarte, daß Sie Strauch, der doch Ihr Freund ist, auf sich nehmen. Sie gehen morgen mit mir nach der Amtsstadt. Dieser Weg muß, wenn wir überhaupt siegen wollen, unbedingt von Erfolg sein.«

»Ich finde das ganz vernünftig,« meinte der ältere Seidelmann. »Aber ein Anderes ist mir unklar, mein bester Herr Winkler. Nämlich, wie kommt es, daß der Hauptmann in einer so wichtigen Angelegenheit Ihnen schreibt und nicht mir?«


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»Das sehen Sie nicht von selbst ein?«

»Nein. Ich bin stets benachrichtigt worden, wenn ich handelnd eingreifen sollte. Warum nicht auch dieses Mal?«

»Das ist doch sehr leicht zu begreifen. Man forscht hier nach dem Pascherkönige, also nach Ihnen; die Polizei, die Gerichte, die Grenzer, Alles ist auf den Beinen, Sie zu fangen. Nun tritt sogar dieser Fürst des Elendes auf, und ihn scheint der Hauptmann am Meisten zu fürchten. Man wird alle möglichen Mittel anwenden, um hinter unsere Schliche zu kommen. Wer sagt Ihnen denn, daß man nicht auch auf den sehr naheliegenden Gedanken kommt, die nach hier adressirten Briefe zu überwachen und die verdächtigen zu öffnen?«

»Donnerwetter! Darf das die Polizei?«

»Sie wird da viel fragen, ob sie es darf! Ein einziger Brief aber kann Alles verrathen. Sehen Sie das nicht ein?«

»Ah, ich beginne, zu begreifen!«

»Endlich! Drüben bei mir ist man noch nicht so mißtrauisch. Das weiß der Hauptmann. Darum hat er nur an mich geschrieben, Ihnen aber doch einen Brief mit eingelegt. Hier ist er.«

Er reichte ihm eines der verschlossenen Schreiben hin. Seidelmann nahm es in Empfang, öffnete und las:

»Herrn Seidelmann senior.

Sie empfangen ausnahmsweise Dieses nicht durch die Post, sondern durch Winkler. Die jetzt in Ihrer Gegend für uns so bedrohlichen Verhältnisse veranlassen mich, die Correspondenz mit Ihnen bis auf Weiteres einzustellen. Sie werden meine Weisungen von jetzt ab also nicht mehr schriftlich, sondern durch Eingeweihte mündlich erhalten. Sie haben also einem Jeden Folge zu leisten, welcher sich Ihnen vorstellt und im Besitze des geheimen Zeichens ist.

 Der Hauptmann.«

Die Unterschrift war schief gehalten, so daß die Buchstaben nach links lagen, anstatt, wie bei der gewöhnlichen Currentschrift, nach rechts, und sodann mit einem sehr verwickelten, kunstreichen Zug versehen.

»Nun,« fragte Winkler lächelnd »bin ich jetzt genugsam legitimirt?«

»Ja. Es ist die Unterschrift mit dem Zuge, den wir Alle kennen. Hören Sie, was er schreibt.«

Er las den Brief vor. Als er fertig war, sagte der Fromme:

»Schau! So ist also der Fremde, welcher heute klingeln ließ, bereits ein solcher Bote des Hauptmannes gewesen.«

»War Einer hier?« fragte Winkler.

»Ja. Er sprach von einem Geschäft im Betrage von zwanzigtausend Gulden.«

»So ist ihm unbedingt Folge zu leisten. Haben Sie mit ihm abgeschlossen?«

»Nein. Er kommt wieder.«

»Vielleicht lassen sich die beiden Unternehmen vereinigen. Der Haupt=


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mann wird bereits gehört haben, daß das letzte verunglückt ist. Nun giebt er schnell andere Karten aus, weil die Beamten nicht denken werden, daß wir uns so rasch wieder hervorwagen. Auf diese Weise wird die Schlappe ausgeglichen und der Verlust ersetzt.«

»Das ist jedenfalls das Richtige,« sagte Seidelmann, der Vater. »Wo haben wir die Waaren in Empfang zu nehmen?«

»Am diesseitigen Ausgange des Haingrundes.«

»Des Haingrundes? Wo wir erwischt wurden? Sapperment, das ist für uns ein überaus gefährlicher Ort!«

»Ein sehr sicherer Ort im Gegentheile! Kein Mensch wird ahnen, daß wir uns gerade dahin wagen, und noch dazu nach so kurzer Zeit.«

»Na, meinetwegen! Und wann?«

»Nachts zwei Uhr. Das ist die beste Zeit.«

»Mit wieviel Leuten schicken Sie die Waaren.«

»Ungefähr zwanzig.«

»So habe ich für ebenso viele zu sorgen.«

»Haben Sie so Viele?«

»Ah, vierzig und fünfzig, wenn es sein muß.«

»So ist dieses Geschäft abgemacht. Die Rechnung geht direct an den Hauptmann, der Ihnen die Löhne und Ihren Gewinn auszuzahlen hat. Hier nun das Letzte: Sind Sie Herr August Seidelmann?«

Der Fromme, an den diese Frage gerichtet war, bejahte dieselbe.

»Es lag auch an Sie ein Brief mit bei. Hier ist er!«

Der Vorsteher nahm und las dieses Schreiben. Es war ihm nicht anzusehen, ob es einen guten oder schlechten Eindruck auf ihn machte.

»So schnell habe ich es nicht erwartet,« sagte er.

»Was?«

»Ich muß mit dem frühen Morgen abreisen.«

»Schon? Wohin?«

»Das habe ich nicht zu verrathen. Es giebt allüberall verirrte Schäflein, welche auf die Hilfe ihres Heilandes warten. Die Diener Gottes gehen nach Nord und Süd, nach Ost und West. Sie haben allezeit dem Befehle ihres Herrn zu gehorchen.«

Winkler hob schnell den forschenden Blick zu ihm.

»Ah!« sagte er. »Sind Sie vielleicht der Seidelmann, welcher zum Vorsteher der Gesellschaft der Seligkeit ernannt worden ist?«

»Ja, der bin ich,« antwortete der Gefragte in salbungsvollem Tone. »Ich bin erkoren, die Seelen zurückzuführen, welche sich in die Wüste der Sünde und Gottlosigkeit verlaufen haben.«

Da machte Winkler ein völlig undefinirbares Gesicht und sagte:

»So bin ich überzeugt, mein verehrter, frommer Herr, daß man keinen Würdigeren erwählen konnte!«

»Ja, der Allwissende erforscht die Herzen und Nieren der Menschen. Er erwählt sich nur Diejenigen zu Werkzeugen seiner Gnade und Barmherzigkeit,


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