Der Weg zum Glück - Teil 22

Lieferung 22

Karl May

24. Dezember 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Ich schrei? Soll ich etwan nicht schrein?«

»Nein, gar nicht.«

»Wannst von dem Fexen redst!«

»Was ist da so gar Besonderbares daran?«

»So! Das fragst mich? Da hört denn doch grad Alles auf! Das soll nichts Besonderes sein!«

»Nein, gar nicht.«

»Daß der die Paula bekommen soll?«

»Ach so! Das meinst!«

»Was sonst? Hörst heut etwan so gar sehr schwer? Oder ist Dir der Fex als Schwiegersohn gar so sehr willkommen, daßt vor Freuden und Entzücken lieber gleich ein Dedeum singen lassen willst?«

»Das nun grad nicht.«

»So, das nun grad nicht! Und das sagst so ruhig?«

»Wie soll ichs sonst sagen? Da hilft kein Aufbegehren und kein Zanken. Ich muß gehorchen.«

»So! Warum?«

»Weils eben der König will.«

»Das hast schon bereits zehnmal gesagt, und ich wills nicht wiedern hören. Warum wills denn der König?«

»Weil - weil - hm, das ist so eine schlimme Geschichten. Der König hats mir nicht selbst sagt, sondern ein Andrer hats mir derklären mußt. Nämlich der Fex ist gar nicht dera Sohn der Zigeunerin.«

Der Franz hatte wieder ein Glas ausgetrunken und sich wieder niedergesetzt. Jetzt wollte er vor Erstaunen wieder aufspringen, doch der Müller sagte schnell:

»Bleib sitzen! Es ist nicht nothwendig, daßt immer auf- und niederfährst wie ein Hampelmann. Solche wichtigen und ernsten Sachen müssen auch ernst verhandelt werden. Also horch drauf: der Fex ist das Kind eines adligen Herrn, eines, der Baron wesen ist.«

»Und das ist wahr?«

»Ganz und gar.«

»Wer hätt das denken konnt!«

»Ich nicht und Du auch nicht. Aber es ist so, und dadran ist halt nix zu ändern. Sein Vatern und seine Muttern sind storben, und so kann die Sachen geheim bleiben; aberst um den Fex zu entschädigen für die Hoheit, die er verliert, soll er die Paula zur Frau bekommen.«

Diese Lüge konnte er nur dem Fingerlfranz machen, kein Anderer hätte sie geglaubt. Dieser aber überlegte gar nicht, ob etwas Wahres dran sein könne. Er fuhr zornig auf:

»Und das willst Dir gefallen lassen?«

»Was soll ich dagegen thun?«

»Daßt für die Schlechtigkeit von dem Fexen seinen Eltern Dein Kind hergeben thust?«


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»Ich muß!«

»Meinswegen! Aber ich muß nicht! Ich laß mirs nicht gefallen! Das fallt mir gar nimmer ein!«

»Auch Du kannst nix dagegen machen.«

»Meinst? Da kennst mich schlecht!«

»Ich kenn Dich schon sehr gut. Du bist ein tüchtiger Kerlen, aber gegen den Willen eines so hohen Herrn kannst Dich doch auch nicht wehren.«

»Das wollen wir abwarten.«

»Nun, so sag doch mal, wast thun willst?«

»Das brauchst gar nicht zu fragen, das ist ganz nur meine eigene Sachen!«

»Nein, ich bin der Schwiegervatern, ich muß auch was davon wissen. Wir müssen im Vertrauen mit nander handeln, das ist das Best, was wir thun können.«

»So! Jetzt bist auf einmal der Schwiegervatern, und doch sagst, daßt nix dagegen machen kannst!«

»Das ist auch wahr.«

»Und Vertrauen müssen wir haben, aberst aufrichtig bist dennoch nimmer mit mir. Verstanden!«

»Grad sehr aufrichtig bin ich mit Dir. Meinst etwan, daß ich gern gehorch? Du bist mir als Schwiegersohn doch tausendmal liebern als der Fex und noch mehr.«

»So! Das laß ich mir schon ehern gefallen, das ist doch wenigstens ein gutes Wort. Und wannt bei dieser Gesinnungen bleibst, so ists nicht gefehlt. Die Paula wird meine Frau.«

»Weißts so sehr genau?«

»Ja.«

»Wie willst das anfangen?«

»Klüger, als Du denkst!«

»Ich kanns errathen!«

»Nun, wie?«

»Du willst zum König gehen und ihm gute Worte geben?«

»Fallt mir nimmer ein!«

»Oder zum Fex?«

»Da derschieß ich mich lieber!«

»So. Oder willst die Paula bitten, daß sie Nein sagt, wanns den Fexen dann heirathen sollt?«

»Die? O, die ist zuwider worden! Ich glaub, die nimmt den Fexen liebern noch als mich! Nein, auf die kann ich mich auch ganz und gar nicht verlassen. Ich muß da mit ganz andere Ziffern rechnen.«

»Was sind das für Ziffern?«

»Es ist eigentlich nur eine.«

»Welche?«


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Der Fingerlfranz zog die Brauen empor, machte seine pfiffigste Miene und antwortete geheimnißvoll:

»Eine Null.«

»Das versteh ich nicht.«

»So. Ja, das wird gar Mancher nicht verstehen. Weißt, wo eine Null vorhanden ist, was ist da?«

»Nix, gar nix.«

»Freilich! Jetzt hast Recht! Jetzt hasts troffen!«

»Troffen hab ichs? Aber begreifen thu ichs doch noch nicht.«

»Da giebts doch nicht viel zu begreifen. Ich mein' halt, die Null, das ist alleweil der Fex.«

»Ach so! Der Fex ist Null, das heißt, der Fex ist nix, er ist gar nimmer da?«

»Ja.«

»Hm! Er ist aber da!«

»Jetzt, ja, jetzt ist er noch da!«

»Alle Teufeln! Wann ich Dich auch richtig begreifen thät! Meinst Du etwan, daß er bald nimmer mehr vorhanden sein wird?«

»Ja, grad das mein ich halt. Hast was dagegen?«

Da erhob der Müller warnend den Finger:

»Du, das ist Mord!«

»Pah! Wann eine Schlang oder Ottern mir in den Weg kommt und ich tret sie niedern, so ist das auch ein Mord; aberst ich mach mir den Teufeln daraus!«

»Aberst der Fex ist ein Mensch!«

»Eine Ottern ist er, ein Giftwurm, der mir aus dem Weg fort muß! Der Zigeunerbub, der niedernträchtige! Er ist nicht mal ein halbern Mensch. Er ist ein stupidern Kerl, der nix lernt hat und nix kann. Wer so Einen forträumt, der thut dera Menschheiten doch nur einen Gefallen. Schau her! Da hast noch mein Gesicht, wie er mich überfallen und schlagen hat! Soll ich mich nicht dagegen wehren?«

»Ja, das Recht hast dazu!«

»Also!«

»Aber ein Mord ists dennerst, ein Todtschlag wenigstens!«

»Red mir nicht so dumm! Woher weißt denn, daß ich ihn morden und derschlagen will?«

»Ich habs mir dacht.«

»Unsinn! Es kann ihm doch ein Malleur geschehen.«

»Freilich ist das richtig! Im Wassern -«

»O nein! Im Wassern ist der zu Haus. Der versauft im ganzen Leben nicht; da versauft ein Aal viel ehern.«

»Also in dera Luft? Vielleicht derhängt er sich.«

»Das glaub ich nicht. Vielleicht kommt er auf eine ganz leichte Weis aus dera Welt.«


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»Aberst wann?«

»Ja, wann soll denn die Sachen vor sich gehen?«

»Höchst bald. Es hat beinahe klungen, als obs bereits am Sonntag sein sollt, an der Stell von Deiner Verlobung.«

»Also morgen!«

»Ja, weißt, weil die Gästen einmal geladen sind.«

»Donner und Durium! Das soll mir nicht geschehn!«

»Wie willsts verhüten?«

»So wisch ich dem Fex noch heut Eins aus.«

»Du, sags mir nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil ich nix davon wissen mag. Ich hab keine Lust, mich wegen Mitwissenschaft einsperren zu lassen!«

»So! Meinsts in dieser Arten und Weisen? Denkst etwan, ich werd mich einsperren lassen?«

»In solchen Dingen kann man nicht vorsichtig genug sein. Weißt, es ist auch eigentlich gar nicht nöthig, daß der Fex stirbt; er kann auch leben bleiben.«

»So? Da erhält er doch die Paula!«

»Nein. Weißt, er bekommt die Paula, weil er der Sohn eines so vornehmen Herrn ist. Das kann er beweisen; wann er das aber nicht beweisen könnt, dann, ja dann -«

»Nun, was wäre dann?«

»Nun, dann wär er eben nicht der Sohn!«

»Und?«

»Und ich braucht ihm die Paula nicht zu geben.«

»So! Hm!«

»Siehst das nicht ein?«

»Ei freilich. Aberst er kann es ja eben beweisen!«

»So müßt man dafür sorgen, daß ers nimmer kann.«

»Wieso?«

»Indem - ah, wann ich nur laufen könnt!«

»Heul nicht so und jammer nicht! Schau her; schau mich an! Kann ich denn etwan nicht laufen?«

»Ja Du!«

»Das ist aberst grad so gut, als obst selber laufen könntst. Hasts auch verstanden, Thalmüllern?«

»Meinst, daßts für mich thun willst?«

»Ja.«

»Es mag sein, was es will?«

»Gern, wanns nicht menschenunmöglich ist.«

»Gar nicht. Es ist sogar leicht, sehr leicht.«

»So sags!«

»Man muß ihm seine Beweisen nehmen.«


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»Ach so! Aberst worinnen bestehen diese?«

»In einer Photographieen und in mehreren Papieren.«

»Die man ihm stehlen müßt? Was ists denn für eine Photographieen, für ein Bildniß?«

»Es ist das Bild einer jungen Frauen, welche seine Muttern sein soll. Und die Papieren sind in einer fremden Sprachen geschrieben und untersiegelt.«

»In welcher?«

»Man nennt es Romanisch oder Wallachisch.«

»Das kenn ich nicht; aberst das thut ja nix zur Sachen. Die Hauptsach ist, wo ers hat.«

»Das steckt Alles in einer Brieftaschen.«

»So? Und wo hat er dieselbige?«

»Jedenfalls in seiner Joppentaschen.«

»Und wann da nicht?«

»Nun, so - so - hm, er hat keinen andern Platz als in der Fähr, weißt, in den Kästen unter denen Sitzbänken. Da muß die Brieftaschen stecken, wann sie sich nicht in seiner Joppen befindet.«

Der Fingerlfranz nickte eine Weile vor sich hin, sich die Sache überlegend; sodann sagte er:

»Wo schlaft er denn, dera Fex?«

»Eben in der Fähr. Zuweilen hat er auch wohl im Wald geschlafen, denn in dera Nacht ist die Fähr leer wesen. Jetzt aberst ists noch nicht im Sommern, da liegt er ganz sichern im Schiff.«

»So weiß ichs, wie mans machen muß.«

»Nun, wie?«

»Man geht zur Fähr und untersucht die Kästen. Und wann die Brieftaschen da ist, so nimmt man sie weg.«

»Das wär freilich leicht.«

»Sind diese Kästen verschlossen?«

»Nein; es ist nur ein hölzerner Riegeln dran.«

»Auf diese Weis ists leicht gemacht. Wann man die Taschen hat, so braucht man sich an dem Kerlen ja gar nicht zu vergreifen. Aberst wann die Brieftaschen nicht da ist, so muß man sie ihm aus dera Joppen nehmen. Nicht?«

»Ja freilich. Und das ist schwer.«

»Gar nicht.«

»Wie willsts anfangen?«

»Ich schleich mich hin an die Fähr und schau, ob er schlaft. Wann er schlaft, so drück ich ihm den Hals zu und zieh ihm das Ding aus der Joppen heraus.«

»So wird er Dich verklagen!«

» O nein!«

»Er wird ja aufwachen und Dich erkennen.«

»Das wird er nimmer mehr. Dafür laß nur mich sorgen. Ich hab


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noch meine Rechnung mit ihm zu machen, von wegen daß er mich draußen im Wald bei dera Paula überfallen hat. Jede solch Rechnungen hat einen Strich, und der Strich, den ich ihm machen werd, der wird stark genug sein und auch kräftig. Also er ist wirklich heut Abend in dem Concerten?«

»Ganz gewiß.«

»In seinem Anzug?«

»Er wird um die Erlaubniß beten haben, in einen Winkel kriechen zu dürfen, worinnen man ihn nicht erblicken kann.«

»Jetzt ists grad halber elf Uhr, da ist er vielleicht noch nicht wiedern da.«

»Nein, denn sonst wär auch die Paula da.«

»Wie? Die ist auch mit?«

»Ja. Nämlich die Sängrin - nicht die Alte, Dicke, sondern die Junge, kam herab und hat mich so lange beten, bis ich erlaubt hab, daß sie mitgehen kann.«

»Das hätt ich nicht than. Wann die Paula meine Frau worden ist, so hat sie zu Haus zu bleiben. Im Theatern lernt keine Frau was Guts. Aberst da der Fex jetzt noch nicht da ist, so ists wohl am Besten, daß ich jetzt nach der Fähr hinübergeh und mal nachschau, ob die Brieftaschen darinnen versteckt ist.«

»Hast Recht. Geh und mach schnell.«

»Gut. Ich werd bald wiedern da sein.«

Er stand auf. Der Müller bemerkte noch:

»Ich hab hört, daß der Knecht vorhin die Thür zuschlossen hat. Nimm hier den Schlüsseln, daßt hinaus kannst und wiederum herein, und schau, daßt mich nicht allzulang warten läßt.«

»Ich werd mich beeilen.«

»Aberst dennerst mußt auch genau suchen. Weißt, die Sachen ist so: Wannst die Brieftaschen nicht bringst, so muß der Hochzeitsbitter morgen gleich in der Fruh herumlaufen und Deine Verlobung abbestellen. Wannst sie mir aberst bringst, so wird sie nicht abbestellt und morgen Abend um die jetzige Zeit bist der Bräutigam von dera Paula.«

»Na, da kannst Dich drauf verlassen, daß ich sie bring, und sollt ich - na, ich will nix sagen!«

»Nein, lauf lieber!«

Der Franz nahm den Schlüssel und ging. Als er hinaus war, brummte der Müller vergnügt in den Bart:

»Er hats geglaubt, was ich ihm verzählt hab! Das ist sehr gut. Nun wird er mir die Taschen bringen, und selbst wann er derowegen den Fex derschlagen soll. Dafür aber wird er die Paula bekommen. Sie muß ihn nehmen, denn ich bin der Vatern und sie hat mir zu gehorchen. Ich hab einen großen Fehlern begangen, daß ich den Fex hab leben lassen. Aberst wer hat ahnen konnt, daß er damals zugeschaut hat, als ich die Südana abwürgt hab. Hätt ich das wußt, so hätt er gleich am damaligen Augenblick mit fortmußt! Na,


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nur erst die Brieftaschen wiedern her! Nachhero hab ich gewonnen und kann wiederum ruhig sein.«

Es verging fast eine halbe Stunde, ehe der Fingerlfranz zurückkehrte. Natürlich schloß er die Thür draußen wieder zu, bevor er in die Stube kam.

»Hast sie?« fragte der Alte gespannt.

»Nein.«

»So war sie vielleicht nicht da?«

»Vielleicht? Was denkst von mir! Sie war absolutemang nicht vorhanden. Wanns dagewest wär, so hätt ich sie doch ganz sichern mitbracht. Das versteht sich ganz von selber!«

»Hast auch richtig sucht?«

»So genau, wiests selbern kaum macht hättst.«

»Vielleicht steckt sie nicht in den Kästen und er hat sie wo anders hinsteckt!«

»Ich hab halt überall sucht. Die ganze Fähr hab ich mit denen Händen austastet, von oben bis unten und von hinten bis vorn, aber nix funden, gar nix.«

»Was war in denen zwei Kästen?«

»Ein Werkzeuggeräth mit Hammer, Zang, Bohrern und solchen Dings da und nachhero auch ein paar alte Wachsleinwanden.«

»Wozu er die brauchen mag!«

»Wohl zum Zudecken, wanns regnet und er in der Fähren schlaft. Horch! Jetzt kommen Leutln!«

»Ja, man hört die Schritten. Das Concerten wird zu End gangen sein. Nun kommt auch die Paula. Willst sie mal sehen?«

»Ja, freilich.«

»So wart, ich werd sie hereinirufen.«

Er dachte nämlich, daß der Franz zu einem Angriff auf den Fex williger sein werde, wenn er zuvor die schöne Geliebte gesehen habe.

Jetzt wurde die Thür geöffnet. Man hörte die Stimmen draußen im Flur und verstand jedes Wort.

»Das sind sie Alle,« flüsterte der Alte. »Der Fex ist dabei und auch der Wurzelsepp. Sie schaffen die Dicke hinauf. Was für einen Crambol die nun wieder mal macht! Wann die nur erst wiedern aus dem Haus hinaus ist. Wann ich das Zeichen nicht geb, so dauert der Spektakelum noch eine ganze Stunden fort. Das kann mir nicht gefallen.«

Er nahm die Clarinette her und blies hinein. Darauf ließ die Paula die beiden männlichen Begleiter hinaus, schloß zu und kam herein. Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht, als sie den Franz erblickte.

Ihr Vater spielte den Klugen. Er sagte sich, daß er sie nicht erzürnen dürfe, weil sonst zu erwarten stand, daß sie sich dem Franz gegenüber unliebenswürdig zeigen werde, und das hätte diesen ja leicht obstinat machen können. Darum sagte er mit einer Freundlichkeit, die ein Anderer wohl kaum


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als Freundlichkeit erkannt haben würde, welche aber trotzdem bei ihm eine außerordentliche Seltenheit war:

»Nun, bist wiedern zu Haus?«

»Ja, Vater.«

»Warum kommst nicht zu mir hereini?«

»Weil ich dacht, Du schlafst, und weil wir doch erst die Madam hinaufschaffen mußten.«

»Ach so! Diese dicke Madamen geht vor den Vatern! Das will ich mir verbitten! Ich will auch hören, wie das Concerten ausfallen ist, und dera Franz da auch.«

»Nun, ausfallen ists sehr gut.«

»So! Hats schön klungen?«

»Ganz unbeschreiblich. Die Mureni hat sungen wie ein Engel. Alles hat weint, sogar der König auch.«

»Das ist sonderbar! Na, diese Leutln mögen flennen immerhin. Sie haben die Zeit dazu!«

»Und aber dera Fex!«

»Was ists mit dem?«

»Vatern, Du glaubsts halt gar nicht, nein, Du kannsts nicht glauben und denken, was der für Furoren macht hat!«

»Furoren? Womit? Etwan mit seinen barbsen Füßen?«

»Nein, sondern auf dera Geigen. O, hat der spielen konnt!«

»Was! Der Fex hätt gichen?«

»Und wie! Himmlisch!«

»Du hast wohl träumt!«

»So müßten die Herrschaften all, welche auch zuhört haben, ebenso träumt haben, denn sie haben ebenso und noch mehr Beifall klatscht wie ich.«

»Aberst der Mensch kann doch nix!«

»Das haben wir blos nur dacht. Aberst er hat sich schon vor Jahren eine alte Geigen verschafft und -«

»Donnerwettern!« entfuhr es dem Müller. »Etwan gar der Südana ihre Geigen, die damals kein Mensch hat finden konnt? Nachhero hat er heimlich geübt!«

»Ja, und nun ist er gar ein Virtuos worden!«

»Der Heimtücker! Ja, so ist er stets wesen, hinterrucks und hinterlistig. Aber das werd ich ihm doch noch heraustreiben.«

»Das wirst nimmer fertig bringen.«

»Meinst etwan, weil er geigen kann, daß er mir nun nicht mehr zu gehorchen braucht? Da irrst Dich sehr! Ich bin sein Erzieher und Vormund; er ist noch nicht mündig und hat mir zu pariren. Wegen denen Hoppsern und Galoppen, die er gichen hat, brauch ich keinen sonderlichen Respectoris vor ihm zu haben.«

»Von wegen denen Hoppsern und Galoppen, da irrst Dich freilich gar sehr. Hast den Herrn Concertmeistern spielen hört?«


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»Ja, wann das Fenster aufstanden hat. Ja, das ist freilich ein Künstlern ersten Ranges; das ist sogar ein Virtubos; das hört man sogleich.«

»Nun, der ist im Concerten krank worden und hat nicht spielen konnt. Da ist der Fex auf die Bühne treten, vor allen Leutln, hat die Geigen hernommen und dem Concertmeistern seine ganzen Stucken so runterspielt, daß das ganze Theatern vor lautern Geklatsch und Beifall wackelt hat.«

»Bist bei Trost?«

»Es ist wahr. Der Kapellmeistern hat ihn gleich anstellen wollen mit freier Stationen und siebzehnhundert Mark Gehalt.«

»Der ist siebzehnhundertmal verruckt!«

»Meinst? Der Fex hats aber nicht angenommen!«

»So ist er noch viel verruckter! Aber freilich wird ers sehr gut wissen, daß ers nimmer mit dera Vigolinen dermachen kann.«

»O, nicht derowegen, sondern weil der König ihn mit sich nehmen will.«

»Der König?«

Er entfärbte sich.

»Ja freilich!«

»Was geht dera Fex dem König an?«

»Was ein jeder Unterthan dem König angeht. Dieser hat ihn sogar in seine Loge kommen lassen und ihm sagt, daß er ihn zu einem berühmten Tonmeistern thun werd und auch ins Conservatori.«

»Ins Confraterobi? Was ist das?«

»Das ist die Universitäten für die Musikkünstler.«

»Und da soll er hinein und wann?«

»Vielleicht soll er bereits morgen fort.«

Der Müller war ganz fassungslos; er blickte den Fingerlfranz eine ganze Weile an, ohne ein Wort zu reden. Dann fragte er ihn:

»Glaubsts?«

»Warum nicht! Große Herren haben solche Marotten. Wann er dann hernach nix lernt, so schicken sie ihn Dir wieder.«

»Oho! Sie werden ihn mir gar nicht wiederschicken, denn ich werde ihn ihnen gar nicht mitgeben. Ich bin der Vormund; ohne mich könnens nix machen!«

»Meinst, daß dera König Dich groß fragen wird?«

»Hm! Das glaub ich schon nicht, daß er gute Worten geben wird; aberst fragen muß er doch!«

»Und wannst Nein sagst, wird er doch thun, was er will. Darauf kannst Dich getrost verlassen.«

»Ja, freilich! Das ist eine ganz verteufelte Geschichten! Paula, jetzt gehst zu Bett. Ich hab nun grad genug gehört von demjenigen verflixten Concerten. Morgen in dera Fruh aberst werd ich dera Fex ins Gebet nehmen, wie er Vigolinen spielen kann ohne alle meine Erlaubnissen und ins Concerten


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laufen und zuletzt gar noch ins Confexbraterori! Das will ich mir verbitten! Nun aberst mach, daßt auch hinauskommst!«

Sie ging und stieg laut hörbar die Treppe zu ihrem Stübchen empor, in der Absicht, dies nach einiger Zeit heimlich zu verlassen, um dem Fex ihr Wort zu halten.

Dieser war nicht etwa mit seinem alten Sepp fort und hinüber nach der Fähre gegangen, sondern kaum hatte sich die Hausthür hinter ihnen geschlossen, so ergriff er den Alten beim Arme und flüsterte ihm zu:

»Halt, Sepp! Wir bleiben!«

»Warum?«

»Wollen sehen, was der Müllern noch so spät mit der Paula hat. Wir lauschen also!«

»An demselbigen Laden? Sehr gut! Das Astlochen und die Ritzen sind beide ja noch da. Komm!«

Sie traten leise an den Laden und blickten hinein in die Stube. Der Müller saß, wie gewöhnlich, ganz in der Nähe des Fensters und neben ihm - - -

»Du!« flüsterte der Sepp. »Der Franz!«

»Sei still, daß sie uns nicht hören!«

Sie konnten Alles sehen und auch jedes Wort verstehen. So hörten sie das Gespräch mit der Paula. Als diese dann die Stube verlassen hatte, ergingen sich der Müller und der Franz in Verwunderungen darüber, daß der Fex geigen konnte und sogar beim Concert gespielt habe. Beide aber waren zu unmusikalisch, als daß sie die Bedeutung und Tragweite dieses Umstandes hätten begreifen und ermessen können. Dann sagte der Franz, zwar in gedämpftem Tone, aber doch so, daß die Lauscher es hörten:

»Und was wird nun mit unserer Geschicht?«

»Ja, die ist nun schlimmer worden,« antwortete der Müller, indem er ein höchst bedenkliches Gesicht machte.

»Wieso?«

»Hasts nicht gehört, daß der Fex vielleicht bereits morgen schon von hier fort muß?«

»Ja. So sind wir ihn los!«

»Oho! Und Du bist auch die Paula los!«

»Zum Teufel, ja!«

»Denn er nimmt ja auch die Brieftaschen mit!«

»Freilich!«

»Und dann ists gefehlt!«

»Na, jetzt noch nicht. Noch ists nicht morgen. Wir wollen doch sehen, wer morgen diese Brieftaschen hat!«

»Der Fex.«

»Pah!«

»Wannt nix thust, so hat er sie freilich.«


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»Wer hat sagt, daß ich nix thun werd? Hab ich Dir nicht versprochen, daß ich die Taschen holen will?«

»Auch nun noch, da es anders worden ist?«

»Nun erst recht, denn wann ich sie nicht hol, so nimmt er sie mit, und die Paula ist für mich verloren.«

»Ja, so mußt also noch in dieser Nacht zugreifen.«

»Das versteht sich. Also Du meinst noch immer, daß er ganz gewiß in der Fähr schlaft?«

»Sicher.«

»So wart ich noch eine Weil, bis er einischlafen sein wird. Nachhero schleich ich mich hin - - -«

»Und läßt Dich derwischen!«

»Oho! Ich lauf doch nicht etwan auf dem offenen Weg hin, sondern ich mach einen Umweg, weiter aufwärts nach dem Wasser, und von da schleich ich mich im Baumschatten am Ufer herab bis an die Fähr.«

»Und er hört Dich kommen!«

»Fallt ihm nicht ein und mir auch nicht. Ich zieh die Schuhen eine Streck vorher aus und lauf auf allen Vieren hin, so wie ichs mal lesen hab in einem Buch, in welchem die wilden Indianer sich an ein weißes Haus schleichen thaten.«

»Du meinst ein Haus, worinnen weiße Menschen gewohnt haben dazumal. Nicht?«

»Das ist ganz egal, ob das Haus weiß war oder die Menschen, die Indianer haben die Schlacht gewonnen, und ich werd sie auch gewinnen. Weißt, ich lauf so auf Händen und Füßen nach der Fähren hin und steig auch so hinein, leise, heimlich, wie eine Schlangen, die Händ voran und die Beinen hinterher. Dann wird er drin liegen und schlafen.«

»Ja, und nachhero?«

»Ich wollt ihn bei der Gurgeln fassen; aberst das ist nicht sichern genug. Bessern ists, ich geb ihm gleich einen Klapps auf den Kopf, so daß er still ist, und dann nehm ich ihm die Taschen heraus.«

»Das ist freilich das Gescheidtst, wast thun kannst.«

»Habs auch denkt!«

»Und sodann?«

»Nun, da bring ich Dir die Taschen.«

»Aberst was wird mit dem Fex?«

»Den laß ich liegen.«

»Meinst, daß das klug ist?«

»Etwan nicht?«

»Nein, denn entweder wacht er von dem Klapps, dent ihm geben hast, wiedern auf; dann wird er sagen, daß er überfallen und bestohlen worden ist - -«

»Hab keine Sorg darum! Der Klapps wird ein solcher sein, daß der Fex das Aufwachen vergißt.«


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»Das wollt ich schon besser loben; aberst sodann findet man ihn in der Fruh todt in der Fähr, die Aerzten untersuchen seinen Leichnamen und sagen: Er hat einen Hieb erhalten und ist derschlagen worden. Da beginnt ein großes Injusterium und ein Prozessiren und man kann gar dabei ganz unschuldig mit einisteckt werden.«

»Du bists doch nicht gewest!«

»Freilich nicht; aberst grad wegen dera Taschen kann das Alibi und Adlibitum auf mich fallen, und auch mit auf Dich. Beweisen kanns uns freilich Keiner, aber stecken lassen könnens uns eine lange Zeiten. Das braucht aberst nicht zu sein.«

»Nun, was meinst sonst?«

»Du giebst ihm den Schlag auf den Kopf, nimmst die Brieftaschen und wirfst nachhero den Kerl in das Wassern. Verstanden!«

»Jawohl! Es wird nachhero heißen, daß er vor Unglück versoffen ist.«

»Ja, er ist ein guter Schwimmer und hat darum mal auch zuviel gewagt. Dann ist uns geholfen und die Paula ist Dein. Topp!«

»Topp!«

Sie schlugen ein.

Der Fex faßte den Sepp am Arme und zog ihn vom Fenster fort. In einiger Entfernung von dem Letzteren blieb er stehen und fragte, vor Aufregung zitternd:

»Hasts gehört?«

»Ja.«

»Sollt mans glauben!«

»Dermordet sollst werden!«

»Derschlagen und ins Wassern worfen, grad wie ein Aas, was nicht mal der Schindern brauchen kann. Aber ich werd dem Kerlen einen Streich spielen. Wart hier!«

»Wozu?«

»Wart nur! Ich komm gleich wiedern.«

Er eilte fort, um die Ecke des Hauses. Bereits nach einer Minute kam er wieder, mit einem Gegenstande in der Hand.

»Was hast da herbei geholt?« fragte der Sepp.

»Weißt, da im alten Kegelschub, wo ich den Topf holt hatte, da lag auch das alte Fuchseisen. Da drein soll der Fingerlfranz mit der Hand greifen und sich fangen. Wart nur, Bursch, Du sollst mir brav kommen, wart nur! Aber wer - ah, die Paula!«

Sie kam hinter der andern Ecke des Hauses hervorgeschlichen und auf die Beiden zu.

»Ah!« lächelte der Sepp. »Das also wars, was Ihr hinter mir zu rispern und zu flüstern hattet, als ich die Hausthüren aufischließen mußt! Ich habs wohl hört. Das ist ja grad ein Stelldichein. Da darf wohl dera alte Sepp nicht mit dabei sein?«

»O, gar wohl könntst mit dabei sein,« antwortete der Fex. »Es ist wohl nix Unrechts, was wir mitsammen reden werden, und unser Freund bist


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ja auch; aberst dennoch werd ich Dich bitten, hier zuruckzubleiben. Du mußt lauschen, um uns zu sagen, wann dera Fingerlfranz kommen wird.«

»Will Der etwan zu Dir kommen?« fragte Paula.

»Ja, er wird wohl noch überfahren wollen. Es scheint, daß er bereits in der großen Fruh schon drüben im Dorf sein muß.«

»Da geh ich liebern nicht mit.«

»Fürchtst Dich vor ihm?«

»Bei der Nacht, ja. Und er braucht ja auch nicht zu merken, daß ich bei Dir bin.«

»Er wirds nicht merken, denn der Sepp soll ja eben aufpassen und uns benachrichtigen, wann er kommt.«

»Er könnts aberst doch versehen. Lieber geh ich noch mal hinein und wart, bis der Franz fort ist.«

»Wirds Dir nicht zu lang dauern?«

»O nein. Ich könnt ja so nimmer schlafen nach Allem, was ich heut im Theatern hört und sehen hab.«

»So geh, Paula, geh! Ich werd Dir einen Sand an Dein Fensterl werfen, wannst herabkommen sollst.«

Sie schlich sich wieder hinein ins Haus.

»Jetzt komm, Sepp!« meinte der Fex. »Wir wollen nun schnell die Fallen stellen.«

Sie gingen nach dem Flusse. Im Gehen fragte der Sepp:

»Warum sagst ihr denn eine Unwahrheiten? Der Franz will ja gar nicht überfahren.«

»Soll ich der Tochtern etwan sagen, daß ihr Vatern ein Mördern ist? Nein, das thu ich der Paula nimmer an. Das brächt ich gar niemals übers Herz. Oder Du?«

»Nein, ich auch nicht.«

»Also ists viel bessern, sie ahnt gar nix. Darum hab ich mich freut, daß sie einstweilen wieder gangen ist. Jetzt nun aberst müssen wir uns sputen. Der Kerl kann spät kommen, aber auch bald, und wann er kommt, so müssen wir bereits fertig sein.«

»Bin neugierig, wast machen willst.«

»Versohlen will ich ihn.«

»Ah, die Schuhen?«

»Nein, sondern lieber da, womit der Schustern auf dem Schemel sitzt. Komm nur. Du mußt mit helfen.«

Als sie die Fähre erreichten, bemerkte der Fex, daß er sie etwas lang angehängt hatte. Er zog die Kette mehr an, so daß das Hintertheil des Kahnes hart und fest ans Ufer stieß.

»Nun schau mal an!« sagte er. »So wird er kommen, auf allen Vieren.«

Er ließ sich auf die Hände und Füße nieder und kroch ganz so nach der Fähre hin, wie es vermuthlich auch der Franz thun würde.


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»Und nun ist er da am Kahn und will hinein, mit den Händen zuerst. Da wird er grad hierher greifen müssen, auf das Querbretle am Steuer. Dahier her also muß ich die Fuchsfallen legen. Nicht?«

»Ja, das ist gewiß. Wie aberst machst sie fest?«

»Wie? Das ist doch sehr leicht. Ich hab den Bohrer da und Schrauben und Nägel und Riemen und einen Strick und Bänder auch. Paß auf!«

Er stieg in die Fähre, holte den kleinen Werkzeugkasten hervor und begann, Löcher zu bohren. Das Fuchseisen wurde aufgespannt und so befestigt, daß die Kraft des stärksten Menschen es nicht vermochte, es loszureißen.

»So, das ist gethan!« lachte der Fex. »Nun her mit denen Wachsleinwanden.«

»Wozu?«

»Die roll ich auch zusammen und leg sie in die Fähr hinein, so daß es so scheint, als ob ein Mensch da liegen thät. Der bin natürlich ich.«

»Bist ein Schlaukopf, Fex!«

»Ja, wanns nöthig ist, da weiß ich schon, was man zu machen hat. Und das hier, thu ich gern.«

Als er das erwähnte Arrangement getroffen hatte, nahm er einen Strick zur Hand und sprang mit demselben aus der Fähre an das Ufer.

»Was willst mit denjenigen Stricken machen?«

»Die bind ich hier mit einem End um den Baum, und das andre kommt um die Füß des Fingerlfranz, daß er fein still halten muß.«

»Ach so! Wirst das auch bringen?«

»Sehr gut!«

»Es muß aberst rasch gehen!«

»Hab keine Sorg! Ich kann eine feine Schlingen machen. Je mehr er zerrt, desto festern zieht er sie zusammen. Und nun wollen wir uns die Gerten und Schwippen schneiden, die wir brauchen.«

»Sapristi! Also zuhauen?«

»Natürlich! Oder hast etwan Mitleid mit dem Kerl, der mich dermorden will?«

»Gar nicht! O nein! Ich werd zuhauen, daß ihm die Schwarte kracht wie Speck im Tiegel, wann man Wassern hineingießt. Der Kerlen ist werth, daß man ihn haut, bis er liegen bleibt.«

»So komm! Aberst nicht zu schwach und auch nicht zu stark dürfen die Ruthen sein. Die richtige Elastik müssens haben, daß sie fein aufschwippen und aberst doch nicht zerbrechen. Solche stehen ganz hier in der Nähe.«

»Aber eine Rachsucht wird er auf uns bekommen!«

»Daraus mach ich mir nix. Auch wird er es gar nicht sehen, von wem er den Staar gestochen bekommt. Der Mond scheint nicht durch die Bäume herein, und wir werden sehr fleißig arbeiten aber kein Wörtle dazu sagen.«

Der Fex schnitt sechs bis acht elastische Stöcke los und zog dann den Sepp in ein Versteck, welches hart am Ufer und ganz in der Nähe des Kahnes lag. Dort harrten sie der Ankunft des Mordgesellen.


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»Wird ihm das Eisen Schaden machen?« flüsterte der Wurzelsepp.

»Nein. Festhalten wirds ihn und auch ein Stuck von dera Haut mitnehmen. Die starken Knochen aber, die der Franz hat, kanns nicht zerschlagen.«

»Und neugierig bin ich, ob er schreien wird.«

»Ich auch.«

»Wann er schreit, verräth er sich doch selber.«

»Aber die Portion, die er erhalten wird, so still hinzunehmen, das ist auch viel verlangt. Hier hast Deine Stöcken. Wir haun so lange zu und halten nicht ehern an, als bis sie zerbrochen sind. Jetzt aberst nun still, sonst hört er uns und nicht wir ihn.«

Sie schmiegten sich an einander und gaben keinen Laut von sich. Es dauerte lange, sehr lange. Wer bei einer solchen Gelegenheit seine Geduld bewähren muß, dem werden die Minuten zu Stunden.

Endlich, endlich hörten die Beiden Etwas wie das Zerbrechen eines Zweiges. Bald hörten sie ein leises Rauschen, wie wenn jemand sich auf den Knieen im Grase fortschiebt und dabei ein dürres Blatt mit fortbewegt. Der Sepp stieß den Fex an.

»Er kommt,« raunte er ihm zu.

»Siehst ihn?«

»Hinter uns. Er schleicht um uns herum.«

Trotzdem es hier am Ufer und unter den Bäumen keinen Mondenschein gab, sah doch der Sepp, als er sich leise umwandte, die Gestalt des Fingerlfranz ganz hart an ihrem Versteck vorüberkriechen.

»Wann er sich nur auch fangt!« flüsterte er.

»Auf alle Fällen!«

»Wie wird er verschrecken!«

»Ehe er da zur Besinnung kommt, muß ich seine Beine bereits fest haben. Aberst nachhero, dann regnets Hiebe wie Schlooßen!«

Der Franz machte seine Sache gar nicht übel. Wer von seinem Nahen nichts wußte, konnte es ganz unmöglich bemerken. In einem kurzen Bogen kroch er um das Versteck der Beiden herum und befand sich nun an der Stelle, wo die Fähre fest am Ufer saß. Da blieb er eine ganze Weile regungslos liegen, um zu lauschen. Den Athem des Fex, wenn dieser in der Fähre geschlafen hätte, hätte er trotzdem nicht hören können, denn die Wellen rauschten leise und gurgelten hier und da, wo es eine Drehung gab.

Jetzt richtete er sich langsam auf. Er hob den Kopf über das erhöhte Hintertheil der Fähre ein Wenig empor, um zu sehen, ob der Fex sich in der letzteren befand. Trotz des Mangels an Mondenschein bemerkte er die zusammengerollten Wachsleinenstücke. Er hielt sie wirklich für den Fex.

Er legte beide Hände auf den Hinterbord, zog die Leine an und machte Anstalt, in die Fähre zu steigen. Natürlich griff er mit den Händen zuerst hinein - ein lauter, scharfer Knack - - -

»Au, au! Himmeldonnerwetter!« schrie er auf.

»Hat ihm!« flüsterte der Fex.


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Einige Augenblicke lang blieb es stille. Der Franz verhielt sich regungslos, doch schien es den Beiden, als ob sie seine Zähne zusammenknirrschen hörten.

»Fex!« sagte er dann halblaut.

»Ah! Der Kerl denkt auch, ich soll ihm helfen?«

»Fex, Fex! Wach auf!«

»Ja, ich komm schon!« flüsterte der Gerufene.

Er kroch hinaus und nahm das andere Ende des Strickes in die Hand. Der Fingerlfranz wurde von dem Fuchseisen an den Unterarmen festgehalten. Er konnte auch nicht sehen, was hinter ihm vorging, weil er mit dem Bauch hoch auf dem Borde lag und sein Kopf sich im Innern der Fähre tiefer befand.

Der Fex schlich sich heran. Zwei schnelle Griffe, und er hatte den Strick um die Beine des gefangenen Fuchses geschlungen. Ein starker Ruck, und er zog sie lang aus - ein Knoten gemacht, und nun lag der Gefangene so auf dem Bord der Fähre, wie die Beiden es sich nur wünschen konnten, nämlich der Kopf und die Füße tief, hoch oben aber derjenige Theil, welchem die milden Gaben der Freunde zugedacht waren.

»Hölle und Teufel!« schrie er auf, als er fühlte, daß ihm durch eine unsichtbare Kraft die Beine ausgestreckt und dann so festgehalten wurden, daß er sie nicht im Mindesten bewegen konnte. Die Antwort auf diesen Ruf folgte sofort, nämlich ein wunderbar takt- und regelmäßiges und zugleich äußerst nachdrückliches Aufschlagen der Ruthen auf den jetzt so erhabenen Körpertheil.

Es war wie wenn zwei Dienstmänner gemiethet sind, eine Stubendecke auszuklopfen; nur nicht so dumpf und leer klangen die Hiebe, sondern viel voller, viel fetter und viel schärfer.

Bei den ersten Hieben verhielt sich Franz ganz still. Er war vor Schreck ganz perplex. Dann aber brüllte er los, und aber wie!«

»Hilfe! Feurio! Mörder! Mörder! Hilfe!«

Je mehr er brüllte, desto stärker fielen die Hiebe.

Aber je mehr er brüllte, desto stärker und dichter fielen die Hiebe. Es war eine Arbeit, welcher sich die Beiden mit einem Eifer hingaben, als ob ihr Leben und ihr ganzes Glück davon abhänge.

Erst ein Stock war zerbrochen, und doch mußte der Sepp bereits ausruhen. Der Fex aber schien bei einem jeden Schlage größere Kraft zu gewinnen. Er gab sich Mühe, genau immer ein und dieselbe Stelle zu treffen, bis er annehmen durfte, daß sie sich im gefühlvollsten Zustande befinde. Dann ging er um einen Finger breit weiter.

Die lauten Schreie waren nur im ersten Schreck und Schmerz ausgestoßen worden. Sie verstummten bald, denn der Fingerlfranz sagte sich, daß er sich in einer Situation befinde, in welcher er sich nicht treffen lassen könne, ohne bedenklichen Verdacht gegen sein nächtliches Gebahren zu erwecken. Darum zog er es vor, das Hilferufen zu unterlassen.

Mit den Zähnen knirrschend und dumpfe Flüche ausstoßend, lag er da, keines Widerstandes fähig, trotz seiner so oft gerühmten großen Körperstärke. Bald konnte er nicht mehr fluchen. Es war ihm, als ob sein Körper ausgedehnt, gedehnt und weiter gedehnt wurde meilenlang und als ob da, wo seine


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Wildlederhose am breitesten war, ein loderndes Feuer brenne. Es summte ihm vor den Ohren, und er sah flackernde Lichter vor den Augen - und doch fielen noch immer die Hiebe regelmäßig auf ihn hernieder.

Doch nein - jetzt hörten sie auf. Der Fex hatte seinen letzten Stock zerschlagen, und der Sepp hielt zwar den seinigen noch unzerbrochen in der Hand, konnte aber den Arm nicht mehr bewegen.

»Komm!« flüsterte der Erste und zog den Alten fort.

»Wohin?«

»Nach der Mühlen.«

»Was willst dort?«

»Hilfe holen für den Franz.«

»Ja, gut! Na, werden die Augen machen, wann sie ihn erblicken! Ich möcht dabei sein!«

»Ich bin dabei. Du aber darfst Dich nicht derblicken lassen, sonst denkens gleich, daß wirs gewesen sind.«

»Warum sollens das nicht denken?«

»Hast eigentlich auch recht. Na, so komm!«

»Hör mal, Fex, wie ists Dir jetzt?«

»Sehr wohl.«

»Auch im Arm?«

»Zumal da ganz wohl.«

»Na mir grad nicht. Ich hab im Arm so ein Gefühl, als wann er so stark und dick sei wie ein Mehlsack. Es ist mir ganz dumm und taub worden.«

»Ich hätt noch längern mitmacht.«

»Ich konnt nicht mehr. Und meinst nicht auch, daß er genug hat, he?«

»Seine Portion hat er bekommen.«

»Aberst reichlich, sehr reichlich. Ich möcht mal sehn, wie er ausschaut, nämlich grad da, wo wir ihn ausklopft haben. Er muß gar sein und wie gekocht.«

»Hats auch verdient. Komm jetzt hinten hinein.«

Sie befanden sich an der Mühle, und der Fex bog um die Ecke derselben.

»Was sagen wir?«

»Das wirst hören. Laß nur vorerst mich reden.«

Er sprang über die Hofmauer und der Sepp hinter ihm auch. Die Hinterthür war bald geöffnet. Im Hausflur war es dunkel. Beide traten in die Stube des Müllers.

Dieser machte ganz eigene Augen, als er diese Beiden erblickte anstatt den Fingerlfranz.

»Der Fex!« rief er aus.

»Und ich auch!« fügte der Sepp hinzu.

»Der Wurzelsepp! Was wollt Ihr hier?«

»Einen Rath sollst uns geben,« sagte der Fex.

»Wozu?«


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»Es muß was passirt sein drüben an der Fähre.«

»So! Was denn?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie! Was! Du bist der Fährmann und weißt es nicht?«

»Ich trau mich nicht hin.«

»So! Ach! Wollen sehen! Was giebts also?«

Er griff nach der Peitsche. Der Fex erzählte:

»Ich hatt mit dem Sepp die Sängrin heimbracht und wollt nun den Sepp nach der Stadt führen, wo er schlafen will. Aberst wir sprachen vom Concertl und blieben dabei so oft stehen, daß wir halt gar nicht weit vorwärts kamen. Da auf einmal hörten wir um Hilfe rufen.«

»Wo?«

»Druben am Wassern.«

»Alle Wettern! Wer hat gerufen?«

»Wir wissens nimmer. Wir eilten zwar schnell hinzu; aberst als wir nahe herankamen, da erblickten wir zwei Gestalten, die waren fünfmal größer und höher als wir; die schlugen auf Einen los, der in der Fähr gelegen hat und immer nur so still vor sich hin wimmern that.«

»Mensch!« rief der Müller. »Du hast ihm nicht geholfen?«

»Ich hab mich nicht traut!«

»Nicht? Hast Dich etwan fürchtet?«

» Ja.«

»So will ich Dir sogleich den Muth machen!«

Er holte zu einem kräftigen Hiebe aus. Da aber that der Fex einige schnelle Schritte auf ihn zu, riß ihm die Peitsche aus der Hand und sagte:

»Mit der Peitschen ists nun mal aus, Thalmüllern!«

»Wa - wa - - was! Vergreifen willst Dich an mir!«

»Nein! Schlagen, wie der Anton Dich schlagen hat, das will ich nicht. Vergreifen will ich mich nicht an Dir; aber Dein Zornlappen, dent ausklopfen kanntst, wannt mal Lust dazu hattst, der bin ich auch nicht mehr.«

»Hallunk!«

»Sei still! Auch das Schimpfen hilft Dir nix mehr. Ich will Dir sagen, daß ich weiß, wer da drüben geschlagen worden ist. Der Franz ists gewesen.«

»Und Du hast ihm nicht holfen!«

»Ich? Dem!«

»Ja, Du mußt, denn Du weißt, daß er mein Schwiegersohn sein wird!«

»Der wird er nicht sein, der Mördern!«

»Mör - - -!«

Das Wort kam ihm nur halb über die Lippen.

»Ja, der Mördern!«

»So, so willst ihn schimpfen!«

»Es ist nicht geschumpfen, sondern es ist die reine Wahrheit.

»Willst Du's beweisen?«


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»Ja, das kann ich!«

»Nun?«

»Er hat mich morden sollen!«

»Ah!«

»Ja, derschlagen, ins Wassern werfen und vorher aberst die Brieftaschen abnehmen.«

»Lügner!«

»Willsts leugnen!«

»Das ist die reine Schlechtigkeiten von Dir, daßt den braven Kerlen in diesen Verdacht bringen willst!«

»Ists etwan auch eine Schlechtigkeiten, wann ich sag, daßt ihn selbst hingesendet hast?«

»Ich? Kerl, Du bist wahnsinnig!«

»Nachhero hast ihm die Paula dafür geben wollen!«

Der Müller schwieg eine Weile. Er gab sich den Anschein, als ob er vor großem Zorn nicht reden könne; es war aber nur der Schreck, der ihm die Sprache benahm.

»Wannst krank wärst,« stieß er dann hervor, »so wollt ich sagen, Du thätst phantasiren!«

Da wendete sich der Fex zum Sepp:

»Thu ich phantasiren, Sepp?«

»Nein.«

»Ists wahr, was ich sag?«

»Ja.«

»Hat der Franz mich ermorden sollen?«

»Ja.«

»Und der Müllern hat ihn gesandt?«

»Ja. Ich kanns beschwören.«

»Da hörsts!« sagte der Fex zum Müller.

»Himmelsakra!« fuhr dieser auf. »Ist denn die ganze Welt verruckt worden!«

»Oder bist selbern verruckt; denn nur einem Wahnsinnigen sollt man solche Unthaten zutrauen.«

»Auch Du, Sepp, klagst mich an!«

»Ich sag nur die Wahrheiten!«

»Und ich hab Dich gespeist, daß Dir das Fetten und die Buttern hüben und drüben am Maul herablaufen ist! Das nenn ich eine Dankbarkeiten! Aber Undank ist der Welt Lohn.«

»Hör, Thalmüllern,« meinte da der Alte im ernstesten Tone, »das wirf mir ja nimmer vor! Ich habs bereits sehr bereut, daß ich Dein Brod gessen hab!«

»So! Auch noch!«

»Ja, weilst der größte Schuft bist, den die Sonnen bescheinen thut. Weißt, wast gemacht hast?«


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»Was ich mach, das weiß ich stets!«

»Erst hast die Südana erwürgt - - -«

»Mensch, halts Maul!«

»Nachhero schickst den Franz zur Fähr, damit er auch den Fex derschlagen soll!«

»Ah, könnt ich nur auf, so thät ich Dich derschlagen, und zwar grad auf dera Stellen wot stehst!«

»So weit kommst halt nimmer! Ich steh da als Zeug und kanns mit tausend Eiden beschwören!«

»Meineiden sinds! Wie willst so was wissen!«

»Woher ichs weiß, und wie ichs derfahren hab, das werd ich Dir nicht sagen; ich werds erst sagen, wann ich mit Dir vor Gericht steht, Du in Ketten und Banden, ich aberst frei und mit gutem Gewissen!«

»Jetzt, jetzt nun hört aber Alles auf! Diese Kerlen kommen zu mir herein und beleidigen mich bis aufs Blut und reden auch noch von einem guten Gewissen!«

Da legte der Fex ihm die Hand schwer auf die Schulter und sagte im drohenden Tone:

»Willst Dich auch noch versündigen an diesem alten, braven Manne, Thalmüllern!«

»Brav? Ein Lügnern ist er. Ein falscher Angeber, ein böser Leumundsmördern!«

»Nun, ich seh, daß mit Dir nimmer zu reden ist, und so will ichs anderst machen mit Dir. Eigentlich sollt ich Dich vor Gericht anzeigen, aberst - - -«

»Auch noch! Anzeigen!«

»Ja; aberst Du hast ein gutes Kind, eine brave Tochtern, welche sterben wird vor Gram und Herzeleiden, wann ihr Vatern wegen Mord aufs Schaffot käm oder lebenslänglich ins Spinnhaus. Um ihretwillen will ich jetzt nix sagen. Aber denk ja nicht etwan, daß es Dir für immer geschenkt sei! Ich werd Dich beobachten und Dich nimmer aus denen Augen lassen. Sobald Du die Paula zwingen willst, den Franz zu heirathen, so bin ich allsogleich mit dera Anzeigen da. Und Zeugen hab ich mehr, alst denken kannst. Das magst Dir merken!«

Der Müller nahm seine ganze Selbstbeherrschung zusammen, seine Bestürzung zu verbergen. Es gelang ihm sogar, einen höhnischen Ton anzuschlagen.

»So! Hast sprochen?«

»Ja.«

»Und bist fertig?«

»Noch nicht ganz.«

»So mach, daßt fertig wirst. Nachhero werf ich Dich hinaus. Das hast reichlich verdient!«

»Das werd ich wohl abwarten können. Ich will Dir noch sagen, daß ich Dein Haus nicht wieder betreten werd und die Fähr auch nicht.«


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»Ach so! Willst wohl fort?«

»Ja.«

»Ohne meine Erlaubnissen!«

»Nach dera Erlaubnissen frag ich nicht. Ich könnt mir sogar den Lohn ausbitten, dent mir nicht mal angeboten hast, viel wenigern auszahlt; aberst ich will von Dir kein Geld haben, denn die Sünd klebt daran. Ich schenks Dir also. Nun weißts, ich geh fort von hier; aberst denk ja nicht, daß ich nicht weiß, wast machst. Ich werd Dich nicht aus denen Augen lassen, und wannst auf die Paula einen Zwang ausübst, so geh ich zur Polizeien, sag was ich weiß und laß Dich einstecken, Dich und auch den Franz!«

»Ah! Warum bin ich gelähmt? Warum kann ich nimmer aufistehn?« stieß der Müller hervor, um nur Etwas sagen zu können.

»Ja, der Herrgott hat bereits anklopft bei Dir. Er hat Dich an den Krankenstuhl fesselt, und es wird noch schlimmer kommen, noch viel schlimmer, wannt nicht in Dich gehst und Buße thust!«

»Schau, wast gut reden kannst! Warum bist denn nimmer ein Pfarrern worden, he?«

»Dazu hätts der Thalmüllern nicht kommen lassen. Aber ich bin fertig mit Dir. Ich will mich nimmer mit Dir streiten, denn bei Dir ist ein jedes Wort verloren, und Hopfen und Malzen dazu. Und eben weilst nicht auf kannst vom Stuhl, werd ich Dein Gesind wecken, damit die Leut hinübergehn zur Fähr und den Fingerlfranz frei machen.«

»Hölle und Teufel! Ist er anbunden?«

»Ja, und noch dazu hat er sich im Fuchseisen fangen.«

»Wo ist ein solch Eisen?«

»In der Fähr hatt ichs liegen, wann mal ein Mördern kommen thät, daß er sich fangen möcht. Und von wem er die Prügel bekommen hat, das kannst Dir nun auch denken und es ihm sagen. Ich brauch mich vor ihm nicht zu fürchten und auch vor Dir nicht und vor keinem Menschen. Ich steh unter einem dreifachen Schutz, und das ist mein König, mein Gewissen und mein lieber Gott. Bei Dir hab ich in Knechtschaft gelebt allezeit; von jetzt an bin ich frei. Ich schüttle hier den Staub von meinen Füßen. Leb wohl, Thalmüllern, leb so wohl, wiet leben kannst!«

Er ging, und der Sepp ging mit ihm. Im Hintergebäude schlief das Gesinde. Die Beiden weckten diese Leute und sagten ihnen, daß sie mit Laternen nach der Fähre gehen sollten, um den Franz zu holen.

»Und was thun nun wir?« fragte der Sepp.

»Geh Du in meine Kapellen, bis ich auch hinunterkomm! Wirst nicht lang zu warten haben.«

»Ach so! Willst der Paula das Zeichen geben?«

»Ja.«

»So will ich gehen.«

Er ging nach dem Felsen zu. Unterwegs aber murmelte er vor sich hin:

»In die Kapellen also soll ich! Zu dera Leichen hinab! Brrr! Und


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indessen steht oder sitzt er bei dera Paula und macht ihr die Liebeserklärung. Himmelsakra! Das laß ich mir nimmer gefalln! Hab ich die jungen Leutln zusammensteckt und beschützt, so will ich auch dabei sein, wanns einander zum ersten Mal das Busserl geben. Aberst klug anfangen muß ichs. Wo werdens hingehen?«

Er blieb überlegend stehen.

»Na, wo anderst hin als hinauf auf den Felsen ans Grab. Da ziehts ihn immer hin, und da giebts halt auch die Rasenbank, worauf man so schön mit Derjenigen zusammenrucken kann, mit der man nicht wieder ausnanderrucken will. Also da hinauf muß ich steigen. Ja freilich!«

Er stieg hinauf und versteckte sich hinter die dichten Sträucher, um den Lauscher zu machen.

Der Fex war nach der Seite des Hauses gegangen, wo sich Paula's Fenster befand. Er warf ein Wenig Sand an dasselbe: Es wurde geöffnet.

»Bists, Fex?« fragte es leise von oben herab.

»Ja.«

»Ich komme gleich!«

»Aberst nimm Dich vor denen Knechten und Mägden in Acht. Sie stehen auf.«

»Warum?«

»Wirsts sehen. Komm hierher; ich bleib da stehen.«

Nach wenigen Augenblicken stand sie bei ihm.

»Ich hab eine große Angsten ausstanden,« sagte sie.

»Warum?«

»Wegen Deiner. Weil der Franz hat zu Dir kommen wollen. Der hat Dir die Rache geschworen.«

»Hasts auch merkt?«

»Schon oft.«

»Ich fürcht ihn nicht. Komm, Paula!«

»Wohin?«

»Hinauf zum Felsen.«

»Zum Grab in dera Nacht?«

»Fürchtest Dich?«

»Wannt dabei bist, nicht.«

»Brauchst Dich auch sonst nicht zu fürchten. Die Zigeunerin ist eine gute Seelen gewest, und der liebe Herrgott wird sie zu sich nommen haben in seiner großen Gnad und Barmherzigkeit. Weißt, ein Mensch, wenn er brav ist, braucht sich an keinem Ort und vor Niemand nicht zu fürchten.«

Sie schritten nebeneinander dem Felsen zu. Dabei ergriff sie seine Hand. Als er ihre zarten, weichen Finger in den seinigen fühlte, wurde ihm so unbeschreiblich selig zu Muthe. Er hätte dieses Händchen festhalten und nie wieder loslassen mögen.

Jetzt erstiegen sie den Felsen.

»Willst Dich setzen?« fragte er, als sie an der Bank standen.


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»Du nicht auch?«

»Es ist wohl nicht Platz für Zwei!«

»O doch! Wir haben hier ja neben nander sessen als wir noch kleine Kindern waren.«

»Ja, klein. Darum hatten wir Platz. Jetzt aberst sind wir Beid größern worden.«

»So rücken wir zusammen. Komm!«

Sie zog ihn neben sich nieder. Er fühlte ihre Gestalt warm und weich neben und an der seinigen. Sie hatte früher gar oft seine Hand ergriffen; sie hatte auch neben ihm gesessen. Warum war es heut so viel anders als früher? Er beantwortete sich diese Frage nicht, weil er sie sich gar nicht vorlegte. Diese beiden jungen, reinen, unerfahrenen Menschen waren noch wirkliche Kinder, und dennoch wehte ihnen die Ahnung eines Himmels bereits entgegen. Die Herzen Beider waren so voll. Keins sagte ein Wort. Jedes suchte nach einem Anfange, aber es fiel ihnen keiner ein.

Da sahen sie Laternen näher kommen.

»Wer ist das?« fragte Paula.

»Euer Gesinde.«

»Was wollen sie hier?«

»Den Fingerlfranz holen.«

»Ist ihm denn was geschehen?«

»Ja, aber brauchst darum nicht zu verschrecken. Weißt, er fing Streit mit mir an und mit dem Wurzelsepp, und da haben wir - na, weißt schon!«

»Was?«

»Dasselbige, was ich damals im Walde that, als er so unartig gegen Dich war.«

»Habt Ihr ihn geschlagen?«

»Ja.«

»Also gar eine Prügeleien!«

»Nein, keine Prügeleien, sondern eine richtige Executionen, eine Bestrafung.«

»Wie denn?«

»Wir haben ihn anbunden und ihm grad so viel Schläg geben, wie er verdient hat.«

»Und nun muß er geholt werden?«

»Ja.«

»So kann er gar nimmer laufen?«

»Ich weiß nicht. Wir haben ihm den Strick nicht weggenommen. Vielleicht lauft er schnell davon, wann sie ihn nur erst losbunden haben.«

»Horch!«

Die Fähre lag gar nicht weit vom Felsen entfernt. Man hörte laute Rufe des Schreckes, des Erstaunens, dazwischen hinein ein tiefes Aechzen.

»Wer hat Dich aberst so zurichtet?« fragte ein Knecht.

»Weiß nicht,« antwortete Franzens Stimme.


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»Das mußt aberst doch wissen!«

»Es war finstern hier.«

»Und wie bist nach der Fähre kommen?«

»Ich wollt am Wasser hinauf.«

»Konntst auch am richtigen Weg bleiben, so wärs Dir nimmer arrumvirt. Vielleicht bekommen wir die Thätern heraus, wannsts erst richtig verzählt hast. Kannst laufen?«

»Ich weiß nicht.«

»Versuchs doch mal!«

»Ah! Oh! Brrr!«

»Thuts weh?«

»Freilich. Jede Bewegung sticht wie ein Messern und brennt wie ein Feuern. Ah! Oh! Puh!«

»Das ist noch nimmer da gewest!«

»Ja, die Hosen ist mir noch niemals da hinten so festklebt wie jetzund. Wann ich sie nur erst wiedern herunter hätt!«

»Du mußt doch schmähliche Hieben kriegt haben! Das Ledern ist hinten ganz entzwei. Das ist Alles zusammenbacken. Am Besten wirds sein, Du nimmst ein Faß mit Essigwassern und thust Dich da hineinsetzen, da lößts und thauts wiederum auf, so daßt wenigstens die Hosen vom Fleisch herunter ziehen kannst. Solln wir Dich liebern tragen?«

»Nein, nein! Da, wohin Ihr da greifen müßtet, da könnt ichs erst recht vor Schmerz nimmer aushalten. Ich wills liebern versuchen, ob ich laufen kann. Führt mich hüben und drüben unterm Arm!«

»So komm!«

Zwei derbe Knechte unterstützten ihn zu beiden Seiten, und er that einige Schritte, mußte aber bald stehen bleiben.

»Ffffffffft!« machte er es mit zusammengepreßten Lippen.

»Es thut halt wohl schlimm?«

»Als wann mir Einer die Haut abziehen thät!«

»Brrrr! Das muß halt eine Passion sein!«

»Und was für eine! Ich wollt, Du hättsts, aber nicht ich. Verstanden, Peter!«

»Dank sehr schön für solche Limonaden!«

»Ja, wanns Limonaden wär! Weiter!«

Er ging wieder eine kleine Strecke, bis er grad unter dem Felsen stand.

»Nun wirds mir fast zu bunt!« stöhnte er.

»Was wird der Müllern sagen!« meinte ein Knecht.

»Der? Na der ist eigentlich schuld daran!«

»Wieso?«

»Das geht Dich nix an! Aberst wann er nicht gewest wär, so wären jetzunder meine Hosen noch ganz und mein eigenes Leder auch. Hol ihn der Teuxel!«

»Den Hosentheil da hinten?«


Ende der zweiundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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