Der Weg zum Glück - Teil 5

Lieferung 5

Karl May

28. August 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Das werd ich Dir gleich sagen.«

»Nun?«

»Davon lebst und zehrst mit dem Vatern, bis ich wieder aus meiner Gefangenschaft zurückkehr.«

»Gefangenschaft?«

»Ja.«

»Was plauschest da! Wirst doch nicht in Gefangenschaft gehen, da sie Dich nicht ergriffen haben!«

»Doch werd ich gehen. Es ist besser, ich bin die Sorg los. Und nachhero wird die Leni mein Weib.«

»Die Leni? Da will ich gar nix dagegen haben; aber das mit dem Gefängniß, da wird nix daraus. Nicht wahr, Alter?«

Der Vater antwortete bedächtig:

»Der Anton hat noch nicht gesagt, wie er auf diesen Gedanken kommen ist. Wie ich ihn kenn, so thut er nix, ohne es sich vorher überlegt zu haben. Laß ihn reden. Wir hören ihn an, und sodann wird es sich zeigen, was wir davon zu denken haben. Also sprich, Anton!«

Und nun erklärte der Sohn, wie er durch Leni und seine Liebe zu ihr auf den Gedanken gekommen sei, dem Gesetze nachzukommen. Er sprach längere Zeit in aller Aufrichtigkeit und Eindringlichkeit zu den Eltern. Und als er fertig war, hatte er den Vater so überzeugt, daß dieser sagte:

»Hast Recht, Anton. Geh hinüber und stell Dich dem Gericht. Dann bists los.«

»Und wann?«

»Wann Du denkst.«

»Dann recht bald. Je rascher ich beginne, desto rascher bin ich es wieder los. Was meinst, ob ich heut schon geh?«

»Thu es, Anton. Etwas Gutes soll man nie nicht auf die lange Bank schieben.«

»Nein, nein, heut nicht!« rief die Mutter. »Heut, nachdem Du so Großes vollbracht hast, wollen wir Dich bei uns haben.«

»Und grad derowegen möcht ich gehen. Weißt, nun kommen die Leut all, und ich soll Red und Antwort stehen. Vielleicht kommt gar auch noch der Professor und will sich extra bedanken; das ist mir zuwider, und daher geh ich lieber fort.«

Die Mutter war nun freilich ganz dagegen, aber der Vater gab ihm Recht, und so wurde beschlossen, daß er sich noch heut dem Gerichte stellen solle.

»Fährst mit dem Freifräulein hinüber?« fragte der Alte den entschlossenen Sohn.

»Eigentlich wollte ich; aber sie wird mir widerreden.«

»Warum?«

»Sie will mich partutemang glücklich machen, und da paßt es ihr natürlich nicht in ihren Kram, daß ich gefangen bin. Ich möcht lieber ohne sie hinüber. Aber wann ich lauf, so ergreifen sie mich.«


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»Kannst auch fahren.«

»Mit wem?«

»Des Nachbars Knecht wollt hinüber mit Heu. Er ist nur durch das Unglück droben am Bergsturz abgehalten worden. Ich will mal nachschauen, ob er noch fährt.«

Er ging und kehrte schnell mit der Nachricht zurück, daß der Knecht doch noch fahre und bereits beim Anspannen sei. Nach kurzer Zeit sahen sie den Wagen vorüberrollen, und Anton nahm Abschied von den Eltern. Das brach ihnen das Herz keineswegs. Diese derben Leute haben sich auch lieb, aber ihre Liebe ist keine weichherzige; sie macht weniger Umstände als bei anderen Menschen.

Anton holte vor dem Dorfe den Wagen ein und kroch, da der Knecht bereits unterrichtet war und er ihm also keine lange Rede zur Erklärung zu halten brauchte, in das Heu, wo er nicht bemerkt werden konnte.

Es war wenig nach Mittagszeit, als sie in der Stadt ankamen. Anton ging sofort nach dem Gerichtsamte, wo die Bureaustunden für den Nachmittag eben begonnen hatten. In dem Anmeldezimmer befand sich der Amtswachtmeister und - der Nachtwächter, welcher entweder auch des Tages über hier eine Beschäftigung fand, oder in eigener Angelegenheit da zu thun hatte. Als der gute Mann den Wilderer eintreten sah, stand ihm vor Erstaunen der Mund weit offen.

»Herrgottsakra, der Krikelanton!« rief er aus.

Der Wachtmeister fuhr herum, betrachtete den jungen Mann und sagte:

»Das ist er? Das? Unmöglich.«

»Warum halt unmöglich?«

»Weil der Fuchs doch nimmer in der Höhle des Löwen erscheinen wird.«

»O, ein Fuchs verlauft sich auch mal!«

»So wärs wahr? Bists wirklich?«

»Ja, ich bins,« antwortete Anton ruhig.

»Bist nicht gescheidt! Kannst Dir doch denken, daß wir Dich festhalten!«

»Das weiß ich.«

»Und kommst dennerst?«

»Eben deswegen komme ich. Ich will halt hier festgehalten sein.«

»Bist wohl nicht richtig beim Kopfe?«

»Ich bin wohl sehr richtig.«

»Weißt, wen wir mal haben, den lassen wir nicht sobald gleich wieder fort!«

»Ich will auch gern bleiben. Kannst mich bei dem Herrn Amtmann melden.«

»Gleich bei dem? Warum nicht vorher bei dem Herrn Actuar oder Referendar?«

»Weil ich halt gleich reine Sach haben will.«

»Nun, so mußt noch ein Wenig warten. Setz Dich nieder. Da steht die Bank.«

Anton setzte sich. Der Nachtwächter wußte noch immer nicht, ob er seinen Augen trauen dürfe. Er kam langsam näher und fragte:


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»Willst Dich wohl gleich selbst freiwillig stellen?«

»Ja.«

»Das ist ein' Seltenheit.«

»Aber es ist besser, sonst fängst Du mich noch und arretirst mich ins Loch.«

»Das kann sein.«

»Meinst?«

»Ja. Ich hätt' Dich heut in der Nacht beinahe schon ergriffen und eingearretirt.«

»Glaub's kaum!«

»O ja! Aber als der Herrgottle den Schaden besah, warst Du es nicht, sondern ein Anderer.«

»Wer?«

»Hab den Namen vergessen.«

»Wohl der Baron von Höllendampf?«

»Verdimmi, verdammi! Du kennst ihn?«

»Sehr gut. Er hatte eine Brillen auf, eine Reitpeitsch und einen Hut zum Zusammen- und Auseinanderthun? Nicht wahr?«

»Ja. So einen Hut hab ich noch gar nimmer geschaut. Er konnt gedrückt und gezogen werden grad wie eine Ziehharmonie. Aber woher weißt Du es?«

»Weil ich dabei war.«

»Du?«

»Ja.«

»Es war nur ein Weibsbild dabei.«

»Ein Weibsbild und ich. Der Baron von Höllendampf war ich selber. Verstanden!«

»Du - Du - wärsts - - gewesen?«

»Ja.«

»Verdimmi, verdammi! Nicht zu glauben!«

»Hab ich Dich nicht gut angeschnauzt? Du bist davon gangen wie der Pudel, wenn man ihm Wasser auf den Pelz schüttet.«

»Hör mal, Anton, das will ich mir verbitten! So weit geht die unserige Freundschaft nicht, daß ich mich von Dir einen Pudel schimpfen laß!«

»Das hab ich halt auch nicht gethan. Es war doch nur ein Vergleich, den ich gemacht hab.«

»So giebts noch andere Sachen, mit denen Du mich vergleichen kannst; es braucht nicht eben grad nur ein Pudel zu sein.«

»Was denn? Ein Aff oder Heupferd?«

»Schweig! Hier befindst Dich auf amtlichen Boden, und wann Du mich verinjurirern willst, so kannst schon schnell eingesperrt werden!«

»Wohl wieder wegen Hausfriedensbruch auf nächtlicher Gassen? Hast wieder den Alibi gefunden vom Corpus delicatum?«

»Sei still, Anton! Davon braucht Niemand nix zu erfahren. Wann


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sie hören, daß ich Dich hab laufen lassen, so bekomm ich eine Nasen, die für fünf Nashörner und für zehn Aliphanten ausreicht. Die gestrengen Herren verstehen halt so leicht keinen Spaß. Eigentlich hab ich Alles zu verarretiren, was ich auf der Straßen find, wann ichs nicht kenne. Wer ein Amt hat, der hat auch eine Sorg. Es ist nur gut, daß mit dem Amt auch gleich allemal der Verstand kommt.«

Jetzt trat eine Person aus dem Bureau des Amtsmannes, welcher also nun zu sprechen war, und der Wachtmeister meldete Anton an, welcher sogleich vorgelassen wurde.

Der Beamte mochte überrascht sein, daß der vielgesuchte Wilderer freiwillig zu ihm komme. Er musterte ihn einen Augenblick lang, und diese Musterung schien von gutem Erfolg gewesen zu sein, denn er fragte in mildem Tone:

»Was führt Sie zu mir?«

»Mein freier Wille, Herr Amtmann. Ich möcht meine Straf absitzen.«

»Absitzen? Sie scheinen das plötzlich recht eilig zu haben!«

»Ja, je ehnter ich beginn, desto ehnter hörts auf.«

»Aber es ist Ihnen doch noch gar keine Strafe zuerkannt worden!«

»Nicht? Kann das nicht gleich sofort geschehen?«

»Nein. Es muß ja vorher über das Verbrechen oder Vergehen verhandelt werden.«

»Ich hab halt glaubt, das ist nicht nöthig. Es steht ja im Gesetzbuch geschrieben, welche Straf ein Verbrechen hat.«

Das war nun freilich eine sehr naive Ansicht, und sie wurde mit einer solchen Unbefangenheit geäußert, daß der Amtmann Mühe hatte, das Lachen zu verbergen. Es gab ihm die nöthige Erklärung und ließ ihm sodann eine Zelle anweisen, in welche Anton internirt wurde.

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Als heut am Vormittage Leni mit dem Wurzelsepp in die Kirche gegangen war, hatten Beide nicht bemerkt, daß sich der König bereits in derselben befand. Ludwig war bekanntlich ein begeisterter Liebhaber der Musik. Er wußte, daß der Cantor ein guter Spieler sei und hatte ihn veranlaßt, die Orgel zu spielen. Am Schlusse war er zu Leni und Sepp getreten und hatte sie aufgefordert, ihm zu folgen.

Er ging nach dem Pfarrhause, in dessen Hof die Beiden zunächst ein Weilchen warten mußten; dann wurden sie hinein gerufen. Sie kamen aber nicht, wie sie erwartet hatten, zu dem König, sondern zu dem Pfarrer, welcher sie höchst wohlwollend aufnahm und ihnen die Sitze anwies. Er wendete sich an Leni:

»Du weißt wohl, liebes Kind, daß ich stets eine aufrichtige Theilnahme für Dich gehabt habe. Der Grund dazu lag einestheils in dem Umstande, daß Du ein Waisenkind warst und anderntheils in Deinem fortwährenden Wohlverhalten, durch welches Du Dir die Achtung Aller reichlich verdient hast. Ich habe Deinen Entwickelungsgang scharf beobachtet. Ich kannte die Gaben,


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welche der Herrgott Dir verliehen hat, ohne daß Du es ahntest. Es sind reiche, aber auch gefährliche Gaben, an denen bereits manches Menschenkind zu Grunde gegangen ist. Darum und weil es hier keine Gelegenheit zur Ausbildung derselben gab, schwieg ich darüber und hütete mich, Dich darauf aufmerksam zu machen. Ich war der Meinung, daß das Weib eines braven Aelplers ebenso glücklich sein und wenigstens ebenso Gott zur Ehre leben könne wie eine Künstlerin, welcher sich die Versuchung und Verführung auf Schritt und Tritt entgegenstellen. Diese meine Meinung ist jetzt nicht mehr begründet. Es ist ein Anderer, welcher mächtiger ist, als ich es bin, auf Dich aufmerksam geworden, und er ist bereit, die herrlichen Gaben, welche Du besitzest, zur Ausbildung und Reife zu bringen. Du stehst heut vor einem hochwichtigen Wendepunkte Deines Lebens, und wir wollen bitten, daß die Entscheidung, welche Du triffst, Dir zum Heile und auch Andern zum Segen gereiche!«

Er hielt inne. Das klang so feierlich, daß es Leni noch banger werden wollte, als es ihr heut so schon war. Er fixirte sie mit seinem Blicke und fragte sodann:

»Weißt Du, welche Gabe ich meine?«

»Nein, geistlicher Herr.«

»So hast Du noch gar nicht gehört, daß Du für die beste Jodlerin weit und breit giltst?«

»Das hab ich schon bereits oft gehört, aber ich glaub es halt nicht.«

»Du kannst es getrost glauben; es ist wahr, der Herrgott hat Dir einen Reichthum in Deine Kehle gelegt, welcher unschätzbar ist. Es ist derselbe Reichthum, welchen Schiller meint, wenn er von dem gottbegnadeten Sänger Ibykus singt:

»Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
   Der Lieder süßen Mund Apoll,
So wandert er am leichten Stabe
   Aus Rhegium, des Gottes voll.«

Hast Du schon einmal eine Sängerin gesehen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Drin in der Stadt zum Jahrmarkt. Da war eine Gesellschaft hier, die spielten und sangen, und war auch ein Dirndl dabei, die konnts so gar sehr schön.«

»Hm!« lächelte der Pfarrer. »Was sang sie denn?«

»Sie hat gesungen:

Der Hahn kräht schon in aller Früh
Der Henne vor sein Kikriki.
Wann sich der Frühling melden läßt,
So singt das Schwalben in sein' Nest.
Sogar der dumme Gimpel schreit
Von Liebesgram und Liebesleid.«

»Nun das ist denn doch nichts gar Besonderes!«


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»Sodann hat sie auch gesungen:

Blickt der Jüngling nur die Jungfrau an,
Gleich fängt das Herz zu pinken an!«

»Auch das ist nichts Bewundernswerthes. Dieses Mädchen ist eben keine richtige Sängerin gewesen. Du wirst wohl noch keine gehört haben. So Eine, wie ich meine, die singt nur vor dem Kaiser und König, vor Fürsten und Grafen und verdient sich viele Tausende im Jahre.«

»Herrgottle!«

»Himmelsakra!« entfuhr es dem Wurzelsepp.

»Sie singt im Hoftheater, wo alle hohen Herrschaften auf ihren Gesang lauschen. Und wenn die Sorgen den König quälen, dann geht sie zu ihm und singt ihm aus einem Kunstwerke vor, wie David vor Saul gesungen hat, um die Geister des Leides zu vertreiben. Möchtest Du das nicht auch?«

»Vor dem Könige? Warum nicht?«

»Und würdest Dich nicht fürchten vor ihm?«

»Ich begreif nicht, warum ich mich fürchten sollt. Er würd mich schon nicht anbeißen. Er mag herbeikommen auf meine Alm; da will ich ihm vorsingen, so viel er begehrt.«

»Er hat keine Zeit, zu Dir zu kommen; aber er hat gehört, welch eine herrliche Stimme Du besitzest, und will Dich zu einem berühmten Lehrer des Gesanges thun, welcher Dich ausbilden soll, damit Du eine berühmte Künstlerin werden magst.«

»Mich ausbilden? Ich kanns ja schon!«

»Wohl kaum!« lächelte er.

»Na, ich brauch doch nur den Mund aufzumachen, so kommt es heraus!«

»Das ist kein künstlerischer, sondern ein roher Gesang. Du kannst ja sogar die Noten nur soweit, als es für den Festgesang hier in der Kirche erforderlich ist, wo Du allerdings stets meine beste Sängerin warst. Also der König läßt Dich fragen, ob Du ihm den Gefallen thun und Ja sagen willst.«

»Ich soll dem König einen Gefallen thun? Ja, das will ich schon herzensgern. Ich möcht ihm mein Leben geben, wann es gut für ihn ist. Aber eine Theatersängerin werden - - nein, geistlicher Herr, das kann ich nicht.«

»Sapperment!« entfuhr es dem Wurzelsepp.

»Warum nicht?« fragte der Pfarrer.

»Weil - weil - ich kanns nicht sagen.«

»Mir kannst Du es doch sagen und dem Sepp auch. Er ist Dein Pathe und Vater, und ich bin Dein geistlicher Berather, vor welchem Du keine Geheimnisse haben sollst. Dir graut wohl vor dem sündhaften Bühnenleben?«

»Ich weiß nicht, was die Bühn ist, und weiß auch nicht, obs dort eine so große Sünden giebt.«

»So hast Du einen andern Grund?«

»Ja.«


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»Welchen?«

»Ich möchts gern nicht sagen, geistlicher Herr.«

»Dummheit!« fuhr der Wurzelsepp auf. »Wann Dus nicht sagst, so sag ichs!«

»Ja, sag Dus!«

»Ihr Grund ist nämlich der Krikelanton.«

»Ah!« machte es der Pfarrer. »Ist er Dein Geliebter, liebe Leni?«

»Ja,« antwortete sie erröthend.

»Ein Wilderer!«

»Aber ein braver Bub!« antwortete sie schnell.

»Ob ein Wilderer brav sein kann, darüber wollen wir nicht streiten; er kann auf keinen Fall der Grund sein, daß Du den Wunsch des Königs nicht erfüllst, denn er ist nun ja todt.«

»Grad eben weil er todt ist, kann ich nicht.«

»Wieso?«

»Schau, geistlicher Herr, der Anton wollt heut nach Haus und seinen Eltern das Geld geben, was ihm der König geschenkt hat. Sie sollten davon leben, und er wollte indessen in das Gefängniß gehen, um freiwillig seine Straf anzutreten. Darnach wollte er nie wieder eine Gams schießen, und wir wollten Mann und Weib werden und brav arbeiten. Das hatten wir uns so gut und schön ausgesonnen, und nun ist er erschossen worden!«

Sie begann zu weinen.

»Das freut mich,« sagte der Pfarrer ernst. »Also ist er doch mit dem festen Vorsatz der Besserung gestorben und wird nun bei Gott Gnade finden. Aber Dich kann das in Deinem Entschlusse nicht beengen.«

»Gar wohl! Ich muß doch zu seinen Eltern!«

»Wie meinst Du das?«

»Die hab ich halt von ihm geerbt. Sie sind alt und arm. Ich hatt ihm versprochen, sie oft zu besuchen, wann er im Gefängniß sitzt. Nun ist er gar für immer fort, und da muß ich freilich nun ganz zu ihnen gehn.«

»Welch eine Dummheiten!« zürnte der Sepp.

Aber über das Gesicht des Pfarrers ging eine tiefe Rührung. Er streckte dem Mädchen die Hand entgegen und sagte:

»Das ist brav gedacht von Dir. Du hast das Herz da, wo es hingehört, Leni; aber wie nun, wenn die Eltern auch ohne Dich auskommen?«

»Das können sie nicht.«

»Ich meine, wenn ihnen unser guter König um Deinetwillen ein kleines Jahrgehalt zahlte?«

»Das wäre sehr brav und lieb, und ich wollt für ihn beten dafür, aber Geld thut es doch nicht; ich muß halt selber hin zu ihnen.«

»Wohl! Ich will nicht in Dich dringen; ich darf Dein Herz nicht hindern, in seiner Weise Gutes zu thun; aber es ist auch meine Pflicht, Dir zu sagen, worauf Du verzichtest. Es öffnet sich vor Dir eine Bahn des Ruhmes und der Ehre; Du sollst eine Künstlerin werden, welche da wirkt zum Preise


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Gottes und den Menschen zur Erhebung. Du kannst da an einem einzigen Tage mehr Gutes wirken, als sonst während Deines ganzen Lebens, wenn Du zu den Eltern Antons ziehst. Kennst Du das Gleichniß von dem ungetreuen Haushalter oder von den verschiedenen Pfunden? Die heilige Schrift verbietet es, das von Gott empfangene Pfund zu vergraben. Du willst die Dir verliehene Gabe verkümmern lassen; wenn Du das thust, so machst Du Dich einer schweren Sünde schuldig. Bedenke das wohl, meine Tochter!«

Es entstand eine Pause. Leni blickte vor sich nieder. In ihrem Gesicht sah man den Ausdruck der verschiedensten Gefühle kommen und gehen. Endlich erhob sie den schönen, jetzt so ernsten Kopf und sagte:

»Ich kann nicht, Hochwürden. Wann ich müßt vor den Theaterleuteln singen, dann müßt ich an den Anton denken und an seine alten, lieben Eltern, und dann thät ich stecken bleiben, denn die Kehl hätt gar keinen Platz für den Gesang.«

»Das denkst Du jetzt. Das Herzeleid, welches Dich heut bewegt, wird seine Macht mit der Zeit verlieren, und dann wirst Du es bitter bereuen, heut nicht auf meinen Vorschlag eingegangen zu sein.«

»Ich glaubs nicht, ich glaubs nicht. Was ich heut denk und fühl, das wird stets und immer so bleiben.«

»Du kennst das Menschenherz noch nicht. Es ist - -«

Er wurde unterbrochen. Die zum Nebenzimmer führende Thür, welche nur angelehnt gewesen war, wurde aufgestoßen, und der König trat herein.

»Hochehrwürden, dringen Sie nicht weiter in sie!« sagte er. »Es sind zwei Stimmen, welche jetzt auf sie eindringen, die Stimme der Kunst, welche trügerisch ist, und die Stimme des Herzens, welche stets nur Göttliches redet. Mag sie der Letzteren gehorchen. Ich verzichte auf die Genugthuung, welche ich bereits fühlte bei dem Gedanken, ein einfaches Kind meines Volkes emporheben zu können zur Höhe, in welcher die göttlichen Musen walten. Vielleicht hat Leni Recht. Sie kann als Künstlerin Gott dienen und viel Gutes wirken; aber denken Sie an die Worte Uhlands

»Doch schön ist nach dem großen
Das schlichte Heldenthum.«

Leni hat sich für dieses schlichte Heldenthum entschlossen, und vielleicht ist dasselbe Gott wohlgefälliger als der glänzende Ruhm, den wir ihr bieten und den sie verschmäht, weil sie auf die Stimme ihres Herzens und Gewissens achtet.«

Und dem braven Mädchen die Rechte auf das Haupt legend, fuhr er fort:

»Gehe hin und handle stets so, wie Du heute gehandelt hast, Leni; dann wirst Du stets den Frieden mit Gott und mit Dir selbst genießen. Dein König bleibt Dir gewogen, und hast Du später einmal einen Herzenswunsch, so komme zu ihm; er wird Dir ihn erfüllen. Für die Eltern des Krikelanton aber laß auch mich mit sorgen!«

Leni sank in die Knie.

Sie sank in die Knie, küßte mit tiefster Bewegung die Hand des hohen


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Herrn und ging dann fort, gefolgt von dem Wurzelsepp, welcher mit seinem Alpenstock in der Luft herum hantierte, als ob er alle Welt erschlagen wolle.

»Weißt, was Du gethan hast?« fragte er grimmig.

Sie antwortete nicht.

»Eine Dummheiten hast gemacht, eine unverschämt große und unverzeihliche!«

Und nach einer Weile fragte er wieder:

»Und weißt, was Du bist?«

Auch jetzt antwortete sie nicht.

»Eine Gans bist, eine sehr dumme! Keine Sängrin werden wollen! Herrgottsakra! Wann doch nur mir mal so ein Weizen geblüht hätt'! Ich hätt' sogleich laut geschreit: >Ich will zwei Sängrinnen werden und meinswegen auch gar drei!< Wie hättsts haben können! Seidene Kleider, tausend Gulden das Stück, ein Kammerdiener, eine Jungfer, ein Kutscher, ohne die Köchin und alles Andere! Und der König hätt' sein Freuden daran gehabt und der Wurzelsepp auch!«

Er machte vor Grimm so schnelle und weite Schritte, daß sie Mühe hatte, ihm zu folgen, und zürnte weiter, indem er mit dem Stocke fuchtelte:

»Und der Ruhm, der Ruhm und die Ehr, die Ehr! Wann der Vorhang aufgeht, so schmeißen sie die Kränz von allen Seiten Dir an den Kopf, und alle Tag kommt der Juwelerirer und bringt goldene Ring und Armbroschen und Halscastagnetterls oder Ohrdiademerls und Handbummerln, welche die Grafen und Herren Dir kauft haben. Und wann ich dann mal komm, um Dich zu besuchen, so trink ich Schokoladen und gieß Schamblanscher hinein und die Köchin setzt mir Maccaroninuderln vor mit Kiefiar und Austernbrei. Und nachher setz ich mich in Deine Eglipasche, fahr spazieren und streck den Leuten vor Stolz die ganze Zungen heraus! So sollte es sein! So konnte es sein! Aber Du - Du - -!«

Er drehte sich um, in der Absicht, ihr sein zornigstes Gesicht zu zeigen. Sie war fort.

»Herrgottsakra! Was ist denn das? Wo ist denn nun die Leni? Die ist mir allewegs eschappirt! Der hat mein Gezank nicht gefallen wolln, und da hat sie sich halt nach ruckwärts consternirt wie die Franzosen. Aber ich lauf auch zuruck und werd sie schon bald finden. Nachher soll sie schon ganz Anderes noch anhören müssen.«

Er wendete um, aber er fand die Leni nicht. Sie war, um ihn in ihrer Seelentrauer nicht auch noch anhören zu müssen, auf einem schmalen Gartenweg entschlüpft, welcher aus dem Dorfe hinaus führte. Sie wollte allein sein, allein mit den Gedanken und Gefühlen, welche auf sie einstürmten.

Der Antrag des Königs hatte gar wohl einen tiefen Eindruck auf sie gemacht. Wäre das nicht heute, sondern später gewesen, wo der Schmerz sich gemildert haben würde, so hätte sie vielleicht nicht Nein gesagt, denn das Singen war ihre Lust, ihre Passion. Fast war es ihr, als müsse sie umkehren und dem König sagen, daß sie seinen Wunsch erfüllen wolle.

So ging sie langsam hinter dem Dorfe hinab bis in die Gegend, wo


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der Weg empor zur Wohnung der Nachtwandlerin führte. Da wurde sie durch das Geräusch von Schritten aus ihrem Sinnen aufgeschreckt. Die Büsche, welche zu beiden Seiten des Weges standen, theilten sich, und der Freiherr von Brenner stand vor ihr, der Cousin Franza's.

Er hatte sie schon öfters gesehen und gedacht, eine kleine Liebschaft mit ihr zu beginnen. Es hatte aber nicht gepaßt. Jetzt hatte er, auf dem Weg nach dem Dorfe begriffen, sie kommen sehen und war stehen geblieben, die erste Angel nach ihr auszuwerfen.

Sie sah kurz zu ihm auf und wollte weiter.

»Halt, Mädchen!« sagte er. »Wohin?«

»Gehts Dich was an?« fragte sie kurz.

»Ja.«

»Warum?«

»Weil ich mit Dir reden muß.«

»Was hättst mit mir zu reden?«

»Kennst Du mich?«

»Ja.«

»Nun, wer bin ich?«

»Der Herr, der zuweilen droben bei der Nachtwandlerin auf Besuch ist.«

»Richtig. Hast Du mich gesehen?«

»Manchmal.«

»Ich Dich auch, und da hast Du mir immer sehr gut gefallen.«

»Du mir nicht. Adjes!«

Sie wollte fort, er aber ergriff sie bei der Hand und sagte in bittendem Tone:

»Bleib noch! Ich habe Dir ja nichts gethan!«

»Die Kröten und der Frosch haben mir auch nix gethan, und doch mag ich sie nicht leiden.«

»Vergleichst Du mich mit solch einem Ungeziefer! Du bist ein schönes Mädchen, und ich bin Dir gut!«

»Da bist dumm genug! Warum hast nicht Eine lieb, welche Dich leiden mag?«

»Weil ich es grad auf Dich abgesehen hab. Oder hast Du vielleicht schon einen andern Schatz? Der Krikelanton ist gestern Abend in Deiner Hütte gewesen. Ist der es vielleicht?«

»Ja, der ists.«

»Der! Sapperment! Der ist ein schöner Kerl. Wenn ich ihn einmal erwische, so wird es ihm sehr traurig ergehen.«

»Den wirst nimmer erwischen!«

»Oho! Wohl weil er mir gestern Abend entkommen ist, als er sich in unserm Hause versteckte und nachher mich niederschlug, daß ich die Besinnung verlor? Dem begegne ich schon wieder!«

Sie blickte ihn mit großen, starren Augen an, als ob sie einen Geist sehe.

»Was plauschst denn da?«


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»Ich plausche nicht. Der Kerl ist ja gar nicht erschossen worden. Er hat bis gegen vier Uhr da oben bei uns gesteckt und ist dann heim.«

Ein lauter, unartikulirter Schrei entrang sich ihrer Brust.

»Du lügst!«

»Es ist wahr!«

»Schwörs!«

»Ich kann alle Eide darauf leisten.«

»Und heim ist er?« fragte sie athemlos.

»Ja doch!«

»Das muß ich wissen!«

Sie wendete sich um. Er hielt noch ihre Hand fest, welche sie ihm in ihrer Ueberraschung gar nicht entrissen hatte. Er zog sie zu sich retour.

»Halt, schöne Leni! Für das, was ich Dir da gesagt hab, will ich eine Belohnung!«

»Was für eine?« fragte sie wie abwesend.

»Einen Kuß!«

»Geh da hinein zum Einödbauern und küß seine Kuh; die ist auch schön!«

Sie wollte sich losreißen; er aber hielt ihre Hand mit seiner Rechten fest, legte den linken Arm um sie und näherte seine zugespitzten Lippen ihrem Gesichte. Da riß sie sich mit einem kräftigen Rucke von ihm los und holte mit beiden Händen aus. Klitschklatsch, bekam er zwei gewaltige Ohrfeigen, so daß er sich mit beiden Händen nach den Wangen fuhr.

»Da hast die Watschen, alberner Bub! Den Kuß heb ich für den Andern auf!«

Sie rannte über die Wiese hinüber nach dem Wege, welcher zur Stadt führte. Er wollte ihr nach, hielt aber schon beim dritten Schritte ein, ballte die Faust und drohte ingrimmig:

»Verdammte Wespe! Das werde ich Dir gedenken! Du kommst mir schon wieder in den Weg!«

Ihr fiel es gar nicht ein, zurückzublicken, um zu sehen, welche Wirkung ihre Ohrfeigen hervorgebracht hatten. Ein großer, unaussprechlich glücklicher Gedanke schwellte ihre Brust:

»Er lebt! Er lebt! Er ist nicht todt!« jubelte sie laut hinaus.

Dabei rannte sie weiter und weiter, ohne sich Rechenschaft zu geben, was sie eigentlich wolle. Sie wollte mehr hören; sie wollte Gewißheit haben. Darum trieb es sie vorwärts auf denselben Weg, den auch er wohl gegangen war.

Gerettet, gerettet war er! Welch ein stolzer Gedanke, daß ihr Geliebter mitten in der Nacht über den Felsengrat gekommen war, trotz des Schusses und trotz der Verfolger. Das machte ihm Niemand nach, kein Einziger!

So eilte sie weiter, der Stadt entgegen. Sie erreichte dieselbe da, wo auch der Weg, welcher von drüben herüberkam, in die erste Gasse einbog. Ein mit zwei Pferden bespannter Leiterwagen kam ihr entgegen. An den noch an ihm hängenden Resten sah sie, daß der Knecht Heu geladen gehabt hatte.


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»Wo fährst hin?« fragte sie.

»Hinüber, jenseits der Grenz.«

»Nimmst mich mit?«

»Gern. Wohin willst? Zu wem?«

»Zum Krikelanton.«

Sie sagte das in ihrer Aufregung ganz offenherzig, ohne sich vorher zu fragen, ob es auch gerathen sei oder nicht.

»Wann Du zu dem willst, so kannst bleiben!«

»Warum?«

»Er ist nicht mehr drüben!«

»Wo sonst?«

Schon wollte sie die Angst beschleichen, daß er dennoch erschossen worden sei.

»Er ist hier in der Stadt, im Gefängniß. Er hat sich selbst freiwillig gestellt.«

»Herr mein Gott! Weißts gewiß?«

»Ja; ich hab ihn ja selbst hierhergefahren. Kennst ihn wohl gut?«

»Ja, sehr gut.«

»Kannst stolz auf ihn sein. Er hat noch vorher das Weib eines Professors aus Wien von der Felswand herabgeholt, wo sie seit gestern gehangen hat. Kein Anderer wollte hinauf.«

»Machst doch nicht Lügen?«

»Nein. Wenn Du mir nicht glaubst, so geh in das Amt und frag selber nach!«

»Das werd ich sogleich thun!«

Sie eilte weiter, in der Richtung nach dem Amtsgebäude. Der Knecht hatte sich nicht lange in der Stadt aufgehalten. Er hatte sein Heu abgeladen, einen Schnaps getrunken und war dann wieder aufgebrochen. Also war es auch nur wenige Minuten her, daß Anton sich auf dem Gerichtsamte befand. Die resolute Lein kannte weder Furcht noch Zagen. Sie wollte die Bestätigung dessen, was sie von dem Freiherrn und dem Knechte erfahren hatte; darum trat sie stracks in das Gebäude ein. Soeben kam der Nachtwächter die breite Treppe herab. Seine Dienstmütze bezeichnete ihn als Beamten. Uebrigens kannte sie ihn bereits.

»Kommst aus dem Amt?« fragte sie ihn.

»Ja.«

»Hast den Krikelanton gesehen?«

»Ei wohl! Warum?«

»Weil ich geglaubt hab, er ist todt.«

»Na, der und todt. Wann der mal gestorben sein wird, muß man ihn noch extra todtschlagen und auch noch an den Ast aufhangen!«

»Warum noch aufhangen?«

»Weil er den Galgen verdient hat.«

»Den Galgen? Hör mal, wann Du nicht der Wachterl wärst, so würde ich Dir jetzt eine Watschen in das Gesicht langen, daß Du meinen solltst,


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das A B C fängt hinten beim Z an anstatt vorn. Wann nur alle Leuteln so brav wärn wie der Anton!«

»Verdimmi, verdammi! Hat das Dirndl eine Schneid! Kennst denn den Anton?«

»Besser als Du!«

»So bist wohl seine Muhme oder gar seine Großmutter väterlicher Seits?«

»Nein, seine Urgroßahni bin ich, daßts weißt. Und wann ich Dein Ahnerl oder Großmutterl wär, so bekämst alle Tag die Ruthen und nix zu essen dazu! Den Anton schlecht zu machen, der keinem Niemand nie nicht kein Leid gethan hat!«

»Keinem Niemand? Nie nicht? Etwa auch mir nicht, he? Meinst?«

»Ja, das mein ich!«

»Schau doch mal an! Hat er mich nicht heut in der Nacht an der Nas herumgeführt, als ich ihn hab verarretiren wollen? Da hat er mir weiß gemacht, daß er ein Baron sei, und ich hab ihn laufen lassen. Ist das nicht eine Sünden und Schanden?«

»Nein, ein Spaß und Lust ists gewesen. Wann Du so eine dumme Nasen hast, so darfst nicht darüber reden, wenn man Dich dabei anfaßt. Und wann Du sie mir jetzt zu weit herbeihältst, so pack ich Dich auch dabei an und zieh Dich durch alle Straßen, die es in der Stadt giebt.«

»Alle Teufel! Bist Du ein resolut sakrisches Leut! Aber Euch wird schon auch noch der Muth vergehn! Wann nur erst der Anton für zehn Jahr im Zuchthaus steckt, dann wirds andere Gesichter und andere Reden geben!«

»Ins Zuchthaus? I Du Schlankerl! Ehe der hineinkommt, bist Du längst selbst drin! Was bist Du für ein talketer Wischwascherl! Jetzt werd ich gleich zum König gehn und ihm sagen, daß er den Anton freilassen thut!«

»Zum König? Freilassen? Bist wohl dumm!«

»Gescheidter bin ich als Du! Kannst nur gleich stehen bleiben und warten, bis der Bot vom König kommt und den Anton herausverlangt!«

»Verdimmi, verdammi! Bist wohl auch mit dem König Gevattern gewest?«

»Ja, damals, als Dir beim Taufgang unterwegs das Gehirnl erfroren ist. Weißt! Leb indessen wohl, und wart hier an der Thür, bis der Bot kommt!«

Sie eilte fort, durch die Gassen, zur Stadt hinaus und dem Dorfe wieder zu. Sie ging nicht auf dem gebahnten Wege, sondern immer geradeaus, durch Dick und Dünn, bergauf und bergab. So kam sie ganz außer Athem in der Pfarre an, wo sie von dem Priester mit einigem Befremden empfangen wurde.

»Geistlicher Herr, ist der König noch hier?« erkundigte sie sich.

»Ja. Er erwartet den Wagen, um baldigst abzufahren. Was ist mit Dir? Du siehst ja ganz sonderbar und überhitzt aus.«

»Ojegerl! Es ist auch darnach. Ich muß sogleich mit dem König reden.«

»Weshalb?«

»Weil ich eine Sängerin werden will.«


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»Wie? Was? Hast Du Deinen Entschluß so schnell geändert? Das bin ich an Dir gar nicht gewöhnt. Du hast stets einen festen Character gezeigt.«

»Den hab ich wohl auch jetzt noch. Aber es ist Etwas passirt, was mir die ganze Seel umgedreht hat. Der Anton ist nicht todt.«

»Was Du da sagst!«

Da ging die bereits erwähnte Thür wieder auf. Leni hatte sehr laut gesprochen, so daß der König ihre Stimme gehört und erkannt hatte. Er kam herein. Sobald sie ihn erblickte, sank sie vor ihm nieder, erhob die gefalteten Hände und rief:

»Herr König, ich muß Dich gar schön bitten, ich will Dir den Gefallen thun und Sängerin werden. Ich werde mir alle Mühe geben, und Du sollst gewiß Deine Freuden an mir erleben.«

»Woher diese plötzliche Sinnesänderung, mein Kind?« fragte der Monarch in mildem Tone.

»Weil der Krikelanton noch lebt. Also brauch ich nicht zu seinen Eltern zu ziehen.«

»Sollte das möglich sein? Er lebt! Er ist nicht todt! Ist das wahr?«

»Ja. Er ist entkommen und steckt jetzt drin in der Stadt auf dem Amt. Er hat gethan, was wir gestern verabredet haben. Er hat sich selber zur Straf gestellt und ist vorher bei den Eltern gewest. Da hat er auch die Frau eines Professors aus Wien gerettet. Sie hat oben an der Felswand gehangen seit gestern, und Niemand hat sich hinaufgetraut als nur der Anton.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich habs erfahren.«

»So erzähle!«

Sie erstattete ihren Bericht mit der Beredtsamkeit der Liebe. Der König hatte sie vom Boden aufgehoben und blickte nun mit Wohlgefallen in ihr schönes, vom Eifer geröthetes Gesicht. Als sie geendet hatte, meinte er:

»Aus Dem, was Du erzählst, geht allerdings mit Bestimmtheit hervor, daß er noch lebt, und daß es ihm durch außerordentliche List gelungen ist, sich freiwillig zu stellen. Der Bursche scheint es wirklich auf ernste Besserung abgesehen zu haben.«

»Ganz gewiß, Herr König! Und meinst nicht auch, daß ich nun Sängerin werden kann?«

»Da es so steht, so freut es mich, daß mein Wunsch in Erfüllung gehen kann.«

Da machte sie ein bedenkliches Gesicht und meinte:

»Ja, aber so leicht ists halt doch noch nicht!«

»Giebts noch eine Schwierigkeit?«

»Eine schier große.«

»So nenne sie mir. Ich will versuchen, ob sie vielleicht zu überwinden ist.«

»Das brächtst schon fertig, wann Du nur wolltst. Schau, wann ich Sängerin werd, so kann ich doch nicht bei den Eltern des Anton sein!«


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»Das ist richtig.«

»Aber er ist halt doch auch nicht bei ihnen, denn er steckt doch im Gefängnisse!«

»Aha!« lächelte der Monarch, mit dem Kopfe nickend. »Ich verstehe bereits.«

»Also muß ich doch hin und kann nicht eher Sängerin werden, als bis der Anton frei ist. Meinst nicht?«

»Das ist freilich rechtschaffen wahr.«

Sie blickte ihm mit rührender und doch zugleich pfiffiger Aengstlichkeit in das Gesicht und fuhr fort:

»Wann ich also Dir die Freud machen soll, Sängrin zu werden und wann dies sogleich geschehen soll, so weißt nun halt wohl, daß dies nicht gut angeht.«

»Ja, freilich; da werde ich verzichten müssen.«

Er sagte dies in absichtlich sehr ernsthaftem Tone. Das gefiel ihr aber nicht, und darum fiel sie schnell ein:

»Du meinst, daß ich es nun gar nicht werden soll?«

»Das nicht. Wir schieben es nur auf, bis der Anton wieder frei ist.«

»Da wirst aber sehr gefehlt haben!«

»Warum?«

»Hernach mach ich auch nicht mit.«

»Doch nicht!«

»Ja, dann ist mir halt schon bereits die Lust vergangen. Wann Du mich haben willst, so mußt mich gleich nehmen.«

»Du sagst aber ja selbst, daß dies nicht geht. Der Anton ist ja noch gar nicht frei.«

»Nun, da giebt es doch leicht Hilf und Rettung!«

»Wieso denn?«

»Du bist ja der König; Dich kostets halt nur ein einzig Wort, so machen sie die Thür des Gefängnisses auf und lassen ihn herausi.«

»Meinst?«

»Ja, das meine ich!«

»Aber ob er es auch werth ist!«

»Werth? Der Anton? Ich sage Dir, der ists mehr werth als mancher Graf und Baron, daß er eingesteckt wird und sogleich wieder herausi gelassen. Wann ich es Dir sag, so kannsts schon sehr gern glauben.«

»Hm! Das ist allerdings eine Bürgschaft, auf welche ich wohl eingehen möcht.«

»Willst?« fragte sie, indem ihr Gesicht vor Freude leuchtete.

»Ja, Leni, ich will. Dir zu Gefallen und weil er mir das Leben gerettet hat.«

»O heilige Jungfrau! Ists wahr, ists wahr? Komm her und gieb mir Deine Hand; ich muß Dir einen Kuß darauf geben! Das werd ich Dir nun und nimmer nicht vergessen. Und wann ich mal nicht schön sing, so


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brauchst mich nur an heut zu erinnern, so werd ich jauchzen, daß es klingt wie lauter Pfeifen, Zinken und Posaunen!«

Sie küßte ihm die Hand, während ihr die hellen Freudenthränen über die Wangen liefen.

»Das werde ich schon thun, wenn es nothwendig ist,« lächelte er. »Aber ich mache eine Bedingung.«

»Welche?«

»Du gehst gleich heut mit mir fort.«

»Heut schon?«

»Ja. Ist das nicht möglich?«

»O, wohl sehr. Ich hab nur meine Truhen zusammenzupacken und von dem Bauern Abschied zu nehmen. Und da soll ich wohl mit Dir fahren?«

»Ja. Ich nehme Dich gleich mit.«

»Herrjesses! Ich soll mit dem König fahren! Was werden da die Leuteln vor Augen machen! Aber wann wird denn da nun der Anton heraus gelassen?«

»Sofort. Ich werde gleich den Befehl geben, welchen der Ortsvorstand schleunigst auf das Amt schaffen mag. Du kannst jetzt gehen und mit dem Bauer sprechen. Ich gebe Dir drei Stunden Zeit; dann mußt Du mit Deinen Sachen hier sein.«

»Ja, schreib gleich! Ich wills selber dem Gemeindeburgermeister hintragen.«

Er mußte über die Eile lachen, welche sie hatte, that ihr aber den Willen. Er setzte sich an den Schreibtisch, schrieb auf einen leeren Bogen die Adresse des Gerichtsamtes und des Amtmannes und fügte hinzu:

»Der Wildheuer Anton Warschauer, welcher sich heute zur Untersuchung gestellt hat, ist augenblicklich zu entlassen, da Wir ihn begnadigen und die Angelegenheit niedergeschlagen wünschen. Amtliches Rescript folgt noch.
                                    gez. Ludwig II., König v. Bayern.«

Er setzte sein Siegel darunter, wozu er sich seines Ringes bediente, schloß den Bogen in ein Couvert, welches er ebenso adressirte und versiegelte und gab es sodann dem glücklichen Mädchen.

»Hier, Leni, spring zu dem Gemeindevorstand und gieb ihm seine Instruction!«

»Die soll er haben,« sagte sie schnell. »Brauchst schon gar keine Sorgen zu haben. Ich werd ihm schon Feuer unter die Füß machen, daß er laufen soll!«

Und husch war sie zur Thür hinaus. Sie eilte den Dorfweg hin, als ob es ein Menschenleben zu retten gelte. Als sie dann ganz außer Athem bei dem Gebieter des Gemeindewesens eintrat, sagte dieser:

»Die Leni! Ja, was bringst denn Du? Du bist ja gelaufen, daß Du nicht zu schnaufen vermagst! Und ein Gesicht hast, als wenn Dir das Christkindle begegnet wär!«

»Das ist auch beinahe schon so. Weißt, daß der Anton nicht todt ist?«

»Der Anton? Der hat sich doch verstürzt!«


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»Nein, das ist ihm gar nicht eingefallen. Er lebt. Er ist in die Stadt gangen und hat sich dem Gericht gestellt, um seine Strafen zu bekommen.«

»Was Du sagst! Ist's wahr?«

»Gar wohl ists wahr. Ich werds doch nicht sagen, wann es unwahr wäre. Und nun hab ich mit dem König gesprochen, der hat ein Gnadengesuch an den Amtmann gemacht, daß dieser den Anton sogleich aus der Gefangenschaft herauslassen soll.«

»Wie? Der König ein Gnadengesuch?«

»Ja.«

»An den Amtmann?«

»Ja.«

»Was fallt Dir ein! Der König wird doch nie und nimmer nicht ein Gnadengesuch an den Amtmann machen!«

»Glaubsts nicht? So laß es bleiben! Ich bin ja schon grad ganz selber dabei gewest, als er es geschrieben hat. Und ein Siegellack hat er auch darauf verbrannt und auch hier heraußen drauf. Schau her!«

Sie gab ihm mit triumphirender Miene den Brief in die Hand. Der Beamte betrachtete ihn auf allen beiden Seiten und sagte:

»Ja, das ist schon richtig das königliche Siegel. Was steht denn drin in dem Schreiben?«

»Hasts immer noch nicht gehört? Bist heut wohl recht langsam von Verstand? Der Anton soll herausgelassen werden. Er hat dem König das Leben gerettet; darum schenkt ihm der Ludwig nun die Freiheit.«

»Schau, schau! Das ist grad ebenso, als wann man in die Stadt geht zum Buchbinder in seine Leihbibliothek und leiht sich eine schöne, rührende Romannovelle zum Lesen. Der Anton lebt und wird begnadet! Wundersam! Aber warum bringst diesen Brief denn grad zu mir herbei?«

»Ich bin von dem König geschickt worden. Du sollst gleich Dein Pferd satteln und nach der Stadt reiten, um dem Amtmann den Brief zu bringen.«

»Satteln? Reiten? Ich? Hat er das gesagt?«

»Ei wohl!«

»Das ist ja ganz besonderbar! Ich hab keinen Sattel!«

»Er sagt, Du sollst Dir einen ausborgen.«

»Auch noch! Ich bin niemals in meinem Leben geritten, und heut soll ich den Courier oder gar die königliche Stafetten machen. Wann ich herunterfall, so ists gefehlt.«

»Der König sagt, es schadet nix, wann Du auch herabfallst. Die Hauptsache ist, daß der Brief so rasch wie möglich nach dem Gerichtsamt kommt.«

»So, das schadet nix? Aber wann ich fall und brech den Hals, so kommt der Brief doch gar nicht hin, sondern er bleibt mit mir liegen, und das Pferd läuft davon. Kann ich denn da nicht lieber mein Berner Wägele anspannen?«


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»Ja, das kannst auch, sagte der König; aber nur sehr rasch machen sollst!«

»Nun, das soll so schnell geschehen, wie es geschehen kann. Freilich hab ich das Pferd draußen auf dem Acker; da muß ich erst die Margreth hinaus senden, um es zu holen.«

»Wie lang dauert das?«

»Eine halbe Stunden. Ebenso lang brauch ich auch, um das andere Geschirr anzulegen, und saufen muß der Schimmel doch vorher auch; das macht eine gute Stunden wenigstens.«

»Und in einer halben Stunden läuft man zu Fuße in die Stadt!«

»Freilich wohl.«

»So lauf doch lieber!«

»Das geht doch nicht!«

»Warum nicht?«

»Der König hat befohlen, daß ich reiten soll oder fahren.«

»Aber er hat auch gemeint, wann das Pferd draußen auf dem Acker ist, sollst lieber laufen.«

»So, das hat er gesagt?«

»Freilich.«

»So werd ich laufen.«

»Aber halt schnell und nicht wie ein Schneck, so tipp - tipp - tapp! Verstanden?«

»Nein; es geht tipptapptipptapp!«

»So mach halt, daßt fortkommst!«

»Nun, so schnell gehts doch nicht. Ich muß wohl erst doch vorher die Stiefel anziehen. Mit meinen Dienstagsladschen kann ich doch schier nicht auf das Gerichtsamt gehen. Die Leuteln dort müßten schon denken, daß ich gar keinen Verstehst mich hält!«

»So mach so schnell Du kannst! Und, weißt, sag auch noch einen schönen Gruß von mir!«

»Dem Amtmann?«

»Nein, dem Anton natürlich.«

»Was hast denn mit Dem?«

»Das geht Dich halt nix an!«

»Meinswegen! Ich soll also warten, bis er frei ist?«

»Natürlich mußt Du richtig schaun, daß das Gnadengesuch auch richtig respectirt wird.«

»Es ist ja gar kein Gnadengesuch!«

»Was sonst?«

»Eine höchstselbige königliche Kabinetsurkundenschreiberei.«

»Das ist ganz egal. Gnade ist Gnade, ob sie aus dem Kabinet kommt oder ob sie auf einer Urkund steht; das thut nix zur Sachen. Jetzt werd ich gehen. Aber wann Du etwan in fünf Stunden noch hier stehst und das Maul aufsperrst, so lauf ich zum König und laß Dich vom Dienst bringen!«


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»Himmelsakra! Bist Du ein Weibsbild!«

»Euch Männern muß man auch allbereits die Höll heiß machen, sonst klebt Ihr an der Wand wie ein altes Kalenderblatt. Und noch Eins: Kennst etwan auch den Nachtwächter?«

»Natürlich schon!«

»Der immer >Verdimmi verdammi< sagt?« »Ganz denselbigen.«

»Wannst ihn siehst, so sag ihm ein schönes Compliment von mir und der Anton wär frei.«

»Warum ihm?«

»Das ist egal. Der König hats gesagt.«

»Auch das noch! Was nur der König mit dem Nachtwächter zu schaffen hat!«

»Darnach hast nix zu fragen. Plausch nicht ewig, und steig in die Strumpf, daß Du fortkommst!«

Sie ging, und der Gemeindevorstand zog sich so eilig an, daß er in vollen Dreiviertelstunden endlich den Weg unter die Füße nahm.

Freilich, wie er nun lief, so war er in seinem ganzen Leben noch nicht gelaufen. Das Umkleiden hatte sehr lange gedauert. Unterwegs aber strengte er sich so an, daß er nach Verlauf einer Viertelstunde bereits die Stadt erreicht hatte. Der Zufall wollte, daß ihm der Nachtwächter begegnete. Dieser kannte den Dorfbeamten und grüßte, verwundert über die Eile, welche derselbe zeigte.

»Wo willst hin?« fragte er. »Du fliegst ja allbereits wie eine Schwalben herein!«

»Aufs Amt.«

»Ists so eilig?«

»Sehr wohl! Und was ich Dir sagen will, ich hab auch ein schönes Compliment an Dich auszurichten.«

»An mich? Von wem?«

»Vom König.«

»Bist verruckt?«

»Ich hab meinen vollen Verstand.«

»So meinst wohl Einen, der König heißt?«

»Nein. Ich mein Den, der König ist. Er ist bei uns im Dorf.«

»Der Ludwig?«

»Ja.«

»Und der läßt mir ein schönes Compliment sagen?«

»Ja.«

»Verdimmi, verdammi! Das ist mir all mein Lebtag auch noch nicht passirt. Was soll denn dieses Compliment zu bedeuten haben?«

»Daß der Krikelanton frei wird.«

»Bist bei Trost?«

»Sehr. Hier hat der König einen Brief aufgesetzt an den Amtmann,


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den zeig ich vor, und da wird der Anton auf derselbigen Stell sofort freigelassen.«

»Das sollt man gar nicht glauben! Und das laßt der König mir kund und zu wissen thun?«

»Der König oder die Leni, ich weiß es halt nicht mehr so genau.«

»Die Leni! Die war im Amte vorhin. Verdimmi, verdammi! Sie sagte es, daß der Anton loskommen werd! Also hat sie Recht gehabt!«

»Wahrscheinlich hat sie ein guts Wörtle für den Anton eingelegt. Sie scheint beim König einen Stein im Sauerkrautfaß zu haben.«

»Schau, da muß ich mit; das muß ich sehn!«

»Was?«

»Den Anton, wann er herauskommt.«

»Meinswegen. Aber es wird wohl ganz derselbigte Anton sein, der hineingegangen ist.«

Sie eilten mit einander weiter. Der Wächter blieb vor dem Gebäude stehen, der Ortsschulze aber ging nach dem Wartezimmer und ließ sich bei dem Amtmanne melden. Dieser erstaunte nicht wenig, als er den Brief las. Er überflog die wenigen Zeilen zweimal und dreimal. Er prüfte jedes Wort und auch die Siegel. Es war gar kein Zweifel, der Brief war vom Könige.

Der Gerichtsamtmann ließ den Schulzen abtreten und den Krikelanton kommen.

»Kennst Du den König?« fragte er ihn.

»Nein. Ich hab von ihm gehört, ihn aber noch nie gesehen.«

»Hm! Er ist hier in der Nähe.«

»Ich weiß kein Wort davon.«

»Sonderbar. Ich habe soeben hier einen allerhöchsten Befehl erhalten, daß ich Dich entlassen soll.«

»Daran liegt mir nix.«

»Nichts? Das ist mir auch noch nicht vorgekommen!«

»Ich will meine Strafe abmachen.«

»Du hast nichts abzumachen. Die Strafe ist Dir geschenkt. Ich habe Dir mitzutheilen, daß die Untersuchung gegen Dich niedergeschlagen ist. Der König hat Dich begnadigt.«

Anton starrte den Amtmann sprachlos an.

»Ists wahr? Begnadigt?« fragte er nach einer Weile.

»Ja.«

»So erhalt ich gar keine Straf?«

»Nein.«

»Bin frei?«

»Ja.«

»Juch - juch - juchheirassassassassassassa!«

Er stieß einen Jodler aus, daß die Fenster zitterten und die Thür wackelte.


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»Pst! Beherrsche Dich!« mahnte der Amtmann wohlwollend. »Wir haben nun noch -«

»Beherrschen? Himmeltausendsakra! Da soll ich mich beherrschen! Ich bin frei, frei, frei! Da kann ich wohl jetzund fortgehen?«

»Freilich haben wir noch vorher -«

»Ich kann - ich kann?« fragte Anton nochmals.

»Ja, aber vorher mußt Du Dich unterschreiben -«

»Unterschreiben?« fragte Anton. »Schreib Du selbst mal meinen Namen hin. Ich hab heut keine Zeit und halt auch keine Lust dazu. Behüt Dich Gott!«

Wie der Wind war er zur Thür hinaus. Er sprang durch das Vorzimmer, oder vielmehr er wollte durch dasselbe springen; da aber trat der Ortsschulze auf ihn zu und so rannten die Beiden zusammen, daß sie wieder aus einander prallten und hüben und drüben an die Wände flogen.

»Herrgottssakra!« schrie der Schulze.

»Alle Wetter!« rief Anton.

»Nimm Dich doch in Acht, und schau auf, wohin Du läufst! Du haust mich ja an die Wand!«

»Und Du kannst auch die Augen aufmachen, daß Du siehst, wem Du auf den Leib rennst. Jetzt, wann ich von Glas oder Pfefferkuchen gewesen wär, so könntst mich nur wieder zusammenleimen lassen!«

»Hab ich das von Dir verdient? Ich hab Dich doch erst frei gemacht. Ohne meiner stäckst noch im Loch!«

»Ohne Deiner?«

»Ja.«

»Das machst mir nicht weiß.«

»Hab ich doch den Gnadenbrief gebracht!«

»Du?«

»Ja, ich! Ich bin der Schulz vom Dorf!«

Sie schrieen sich so laut an, daß es der Amtmann hören mußte. Dieser öffnete die Thür und sagte, als er den Krikelanton noch stehen sah:

»Anton Warschauer, wir sind ja doch nicht fertig!«

»Schau, daßt allein fertig wirst!«

»Das ginge wohl, aber Du brauchst doch meine Unterschrift.«

»Ich brauch sie nicht.«

»Nun, so lauf fort, und laß Dich arretiren!«

»Das fallt mir gar nicht ein!«

»Was willst Du dagegen machen?«

»Wer mich halten will, dem geb ich Eins auf die Nasen, daß er genug hat.«

»Das wäre Widerstand gegen die Staatsgewalt und würde Dich sofort erst recht in Strafe bringen.«

»Aber ich bin doch frei!«

»Ja, aber Niemand weiß es. Keiner wird es Dir glauben, wenn Du


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es ihm sagst. Aber wenn ich Dir die Bescheinigung gebe und Du zeigst sie vor, so darf sich Niemand an Dir vergreifen.«

»Schau, das ist sehr gut. So schreib mir doch sogleich die Bescheinigung! Ich will sie gern bezahlen.«

»Du hast nichts dafür zu zahlen. Komm herein!«

Jetzt nun ging er sehr gern wieder mit hinein. Als er wieder aus dem Zimmer kam, wartete der Schulze noch auf ihn.

»So,« sagte er. »Jetzt kommst wenigstens verständig heraus. Mein Kopf brummt noch von vorhin her.«

»So ist der Deinige dümmer als der meinige, denn der brummt halt nicht mehr.«

»Ja, ein Gescheidter bist, und Glück hast auch! Aber daran bist nicht Du schuld, sondern die Leni.«

»Die Leni? Wieso?«

»Wieso? Nun, die ist zum König gegangen und hat ein Supplik für Deiner gemacht.«

»Was! Die Leni! Wo ist denn der König?«

»Im Dorf beim Pfarrer.«

»Himmelsakra! Da muß ich hin! Der Leni muß ich einen Kuß geben und tausend Dank!«

Er wollte fort. Der Schulze ergriff ihn beim Arme.

»Langsam, Anton, langsam! Wannst zur Leni willst, so können wir halt Beide zusammen -«

»Laß mich aus! Was willst noch von mir! Ich hab mit Dir nix zu schaffen. Ich muß fort.«

Er schob ihn zur Seite und eilte zur Thür hinaus.

Die Treppe abwärts nahm er zwei oder gar drei Stufen auf einmal. Unten neben dem Eingange stand der Wächter. Er hörte Jemand gerannt kommen und trat in demselben Augenblicke in den Eingang, an welchem Anton zu gleichen Beinen heraus wollte. Natürlich rannten sie zusammen, und zwar mit solcher Gewalt, daß der Nachtwächter rückwärts herausflog und einen riesenhaften Purzelbaum bis auf die Mitte der Straße schlug.

»Donner unds Messer!« rief Anton, sich die Stirn reibend. »Da rennt halt schon wieder Einer an mich heran! Was habens heut nur vor, daß sie Alle nur auf mich einistürzen! Der Wachter ists, der Wachter! Na, dem kann ichs grad gönnen!«

Der Wächter der Nacht krabbelte sich langsam wieder aus dem Schmutze auf, kam fluchend herbeigehinkt und meinte in zornigstem Tone:

»Ist das denn eine Art und Weisen, auf der Amtstreppen herunter zu springen, Du Luftikus Du! Kannst nicht langsam gehen und verständig und ehrerbietig wie andere Leut!«

»Soll ich etwan ehrerbietig wegen Deiner gehen?«

»Ja, das versteht sich; grad das verbitt ich mir! Ich bin auch ein Mann in Amt und Würden!«


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»Das sah ich grad, als Du da im Dreck lagst.«

»Schweig! Wer ist schuld daran, daß ich da drin gelegen bin? Du natürlich!«

»Ich? Nein, Du selbst! Warum trittst mir sogleich vor die Nasen, wann ich aus der Thür will? Was lungerst überhaupt hier herum? Geh nach Haus und leg Dich in Deine Mausefallen schlafen, damit Du dann in der Nacht die Augen offen hast!«

»Komm mir nicht so, sonst - verdimmi, verdammi - sonst nehm ich Dich zwischen die Finger und werf Dich über alle Berg hinüber!«

»Das möcht ich mit anschaun. Ehst mich aber da hinüber wirfst, kannst erst noch mal her zu mir sehen. Du hast mich doch fangen wollen. Jetzt kannst mich leicht derwischen. Greif zu!«

»Dank schön! Wann Du nun frei bist, kannst gut so sprechen. Aber wann wir wieder mal nach Dir suchen, so nimm Dich in Acht vor mir. Da wird Dir keine Brillen Etwas helfen und kein Ziehharmoniehut, wie Du in der Nacht auf dem Kopf hattest. Dir hab ich es getippt, Dir und der Leni!«

»Auch der Leni?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil sie mich angeschnauzt hat wie einen Vagalumpazi, als sie vorhin hier war.«

»Was? Sie war hier?«

»Freilich. Sie hat nach Dir gesucht. Sie hat halt geglaubt wie Alle, daß Du Dich zu Todt gestürzt habest, und als sie hörte, daß Du noch am Leben seist, ist sie her kommen, um zu sehen, obs auch wahr sei.«

»Das liebe Dirndl! Und da hasts gesehn?«

»Ja.«

»Und mit ihr gesprochen?«

»Ja, und wie!«

»Nicht wahr, sie ist ein herzig Maderl?«

»Herzig? Verdimmi, verdammi! Davon hab ich nun grad gar nix geschaut. Sie hat mich anrassaunt, daß mir Hören und Sehen vergangen ist. Na, die ist Eine, welche mal den unstätsten Mann kurirt! Die hats Maul auf dem richtigen Fleck! Die, wann die mal stirbt, so muß man ihr das Mundwerk noch extra verkrämpeln und derschlagen, sonst schimpfirt sie noch im Grab weiter fort!«

»Meinst?«

»Ja, das mein' ich halt. Sogar Waatschen hat sie mir angeboten! Mir, dem Wachter!«

»Sie hat halt wohl gemeint, daß Du besser wachst, wann Du zuweilen durch eine gute Waatschen aufmuntert wirst. Unrecht hat sie wohl nicht.«

»Was? Wie meinst? Ist das Dein Ernst?«

»Alleweil red ich mit Dir immer im Ernst.«


// 120 //

»So wags nur nicht wieder! Ich steh hier vor Dir in Amt und Würden, und wann Du mir so kommst, so ist das die Beleidigung der königlichen Majestät und Hoheit und eine Zerbrechung des Landfriedensbruches. Darauf ist halt eine hohe Strafen gesetzt, und wann ich jetzt hinein geh und Dich anzeig, so wirst wieder eingesponnen und kommst halt Dein Lebtag nimmer wieder heraus!«

»Schau, was Du da sagst! Ja, Du bist Einer, vor dem man genugsam Respect haben muß. Mir wird ordentlich angst vor Dir, und da ist's besser, ich laß Dich hier stehen. Kauf Dir für zwei Kreuzer Tischlerleim und mach Dir den Bruch des Landfriedens wieder ganz. Grüß Deine Majestät und schlaf wohl!«

Er ging.

»Verdimmi, verdammi!« brummte der Wächter. »Da läuft er hin, auf Königs Gnad und Barmherzigkeit. Ich, wann ich König wär, ich wollt ihn schon kuranzen! Aber so ist's in der Welt: Wer ein Amt hat, vor dem hat kein Mensch die richtige Ehrerbietung. Wann man nicht selbst seine Hochachtung für sich hätt, so wär es fast gar aus. Ich danke sehr schön!«

Anton war natürlich außerordentlich entzückt über seine Begnadigung. Er war frei. Er konnte gehen, wohin er wollte, und kein Mensch durfte ihm ein Hinderniß in den Weg legen. Er konnte dieses Glück kaum fassen. Und das hatte er seiner Leni zu danken. Natürlich war sein erster Weg hin zu ihr. Er eilte aus der Stadt hinaus und dem Dorfe entgegen.

Um möglichst schnell dort anzukommen, ging er nicht die Straße, sondern er schlug einen Fußsteig ein, welcher ihn eher zum Ziele bringen mußte. Dieser Weg führte durch ein kleines Gebüsch. In der Mitte desselben machte er eine Krümmung. In dem Augenblicke, als Anton in diese einbiegen wollte, kam ihm Einer von jenseits entgegen, und da wegen der Weichheit des Bodens die Schritte nicht zu hören gewesen waren, stießen die Beiden zusammen.

»Sakrament!« rief Anton. »Rennt denn heut auch Alles auf mich ein!«

»Donnerwetter!« schrie der Andere. »Der Krikelanton! Hab ich Dich! Endlich, endlich!«

Anton wich einen Schritt zurück.

»Der Naz, der Jager!«

»Ja, Bursch, der bin ich! Aber wie ist mir denn alleweil! Ich denk, Du bist todt?«

»Ja, das bin ich auch!« lachte Anton.

»So bist jetzt Dein Geist?«

»Ja, ich geh um.«

»Schau, das ist schön! Das ist gut. Ich hab vor Zeiten den Geisterbann gelernt. Vielleicht kann ich auch Dich jetzt bannen. Wo hast denn Dein Gewehr?«

»Meinst, ich hätt eins?

»Ja, Du hast stets eins.«

»So suchs!«


Ende der fünften Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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