Der Weg zum Glück - Teil 102

Lieferung 102

Karl May

7. Juli 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Was verstehst Du unter diesem Rechte?«

»Daß wir uns gehören werden.«

»Niemals!«

»Warum niemals?«

»Aus vielen Gründen.«

»Willst Du sie mir nicht sagen?«

»Du kennst sie ja auch.«

»Ich kenne nichts, was uns trennen könnte, nun wir uns wiedergefunden haben.«

Sie schüttelte leise aber bestimmt den Kopf.

»Das sagst Du aus reiner Herzensgüte.«

»Nein, sondern aus vollster Ueberzeugung.«

»So täuschest Du Dich, Max. Denke an die Vergangenheit zurück. Ich will den heutigen Tag als eine Gnade Gottes betrachten und noch einmal, das letzte Mal im Leben bei Dir sein.«

»Martha!« rief er erschrocken.

»Fürchte nichts!« antwortete sie, bitter lächelnd. »Ich meine nicht das, was Du denkst. Ich kann das Leben tragen; ich werfe es nicht von mir. Aber es gehört nicht mehr mir und meinem Glücke, sondern es ist dem Dienste der Demuth und Arbeit gewidmet.«

»Und dabei wirst Du grad am Allerglücklichsten sein.«

»Ohne Dich nie!«

»Wer fordert denn von Dir, daß Du ohne mich leben sollst, Martha?«

»Die Gerechtigkeit.«

»Liebes Kind, ich glaube, Du hast Dich in eine ganz falsche Anschauung hineingelebt.«

»Nein. Ich habe viel gelitten und viel gerungen, ehe ich zur Klarheit gelangt bin. Ich werde einsam durch das Leben gehen, nicht abgeschieden zwar von Andern, nicht im Kloster; Arbeit ist auch ein Gebet, und ich werde arbeiten, um - - zu vergessen.«

»Das wirst Du nie können!«

Sie senkte den Kopf. Sie gab ihm Recht.

Da ergriff er ihre Hand, hob dieselbe empor, deutete auf den Haarring und fragte:

»Wer hat das geflochten?«

»Ich selbst,« antwortete sie leise.

Sie erglühte dabei im ganzen Gesichte.

»Mit dieser Perle.«

»O, die ist kostbar.«

»Wieso?«

»Ehe ich heimlich aus der Heimath fortging, besuchte ich die Feuerbalzern. Sie besserte sich eine alte Haube aus, und einige Perlen fielen herab. Ich bat sie, mir eine zu schenken: Sie gab mir diese hier.«

Er verstand sie. Seine Augen füllten sich von Neuem. Von der Frau,


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die sie so oft durch ihren Stolz gekränkt hatte, hatte sie sich eine armselige Perle erbettelt. Das war Demuth, das war Beugung des früheren Stolzes. Sie hatte in die weite Welt gehen wollen, um sich zu verbergen, und als Andenken an die Heimath eine werthlose Perle von ihrer Feindin erbettelt!

»Wie mag sich die Feuerbalzern gewundert haben, was Du mit der Perle willst!« sagte er.

Sie antwortete nicht. Ihre Fingerchen aber zuckten wie hektisch gegen einander.

»Und das Haar, von wem ist es?«

»Kennst Du es nicht?«

»Nein.«

Aber er ahnte, daß es von ihm sei.

»Es ist von der Locke, die Du Dir in Regensburg abschnittest,« erklärte sie.

»Die hast Du doch fortgeworfen!«

»Nein.«

»Ich sah es!«

»Ich warf nur das Papier fort. Du solltest nicht denken, daß ich Dich gar so lieb hätte. Das gab mein Stolz nicht zu. Aber das Haar hätte ich um keinen Preis mit weggeworfen.«

»Du Gute!«

Er zog sie inniger an sich.

»O, wie wenig gut war ich!« seufzte sie.

»Du warst doch immer gut; aber die Güte durfte nicht gesehen werden. Daran warst nicht Du schuld, sondern die Erziehung. Jetzt aber hat das harte Leben den Edelstein in Schliff gehabt, und nun glänzt er so hell und so rein, daß ich ihn festhalten werde, weil ich ihn keinem Andern gönne.«

»Wirklich?«

»Ja, um keinen Preis!«

»Es wird ihn auch kein Anderer haben, diesen Edelstein, der ganz und gar nicht echt ist.«

»Martha!«

»Er wird Niemandem gehören. Er ist herabgefallen auf die Erde, und da mag er liegen bleiben. Einem Stein thut es doch nicht weh!«

Ihr Köpfchen neigte sich fast bis auf die Brust herab, und er sah, daß eine Thräne aus ihrem Auge in den Schooß fiel.

»Martha, wirf diese Verzagtheit fort!« bat er in dringendem Tone.

»Es ist keine Verzagtheit. Es ist die kalte Beurtheilung der Verhältnisse.«

»Nein. Es ist Verzagtheit. Hat denn die Silbermartha allen Muth verloren?«

»Max, nicht diesen Namen, ja nicht! Es thut mir so wehe, wenn ich ihn höre. Nein, den Muth habe ich nicht verloren.«

»Es scheint aber so!«


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»Grad zum Entsagen gehört der größte Muth.«

»Aber wenn man Etwas aufgiebt, welches man erlangen kann, so ist das feig.«

»Wenn man es erlangen kann, ohne daß es Andern schadet, ja.«

»Nun, wem schadet es, wenn wir uns lieben und uns dann auch gehören?«

»Dir.«

»Mir? O nein!«

»O doch! Wie kann die Tochter des Zuchthäuslers Dir gehören, Dir, dem Reinen, dem - -«

»Martha, nicht so!« bat er, indem er aufsprang und einige Male im Zimmer auf und ab ging. »Wenn wir uns deshalb nicht gehören können, weißt Du, wer allein die Schuld daran trägt?«

»Nun?«

»Ich.«

»Du? Das ist ja gar nicht möglich.«

»O, es ist wirklich so.«

»Das könntest Du wohl nicht beweisen.«

»Es ist eben so traurig, daß ich es so sehr leicht beweisen kann. Ich bin es ja, der Deinen Vater auf das Zuchthaus gebracht hat.«

»Du?«

»Ja. Hast Du denn nicht bemerkt, oder erfahren, daß ich es war, der Alles entdeckte, Eins nach dem Andern?«

»Ja, das weiß ich.«

»Nun, ich hatte, seit ich Deinen Bruder und Deinen Vater zum ersten Male traf und von ihnen beleidigt wurde, mir vorgenommen, sie zu bestrafen. Ich bin ihnen nachgegangen auf Schritt und Tritt. Ich habe Wort gehalten und Dich aber unendlich unglücklich gemacht.«

»Ja, sehr, sehr unglücklich,« seufzte sie.

»Das wirst Du mir nie vergeben können!«

Sie blickte ernst und ohne den mindesten Vorwurf im Auge zu ihm auf und antwortete:

»Ich habe Dir nichts zu vergeben.«

»O, viel, viel!«

»Gar nichts. Du hast die Welt von Verbrechern befreit. Das ist ein Verdienst von Dir. Daß diese Leute meine Verwandten waren, dafür konntest weder Du noch ich.«

»Hegst Du wirklich, wirklich diese Ansicht?«

»Ja.«

»Und machst mir keinen Vorwurf?«

»Max, ich schwöre Dir beim Herrgott zu, daß mir niemals der Gedanke gekommen ist, Dir auch nur den leisesten Vorwurf zu machen. Ich selbst bin ja heimlich fort, weil ich den Vater hätte anzeigen müssen, wenn ich geblieben wäre.«


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»Gott sei Dank! Da nimmst Du mir eine große, große Last von der Seele.«

»Wenn Dich das bekümmert hat, so wirf es von Dir. Ich zürne Dir nicht.«

»Aber Dir selbst zürnst Du desto mehr.«

»Mir selbst? Wie so?«

»Nun, meinst Du nicht, daß Vorwürfe auf Dir liegen?«

»Nein. Ich habe nichts Unrechtes gethan.«

»Und doch willst Du dem Glücke entsagen?«

»Weil ich muß.«

»Kind, das ist ein trauriger Gedanke, den wir tödten müssen, wenn er nicht uns selbst tödten soll. Komm einmal her, meine gute, liebe Martha, und schau mir in das Gesicht! So!«

Er setzte sich nieder zu ihr, nahm ihren Kopf in beide Hände und hob ihn so empor, daß sie ihm grad in das Gesicht sehen mußte. Dann fuhr er fort:

»Du hast mich wirklich lieb?«

»Lieber als mein Leben, Max!« hauchte sie.

»Und meinst Du, daß ich Dich weniger lieb habe als Du mich?«

»Ists auch wahr?«

»Ja, meine Martha. Du bist mir niemals, niemals aus dem Sinn gekommen. Gott, wie so unglücklich bin ich gewesen! Wie habe ich nach Dir gefragt und geforscht, stets vergebens, und ach, ich hätte beinahe zu Grunde gehen können!«

Er nahm seine Hände von ihr weg und blickte trüb vor sich hin.

»Wieso denn?« fragte sie ängstlich.

»Du fehltest mir. Die Sorge um Dich quälte mich. Ich machte mir Vorwürfe. Ich sagte, ich sei zu hart gegen Dich gewesen. Und das war auch wahr. Nicht?«

Sie wollte den Kopf schütteln, brachte es aber doch nicht fertig.

»Ja, ja,« nickte er. »Ich verstand Dich eben nicht. Weißt Du noch, als ich zum ersten Male bei Euch im Silberhofe war, um mich bei Deinem Vater anzumelden?«

»Ich weiß es, ja.«

»Da gingen wir in Unfrieden auseinander.«

»Und ich - ich - ich lag dann auf dem Pulte und weinte bitterlich.«

»Und ich glaubte, Du hättest kein Herz. Ich bildete mir etwas auf meinen psychologischen Scharfblick ein. Ich, ich war der Stolze und warf Dir vor, stolz zu ein. Da siehst Du es, wer die Schuld trägt, Martha.«

»Du nicht!«

»Du auch nicht!«

»O doch!«

»Nun, so wollen wir sie Beide auf uns nehmen und sie vereint tragen. Nicht?«


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»Nein, Max. Es wäre eine Sünde.«

»Von uns Beiden?«

»Von mir.«

Da legte er den Arm um ihren Hals, zog ihren Kopf nahe an sich heran, blickte ihr tief in die Augen und sagte:

»Mit solchen Ansichten kommen wir nicht weiter. Schau mich an, Martha, wenn ich Dich nicht haben soll, so brauche ich überhaupt gar nichts. Wenn Du auf dem Gedanken beharrst, daß Du mein nicht werth bist, so laufe ich auf und davon, in alle, alle Welt hinein!«

»Max!«

»Ja, das thue ich gewiß!«

»Das darfst Du nicht!«

»Auch Du darfst mich nicht von Dir stoßen und thust es aber doch!«

»Max, die Leute würden auf uns zeigen und sagen, daß Deine Frau die Tochter des Silberbauers ist.«

»Laß sie reden. Du bist mit dem Fex gekommen. Hat er seine Paula lieb?«

»O, er sucht sie Tag und Nacht.«

»Und wenn er sie findet, glaubst Du, daß er mit ihr glücklich sein wird?«

»Ganz gewiß.«

»Und sie ist die Tochter des Thalmüllers. Jetzt hast Du Dich selbst geschlagen.«

»Nein, Max. Ich habe doch Recht. Meine Liebe treibt mich, gegen die Stimme des Verstandes zu handeln; aber ich weiß nur zu gut, daß später die Zeit kommen würde, in welcher ich es bereuen müßte.«

»Und bist Du wirklich von diesem Gedanken nicht abzubringen?«

»Nein.«

»Sage das nicht; sag es nicht! Ueberlege es Dir lieber noch einmal!«

»Es ist beschlossen, Max.«

Sie hatte die Hände gefaltet und blickte ihn traurig aber bestimmt an.

Da stand er von ihr auf und durchmaß die Stube einige Male mit langsamen Schritten. Dann blieb er stehen und sagte:

»Du hast Recht, Martha; wir wollen scheiden.«

»Nicht wahr?«

»Ja. Ich hatte nicht geahnt, daß ich Dich hier sehen würde. Aber mein Herz sagte es mir, daß ich Dich wiedersehen müsse. Und dieses Wiedersehen hatte ich mir so entzückend ausgemalt. Es sollte uns dann nichts, nichts mehr trennen können. Es ist anders gekommen, weil es uns anders beschieden ist, und so magst Du Deinen Willen haben. Gieb mir noch einmal Deine Hand, dann will ich gehen.«

Er gab sich Mühe, dies in ruhigem Tone zu sagen; aber sie hörte seine Stimme zittern; sie sah seine Lippen beben. Sie bemerkte das Flackern seines Blickes. Er kämpfte mit den Thränen, welche hervorbrechen wollten.


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Jetzt erst erkannte sie, wie schwer es sei, ihren Vorsatz auszuführen. Sie ließ ihm ihre Hand, die er ergriffen hatte, aber sie sagte nichts.

»Hast Du vielleicht noch einen Wunsch, Martha?« sagte er, um nur noch etwas zu sagen.

»Nein,« antwortete sie leise.

»Dann leb wohl!«

Er ließ ihre Hand los und wendete sich zum Gehen. So hatte sie sich den Abschied freilich nicht gedacht. Sollten sie so kalt aus einander gehen wie Leute, welche sich hassen?

Nein, nein! Sie sprang auf.

»Max, nicht so!« rief sie, ihm die Arme nachstreckend.

»Wie denn?« fragte er.

»Anders, anders!«

Er schüttelte ernst den Kopf.

»Wozu die Zärtlichkeit, wenn sie nicht echt ist. Gehen wir so aus einander.«

»Nicht echt?« rief sie.

»Ja.«

»Meinst Du, daß ich Dich nicht liebe?«

»Ja, Martha, das meine ich. Du glaubst mich zu lieben, aber Du täuschest Dich.«

»Mein Gott! Und doch werde ich eingehen und sterben ohne Dich!«

Er schüttelte bitter lächelnd den Kopf.

»Das denkst Du jetzt. Ich bin der Erste, den Du geliebt hast, und es ist Dir kein Anderer begegnet, dem Du Dein Herz noch lieber als mir hättest schenken mögen. Darum hältst Du Deine Liebe zu einem Andern für unmöglich. Aber sie ist es nicht. Sind wir einmal bestimmt und für immer von einander geschieden, so wird Dein Herz sehr bald zur Ruhe kommen und wohl auch später die Erkenntniß erlangen, daß es einem Andern angehören kann. Leb wohl, Martha!«

Jetzt war es sein Ernst. Sie sah es. Im Augenblicke stand sie bei ihm und schlang beide Arme um ihn.

»Max, Max, bleib da bei mir!« bat sie.

»Wozu? Wozu?« fragte er, indem er leise versuchte, sich von ihrer Umarmung zu befreien.

»Glaub an mich! Ich bitte Dich!«

»Das kann ich nicht.«

»Warum? Warum?«

»Das weißt Du nun.«

»Weil ich Dir so leicht entsagen kann?«

»Ja.«

»Glaubst Du denn wirklich, daß es mir so sehr leicht fällt, mein lieber Max?«

»Ich glaube es nicht nur, sondern ich behaupte es. Ich sehe es ja.«


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»Mein Gott! Er denkt, ich liebe ihn nicht.«

»Du liebst mich, Martha, aber ganz anders, als man denjenigen liebt, von dem man nicht lassen kann.«

Der Gedanke, so verkannt zu werden, war ihr schrecklich.

»Was thue ich, was thue ich!« rief sie aus.

»Gieb mir die Hand und sag Adieu!«

»Nein, nein, das kann ich nicht!«

»So mußt Du mich behalten!«

»Auch das kann ich nicht.«

Sie waren so ganz und gar mit sich selbst beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkten, daß die Thür ganz leise, leise geöffnet wurde. Der Sepp steckte den Kopf herein. Er that so heimlich, um das Liebespaar zu überraschen. Jetzt aber wurde er laut:

»Was kannst auch nicht?« fragte er, indem er hineintrat.

Sie stieß einen Schreckensruf aus und wollte sich Maxens Armen entziehen. Dieser aber hielt sie fest.

»Hasts gehört?« fragte der Sepp. »Was kannst auch nicht?«

»Ihn behalten,« antwortete sie, eigentlich ohne ihm antworten zu wollen.

»So bist wohl ganz irr im Kopf?«

»Wieso denn?«

»Fortlassen kannst ihn nicht, und heirathen kannst ihn auch nicht. Das ist confuses Zeug. Was soll denn sonst geschehen? Willst ihn etwa als Kronleuchtern in Deiner Stub aufhängen? Dann thu ihm nur den Strick nicht um den Hals, sondern unter den Armen hindurch. Ihr Dirndls werdet doch Euer Lebtage nicht gescheidt. Seid doch froh, wann Einer kommt, der Euch nehmen will! Angeführt ist er doch auf alle Fälle. Gleich giebst ihm die Hand und einen Schmatz! Sonst komme ich und nehm ihn für mich. Na, wirds bald?«

Max bog sich lächelnd zu ihr nieder. Folgte sie jetzt wirklich der Stimme ihrer Liebe, oder war es die Angst vor Sepp, welcher sehr ernsthaft geredet hatte - sie duldete es, daß Max ihr einen - zwei, sogar drei Küsse gab.

»Schön!« rief der Alte, indem er drohenden Blickes näher trat. »Und nun sagst, obst ihn heirathen willst oder nicht.«

Sie sah ihm in die blitzenden Augen und fragte zaghaft:

»Wird das denn kein Unglück geben?«

»Unsinn! Eine Hochzeiten wird es geben, weiter nix. Na, vorwärts also! Klatsch ihm in die Hand, und schlag eini!«

Max hielt ihr die Hand entgegen und fragte lächelnd:

»Nun, willst Du?«

Da blickte sie von Einem zum Andern, mußte dann plötzlich laut auflachen, schlug herzhaft ein und antwortete:

»Wenn Du die Verantwortung auf Dich nimmst, dann in Gottes Namen.«

»Wie gern, wie gern will ich es verantworten! Gott sei Dank, endlich ist Alles, Alles gut.«


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Er zog sie innig an sich.

»Ja,« nickte der Sepp. »Und wer hats eben wieder gut macht? Dera Wurzelsepp, der alte Schwerenöther. Wann der nicht kommen wär, da wärt Ihr aus nander gangen und hättet Euch niemals wieder zusammenfunden. Nun aberst bin ich als Zeuge da standen, und Keins kann wieder zurück. Jetzund macht das Uebrige noch schnell ab, und kommt sodann herunter. Ich kann Euch nur zehn Minuten Brautzeit geben; dann müssen wir fort.«

Er ging.

»Wo müßt Ihr hin?« fragte Martha in besorgtem Tone.

»Zu nix Schlimmen. Wir suchen halt die Paula.«

»Und das kann grad gefährlich werden.«

»O nein.«

»Was ist denn mit ihr geschehen?«

»Bitte, sprechen wir jetzt nicht von ihr. Wir stehen uns näher als ihr. Anita wird Dir dann, wenn wir fort sind, Alles erzählen.«

»Wer ist Anita?«

»Ach ja, Du kennst sie noch gar nicht. Es ist eine Italienerin, welche wir aus den Händen eines Schurken befreit haben, ein gutes, liebes Mädchen, welche wohl die Braut des Elefantenhanns werden wird. Doch davon später. Jetzt möchte ich wissen, wo Du während all dieser Zeit gewesen bist.«

»In Wien, bei einer Wittwe als Stubenmädchen.«

»Stubenmädchen! Martha, Martha, da machst Du mir wirklich eine große Freude.«

»Wieso?«

»Die - - na, ich soll den Namen nicht mehr nennen - die steinreiche Bauerstochter als Stubenmädchen! Das ist ein Beweis, welch ein braves Herz Du hast.«

»O, es hat mich gar keine Ueberwindung gekostet.«

»Wirklich nicht?«

»Nein. Ich hatte es wie ihr Kind bei ihr.«

»Nun aber gehst Du nicht wieder zu ihr zurück.«

»Denkst Du?«

»Ja.«

Sie schüttelte leise den Kopf, wie sie es jetzt gewohnt war, und sagte:

»Soll denn das Wort wirklich gelten, welches wir uns vor dem Sepp gegeben haben?«

»Natürlich!«

»Er hat uns überrascht.«

»Willst Du es zurücknehmen?«

Es war ein Blick voll innigster Liebe, den sie auf ihn warf. Dann antwortete sie:

»Nein, Max. Ich glaube jetzt, der liebe Gott will es so, daß wir nicht von einander gehen.«

»Ja, das will er, sonst hätte er uns nicht so zusammengeführt.«


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»Aber zu meiner guten Frau Salzmann lässest Du mich einstweilen wieder!«

»Ist sie denn gar so gut?«

»Gewiß.«

»Du wirst mir von ihr erzählen. Dann wollen wir entscheiden.«

»Wo soll ich sonst hin? Und die Muhrenleni wohnt auch bei ihr.«

»Die? Da ist sie freilich eine brave Frau, denn die Leni hat einen scharfen Blick. Wir haben uns so viel zu sagen; aber wir wollen die Erzählungen verschieben. Wir sind schon allzu egoistisch gewesen. Ich werde unten gebraucht.«

Als sie hinabkamen, wurde Martha natürlich von Allen herzlichst willkommen geheißen. Am Meisten erfreute sie Anita mit ihrer Anwesenheit. Diese befand sich nun doch nicht mehr allein.

Und jetzt kam auch der Polizeikommissar. Er hatte den Juden und dann auch dessen Frau verhört, aber weder von ihm noch von ihr irgend ein Geständniß erlangt. Nach dieser Meldung entfernte er sich wieder, da er von seinem Berufe in Anspruch genommen wurde.

»Und was thun nun wir?« fragte der Fex. »Wollen wir etwa warten, bis irgend Jemand Etwas gesteht?«

»Nein,« antwortete der Alte. »Jetzt suchen wir die Insel auf.«

»Schön! Wir werden sie untersuchen.«

»Der Commissarius meint, daß wir nix finden werden.«

»Wenn Etwas zu finden ist, so finden wir es; das ist gewiß. Meine Paula muß ich wieder haben, und wenn ich ganz Italien umwühlen soll. Aber welchen Weg schlagen wir ein?«

»Wir gehen nach Barcola und nehmen dort ein Boot.«

»Gut. Aber was sagen wir, was wir auf dieser Isola piccola wollen?«

»Hm! Vielleicht angeln.«

»Darf man das?«

»Hoffentlich.«

»So wollen wir aufbrechen.«

»Nur nicht allzu schnell. Wir müssen an Mehreres denken. Ich muß zwar wieder nach Triest. Ihr aber könnt möglicher Weise bis zum Abend draußen bleiben müssen. Darum mögt Ihr Euch Proviant mitnehmen.«

»Das ist richtig,« stimmte Max bei. »Und da wir eine Höhle suchen und wohl auch untersuchen wollen, so werden wir auch für Licht sorgen müssen.«

In dieser Weise wurde noch Verschiedenes besprochen und Verschiedenes dann angeschafft. Nachher brachen die Männer auf.

Martha blieb natürlich mit Anita daheim. Es stand nicht zu befürchten, daß ihnen die Zeit sehr langsam vergehen werde.

Vom Hotel Europa ists gar nicht weit bis Barcola. Da es dort viele Schiffer und Fischer giebt, sind dort auch alle möglichen in diese Fächer einschlagenden Requisiten zu kaufen. Die Vier versorgten sich mit drei Angelruthen und begaben sich dann an den Strand.


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Mehrere Schiffer eilten herbei, um ihnen ihre Boote anzubieten. Sie wählten das schmuckste und stiegen ein.

»Wohin?« fragte der Lotse.

»Nach Isola piccola.«

Da war es, als ob der Mann erschrak.

»Nach Isola piccola?« fragte er, als ob er meine, nicht richtig gehört zu haben.

»Ja.«

Er warf einen verlegenen Blick im Kreis umher und fragte dann:

»Die Herren sind hier wohl fremd?«

»Ja,« antwortete der Sepp.

»Haben Sie auf Isola piccola irgend etwas Besonderes zu schaffen?«

»Nein.«

»So könnten Sie auch überall anders wohin fahren?«

»Wenn es uns beliebte, ja.«

»Dann rathe ich von der Insel ab.«

»Warum?«

»Es ist zu gefährlich dort.«

»Gefährlich? Giebt es Räuber dort?«

»Nein.«

»Oder feuerspeiende Berge?«

»Dazu ist sie zu klein.«

»Nun, was denn sonst?«

»Eigentlich giebt es gar nichts dort. Aber es giebt zwei Brüder, welche dort den Graswuchs gepachtet haben. Die sehen es nicht gern, wenn andere Leute kommen.«

»Pah! Wir werden ihnen keinen Schaden machen.«

»Darnach fragen sie weniger. Sie dulden überhaupt Niemand.«

»Haben sie das Recht dazu?«

»Nein.«

»Kann man uns verbieten, dort zu angeln?«

»Auch nicht.«

»So fahren Sie uns hin!«

»Aber ich habe Sie gewarnt!«

»Schon gut!«

»Und ich kann nicht dort bleiben, um zu warten, bis Sie wieder zurückfahren.«

»Sapperment! Warum nicht?«

»Weil die beiden Italiener nicht dulden, daß ein Boot länger als einen Augenblick an der Insel anlegt.«

»Haben sie denn das Recht, Euch zu vertreiben?«

»Gar nicht. Aber sie sind gewaltthätig.«

»So werden wir uns arrangiren müssen.«


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»Sie brauchen mir nur zu sagen, wann Sie zurückwollen, so hole ich Sie ab.«

»Gut. Also vorwärts.«

Da es Fluthzeit war und die Wogen in die Bucht hereingetrieben wurden, so legte das Boot die Strecke bis Miramare sehr schnell zurück. Es ging in einiger Entfernung von dem Schlosse vorbei und näherte sich dann der Küste.

Da lag die kleine Insel, ganz so, wie der Kommissar sie beschrieben hatte - eine Viertelstunde lang, halb so schmal, ganz eben, mit einigen Felsenstücken und Sträuchern. Das war Alles.

Grad auf dem Mittelpunkte der Insel stand eine kleine, aus Erdwänden und einem Bretterdache bestehende Hütte. Kein Mensch war zu sehen. Aber als das Boot dem Ufer nahe war, traten zwei Bursche aus der Hütte.

»Das sind die Petruccio's,« sagte der Schiffer. »Besinnen Sie sich lieber noch, ob Sie wirklich aussteigen wollen!«

»Natürlich!« sagte Sepp. »Sie sind Zwei und wir Vier.«

»Das thut nichts. Sie sind hinterlistig.«

»Und wir sind hinten und auch vorn listig, ihnen also überlegen.«

»So steigen Sie schnell aus, sonst lassen sie Sie nicht an das Land. Ich muß aber gleich wieder fort. Wann soll ich wiederkommen?«

»Ich muß punkt drei Uhr auf dem Bahnhofe sein.«

»So bin ich halb drei Uhr hier.«

Er ließ das Segel fallen. Das Boot schoß in einer kleinen, schmalen Bucht an den Strand. Die vier Männer stiegen aus. Da aber kamen die zwei Brüder unter lautem Geschrei herbei gerannt.

»Fort, fort!« brüllten sie. »Was wollt Ihr hier! Fort, fort mit Euch!«

Als der Schiffer schnell wieder vom Lande abstieß und seine Fahrgäste dort zurückließ, warfen sie mit Steinen nach ihm und riefen ihm schreckliche Drohungen nach. Da dies vergeblich war, kamen sie herbei und musterten die Vier mit zornigen Blicken.

»Wer seid Ihr?« fragte der Eine.

Da antwortete der Sepp:

»Zunächst wollen wir wissen, wer Ihr seid.«

»Oho! Uns gehört die Insel!«

»Das ist nicht wahr.«

Da legte der Mensch die Hand an das Messer, welches er im Hosenbunde trug und sagte:

»Wer mich einen Lügner nennt, den steche ich nieder!«

»Versuche das ja nicht, denn auch wir haben Messer.«

»Was wollt Ihr denn hier?«

»Angeln.«

»Das leiden wir nicht.«

»Pah!«

»Es ist verboten, hier zu angeln.«


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»Wer hat es verboten?«

»Wir.«

»Ihr habt gar nichts zu gebieten oder zu verbieten.«

»Donnerwetter! Uns das!«

Er griff abermals nach dem Messer.

»Laß es stecken, Bursche! Ich warne Dich!« drohte der Sepp.

Bei diesen Worten machte er Miene, die Stelle zu verlassen. Da aber stellten sich ihm die Zwei in den Weg.

»Halt! Ihr dürft nicht weiter! Ihr bleibt an der Stelle, an welcher Ihr ausgestiegen seid, und wartet da, bis Ihr wieder abgeholt werdet.«

Der Sprecher hatte das Messer herausgezogen. Aber er kannte seinen Mann nicht. Im nächsten Augenblick hatte ihn der Alte gepackt und schleuderte ihn über seinen Kopf weg in das Wasser.

»Da, kühl Deinen Zorn ab, wannst gar so hitzig bist!« rief er ihm nach.

»Corpo di bacco!« schrie der andere Bruder. »Das sollst Du büßen!«

Er drang auf den Sepp ein, wurde aber von dem riesenstarken Fex gepackt und seinem Bruder nachgeschickt.

Die Beiden waren sehr gewandte Schwimmer; sie waren schnell wieder aus dem Wasser heraus und machten Miene, aufs Neue gegen die Vier einzudringen. Da aber schwang der Fex das Griffstück seiner Angelruthe und rief:

»Zurück! Wenn Ihr uns den Weg nicht frei gebt, werden wir uns ihn frei machen.«

»Alle Teufel! Sind wir hier die Herren oder Ihr?«

»Weder wir noch Ihr. Euch gehört das Gras, weiter nichts.«

»Aber Ihr tretet es nieder!«

»Hier giebt es keins. Und was wir ja beschädigen sollten, das werden wir Euch vergüten. Nun trollt Euch von dannen, wenn Ihr keine Hiebe haben wollt!«

Die beiden Kerls sahen ein, daß sie gegen diese Uebermacht und das ganz besonders energische Auftreten dieser Leute nichts auszurichten vermochten, und zogen sich zurück. Indem sie langsam der Hütte zugingen, brummte der Eine:

»Verdammte Kerls! Was haben sie hier zu suchen? Hier bei uns zu angeln?«

»Und das muß man sich gefallen lassen!« stimmte der Andere bei. »Wer mögen sie wohl sein?«

»Ob sie etwa einen heimlichen Zweck haben?«

»Hier spioniren wollen?«

»Das sollte ihnen schlecht bekommen!«

»Den Alten habe ich schon gesehen!«

»Wo?«

»Gestern Abend in der Weinstube. Da saß er und las die Zeitung. Es war ihm nicht anzusehen, daß er so auftreten könne wie heut.«

»Was hat er in der Weinstube gewollt?«


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»Weiß ich es?«

»War er auch so angezogen wie heut?«

»Ganz genau so.«

»Da paßt er doch nicht in diese Bude!«

»Das fiel auch mir auf. Uebrigens kommen mir zwei von den Jüngern auch bekannt vor.«

»Du meinst, daß Du sie gesehen hast?«

»Ja.«

»Aber wo?«

»Das weiß der Teufel. Wer merkt sich denn die grünen Gesichter solcher Burschen.«

»Hast Recht. Und von solchem Volke muß man sich auch noch ins Wasser werfen lassen!«

»Wären es nur nicht Vier! Dieser alte Baruch Abraham, dem ich gestern sagte - - - ah!«

Er stieß einen leisen Pfiff aus, ganz wie Einer, der sich auf Etwas besinnt.

»Was ists?« fragte der Andere.

»Jetzt fällt mir ein, wo ich die Kerls gesehen habe, nämlich auch in der Weinstube.«

»Saßen sie mit dem Alten beisammen?«

»Nein. Sie saßen beim Juden.«

»So sind es wohl Bekannte von ihm?«

»Nein. Sie sind fremd. Er sagte mir, daß sie ihm ein Bild oder so Etwas abgekauft hätten und nun seinen Wein bezahlten.«

»Da macht er mit, der Geizhals. Man muß befürchten, daß er geplaudert hat, wenn sie ihn etwa betrunken gemacht haben.«

»Hast Du denn, als wir die Mädels holten, bemerkt, daß er betrunken war?«

»Nein.«

»Nun, so hat er auch nicht geplaudert.«

»Aber auffällig ists doch, daß sie nun mit dem Alten beisammen sind.«

»Vielleicht haben sie sich eben gestern Abend noch kennen gelernt. Das ist doch leicht möglich.«

»Mag sein. Aber daß sie nun mit einander hierherkommen, auf unsere Insel!«

»Das gefällt auch mir nicht, grad heut, wo das Geschäft vor sich gehen soll.«

»Und wo gestern diese Anita entflohen ist.«

»Verdammt! Ich beginne gewiß zu glauben, daß sie Etwas gegen uns vor haben.«

»Da sollte sie der Teufel holen. Was mache ich mir daraus, wenn ich ein paar solcher Kerls niederschieße, wenn sie mir gefährlich werden wollen.«

»Ja, auf der Hut müssen wir sein. Und nun, was thun wir? Es muß doch Einer von uns nach der Stadt?«


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»Zum Juden?«

»Ja. Wir müssen unbedingt erfahren, ob sich wegen der Anita Etwas ereignet hat.«

»Eine verdammte Geschichte. Das Boot können wir nicht sehen lassen.«

»Nein, sonst merken sie, daß wir es versteckt halten, und schöpfen Verdacht.«

»So müssen wir durch den Gang in den Park.«

»Aber das ist so gefährlich.«

»Freilich. Wie leicht ist Jemand in der Eremitage oder doch in der Nähe.«

»Und doch muß es gewagt werden.«

»Na, jetzt noch nicht gleich. Wir wollen erst abwarten, wie lange diese Hallunken hier bleiben. Schau, es ist wirklich, als ob sie uns von allen Seiten hier einschließen wollten. Der Eine angelt auf der oberen, der Andere auf der unteren Spitze und der Dritte grad in der Mitte, und der Alte geht längs der Küste spazieren, nachdem er sie angestellt hat.«

»Ja, es ist ganz so, als ob er recognosciren gehe. Er begafft sich Alles zu genau.«

»Was thun wir, wenn er herkommt?«

»Wir behandeln ihn so, daß ihm das Reden sogleich vergehen muß. Nicht?«

»Ja. Aber weißt Du, da uns diese Kerls so verdächtig vorkommen, wäre es doch wohl am Allerbesten, gleich jetzt in die Stadt zu gehen und dem Juden die Sache zu melden. Er kennt sie jedenfalls und kann uns sagen, wie wir uns zu verhalten haben.«

»Richtig ist das.«

»Bist Du einverstanden?«

»Ja, besser ists.«

»Gut! Wer also geht?«

»Gehe Du! Ich bleibe hier.«

»Schön! Ein Glück, daß wir noch Hose und Jacke in der Hütte haben, sonst könnte ich mich mit meinen nassen Kleidern nicht in der Stadt sehen lassen. Ich gehe also.«

Er wollte in der Hütte verschwinden. Vorher wurde er von seinem Bruder noch ermahnt:

»Sei in der Eremitage vorsichtig!«

»Das versteht sich ganz von selbst. Und laß hier diesen Kerls nichts merken, daß ich fort bin!«

»Denkst Du, daß ich es ihnen ausplaudere?«

»Das ist gar nicht nöthig. Wenn sie in die Hütte kommen und da blos Einen sehen, so müssen sie Verdacht schöpfen. Sie haben doch den Andern nicht fortrudern sehen. Es ist ja überhaupt gar kein Boot vorhanden.«

»Ich lasse sie natürlich gar nicht herein.«

»Aber wenn sie es erzwingen wollen!«


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»So wehre ich mich. Wenn ich mein Hausrecht gebrauche, so kann ich stechen und schießen, wie es mir beliebt. Beeile Dich nur möglichst.«

»Keine Sorge! Ich laufe, so schnell ich kann.«

Er verschwand im Innern der Hütte, und einige Minuten später ließ sich ein eigenthümliches Knarren und Knirschen von dorther vernehmen, genau so, wie wenn harte Steine einander streichen.

Der Andere hatte sich auf einen Stein gesetzt, welcher neben dem Eingange lag. Er zog einen kurzen Pfeifenstummel hervor, stopfte ihn und setzte dann den Tabak in Brand.

Er rauchte behaglich und that ganz so, als ob er sich um gar nichts bekümmere, dennoch aber gab er auf Alles genau Acht.

Vorhin, als der alte Sepp die beiden Italiener abgewiesen hatte und sie sich entfernen sah, warf er einen forschenden Blick rundum.

»Möcht wissen, ob die Höhle hier ist,« sagte er. »Man möcht es fast verneinen.«

»Ja,« antwortete Max. »Zu einer Höhle, in welcher so viel Personen versteckt werden können, gehört eigentlich ein anderes Terrain. Wir sind wohl am falschen Orte.«

»Nein, wir sind richtig,« sagte der Fex.

»Warum denkst Du das?«

»Ich sehe es diesen beiden Kerls an.«

»Das täuscht. Sie können sich über die Störung ärgern, ohne daß die Höhle sich grad hier befindet.«

»Und dennoch möchte ich mit wetten, daß ich Recht habe! Ich ahne es.«

»Hm!« meinte der Sepp. »Auf solche Ahnungen geb ich was. Es liegt so in dera Luft.«

»Nicht wahr? Was haben die Kerls hier zu thun? Nichts, gar nichts. Sie sind also da, um die Mädchen zu bewachen.«

»Aber wo stecken diese? Wo ist die Höhle?«

»Der Eingang kann nur an drei Orten sein. Entweder von außen her im hohen Ufer oder - -«

»Nein, da nicht. Das würden auch Andre sehen.«

»Wohl wahr; also fällt das weg. Zweitens kann sie sich nur dort rechts öffnen, wo die paar Felsen beisammen liegen.«

»Und drittens?«

»Im Innern der Hütte kann der Eingang sein.«

»Das Letztere wäre das Wahrscheinlichste.«

»Ich werde einmal diese Hütte untersuchen,« sagte der Sepp.

»Wenn sie Dich hinein lassen!«

»Sie werden doch!«

»Schwerlich.«

»Dadurch würden sie sich verdächtig machen, und das müssen sie vermeiden.«


// 2440 //

»Hm! Es giebt ganz gute Gründe, den Eintritt in diese Bude zu verweigern.«

»Werden sehen! Und zu allernächst müssen wir schauen, wo sie ihr Boot haben. Hier sieht man es nicht. Ich werde es suchen.«

»Wie willst Du das anfangen, ohne daß es auffällt?«

»So, daß ich spazieren geh. Aus diesem Grunde hab ich mir kein Angelzeug mitgenommen. Der Fex mag da oben an dera Spitze angeln, der Max ganz unten, und der Hanns bleibt hier in dera Mitte. Weil ich Euch nun doch besuchen muß, kanns gar nicht auffallen, wann ich so an dem Ufer hinlauf.«

Die Drei nahmen ihr Angelzeug und begaben sich an die angewiesenen Plätze.

Der Alte aber begann, immer am Ufer hin zu promeniren, langsamen Schrittes, als ob er in Gedanken versunken sei.

Dabei aber sah er in jede Einbuchtung des Ufers und stampfte auch sehr oft fest mit den Stiefeln auf, um zu hören, ob vielleicht irgend eine Stelle hohl klinge.

So kam er im Verlaufe von einer Stunde zweimal rund um die Insel herum. Dann blieb er beim Fex stehen.

»Hast Du das Boot gesehen?« fragte dieser.

»Nein.«

»So ists nicht da?«

»Es wird schon da sein. Herüber geschwommen sind sie nicht, obgleich die Insel kaum zwanzig Ellen vom Ufer entfernt ist. Das Wasser ist hier zu reißend.«

»So haben sie es versteckt.«

»Jedenfalls.«

»Du, das ist auffällig.«

»Ja. Wo ein heimlicher Platz für das Boot ist, da kann auch die Höhle sein.«

»Ich habe es gleich gedacht. Sie ist hier.«

»Nun giebts aber am Ufer nix mehr zu forschen. Ich werd also mal nach dera Hütten gehen.«

»Fangs nur klug an!«

»Meinst, daß dera Sepp ein Schafskopf ist? Da kannst Dich sehr irren.«

»Und mach möglichst schnell.«

»Hexen läßt sich nix.«

»Aber bedenk, wie mir zu Muthe ist! Ich brenne vor Ungeduld, Paula zu finden, und muß hier stehen und das thun, wozu im ganzen Leben die meiste Geduld erforderlich ist - angeln!«

»Mit Geduld kommt man weiter als mit Ungestüm. Merk Dir das gut!«

Der Alte ging weiter und lenkte dann nach der Hütte ein. Selbst als er derselben ganz und gar nahe war, that der Italiener so, als ob er ihn gar nicht bemerke.


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Jetzt stand er vor ihm. Der Kerl aber blickte beharrlich an ihm vorüber.

»Es scheint, hier beißen die Fische nicht gut an,« begann der Sepp das Gespräch.

Der Italiener warf ihm einen finsteren Blick zu und antwortete:

»Ist auch gut so.«

»Hm! Sie gönnen Fremden nichts?«

»Weil sie hier nichts zu suchen haben.«

»Die Welt steht ja Allen offen!«

»Aber diese Insel nicht!«

»Freund, warum sind Sie doch so grob?«

»Und warum sind Sie so zudringlich!«

»Himmeldonnerwetter! Ich dächt, Sie könnten sich freuen, wenn einmal Jemand in Ihre Einsamkeit kommt!«

»Grad weil ich einsam sein und Niemand sehen will, gehe ich hierher.«

»Das ist auch ein Geschmack.«

»Jedenfalls ein guter.«

»Nun, bequem kann es sich in dieser Hütte doch nicht wohnen.«

»Gut genug für uns.«

»Haben Sie nicht mal Wasser zu trinken?«

»Nein.«

Er hatte geglaubt, der Mann werde eintreten, und er könne dann bei dieser Gelegenheit auch mit hinein.

»Oder ein Bier?«

»Gar nichts.«

»Da leben Sie hier sparsam, nicht mal Wasser. Wie aber kommen Sie auf die Insel? Es ist doch kein Boot da?«

»Ich falle aus den Wolken.«

»Auch gut! Hören Sie, Sie gefallen mir. Wollen Sie eine gute Cigarre mit mir rauchen?«

»Nein.«

»Warum denn nicht?«

»Weil ich nicht mag.«

»Aber Sie sind doch Raucher!«

Da stand der Italiener auf, trat hart an den Alten heran und rief erbost:

»Lassen Sie mich in Ruhe! Sie sehen ja, daß ich nichts mit Ihnen zu schaffen haben will!«

»Donnerwetter!« lachte der Sepp. »Das sehe ich freilich; aber Sie sehen doch, daß ich desto mehr mit Ihnen schaffen möchte.«

»Was denn?«

»Eine Unterhaltung.«

»Gehen Sie zu Ihren Leuten dort. Bei mir kommen Sie aber nicht an.«

»Na, na! So ein Mensch ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen!«

»Wie Sie mir auch noch nicht.«


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»Vielleicht wären Sie froh, daß ich mit Ihnen rede, wenn Sie wüßten, wer ich bin!«

»Ich mag es nicht wissen! Und nun bleiben Sie mir vom Leibe, sonst kann Etwas passiren.«

»Was denn?«

»Ich schaffe Sie fort!«

»Das würde Ihnen nicht leicht werden.«

»Oho!«

Dem Sepp fiel es auf, daß der andere Bruder nicht herauskam. Sollte sich dieser in der Höhle befinden und also den Wortwechsel nicht hören? Um sich davon zu überzeugen, beschloß der Sepp, den Mann möglichst in Zorn zu bringen. Darum sagte er lachend:

»Nun, wenn Sie meinen, daß wir uns fürchten, so haben wir Ihnen bereits das Gegentheil bewiesen. Wir haben Sie alle Beide in das Wasser geworfen.«

»Uebermacht!«

»Aber jetzt bin ich allein, Ihnen allein gegenüber. Und wenn Sie nicht höflicher werden, so werde ich Ihnen gute Sitte lehren.«

Da ballte der Italiener die Fäuste.

»Hund, das mir!« brüllte er.

»Ja, Dir!«

»Da hast Du das dafür!«

Er sprang auf den Sepp ein.

Er sprang auf den Sepp ein und faßte ihn bei der Gurgel. Dieser aber gab ihm einen so gewaltigen Stoß vor die Brust, daß er zurücktaumelte und an die Wand flog.

Dennoch aber warf er sich wieder auf den Alten. Sepp aber holte weit aus und versetzte ihm einen Hieb auf den Kopf, daß der Mann zusammenbrach. Er war besinnungslos.

Sepp trat sofort ein.

Das Innere der Hütte bildete nur einen einzigen Raum. Der Boden war erdig; es stand da nichts. An den Wänden hingen einige Gegenstände, auch zwei Pistolen.

Schnell zog Sepp den Krätzer heraus und entlud die Waffen, steckte aber den Pfropfen wieder auf.

Dann that er einige kräftige, feste Tritte. An einer der Stellen klang der Boden hohl.

Jetzt bewegte sich draußen der Mann. Sepp trat sofort wieder hinaus. Der Italiener öffnete langsam die Augen und blickte um sich, als ob er aus dem Schlafe erwache.

»Nun, war die Lehre gut?« fragte Sepp.

Da kam dem Andern die Besinnung vollständig wieder. Er sprang in die Hütte und kehrte mit der Pistole wieder. Sepp hielt die Hand in die Tasche.

»Hund,« schrie Petruccio, »soll ich Dich niederschießen wie ein Aas!«


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Da zog Sepp die Hand aus der Tasche. Er hatte einen Revolver in derselben.

»Versuche es einmal!« lachte er.

Der Italiener ließ die Waffe sinken.

»Verflucht!« zischte er. »Seid Ihr denn Räuber, daß Ihr mit Revolvern zu uns kommt?«

»Na, Deinetwegen habe ich ihn nicht eingesteckt. Vor Dir braucht man sich ja nicht zu fürchten. Pah!«

Er machte eine sehr geringschätzende Handbewegung und ging. Der Andere schaute ihm flammenden Blickes nach.

Der Alte begann seinen Rundgang von Neuem, so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei. Als er beim Fex anlangte, sagte dieser:

»Du hattest doch gar Keilerei!«

»Mit Fleiß und Absicht.«

»Warum?«

»Ich wollt schauen, ob dera andere Bruder herausikommen werde.«

»Und er kam nicht!«

»Nein; er konnt ja gar nicht.«

»Er ist ja drinnen in der Hütte.«

»Nein; er war nicht drin.«

»Was! Nicht drin?«

»Nein.«

»Alle Teufel! Das ist auffällig!«

»Nicht wahr! Hast ihn etwan fortgehen sehen?«

»Nein. Er ist nicht aus der Hütte herausgekommen.«

»Und doch ist er nicht drin. Was folgt daraus?«

»Daß die Hütte einen verborgenen Ausgang hat.«

»Und dieser Ausgang ist zugleich dera Eingang in die Höhle.«

»So haben wir sie! Wir haben sie! O, nun ist ja Alles gut. Jetzt müssen wir gleich hinein!«

»Nicht so schnell! Wir müssen noch warten.«

»Warum?«

»Wir wissen nicht, was der Andre in dera Höhlen thut. Wir könnten Alles verderben.«

»Das ist wahr.«

»Darum müssen wir warten, bis der Andre auch wieder da ist. Dann nehmen wir sie Beide fest. Angle nur fort!«

»Gott, noch länger angeln!«

»Es muß sein!«

Mit diesem Troste ging er weiter.

Der Italiener hatte sich wieder auf den Stein gesetzt. Er lauschte in das Innere der Hütte hinein. Es war seit dem Fortgange seines Bruders so viel Zeit verschwunden, daß dieser bald wiederkommen mußte.

Und wirklich, jetzt erscholl jenes Rasseln und Knirrschen abermals.


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»Ist Etwas passirt?« fragte es drinnen.

»Nein. Bleib drin! Laß Dich nicht sehen.«

»Warum?«

»Geschehen ist grad nichts, außer daß ich mich mit dem Alten gebalgt habe - -«

»Donnerwetter!«

»Und daß ich die Entdeckung machte, daß er einen Revolver bei sich hat.«

»Ah! Das ist verdächtig!«

»Und weiter! Ich packte ihn bei der Gurgel. Da sah ich etwas Gelbes in seiner äußern Rocktasche blinken. Rathe, was es war!«

»Wie kann ich das wissen!«

»Ja, Du kannst es nicht errathen. Ich konnte zwar nur die obere Haube sehen, aber ein Irrthum ist nicht möglich. Er hat eine Blendlaterne in der Tasche.«

»Alle Teufel! Wozu?«

»Das beantworte Dir selbst!«

»Blendlaterne, Revolver!«

»Er wollte in die Hütte. Darum kamen wir ins Handgemenge mit einander.«

»Das ist stark! Du, ich habe Verdacht.«

»Ich auch.«

»Die Kerls wollen uns an den Kragen.«

»Jedenfalls.«

»Was thun wir da?«

»Wir müssen erst wissen, wie es in der Stadt steht.«

»Sehr gut. Es steht sogar so gut, daß Baruch Abraham verreist ist.«

»Heut? Wirklich?«

»Ja. Er hat sogar seine Frau mitgenommen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Heut, wo die Mädchens abgeliefert werden und er ein solches Geld ausgezahlt erhält, fällt es ihm ganz gewiß nicht ein, zu verreisen.«

»Grad des Geldes wegen ist er fort.«

»Wieso?«

»Er hat drüben in der italienischen Tombola gewonnen, wohl an die dreißigtausend Lire.«

»Maria, Josef! Ists wahr?«

»Ja. Sein Vetter hat es mir gesagt.«

»Welcher Vetter?«

»Derselbe, der ihm die Nachricht gebracht hat. Er vertritt ihn heut im Geschäft.«

»Ein Glückspilz!«

»Ja. Er ist zu beneiden.«

»Was aber thun wir hier?«

»Er läßt uns sagen, daß er nicht wisse, ob er bis zur richtigen Zeit


// 2445 //

da sein werde. Wenn er nicht komme, sollen wir die Angelegenheit ohne ihn abwickeln.«

»Wird das gehen?«

»Warum nicht? Wir sind so viele Male dabei gewesen. Wir wissen ja Alles.«

»Das ist wahr. Und wir können uns einige hundert Gulden in die Tasche machen.«

»Natürlich! Nun aber kommen grad diese Kerls hier drein. Ich könnte sie ermorden!«

»Gewiß haben sie Absicht!«

»Natürlich! Sie haben ja Alles bei sich, was nothwendig ist, um hinter unser Geheimniß zu kommen. Ich bin überzeugt, daß sie einen Angriff gegen uns vorhaben.«

»Doch nicht.«

»Ganz gewiß!«

»So wehren wir uns!«

»Gegen eine solche Uebermacht?«

»Ja.«

»Das ist sehr leicht gesagt. Sie sind Vier gegen uns Zwei. Sie können ganz unvorbereitet über uns herfallen.«

»Hm! Das müssen wir verhüten.«

»Natürlich!«

»Ich möchte nur wissen, wer sie sind und wie sie uns auf die Spur gekommen sind.«

»Ob es von der Anita herkommt?«

»Du, das ist sehr wahrscheinlich. Sie wird von der Höhle wissen.«

»Donnerwetter! Was thun wir da?«

»Ich laufe wieder fort.«

»Wohin?«

»Ich hole Hilfe.«

»Werden die Andern frei sein?«

»Ich hoffe es.«

»Gut, so lauf und hole sie! Es wird mir wirklich angst und bange.«

Im Innern knarrte es abermals.

Es verging eine Zeit, da wiederholte sich dieses Knarren, und drin rief es heftig:

»Luigi, bist Du da?«

»Ja.«

»Komm schnell herein!«

»Was giebts?«

»Ich bin gesehen worden.«

»Alle Teufel!«

»Ja, grad als ich in die Eremitage trat.«

»Grad an der schlimmsten Stelle. Nun ists verrathen!«


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»Nein, denn ich habe den Kerl.«

»Was? Du hast ihn?«

»Ja, ich habe ihn. Er war so dumm, in den Gang zu treten. Nun ist er gefangen.«

»So mag es gehen. War nur dieser Eine da?«

»Ja.«

»Kannte er Dich?«

»Nein. Er ist ein Fremder.«

»Steckt er in der Grube?«

»Ja.«

»Nun, so brauchst Du ja nur an den Stricken zu ziehen, so ist er gefesselt.«

»Ich habe es nicht fertig gebracht.«

»Was! Nicht fertig? Ist der Kerl denn gar so stark?«

»Stark wie ein Bär.«

»So muß ich freilich mit.«

»Komm schnell!«

Der Andere trat nun auch in die Hütte. Jetzt fehlte der vierte Theil des Bodens derselben. Er hing wie eine Thür nach unten, und man sah eine Leiter, welche in ein tiefes Loch führte.

Triest liegt am Karst, einem Gebirge, welches durch seine außerordentlich vielen Höhlungen berühmt ist. Die Insel war der Ausgang einer solchen, und das war von früheren Besitzern derselben geschickt benutzt worden.

Als die Beiden auf der Leiter standen, hoben sie den Bodentheil wieder empor und schoben einen Riegel vor. Die Fallthür bestand aus Holz, auf welches mittelst eines haltbaren Bindemittels Erde zwei Fuß hoch befestigt war.

Die Beiden stiegen weit hinab. Dann kamen sie in einen engen, niedrigen, wagerechten Gang. Als sie denselben im Dunkel verfolgten, war über ihnen ein eigenthümliches Rauschen zu vernehmen.

Das war das Meer, das Wasser des Seearmes, welcher die Insel von dem Ufer trennte. Der Gang führte unter demselben hin.

Nach einiger Zeit wurde es hell vor ihnen. Der Gang erweiterte sich zu einem hohen Felsenspalt, welcher durch eine Lampe erleuchtet war.

Hier gab es mehrere Thüren, welche durch starke, eiserne Riegel verschlossen waren. Man hörte hinter ihnen laute, lachende Mädchenstimmen erschallen.

Die Beiden eilten weiter. Es wurde wieder finster. Bald führten Stufen empor, dann ging es wieder oben fort. Jetzt blieb der Vordere stehen und flüsterte:

»Hörst Du ihn?«

Es war ein seufzendes Stöhnen zu vernehmen, wie wenn ein Mensch sich an einer großen Anstrengung vergeblich abquält.

»Ja,« antwortete der Andere. »Er will sich von den Stricken losmachen.«

»Was thun wir?«


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»Hm! Machen wir ihn kalt?«

»Eigentlich wäre es wohl das Beste.«

»Aber wir wissen nicht, wer er ist.«

»Wie war er gekleidet?«

»Sehr fein.«

»Vielleicht ließ sich ein Lösegeld herausschlagen. Meinst Du nicht auch?«

»Vielleicht. Aber es ist besser, er wird stumm gemacht. Wenn wir ihn gegen ein Lösegeld frei lassen, kann er unser Geheimniß verrathen.«

»Er muß schwören, zu schweigen.«

»Weißt Du nicht, daß so ein Schwur nichts gilt? Er ist erzwungen.«

»Hm! Wollen es uns wenigstens überlegen.«

»Aber wohin stecken wir ihn? Es giebt ja keinen Platz. Es ist Alles besetzt.«

»Das ist wahr. Wir müßten ihn zu der bayrischen Müllerstochter thun, welche in Fesseln liegt.«

»Das möchte ich nicht riskiren!«

»Warum denn nicht?«

»Sie reden doch mit einander.«

»Was schadet das?«

»Dadurch kann ja Alles verrathen werden.«

»Pah! Das Mädchen kommt heut auf das Schiff. Drüben mag sie reden. Niemand wird es ihr glauben.«

»Das mag sein. Also wollen ihn zu ihr stecken. Wenn dann heut Nacht das Mädchen fort ist, so machen wir uns über ihn her.«

Sie gingen noch einige Schritte weiter. Das angestrengte Athmen und Schnaufen wurde deutlicher. Der eine Petruccio sagte laut:

»Streng Dich nicht an! Diese Stricke zerreißest Du doch nicht.«

Es wurde still.

»Wer bist Du denn eigentlich?« fuhr er fort.

Er erhielt keine Antwort.

»Wer Du bist, habe ich gefragt!«

Abermaliges Schweigen.

»Du, er wird doch nicht etwa erwürgt sein!« meinte der andere Bruder.

»So wär es auch weiter nichts.«

»Ziehen wir ihn heraus!«

»Ja, komm!«

Da, wo sie standen, hatte der Gang eine Seitennische, in welcher eine Art Göpelwerk stand. Allerdings konnte man es in dieser Dunkelheit nicht sehen. Die Beiden drehten an demselben, und bald lag ein langer Gegenstand vor ihnen.

Der Eine betastete denselben.

»Lebt er?« fragte der Andre.

»Ja.«

»Warum redet er nicht?«


// 2448 //

»Entweder ist er zu stolz oder zu dumm dazu. Eins von diesen Beiden ists.«

Der Sprecher gab dem vor ihm liegenden Körper einen Stoß und gebot:

»Kerl, wenn Du noch lebst, so rede!«

Es erfolgte keine Antwort.

»Der Hallunke will nicht reden! Na, er hat es ja auch gar nicht nothwendig. Wir brauchen seine süße Stimme nicht zu hören. Aber sehen wollen wir, ob er laufen kann. Ich werde ihm den Strick von den Beiden nehmen. Dann brauchen wir ihn nicht zu tragen.«

Er knotete den Strick auf und sagte dann:

»Steh auf, sonst helfe ich nach.«

Die Gestalt richtete sich auf. Sie war bedeutend länger als der Italiener. Dieser fühlte es, da er die Stricke gepackt hielt, welche dem Verunglückten um Leib, Arme und Oberbeine geschlungen waren.

»Nun lauf!« gebot er und stieß ihn fort. Der Mann konnte nur sehr kleine Schritte machen, da nur seine Unterschenkel beweglich waren. Es dauerte einige Minuten, bis der Italiener anhielt. Einige schwere Riegel klirrten; eine Thür wurde geöffnet. Der Mann empfing einen Stoß und stürzte in ein finsteres Gelaß, auf dumpfiges Stroh. Hinter ihm wurde die Thür wieder verriegelt.

Draußen verklangen die Schritte. Dann war es still ringsum. Doch nein!

Der Mann lauschte. Es war ihm, als ob er regelmäßige Athemzüge höre.

»Ist Jemand hier?« fragte er.

Seine Stimme war sonor und klangvoll.

»Ja,« antwortete eine weibliche Kehle.

»Ah, eine Dame. Sind Sie Frau oder Mädchen?«

»Ich bin ein Dirndl.«

»Ein Dirndl! Sind Sie allein hier?«

»Ganz allein.«

»Wohl etwa auch gefesselt?«

»Ja, an die Wand gebunden.«

»Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«

»Nein.«

»Und wer Sie gefangen hält?«

»Auch nicht.«

»Wie sind Sie denn hereingekommen?«

»Ich hab mich halt in Wien nach Triest vermiethet. Wir waren mehrere Dirndls aus allen Gegenden und kamen mit dem Zug hier an. Dann wurden wir aus der Stadt geführt und in Boote geladen. Wir bekamen Etwas zu trinken, wovon ich die Besinnung verlor. Als ich erwachte, war ich in einer unterirdischen Stube.«

»Das klingt wie aus der Zeit des Mittelalters.«

»Aberst es ist halt wahr.«


Ende der einhundertzweiten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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