Der Weg zum Glück - Teil 10

Lieferung 10

Karl May

2. Oktober 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Aus der Schleußen. Schau, da kommts!«

Es war zwar nicht mehr Tag; aber heut war Vollmond, und obgleich derselbe noch nicht am Himmel erschienen war, lag es ziemlich hell auf dem Flusse. Auf diesem Letzteren kam eine hohe, hohe Fluthwelle brüllend herangewälzt wie eine Wand. Als sie vorübergesaust war, stand das Wasser sofort mehr als eine Elle höher im Flußbette, auch war es reißender geworden. Wären die Beiden nicht zurückgewichen, so wären sie von der plötzlichen Fluth mit fortgerissen worden. Die Fähre schaukelte heftig und zerrte knirschend an ihren Ketten.

»Aus der Schleußen kommt das Wasser?« fragte der Sepp. »Wieso ist das denn?«

»Jetzt zum Fruhjahr wird das Holz herabgeflößt, und da werden die Schleußen geöffnet, daß die Fluth das Holz herunterträgt. Jetzt sind die großen Waldstämme droben an der Stadt ankommen. Morgen am Tag wird das Wehr geöffnet, und das Holz geht hier vorüber, immer weiter hinab nach der Donau zu.«

»Ist das gefährlich?«

»Nein. Nur wann das Holz das Wehr durchstößt, so daß es plötzlich kommt, nachher giebts zu schaffen, daß kein Unglück geschiecht. Horch!«

»Fex!« rief die Stimme des Concertmeisters von drüben herüber.

»Jetzt bringen sie den König,« sagte der Sepp. »Ich will zur Seiten gehn, daß er mich nicht sieht. Ich kenn ihn, und er will nicht erkannt sein.«

Er steckte sich hinter die Büsche. Der Fex aber stieß einen lauten Ruf aus, zum Zeichen, daß er die Aufforderung gehört habe, machte die Fähre los und ruderte hinüber. Das machte ihm viel zu schaffen, weil der Strom außerordentlich reißend geworden war. Als er drüben anlegte, stand die hohe, imposante Gestalt des Königs neben Wagnern und dem Italiener. Wagner sagte:

»Wie kann das Wasser plötzlich so gestiegen und reißend geworden sein?«

Und als der Fex es erklärt hatte, fragte er:

»Ist es gefährlich, jetzt überzusetzen?«

»Eigentlich nicht, wann das Holz nicht durchbricht. Wir können warten, bis die Fluth vorüber ist.«

»Wie lange dauert das?«

»Wohl fast eine ganze Stunden.«

»Solange warten wir nicht,« erklärte der König. »Das Holz wird doch nicht grad dieses Mal durchbrechen. Auch müßte es gleich bei dem ersten Andrang das Wehr durchstoßen haben. Jetzt ist das nicht mehr zu befürchten.«

»Ei gar wohl!« entgegnete der Fex. »Wann die Baumstämmen lange Zeit gegen das Wehr stemmen, kanns leicht nachgeben.«

»Wir kämen dennoch hinüber. Kannst Du kräftig rudern, Fährmann?«

»Das möcht ich schon meinen!«

»So steure ich.«

»Kannst das auch richtig?«

»Ja. Also eingestiegen!«


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Er nahm auf dem hohen Sitze am Steuer platz. Die beiden Andern setzten sich auf die hintere Ruderbank, und der Fex ergriff das vordere Ruderpaar.

»Sollen wir mit rudern helfen?« fragte Wagner.

»Nein, ja nicht,« antwortete der Fex. »Ihr könntets leicht verderben. Es wär allemal besser, wann wir noch ein Bisle warteten, ob das Wehr und der Damm auch gehalten haben.«

»Das ist unnöthig,« erklärte der König. »Vorwärts!«

Die Fähre ging vom Ufer ab. Leider aber zeigte es sich, daß der Fex Recht gehabt hatte. Sie hatten kaum die Mitte erreicht, so sah man von oben eine dunkle Masse herabkommen. Der Fex, dessen Blick immer nach aufwärts gerichtet gewesen war, bemerkte sie zuerst.

»Wir müssen zurück!« rief er aus. »Das Holz kommt. Lenk um, lenk um!«

»Nein, vorwärts, vorwärts! Wir kommen noch hinüber. Leg Dich nur fest in die Ruder.«

»So gebs Gott!«

Der Fex griff so mächtig ein, daß sich die Ruder bogen. Die dunkle Masse kam schnell heran. Es schien, als ob die Fähre gar nicht vorwärts käme. Wagners Angst stieg. Er rief:

»Schnell, schnell! Um Gotteswillen schnell! Herr Concertmeister, greifen Sie mit zu den Rudern! Wir müssen helfen.«

»Nein, nein!« schrie der Fex. »Ich brings allein schon fertig! Wann Ihr falsch einlegt, so ists um uns geschehen.«

Aber die Beiden ließen sich nicht belehren. Sie stießen die Ruder in die Fluth und begannen zu arbeiten.

»So nicht, so nicht!« rief der Fex. »Ihr rudert ja zuruck! Weg mit den Rudern.«

»Ja, schnell fort!« stimmte der König bei. »Ihr versteht es nicht. Wir haben nun schon mehrere Ellen eingebüßt. Fährmann, rasch, kräftig! Um des Himmels willen! Das Holz wird augenblicklich hier sein!«

Der Fex stieß einen Ruf aus, wie der Löwe brüllt, wenn er seine ganze Kraft zum Sprunge zusammennimmt. Von der übermenschlichen Gewalt, welche er anlegte, brach eins seiner Ruder, aber die Fähre hatte einen so mächtigen Anstoß erhalten, daß sie mit diesem einzigen Ruck fast an das Ufer gelangte. Der Fex ergriff die Kette und that den gefährlichen Sprung an das Land, welches er auch glücklich erreichte. Die Fähre mit der Kette an das Ufer ziehend, rief er dem Könige zu:

»Jetzt schnell das Steuer grad, daß die Fähr so langhin ans Ufer trieben wird!«

Dabei befestigte er die Kette, damit das Fahrzeug nicht mit fortgerissen werde. Aber der König gab in halber Bestürzung dem Steuer eine falsche Richtung. Im nächsten Augenblicke waren die riesigen Baumstämme da. Ein Stoß an den hintern Theil der Fähre, daß man glauben konnte, Alles sei


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zerschmettert, und - der König stieß einen Schrei aus und wurde in das Wasser geschleudert, mitten zwischen die rollenden Stämme hinein.

Einen Augenblick lang versagte dem Concertmeister und Wagnern die Sprache. Dann schrieen Beide entsetzt auf.

»Herr, mein Gott! Er ist verloren!« rief Wagner, indem er eine Bewegung machte, nachzuspringen.

»Rettung! Rettung! Hilfe!« zederte der Italiener. »Soccorso, soccorso, ajuto!«

»Halt! Still!« kommandirte der Fex, welcher keinen Augenblick die Geistesgegenwart verloren hatte. »Springt an das Land, sonst ergreifts auch Euch. Ich hole ihn heraus.«

»Das ist unmöglich!« rief Wagner.

»Ich bring ihn. Paßt auf! Wann ich nicht gleich komm, so habt keine Angst.«

Er that einen Satz hinaus auf die Stämme und fuhr untertauchend zwischen sie hinein in die kochende, wirbelnde Fluth.

Wagner stand steif in der Fähre. Er brachte kein Wort hervor. Der Italiener jammerte in allen Ausdrücken der italienischen und der deutschen Sprache. Da rief es vom Ufer her:

»Steigt heraus! Die Fähr kann leicht zerdruckt werden, und nachher seid auch Ihr verloren.«

Das half. Die Beiden sprangen an das Land. Wagner erkannte Den, welcher gerufen hatte.

»Wurzelsepp, Du! Weißt Du, was geschehen ist?«

»Ja, der König ist ins Wasser stürzt.«

»Eile, lauf in die Mühle und ins Dorf. Es sollen Leute kommen mit Fackeln, Lichtern, Stangen und Stricken, um zu retten. Schnell, schnell!«

»Das werd ich halt schon bleiben lassen.«

»Wie? So laufe ich selbst.«

Er wollte fort, aber der Sepp hielt ihn fest.

»Willst gleich bleiben!«

»Herrgott! Er ist ja sonst verloren!«

»Nein! Schau mich an! Ich weiß halt auch, daß der König ins Wasser stürzt ist, aber ich bin dennoch ruhig und heul und zetre nicht.«

»Ja, Du, Du - - -!«

»Was, ich! Ich weiß, daß er gerettet wird.«

»Wie denn?«

»Der Fex holt ihn heraus.«

»Das ist unmöglich! Hier zwischen und unter diesen Stämmen heraus? Undenkbar!«

Er rang die Hände.

Freilich hatte er Recht. Die starken Stämme füllten die ganze Breite des Flusses und schoben, sich immer fortwälzend, sich einer auf den andern. Wer da drunter steckte, der konnte nicht heraus, der war sicher verloren.


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»Wann der Fex ihn nicht rettet,« sagte der Sepp, »so retten ihn auch hundert Andere nicht. Und wann er nicht schon jetzund gerettet ist, so ist er überhaupt bereits verloren, erstickt, ersoffen und zermalmt von denen Baumstämmen da.«

»Aber wir müssen doch am Ufer suchen!«

»Das bringst nimmer fertig. Es ist zu felsig. Wart nur fein still! Ich kanns mir denken, was der Fex than hat, und das ist auch das Allereinzige, wie der König errettet werden kann. Heraus hat er nimmer konnt, sonst wär er von denen Stämmen derquetscht worden. Er hat unterm Wasser bleiben müssen.«

»So erstickt er ja!«

»Schweig still! Was verstehst davon, ob der König dersticken wird oder nicht! Nur noch eine Minuten warten wir. Dann, wann wir keine Nachricht erhalten, dann ist der König todt.«

»Ich kann nicht warten; ich kann nicht!«

»Wirst gleich schweigen! Niemand kann helfen als nur der Fex allein. Wann er nicht hat helfen können, so ists dann noch immer Zeit, zu sagen, daß der König vertrunken ist.«

»Ich begreife Dich nicht! Ich muß fort, fort!«

Er wollte abermals fort; aber der Sepp hielt ihn wieder fest und rief:

»Nur diese Minuten noch! Wann er gerettet wird, kann er sehr zornig sein, daß Du Alles im Dorf ausgeschreit hast.«

»Jesus Christus!« schrie jetzt der Italiener. »Dort hinsehen, dort, da! Qui, qui, li, là, colà!«

Er deutete auf eine Stelle mitten im Strome, wo eine Gestalt zwischen den Stämmen auftauchte und sich Mühe gab, auf denselben, ohne vorher zerdrückt zu werden, festen Fuß zu fassen.

"Fex! Bist's?"

»Fex!« rief der Wurzelsepp. »Bists?«

»Ja,« antwortete es.

»Ist er gerettet?«

»Ja.«

»Er lebt?«

»Freilich!«

Da warf der Sepp den Hut in die Luft und schrie:

»Juchheirassassa! Hab ichs nicht gesagt! Hab ich nicht Recht gehabt! Der Fex, ja der Fex, der ist der einzge Mensch, ders zuwege bringt. Komm herüber; komm! Ich muß Dich umarmen, Fex!«

Das war nun freilich leichter gesagt als gethan. Der junge, todesmuthige Fährmann hatte sich, unten im Wasser die Augen öffnend, eine Lücke zwischen den Stämmen gesucht, durch welche er auftauchen könne. In der Nähe des Ufers, wo sich Stamm über Stamm thürmte, gab es keine solche Lücke. Und als er endlich eine fand, war er dem Ersticken nahe. Er schob sich zwischen den Stämmen empor, aber diese Stämme drohten, sich zu vereinigen, in welchem Falle er sicher zermalmt worden wäre. Endlich gelang es ihm, herauf zu


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kommen. Nun sprang er von Stamm zu Stamm. Die mächtigen Klötze drehten sich um sich selbst. Sein Fuß fand also kaum einen Augenblick festen Halt auf dem Holze, und ein jeder Fehltritt war sein sichrer Tod. Aber er war mit der Gefahr vertraut, und Gottes Hand waltete über ihn. Er erreichte das Ufer. Dort aber sank er vor Anstrengung sofort zu Boden. Die Drei knieten augenblicklich bei ihm nieder und bestürmten ihn mit Fragen. Es war, als ob sich eine Ohnmacht seiner bemächtigen wolle; aber sein Geist war doch stark genug, diese Schwäche zu überwinden. Er stand langsam wieder auf, dehnte und streckte sich und sagte:

»So eine Gefahr hab ich noch nicht erlebt!«

»Ist er denn wirklich gerettet?« drängte Wagner.

»Ja, freilich.«

»Wo ist er?«

»In Sicherheit.«

»So führ uns hin, schnell, schnell!«

»Da würdest wohl Wasser schlucken müssen. Wer zu ihm will, der muß bis auf den Grund des Flusses hinab.«

»Da wäre der König doch todt!«

»Er lebt. Horch drauf, was ich Dir sag! Ich hab ein kleins Oertle, ein Versteckle, was kein Mensch weiß als nur der Wurzelsepp allein. Dahin hab ich den König bracht. Und weil eben kein Mensch dieses Plätzle kennen darf, so kann ich Dich auch nicht hinführen zu ihm.«

»Aber er ist munter und wohl?«

»Ja. Er sitzt da und raucht ein Cigarren.«

»So sei dem Herrgott Dank!«

»Ja, wann Ihr mir gehorcht hättet, so wär es nicht geschehen. Aber so vornehme Leutle, die wollen immer klüger sein als so ein armer Fex. Merkts Euch das!«

»Du hast Recht. Auch unser Leben haben wir Dir zu verdanken. Wir werden es Dir nie vergessen. Erlöse uns nur auch von der Sorge um den König. Er ist doch nicht von den Stämmen verletzt?«

»Gar nicht.«

»Aber durchnäßt. Er wird sich erkälten!«

»Eine Verkältung ist immer noch besser, als eine Versaufung. Und schau, da kommen bereits schon weniger Stämme. Wann das Wasser wieder frei ist, so bring ich ihn wieder her. Ich bin nur kommen, um Euch zu sagen, daß er gerettet ist. Nun aber muß ich halt wieder hin zu ihm.«

Trotz der Anstrengung, welche er hinter sich hatte, sprang er wieder in das Wasser und tauchte unter.

Bekanntlich war König Ludwig ein ausgezeichneter Schwimmer. Als er von der Steuerbank herab und in das Wasser geschleudert wurde, verlor er keineswegs die Besinnung, sondern er tauchte augenblicklich unter, weil er sich sagte, daß er sonst von den Stämmen zermalmt werden müsse. Der einzige Rettungsweg schien ihm, hinter der Fähre wieder emporzutauchen. Darum


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schwamm er unter dem Wasser gegen den Strom, um nicht fortgetrieben zu werden. Als er die Fähre erreicht zu haben glaubte, tauchte er vorsichtig auf, fühlte aber, daß er wirbelnde Stämme über sich habe. Er hatte die Richtung verfehlt, und das war schlimm. Er war zwar ein sehr guter Schwimmer aber doch kein Wasserfex, das heißt also Einer, der im Wasser zu Hause ist fast so gut wie in der freien Luft. Er hatte sich nicht geübt, die Augen zu öffnen und unter dem Wasser sein Gesichtsvermögen zu gebrauchen - natürlich so weit es in dem nassen Elemente möglich ist. Bereits merkte er, daß ihm der Athem ausgehen wolle. Er schien nun die gräßliche Wahl zu haben zwischen dem Tode des Erstickens oder dem des Zermalmtwerdens zwischen den wirbelnden Stämmen. Trotzdem er die Augen geschlossen hielt, lag es ihm wie eine hell purpurne, von goldenen Lichtern durchblitzte Fläche vor denselben. Das war ein sicheres Zeichen, daß aus den von der Luft aufgetriebenen Lungen ihm das Blut nach dem Gehirn gepreßt wurde.

Ein leises Singen und Klingen hob vor seinen Ohren an, die beginnenden Stimmen des Todes. Da fühlte er einen weichen, menschlichen Körper neben sich; er wurde ergriffen, bei den Haaren, wie ein bedachtsamer Mensch einen in das Wasser Gefallenen anfaßt - der Retter war da, und zwar war es natürlich kein Anderer als der Wasserfex.

Mit Gewalt biß der König den Mund zusammen, um den Athem noch nicht entweichen zu lassen, denn that er das, so war er verloren; das wußte er. Trotzdem bei den geschlossenen Augen eine Beobachtung der räumlichen Verhältnisse ausgeschlossen war, fühlte er doch, daß er mit rapider Geschwindigkeit fortgerissen wurde. Dann stieß er erst rechts, nachher links an scharfe, harte Felsenkanten. Er befand sich jedenfalls in einem schmalen Gange, einem Felsenrisse, einer engen Kluft und wurde dann emporgezogen.

Es war ihm nicht mehr möglich, den Athem zu halten. Er stieß ihn aus und hörte ein lautes, gurgelndes Quirlen; dann drang ihm das Wasser in den Mund - aber nur einen kurzen Augenblick lang. Er hatte gefühlt, daß jetzt der Tod da sei. Ein lauter Schrei der Angst, den er wunderbarer Weise selbst so deutlich vernahm, als ob er sich nicht mehr im Wasser befinde. Luft, Luft, erquickende, belebende Luft drang wie ein gewaltiger, greifbarer Strom in seine leere Lunge. Er öffnete die Augen - finster, schwarz war es um ihn; sein Körper stack im Wasser, aber sein Kopf ragte aus demselben hervor, an den Haaren gehalten von einer kräftigen Hand, und zugleich fragte eine Stimme über ihm:

»Bist noch bei Sinnen? Hörst mich?«

»Ja,« stieß er hervor. »Wo bin ich?«

»Gott sei Dank, daßt noch lebst! Du bist grad eben jetzt in guter Sicherheit.«

»Wer bist Du?«

»Kennst mich nicht an meiner Stimm?«

»Es klingt wie der Fex.«

»Der bin ich halt auch. Ich konnt Dich nicht übers Wasser in die Höh


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bringen, sonst wärst von den Balken und Stämmen todtgequetscht worden. Darum bin ich mit Dir unter dem Wassern fort bis hier herein in meine Kapellen.«

»In eine Kapelle?« fragte der König erstaunt.

»Ja.«

»Unterirdisch?«

»Freilich. Merksts noch nimmer?«

»Das ist ja ein sehr außerordentliches Abenteuer.«

»Das ists auch. Aber bevor ich Dich herein laß, mußts mir versprechen, daßt keinem Menschen Etwas sagst, wo Du jetzt gewesen bist.«

»Ich werde schweigen.«

»Gut! Weißt, jetzt nun laß ich Deinen Kopf los. Du brauchst halt nur empor zu greifen an den Stein, worauf ich lieg, und heran zu klettern. Es geht ganz leicht. Faß an!«

Der König fühlte, daß er sich am Ende der Felsenritze befand, in welche der Fex ihn gezogen hatte. In diese Ritze, welche unter der Oberfläche des Flusses lag, trat das Wasser desselben herein. Er langte mit den beiden Armen empor, hielt sich oben an dem Steine fest und zog sich hinauf. Da saß er nun neben dem Fex in tiefem Dunkel und ebenso tiefer Stille. Das Rauschen des Wassers war hier nicht zu hören.

»So, jetzt bist heroben,« sagte der Fex. »Dein Wort hab ich, daßt mich nicht verrathen willst, und nun wart nur noch ein ganz klein Wenig; nachhero wirst gleich sehen, wo Du bist.«

Der Fex entfernte sich. Der König hörte einen Schlüssel klirren und dann eine eiserne Angel kreischen. Es raschelte wie Papier; sodann gab es einen hohlen, klingenden Ton, wie wenn man an ein Streichinstrument, an eine Geige oder an eine Guitarre stößt. Die Angel kreischte und der Schlüssel klirrte wieder. Sodann blitzte es in dem Dunkel auf, wie wenn ein Streichholz angestrichen wird. Es flammte auf - der Fex brannte eine Lampe an.

Jetzt war es hell in dem geheimnißvollen Raume. Der König sah sich um. Er befand sich in einem Gelaß, welches vielleicht fünf Ellen lang und ebenso breit war, dabei nicht ganz so hoch. In der Mitte waren vier Pfähle in den Felsboden getrieben und auf denselben mehrere zusammengestoßene Bretter genagelt. Das gab einen Tisch. In der Nähe standen drei Stühle, aus Knüppeln zusammengesetzt. Neben der Lampe, welche der Fex auf den Tisch gesetzt hatte, lag ein kleines Schächtelchen aus dünner Pappe. In der Ecke erblickte der König ein Beil, einen Hammer und einige andere alltäglich zu brauchende Instrumente und Gegenstände; sonst aber war der ganze Raum vollständig leer.

Da vorn, wo der König in triefenden Kleidern am Boden saß, blickte die finstre Fluth des Flusses aus dem Felsenspalt empor. Hinten gab es nicht, wie an den drei andern Seiten, eine Felsenwand, sondern eine Steinmauer, welche, wie man auf den ersten Blick bemerken konnte, aus schlechtem Material und mit vieler Mühe aufgeführt worden war. In dieser Mauer befand sich


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eine Thür, aus alten Latten und Holzstangen so primitiv zusammengenagelt, daß es genug Lücken gab, um hindurchblicken zu können.

Der König erhob sich von dem Boden und trat näher an den Tisch heran.

»Nicht wahr,« lächelte der Fex, »allhier ists besser als da drunten im Wassern?«

»Natürlich! Es war die allerhöchste Zeit, daß ich Luft bekam. Noch zwei oder drei Sekunden, und ich wär eine Leiche gewesen.«

»Habs mir gedacht! Darum bin ich auch geschwommen wie eine Forellen, als ich Dich beim Schopf hatte. Aber Du bist schon ganz selber schuld!«

»Nein, sondern die beiden Andern. Hätten die nicht verkehrt gerudert, so wären wir noch zur rechten Zeit am Ufer angekommen.«

»Na, ich will mich nicht mit Dir streiten, denn Du bist ein großer Herr, und diese Sorten hat schon allemal Recht. Besser wärs gewesen, wann wir drüben gewartet hätten, bis das Holz vorüber war. Jetzt setz Dich halt nieder, und wart, bis ich wiederkomme!«

»Du willst fort?«

»Ja freilich muß ich.«

»Wohin?«

»Ich muß doch zu den Deinigen zwei Kameraden gehen und ihnen sagen, daßt in Sicherheiten bist, sonst laufens ins Dorf und machen einen Spektakeln, daß die Mäus und Ratten davonlaufen.«

»Da hast Du Recht. Es darf kein Mensch erfahren, was geschehen ist. Du weißt zwar noch nicht, wer ich bin; aber wenn Du es später erfahren wirst, so - - -«

»Meinst, daß ich es wirklich nicht weiß?« unterbrach ihn der Fex, indem er ein schlaues Lächeln zeigte.

»So weißt Du es also?«

»Ja.«

»Hast Du mich vielleicht schon einmal gesehen?«

»Nein.«

»Woher willst Du es denn wissen, wer ich bin?«

»Der Wurzelsepp hat mirs gesagt.«

»So ist dieser hier?«

»Ja.«

»Die Plaudertasche!«

»Nein, er ist keine Plaudertaschen. Er hats mir nur deshalb gesagt, daß ich bei der Ueberfahrt recht gut Acht auf Dich geben soll. Und er hätts mir nicht gesagt, wann er nicht wußt, daß ich es Keinem verrathen thu.«

»Das wünsche ich auch. Es soll Geheimniß bleiben. Und vor allen Dingen soll kein Mensch erfahren, daß ich mich heut in so einer Gefahr befunden habe.«

»Na, da kannst Dich gut verlassen. Ich bin so still wie ein Karpfen oder eine Schleihen im Teich. Nun aber muß ich fort, sonst machen die Andern dennoch ihre Dummheiten.«


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»Wie kommst Du hinaus?«

»Sowie ich hereinkommen bin. Ich tauch unters Wasser und schwimm hinaus.«

»Einen andern Weg giebts nicht?«

»Nein.«

»So muß auch ich diesen Weg nehmen?«

»Ja. Fürchtst Dich etwan? Ich bin bei Dir. Brauchst halt keine Sorgen zu haben.«

»Ich schwimme nicht schlecht. Warum aber soll ich nicht lieber jetzt gleich mit?«

»Weil jetzt noch die Stämme draußen vor meiner Kapellen vorüberschwimmen. Da könnt Dich einer treffen, und dann wärst mausetodt.«

»Aber Dich kann doch ebenso gut einer treffen!«

»Mich? Da kennst mich nur schlecht. Ich bin im Wasser wie auf dem Kanapee. Mir thut kein gar Nix etwas. Wir müssen wegen Deiner noch warten, bis das Holz vorüber ist. Nachhero kannst fort, eher nicht. Und wann ich jetzt geh, so komm ich doch gleich schon in einer Minuten wieder. Und damit Du etwas zu thun hast, bis ich zuruckkehr, will ich Dir hier eine gute Arbeiten geben, damit Du Dir die Zeit vertreibst.«

Er zog einen Stein aus der Mauer und nahm ein kleines, in Wachsleinen eingeschlagenes Packetchen heraus.

»Hier hast!« meinte er. »Kannst Dir eine Cigarre anstecken. Das ist keine, woran zehn Ochsen ziehen müssen, um Luft zu bekommen, sondern es ist eine feine Hoflakaienzigarren, die auch schon der König einmal rauchen kann. Vielleicht sind sie gar aus derer Kisten, aus welcher Du selber geraucht hast.«

»So! Woher hast Du sie?«

»Das werd ich Dir wohl gleich sagen, he? Meinst etwan? Da bist mir zu scharf gebraten! Nein, den Lieferanten kann ich Dir nicht sagen, sonst erhalt ich keine mehr. Verstehst mich wohl?«

»Sollte man es denken? Cigarren von mir!« lächelte der König, indem er das Päcktchen öffnete.

»Ja, vielleicht. Gewiß weiß ichs auch noch nicht. Aber kannst mirs halt schon gönnen. Unsereiner will auch einmal einen guten Geruch vor der Nasen haben. Und nun geh ich. Hab keine Angstigkeiten um meiner; ich komm bald wieder. Und wann Dich bei dero Nässen frieren sollt, so strample hier so hin und schlag die Armerln zusammen. Das macht warm.«

Er stieg in das Wasser hinab, tauchte unter und verschwand.

Dem Könige war es ganz eigenthümlich zu Muthe. Er fühlte weder Nässe noch Kälte. Seine ganze Aufmerksamkeit war gefangen genommen von dem Abenteuer, dessen Held er gegenwärtig war. Dasselbe wäre wunderbar gewesen für einen gewöhnlichen Mann, wie viel mehr also für einen Monarchen!

Es verstand sich ganz von selbst, daß hier ein Geheimniß obwalte. Warum nannte der Fex diesen unterirdischen Raum seine Kapelle? War derselbe bestimmt zu irgend einer Art von Andacht?


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Der König ergriff das kleine Schächtelchen, welches auf dem Tische lag. Es enthielt Kolophonium. Wozu das? Die Fläche dieses Geigenharzes war nicht glatt; es zeigte deutliche Spuren, daß mit einem Violinbogen darüber hingestrichen worden sei. War der Fex musikalisch? Spielte er hier unten Violine?

Ludwig trat zu der Thür. Hinter derselben war es dunkel. Er nahm die Lampe und leuchtete hin. Aber die Zwischenräume der Latten waren so eng, daß kein genügendes Licht durch dieselben dringen konnte.

Jetzt untersuchte er das Schloß. Es war ein altes Hängschloß; der Fex hatte den Schlüssel abgezogen; es war zu. Aber die eiserne Krampe, in welcher der Bügel des Schlosses hing, schien nicht sehr fest in der halb verfaulten Latte zu stecken. Ludwig rüttelte ein Wenig daran, und siehe, die Krampe gab nach; sie war leicht herauszuziehen.

Jetzt konnte der König die Thür öffnen. Aber sollte er? Durfte er? Hatte er ein Recht, in die Geheimnisse seines Retters einzudringen?

Er legte sich diese Frage vor. Er hatte nicht die Erlaubniß erhalten, hier einzutreten; aber es war ihm auch nicht verboten worden. Und - sagte er sich, grad weil er König war, konnte es für den Fex von Nutzen sein, wenn jetzt die beiden wißbegierigen Augen in das Geheimniß blickten.

Ludwig zog also die Krampe, den Haspen heraus. Die Lampe in der Hand, trat er ein.

Er sah sich in einem Raume, welcher ebenso groß war wie der vordere, eine Seite war gemauert und die drei anderen aus Felsen bestehend. Die Decke wurde von starken Holzknüppeln gehalten, welche eng neben einander lagen. Oben in der einen Ecke gab es ein Loch, welches wohl nach außen führte, der nothwendigen Lüftung wegen. Vor demselben war der siebartige Schlauch einer alten Netzkanne angebracht, welcher der Luft den Zutritt gestattete, aber verhinderte, daß irgend ein kleines Thier hindurch könne.

Links befand sich ein Mooslager am Boden, aus langem, weichem, getrocknetem Wassermoos bestehend. Darauf erblickte der König eine Violine, einen Bogen und mehrere gedruckte Notenhefte. Diese Gegenstände hatte der Fex vorhin, bevor er Licht anbrannte, hier herausgeschafft. Also lag es doch nicht in seiner Absicht, daß der König diesen zweiten Raum betreten solle.

Der König öffnete eins der Hefte. Es enthielt Violinstücke, welche nur ein außerordentlich guter Violinist spielen konnte. War der Fex ein solcher?

In der Nähe des Lagers gab es eine alte Kiste, welche auch mittels eines Hängschlosses verschlossen war. Auf derselben stand eine Flasche, welche Oel enthielt.

Rechts von dem Bette, an der andern Wand, gab es einen kastenartigen Gegenstand, welcher mit einem alten Saloppentuch zugedeckt war. Darüber hing an der Wand ein roh geschnitztes Holzkreuz und ein Farbenbild, welches den Heiland mit der Dornenkrone vorstellte.

Hatten diese Gegenstände Bezug auf den Namen »Kapelle«, welchen der Fex diesem Raum gab?


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Der König stellte die Lampe auf die Kiste, um beide Hände freizuhaben, und zog das Tuch fort.

»Mein Himmel!« entfuhr es ihm.

Er trat erschrocken zurück und war vor Schreck todtesbleich geworden. Der Kasten, welchen er jetzt erblickte, war ohne Deckel und enthielt - eine weibliche Leiche!

Diese Person konnte nur erst vor wenigen Stunden gestorben sein, so frisch sah sie aus und so gar keine Spur von Fäulniß zeigte sie.

Es war eine Frau, welche wohl nicht über dreißig Jahre alt geworden war, aber doch älter erschien, denn ihre Züge zeigten den Typus der Zigeuner, deren Frauen ja bekanntlich sehr schnell altern. Sie hatte die braunen Hände unterhalb der Brust gefaltet, und ein seltener Reichthum schwarzen Haares floß ihr vom Scheidel über die Wangen herab bis fast auf die Füße, sie einhüllend wie in einen Mantel. Eingehüllt war die Gestalt in ein altes Bettuch, welches oft geflickt war und trotzdem noch viele Risse und Löcher zeigte.

Da erklang es hinter dem Könige wie rauschendes und tropfendes Wasser.

»Herrgott!« rief eine Stimme draußen.

Der König drehte sich um. Er sah den Kopf des Fexes über dem Wasser, während der Leib noch in demselben steckte.

»Komm herauf!« gebot er ernst.

Der Fex schwang sich herauf auf das Trockene. Seine Augen blitzten zornig. Er trat herbei und fragte:

»Hier stehst? Hier herein bist gangen? Das Schloß hast aufbrochen? Wer hat Dir gesagt, daß Du das thun sollst?«

»Niemand. Ich hab es aus eigenem Antrieb gethan.«

»So! Hast etwan ein Recht dazu?«

»Vielleicht sogar eine Pflicht!«

»Eine Pflicht? Das denk ja nicht! Diese Stuben ist nur allein mein; sie gehört keinem Andern. Sie ist meine Kirchen und Kapellen, in welcher ich bet, wann mir das Herz schwer worden Ist.«

»Und in diesem Heiligthum tödtest Du Menschen?«

»Tödten? Ich?« fuhr der Fex auf.

»Ja. Oder ist diese Frau vielleicht heut ertrunken und hast Du sie hier herein geschafft?«

»Heut?«

»Natürlich! Sie kann doch erst heut gestorben sein!«

»So fühl doch mal ihr Gesicht an!«

Der König that es. Das Gesicht war kalt und hart wie Stein. Ihn schauderte.

»Klopf nur mal drauf, oder auf die Händ!«

Auch das that der König. Es gab einen Ton, als wenn man auf einen Stein klopft.

»Sie ist versteinert!« sagte er überrascht.


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»Ja. Es ist lange Zeit her, daß sie gestorben ist.«

»Und wie und warum hast Du sie hier herein geschafft?«

»Das werd ich Dir sagen; aber Du mußt mir versprechen, es nimmer zu verrathen.«

»Dieses Versprechen kann ich nicht geben.«

»Warum nicht?«

»Es kann sich hier um ein Verbrechen gehandelt haben, oder überhaupt ist es geboten, daß eine Leiche in geweihter Erde begraben werde.«

»So! Warum habens dann dieser die geweihte Erden versagt?«

»Man hat sie ihr versagt?«

»Ja, weil sie eine Heidin gewesen ist, eine Zigeunerin. Darum ist sie eingescharrt worden da, wo sie verhungert und verfroren ist. Da oben ist ihr Grab gewesen, grad über uns. Das hat sich gesenkt, tiefer und immer tiefer, denn unter dem Grab ist der Felsen hohl gewest, und endlich ist die Leich abistürzt hier herein, wo sie jetzund liegt.«

»Und das hat man nicht bemerkt?«

»Nein. Erst ist gar kein Mensch heraufkommen an den verfluchten Ort. Nachher, als doch zuweilen eine mitleidige Seelen heraufstiegen ist, um ein Ave Maria zu beten, ist das schier auch nur ganz selten gewest. Ich aber bin alle Tagen am Grab gesessen, wann ich nicht hab überfahren müssen. Als ich gemerkt hab, daß die Leichen hier einibrochen ist, bin ich nachklettert und hab entdeckt, daß hier herunten der Stein hohl ist und daß man vom Fluß hereingelangen kann. Nachher hab ich gleich in der Nacht das Grab so vorgericht, daß man nix sehen konnt, daß es einibrochen war. Und spätem hab ich hier herinnen die Stuben gebaut und Alles so gemacht, wie es jetzunder ist.«

»Sonderbar! Welches Interesse hast Du denn an dieser Leiche?«

»Welches? Diese Fragen ist freilich besonderbar. Sie ist doch meine Muttern.«

»Wie? Diese Zigeunerin ist Deine Mutter?«

»Ja.«

»Das ist vollständig unmöglich. Du kannst nicht der Sohn der Zigeunerin sein.«

»Meinst nicht? Warum?«

»Du bist blond und hast den kaukasischen Typus.«

Ueber das hübsche Gesicht des Fex glitt ein verschmitztes Lächeln, doch machte er sofort wieder sein gewöhnliches dummes Gesicht und antwortete:

»Wast da sagst, versteh ich nicht. Ich weiß gewiß, daß sie meine Muttern ist. Und ich muß es doch besser wissen als Du, wannt auch der König bist.«

Ludwig fragte ihn nach seiner Vergangenheit und erhielt die Auskunft, welche der Fex für nöthig hielt. Dieser sagte dem Könige keineswegs Alles, was er ihm hätte mittheilen können, und schloß daran die Frage:

»Und nun nicht wahr, die Muttern darf hier liegen bleiben?«

»Darüber will ich jetzt noch nicht entscheiden. Ich will es mir überlegen,


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ob es nicht gegen Gesetz und Gewissen ist, die Ueberreste Deiner Mutter hier in der Höhle zu lassen.«

»Ueberlegen willst? Aber bis dahin wirsts etwan Keinem sagen?«

»Nein; ich werde schweigen.«

»So will ich mich in Ruh darein ergeben.«

»Hast Du denn hier geschlafen?«

»Ja.«

»Neben der Leiche?«

»Warum nicht? Meinst, daß ich mich vor der Muttern fürchten sollt? Nein, das thu ich nicht. Wann ich mich niederlegt hab und wann ich aufstanden bin, so hab ich vor ihr gebetet, und der Herrgott wird mir die Lieb anthun, ihrs zu vergeben, daß sie eine Zigeunerin gewesen ist.«

Der König war tief gerührt.

»Du bist ein braver Bub!« sagte er. »Ganz abgesehen davon, daß ich Dir heut mein Leben verdanke, fühle ich für Dich eine solche Theilnahme, daß ich versuchen will, Deinem Schicksale eine Aenderung zum Bessern zu geben. Darf ich?«

Der Fex blickte sinnend vor sich hin. Es dauerte eine Weile, ehe er antwortete.

»Weißt, ich machs wie Du; ich muß es mir vorerst überlegen.«

»Erst überlegen?« fragte Ludwig erstaunt.

»Ja.«

»Das begreife ich nicht!«

»Wirsts aber bald begreifen, wann ichs Dir sag. Weißt, ich hab den Fluß lieb gewonnen und die Mühlen und diese Kapellen hier und den Wald und Alles, wo ich bin und was ich kann. Ich möcht schon gar nimmer fort von hier sondern immer und immer hier bleiben.«

»Nun, das kannst Du ja.«

»Meinst? Das wär schön.«

»Ja. Deine Lage kann ja eine bessere werden, ohne daß Du dadurch gezwungen wirst, den Ort zu verlassen, der Dir eine zweite Heimath geworden ist. Ich werde darüber nachdenken. Aber ich kann noch nicht begreifen, wie Du hier schlafen kannst. Du bist doch völlig naß, wenn Du hier aus dem Wasser steigst!«

»Da zieh ich halt mich aus. Und da in der Kisten hab ich ein Tuch, in welches ich mich einwickle.«

»So, so! Und wem gehört diese Violine?«

»Mir.«

»Kannst Du spielen?«

»So ein Wenig darauf herumpatschen kann ich schon. Wann ich nur erst die Noten könnt und die Tonleiter dazu! So weit aber werd ichs all mein Lebtag nicht bringen.«

»Du hast aber ja Noten hier!«

»Die hat in voriger Zeit ein Badegast zurückgelassen, der in der Mühlen


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gewohnt hat. Ich hab sie hier einischmuggelt; aber was die vielen Notenköpfen und Stricherln zu bedeuten haben, das weiß ich nicht und brings auch nicht.«

»Ja, diese Noten wirst Du niemals spielen lernen.«

»Meinst wirklich?« fragte der Fex mit der Miene eines Menschen, der auf Alles verzichtet.

»Ja, niemals. Wer diese Stücke geigt, der ist ein Virtuos.«

Dabei blätterte der König in den Noten herum und fügte hinzu:

»Wenigstens ist er der Virtuosität sehr nahe. Aber wenn Du solche Lust zur Musik hast, so gehe doch zum Kantor oder zum Lehrer. Vielleicht zeigt er Dir die nöthigen Griffe.«

»O, das hat er ja auch than.«

»Und hat es nichts genützt?«

»Nix. Du sagst ja selber, daß ich diese Sachen nimmer spielen lernen werd.«

»Nun, es müssen nicht grad solche schwere Stücke sein. Vielleicht kannst Du einen Lehrer erhalten, unter dessen Leitung Du es mit der Zeit so weit bringst, daß Du in ein Musikkorps treten und Dir Dein Brod verdienen kannst. Wir werden über diesen Gegenstand noch sprechen. Einstweilen aber wollen wir uns gegenseitig das tiefste Schweigen geloben. Nicht?«

Er lächelte den Fex so gütig an, daß diesem das Herz aufgehen wollte. Dennoch aber drängte er die Mittheilungen, welche ihm auf die Zunge traten, zurück und antwortete:

»Ja, ich sage nix, daß Du heut versaufen wolltst, aber Du mußt auch schweigen!«

»Ja, ich verrathe Deine Kapelle nicht. Wenigstens werde ich keinem Menschen etwas darüber mittheilen, bis ich nicht vorher mit Dir gesprochen habe. Jetzt aber wird es mir kalt. Meinst Du, daß wir noch lange hier warten müssen?«

»Ich werd einmal nachschaun. Als ich vorhin wieder kam, ist das Holz beinahe schon vorüber gewest.«

Er verschwand im Wasser, kehrte aber sehr bald zurück und meldete:

»Du kannst mitkommen. Es schwimmt zwar noch zuweilen ein Stamm vorüber, aber das hat schon nix zu sagen; dem weichen wir halt aus. Jetzt werd ich vorerst meine Kapellen in Ordnung bringen. Es war sehr ungut von Dir, daßt da hereini drungen bist. Man muß seine Nasen nicht überall hinstecken, denn es ist leicht möglich, daß man mal einen Klapps drauf bekommt.«

Er pochte die Krampe wieder fest und nahm dann die Lampe, um sie auszulöschen; sagte jedoch vorher:

»Nun kanns fortgehen. Also jetzt tauchen wir da hinab. Du brauchst nur das Maul zuzumachen und mir die Hand zu geben. Nachher bring ich Dich schon dahin, wo Du hin gehörst.«

»Schwimmst Du wieder unter dem Wasser?«


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»Nein; das ist jetzund nicht mehr nöthig. Wann wir hinaus in den Fluß sind, tauchen wir gleich empor. Nachher kannst neben mir aufwärts schwimmen bis dahin, wo das Richardl ist.«

»Richardl? Wer?«

»Nun, der Wagner, der Componist.«

»So kennst Du auch den?«

»Ja, ich hab sein Bild gesehen, und der Sepp hats mir auch gesagt, wer er ist. Also komm!«

Er blies die Lampe aus und setzte sie auf den Tisch. Dann schritt er dem Könige voran nach der Stelle, an welcher das Wasser begann. Er stieg hinein, und der König folgte.

»Jetzt nun noch das Maul zu,« sagte er, »und hol nimmer Athem, als bis wir oben sind.«

Er faßte ihn beim Arme und zog ihn hinab. Das Wasser schloß sich über ihnen. Der König fühlte, daß er durch die Felsspalte hinaus in den Fluß und dann empor zur Oberfläche dirigirt wurde.

»Jetzt kannst wieder Luft schnappen,« hörte er den Fex neben sich sagen.

Er öffnete die Augen. Der Mond war über den Horizont empor gestiegen, und sein Strahl drang zwischen den Wipfeln der Bäume und zwischen den Felsen herein auf den Fluß, so daß dessen Oberfläche glitzerte und flimmerte wie flüssiges Silber. Es war Vollmond wie an jenem Herbstabende, an welchem Ludwig bei Leni auf der Alpe gewesen war.

Beide schwammen rüstig aufwärts, bis dahin, wo die Felswand endete und die Fähre lag. Der Fex war dem Könige voran. Als er aus dem Wasser stieg, sagte Wagner erschrocken:

»Du kommst doch wieder allein! Wo ist der König?«

»Schau da hinab! Da kommt er.«

Jetzt sah man auch die Gestalt des Königs, welcher gleich darauf das Ufer erreichte und an das Land stieg.

Wagner war so ergriffen, daß er fast niedersank.

»Dem Himmel sei Dank, Majestät!« sagte er mit bebender Stimme. »Was ich in dieser Zeit gefühlt habe, das ist unbeschreiblich.«

Der Italiener aber war ganz still. Er fand in diesem Augenblicke keine Worte, um seinen Gefühlen und Gedanken Ausdruck zu geben. Der König reichte beiden die Hände und meinte:

»Mir ists wie im Traume. Ich habe Gräßliches erlebt, und doch ist es mir, als sei ich der Held eines Märchens von Tausend und einer Nacht gewesen.«

»Wo haben Majestät das rettende Asyl gefunden?«

»Hier bei diesem braven, kühnen, jungen Manne, dem ich nicht genug dankbar sein kann. Ueber die Einzelheiten der Rettung aber wollen wir schweigen. Ueberhaupt wünsche ich, daß nie oder wenigstens so lange ich lebe, Jemand erfahre, was heut Abend und hier geschehen ist.«


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Und dem Fex nun auch die Hand reichend, fuhr er fort:

»Ich werde Deiner nicht vergessen. Ich wohne ja hier, und so sehen wir uns baldigst wieder. Nun aber wollen wir schleunigst gehen, damit die Kälte und Nässe mir nicht ebenso gefährlich oder noch gefährlicher werde als der Sturz in das Wasser. Ich muß mich sofort umkleiden.«

Sie gingen.

Nun trat der Wurzelsepp wieder hinter den Sträuchern hervor, wohin er sich bei der Ankunft Ludwigs zurückgezogen hatte. Er sagte:

»Jetzund möcht ich singen und lobpreisen vor Freuden, daß Dir Alles so gut geglückt ist, Fex. Ich hab eine Aengsten ausgestanden, die ich den beiden Leuteln gar nicht hab merken lassen können. Jetzt aber ist nun Dein Glück gemacht. Jetzt wird der König Dir dankbar sein, und Du wirst ein Mann werden, vor dem man den Hut abzieht und die Zipfelmützen auch noch dazu.«

»Und ich wollt, es wär gar nicht geschehen.«

»Warum? Aus Sorg um den König?«

»Nein, sondern wegen meiner.«

»Nun, Du brauchst doch nimmer zornig darüber zu sein, daß Du der Retter des Königs geworden bist!«

»Nein, aber darüber, daß er meine Kapellen gesehen hat.«

»Ja, Du konntest ihn nicht anders retten; Du mußtst ihn da hinein bringen. Und wann die Höhlen nicht gewesen wär, so hätt er elend versaufen müssen. Aber er hat doch wohl nicht Alls geschaut?«

»Alls! Das eben ists, was mich ärgert.«

»So bist selber schuld!«

»Ich? Meinst?«

»Ja. Hättst es ihm nicht gezeigt.«

»Hab ichs ihm denn gezeigt? Hab ichs?«

»Ja, sonst hält ers nicht sehen können!«

»Schau, wie klug Du redst! Ja, Du bist auch Einer, der die Grasen und die Sauerampferln wachsen hört! Nix hab ich ihm gezeigt, gar nix! Ich hab ihn am Rand sitzen lassen in der Finsterniß und sogar erst noch die Geigen und die Noterln fort geschafft, bevor ich Licht angezunden hab. Aber nachher, als ich hierher schwommen bin, um zu sagen, daß er gerettet ist, hat er die Thüren mit Gewalt aufgemacht und sich in der Kapellen umgeschaut. Ich bin grad dazu gekommen, als er das Tuch von dera Leichen hinweg genommen und sie angeschaut hat.«

»Himmelsakra!

»Ja, so ists!«

»Was hat er denn da drinnen zu suchen! Muß sogar der König seine Nasen in jeds Mauslöcherl stecken! Nun ists verrathen, Alles, Alles!«

»Nein, nichts ist verrathen.«

»Hat er Dich denn nicht gefragt?«

»Freilich. Er hat mich sogar für einen Mördern gehalten.«


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»Bist auch gescheidt? Du, sein Retter, sollst auf einmal ein Mördern sein!«

»Ja freilich. Er hat glaubt, die Leich sei erst heut gestorben, weil sie so frisch ausschaut, und ich hab sie umgebracht. Nachher hat er freilich auch gemeint, sie sei im Wasser vertrunken und ich hab sie hineingerettet in die Höhlen. Er hat mich ausgefragt, und ich hab ihm gesagt, daß es meine Muttern sei und daß das Grab eingefallen ist und ich hab dabei die Höhlen entdeckt.«

»Weiter nix?«

»Gar nix.«

»Weiß er nicht, daß man auch noch anders als blos durchs Wassern in dera Höhlen gelangen kann?«

»Nein. Ich werd mich hüten, es ihm zu sagen.«

»Und daß auch ich mit gebaut hab heimlich, um die Kapellen fertig zu bringen?«

»Auch da hab ich geschwiegen.«

»Das ist recht. Aber nun hat er auch die Geigen gesehen. Nun ists verrathen, wer da des Nachts unter der Erd die Musiken macht.«

»Das weiß er nun freilich; aber er wird nix sagen. Er hat mirs versprochen. Und ob die Leichen da liegen bleiben darf, das will er sich auch noch überlegen.«

»Er mag sie nur halt lassen, wo sie ist. Was geht ihn die Zigeunerin an! Hat sich bishero kein Mensch um sie kümmert, braucht auch nun sich Niemand hinein zu mischen in dera Angelegenheiten. Er mag sich ins Bett legen und einen Fliederthee trinken oder Camillen, damit er in Schweiß kommt und nicht den Dampf und Keuchhusten kriegt auf der Brust; aber sonst mag er schweigen und uns treiben lassen, was uns gefallt. Wie stehts denn nun mit uns? Bleibst noch hier?«

»Nein. Jetzt fahrt kein Mensch mehr über. Und wann ja einer kommen sollt, so mag er rufen; ich werds doch hören. Komm mit, Sepp!«

Sie gingen in die Büsche hinein und um den Felsen herum, auf dessen Höhe sich das Grab befand, welches nun freilich die Leiche nicht mehr enthielt. Hier standen am Fuße des Felsens dichte Sträucher, unter denen sich allerlei Steingeröll angesammelt hatte.

Der Fex kauerte sich nieder und scharrte die Steine zur Seite. Unter ihnen kam ein breites Bret zum Vorschein, wie der Deckel einer Kiste. Als er auch dieses entfernt hatte, gab es dahinter eine Oeffnung, grad weit genug, daß ein Mann hinein steigen konnte.

»Jetzt schlupf eini!« sagte er zum Sepp. »Ich komm hinterher, um das Bret wiederum aufzulegen.«

Der Wurzelsepp folgte dieser Weisung. Er verschwand in dem Loche, nach ihm der Fex, welcher das Bret über sich auf die Oeffnung legte. Da es unter den Büschen einen dichten Schatten gab, konnte man trotz des Vollmondes nicht bemerken, daß hier am Erdboden eine Veränderung vorgegangen


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sei. Uebrigens war die Lage des Ortes eine solche, daß man mit Sicherheit darauf rechnen konnte, daß, wenigstens jetzt am Abend, Niemand den Fuß grad an diese Stelle setzen werde.

Der enge Gang war mit Stufen versehen. Er führte in die zweite Kammer und mündete an der Stelle, an welcher die Kiste stand. Vorher war das eine mit lockerer Erde gefüllte Felsenritze gewesen. Der Fex hatte diese Erde nach und nach in den Fluß geworfen und so den Gang hergestellt.

Der Wurzelsepp kannte die Gelegenheit. Unten angekommen, schob er die Kiste bei Seite und kroch in die Kammer. Der Fex folgte nach. Durch ein kleines Loch neben dem Hängschlosse greifend, konnte er dieses öffnen und also die Thür aufschieben. Dann nahm er Streichhölzer hinter dem Steine hervor, hinter welchem auch die Cigarren gesteckt hatten, und brannte die Lampe an.

Der Blick des Sepp fiel auf die Cigarren, welche auf dem Tische lagen.

»Hat er eine geraucht?« fragte er.

»Nein.«

»Das ist gut. Sie wären ihm wohl sehr bekannt vorgekommen. Darum ists halt besser, daß er sie gar nicht gekostet hat.«

Der Fex hütete sich, ihm zu sagen, daß er gegen den König geplaudert habe, und kehrte in die hintere Kammer zurück, um die Kiste wieder vor die Oeffnung zu schieben. Dabei trat der Sepp an die Leiche heran, zog das Tuch weg und betrachtete sie.

»Wirst heut wieder hier mit mir schlafen?« fragte ihn der Fex.

»Ja. Zu Zweien gehts. Aber allein, wie Du, möcht ich doch nicht hier liegen. Ich glaub, mir träumt von lauter Geistern und Gespenstern.«

»Das hat auch mir oft träumt; aber ich fürcht mich doch ja nicht.«

»Ja, dafür ists auch Deine Muttern.«

»Meinst?«

»Etwan nicht? Hast mir doch gesagt, daß sie es ist.«

Der Fex warf einen langen, langen Blick auf das Gesicht der Todten und dann einen ebenso langen auf den Sepp; dann antwortete er:

»Schau! Du hast mich oft gefragt nach den frühern Zeiten, und ich hab Dir nix gesagt, obwohl Du mein bester Freund bist. Heut, da nun auch der König meine Heimlichkeiten geschaut hat, will ichs Dir sagen, daß diese Frau nicht meine Muttern ist.«

»Nicht?« meinte der Sepp erstaunt.

»Nein, sie ist es nicht. Meine Muttern war weiß im Gesicht und hat Haare gehabt, wie ich so blond, und Augen wie der Himmel. Diese hier aber hab ich nicht anders als Südana genannt und bin mit ihr aus einer weiten Ferne herkommen. Als sie mir den Müllern zum ersten Male zeigt hat, da hat sie die Hand geballt und dabei ausgeruft: »Je lukrul Drakului!« Und nachher, als er sie ermordet hat, hab ich sie rufen gehört »Aschutoriu!« Dieselbige Sprachen hab ich damals auch verstanden; nun aber hab ich sie vergessen und weiß gar nimmer mehr, was diese Worten zu bedeuten haben. Wann ichs noch wüßt, so wüßt ich auch, in welchem Land ich geboren bin.«


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Der Wurzelsepp starrte ihn erschrocken an.

»Was sagst!« rief er aus. »Der Müllern hat Diese da ermordet?«

»Ja.«

»Weißts genau?«

»Freilich.«

»Warum zeigsts da nicht an?«

»Weils doch nix helfen thät. Ich war ein kleiner Bub, der noch nimmer deutsch reden konnt, und meine Sprachen habens nicht verstanden. Und nachhero wärs doch zu spät gewesen. Auch hab ich nicht gleich gewußt, daß er sie getödtet hat. Es ist mir erst später so in den Sinn kommen.«

»Aber wie ists dabei zugegangen?«

»Ich bin hier unten am Wasser gesessen und die Südana oben auf dem Stein. Da auf einmal hat sie laut aufgeschreit »Aschutoriu«, und ich bin hinaufklettert. Als ich oben ankam, hat sie da am Boden gelegen, und der Müllern hat auf ihr kniet und ein Gesicht gemacht, so schlimm, daß ich mich vor Angst hinter dem Stein versteckt hab und nimmer hervorkommen bin. Er hat ihr die Taschen ausgesucht und sie nachher liegen lassen. Als er fort war, bin ich zu ihr hingangen und hab glaubt, sie schlaft. So bin ich bei ihr gesessen wohl mehrere Tag, bis sie uns gefunden haben; dann wurd sie eingescharrt. Erst nachhero später, als ich hab besser nachdenken konnt, ist mir der Gedank kommen, daß er sie todt gemacht hat. Das Uebrige weißt halt bereits.«

»So würd ich noch heut die Anzeigen machen.«

»Nein, das fallt mir nicht ein. Ich hab auch meine Ursach, daß ich schweig. Es wird wohl die Zeiten auch kommen, wo ich reden kann.«

»So weißt halt noch mehr, was Du mir nicht sagst?«

»Ja. Auch selbst Du brauchst jetzt noch nicht Alles zu wissen. Ich hab eine Rechnung mit dem Müllern, und bevor ich die ihm verzählen kann, muß ich noch viel aufpassen und viel erfahren.«

»Drum duldest die Behandlung, die Du bei ihm hast!«

»Ja, darum, und auch noch wegen was Anderem. Aber jetzt wollen wir die Todten todt sein lassen und lieber eine Musiken machen.«

»Ja. Du hast mir doch versprochen, mir heut was ganz Extrafeins vorzugeigen, was ich noch gar nimmer gehört hab.«

»Das kann nicht jetzt gleich sofort losgehn. Da muß ich erst vorher den Spitzbub machen.«

»Was fallt Dir ein! Wirst doch nicht etwan gar das Mausen anfangen!«

»Nein, das Mausen nicht; aber ähnlich ists dennoch. Ich werd mir nämlich die Violin und die Noten des Concertmeisters borgen.«

»Wird er sie Dir geben?«

»Ich frag ihn ja gar nicht. Ich geh in seine Stuben und hol sie mir.«

»Hör, das ist dennoch gespitzbubt!«

»Nein, denn ich trag sie ihm wieder hin, bevor es Morgen geworden ist.«

»Und wann er Dich dabei erwischt!«


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Das thut er nicht. Du wirst Wachen stehn.«

Hör, damit laß mich aus! Da mach ich nicht mit.«

»So geh ich allein.«

Ich bitt Dich, laß es lieber sein. Wann Du ertappt wirst, so stecken sie Dich ins Loch, und nachhero kannst Grillen fangen und Regenwurmern fressen.«

Das laß meine Sachen sein. Jetzt, da nimm Deine Zithern her. Wir wollen beginnen. Es ist eine sehr lange Zeiten her, daß wir nimmer zusammen gespielt haben. Heut wollen wir uns mal eine Güten thun und denken, der König ist unser Publikum.«

»Ja, aber helfen thuts Dir nix. Der liebe Herrgottle hat Dir ein Talent und ein Schenie für die Musiken geben. Du brauchst Dich gar nimmer zu plagen, da fliegts nur so hinein. Du könntst bereits die allererste Vigelinen geigen im Dorschester beim Hoftheatern, aber Du bist wie angeleimt hier an dem Fluß und an dera Mühlen. Was hilfts da, wann Du so gut spielen lernst wie zwei Virtusen zusammengenommen! Es wird doch nix aus Dir als nur der Wasserfexen! Aber ich will mich heut nicht verräsonnerirn. Nimm Deine Kolatschigeigen her! Wir wollen einistimmen.«

Der alte Wurzelhändler hatte seine Zither und seinen Rucksack vorhin vom Rücken genommen und auf den Tisch gelegt. Jetzt griff er zu der Ersteren, und nachdem die beiden Instrumente in gleiche Stimmung gebracht worden waren, begannen die wunderlichen Freunde zu musiciren.

Indessen hatte Ludwig sich umgekleidet und einige Gläser heißen Glühweins getrunken. Wagner hatte ihn gebeten, das Lager zu suchen, um zu schwitzen und so einer Erkältung von vorn herein zu begegnen. Ludwig aber, auf seine kräftige Constitution vertrauend, war nicht dazu zu bringen gewesen.

Dann hatten die Beiden ihr Abendmahl gehalten, und später hatte sich der Italiener eingestellt, um mit Richard Wagner zu musiciren.

Dabei war es spät geworden. Die Töne schwiegen, und die drei Herren traten noch heraus ins Freie, um den Anblick der Vollmondlandschaft zu genießen. Diese war herrlich. Der Fluß schimmerte in seinen Windungen wie der Schleier einer Fee aus dem Dunkel des Waldesrandes heraus. Die Berge lagen da, emporstrebend wie versteinerte Strophen eines Abendgebetes. Einige leichte Wolken schwebten am Himmel hin, und ihre Schatten huschten geisterhaft über Wasser und Wiese, über Wald und Feld. Es war nicht kalt, und trotz der Nähe des Flusses lag nicht eine Spur feuchten Nebels im nächtlich feiernden Thale.

Der König schritt langsam von der Thür fort und den Abhang hinunter. Die beiden Andern folgten. Richard Wagner flüsterte dem Italiener zu:

»Er liebt diese monddurchglänzten Nächte. Wir dürfen ihn nicht stören, aber folgen wollen wir ihm doch.«

Sie schritten in respectvoller Entfernung hinter ihm her. Er ging langsam nach der Mühle und bog dann rechts nach dem Flusse ein, als ob es ihn nach dem Orte ziehe, an welchem heut sein Leben in einer so großen Gefahr geschwebt hatte.


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Beinahe an der Fähre angekommen, blieb er lauschend stehen, dann wandte er sich nach links zu dem Felsen hin. Als die beiden Andern die Stelle erreichten, an welcher er stehen geblieben war, hielt auch der Concertmeister seinen Schritt an, ergriff den Arm Wagners und sagte:

»Halt! Ferma tevi! Hören Sie was?«

Wagner lauschte.

»Ja. Es ist wie Musik.«

»Es ßein Mußiken, Mußiken von die Geist, von die Geßpensten!«

»Sie scherzen!«

»Wie? Ich maken Scherz? Burla, baja, celia? Nein, ich ßpreken Ernst, ßehr Ernst, ßehr, ßehr.«

Da winkte der König. Beide eilten zu ihm. Er stand am Fuße des Felsens.

»Haben Sie schon gehört?« fragte er.

»Ja,« antwortete der Capellmeister.

»Was meinen Sie davon?«

»Es ßein Mußiken von Geßpensten,« wiederholte der Concertmeister. »Von Geist, larva, ombra.«

»Daran glauben Sie doch selbst nicht!«

»Nicht? O, ich klauben daran, ßehr, ßehr! Ich wissen kenau, daß wahr ßein!«

»Von welchem Gespenst sprechen Sie?«

»Von eine Zikeunerin, Gitana, Zingaritta. Sie ßein da oben bekraben und ßpiel in der Nakt Violin im Krab.«

»Das ist ein Wahnglaube.«

»Nein, es ßein Wahrheit. Majestät kommen mit heraufen! Hören oben besser das Mußiken als unten, abbasso!«

Er stieg an dem Felsen empor, und die beiden Andern, Ludwig und Wagner, folgten.

Rund um den Rand des Felsens standen Büsche. In der Mitte desselben aber war er frei, und da lag der Grabhügel, unter welchem, wie der König wohl wußte, jetzt keine Leiche war. Sie hörten die Töne jetzt viel deutlicher als vorher. Wagner kniete nieder und legte das Ohr an die Erde.

»Wunderbar!« sagte er dann. »Man kann die einzelnen Töne nicht unterscheiden; aber ich möchte schwören, daß wir jetzt das Stabat mater hören.«

»Stabat mater?« meinte der Italiener. »Von welken Instrument?«

»Es klingt wie Violine; aber es ist auch eine Begleitung dabei.«

»Ja, es ßein die Violin der Zigeunergeßpenst. Aller Menschken wissen es. Auch ich wissen es ßehr, ßehr kenau.«

Der König konnte diese Töne sehr wohl erklären. Er ahnte, daß der Fex in seiner »Capelle« Violine spiele; aber er hatte ihm Verschwiegenheit versprochen, und darum sagte er nichts. Der Italiener behauptete, daß die Töne von dem Geiste der Zigeunerin kämen. Wagner suchte nach einer natür-


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licheren Erklärung, konnte aber keine finden und wurde schließlich in seinen Vermuthungen durch einen Ausruf des Concertmeisters unterbrochen.

»Da, da! O Himmel, o cielo! Da kommen nok ein Geßpensten! Da, da!«

Er deutete zwischen den Büschen, welche am Rande standen, hindurch. Als Wagner und der König ihre Blicke dieser Richtung folgen ließen, gewahrten sie eine hohe, weibliche, ganz in Weiß gekleidete Gestalt, welche von der Villa her langsam näher kam und den Felsen zum Ziele zu haben schien. Ihr Gang war so eigenthümlich, daß Wagner sofort sagte:

»Eine Nachtwandlerin!«

»Eine Somnambula? Ach! Oh! Also keine Geßpenst? Eine Naktwandlerin! Das ßein interessant, ßehr interessant, ßehr, ßehr!«

Er trat ganz an den Felsenrand heran, um die Gestalt genau zu sehen.

»Ja,« sagte Wagner. »Ich habe noch niemals eine Mondsüchtige gesehen; aber ich möchte wetten, daß wir hier eine vor uns haben.«

»Es ist eine,« stimmte der König bei. »Ich kenne sie bereits.«

»Wie? Ist das möglich?«

»Ja. Jetzt sehe ich auch ihr Gesicht ganz deutlich. Sie ist es. Sie ist mir bereits einmal im Schlafwandeln begegnet.«

»Hier, Majestät?«

»Nein, anderswo. Sie hat die Eigenheit, in Reimen zu sprechen und Denen, denen sie begegnet, als Hellseherin die Zukunft zu verkünden. Ach wirklich, sie kommt herbei. Sie bleibt unten stehen und lauscht auf die Töne. Vielleicht kommt sie gar herauf. In diesem Falle ziehen wir uns so weit wie möglich zurück.«

Die Mondsüchtige schien die Töne gehört zu haben; sie war stehen geblieben. Dann stieg sie den Felsen empor, sicher, als ob sie auf ebener Erde wandle. Und doch hatte sie die Augen geschlossen. Sie war, wie damals auf der Alpe, in ein langes Nachtgewand gekleidet, dessen Weiße hell von dem dunklen Felsen und Buschwerk abstach. Sie trat zwischen den Sträuchern hindurch auf den freien Platz und schritt langsam dem Grabe zu.

Die drei Herren waren bis an den gegenseitigen Rand zurückgewichen und ließen die seltsame Erscheinung nicht aus den Augen.

Aber bald kam hinter derselben noch eine andere Gestalt zum Vorschein, nämlich - der Fex.

Dieser hatte es für an der Zeit gehalten, seinen Vorsatz auszuführen und sich nach der Wohnung des Concertmeisters zu schleichen. Er war also durch den Gang gekrochen. Als er dann einige Schritte gegangen war und sich unwillkürlich umblickte, sah er die weiße Gestalt der Nachtwandlerin am Felsen emporklimmen.

Was wollte diese Gestalt da oben? Er mußte es wissen. Weit entfernt, sich zu fürchten, folgte er ihr nach. Und als er oben leise zwischen den Büschen hindurchtrat, sah er, daß er sich mit ihr nicht allein an diesem Orte befinde. Der Mond beschien die Höhe fast tageshell, und so erkannte der Fex


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die drei Herren ebenso wie sie ihn. Er blieb erstaunt und erwartungsvoll stehen.

Die Musik hatte nicht aufgehört. Der Wurzelsepp spielte auf der Zither, deren Töne nur wie leise Hauche heraufklangen. Die Mondsüchtige lauschte eine lange Weile, bis die Musik aufhörte. Dann erhob sie den Kopf, als ob sie in die helle, volle Scheibe des Mondes blicke; aber die Augen waren dabei vollständig geschlossen.

»Ich muß sie prüfen,« flüsterte Wagner. »Ich will sehen, ob sie wirklich somnambul ist.«

Er trat näher und stellte sich grad vor sie hin. Sie beachtete ihn nicht. Er schien für sie gar nicht vorhanden zu sein, obwohl seine Augen kaum eine Elle von ihrem Gesicht entfernt waren.

Auch der Concertmeister kam heran. Er erhob die Hand und hielt sie ihr so nahe an das Gesicht, daß er dasselbe beinahe berührte. Auch das empfand sie nicht. Sie hielt die geschlossenen Augen noch immer gegen den Mond gerichtet.

Jetzt kam der Fex langsam herbei. Sofort schien sie den Einfluß einer magnetischen Kraft zu empfinden. Sie wendete sich ihm entgegen und winkte. Als er nahe bei ihr angekommen war und da stehen blieb, strich sie ihm mit den Spitzen der Finger über das Gesicht und die Brust und sagte dann deutlich und mit erhobener Stimme:

»Ob man Dich noch so sehr verhöhne,
   Ich seh Dein Leuchten schon von fern:
Ein Meister in dem Reich der Töne,
   Gehst bald Du auf als heller Stern.«

Dann ergriff sie den Fex bei der Hand, schritt mit ihm zum Grabe, blickte erst, allerdings immer mit geschlossenen Augen, zum Monde empor und sagte dann, auf das Grab deutend:

»Da unten wallt der Locken Fluth
   Um ein versteinert Angesicht,
Und unter ihrer Fülle ruht
   Dein Schicksal und sein Strafgericht.«

Die beiden Worte Dein und sein betonte sie ganz besonders. Bei dem Ersteren deutete sie auf den Fex, und bei dem Letzteren erhob sie den Arm und zeigte nach der Mühle.

Wagner und der Concertmeister waren beide zurückgewichen. Sie konnten sich eines Schauderns nicht erwehren. Die Scene hatte etwas wirklich Unirdisches und wirkte also auch in dieser Weise. Dadurch wurde die Gestalt des Königs, welcher hinter diesen Beiden gestanden hatte, frei. Sie schritt langsam zu ihm hin, blieb vor ihm stehen, strich ihm mit den Fingerspitzen auch über das Gesicht und die Brust und sagte dann im Tone einer Seherin:


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»Das Wasser hielt Dich schon umfangen
   Und wollte nicht zurück Dich geben.
Komm niemals irr zu ihm gegangen;
   Es trachtet Dir nach Deinem Leben!«

Sie erhob dabei warnend ihre Hand und wendete sich dann ab, den Felsen ebenso sicher hinabsteigend, wie sie gekommen war.

»Wer mag sie sein?« fragte Wagner.

»Ich kennen ßie,« antwortete der Italiener. »Sie ßein die Tokter von Baron Stauffen, welker mit wohnen in unßerer Villa.«

»So wohnt sie in unserem Hause?«

»Ja, ßehr, ßehr!«

»So werden Sie die Güte haben, mich ihrem Vater vorzustellen. Ich muß diese Dame kennen lernen. Der Somnambulismus ist noch immer ein unerklärtes Räthsel, und das Erscheinen dieser Dame hat mich wunderbar ergriffen. Ich möchte wissen, was man von ihren Weissagungen zu halten hat.«

»Sie scheinen wörtlich zu nehmen zu sein,« antwortete der König, über dessen Gesicht ein hoher, fast finsterer Ernst sich gebreitet hatte.

»Das wollen wir ja nicht wünschen,« fiel da Wagner schnell ein.

»Warum?«

»Das, was sie zu Ew. Hoheit sagte, wäre im Stande, sehr zu beunruhigen.«

»O nein. Sie warnte mich vor dem Wasser. Dieses Element ist einem Jeden gefährlich, der ihm ein allzugroßes Vertrauen schenkt. Der Inhalt dieser Prophezeiung ist also ein ganz gewöhnlicher. Aber was sie dem Fex sagte, das - ah, wo ist er?«

Der Fex war verschwunden. Er hatte es nicht für gerathen gehalten, länger hier zu bleiben. Was die Worte der Nachtwandlerin in seiner Seele für eine Wirkung hervorgebracht hatten, das konnte er nicht beschreiben. Es war ein ihm ganz und gar fremdes Gefühl. Er wollte der Mondsüchtigen folgen und sie anreden, aber als er den Fuß des Felsens erreichte, raschelte es neben ihm in den Büschen und der Wurzelsepp trat hervor.

»Du?« fragte der Fex, nicht auf das Angenehmste überrascht. »Warum bleibst nicht unten? Wolltest doch nicht mitgehen!«

»Ich bekam auf einmal eine Angsten und Sorgen um Dich und bin heraufi krochen, um zu sehn, wo Du bist.«

»Ich muß dahin, ihr nach!«

»Wer ists?«

»Die Nachtwandlerin.«

Er eilte fort, der Wurzelsepp aber ihm nach. Bereits hatte der Fex die Somnambule fast erreicht, da ereilte ihn der Sepp, hielt ihn fest und raunte ihm zu:

»Halt! Wirst stehen bleiben! Weißt nicht, daß man eine Nachtsüchtige nicht anreden darf!«

Die Hellseherin konnte diese Worte unmöglich gehört haben; aber wie


Ende der zehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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