Karl May's dritter Münchmeyer-Roman


Der verlorene Sohn

oder

Der Fürst des Elends.

Roman aus der Criminal-Geschichte.

Vierter Band


Lieferung 66.

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»Er ist der Hauptmann!«

»Wirklich, wirklich!« rief sie aus. »Sie wissen es. Sie wissen alles! Aber woher?«

»Aus Zufall und weil ich mich privat für diese Angelegenheit interessire.«

»So brauche ich Ihnen weiter kein Geständniß mehr zu machen, Durchlaucht?«

»Jetzt nicht. Nur Eins noch: Wie weit ist dieser fromme Schuster Seidelmann in das Geheimniß gezogen?«

»Das weiß ich nicht genau.«

»Ich werde es erfahren. Doch sagen Sie, werden Sie mir auch fernerhin Auskunft ertheilen, wenn ich mich bei Ihnen erkundige?«

»Gern und gewiß!«

»Und der Wahrheit gemäß?«

»Ja.«

»Werden Sie Ihre jetzigen Bekenntnisse auch vor dem Richter wiederholen?«

»Ja. Aber nicht -«

»Aber wo nicht?«

»Nicht in der öffentlichen Verhandlung.«

»Und wenn man Sie dazu zwingt?«

»Zwingen? Durchlaucht, Sie sind ein Mann und reden von Zwang? Ich sage Ihnen, daß ich sterben will; ich will Alles, Alles gestehen und dann Abschied nehmen; aber in die öffentliche Verhandlung bringt mich Niemand, kein Mensch, keine Macht und keine Gewalt.«

»Ich begreife das. Ich setze nun den Fall, Brandt lebe noch und er könne aufgefunden werden. Würden Sie sich auch diesem gegenüber stellen lassen?«

»Ja.«

»Und Alles gestehen?«

»Ja. Aber nicht etwa aus Angst oder Reue. Ich würde ihm nur sagen: Du hast mich nicht gemocht, und so habe ich mich gerächt. Wärest Du klüger gewesen.«

»Und wenn man Sie Ihrem Manne gegenüberstellt?«

»Das werde ich sogar verlangen.«

»Gut, so sind wir einig. Ihr Asyl haben Sie bei mir. Oder wünschen Sie einen anderen Aufenthaltsort?«

»Nein. Nur erwarte ich, daß Sie mich jetzt sofort der Polizei übergeben würden.«

»Das fällt mir nicht ein. Wer den Hauptmann stürzen will, der muß es besser anfangen. Er würde Sie ganz einfach für wahnsinnig erklären, und da Sie aus der Irrenanstalt kommen, so würde es sehr glaubhaft sein.«

»O, ich bringe ja Beweise!«

»Er würde sie zu entkräften versuchen. Nein. Er muß langsam, geschickt und sicher umspannt werden, bis ganz plötzlich und unerwartet das Netz so über


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ihn zusammengezogen wird, daß er weder entgehen noch leugnen kann. Bis dahin bleiben Sie bei mir.«

»Wenn ich nun meine heutige Aufrichtigkeit unterdessen bereute, Durchlaucht?«

» Pah!« lachte er.

»Und mich von hier flüchtete.«

»Das thun Sie nicht.«

»Wissen Sie das so genau?«

»Ja, ich kenne Sie.«

»Ich sehe, Sie verstehen mich. Wie freue ich mich auf den Augenblick, an welchem dieser verfluchte Baron in Ketten vor mir steht! Ich freue mich darauf wie ein Racheteufel! Jetzt aber, Durchlaucht, sagen Sie mir, welches Wohngemach Sie mir anweisen. Dieses hier?«

»Nein. Ich werde Ihre Bedienung rufen. Sie sollen Alles finden, was Sie brauchen; es ist bereits vorgesorgt. Übrigens bitte ich, mich mit Ihren Wünschen stets bekannt zu machen.«

Er zog an einer Glockenschnur, und dann erschien eine Zofe, welcher er die Baronin übergab. Als sich diese Beiden entfernt hatten, zog der Fürst an einer weiteren Schnur, und sogleich ging der Schleiervorhang zur Seite. Die heimlichen Zuschauer wurden jetzt von dem Lichte beschienen. Keiner von ihnen hatte ein Geräusch verursacht, und Keiner hatte bisher mit einem Andern ein Wort gesprochen.

Alma saß neben dem Obersten von Hellenbach. Sie bewegte sich nicht und hielt das Taschentuch vor das Gesicht.

»Nun, Herr Justizrath,« sagte der Fürst, »halten Sie sich auch jetzt noch für infallibel?«

Der Gefragte stand auf und antwortete:

»Habe ich jetzt geträumt, Durchlaucht?«

»Sie leben in der Wirklichkeit.«

»Diese Dame war wirklich die Baronin?«

»Ja.«

»Und sie ist nicht -«

Er deutete nach dem Kopfe.

»Noch weniger jedenfalls als Sie!«

»Dann - dann - dann -«

»Nun, bitte, sprechen Sie sich aus.«

»Dann - - dann haben wir uns allerdings damals geirrt, fürchterlich geirrt!«

»Ja, das ist wahr. Gut, daß Sie es doch noch einsehen. Sind auch die anderen Herren dieser Meinung?«

Alle antworteten mit Ja.

Da gab er dem Gerichtsrathe die Hand und sagte:

»Sie sehen, daß ich Wort gehalten habe. Sie kennen den Mörder


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Helfensteins und Hellenbachs, den Hauptmann, den Pascherkönig und auch den Fürsten des Elendes.«

»Wer ist denn das?« fragte schnell der Justizrath.

»Errathen Sie das nicht?«

»Ah! Auch dieser Baron Franz von Helfenstein! Sonderbar! Auf der einen Seite ein Teufel und auf der anderen ein solcher Engel!«

»Vielleicht irren Sie sich doch!«

»Aber, Durchlaucht, Sie müssen sofort Anzeige machen.«

»Wo?«

»Bei der Polizei.«

»Wozu eigentlich?«

»Der Hauptmann muß festgenommen werden.«

»Überlassen Sie mir, zu thun, was ich für gut befinde! Sie haben meine Legitimation ja in den Händen gehabt. Übrigens habe ich Aller Ehrenwort, das tiefste Stillschweigen einzuhalten. Herr Assessor von Schubert, Sie werden in dieser Angelegenheit viel Arbeit erhalten.«

Der Angeredete verbeugte sich tief und antwortete unter glückstrahlendem Gesichte:

»Durchlaucht geben mir so sehr Gelegenheit, mir das Vertrauen meiner Oberbehörde zu erwerben, daß ich nicht genug dankbar sein kann!«

Dann wurden sie Alle außer Alma und dem Obersten entlassen. Dieser Letztere war bis jetzt im Zimmer hin und her gegangen.

»Wer hätte das gedacht!« sagte er.

»Nun endlich kennen Sie den Mörder,« meinte der Fürst. »Sie werden besser von Brandt denken.«

»Durchlaucht, wenn ich diesen Kerl hier hätte, ich zerruppte ihn vor Reue, daß ich ihm unschuldiger Weise die Hölle gewünscht habe. Soll auch ich Schweigen bewahren?«

»Natürlich!«

»Meine Frau und meine Tochter -?«

»Erfahren es auch später zeitig genug.«

»Na, ganz wie Sie wollen! Aber haben Sie wirklich die Absicht, diesen Baron Franz von Helfenstein immer noch länger laufen zu lassen?«

»Lange nicht mehr. Die Falle ist bereits fertig. Ich brauche sie ihm nur vor die Füße zu legen, so läuft er ganz sicher hinein.«

»Nur zu, nur zu! Dann werde auch ich ein Wort mit dem Schurken sprechen, da ich für jetzt noch still sein muß. Nun aber darf ich mich empfehlen. Oder bekomme ich die Erlaubniß, Fräulein von Helfenstein begleiten zu dürfen?«

»Bitte, mir das Fräulein noch kurze Zeit zu überlassen. Es giebt noch Einiges zu besprechen.«

»So? Gute Nacht, meine Herrschaften! Hoffentlich sehe ich Sie schon morgen wieder bei mir!«

Alma hatte bis jetzt auf ihrem Sessel keine Bewegung gemacht. Als


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aber Hellenbach die Thür zugemacht hatte, fuhr sie auf, kam herbei und warf sich mit einem Schrei an die Brust des Fürsten. Er drückte sie an sich und flüsterte ihr zu:

»Nicht wahr, es war fast zu viel!«

Ein heftiges Schluchzen war die Antwort.

»Komm, Kind, ruhe Dich aus!«

Er zog sie auf den Divan neben sich nieder und nahm ihr Köpfchen an sein Herz. Sie weinte lange, lange Zeit vor sich hin, dann wurde sie endlich ruhiger.

»Jetzt erst habe ich eingesehen, wie und was Du gelitten haben mußt!« sagte sie.

»Ja, ich war sehr unglücklich, meine Alma, doch ist es zu meinem Heile gewesen. Gott hat mich dafür in anderer Weise gesegnet. Hätte die Baronesse den armen, bürgerlichen Försterssohn lieben dürfen?«

»Ich hätte nicht darnach gefragt. Du wärst avancirt. Vielleicht wärst Du heute -«

»Polizeiminister, nicht?« lächelte er.

»Warum nicht?«

»Nun, so ist es doch immerhin besser. Was sagst Du zu Deiner einstigen Zofe, Alma?«

»Sie ist ein teuflisches Wesen.«

»Ja. Aber sie hat jetzt ausgestanden, was Tausende nicht überstanden hätten. Und weißt Du, wer daran schuld war?«

»Nein. Wer war es?«

»Ich.«

»Ah, Du? Daß sie in diese Lethargie versank?«

»Ja. Es war das, wie ich mich einmal rühmen will, ein Meisterstückchen von mir. Ich mußte sie mit Haß und Rachsucht gegen ihren Mann erfüllen, damit sie an ihm zur Verrätherin werde; darum veranlaßte ich ihn, sie nach Rollenburg zu schaffen.«

»Gab er ihr auch das Gift auf Deine Veranlassung hin?«

»Nein. Nun aber ist sie seine größte Feindin geworden.«

»Du meinst, daß sie ihr Geständniß nicht bereuen wird?«

»Nein. Sie wird von ihrer Rache nicht lassen.«

»Es war entsetzlich, was ich hörte! Armer, armer Vater! Ich sehe ihn noch im Blute vor mir liegen! Und weißt Du, was mich am Tiefsten betrübt?«

»Sage es, mein Leben!«

»Daß Robert wirklich verbrannt ist.«

»Noch glaube ich es nicht.«

»Sie sagte es doch!«

»Entweder weiß sie wirklich nichts, oder sie hat einen Grund, es nicht zu sagen.«

»Die Schmiede wissen es.«


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»Sie werden es gestehen müssen. Ich werde überhaupt dafür sorgen, daß sie sich baldigst aller ihrer Geheimnisse entledigen. Wir haben noch so Vieles zu besprechen, liebe Alma. Darf ich Dich morgen besuchen?«

»O bitte, komm!«

»Und heute fahre ich Dich heim?«

»Willst Du denn, Du lieber, lieber Mann?«

»Nicht gern!«

»Ah! Nicht? Warum?«

»Weil, so lange ich Dich heimfahren muß, Du an einem anderen Orte wohnst als ich.«

»Du meinst, ich sollte eigentlich bei Dir wohnen?«

»Ja! Ich muß mich aber noch gedulden.«

Ungefähr um dieselbe Zeit traten zwei junge Herren in ein Haus des Altmarktes. Die erste Etage desselben enthielt eine Weinlocalität, welche man mit dem Namen Cavaliercasino zu bezeichnen pflegte.

Sie stiegen die Treppe empor und klingelten an der Vorsaalthüre. Ein Mädchen öffnete. Diese Person war sehr leicht gekleidet und von üppigen Formen, so wie sie von jungen Lebemännern zur Bedienung geliebt werden.

»Guten Abend, Anna!« grüßte der Eine.

»Guten Abend, Herr Lieutenant!« dankte sie, indem sie es duldete, daß er sie in den vollen Arm kniff.

»Bereits Versammlung da?«

»Fast vollzählig.«

»Schön! Komm, Hagenau!«

Der Genannte war jener Oberlieutenant von Hagenau welcher in Rollenburg das unglückliche Rencontre bei der Melitta gehabt hatte.

Sie traten aus dem Corridor zunächst in ein leeres Zimmer, wo sie ablegten. Dann öffneten sie die Thür zu dem nächsten Raume. Dieser war sehr comfortabel eingerichtet. Zehn oder zwölf Gäste saßen da, lauter junge Leute. Sie blickten auf, als die Beiden eintraten. Einer rief:

»Donnerwetter! Hagenau! Ist's wahr?«

»Hagenau, der Kranich?« fragte ein Anderer. »Weiß Gott, er ist's! Mensch, wer bringt Dich auf den glücklichen Gedanken, nach der Residenz zu kommen?«

»Ich selber!« schnarrte der Lange. »Meine eigene Erfindung! Kinder, habt ihr was zu trinken?«

»Nur Punsch einstweilen.«

»Pfui Teufel! Das ist ein Gesöff für Höckenweiber, aber nicht für Cavaliere. Gebt doch mal da die Weinkarte her!«

Er setzte sich, wählte aus und bestellte. In kurzer Zeit saßen die Herren beim Weine anstatt beim Punsche. Das war so Hagenau's Eigenthümlichkeit. Er hatte ja Geld, und das war ebenso gut, als ob Andere auch welches hätten.

Eine der Kellnerinnen machte sich an seinem Stuhle zu schaffen. Sie


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bemerkte seine gestickte und gespickte Börse und mochte ein gutes Trinkgeld ersehnen. Darum lehnte sie sich an seinen Stuhl und legte ihm den Arm um den Nacken. Er drehte sich zu ihr um, sah sie prüfend an und fragte:

»Mädel, hast Du Dich gewaschen?«

»Natürlich!«

»So trockne Dich an einem Anderen ab, aber nicht an mir! Verstanden?«

Alles lachte.

»Der Gebrannte fürchtet das Feuer!« stichelte Einer.

»Geht das auf mich?« fragte er.

»Nein, sondern auf die Melitta.«

»Haltet den Schnabel von dieser Aventurie, Kameraden! Das ist eine ganz hundsgemeine Angelegenheit.«

»Wie lange wird sie noch schweben?«

»Das weiß der Teufel! Unterdessen schweben auch wir, nämlich zwischen Hangen und Bangen. Soll mir nie wieder einfallen, eines Mädels wegen eine Flasche Wein zu riskiren.«

»Ist denn der Hausknecht todt?«

»Ja.«

»Und der Andere, der fromme Schuster?«

»Der lebt, der befindet sich ganz wohl, einstweilen aber noch in Nummer Sicher. Wie da der Fürst von Befour dazu kommen konnte, das ist mir auch ein Räthsel. Was hatte der dort zu suchen?«

»Vielleicht hatte er auch von der Venus gehört.«

»Unsinn!«

»Nun, sie wohnt ja bei ihm.«

»Aber mit ihrem Vater. Den hatte er angestellt. Übrigens, da fällt mir ein: Wißt ihr's von der Leda?«

»Natürlich! Es steht ja in den Blättern!«

»Oho! Was denn?«

»Daß sie gefangen ist.«

»Ja, das steht wohl darin, nicht aber, warum sie da drinnen steckt.«

»Weißt Du es vielleicht?«

»Auch nicht genau. Aber man munkelt so Allerlei.«

»Behalte es gütigst für Dich! Ich weiß etwas Besseres, was uns weit mehr interessirt.«

»Was denn?«

»Scharfenberg kommt heute.«

»Das glaube ich nicht. Wir haben ihn kürzlich so gerupft, daß er es wohl nicht gleich wieder wagen wird.«

»Er kommt dennoch. Ich weiß es.«

»Wer sagt es?«

»Er selbst. Ich war bei ihm.«

»Dann hat er Geld!«


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»O! Und wieviel!«

»Wirklich? Wirklich?«

»Volle zehntausend Gulden sage ich Euch.«

»Mensch, Du bist nicht bei Troste!«

»Ich beschwöre es!«

»Phantasie! Woher soll er zehntausend Gulden haben? Sein Vater honorirt nicht mehr, und sein Onkel hat es nun auch satt.«

»Ich will es Euch mittheilen: Gepumpt.«

»Auch das glaube ich nicht. Wer pumpt ihm noch eine so hohe Summe?«

»Ein gewisser Schönlein.«

»Kenne diesen Namen nicht. Wer ist er?«

»Weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Scharfenberg von ihm zehntausend Gulden geborgt hat, dreitausend baar, und das Übrige in feinen Ausländern.«

»So wird er ein paar Hälse brechen lassen.«

»Nein. Er wird eine Bank legen.«

Da sprangen sie Alle auf, außer Hagenau.

»Ist's wahr?« fragte es im Kreise.

»Gewiß. Er hat es mir versprochen.«

»Dann rasch in das hintere Zimmer! Es ist doch geheizt?«

»Schon längst,« antwortete das Mädchen.

»So kommt? Hagenau, Du machst doch ein kleines Spielchen mit?«

»Habe keine große Lust.«

»Warum nicht?«

»Wer verliert, gewinnt nicht.«

»Donnerwetter! Was für ein geistreicher Einfall!«

»Ja, gewiß! Stammt von mir; meine eigene Erfindung. Na, bin lange Zeit nicht bei Euch gewesen. Wie hoch pointirt Ihr denn jetzt?«

»Das ist verschieden. Gewöhnlich beginnt es niedrig und steigt nach und nach höher.«

»Gerade wie bei den Brennesseln, die wachsen auch! Schon wieder verdammt geistreicher Ausdruck!«

»Also Du machst mit?«

»Habe wirklich keine Lust.«

»Warum nicht?«

»Hm! Scharfenberg!«

Dabei machte Hagenau mit der Hand eine geringschätzende Geste.

»Hast Du etwas gegen ihn?«

»Na! Ist nicht nobel!«

»Pah! Die Scharfenbergs sind ein uraltes Geschlecht.«

»Geschlecht hin, Geschlecht her, er ist nicht nobel. Er verschafft sich sein Geld auf undelicate Weise und wirft es dann unsinnig wieder von sich. Ich gebe auch gern aus; aber ich weiß, was ich einnehme.«


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»Na, es ist doch aber kein Unglück, wenn Du ihm einige Gulden abnimmst.«

»Habe aber leider so verdammtes Schwein. Darf nur Würfel oder Karten anrühren, so gewinne ich.«

»Das halte ich nun freilich für keinen Grund, sich vom Spiele auszuschließen. Komm!«

Da wendete sich Hagenau zu ihm und fragte leise:

»Sind denn die Anderen - hm?«

»Du meinst Industrieritter?«

»Ja. Kenne sie ja nicht«

»Alle aus guter Familie. Werde sie Dir vorstellen. Ist ja das Cavaliercasino hier. Zweifelhafte Größen wagen sich da nicht her.«

Und doch war gerade dieses Local von solchen Größen sehr besucht. Es kamen viele Leute, welche vom Spiele lebten oder von, man wußte selbst nicht was.

In kurzer Zeit war das obere Zimmer wieder leer, da sich Alle nach dem Spielsalon begeben hatten. Die Kellnerinnen hielten die Thüre von innen verschlossen, damit die Herren ja nicht von der Polizei überrascht werden konnten.

Nach einer Weile klopfte es an.

»Wer draußen?« fragte eins der Mädchen.

»Scharfenberg.«

»Bitte, kommen Sie!«

Ihm wurde geöffnet. Er trat ein, küßte die Kellnerin, gab ihr einen freundlichen Klapps und fragte:

So leer? Gar Niemand hier? »So leer? Gar Niemand hier?«

»Alle hinten.«

»Ach so!«

Damit verschwand auch er im Salon.

»Wie viel wird er heute verlieren!« meinte die eine Kellnerin, indem sie den Kopf schüttelte.

»Nicht mehr, als er bei sich hat. Geborgt bekommt er nicht mehr.«

Es kamen noch einige Herren, welche durch dieselbe Thür wieder verschwanden. Es wurde viel Wein getrunken; aber es ging sehr ruhig zu.

Nach und nach begann es, lebhafter zu werden. Die Flaschen wurden schneller leer, und bald konnte man Ausrufe wie »Zweihundert Gulden rechts« und »Fünfhundert links« hören.

»Ah, so hoch ist es noch nie zugegangen,« meinte das eine Mädchen. »Fünfhundert Gulden! Horch, wie man das Geld klingen hört!«

So spielte man durch einige Stunden. Der Wein that immer mehr seine Wirkung. Der Wirth wahrte seinen Vortheil und sandte nun schlechtere Nummern, die heimtückisch wirkten. Die Stimmen wurden immer lauter; es ließen sich Flüche hören, Verwünschungen und Drohungen, die eigentlich nicht in ein Casino gehörten.


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Da einmal ließ sich Scharfenberg's Stimme hören:

»Tausend Gulden in Papier noch einmal!«

Es wurde einige Augenblicke still, dann riefen mehrere Stimmen durch einander.

»Verloren! Abgefallen! Höre auf, Scharfenberg!«

Aber als Antwort auf diesen guten Rath sagte er:

»Abermals tausend Gulden!«

Dann hörte man Einen fragen:

»Sind es wirklich tausend?«

»Ja. Natürlich!«

»Auf Ehre?«

»Auf Ehre!«

»Na, dann braucht man ja nicht erst die Päckchen zu öffnen, um nachzusehen.«

Wieder dauerte es eine Weile, da erklang die Stimme Scharfenbergs:

»Das letzte Tausend auch noch! Hat der Teufel so viel geholt, so mag er auch noch dieses holen! Gebt einmal die volle Bulle her!«

»Donner und Doria! Weiß Gott, er trinkt sie aus, rein aus! Jetzt geht's los, Scharfenberg! Schau her! Ah! Das letzte Paquet ist zum Teufel, ganz so, wie Du es haben wolltest! Condolire, alter Junge! Fast zehntausend Gulden verloren!«

»Halte das Maul!« antwortete Scharfenberg. »Was mache ich mir daraus, wenn ich diese Kleinigkeit verliere! Wer borgt mir tausend?«

Niemand antwortete.

»Ich frage, wer mir tausend leihen will?«

Ganz dasselbe Schweigen.

»Donnerwetter! Erst nehmt Ihr es mir ab, und dann verweigert Ihr mir den Credit! Hagenau, Du hast viertausend gewonnen. Pumpe mir zweitausend davon!«

»Das geht nicht, alter Junge!«

»Nicht? Warum nicht?«

»Ist gegen meinen Grundsatz. Vom Gewinn verborge ich nie einen Heller!«

»So hast Du ja noch anderes Geld bei Dir?«

»Na, höre mal, wie kommst Du mir vor! Wenn ich vom Gewinn nichts verborge, so verborge ich doch von dem Anderen erst recht nichts.«

»Du hast doch soeben Stautenau vierhundert gelassen!«

»Ja, mein Sohn, der giebt mir's wieder.«

»Ich wohl nicht?«

»Hm!«

»Ich frage, ob Du sagen willst, daß Du Dein Geld nicht wiederbekommen würdest?«

Er ärgerte sich über den Verlust und nun auch über die Hartnäckigkeit


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Derer, die ihm keinen Vorschuß geben wollten. Seine Stimme klang erregt; er war gewiß schon ziemlich den Geistern des Weines verfallen.

»Das will ich nicht wörtlich sagen,« antwortete Hagenau, nun auch mit bereits verschärfter Stimme.

»Nicht wörtlich! Wie denn?«

»Pah! Lassen wir das!«

»Nein! Lassen wir das nicht! Jetzt wird es Ehrensache! Schießest Du mir tausend Gulden vor oder nicht?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Das brauche ich nicht zu sagen.«

»Wenn Dir es nicht an Muth gebricht, so sage es!«

»Kommst Du mir so? Gut! Ich borge Dir nichts, weil wir Alle wissen, daß Du bereits Deine Ehre verpfändet gehabt hast, ohne zu zahlen.«

»Wer hat das gesagt? Wer sagt es, wer?«

»Ich sage es!« erklang es fest und bestimmt.

»Wirst Du dieses Wort zurücknehmen?«

»Nein.«

»Und Du willst auch Deinen Gewährsmann nicht nennen?«

»O doch!«

»Nun, wer hat es gesagt?«

»Der Soldat Bertholt.«

»Alle Teufel! Ein Soldat! Was, so ein gemeiner Kerl, so ein Hallunke, von einem Offizier sagt, das wird so ohne Weiteres von den Herren Oberlieutenants für wahr angenommen?«

»Bertholt sagt nie eine Lüge!«

»Aber ich wohl, he?«

»Das geht mich nichts an.«

»Woher will denn dieser obscure Bertholt diese Neuigkeit wissen?«

»Aus Deinem eignen Munde.«

»Alle Wetter! Das ist stark! Ich kenne nicht einmal einen Soldaten Bertholt und wäre auch wohl der Allerletzte, der einem solchen Menschen solche Dinge mittheilte. Das ist die gemeinste, die schandbarste Lüge, und ich werde diesen Kerl dem Obersten zur strengsten Bestrafung melden.«

»Thue das!«

»Bis dahin nimmst Du aber Dein Wort zurück!«

»Nein!«

»Himmelelement!«

»Dann wird es sich ja erst zeigen, ob Bertholt gelegen hat.«

»Es ist Lüge!«

»Du warest bei Deinem Onkel auf Besuch?«

»Ja.«

»Und hast dort Besuch erhalten?«

»Nein.«


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»O doch!«

»Wen denn?«

»Den Juden Salomon Levi von hier.«

Es blieb einen Augenblick lang still; dann aber lautete die Antwort Scharfenbergs:

»Das nennst Du Besuch?«

»Er war bei Dir?«

»Ja.«

»Also doch! Ihr habt im Vorzimmer mit einander gesprochen. Von dort geht ein Wasserleitungsrohr in's Parterre. Das Rohr ist nach früherer Art von Blech und sehr weit. Daher kann man jedes Wort hören, was oben gesprochen wird.«

»Und da hat der Kerl gelauscht?«

»Nein. Er stand da Posten und hat Alles unfreiwillig hören müssen. Dann ist von Dir die Rede gewesen, und er hat erzählt, was er gehört hat. Kannst Du ihm das verbieten?«

»Er hat gelogen. Ich verlange, daß Du Deine Beleidigung zurücknimmst!«

»Die Wahrheit kann nie beleidigen. Bringe mir den Juden, und wenn er behauptet, daß er bezahlt ist, so will ich widerrufen, sonst aber keinesfalls.«

Da hörten die draußen an der Thüre lauschenden Kellnerinnen eine andere Stimme:

»Donnerwetter! Was ist denn das? Das sollen tausend Gulden sein?«

Es hatte Einer ein Paquet Scharfenberg's geöffnet.

»Natürlich!« antwortete dieser.

»Du sagtest tausend Gulden in Papier?«

»Ja.«

»Darunter verstehe ich aber doch Guldenscheine, nicht Actien, Kuxes oder ähnliche Wische!«

»Diese Papiere sind gut!«

Da sagte auch Hagenau:

»Wie soll das sein? Keine Guldennoten sind es? Da will ich denn doch gleich einmal nachsehen! - Ah! Chilenen! Donnerwetter! Solche Wische! Darum also hat er sie eingepackt! Und er behauptete auf Ehre, daß jedes Päckchen tausend Gulden enthalte!«

»Das ist auch der Fall!« schrie Scharfenberg.

»Unsinn! Dort liegt die Zeitung mit dem Cursvermerk. Es ist sogar die neue Abendnummer. Her damit! Welche Emission? Schaut einmal, Kameraden! Diese Wische stehen dreiundzwanzig. Zehn derselben sind also zweihundertunddreißig Gulden werth, anstatt tausend!«

»Lüge! Niederträchtige Lüge!« rief Scharfenberg.

»Du! Höre, dieses Wort sagst Du nicht noch einmal! Ich habe nämlich lesen gelernt!«

»Und dennoch ist es Lüge!«

»Gut. Hier hast Du die Lüge!«


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Es erfolgte ein klatschendes Geräusch, wie von einer Ohrfeige. Dann hörte man einen brüllenden Wuthschrei Scharfenberg's. Es schien eine kleine Katzbalgerei stattzufinden, wobei aber Scharfenberg von den Anderen fest= und zurückgehalten wurde.

»Ohrfeigen! Ohrfeigen zu geben!« schrie er. »Das kostet Blut! Nur Blut kann das abwischen! Verstanden!«

»Pah! Ich bemerke nicht, daß meine Hand schmutzig ist. Du brauchst nicht auch noch abgewischt zu werden!«

»Hund! Auch das noch!«

Eine Flasche zertrümmerte an der Wand, und dann ertönte Hagenau's Stimme:

»Mensch, unterlaß diese Gassenbubenstreiche, sonst werde ich Dich noch einmal bei der Parabel nehmen!«

»Genugthuung! Satisfaction muß ich haben. Morgen schicke ich Dir meinen Bevollmächtigten!«

»Das laß nur sein! Mit Einem, der Ohrfeigen empfängt und seinen Ehrenschein nicht einlöst, schlage ich mich nicht.«

»Ich werde Dich zu zwingen wissen! Ich haue Dich auf offener Straße krumm!«

»Papperlapapp! Das geht nicht so schnell! Aber, höre, Mann, wenn ich mich auch nicht mit Dir schlage, so kommt es mir doch auf ein kleines Duellchen nicht an. Wie wäre es mit einem amerikanischen?«

»Mir recht!«

»Schön! Dir kann geholfen werden. Kinder, thut mir den Gefallen und gebt einmal das Geld wieder her, was Ihr von ihm gewonnen habt. Ich habe da einen famosen Gedanken! Eigene Erfindung!«

»Hier, hier, hier!« schob man ihm die Summen zu.

»So recht!« meinte er in befriedigtem Tone. »Jetzt, Scharfenberg, wollen wir sehen, ob Du Muth hast. Also, ein amerikanisches Duell.«

»Ich habe bereits gesagt, daß ich einverstanden bin.«

»Nur sachte! Ich meine nämlich ein echtes Yankee=Duell, wobei der Mammon eine Rolle spielt. Ich will Dir die Satisfaction nicht verweigern. Ich biete sie Dir in Geld, und Du brauchst ja Geld. Hier sind Deine zehntausend Gulden, das heißt, die sogenannten zehntausend. Die setze ich, und Du setzest Dein Leben. Wir würfeln. Wer am höchsten wirft, gewinnt. Gewinne ich, so hast Du Dich binnen heute und einer Woche zu erschießen, gewinnst aber Du, so sind die zehntausend Gulden Dein.«

»Verflucht schneidige Idee!« lachte eine Stimme.

»Ja, meine eigene Erfindung!« schnarrte Hagenau. »Aber ich glaube nicht, daß dieser Mann den Muth hat, darauf einzugehen. Er zittert vor Angst schon!«

War diese Idee nur dem Weinrausche entsprungen, oder meinte Hagenau es wirklich ernst? Auch Scharfenberg war betrunken, mehr noch als die Anderen; er hatte ja gleich eine volle Flasche geleert. Er dachte daran, daß er


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sein Geld wiedergewinnen und dabei seinen Muth beweisen könne; an das Verlieren aber dachte er nicht.

»Du irrst Dich!« sagte er höhnisch. »Mein Muth ist wohl noch ein anderer, als der Deinige. Ich beweise es Dir, indem ich darauf eingehe.«

»Du nimmst an?«

»Ja.«

»Dein Leben gegen diese Papiere?«

»Ja.«

»Hört Ihr's? Habt Ihr's gehört?«

»Ja, ja,« antwortete es.

»Einen Becher mit drei Würfeln her! So! Hier, Scharfenberg! Du bist der Beleidigte. Wirf zuerst!«

Man hörte die Würfel im Becher klirren und dann auf den Tisch fallen. Hagenau zählte:

»Fünf und fünf und vier macht vierzehn! Stimmt's?«

»Ja,« antwortete Scharfenberg in frechem Tone.

»Alle Teufel! Ich glaube, das Geld ist verloren. Na, wir wollen sehen, was zu machen ist.«

Er schüttelte die Würfel im Becher und warf.

»Tausend Donner!« rief er. »Was ist denn das? Sechs, fünf und vier, macht fünfzehn. Gewonnen! Gewonnen! Kinder, nehmt Euer Geld wieder! Scharfenberg, das Wort ist der Mann. Heute in einer Woche! Verstanden?«

»Hole Euch alle der Teufel!«

Mit diesen Worten kam er aus dem Spielsalon gestürzt. Er riß seine Kopfbedeckung vom Nagel und eilte davon, ärmer noch, als er heute am Morgen gewesen war, trotzdem er zehntausend Gulden aufgenommen hatte. -


Zweites Capitel.

- - - - -

Falschmünzer.

Der Jude Salomon Levi besaß in der Wasserstraße nicht nur das Haus, welches er bewohnte, sondern noch mehrere, welche allerdings in ziemlich baufälligem Zustande sich befanden und an arme Leute vermiethet waren, ihm aber doch sehr reichliche Zinsen der darin angelegten Capitalien brachten.

Es war Abend. In der oberen Giebelstube eines dieser Häuser, vier schmale, hölzerne Treppen hoch, saß ein Mann bei einer spärlich genährten Lampe am Tische und arbeitete.

Der Griffel, welchen er über die Platte führte, sagte, daß dieser Mann Graveur sei. Er war klein, bereits über fünfzig Jahre, sehr hager, hatte ein gedrücktes, leidendes Aussehen und trug eine Brille im Gesichte, unter deren blauen Gläsern zwei wimpernlose, äußerst entzündete Augen zu erkennen waren.


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Er arbeitete mit sichtlicher Anstrengung und strich sich dabei so oft über die Augen, daß zu vermuthen war, er fühle heftigen Schmerz in den kranken Augen.

Der kleine, eiserne Kanonenofen hatte mehrere Löcher. Er rauchte, verbreitete aber doch in Folge der drei oder vier Kohlenstücke, welche man ihm geopfert hatte, ein Etwas, was eine auf dem Ofen sitzende Mücke für Wärme gehalten haben würde.

Von Zeit zu Zeit horchte der Mann zur Seite, wo sich hinter einer nur angelehnten Thür ein oft unterbrochenes Murmeln und Seufzen hören ließ.

In der Nähe des Mannes stand ein Stuhl, auf dem ein Stickrahmen lag, ein Beweis, daß ein weibliches Wesen an seiner Seite gearbeitet habe.

Da wurde die Thür geöffnet, und eine bleiche, sehr ärmlich, aber sauber gekleidete Frau trat herein. Sie weinte.

»Wie geht es?« fragte er leise.

»Es wird nun alle, lieber Franz. Hast Du denn gar so nothwendig?«

»Ich soll morgen früh fertig sein.«

»Aber der sterbenden Schwiegermutter kannst Du doch ein paar Minuten schenken.«

Er legte die Platte weg und seufzte tief auf.

»Es ist nicht nur der Arbeit wegen. Aber wenn ich mit hinausgehe, muß ich weinen, und das schadet meinen armen Augen so sehr!«

Aber der gute Mann weinte schon jetzt. Die Frau sah es. Sie legte ihm den Arm um den Nacken und bat:

»Franz, komm heraus! Sie will Dich noch sehen. Du weinst ja auch schon hier!«

Er stand vom Stuhle auf und folgte ihr hinaus in die Schlafkammer. Dort saßen auf Stroh an der Diele fünf Kinder, welche nicht schlafen konnten, weil die gute Großmutter sterben wollte. Diese lag mit tief eingefallenen Wangen und Schläfen in ihrem ärmlichen Bette. Man sah es ihr an, daß der Tod bereits an die Thür klopfte.

Als sie den Schwiegersohn erblickte, ging ein befriedigtes Lächeln über ihr Gesicht.

»Wie gut von Ihnen, daß Sie kommen,« sagte sie langsam und leise. »Ich muß Sie und Ihre Kleinen verlassen, die ich so gern noch gewartet und gepflegt hätte, damit meine Tochter ungestört arbeiten kann. Aber der liebe Gott will mich hinauf zu sich haben, und da oben werde ich ihm sagen, was für ein guter Mann und Vater und Schwiegersohn Sie sind. Ich werde ihn bitten, Ihnen Ihre Gesundheit und Ihr Augenlicht wiederzugeben. Er wird mir es sicherlich zu Gefallen thun. Jetzt aber haben Sie tausend Dank für Alles, was sie an mir alten Frau gethan haben!«

Sie hatte nur in langen Absätzen gesprochen. Jetzt hielt sie inne, um Athem zu schöpfen. Sie hatte seine Rechte ergriffen und drückte sie zwischen ihren beiden abgewelkten Händen.

Er stand dabei mit überströmenden Augen und konnte nichts sagen.


- 1575 -


Seine Frau lehnte weinend an der Wand, und die Kleinen hielten sich umschlungen und weinten auch, aber leise, ganz leise; denn sonst mußte Vater noch mehr weinen, und dann thaten ihm ja die Augen so sehr weh.

»Sie sind uns immer eine große Hilfe und Stütze gewesen, liebe Schwiegermutter,« klagte er halblaut. »Sollte ich Sie einmal gekränkt haben, so vergeben Sie es mir. Mit Absicht ist es sicherlich nicht geschehen!«

Und nun war es aus. Er konnte nicht länger an sich halten. Er weinte laut auf und eilte in die Stube zurück, wo er sich traurig an die Fensterwand lehnte. Draußen hörte er Frau und Kinder schluchzen und dazwischen die Stimme der Sterbenden, welche zu beruhigen suchte. Als er sich wieder in der Gewalt zu haben vermeinte, ging er wieder hinaus.

»Lieber Franz,« sagte die Frau. »Hast Du den Zettel mit dem schönen Liede noch?«

»Ja.«

»Die Mutter möchte es gern noch einmal hören.«

Er holte den Zettel und setzte sich auf den unteren Bettrand. Die Frau hatte die beiden Hände der Mutter ergriffen. Die Kinder falteten die Händchen; der Vater wischte sich noch einmal die Augen und las dann die herrlichen Strophen Gerok's:

»Ich möchte heim. Mich zieht's dem Vaterhause,
Dem Vaterherzen zu,
Fort aus der Welt verworrenem Gebrause,
Zur stillen, tiefen Ruh.
Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen;
Heim kehr ich mit bescheidenem Verlangen.
Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim:
Ich möchte heim!

Ich möchte heim, bin müd von Deinem Leide,
Du arge, falsche Welt;
Ich möchte heim, bin satt von Deiner Freude;
Glück zu, wem sie gefällt.
Weil Gott es will, will ich mein Kreuz noch tragen,
Will ritterlich durch diese Welt mich schlagen,
Doch tief im Busen seufz' ich insgeheim:
Ich möchte heim!«

»Heim, heim, heim!« erklang es in leisem, frommem Echo von den Lippen der Sterbenden. »Weiter, weiter, mein guter Schwiegersohn!« Er trocknete sich die Thränen und las weiter:

»Ich möchte heim; ich sah in sel'gen Träumen
Ein bess'res Vaterland;
Dort ist mein Theil in ewig lichten Räumen;
Hier hab ich keinen Stand.
Der Lenz ist hin; die Schwalbe schwingt die Flügel,
Der Heimath zu, weit über Tal und Hügel;
Sie hält kein Jägergarn; kein Vogelleim -
Ich möchte heim!


- 1576 -


Ich möchte heim; trug man als kleines Kindlein
Mich einst zu Spiel und Schmaus:
Es freute mich ein leichtes, kurzes Stündlein,
Dann war der Jubel aus.
Wenn sternhell noch der Brüder Auge blitzte,
In Lust und Spiel ihr Herz sich erst erhitzte,
Trotz Purpuräpfeln, goldnem Honigseim:
Ich wollte heim!

Ich möchte heim; das Schifflein sucht den Hafen;
Das Bächlein läuft in's Meer.
Das Kindlein legt im Mutterarm sich schlafen.
Und ich will auch nicht mehr.
Manch Lied hab ich in Lust und Leid gesungen,
Wie ein Geschwätz ist Lust und Leid verklungen.
Im Herzen blieb mir noch der letzte Reim:
Ich möchte heim!«

Er war zu Ende. Ein langer, langer, tiefer Athemzug ging durch die Kammer. Von wem? Sie warteten, daß die Mutter noch Etwas sagen werde - vergebens! Sie hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Ihre Hände lagen noch in denen der Tochter.

Da legte der Vater das Blatt zur Seite, beugte sich über die gute Schwiegermutter nieder, betrachtete sie einige Augenblicke lang und sagte dann leise:

»Sie ist auch heim.«

Und die Kleinste von den Kindern hielt ihr kleines Mündchen an das Ohr des Schwesterchens und flüsterte:

»Sie ist auch heim!«

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Die Tochter drückte der Mutter die Augen zu, legte dann ein kleines Weilchen ihren Kopf an die Brust des Mannes und sagte dann, tief und schmerzlich aufathmend:

»Wir wollen weiter arbeiten!«

Der Vater erhob gegen die Kinder warnend den Zeigefinger und meinte:

»Die Großmutter ist nun ganz, ganz eingeschlafen. Ihr dürft sie nicht stören. Legt Euch hin und schlaft recht schön und ruhig!«

Die Kinder gehorchten, und die Eltern traten in die Stube zurück, wo sie sich zur Arbeit niedersetzten. Der Griffel und die Stricknadeln bewegten sich fleißig bis nach Mitternacht, ohne daß die Fleißigen ein Wort gesprochen hätten. Dann aber brach die Frau doch endlich das tiefe Schweigen:

»Ist Dir es nicht zu kalt?«

»Nein. Dir?«

»Auch nicht.«

Und dennoch froren sie Beide. Die Frau warf einen wehmüthigen Blick nach dem Ofen. Dort lagen vier oder fünf Holzscheitchen neben ebensoviel Handvoll Kohlen. Das war Heizmaterial für den morgigen Tag.

»Was thun wir nun?« meinte sie.


- 1577 -


»Melden,« antwortete er, ohne von der Arbeit aufzusehen. Er mußte die Versäumniß nachholen.

»Ja. Ich meine aber nicht das.«

»Was denn?«

»Sarg, Begräbnißkosten!«

Er neigte den Kopf noch tiefer auf die Platte herab, antwortete aber nicht.

»Und was ziehen wir ihr an!« flüsterte sie weiter, mehr für sich als für ihn.

»Das schwarze Kleid.«

»Das ist zu gut!«

»Sie hat ja weiter nichts!«

»Da begnügt sie sich mit einem alten Rocke und meiner braunen Alltagsjacke.«

»Nein.«

Sie warf einen erstaunt fragenden Blick zu ihm hinüber.

»Was denn?«

»Ihr schwarzes Kleid.«

»Aber es ist schade d'rum! Ich kann den Kindern zwei Röckchen und ein Jäckchen daraus machen!«

»Es ist ihr Hochzeitskleid gewesen. Sie soll es behalten. Sie hat uns lieb gehabt. Ich schämte mich, wenn ich sie so ganz ärmlich fortschicken sollte.«

Da richtete die Frau einen langen, dankbaren, innigen Blick auf den Mann und flüsterte:

»Du Guter!«

Wieder verging eine Zeit. Da begann dieses Mal der Mann das kurze Gespräch:

»Wann wirst Du fertig?«

»Heute Abend.«

»Bekommst Du da Geld?«

»Zwei Gulden! Und Du?«

»Ich werde früh fertig. Vielleicht erhalte ich auch etwas.«

»Was ist es denn, was Du jetzt fertigst?«

Er senkte den Kopf so tief herab, daß die Stirn fast die auf dem Tische liegende Platte berührte und antwortete leise:

»Ein Titelkopf für ein Wochenblatt.«

»D'rum ist es so lang und schmal. Wieviel wirst Du dafür bekommen?«

»Hm! Jetzt vielleicht gar nichts! Es wird erst später ganz fertig. Ich kann jetzt nur Theil um Theil fertig machen.«

»Könnten sie Dir denn da nicht auch Theil um Theil so nach und nach bezahlen?«

»Das wollen diese Leute nicht.«

»Herrjesus! Was fangen wir da an! Ich habe nur noch zwei Kreuzer, und die brauche ich zu Milch für die Kinder. Wie viel hast Du noch?«


- 1578 -


»Gar nichts. Ich habe Dir gestern mein Leztes gegeben.«

»Da mag Gott helfen!«

»Hätten wir doch Etwas zu verkaufen oder in's Leihhaus zu schaffen!«

Sie blickte, vorsichtig forschend, zu ihm hinüber und sagte dann mit unsicherer Stimme:

»Oder wir sollten in der Lotterie gewinnen!«

Er schüttelte, trübe lächelnd, den Kopf und antwortete:

»Das dürfen wir uns nicht einbilden. Wir haben weder Glück noch Stern. Es war eine richtige Vermessenheit, daß wir die fünf Gulden für das Loos ausgaben. Wir hätten zwei Wochen dafür leben können!«

»Aber die schöne Hoffnung!«

»Sie nützt nichts.«

»Ich sollte es eigentlich nicht sagen; aber weißt Du, was die Mutter vorhin noch sagte, als Du in die Stube zurückgingst?«

»Was?«

»Sie hätte Dich nicht an das Loos erinnern wollen. Zu mir aber sagte sie, daß sie gleich, wenn sie heute in den Himmel komme, wolle sie den lieben Gott bitten, uns auf das Loos hundert Gulden gewinnen zu lassen.«

»Das ist Sünde!«

»O, der liebe Gott weiß, wie sie es meint.«

»Er weiß es auch ohne sie, daß wir arm sind.«

Diese Worte hatten einen so herben Ton, daß die Frau beschloß, zu schweigen.

Sie arbeiteten mit einander die ganze Nacht hindurch. Zur angezeigten Zeit ging die Frau fort, um für die letzten zwei Kreuzer Milch zu holen. Er aber tauchte einen Lappen ins Wasser und band sich ihn auf die brennenden Augen, um die Schmerzen zu kühlen.

Er saß einige Minuten frierend da. Seine auf dem Tische liegende Hand berührte die Platte. Da faltete er die Hände und murmelte leise:

»Herrgott, vergieb mir es! Ich weiß, daß ich in kurzer Zeit blind sein werde, und muß doch für die Meinigen sorgen. Es ist eine Sünde, ein Unrecht. Ich will es auf mich nehmen, ganz auf mich allein. Nun ist die Schwiegermutter oben; die weiß nun auch, was ich für Schlimmes vorhabe. Aber ich weiß keinen anderen Rath.«

Nach einiger Zeit entfernte er den Umschlag und arbeitete wieder. Aber er merkte wohl, daß er sich vorhin verrechnet habe und erst gegen Mittag fertig werden könne.

Am Vormittage saß der Jude Salomon Levi in seiner Stube, in alten Sachen kramend. Da brachte ihm seine Frau einen Mann, bei dessen Anblicke Levi schnell von seinem Stuhle aufsprang.

»Willkommen!« sagte er, dem Ankömmlinge die Hand bietend. »Endlich! Haben Sie die Proben gemacht?«

»Ja, in dieser Nacht.«

»Gelungen oder nicht?«


- 1579 -


»Über alles Erwarten.«

»Gott Abrahams! Ist es die Möglichkeit?«

»Ja. Dieser Graveur - wie heißt er gleich?«

»Franz Herold.«

»Also, dieser Graveur Franz Herold hat uns ein Meisterstück geliefert. Diese Vorderplatte ist gar nicht mit Geld zu bezahlen. Zehntausend Gulden ist da gar nicht zu viel.«

»Zehn - zehnt - - zehntau - -! Sind Sie etwa geworden verrückt?«

»Nein. Wir können mit dieser Platte Millionen verdienen. Wie viel haben wir ihm versprochen?«

»Tausend Gulden; das ist genug.«

»Meinetwegen! Mir kann es lieb sein. Er wird also gleich die ersten zehn Hundertguldenscheine seiner eigenen Arbeit bekommen. Sehen Sie einmal.«

Er zog ein Papier hervor, welches die Form und Farbe einer Hundertguldennote hatte, aber nur auf der einen Seite bedruckt war.

Der Jude suchte bei sich auch nach so einer Note, nahm eine Lupe und begann zu prüfen.

»Bei Goliath und David, das ist eine feine, eine sehr feine Arbeit. Da ist die Copie vom Originale gar nicht zu unterscheiden. Wenn die Hinterplatte auch so gut geräth, so können wir tausend Jahre drucken, ehe man entdeckt, daß es falsche Scheine giebt. Wann also werden wir die Hinterplatte bekommen?«

»Das erfahre ich heute. Er kommt ganz sicher am Vormittage, um mir zu zeigen, wie weit er bereits ist.«

»Schärfen Sie nur ein, sich alle Mühe zu geben!«

»Das vergesse ich natürlich nicht. Adieu!«

Er ging.

Nach einiger Zeit kam ein Anderer. Er kam beinahe hereingesprungen. Der Jude kannte ihn. Es war ein Lotteriecollecteur, mit welchem er zuweilen kleine Privatgeschäfte abschloß, welche zu beider Vortheil zu gereichen pflegten.

»Guten Morgen, Herr Levi,« grüßte der Mann.

»Guten Morgen! Was kommen Sie, zu machen für Gesichter? Haben Sie gewonnen das große Loos oder gar die ganze Lotterie?«

»Scherz beiseite! Es handelt sich wirklich um einen großen Gewinn. Aber nicht für mich, sondern für Andere.«

»Warum nicht für Sie?«

»Weil ich nicht habe ein Loos.«

»Man kann auch gewinnen ohne Loos.«

»Das ist nicht wahr.«

»Soll ich es Ihnen beweisen?«

»Ja. Thun Sie das.«

»Wenn Sie den Gewinn mit mir theilen.«

»Au waih geschrieen!«


- 1580 -


»Nicht?«

»Wenn ich gewinne, so will ich gewinnen für mich, aber nicht für Andere!«

»Nun gut, so gewinnen Sie! Adieu!«

Er that, als ob er gehen wollte; aber sofort war der Jude hinter ihm her und zog ihn zurück.

»Bleiben Sie, bleiben Sie!« sagte er. »Erklären Sie mir vorher, wie Sie sich denken diesen Handel!«

»Das kann ich eben nicht.«

»O, man kann erklären Alles, wenn man nur es erklären will.«

»Na, meinetwegen! Nehmen wir an, daß irgend eine Nummer das große Loos gewinnt; Jemand hat diese Nummer, weiß aber noch nichts von dem Gewinne und verkauft sie Ihnen?«

»So soll es sein? So?«

»Ja.«

»Welches ist diese Nummer?«

»Pah! Das weiß nur ich!«

»Nein. Sie wissen auch nichts!«

»Wie können Sie das behaupten?«

»Weil Sie dem Betreffenden sonst würden kaufen diese Nummer ab.«

»Sie vergessen, daß ich Collecteur bin. Ich weiß, daß er gewinnen wird, ich darf ihm also die Nummer nicht abkaufen; ich müßte sie ihm wiedergeben.«

»Ein Anderer aber könnte sie behalten?«

»Ja.«

»Und wann wird ausgezahlt das Geld?«

»Innerhalb zweier Wochen.«

»Woher wissen Sie diese Nummer?«

»Ich habe soeben von der Direction eine Depesche erhalten, daß auf die betreffende Nummer das große Loos gefallen ist.«

»Das große Loos? Das allergrößte Loos?«

»Ja.«

»Gott meiner Väter! Wieviel hat gekostet dieses Loos?«

»Fünf Gulden.«

»Und wieviel wird es erhalten ausgezahlt?«

»Hunderttausend Gulden. Einige Procente aber gehen vorher ab.«

»So werde ich kaufen dies Loos auf der Stelle!«

»Also Sie gehen darauf ein?«

»Ja. Sagen Sie mir die Nummer und Den, der es hat in seinen Händen!«

»Zunächst muß ich Ihrer sicher sein. Also wieviel zahlen Sie mir?«

»Zahlen? Ah so! Will ich Ihnen geben volle tausend Gulden.«

»Sind Sie wahnsinnig? Die Hälfte will ich haben!«

»So sind Sie selbst wahnsinnig!«


- 1581 -


»Unsinn! Die Zeit vergeht, und der Betreffende erfährt, daß er Gewinner ist.«

»Will ich geben fünf Tausend.«

»Nein. Ich sage Ihnen ein= für allemal, daß ich fünfzigtausend Gulden verlange.«

»Gott Zebaoth! Was doch sind die Menschen für nimmersatte Leute!«

»Zum Beispiel Sie!«

»Ich. Aber ich bin doch nicht Collecteur!«

»Ich will Ihnen zum letzten Male sagen, daß Sie fünfzigtausend Gulden einstecken, wenn Sie auf meinen Vorschlag eingehen, daß Sie aber keinen Heller bekommen, wenn ich jetzt fortgehe. Also, geben Sie fünfzigtausend?«

»Zehntausend!« sagte Salomon Levi, welchem es ganz so war, als ob er das halbe Leben herzugeben habe.

»Fünfzig!«

»Zwanzig!«

»Fünfzig!«

»Dreißig!«

»Nein. Zum Teufel! Denken Sie denn, ich bin Ihr dummer Junge? Sie können doch nicht um Etwas mit mir handeln und feilschen, was ich Ihnen geradezu umsonst gebe, also schenke! Wenn Sie nicht sofort Ja sagen, gehe ich!«

»Nun gut, gut, gut! Ich werde Ja sagen. Ich sage bereits Ja. Ich bin einverstanden. Wie ist die Nummer, und wer hat sie?«

»Nicht so eilig, mein Bester! Zunächst will ich Sicherheit haben.«

»Sicherheit? Die haben Sie ja!«

»In wiefern?«

»Sie haben mein Wort!«

»Darauf gebe ich keinen Kreuzer.«

»Was wollen Sie denn? Wenn ich bekomme das Geld, werden wir theilen!«

»Wenn Sie das Geld haben, so haben Sie es, und ich bekomme nichts. Ich kenne sie!«

»Au waih! Bin ich ein Betrüger?«

»Sie sind Salomon Levi; das ist genug.«

»Welche Sicherheit wollen sie?«

»Einen Wechsel auf fünfzigtausend Gulden.«

»Herr Zebaoth! Wollen Sie mich bringen in Armuth und Elend!«

»Leben Sie wohl!«

Der Collecteur ging. Aber der Jude rannte ihm nach bis zur Hausthür, zog ihn wieder herein und sagte:

»Wenn ich Ihnen nun gebe den Wechsel und gar nicht bekomme das Loos?«

»So bekommen Sie den Wechsel zurück.«

»Wer garantirt mir dafür?«

»Ich. Ich gebe Ihnen für den Wechsel einen Revers.«


- 1582 -


»Ja ein Reverschen, das ist nicht übel!«

»So schreiben Sie schnell den Wechsel, und ich stelle den Revers aus.«

»Auf welche Zeit?«

»Auf Sicht. Ich präsentire Ihnen natürlich den Wechsel, wenn ich Ihnen den Gewinn auszahle.«

»Gut! So wollen wir schreiben!«

Sie setzten sich hin und machten die beiden Papiere fertig. Der Jude erhielt den Revers und der Collecteur den Wechsel. Dann fragte der Erste:

»Also die Nummer?«

»Es ist Nummer 45332.«

»Und wer hat sie?«

»Der Graveur Herold, welcher in Ihrem anderen Hause wohnt.«

Da machte der alte Schacherer vor Freude einen ellenhohen Sprung und rief:

»Hallelujah, hallelujah! Das Geld ist unser.«

»Sie denken, daß er Ihnen das Loos verkauft?«

»Ja.«

»Wie wollen Sie dies anfangen?«

»Er muß, er muß!«

»Wieso?«

»Das ist meine Sache! Gehen Sie, gehen Sie, ich erwarte ihn! Er kann in jedem Augenblicke kommen.«

»So werde ich Sie nach Mittag wieder aufsuchen, um zu erfahren, ob es gelungen ist.«

»Ja, kommen Sie! Jetzt aber müssen Sie gehen, sogleich, sogleich!«

Er nahm ihn und steckte ihn zur Thür hinaus. Dann eilte er zu Frau und Tochter, um ihnen diese frohe Botschaft mitzutheilen.

Gegen Mittag kam der Erwartete. Er wurde von Rebecca eingelassen und zu dem Juden geführt. Dieser machte ein finsteres Gesicht und fragte im Tone des Unmuthes:

»Warum so spät? Wußten Sie nicht, daß ich Sie eher erwartete?«

»Ich wurde nicht eher fertig.«

»So muß man fleißiger sein!«

»Herr, ich habe Tag und Nacht gearbeitet!«

»Das ist nicht wahr. Sie wären da eher fertig geworden.«

»Meine Augen sind schwach!«

»So sagt ein Jeder, welcher trägt eine Brille, nur um sich zu geben das Aussehen eines Gelehrten. Ich werde die Arbeit prüfen. Kommen Sie übermorgen wieder. Adieu!«

Der Graveur ging nicht, sondern fragte:

»Darf ich vielleicht erfahren, wie die vorige Platte gelungen ist?«

»Das wissen wir noch nicht.«

»O weh!«

»Warum o weh?«


- 1583 -


»Weil ich die Absicht hatte, Sie um einen kleinen Vorschuß zu bitten.«

»Vorschuß? Herr, was denken Sie? Haben wir ausgemacht und bestimmt, daß gegeben werden sollen Vorschüsse?«

»Allerdings nicht; aber unter den gegenwärtigen Umständen glaubte ich, daß Sie vielleicht doch eine Ausnahme machen würden.«

»Ausnahme? Umstände? Welche Umstände meinen Sie denn eigentlich.«

»Während dieser Nacht ist meine Schwiegermutter gestorben.«

»Schwiegermutter? Da seien Sie froh! Immer fort mit den Schwiegermüttern!«

»O, sie war gut! Aber ich habe nicht einen einzigen Kreuzer zum Begräbnisse.«

»Das ist auch nicht nöthig.«

»Nicht? Wieso? Sie muß doch begraben werden.«

»Ja. Aber wenden Sie sich an das Armenamt.«

»Das würde ich nur im schlimmsten Falle thun.«

»Der ist ja da, der schlimmste Fall. Sie haben kein Geld!«

»O, ich habe sogar kein Geld zum Leben. Wenn Sie mir doch einige Gulden leihen wollten.«

»Leihen? Ja, gern. Was geben Sie für einen Pfand?«

»Ich habe nichts.«

»So leihe ich auch nichts.«

»Aber Sie haben ja meine Platten!«

»Die gehen mich nichts an; ich mache nur den Vermittler. Es bekommt sie ein ganz Anderer. Auf die Platten kann ich also gar nichts leihen. Und wie aber nun ist es mit dem Hauszinse?«

»Den schulde ich nur für ein halbes Jahr.«

»Nur? Ist das nicht lange genug? Zwanzig Gulden. Wann und wie wollen Sie das bezahlen?«

»Von dem, was mir die Platten einbringen.«

»So lange kann ich nicht warten. Ich brauche mein Geld bald, sehr bald.«

Der Graveur blickte traurig zu Boden und sagte:

»Ich dachte, daß Sie Nachsicht haben würden, weil ich ja für Sie arbeite.«

»Nachsicht! Dazu habe ich keinen Grund. Sie verdienen keine Nachsicht.«

»Warum nicht?«

»Sie bezahlen Ihre Schulden nicht und spielen doch in der Lotterie.«

»Ich in der Lotterie?« fragte Herold erschrocken. »Wer hat das gesagt?«

»Ich habe es gehört. Ist es etwa nicht wahr?«

»Nun ja. Meine Frau war schuld. Es war ja möglich, daß uns das Glück günstig sein werde.«

»Gerade Ihnen, unter so vielen Nieten? Das ist lächerlich. Spiele doch nicht einmal ich! In dieser letzten Lotterie wollte meine Frau es einmal ver=


- 1584 -


suchen; aber sie konnte kein Loos mehr bekommen. Verkaufen Sie ihr das Ihrige, so haben Sie ja gleich fünf Gulden.«

Der Graveur blickte auf. Dieser Gedanke war ihm noch gar nicht gekommen. Das Loos war alles, was er entbehren konnte. Er war sogleich entschlossen, es zu verkaufen, aber doch nicht ohne jedes Vortheil. Das Begräbniß seiner Schwiegermutter mußte bezahlt werden.

»Wollen Sie es kaufen?« fragte er.

»Ja. Halb aus Liebe für meine Frau und halb aus Mitleid für Sie. Wo haben sie es?«

»Zu Hause.«

»So holen Sie es!«

»Wir sind ja gar nicht einig geworden?«

»Einig? In welcher Beziehung?«

»Über den Preis!«

»Der ist doch fünf Gulden.«

»Ja, für gewöhnlich. Aber heute und morgen sind die letzten Ziehungstage, an denen die größten Gewinne gezogen werden. Wie leicht kann gerade auf diese Nummer ein bedeutender Gewinn kommen.«

»Das bilden Sie sich ja nicht ein!«

»Sie können ebenso wenig so genau wissen, daß ich keinen Gewinn habe.«

»Sie wollen also mehr als fünf Gulden.«

»Ja.«

»Sind Sie ein Wucherer?«

»Ich nicht.«

»Gut, so behalten Sie Ihr Loos. Ich brauche es ja nicht. Ich kam nur so nebenbei auf den Gedanken, es zu kaufen.«

Herold besann sich. Auf der einen Seite lag die Möglichkeit eines Gewinnes; auf der anderen bedachte er, daß er eine Leiche zu Hause habe, aber keinen Kreuzer Geld. Und dazu die hungernden Kinder.

»Wieviel würden Sie mir dafür geben?« fragte er.

»Die richtigen fünf Gulden.«

»Nein. Die kostete das Loos bereits vor einem halben Jahre. Mit jedem Tage steigt sein Werth, weil die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, steigt.«

»So will ich sein sehr nobel und Ihnen geben das Doppelte - zehn Gulden.«

»Auch dafür gebe ich es nicht hin. Wenn ich es einmal verkaufe, so muß ich gleich so viel dafür bekommen, daß ich meine Schwiegermutter begraben lassen kann.«

»Au waih! Was hat eine Schwiegermutter mit einem Lotterielose zu thun? Nun wird es geben ganz gewiß und sicher eine Niete!«

»So warte ich es ab. Zwanzig Gulden bietet mir ein Jeder.«

»Gut, so werde ich auch geben zwanzig. Das ist das Höchste, was man geben kann, für so einen Zettel.«


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