Der Weg zum Glück - Teil 15

Lieferung 15

Karl May

6. November 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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Alle waren im höchsten Grade gespannt. Der König wohl am Allermeisten. Seit jener Nacht auf der Alm hatte er Leni's Stimme nicht wieder gehört. Jetzt sollte es sich zeigen, ob er sich in der Begabung des schönen Mädchens geirrt habe oder nicht, ob die an sie gewandte Mühe auch Früchte getragen habe. Der Italiener aber kratzte sich hinter dem Ohre. Er konnte nicht begreifen, daß ein Mann wie Richard Wagner sich so tief erniedrigen könne, eine so fürchterliche Sängerin zum Vortrag eines Liedes aufzufordern und sie noch dazu zu begleiten.

Leni stellte sich hinter Wagnern. Sie nahm ihr Hütchen ab. Ihr schönes, volles Haar war jetzt ganz zu sehen. Als Wagner zu präludiren begann, erhob sie langsam das Köpfchen und warf einen Blick in das erwartungsvoll auf sie gerichtete Gesicht des Königs. Sie fühlte, daß es jetzt galt, zu beweisen, daß sie seine Gaben mit Dank empfangen habe. Dann suchte ihr Auge das Fenster. Es weilte draußen am gegenüberliegenden dunklen Waldesgrün und schien sich mählich und mählich zu vergrößern.

Jetzt schloß Wagner das Vorspiel mit einer Fermate, und nun begann sie.

Ihre Lippen schienen vollständig geschlossen zu sein. Leise, ganz leise, wie aus weiter, unendlicher Ferne erklang ein Ton, der unmöglich aus ihrer Brust zu kommen schien. Er schwoll langsam an, mehr und immer mehr, bis er endlich in wahrer Orgelstärke durch das Zimmer klang und sich aus ihm die Motive und Sätze entwickelten, auf denen die Verse des sterbenden Dichters getragen wurden, wie die Leichen ertrunkener Schiffbrüchiger auf den trübdunklen Wogen des Oceanes auf und nieder schweben. Es war eine ganz eigenartige Musik zu dem ebenso eigenartigen, geheimnißvollen Text des Sterbenden in der Matratzengruft. Und mehr als eigenartig war auch die Stimme dieses Mädchens. Sie war geradezu unvergleichlich.

Und so einfach die Melodie gehalten war, so bot sie an vielen Stellen dennoch der Sängerin Gelegenheit, zu beweisen, daß sie auch in der rein äußeren Technik des Gesanges ungeahnte Fortschritte gemacht habe.

Leni's Stimme schien gar nichts Einzelnes, Selbstständiges zu sein. Es war, als ob sie den ganzen Raum, das ganze Herz und die ganze Seele der Zuhörer erfülle. Sie drang nicht durch das Ohr, sondern sie schien aus dem Innern der Hörer heraus zu klingen und ihnen so die Thränen aus der Seele empor in die Augen zu treiben.

Der König hatte sich in die Lehne zurückgelegt und hielt seinen Blick gerade so wie die Sängerin hinaus auf den Wald gerichtet. Und dennoch schien er von demselben gar nichts zu sehen. Der Capellmeister hielt die Arme über die Brust verschlungen, und sein Gesicht glänzte förmlich vor Entzücken. Unbeschreiblich aber war der Anblick, welchen der Italiener bot. Er glaubte zu träumen. Mund und Augen waren so weit offen, als es überhaupt möglich war. Er griff sich mit den Händen an den Leib, an die Nase, an den Kopf, um sich zu überzeugen, daß er wirklich lebe, daß er in Wahrheit hier stehe und diese wunderbaren Töne höre. Er fuhr sich mit den Fingern in das Haar, daß es grad emporstand. Er streckte bei gewissen Stellen den linken


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Arm aus und strich mit dem Rechten darüber, als ob er den Gesang mit der Violine begleite; kurz und gut, er war ganz und vollständig außer sich.

Da erklang endlich die letzte Strophe:

   »Frag, was er strahle, den Karfunkelstein,
Frag, was sie duften, Nachtviol' und Rosen,
   Doch frage nie, wovon im Sternenschein
Die Marterblume und ihr Todter kosen!«

Die Begleitung wurde leiser und leiser, und die Stimme Leni's verklang langsam, als ob sie sich von hier fort verliere in jene weite, unendliche Ferne zurück, aus welcher sie vorher gekommen zu sein schien.

Jetzt war das Lied zu Ende.

Der Italiener wollte mit den Händen einen stürmischen Beifall klatschen; aber da fuhr das Gesicht des Königs blitzschnell zu ihm herum, und es traf ihn ein Blick, so gebieterisch zornig, daß er sofort die Hände sinken ließ und voller Schreck und Angst hinter seinen hochlehnigen Stuhl retirirte, hinter welchem seine kleine, hagere Gestalt fast verschwand.

Der König wandte den Kopf langsam wieder nach dem Fenster; ein unbeschreiblicher Ausdruck lag auf seinem tief durchgeistigten Gesicht mit den königlich schönen Zügen.

Wagner blieb am Instrumente sitzen und bewegte kein Glied. Er kannte die Art und Weise seines königlichen Freundes. Auch Leni stand wie eine Statue. Ihr Gesicht schien ein ganz anderes geworden zu sein. Welch ein Unterschied zwischen jetzt und vorhin, wo sie den trivialen Reim in so alle Nerven zerreißender Weise gejodelt hatte. Ihr Gesichtchen war bleich, ohne alle Farbe. Es schien aus Alabaster gemeißelt zu sein. War vorher ihre Schönheit eine hervorragend körperliche gewesen, so sah man jetzt gar nicht auf diese äußeren Formen, welche sich so rund, so voll und üppig dem Auge des Beschauers boten, sondern der Blick wurde gefesselt durch den geistigen Ausdruck oder vielmehr Inhalt ihres Gesichtes. Sie schien nicht mit dem Munde gesungen zu haben; nicht sie, wie man sie körperlich da stehen sah, sondern ihre Seele schien die Schöpferin dieser wunderbaren, hinreißenden und auf das Tiefste ergreifenden Töne gewesen zu sein.

Endlich bewegte sich der König. Er stand langsam auf und trat ebenso langsam auf Leni zu. Er legte ihr beide Hände leicht an die Seiten ihres Köpfchens, beugte sich nieder und hauchte einen Kuß auf ihr reiches, volles Haar; dann sagte er mit vibrirender, halblauter Stimme:

»Ich habe mich nicht geirrt. Du bist von Gott begnadet wie selten eine Andere. Dein König weiht Dich der Kunst, der schönen, edlen, erhabenen. Sei stets ihrer würdig, und bleibe rein und gut. Gott segne Dich und nehme Dich in seinen starken Schutz, wenn Deiner Seele die Prüfungen nahe treten, welche Dir nicht ausbleiben können.«

Er wendete sich ab und verschwand, ohne mit einem der Andern ein Wort gesprochen zu haben, im Nebenzimmer.


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Leni brach langsam in die Kniee. Sie faltete wie betend die Hände, hob sie empor und flüsterte:

»Gott, o Gott! Ists möglich! Ists möglich!«

Da erhob sich Wagner vom Stuhle, ergriff sie an der Hand und zog sie leise empor.

»Es ist eine große Stunde, welche Sie eben erlebt haben,« sagte er gedämpften Tones. »Vergessen Sie dieselbe nie! Und wenn die Verführung an Sie herantritt, um Sie dahin zu ziehen, wo Staub und Sünde wohnen, so denken Sie des Augenblickes, an welchem die Lippe Ihres Königs Sie berührte. Wir hätten jetzt so viel zu fragen und zu sagen; aber der Moment ist Ihnen ein heiliger, und wir wollen ihn nicht entweihen. Gehen Sie also jetzt, um im Stillen mit dem Gotte zu sprechen, welcher über uns allen wohnt und welcher Ihnen soeben bewiesen hat, daß er auch in Ihrem Herzen waltet!«

Sie antwortete nicht; sie ging. Es war ihr, als ob sie Flügel habe, als ob sie die Erde gar nicht fühle, über welche ihre Füße schritten. Ihr Herz war so weit, so unendlich weit. Sie fühlte keine Grenzen, keinen Anfang und kein Ende ihrer Gedanken und Gefühle - sie hatte ja gar keinen Gedanken, gar kein Gefühl; sie wurde von einer Seligkeit erfüllt, welche kein einzelnes Gefühl war, sondern eine Gesammtheit aller beglückenden Regungen und Empfindungen genannt werden mußte.

So ging sie, sie wußte gar nicht, wohin, nicht wachend und nicht träumend. Obs wohl im Himmel einmal grad so sein wird? Oder noch schöner, noch herrlicher? Wäre das möglich?

Als sie endlich wieder zur wirklichen Klarheit kam, stand sie am Ufer des Flusses. Draußen ging der Mond in silbernem Lichte auf; über ihr flüsterten die Zweige und hüllten sie in lauschiges Dunkel. Vor ihr flutheten die Wellen, und geheimnißvolle Reflexe zuckten auf den Wassern dahin. Es überkam Leni mit unwiderstehlicher Macht. Es war ihr, als ob eine unsichtbare Gewalt sie bei den Schultern fasse und in die Kniee niederdrücke. Sie hob die gefalteten Hände empor und betete:

»O, Du lieber Vater im Himmel, bleib bei mir und verlaß mich nicht, daß ich nicht stolz und hochmüthig werde. Du Heiland aller Sünder, laß mich stets bedenken, daß ich eine arme Sünderin bin! Du heiliger Geist Gottes, steh mir bei, daß ich den Hochmuth besiege, der mich jetzt bald ergreifen will. Du reine Mutter Gottes, schau freundlich auf mich hernieder und bitte für mich, daß ich fromm bleibe und voller Demuth. Du großer, dreieiniger Gott, gieb, daß ich die Gabe, die Du mir verliehen hast, nur allein gebrauche zu Deiner Ehre und zum Segen der Menschen. Ich bin so klein, so gering. Laß mich so klein und gering bleiben allezeit, damit ich groß bin nur in Deiner Gnade! Amen!«

»Amen!« erklang es wie ein Echo hinter ihr.

Sie fuhr erschrocken empor.

»Wer ist da?« fragte sie angstvoll.

»Ich; aber brauchst Dich nicht zu fürchten. Ich bins.«


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»Wer bist denn?«

»Ich, der Sepp.«

Der Genannte kniete hinter ihr am Stamme eines Baumes. Jetzt erhob er sich und trat auf sie zu.

»Du bists, Path? Was machst hier?«

»Ich kam, weil ich Sorg gehabt hab um Dich.«

»Warum das?«

»Schau, das war so: Ich saß beim Fex an der Fähr, und wir redeten mit nander. Da hörten wir einen Gesang, der kam wie vom Himmel herab. Der Fex hat gemeint, ein lieber Engel thät singen; ich aber hab gleich gewußt, daß mein liebs Lehnerl der Engel gewesen ist.«

»Woher hasts gewußt?«

»Weil ich den Gesang bereits hört hab von Dir, im München drin, als der Wagnern dazu am Klavieren spielen that. Das war der Gesang von der Todtenblume. Ich habs dem Fex gesagt, und er ist ganz närrisch worden. Wir sind nach der Villa'n gelaufen ohne Athem und haben zugehört, bist fertig gewesen bist. Nachhero kamst heraus und gingst fort, nicht etwan auf dem Weg, sondern gleich über die Wiesen hinüber und auf das Wassern zu. Da bist so sakrisch wetterwendsch gelaufen, bald rechts und bald links, bald vorwärts und bald wieder zuruck. Dazu hast gekippert und getaumelt, als obst betrunken wärst, und da ist mirs himmelangst um Dich worden. Ich hab schnell meine Schuhen auszogen, daßt mich nicht hören sollst, und bin Dir nach. Du hast Dich aber auch gar nicht umgeschaut und mich also nicht gemerkt, obgleich ich nur ein Paar Schritten hinter Dir gewesen bin. Nachher bist gar noch niederkniet und hast betet. Herrgottl, wie mir da geworden ist! Meine Seel hat zittert und bebt, denn ich hab denkt, es ist Dir was passirt und Du willst noch erst beten und nachhero gleich hinein ins Wassern springen.«

»Das hast dacht!«

»Ja freilich.«

»Von Deiner Leni!«

»Ich konnt halt gar nicht anders.«

»Du hast meinen konnt, daß ich mir das Leben nehm, daß ich eine Selbstmörderin werden kann!«

»Jetzt bist mir wohl gar bös?«

»Beinahe.«

»Das darfst nicht sein! Schau, es ist halt doch nur die Lieb zu Dir, die mir solch eine Aengsten gemacht und so einen Schweiß austrieben hat!«

»Das weiß ich gar wohl, und drum will ich Dir auch nimmer zürnen. Bin ich denn wirklich gar so sehr hasprig gelaufen?«

»Sehr! Aber als ich nachher das Gebet gehört hab, da ist mir der ganze, große Stein vom Herzen herunterfallen, und ich bin auch niederkniet und hab mit beten müssen.«

Sie hörte es noch jetzt seiner Stimme an, daß er vor Rührung geweint


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hatte; sehen konnte sie es nicht, weil sie unter den Bäumen im Schatten standen. Sie schmiegte sich an ihn und sagte:

»Du lieber, guter Sepp!«

»Ja, das bin ich auch! Lieb hab ich Dich, und gut bin ich Dir über alle Maßen. Wanns so gewesen wär, wie ich fürchtet hab, so wär ich gern für Deiner ins Wassern gelaufen. Ich will doch liebern sterben, als daß Dir ein Leid geschieht. Aber sag mir, warum bist denn gar so außer Dir gewesen?«

»Warum? Denk Dir nur, Sepp, ich hab vor dem König singen müssen!«

»Das hab ich ja gehört.«

»Und es hat ihm gefallen!«

»Natürlich! Wann die Leni singt, so muß es einem Jeden gefallen, sonst hat ers mit mir zu thun!«

 

»Und was er hernach zu mir sagt hat!«

»So? Was denn?«

»Daß der liebe Gott mir eine große Gnaden erwiesen hat, und daß ich gut bleiben soll und fromm.«

»Da hat er grad das Richtige gesagt. Aber daß der liebe Herrgottl Dir gut ist, das ist ja gar kein Wundern und Mirakeln, denn ich bin Dir ja auch gut. Und wanns mal Einen gäb, der Dir nicht gut wär, dem streckt ich die Fäust ins Gesicht, daß er mich kennen lernen sollt!«

»Und sodann ist mirs ankommen, als ob ich eine ganz besonderbare Personen sei, als ob ich besser sei als Andere - - -«

»Das bist auch!«

»Nein; red nicht so, Sepp! Das ist ja der Verführer, vor dem ich mich hüten soll, wie der König sagt hat! Es hat mich aufgebläht, als ob ich stolz und vornehm sein müßt, und da hab ich an mein' alten Vatern denkt, der vor Hungern storben ist, und an den Sepp, der nicht mal einen ganzen Hut hat auf den Kopf, und an meine Alm, und wie ich so arm und gering gewesen bin, und nun denk ich, daß ich besser bin als Andere, und da hab ich den Herrgott bitten müssen, daß er mich vor Hochmuth bewahr und vor dem Stolz, denn weißt - ich mag nicht vornehm sein; ich mag nicht vergessen, was ich gewesen bin, und daß ich in meiner Sennhütten vielleicht glücklicher war, als ich später wohl sein werd.«

»Das ist wohl brav von Dir, Leni; aber glücklicher wirst wohl sein als vorher.«

»Glaubs nicht!«

»Wirsts mir selber sagen. Schau, wann heut der König so mit Dir zufrieden gewesen ist, so ist dann ganz sicher, daßt auf dem Concertl auch eine große Furoren machen wirst. Das ist doch ein Glück!«

»Ich hab das noch nicht gefühlt; ich werd ja sehen, obs wirklich eins ist. Aber horch, da kommt mir ein Gedank, ein schöner Gedank!«

»Welcher? Sags!«

»Meinst, daß es schwer ist, auf so einem Concerten zu spielen oder zu singen?«


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»Warum solls schwer sein?«

»Weil man was lernt haben muß.«

»Das hat man ja!«

»Ich mein' halt so: Thätst Du Dich fürchten, wannt auch mitsingen und mitspielen solltst?«

»Ich? Nein, fürchten thät ich mich nicht. Ich könnt aber halt nur das spielen, was ich gelernt hab.«

»Freilich. Hör, Sepp, wolln wir mit nander ein Concertl geben?«

Er machte eine Bewegung der Ueberraschung.

»Ich? Mit Dir? Wir mit nander?«

»Ja.«

»Was ist das nun für ein talketer Gedank!«

»Der ist gar nicht talket. Wann nun die Leutln mal hören wolln, wie auf der Alm jodelt wird?«

»Ja, das könnt ich ihnen schon ganz gut zeigen.«

»Mit Deiner Ziethern?«

»Ja, und auch mit meiner Stimmen. Ich bin nun bereits ein altes Haxerl; aber meine Stimmen ist noch ganz so frisch wie mein Zahnwerk im Maul. Beißen kann ich noch und auch jodeln, so viel man nur verlangen mag.«

»Und, weißt, grad so müßts sein wie auf meiner Alm, wannt kamst oder wannt gingst.«

»Ja, da haben wir uns allemal ansungen. O Jerum, das hat nun freilich für immer ein End!«

»Drum wollen wirs noch mal thun, recht schön und recht herzig, grad in einem Concertl.«

»Dirndl! Plausch nimmer solch Zeug!«

»Ich meins im Ernst. Außer wannt Dich fürchtst!«

»Hoho! Ich fürcht mich vor dem Teufeln nicht, und wann ers versuchen will, so werd ich mit ihm um die Wetten jodeln, bis ihm der Athem ausgeht und er fortlaufen muß, um sich einen neuen zu holen.«

»So ists ja gut. Sepp, komm doch morgen in der Fruh mal zu mir! Da hab ich Dir was zu sagen.«

»Von wegen dem Concertl?«

»Ja.«

»Na, Dirndl, Du hast jetzt in dieser neuen Zeiten recht muckige Gedanken. Das schwärmt und summt, als ob lauter Muckerln in der Luften wären. Aber ich werd dennerst kommen, denn ich bin gar neubegierig, wast Dir ausgesonnen hast. Viel Klugs und Gescheidts aber wirds wohl gar nimmer sein.«

»Da wirst Dich verrechnet haben. Es ist was sehr Gescheidts. Drauf kannst Dich verlassen. Aber nun sag, wast heut am Abend noch vor hast!«

»Nix. Zunächst werd ich Dich nach der Mühlen begleiten, und nachhero, dann geh ich - - -«

»Nein, Sepp, begleiten wirst mich nicht!« fiel sie schnell ein. »Warum nicht?«


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»Weil ichs nicht will.«

»Wie? Seit wann will denn die Leni nicht, daß ihr Path, der Wurzelsepp, bei ihr ist?«

»Seit nirgends. Du bist mir immer und alleweg willkommen. Aber heut mußt mich schon mal allein laufen lassen.«

»Hast etwan eine Heimlichkeit?«

»Und wanns nun eine wär?«

»Gehts meiner Personen was an?«

»Nein.«

»So hab ich mich auch nix darum zu kümmern.«

»Bist mir etwan bös?«

»Nein. Ich hab schon meinen richtigen Verstand. Ich bin der Path und hab Dich lieb; aber der Polizeier bin ich nicht, der hinter Dir herlauft und Dich nicht aus den Augen läßt. Du bist kein Kind, dem man stets die Amm mitgeben muß. Du bist groß genug, um zu wissen, wast zu thun und zu lassen hast, und was Unrechts wirst nie und nimmer thun. Das weiß ich ganz genau, Leni.«

»Ja, so ists richtig, Sepp.«

»Also willst allein nach Haus gehn?«

»Ja.«

»So will ich jetzt nun ausreißen. Also morgen in der Fruh komm ich zu Dir. Gute Nacht!«

Er gab ihr die Hand und zog sie an sich. Er wollte ihr einen Kuß auf das Haar geben. Sie war das so gewöhnt und pflegte sich auch keineswegs dagegen zu sträuben. Bereits hatte er den Mund so nahe, daß sein Schnurrbart ihr Haar berührte. Da plötzlich fuhr sie zurück.

»Was ist? Was hast?« fragte er verwundert.

»Nicht so, nicht dorthin, nicht auf den Kopf,« bat sie.

»Wohin denn?«

»Wohin Du willst, Sepp, nur nicht auf den Kopf.«

»Bist auf einmal scheu worden?«

»Nein. Komm, küß mich lieber auf den Mund!«

Sie hielt ihm den Mund entgegen, und er küßte sie auf denselben.

»Schau,« sagte sie, »daraus siehst doch wohl, daß ich nicht scheu gegen Dich worden bin?«

»Ja, freilich wohl. Aber warum sollt ich Dir nicht an den Kopf kommen, Leni?«

»Weil - weil mich der König dahin küßt hat.«

»Himmelsakra! Ists wahr?«

»Ja.«

»Der König hat Dich küßt, der König!«

»Still, schrei nicht so! Wanns nun Jemand hört!«

»Jemand? O, Alle sollens hören, Alle, alle Menschen! Ist das eine Ehren und Connexionen!«


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»Willst gleich schweigen! Jetzt schau ich schon bereits, daß ich auch Dir nicht Alles sagen darf!«

»Oho!«

»Ja, sonst machst mir Dummheiten!«

»Fallt mir gar nicht ein!«

»Freilich fallt Dirs ein, grad jetzt auch!«

»Warum solls denn Niemand erfahren?«

»Weil die Leut das nicht verstehen. Schau, wannst betet hast, sagst das auch gleich Allen?«

»Gar Keinen.«

»Das ist richtig. Was man mit dem Herrgott sprochen hat, das ist nicht für die Menschen. Und was man mit dem König sprochen hat, das braucht auch Keiner zu wissen. Was ein König thut, das ist was ganz Andres als wanns ein Andrer thut, und doch kanns Leuten geben, dies grad so nehmen. Der König ist unsers Herrgotts Statthalter. Verstehst?«

»Das begreif ich wohl!«

»Er hat mich mit dem Kuß gesegnet an Gottes Statt. Drum soll nicht mal Dein Mund dahin kommen. Es ist mir, als hätt der Herrgott selber vor mir standen, und da thust mir den Gefallen und redest nicht davon, sonst werd ich bös und spinnefeind!«

»Hör, da ists gleich aus mit dem Plaudern. Wannst mir spinnefeind werden willst, so werd ich so stumm sein wie ein Fischen im Wassern oder wie ein Baum im Wald. An den kann man mit der Axt klopfen, er sagt auch kein Wort. Also sind wir nun einig worden. Gute Nacht, Leni!«

»Gute Nacht, Sepp! Schlaf wohl!«

Er ging, und zwar am Wasser hinab, ein Umstand, welcher ihr nicht lieb war, weil das auch ihr Weg war. Sie wartete, bis seine Schritte verklungen waren, und folgte dann langsam nach.

Als sie an die Stelle kam, an welcher die Fähre lag, befand sich kein Mensch in oder bei derselben. Sie schlich sich im Schatten der Büsche nach dem Felsen hinüber und stand da sehr bald vor Anton, welcher ihr Kommen beobachtet hatte.

»Bist auch sehr lang,« klagte er.

»Ich hab nicht eher konnt!«

»Wann ichs Dir nicht versprochen gehabt hätt, so wär ich längst wieder fort. Es sind doch fast zwei Stunden vergangen, seit ich hier bin.«

»So mußt verzeihen. Oder hast so nothwendig zu thun heut noch?«

»Gar nicht. Aber hier ist ein Ort, wo's Einem kann unheimlich werden.«

»Warum?«

»Da oben auf dem Stein ist ein Grab.«

»Warst oben?«

»Ja.«

»Ich hab nicht gewußt, daßt Dich vor einem Grab fürchtest.«

»Ich hab mich niemals gefürchtet und auch heut noch nicht. Aber es


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ist mir so gewesen, als ob hier herum etwas Lebendiges sei, was man aber nicht sehen und nicht derwischen kann. Es hat so um mich her geschlichen wie Gespenstern.«

»Es wird ein Eidechsen gewesen sein.«

»O, denen Eidexern kenn ich schon. Wann man so viele Nächten lang im Freien gelegen ist wie ich, so weiß man ein jeds Geräusch von dem andern zu unterscheiden. Das, was ich hier gehört hab, das sind Menschen gewesen. Laß uns wenigstens hinauf ans Grab steigen. Dort kann man Alles überschaun, und Niemand kann Einen belauschen.«

Er hatte Recht gehabt. Was er gehört hatte, das waren die schleichenden Schritte des Sepp und des Fex gewesen, welche sich in ihren unterirdischen Aufenthalt begeben hatten. Er hatte sie wohl gehört, aber nicht gesehen, und auch sie hatten ihn nicht bemerkt.

Leni kannte keine Furcht. Sie hatte manche Nacht allein auf der einsamen Alpe sein müssen, als daß sie ein ängstlich Gemüth hätte haben sollen. Sie scheute sich also nicht vor dem Grabe.

In der Nähe desselben hatte der Fex sich einen niedrigen Rasensitz hergerichtet. Darauf ließ Leni sich nieder. Anton blieb vor ihr stehen. Der Mond schien ihr hell in das Gesicht, während das seinige beschattet war. So verging eine kleine Weile, ohne daß Eins von Beiden ein Wort sagte. Er schien ebenso wie sie keinen rechten Anfang zu finden. Endlich aber meinte er in ungeduldigem Tone:

»Du hast mich bestellt, und ich hab auf Dich gewartet. Was hast mir nun zu sagen?«

»Erst möcht ich Dich fragen, obst mir nix zu sagen hast, Anton.«

»Was sollt ich Dir zu sagen haben!«

»Nix von Dir?«

»Ich weiß nix.«

»Und auch nix von Deinen Eltern?«

»Was gehn sie Dich an?«

»Hab ich etwan früher nicht nach ihnen gefragt?«

»Das war früher!«

»Meinst, daß es jetzt nun anders ist?«

»Ja.«

»Nein, es ist gar nicht anders. Es sind Deine Eltern, und da denk ich an sie, grad so wie ich an Dich denk, und ich möcht gern wissen, was sie machen und wie es Ihnen geht.«

»So? Denkst also zuweilen an mich?«

»Immer.«

»Und was denkst da?«

»Daßt ein recht verschlossener Bub worden bist.«

»Das war ich immer.«

»Nein. Damals bist offen gewest und aufrichtig. Da hast Einem Alles


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gesagt. Jetzt aber sagst nichts, kein Wort, obgleich Du weißt, was ich Alls auf dem Herzen hab.«

»Und was hast darauf?«

»Siehst! Fragst mich bereits wieder! Und doch weißts ganz ebenso genau wie ich selber.«

»Ich weiß nix, gar nix,« sagte er in hartem Tone.

»Anton!« bat sie.

»Was willst?«

»Herrgottl! Bist gar so hart?«

»Ich bin weich, sehr weich. Mich kann man um den Fingern herumwickeln; aber gar noch schlimmer laß ich mirs doch nicht machen.«

»Wer hats noch schlimmer gemacht?«

»Du.«

»Das ist nicht wahr.«

»Willsts leugnen?«

»Was nicht ist, kann man nicht leugnen.«

»Ja, es ist nix, und es ist auch nix gewesen. Und so weiß ich auch nicht, warumst mich heut bestellst.«

»Weil ich so gern mit Dir hab reden wollen; weil ich Dich nimmer vergessen kann, und weil ich Dich noch ganz ebenso lieb hab wie ehebevor.«

»Das machst mir nicht weiß!«

»Glaubs, Anton!«

Sie ergriff seine Hand, die er ihr aber sofort wieder entzog. Er antwortete:

»Dir glaub ich schon gar nix mehr. Du sagst, Du hast mich noch lieb ganz wie vorher. Ja, das ist wahr, Du hast mich nicht lieb, denn Du hast mich überhaupt gar niemals lieb gehabt.«

»Wann Du das sagst, so bist ein schlechter Kerl!«

»Oho!«

»Ja! Denk zuruck, was ich Dir damals sagt hab und was ich Alles hab thun wollen für Dich und die Deinigen Eltern. Ist das nicht der Beweis, daß ich Dich lieb gehabt hab?«

»Nein. Du hasts blos thun wollen, aber nicht gethan.«

»Weil Du wieder frei worden bist.«

»Das ist nur eine Ausreden, die sehr billig ist. Denk an den Tag, an dem ich zum letzten Mal bei Dir in der Almhütten gewesen bin! Was hab ich Dir da für gute Worten geben! Aber nix hats geholfen!«

»Weil ichs dem König versprochen hatt. Und doch, als Du nachher fortliefst, weißt, was ich Dir nachher noch hinterdrein gerufen hab?«

»Habs wohl vernommen.«

»Nun, was wars?«

»Daßt thun wolltst, was ich will.«

»War das keine Liebe von mir? Wann ich doch dem König mein Wort brechen wollt um Deinetwillen?«


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»Es war nun zu spät!«

»Ja, Du bist nimmer umkehrt, mir zu Liebe. Du hast den harten Kopf gehabt.«

»Warum bist fort, und nicht auf der Alm blieben?«

»Sollt ich das Opfer bringen, auch wannst fortlaufst, mich nicht mehr anschaust und nix mehr von mir wissen magst?«

»Ich wär doch wiederkommen!«

»Das sagst jetzund.«

»Sei still! Was hast nun drin im München gethan?«

»Ich hab eine schwere Zeiten durchgemacht. Tag und Nacht hab ich arbeiten müssen im Singen und Spielen, in der Musiken und in anderen Dingen. Der König hat mir Lehrer geben auch in Allem, was man bei gebildeten Leuten wissen und können muß.«

»So! Gehörst wohl nun zu denen gebildeten Leuten?«

»Vielleicht.«

»Man siehts Dir aber nicht an.«

»Warum?«

»Weilst immer noch so da sitzt wie auf der Alm, in demselbigen Gewande und mit derselbigen Sprache.«

Er hatte bisher Alles in einem harten und ironischen Tone gesagt. Dennoch antwortete sie in ihrer ruhigen, beinahe demüthigen Weise:

»Das wirfst mir vor?«

»Nein.«

»Aber Du machst mich lächerlich drüber! Und doch könnts Dir lieb sein. Ich könnt mich ganz anders kleiden und ich kann auch wohl ganz anders sprechen; grad daß ich dieses mein liebstes Gewandl anthu und mit Dir grad so red wie frühern, das sollt Dir eine Freuden und ein Vergnügen sein!«

»Was hab ich davon, und was hätt ich davon? Eine Sängrin bist ja nun doch! Und gearbeitet hast? Weiter nix? Bist nicht im Theatern gewesen?«

»Freilich oft. Das hab ich gemußt.«

»So! Da hast wohl lernen müssen, wie man es macht, wann man in der Schleppen geht und dabei doch oben nackt und bloß?«

»Ich hab lernen müssen, wie man spricht, wie man singt und wie man sich bewegt.«

»So! Früher hast wohl gar nicht gesprochen, gesungen oder Dich bewegt?«

»Auch, aber nicht so, wie es sein muß.«

»Aber mir hats grad so gefallen. Seit Du fort bist, ists aus mit uns. Das ist nicht anders.«

Da stand sie auf und ergriff seine beiden Hände. Er wollte sie ihr entziehen; aber sie hielt sie fest.

»Anton, denk wohl über die Worten nach, welche Du redest! Wir sind nicht viel mit nander zusammen gewest, aber ich kenn Dich dennerst besser als Du Dich selber. Die Lieb hat halt ein scharfes Auge.«


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»So? Kennst mich besser? Nun, wie denn?«

»Du thust, als obs aus sei zwischen uns, und doch hast mich noch grad ebenso lieb wie vorher.«

»Das darfst Dir ja nicht einbilden!«

»Ich bild mirs nicht ein, denn es ist wirklich so. Du hast den Gram im Herzen und den Harm in der tiefen Seel; aber Dein Kopf ist hart und will sich nicht fügen. Ich weiß, daß Du das Herzeleid mit Dir herumtragst, und darum hör ich Deine bösen Worten an und bleib ruhig dabei. Wann das nicht wär, so würd ich Dich hier stehen lassen und fortgehen. Ich bin jetzt ein ganz ander Dirndl als dazumal; ich verkehr mit Leuten, wo Du gar nimmer herankommen darfst, aber dennoch bist mir der Liebste von Allen, und ich halt Dir die Lieb und die Treu, als ob Du mich nicht von Dir gestoßen hättst. Mein Herz sagt mir, daß mal die Zeiten kommen wird, in welcher Du Dich nach mir sehnst mit großem Verlangen, und wo Du vielleicht ohne meiner gar verloren sein wirst.«

»Ich!« brauste er auf. »Verloren!«

»Ja. Du bist ein muthiger Bub und auch ein fleißiger Mensch und ein guter Sohn. Aber von der Welt und von Dem, was im Leben alls vorkommen kann, hast doch keinen Begriff. Kein Mensch darf stolz sein. Und gar mit der Lieb soll man fein sauber und weich umgehen. Weißt, es giebt ein Lied, darinnen kommen die Zeilen vor:

O lieb, so lang Du lieben kannst,
   O lieb, so lang Du lieben magst! ,
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
   Wo Du an Gräbern stehst und klagst!«

»Willst mich mit dena Gedichten fangen? Das ist kein Leim für mich. Wanns wirklich wahr ist, daßt mich noch lieb hast, so gehst fort von München und kommst zu mir. Wir können mitnander aufs Hausiren gehn und viel Geldl verdienen. Da schaust auch die Welt und erfährst, was in derselbigen alls geschehen kann. So ists. Jetzt sag, obst willst!«

»Das kann ich nicht.«

»Wirklich nicht?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nun schon zu weit gangen bin. Damals hätt ich Dirs zu Lieb thun können. Nun aber bin ich acht volle Monaten in München gewest, und der König hat paar Tausend Mark für mich zahlt. Sag selber, was er von mir denken sollt, wann ich ihm nun den Stuhl vor die Thüren setzen thät.«

»Dem kanns egal sein. Sängrinnen giebts außer Dir genug, und Geld hat er auch genug.«

»Und doch wär es eine Undankbarkeiten sonder Gleichen, wann ichs thät.«

»Geh weg! Das ist eine Ausreden! Du hängst an der Sachen; ich weiß es; ich habs gehört.«

»Wann?«


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»Vorhin, als Du gesungen hast.«

»Das hast mit angehört?«

»Ja. Ich hab doch gewußt, daß Du bei dem König bist und daß Du's also warst, die da sang.«

»Das konntst auch gleich an meiner Stimm hören.«

»Nein.«

»Kennst sie doch.«

»Jetzt nicht mehr. Sie ist zwar noch ganz dieselbige, und dennerst ist sie ganz anders worden, so ganz anders. Ich hab an dem Gesang gehört, daßt für mich auf immer nun verloren bist.«

»Wie kannst das daraus hören?«

»Sehr leicht. Deine ganze Seel ist dabei gewest; Du hast nicht gesungen, sondern Du hast geweint, keine Thränen, sondern Töne. Und wer das thut, der gehört dem Gesang an und kann nimmer von ihm lassen. Das ist gewiß.«

Er ahnte nicht, daß er, der einfache Naturmensch, jetzt ein tiefes Verständniß verrieth, welches nur Einer besitzen kann, dem Gott ganz dieselben Gaben verliehen hat, welche er an Andern verdammt oder in Fesseln schlagen will.

»Du magst da Recht haben,« sagte Leni nachdenklich. »Wann ich aufrichtig mit Dir sein will, so muß ich Dir sagen, daß ich nicht blos wegen dem König allein nun bei dem Studium verbleib. Ich hab nun in eine Welt geschaut, welche edler und höher ist als diejenige, in der ich mich vorher befunden hab. Wann ich ihr nun entsagen wollt, so würd ich mir selbst entsagen, und das darf kein Mensch.«

»Ah, so bist also jetzt selbst edler und höher als ich?«

»In einem gewissen Sinne, ja. Aber das sag ich ja nicht aus Hochmuth und weil ich mein', ich sei besser als Du. Doch das kann ich Dir sagen, daß es mir ein großes Glück und eine wirkliche Seligkeiten wär, wann ich Dich dahin bringen könnt, wo ich jetzund bin.«

»Ans Theatern etwan?«

»Nein, das ists nicht, was ich meinen thu. Ich will sagen, Du sollst auch so denken lernen und fühlen wie ich. Du sollst Dich auch erfreun an der Kunst und an Dem, was höher ist als Käs und Brod und als Tabaken und Milch.«

»Ich dank dafür. Wann ich tüchtig zu essen hab und zu trinken, und bin auch gesund dazu, so ists genug, so bin ich glücklich.«

»So denkt der niedrigste Mensch. So denkt auch der Hund und die Katz.«

»Mit denen willst mich vergleichen? Das wird ja immer besser!«

»Du verstehst mich nur falsch.«

»Nein, ich versteh Dich schon ganz recht. Ich gehör zu denen niedrigen Menschen, die grad neben dem Viehzeug stehen. Aber Dir wirds auch noch kommen. Du wirst auch noch mit Sehnsucht an mich denken. Denk nur mal zuruck an den Abend, an welchem die Mondsüchtige kam! Ich weiß noch ganz genau, was sie gesagt hat. Weißts auch?

»Ja.«


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»Deins lautete:

O traue nicht dem eitlen Tand,
Und trau der Liebe nur allein!

Da hast ganz deutlich die Warnung vor dera Welt, die Du so hoch und so edel nennst.«

»Das ist nicht gemeint, sondern nur der Flitter, dens überall giebt, auch in der Deinigen Welt. Aber Dein Spruch, den sie Dir sagte, der hieß:

Verstoß, verstoß die Seele nicht,
Der durch Dich schweres Leid geschah!

Weißt auch, welche Seelen da gemeint ist?«

»Nein.«

»Das könntst aber wissen.«

»Etwan Du?«

»Ja.«

»Dir wird nimmer viel Leid geschehen sein. Du hast Dich sehr bald heraus gefunden, und nun gefallt Dirs so in Deiner hohen, edlen Welt, daß Dirs ganz gleich ist, wie ich mich befind, ob wohl oder übel.«

»Das ist eine Lügen, und an sie glaubst selber nicht. Wanns wirklich so wär, so ständ ich jetzt nicht hier vor Dir, sondern ich hätt Dich gar nicht angeschaut. Aber ich seh, daß Du Dein Herz verstockt hast und daß darum all mein Reden nix fruchtet. Darum will ich nur noch den letzten Versuch machen.«

»So mach ihn doch!«

»Sogleich.«

Sie faßte ihn an, drehte ihn gegen den Mond und betrachtete ihn fast eine Minute lang mit Augen, vor denen er sich fast zu fürchten begann.

»Was willst noch von mir?« fragte er.

»Nix, nur eine einzige Antwort noch. Schau, ich hab Dich so lieb gehabt wie mein Leben, und ich hab Dich auch jetzt noch ebenso lieb. Wir sind wie für nander geschaffen. Mir hat man immer sagt, daß ich ein schöns Dirndl sei, und Du bist auch ein feiner Bub, der sich sehen lassen kann. Die Hauptsachen aber ist, daß wir auch im Innern zusammenpassen -«

»Das merk ich nicht!« sagte er.

»Weilst nicht weiter schaust als bis heut. Wann wir ein Paar wärn, so könnten wir glücklich sein, und alle Leutln müßten ihre Freuden an uns haben. Darum möcht ich so gern, daßt denken lernst, so wie ich denk. Das willst aber nicht, und ich geh nun auch nicht mehr zuruck. Du kamst herauf zu mir, ich aber kann und darf nimmer wieder hinab zu Dir; das wär eine Versündigung an dem König, an mir selber und auch an dem lieben Gott. Darum sag ich Dir, daß ich Deine Frauen werden will; es soll kein Anderer mich berühren dürfen, und ich will ganz nach Deinem Willen sein. Ich will auch nicht aufs Theater sondern nur in Concerten und Kirchen singen. Was ich verdien, das soll Dir gehören, als ob Du's selber verdient hättst. Ich will Dich in Ehren halten, Dich und Deine alten, treuen Eltern, die guten,


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lieben Leutln, aber Du mußt mich gehen lassen in meinem Beruf, wie ich gehen will.«

»Und wohin willst gehn?«

»Das verstehst nun wieder falsch!«

»O nein, ich verstehs schon gut. Ich weiß auch ganz genau, wohinaus das will. Jetzt versprichst mir alles Guts, aberst nachhero, wann ich Dein Mann bin, da wirds ganz anderst, da singst auch auf dem Theatern, und da muß ich tanzen, wie Du pfeifst, weil Du das Geld verdienst.«

»Ich halt mein Wort!«

»Das denkst vielleicht jetzt wirklich, aber wahr ist's nicht. Nein, ich laß mir nix vormachen. Wannt mich lieb hast, so gehst mit mir; das kann ich verlangen, und das verlang ich auch.«

»Und dabei bleibst fest?«

»Davon geh ich nicht abi.«

»So wissen wir also alle Beid, woran wir nun sind. Aber Eins will ich Dir noch sagen - -«

»Machs kurz!«

»Hab keine Sorg! Ich werd Dich nicht gar lange mehr belästigen, aber später würdst sehr froh sein, wannt Dich von mir belästigen lassen könntest. Ich hab Dir bereits gesagt, daß ich Dich besser kenn, als Du Dich selber kennst. Euch Männern muß man überhaupt nur kennen. Ihr seid die Herren von der Schöpfung, denkt Ihr. Nun ja, das will ich zugeben, denn es giebt jawohl tausende von Männer, welche schier so Großes geleistet haben, Einer allein, wie tausend Andre zusammen nimmer fertig bringen. Aber der Herrgott hat uns neben Euch gestellt, und wir haben schon auch das Recht, zu leben, zu fühlen, zu denken und zu wollen. Aber wir denken und fühlen ganz anders als Ihr, und so wollen wirs auch dürfen, denn das ist unsere Arten und Weisen, die uns Gott gegeben hat. Ihr aber glaubt halt, daß Alles nach Eurem Kopf gehen muß und wir haben unser Glück nur darinnen, daß wir uns ducken und fügen. Das ist aberst falsch von Euch. Wann nun einmal so ein Dirndl oder so eine Frauen auch einen Willen haben will, so fahrt Ihr sogleich oben hinaus und setzt einen Trumpf darauf. So bist Du ganz besonders. So bist auch stets gewesen. Deine Eltern hättst auch nähren gekonnt, wann Du den Tagelöhnern gemacht hättst; aber das hast nicht gewollt, weilst da Deinen Willen nicht hättst haben können. Darum hast lieber Dein Leben auf die Gemsjagd gewagt und nicht daran dacht, daß die Eltern verhungern werden, wann Dir mal ein Unglücken geschieht. Und so bist nachher auch gegen mich gewesen. Wo mir der König ein so großes Glück geboten hat, hab ich verzichten sollen, weil die Sängrin sich mal doch von einem Andern berühren lassen muß. So eigensüchtig bist gewesen, und so bists auch noch. Ich soll mich für Dich aufopfern, Du aber willst gar nix thun. Jetzt soll ich hausiren gehn, wo ich eine wirklich große Zukunften hab. Was denkst denn eigentlich von mir und von Dir? Bist etwan so etwas ganz Hohes und Besondres, und ich bin gar nix gegen Dich?«


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»Himmelsakra! Bist etwan die Königin selber?«

»Nein, ich bin ein armes Dirndl, welchs jetzt des Königs Almosen braucht. Aber Du bist doch auch kein Kaiser nicht, verstanden! Wir könnten uns so leicht entgegenkommen, ich ein Stucken zu Dir hin und Du ein Stuckerl zu mir her, aber das willst nicht; das Stuckerl ist Dir zu viel, und ich soll da den ganzen Weg machen. Ich weiß gar wohl, wies in Deinem Herzen steht. Du hast mich lieb, und Du hast wohl auch denkt, mir ein gute Worten zu geben. Das hast denkt, alst allein warst; aber nun ich bei Dir bin, bringsts nicht heraus, sondern thust bärbeißig, weilst denkst, daß Du Dich wegen eines guten Wortes schämen mußt. Nachhero, wann ich fort bin, wirsts bereuen, aber Du wirsts dann nimmer gut machen können. Ich hab Dich lieb, aber ein Waschlapperl bin ich nicht. Ich hab fein sanft und zart mit Dir sprochen; ich habe keine Beleidigung und keinen Aergern schauen lassen, aber mein letztes Wort mag ernst gemeint sein. Wann wir jetzt wieder unversöhnt aus nander gehn, so werd ich einen großen Kummer haben, aber ich werd ihn zu tragen und zu verwinden wissen. Meinen Weg laß ich mir dadurch nicht verstören. Nachher weiß ich, was werden wird. Ich werd berühmt sein und reich; schön bin ich auch, das sag ich ohne alle Eitelkeiten und Ueberhebung. Ich weiß, mit was ich zu rechnen hab. Nachhero, wann ich auf der Leiter emporgestiegen bin, was bist nachher Du? Ein Tabuletkramer, ein braver zwar, aber doch nur immer ein Tabuletkramer. Und wannst von mir hörst oder gar einmal mich erblickst, nachher wird der Feind erwachen in Deinem Innern und Dich peinigen Tag und Nacht. Nachher wird die Reuen kommen mit aller Gewalt, und Dein einziger Trost wird sein, daßt an Allem selber Schuld bist. Ich red da streng mit Dir, aber ich meins aufrichtig gut, weil ich Dich lieb hab und Dich so herzensgern glücklich sehen möcht.«

Sie stand vor ihm in ihrer einfachen armen Tracht, aber doch in all ihrer Schönheit. Sie hatte nicht zuviel gesagt; als sein Auge an ihr herniederglitt, sah er erst die Veränderung, welche mit ihr vorgegangen war. Es durchzuckte ihn, die Arme um sie zu schlingen und sie an sein Herz zu nehmen. War es denn etwas gar so Großes, wenn er sich ihrem Willen fügte? Nein. Aber da dachte er wieder daran, daß auf der Bühne ein Anderer diese rothen, schwellenden Lippen küssen, diese herrlichen Arme, diesen vollen Busen berühren könne, und das ergrimmte ihn.

»Bist fertig?« fragte er kurz.

»Ja. Und nun sag jetzt, was hast beschlossen?«

»Nix Andres als was ich vorher gesagt hab.«

»Ich soll mit hausiren gehn?«

»Ja.«

»So hausir allein! Du denkst nicht daran, daß eine Hausirersfrau noch ganz andere Gefahren hat als eine Sängrin. Du bist Dein eigner, größter Feind und wirsts auch bleiben. Gute Nacht!«

»Leb wohl!«


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Er sagte das kalt, als ob ihn die Trennung ganz gleichgiltig lasse. Dennoch blieb sie nach drei oder vier Schritten stehen und drehte sich um.

»Anton!«

Er antwortete nicht.

»Bleibst wirklich so hart?«

»Du bist hart, Du allein!«

Da kehrte sie schnell zu ihm zurück, legte die Arme um ihn, zog ihn an sich und bat:

"Gieb nach,"

»Gieb nach, Anton, gieb nach! Ich bitte Dich um Deines eignen Glückes willen, gieb nach.«

»Nein!«

»Wirklich nicht?«

»Ich kann nicht.«

»Ich verlang ja nicht zu viel. Ich will ja nur auf Concerten und in Kirchen singen!«

»Das glaub ich nicht. Laß mich aus! Wer eine Sängrin wird, die ist verloren auf immerdar, denn sie wird ganz sicher eine - -«

»Halt, sag das Wort nicht!« sagte sie streng.

»Soll ich nicht mal reden?«

»So ein Wort nicht! Das duld ich nicht!«

»Wirsts noch oft dulden müssen, wanns Dir ins Gesicht gesagt wird. Du denkst, wann ich Dir mal begegnen werd, so werd ich mich ärgern. O nein, ich werd hinkommen zu Dir und es Dir ins Gesichten sagen, wast bist, nämlich eine - -«

»Schweig! Ich dulde das nicht. Ich hab mir von Dir heut viel sagen lassen, das aber hör ich nicht mit an. Du hast Recht: Es ist aus mit uns. Leb wohl auf immerdar!«

»Ja, scher Dich fort!« rief er zornig, als sie sich von ihm wendete. »Ich mag nix mehr von Dir wissen, denn Du bists doch auch bereits, eine -«

»Was?« fragte sie, nochmals stehen bleibend. »Was bin ich bereits? Sags doch nun, wann Dus beweisen kannst, daß ichs bereits bin!«

»Ja, ich kanns, denn Du willst eine Sängrin werden. Du bist eine Huren!«

Da stand sie aber auch wieder vor ihm, holte aus und gab ihm eine Ohrfeige, daß er, der einen solchen Hieb gar nicht erwartet hatte, zurück in die Büsche taumelte. Die Sennerin hatte auch jetzt noch eine außerordentlich kräftige Hand.

Er wußte gar nicht, was er von dieser so unerwarteten Energie denken sollte. Am Allerwenigsten aber dachte er daran, ihr den Schlag zurückzugeben. Davor schien sie aber auch gar keine Angst zu haben, denn sie floh nicht etwa, sondern sie schritt ganz ruhig und langsam fort, ohne sich nach ihm umzublicken, den Felsen hinab.

Als sie den ebenen Boden erreichte, gab es ihr zur rechten Hand ein


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leises Geräusch, welches sie aber gar nicht beachtete. Sie begab sich in grader Richtung nach der Mühle.

Zwar stand der Wagen nicht mehr da, aber die von demselben abgeladenen Effecten lagen noch an der Erde. Der Müller hatte noch nicht erlaubt, sie herein zu schaffen. Er wollte die Sängrin auf alle Fälle loswerden.

Leni hielt es nicht für nothwendig, erst Erkundigungen einzuziehen. Sie klopfte bei ihm an und trat auf seinen Ruf in die Stube. Er hatte, wie gewöhnlich, die Peitsche in der Hand und rauchte eine Meerschaumpfeife. Leni grüßte höflich.

»Wer bist?« fragte er.

»Ich bin die Mietherin des Logis über dieser Stube,« antwortete sie.

»Du?« fragte er erstaunt.

»Ja.«

»Das ist doch für die Sängrin gemiethet worden!«

»Die bin ich ja.«

»Die Mureni etwan?«

»Ja.«

»Ich denk, die Dicke ists?«

»O nein. Sie ist nur meine Ehrendame.«

Das war ihm ganz und gar unbegreiflich.

»Was! Du in diesem Röckerl und in diesem Contuscherl hättst eine solche Ehrendame!«

»Ja.«

»Das machst mir nicht weiß. Du müßtst doch noch viel nobler gehn wie sie selber.«

»Das thu ich auch.«

»Davon seh ich nix.«

»In der Stadt leg ich andre Kleidung an. Aber ich war eine arme Sennerin, und ich lieb das Leben auf dem Dorf. Darum trag ich am Liebsten diesen Anzug, wanns halbwegs möglich ist.«

»Das könnt mir eigentlich gefallen, wanns wirklich auch richtig so ist.«

»Es ist so. Oder schau ich wie eine Lügnerin aus?«

»Nein, das nicht. Aber was willst bei mir?«

»Ich möcht gern unsere Sachen herauf in die Stuben haben, Du aber hasts verboten.«

»Ja, Du wärst mir schon recht, aberst die Dicke, die mag ich nicht leiden.«

»Warum nicht? Bist doch selbst auch nicht dürr!«

»Was gehts Dich an! Hast auch das Maul auf dem richtigen Fleck. Nicht?«

»Ja freilich. Wie könnt ich sonst eine Sängrin sein, wann ich das Maul in der Taschen hätt. Also, darf ich die Sachen hereinschaffen lassen?«

»Deine Sachen, ja; aber die Dicke muß fort.«

»Damit bin ich ganz auch zufrieden. Aber laß sie nur wenigstens so


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lange da, bis ich einen Wagen besorgt hab, mit dem sie nach der Bahn fahren kann!«

»Dagegen will ich schon nix haben. Nachher aber muß sie fort. Verstanden?«

»Freilich. Und wannst dann willst, geh ich auch gar selber mit. Schlaf wohl!«

»Schlaf wohl auch Du!«

Als sie hinaus war, brummte er:

»Ein sakrisch Weibsbild. Wann die Einem so unter die Augen hineinschaut, so kann man fast gar nimmer Nein sagen. Das ist grad so Eine, die den Männern die Köpfen verdrehen kann. Ich kann froh sein, daß ich kein Junger mehr bin, sonst thät ich Der gleich das ganze Haus vermiethen und die Mühl und die Felder und Wiesen dazu!« -

Das Geräusch draußen am Grabe, welches von Leni nicht beachtet worden war, kam aus dem geheimen Eingang in dem Felsen. Da unten hatte der Fex mit dem Sepp gesessen. Sie hatten Stimmen über sich gehört und waren hinauf gekrochen, um nachzusehen, wer da oben so laut rede. Grad als Beide den Gang verlassen hatten, war die Sängerin an dem Strauche, hinter welchem die Beiden steckten, vorübergegangen.

»Die Leni,« flüsterte der Sepp. »Sie hat mit Jemand gesprochen. Wer mag das sein?«

»Das werden wir bald erfahren. Hier führt ja der Weg vorüber.«

»Ich sollt sie nicht nach der Mühlen begleiten. Sie hat also gewußt, daß sie Jemanden trifft. Ich glaub gar, sie hat ein Stelldichein gehabt. Der Kerl muß noch oben sein. Gehn wir hinauf!«

»Wannst meinst, ja. Verrathen ists doch nicht, daß wir aus dem Felsen kommen.«

Sie warteten noch einige Augenblicke, dann stiegen sie langsam hinauf. Droben stand Anton noch. Er war sehr verwundert, zwei Leute kommen zu sehen, war aber sogleich beruhigt, als er sie erkannte. Der Sepp that, als ob er keine Ahnung gehabt habe, daß Jemand sich hier oben befinde.

»Hollah!« sagte er. »Da steht ein Kerl! Wer ists?«

»Fürcht Dich nur nicht, Sepp! Ich bins,« antwortete der einstige Wilderer.

»Ah! Der Krikelanton! Was machst denn hier heroben?«

»Ich geh spazieren.«

»Da auf dem Felsen?«

»Ja.«

»Und da unten geht auch Eine spazieren? Die ist von Dir gekommen. Wer ists gewesen?«

»Gehts Dich was an?«

»Nein, aber neugierig bin ich.«

»So muß ichs Dir sagen, sonst stirbst daran. Es war die Magd aus der Mühlen.«


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»Welche?«

»Das brauchst nicht zu wissen. Meinst, daß ich Dir meine Liebschaften verrathen werd?«

»Nein, das brauchst nicht, denn ich kenn sie schon bereits. Ich müßt ein schlechter Path sein, wann ich nicht meine Leni kennen thät. Hattst sie her bestellt.«

»Nein, sondern sie mich. Da Du sie erkannt hast, so will ichs auch gestehn.«

»Sie Dich? Seit wann bestellen denn die Dirndln die Buben?«

»Seit die Buben die Dirndln nicht mehr bestellen.«

»Da kannst sehr Recht haben. Du bist doch immer Derjenige, von dem man die beste Auskunften erhalten kann. Aber wann sie Dich herbestellt hat, so ists doch nur gewesen, um Dir zu sagen, daß Du ihr nimmer nachzulaufen brauchst?«

»Oder auch anderst. Ich bins, der ihr sagt hat, daß es nun ganz aus ist mit uns Beiden.«

»Schau, das ist schön von Dir; das gefreut mich außerordentlich. Da hast doch den richtigen Verstand gehabt. Du passest doch nimmermehr zu ihr.«

»So? Warum?«

»Du bist zu vornehm und zu gut für sie.«

»Oder meinst vielleicht, sie für mich?«

»Kannsts nehmen, wie Du willst.«

»Willst Streit anfangen? Ich bin grad bei der richtigen Launen dazu. Brauchst blos ein Worten zu sagen, so fliegst augenblicklich da hinunter und in das Wassern hinein. Wann Du da versaufst, so ists nicht schad um Dich, alter Heuchlering!«

»Wie? Was bin ich?«

»Ein alter, heuchleringser Kerlen bist!«

»So? Kannst das beweisen?«

»Ja, sehr wohl kann ich das.«

»So thu es doch!«

»Hast etwan nicht stets gesagt, daßt mein Freund bist?«

»Das hab ich wohl gesagt.«

»Aber wahr ists nicht.«

»Oho! Willst mich zum Lügnern machen?«

»Was brauch ich Dich dazu zu machen? Du bists ja schon! Du sagst, Du seist mein Freund und bist doch gegen mich.«

»Wieso?«

»Hast stets bei der Leni gegen mich gesprochen.«

»Das ist mir nicht eingefallen.«

»Warum ist sie dann so ungehorsam gegen mich!«

»Ungehorsam? Hast etwan bereits Gehorsam von ihr zu verlangen, he?«

»Ja, sie ist mein Dirndl gewesen.«

»Aberst noch nicht Deine Frauen.«


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»Das ist schon ganz egal. Das Dirndl muß dem Bubn grad so gehorchen wie die Frau dem Manne.«

»Schau, da hast schon bereits eine ganz neue Moden entdeckt, von der ich noch gar keine Ahnung gehabt hab. Bist doch ein schlauer Burschen. Aber auch wannst da Recht hättst, wärst dennerst vorhin auf einem falschen Weg gewesen. Ich hab das Dirndl nicht von Dir abgelenkt.«

»Aber Du hast ihr die Kunst in den Kopf gesetzt!«

»Singst Du nicht auch? Wer hats Dir in den Kopf gesetzt?«

»So mein' ichs nicht. Du hast ihr vorgeschwatzt von denen Herrlichkeiten, die sie haben wird, wanns zum Theatern geht.«

»Ja, davon hab ich zu ihr sprochen. Lügen thu ich nicht. Was ich sagt hab, das gesteh ich ein. Aberst das ist doch nicht gegen Dich. Ihr könnt doch auch ein Paar werden, wann sie beim Theatern ist.«

»Nein, denn das duld ich nicht.«

»So mußt Dich halt nach einer Andern umschaun, und sie heirathet einen Grafen.«

»Den soll der Teufel holen!«

»So schnell geht das nicht. Der Teufel holt erst andre Leutln. Gestern hat in der Zeitung gestanden, daß in der Höllen recht nothwendig ein Tabuletkramer braucht wird. Für einen solchen muß der Teufel zunächst sorgen.«

»Geht das auf mich?«

»Nein, sondern auf den Teufel.«

»Das wollt ich Dir auch gerathen haben, sonst hättst mich kennen lernen können.«

»Bist doch heut recht kampfbegierig! Hast wohl den Absagebrief erhalten, weils Dich so grimmt?«

»Ihr hab ich ihn geben, nicht sie mir.«

»Das könnt ich bestreiten, ihr zu Lieb. Aber ich wills zugeben, denn ich bin ein aufrichtiger Kerlen. Sie hat Dich lieb, und Du bists aber nicht werth - -«

»Wurzelsepp!«

»Ja, das ist wahr!«

»Willst mich in Harnisch bringen!«

»Steig meinswegen in den Harnischen oder auch in die Filzschuhen; mir solls ganz egal sein. Ich hab Dir bereits meine Meinung gesagt, und ich sag sie Dir wieder, wann ich will. Sie meints gut und ehrlich mit Dir; Du aber bist so ein Wiedehopfen, mit dem sich nichts reden läßt. Nun geht Ihr aus nander, und die Schuld wirfst auf mich. Das ist schon so die richtige Höhen. Erst verdreht man einem braven Dirndl den Kopf; nachhero, wanns sich hat aufopfern wollen, nennt mans eine Huren, und dennerst lauft man ihr nach und laßt ihr keine Ruhen, daß nur das arme Herzerl nicht aus dem Kummer herauskommt. Das ist so die richtige Sorten, wie Du bist. Mir kannst gestohlen werden, und wer Dich wiederbringt, den verklag ich und laß ihn einistecken wegen Beleidigung.«


// 358 //

»Schau, wast für ein Rednern bist!«

»Ja, wann ich Dich anschau und an die Leni denk, so lauft mir sogleich die Galle über. Könntsts so gut haben bei ihr und so fein. Der König ist so gut auf Dich zu sprechen und auf sie. Was wär das für ein Paar geworden! Und da bist so conträr und ausverschämt und hast das Gewissen, sie um ihr Glück zu bringen. Dabei sagt der Kerl auch noch, daß er sie lieb hat, der Scheinheilige!«

»Du, nimm Dich in Acht! Dergleichen Schimpfirereien mag ich nicht leiden, auch von Dir nicht!«

»Halts Maul! Dich werd ich viel fragen, wie ich zu Dir sagen soll. Wegen Deiner wickle ich meine Worten nicht in Seidenpapier und trag sie Dir auf dem Präsentirtellern entgegen. Dazu bist der Kerlen noch lange nicht. Da mußt Dich erst mit Schmierseifen einreiben und mit einer Soda abwaschen, daß der Schmutz herunter kommt. Und richtig kämmen mußt Dich und die Fingernageln abschneiden auch dazu. Und sogar nachhero red ich noch immer nicht mit Dir. Hab ichs so ehrlich und gut gemeint mit dem Hundsbuben, und nun nennt er mich einen Lügnern und einen heuchleringsen Menschen. Meine Mündel hab ich ihm wollen geben, und nun sagt er, daß er ihr die Abschiedsschluppen anzogen hat! Da muß doch gleich der alte Teuxel zwanzig Junge kriegen! Hörst, daß ich auch meine Galle hab! Ja, wann die überlauft, dann werd ich zornig, und wann ich zornig bin, nachhero ist mit mir kein Auskommen mehr. Da bin ich gar im Stande und nehm den allergrößten Prügel, den ich find, und schlag Alles todt, mich gleich zu allererst. Denn leben mag ich in einer so miserabligen Welten schon gar nimmer mehr. In einem Leben, wo's den Guten bös und den Bösen gut geht, da mag ich schon gar nimmer sein. Da dank ich für! So, jetzt hast Dein Fett und Dein Schmalz! Reib Dirs hinter die Ohren und mach, daßt fortkommst, sonst zieh ich auch noch die Schuhen aus und schlag sie Dir um die Ohren, daßt denkst, es wird in die Kirchen gelauten, Du Unnütz, Du!«

Er hatte sich in den größten Aerger hineingeredet. Und, eigenthümlich, der Krikelanton unterbrach ihn nicht. Einestheils achtete er den Alten sehr und anderntheils fühlte er gar wohl, wie weit derselbe Recht hatte. Und, um eine Hauptsache nicht zu vergessen, mit der Ohrfeige, welche er von Leni erhalten hatte, war es ihm gegangen wie jenem Tauben, welcher eine tüchtige Maulschelle erhielt und da in der Meinung, daß man Etwas zu ihm gesagt habe, beistimmend nickte und sprach: »Das läßt sich hören!« So ging es auch Anton. Alle Reden und Bitten Leni's hatten nichts gefruchtet; aber die Ohrfeige war auf den besten Boden gefallen. Mit ihr hatte sie nach seiner Meinung den kräftigsten Beweis geliefert, daß sie ein braves Mädchen sei. Darum befand er sich nun in größter Uneinigkeit mit sich selbst. Am Liebsten wäre er ihr nachgelaufen, um doch noch ein freundliches Abkommen mit ihr zu treffen, allerdings möglichst auf der Basis der Bedingungen, welche er ihr gestellt hatte. Er sagte sich jetzt, daß sie doch vielleicht auf seine Ansichten eingegangen wäre, wenn er freundlicher mit ihr gewesen wär und nicht so kalt und ungefüge.


// 359 //

Vielleicht war dies noch nachzuholen, aber auch blos dann, wenn er es mit dem alten Sepp nicht verdarb, der ja so großen Einfluß auf seine Pathe hatte. Darum beschloß er die beißenden Reden des Alten ruhig hinzunehmen. Dieser blickte ihn forschend an und fragte:

»Nun, wie stehst da wie ein Oelgötzen und guckst in die Luft hinein? Kannst Dich vielleicht verdefendiren?«

»Ich könnt schon vielleicht.«

»Das machst mir nicht weiß. Die Leni ist ein curagirtes Ding, aber sie hat auch - -«

»Ja, curagirt ist sie; das hab ich heut gesehen.«

»So? Wie denn?«

»Sie hat mir eine Backpfeifen gegeben, daß mir der Kopf fast auf den Buckel flogen ist.«

»Hat sie das? Nun, das gefreut mich sehr. Wohl bekomms Dir auch, Anton! Aber bei all dieser Curagirtheit hats doch ein mildes Herz und ein zart Gemüth. Das will feiner angefaßt sein, als Dus vermagst. Wann dann so ein Drommeldar hineintrampelt in das Zeug, so werden halt alle Blumen und Blüthen niedertreten, die in so einem jungen Herzen blühn, und wann nachhero nur die Disterln aufgehen und die Quecken und das Unkraut, nachdem wunderst Dich auch noch darübern! Hab ich Recht, oder hab ich Unrecht?«

»Vielleicht hast Recht.«

»Vielleicht auch noch! Nein, gewiß hab ich Recht, ganz gewiß! Siehsts ein oder nicht?«

»Ja.«

»Na endlich! Da ists nun auch möglich, daß Alls noch gut werden kann. Ich sag Dir, Bub, das Dirndl bekommt meiner Seel einen Grafen, oder gar einen Fürsten zum Mann, vielleicht gar einen Bischof oder einen Cardinalen, denn sie ist schön und fein und brav und demüthig, obgleich sie es hoch bringen wird. Den Schatz, der in der Leni steckt, kannst gar nicht messen, nicht zählen und nicht begreifen. Es wär so mein Gaudium, wann ich später so »gnädige Frau« oder »höchst dero Baronessen« oder »Hochselige Gräfin« zu ihr sagen könnt, denn von dieser Ehren fiel doch auch ein Theil mit auf mich und in meinen Rucksack hinein; aberst am Allerliebsten gönn ich sie doch Dir, das kann ich Dir sagen. Also sei gescheidt und klug, und laß die Dummheiten! Wannst meinen Rath befolgst, wirst der Mann von einer berühmten und reichen Frauen, deren Gemüth aber so rein und treu bleibt wie das Gemüth eines Kindes.«

Dem Anton wurde das Herz leicht und weit. Er holte tief Athem und fragte:

»Was meinst Du, was ich thun soll?«

»Zunächst das Maul halten und die Geschieht ruhig abwarten.

»Donnerwetter! Soll ich etwan warten, bis ein Anderer kommt und sie mir wegschnappt!«

»Verdient hättsts schon reichlich, denn Du hast ja sagt, daßt ihr den


// 360 //

Abschied geben hast. Da wärs Dir schon zu gönnen, daß ein Andrer kommt. Da schnappt sie schnell zu; er schnappt sie weg, und Du aber, Du schnappst über! Aber laß nur mich sorgen. Sie hat Dich lieb, und daß sie Dir eine Backpfeifen geben hat, das ist allemal das richtige gute Zeichen. Wann Eine Einem Eine hineinhaut, so ist das der Beweis, daß die Sympathrie auf die Zuneigung von der weiblichen Hingebung in der gehörigen Quallritäten und Quandritäten vorhanden ist. Das kannst mir glauben. So ein Alter wie ich, der hat Mancher schon hinein ins Herz geschaut. Also laß den Muth nicht sinken, und hab Vertrauen zu mir. Aber folgen mußt und gehorchen, sonst kannst nur gleich fortlaufen und Maulaffen verkaufen. Wannst vorhin mit mir da oben am Wassern gewesen wärst und gehört hättst, was die Leni than hat, so würdst einsehn, daß sie ein Dirndl ist, um die man sich eine Mühen nicht verdrießen lassen darf. Was hast? Da fiel wohl was herunter?«

»Ja. Ich hatt die Hand in den Gürtel steckt, und da muß was drinnen gewest sein.«

»Was?«

»Ich weiß nicht. Ich hab nix drinnen gehabt.«

Alle Drei hatten das Aufklingen eines metallnen Gegenstandes gehört, welcher herabgefallen war. Sie bückten sich. Es hatte sich ein Wind erhoben, welcher zahlreiche Wölkchen getrieben brachte, die den Mond verfinsterten. Darum war nicht leicht Etwas zu erkennen. Die Drei suchten also mit den Händen tastend nach dem betreffenden Gegenstand. Der Wurzelsepp war es, der ihn fand.

»Ich habs!« sagte er. »Da bei meinen Füßen hats gelegen. Was ists? Ah, ein Schlüsseln, ein kleiner Schlüsseln, wie zu einem Tischkasten so groß.«

»Wie aber soll ein Schlüsseln in meinen Gürtel kommen?« fragte der Krikelanton.

»Hast keinen gehabt?«

»Nein. Ich hab nur einen einzigen, nämlich den Schlüsseln zu meinem Kasten, und den hab ich hier im Portmornereh stecken. Da ist er.«

»So hat dieser hier gar nicht in dem Deinigen Gürteln gesteckt.«

»O dennoch. Ich hab ihn mit den Fingern gefühlt, bevor er herunter fiel.«

»Oder hat er vorher hier gelegen,« bemerkte der Fex. »Zeig ihn mal her, Sepp!«

Der Alte gab ihm den gefundenen Schlüssel. Der Fährmann hielt ihn gegen den Mond, welcher eben von Wolken frei war, und betastete ihn dann höchst sorgfältig. Dann sagte er in freudigem Tone:

»Sollts möglich sein? Sepp, Sepp, was haben wir gefunden!«

»Nun, was?«

»Den Schlüsseln, den wir brauchen.«

»Welchen denn?«

»Nun, zu dem Müll- - ah, weißt schon, zu dem Polsterstuhlen.«


Ende der fünfzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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