Der Weg zum Glück - Teil 61

Lieferung 61

Karl May

24. September 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Wenn er das aber leugnet!«

»Das hilft ihm nichts. Uebrigens habe ich ein gutes Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen, nämlich hier die vielen mit seinem Namen unterschriebenen Empfangsbescheinigungen über erhaltene Schmuggelwaaren. Er wird es nicht so weit treiben, daß ich diese Unterschriften dem Gericht übergebe.«

Er hatte die Brieftasche geöffnet und ein Päcktchen Wechsel und sodann ein ebenso großes Päcktchen Empfangsbescheinigungen hervorgenommen. Weiter enthielt die Tasche nichts. Er klopfte mit der Hand auf diese beiden kleinen Packete und fuhr fort:

»Wir haben uns tüchtig schinden müssen, ihn im Spiel zu überlisten. Nun aber ists gelungen, und den Gewinn lasse ich mir auf keinen Fall entgehen.«

»Nimmst Du zur Mittwoch diese Wechsel mit zu ihm?«

»Wozu sollte ich sie mitnehmen?«

»Um sie ihm zu präsentiren.«

»Das fällt mir nicht ein. Ich gebe sie, wenn er uns ja abweisen sollte, dem Advocaten. Der mag sie ihm präsentiren und auch sogleich den Prozeß beginnen. Jetzt aber nimm den Brief und schaffe ihn fort. Es ist heut sehr spät geworden, und ich will schlafen gehen.«

Der Sohn ergriff den Brief. Ihn betrachtend, las er die Adresse laut vor und fügte dann hinzu:

»Die Herren werden sich wundern, wenn sie ein Schreiben erhalten, welches mit einem Guldenstücke versiegelt worden ist.«

»Sollte der Kery etwa sein Petschaft zum Versiegeln nehmen, damit sie entdecken könnten, wer der Schreiber ist? So dumm ist er freilich nicht. Jetzt mach, daß Du fort kommst!«

»Du hasts heut eilig mit dem Schlafe. Ich aber muß noch hinaus in die Nacht.«

»Wird Dir nicht viel schaden. Wer jung ist, braucht sich nicht vor so einem Weg zu fürchten.«

Der Sohn ging. Der Alte legte die Päcktchen in die Brieftasche und diese Letztere in das Kästchen zurück, welches er dann zuschob. Die Kommode aber verschloß er nicht. Er brauchte sie, die ihm als Schreibepult diente, ja gleich morgen früh wieder, wo er den erwähnten Brief zu schreiben hatte. Er stand vom Stuhle auf, riegelte die Thür von innen zu, ergriff die Lampe und ging in die nebenan liegende Schlafkammer. Dort zog er sich aus, blies die Lampe aus und legte sich ins Bett.

Ludwig hatte nicht nur Alles gesehen, sondern auch Alles gehört. Besser hatte es gar nicht gehen können. Es war ihm Alles so mundrecht gemacht worden, daß er gar nicht zu warten brauchte, bis er Alte eingeschlafen war.

Die Kommode stand so nahe am Fenster, daß er, wenn das Letztere geöffnet war, das betreffende Kästchen mit der Hand erreichen konnte, ohne in die Stube steigen zu müssen.

Er schob das Fenster leise, leise auf. Es gelang ihm dies, ohne daß


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dabei das mindeste Geräusch verursacht wurde. Er zog ebenso leise das Kästchen heraus und griff nach der Brieftasche.

»Soll ich sie mitnehmen?« fragte er sich. »Nein, sie muß hier bleiben, damit er sie nicht sogleich vermißt.«

Er öffnete sie, nahm die beiden Päcktchen heraus und steckte dieselben ein. Als er dann die Brieftasche wieder zumachte, war diese nun freilich sehr dünn geworden.

»Hm!« dachte er. »Wann er das bemerkt, so ists gefehlt. Ich muß irgend was hinein thun, damit sie noch so dick ist wie vorher.«

Er hatte eine Zeitung bemerkt, welche auf dem Fensterbrette lag. Er nahm dieselbe und brach sie so zusammen, daß sie die Größe der Brieftasche bekam, in welche er sie nun steckte. Die Letztere wurde nun zugemacht und an ihren Ort zurückgelegt. Dann schob er das Kästchen zu.

Jetzt galt es, den Fensterflügel so heran zu ziehen, daß der Bauer nicht sogleich bemerken konnte, daß das Fenster offen gewesen sei. Er zog also sein Taschenmesser hervor, stach die Spitze desselben in das Holz des Flügels und zog den Letzteren zu. Jetzt war es geschehen.

Er kletterte auf dem Wege, auf welchem er heraufgekommen war, wieder hinab und stieg über den Zaun. Draußen blieb er stehen, holte tief Athem und seufzte erleichtert:

»Gott sei Dank! Jetzt ists gelungen! Nun mag er die Wechseln präsentiren und die anderen Papieren dem Gericht zeigen. Die beiden heutigen sind auch schon mit dabei, denn ich hab gesehen, daß er sie mit dazulegt hat. Nun ist dera Kery gerettet und kann nicht zwungen werden, ihm die Gisela zu geben. Ich bin dera Retter, und wann der Kery ein Gewissen im Leib hat, muß er mir nun wieder freundlich gesinnt werden.«

Er begab sich nun auf den Rückweg, war aber kaum einige Schritte gegangen, so blieb er stehen.

»Hm! Der Briefen, den der Sohn nach dem Anhaltepunkt schafft, wann ich denselbigen haben könnt, so wär es sehr gut für mich.«

Er sann einen Augenblick nach, dann wendete er sich um und eilte in einer andern Richtung weiter.

Der Weg, welchen er jetzt eingeschlagen hatte, führte nach einem nahen Dorfe, welches von der Bahn berührt wurde. Dort gab es einen kleinen Bahnhof oder vielmehr Anhaltepunkt, an welchem die Züge nur nach Bedürfniß hielten. Und dort befand sich der Briefkasten, in welchen der junge Osec den betreffenden Brief stecken wollte.

Als Ludwig ungefähr fünf Minuten gelaufen war, hörte er Schritte, welche ihm entgegen kamen. Er trat zur Seite und duckte sich nieder. Der Begegnende ging in ihm vorüber, ohne ihn zu bemerken.

»Das war dera Osec. Er kommt schon zurück. Nun kann ich weiter.«

Er stand auf und setzte seinen Weg fort. Bald erreichte er das Dorf und auch das Stationsgebäude. Aber als er nun vor dem Letzteren stand, kam ihm der Gedanke, an welchen er bereits längst hätte denken sollen:


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»Sapperloten! Ich will den Brief haben; aber wie kann ich ihn bekommen? Er ist doch nun in dem Kasten! Vielleicht hat dera Osec ihn nicht ganz hineinsteckt, so daß ich ihn noch derwischen und wiederum herausiziehen kann.«

Er wußte, daß der Briefkasten sich um die Ecke befand. Eben als er um dieselbe treten wollte, stand eine andere Person im Begriff, ihm entgegen um sie zu biegen. Die Beiden prallten zusammen.

Es gab hier kein Steinpflaster. Darum waren die Schritte nicht zu hören gewesen, und übrigens war Ludwig so leise wie möglich aufgetreten.

»Himmeldonnerwetter!« rief der Andere. »Nimm Dich doch in Acht! Siehst Du mich denn nicht?«

»Nein, ich hab Dich nicht hört und auch nicht sehen.«

»So paß auf!«

»Ebenso kannst auch Du Aufpassen!«

»So! Ich! Freilich ist das Aufpassen mein Amt. Und vielleicht ist es gut, daß ich heut aufgepaßt habe. Es geht heut Nacht hier ja recht rege zu. Vor kaum einer Viertelstunde hörte ich Einen hier; aber als ich kam, war er schon fort. Und nun treffe ich schon wieder auf Einen. Das ist ja ein außerordentlich lebhafter Verkehr. Wer bist Du denn eigentlich?«

»Sag mir doch zuvor, wer Du selbst bist, und obst ein Recht hast, hier herum zu schleichen und die Leutln auszufragen.«

»Dieses Recht hab ich gar wohl. Es ist sogar meine Pflicht, denn ich bin die Bahnpolizei.«

»Sappermenten! Da bist freilich ein gar großer Kerlen, und da werd ich sogleich einen gewaltigen Respecten vor Dir haben.«

»Das kann ich auch verlangen!«

»So! Bist wohl ein Mann von großer Bedeutung?«

»Ja. Mir ist der ganze Bahnhof anvertraut. Ich bin der Bahnhofswächter.«

»So! Hab mirs doch gleich denkt, daßt nicht dera Herr Director bist.«

»Wieso denn?«

»Weilst mich gleich Du nannt hast. Ein Anderer hätte doch wenigstens Sie gesagt.«

»Ach so! Soll ich Dich etwa Herr Baron oder Herr Professor nennen? Thu nur nicht groß! Von so einem Bayerländer lasse ich mir nichts befehlen.«

»Woher weißt, daß ich aus Bayern bin?«

»Deine Sprache sagt es deutlich genug.«

»Da magst Recht haben. Ein Bayer ist gar leicht zu erkennen. Aberst daßt dera Bahnhofwächtern bist, das glaub ich halt nicht.«

»So! Warum willst Du es nicht glauben?«

»Weil es keinen giebt. Ich bin hier auch bekannt und weiß genau, daß hier kein Wächtern anstellt ist.«

»Da irrst Dich sehr. Ich bin bereits seit vierzehn Tagen hier im Amte. Es sind einige Male des Nachts Ungehörigkeiten vorgekommen, verübt von losen Buben, und da hat man eben einen Wächter angestellt.«


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»Und der bist Du?«

»Ja. Du glaubst es wohl nicht?«

»Ich muß es halt glauben.«

»Nun siehst Du also ein, daß ich ein Recht besitze, Dich zu fragen. Uebrigens muß ich Deine Stimme schon gehört haben. Sie kommt mir bekannt vor.«

»Ich bin der Ludwig vom Keryhof in Slowitz drüben.«

»Der Ludwig! Habe es mir doch gleich gedacht! Und ich bin der Schustermax, der bei Euch im Herbste tagelöhnern thut, wenn es nach der Ernte viele Arbeit giebt.«

»Dera Max! Drum ist mir Deine Stimme auch gleich bekannt vorkommen. Also der Bahnhofswächtern bist! Da hast wohl auch eine Uniformen an? Man kann es bei dera Dunkelheiten nicht derkennen.«

»Nein, eine Uniform habe ich noch nicht; aber ich hoffe, daß ich es schon noch zu einer solchen bringen werde. Wenn man nur erst ein Amt hat, mags auch nur klein sein, so kann man weiter avanciren. Vielleicht werde ich auch noch einmal Weigensteller oder Wagenschieber.«

»Ja, so weit kannsts schon mal bringen, denn einen anstelligen Kopf hast stets habt, besonders beim Essen.«

»Da stelle ich freilich meinen Mann; aber mein Amt versorge ich auch gut. Und Vertrauen besitze ich auch. Denke Dir, ich habe sämmtliche Schlüssels, weil ich doch als Wächter überall hin können muß, wenn während der Nacht Etwas passirt. Siehst Du daraus nicht, welch einen guten Stand ich bei den Vorgesetzten habe?«

»Ja, das sehe ich gar wohl ein. Ich glaub gar, Du thätst mit mir schon gar nimmer tauschen.«

»O doch vielleicht, denn als Oberknecht hast Du einen hohen Lohn, und Dein Herr hält gar viel auf Dich; das weiß ich ja ganz genau. Aber nun sage mir auch, was Du eigentlich hier am Bahnhofe willst. Hast Dich wohl verlaufen?«

Als Ludwig hörte, daß sein Bekannter, welcher ein ziemlich dummer Tagelöhner war, im Besitze aller Schlüssel sei, war ihm ein guter Gedanke gekommen. Er folgte demselben, als er jetzt antwortete:

»Nein, verlaufen habe ich mich nicht, aberst vergriffen. Und das kann mich ärgern.«

»Vergriffen? Worinnen?«

»In denen beiden Briefen.«

»Das verstehe ich nicht. Du mußt es mir erklären.«

»Ich bin jetzunder zum zweiten Male hier. Derjenige, dent schon vorhin hört hast, der war ich.«

»Du? So ist ja Alles gut. Ich habe fast geglaubt, daß es ein Spitzbube gewesen ist.«

»Nein, ich stehle nicht.«


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»Das weiß ich, und darum darfst Du es mir nicht anrechnen, daß ich Dir vorhin ein Wenig grob gekommen bin.«

»O, ich bin nicht so zimperlich; das weißt ja doch. Und eine Grobheiten hätt ich schon verdient, wenn auch nicht vor Dir, sondern aber von meinem Herrn. Er hat nämlich zwei Briefen schrieben, von denen der eine sehr eilig ist. Ich habe ihn hierher tragen mußt, damit er noch beim Zug mit kann. Da bin ich nun herlaufen und hab ihn in den Briefkasten steckt. Nachhero aber auf dem Heimweg hab ich nachdenkt, und da ists mir einifallen, daß ich die beiden Briefen mit nander umiwechselt hab. Dera falsche steckt hier im Kasten.«

»Sapperlot! Das ist dumm!«

»Freilich. Ich bin auch gleich wieder umikehrt, um zu sehen, ob ich ihn vielleichten wieder derwischen kann.«

»Ja, wie willst Du ihn wieder erwischen?«

»Ich hab ihn vielleicht nicht ganz tief in den Kasten steckt.«

»Da wollen wir doch gleich einmal nachsehen.«

Sie traten zum Kasten, und der Wächter untersuchte denselben.

»Er ist ganz drinnen, ganz und gar,« sagte er. »Du kannst ihn also nicht wieder herausziehen.«

»Das ist eine ganz ärgerliche Geschichten! Heraus bekommen muß ich ihn. Und nun kann ich mich bis fünf Uhr herstellen und warten.«

»Worauf?«

»Auf den Zug. Nachhero wird doch hier Licht macht, und die Beamten sind alle da. Der Kasten wird geöffnet, und da kann ich mir meinen Brief geben lassen.«

»Meinst Du, daß Du ihn wieder bekommst?«

»Ja.«

»Ich glaube es nicht.«

»Warum?«

»Was die Post einmal hat, das giebt sie wohl nicht wieder heraus.«

»Da kennst halt die Gesetzen schlecht. Ich muß meinen Brief wieder bekommen. Ich beweise es, daß er mir gehört.«

»Wie willst Du das beweisen?«

»Indem ich ganz genau die Adresse sage und auch das Siegel beschreibe.«

»Ja, wenn Du das kannst, so ist es freilich erwiesen, daß er Dir gehört. Und dann wirst Du ihn wieder bekommen.«

»Aber nun soll ich bis fünf Uhr warten! So eine lange Zeit. Wann dera Herr Bahnhofsinspectorn noch wach wäre, thät er aufischließen lassen und ihn mir geben. Oder meinst, daß ich ihn wecken darf?«

»Auf keinen Fall! Wo denkst Du hin! So einen Herrn vom Schlafe wecken!«

»Auch keinen Andern?«

»Auch nicht!«

»Ich brauch ja eigentlich den Inspectorn gar nicht. Wanns nur irgend


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ein Beamter ist, der hier eine Bedeutung hat, der könnt ihn mir wiedergeben, wann er den Schlüssel haben thät.«

»Den Schlüssel habe ich.«

»Zum Briefkasten?«

»Nein. Zu dem giebts gar keinen Schlüssel. Die Briefe fallen gleich von hier außen hinein in die Stube in einen Korb, der untergestellt ist. Das ist der Briefkorb.«

»Und dazu hast den Schlüsseln?«

»Zur Stube, ja.«

»Das wäre ja schön! Und wannst nun ein wirklicher Beamtern wärst, so könntst mir den Briefen amtlich aushändigen, und mir wäre geholfen. Weilst aberst nur dera Nachtwächtern bist und kein richtiger Angestellter, so muß ich leider verzichten.«

Da aber kam er bei dem verflossenen Tagelöhner schön an. Dieser fragte beinahe zornig:

»Was sagst Du? Was bin ich?«

»Dera Nachtwächtern.«

»So! Da irrst Du Dich fürchterlich. Ich bin der Bahnhofswächter aber nicht der Nachwächter!«

»So! Da liegt wohl ein Unterschieden drin?«

»Und was für einer! Ein ganz gewaltiger. Nicht jeder Nachtwächter kann auch Bahnhofswächter sein. Ein Bahnhof hat Etwas zu bedeuten! Wenn da ein Zug entgleist, gehen gleich viele Menschenleben zu Grunde!«

»Das sehe ich freilich nun ein. Aber ist denn ein Bahnhofswächtern auch ein Beamtern?«

»Natürlich!«

»Nein, wohl nicht!«

»Und wie! Ich bin Beamter!«

»Geh! Das glaubst Du selbst nicht.«

»Oho!«

»Wannst ein wirklicher Beamter bist und sogar den Schlüssel zur Stuben hast, warum getraust Dich da nicht, mir den meinigen Brief zu geben? Warum willst mich da hier warten lassen noch stundenlang?«

Der Nachtwächter kratzte sich hinter dem Ohre und antwortete dann:

»Davon steht in meiner Instruction gar nichts.«

»Ja, dann bist eben kein Beamter, denn in dem seiner Instructionen steht Alles. Da hast also den Unterschieden.«

»Donnerwetter! Mache mich nicht zornig! Ich sage Dir, daß ich ein Beamter bin!«

»Nein, Du bist keiner!«

»Ich bin einer! Soll ich es Dir etwa beweisen?«

»Das kannst ja gar nicht!«

»Ich kann es schon!«

»Wie denn?«


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»Dadurch, daß ich Dir Deinen Brief zurückerstatte.«

»Ja, nachhero muß ich es glauben, daßt ein wirklicher Angelstellter bist.«

»So sollst ihn haben. Kannst auch selbst gleich mit hereinkommen.«

»Darf ich denn?«

»Wer will es Dir verbieten?«

»Die Instructionen.«

»Ach was. In meiner Instruction steht kein Wort davon, daß ich Dich nicht mit hereinnehmen darf. Du bist ein guter Bekannter von mir, und ich weiß, daß Du nichts stehlen wirst.«

»Nein, ein Spitzbub bin ich nicht.«

»Du bist keiner. Diese Bürgschaft kann ich als Beamter leisten. Also komm!«

Er schloß das Expeditionszimmer auf und brannte eine in demselben befindliche Lampe an. Es war genau so, wie er gesagt hatte: Der Briefeinwurf mündete in das Zimmer, und ein auf einem Stuhle stehender Korb hatte die Bestimmung, die hereinfallenden Briefe aufzunehmen.

Ludwig trat auf den Korb zu; aber der Wächter ergriff ihn beim Arme, hielt ihn zurück und sagte:

»Halt! Dahin darfst Du freilich nicht.«

»Warum nicht?«

»Wegen des Briefgeheimnisses.«

»Ich mache doch keinen auf!«

»Aber auch ansehen darfst Du Dir keinen. Du bist ein Fremder und darfst also keine Amtshandlungen vornehmen. Verstanden!«

»Donnerwettern! Jetzunder sehe ich freilich, daßt ein richtiger Beamtern bist. So ein Gesicht und so eine Miene, wiet jetzunder machst, kann nur ein Beamter haben.«

»Ja, nun erkennst Du mich wohl an? Sag es nur den Leuten, wenn einmal die Rede von mir ist, was ich jetzt für eine Stellung bekleide! Also ich werde als Beamter handeln, und Du wirst mir antworten. Wie lautet die Adresse Deines Briefes?«

Der Gefragte gab die verlangte Antwort. Er konnte das, weil er es genau gehört hatte, als der junge Osec die Adresse las.

»Und wie ist das Siegel?« fragte der Wächter in strengem Amtstone weiter.

»Es ist ein Guldenstück anstatt des Petschaftes genommen worden.«

»So! Sag Deinem Herrn, dem Kerybauer, daß ich mir das verbitten muß. Er hat in Zukunft alle Briefe mit einem richtigen Petschaften zuzusiegeln. Ich bin der Bahnhofswächter und darf solche eigenmächtige Ungehörigkeiten nicht länger dulden.«

»Ja, wannst so auftrittst, so muß selbst dera Kery einen Respecten vor Dir bekommen!«

»O, ich kann noch ganz anders auftreten. Jetzt aber will ich den Brief herauslesen.«


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Er trat zum Korb und griff in den da liegenden Karten und Briefen herum, ohne aber den Brief zu bringen.

»Nun?« fragte Ludwig. »Ist er etwa nicht drin?«

Der Wächter begann abermals, sich hinter dem Ohre zu kratzen.

»Drin wird er schon sein,« antwortete er.

»So nimm ihn doch heraus!«

»Das geht doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ihn nicht finden kann.«

»Ich habe Dir doch die Adresse sagt.«

»Freilich wohl - aber - aber - - -«

»Was hast denn? Warum kratzest Du Dich so?«

»Weil ich gar nicht an die Hauptsache gedacht habe.«

»Und was ist das?«

»Ich - ich - ich kann nicht lesen.«

»O Jerum, das ist schlimm!«

»Wie will ich also den Brief finden!«

»Kannst ihn doch am Siegel derkennen!«

»Ja, da sind einige mit Siegeln, mit großen und auch mit kleinen Siegeln. Aber weil ich nicht lesen kann, so weiß ich doch auch nicht, welches das richtige Siegel ist.«

»So muß ich mir ihn doch selber suchen.«

»Nein. Das geht nicht.«

»Wann ich aberst sehr schön bitten thu?«

»Auch dann nicht. Da hilft kein Bitten und kein Betteln.«

»Ich muß doch meinen Brief haben!«

»So mußt Du eben warten, bis die Andern aufgewacht sind.«

»Bis dera Zug kommt? Das ist mir zu lang, viel zu lang!«

»Ich kann es nicht ändern.«

»Hast mirs aberst doch versprochen!«

»Ich hatte vergessen, daß ich nicht lesen kann.«

»Also ein Beamter, der sein Wort nicht hält!«

»Oho!« meinte der Wächter zornig.

»Ja, ein Wortbrüchiger! Und nun glaub ichs doch nicht, daßt ein Beamtern bist. Ein Angestellter muß lesen können.«

»Schweig! Sonst steck ich Dich hinaus. Ich verbitte es mir sehr, mich hier in unserm Büroh zu beleidigen.«

»Beleidigen will ich Dich nicht; aberst von einem Beamtern verlange ich auch, daß er sein Wort hält.«

»Das ist mir dieses Mal unmöglich.«

»Ja, warum soll ich mir denn den Brief nicht selberst suchen?«

»Weil Du die Adressen der andern nicht lesen darfst.«

»Das will ich doch gar nicht.«

»Aber Du wirst sie doch lesen, wenn Du in den Korb blickst.«


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»So können wir es anders machen. Ich schau gar nicht in den Korb.«

»Wohin sonst?«

»Du nimmst einen Brief nach dem andern heraus und zeigst ihn mir. Ich sage Dir dann, ob es der richtige ist.«

»Ja, das geht; da hast Du Recht. Auf diese Weise wird es gehen. Du siehst Dir die einzelnen Adressen an, aber natürlich ohne sie zu lesen. Dann wirst Du Deinen Brief erkennen.«

So wurde es gemacht. Da der Inhalt des Korbes überhaupt kein bedeutender war, so dauerte es nur wenige Augenblicke, bis Ludwig den Brief hatte.

»So,« sagte der Wächter. »Man muß nur Alles beim richtigen Anfang beginnen, dann nimmt es auch ein ordentliches Ende. Nun bist Du wohl befriedigt?«

»Vollständig.«

»Und hast mich wirklich in meinem Amte gesehen?«

»Natürlich! Das muß ich denen Leuten derzählen, wast jetzund für ein Kerlen bist.«

»Ja, das kannst Du immer thun. Es schadet gar nichts, wenn die Leute erfahren, daß Unsereiner auch ein Mann bei der Spritze ist. Jetzt aber müssen wir wieder hinaus.«

Er löschte die Lampe aus und schloß, als sie Beide das Zimmer verlassen hatten, die Thür wieder zu.

»Nun kannst Du heimkehren,« meinte er. »Die Verwechslung der Briefe kann wieder umgeändert werden. Das hast Du aber nur mir zu verdanken.«

»Natürlich. Ich werds Dir nie vergessen. Und nun muß ich doch auch fragen, was ich Dir schuldig bin.«

»Schuldig? Habe ich Dir vielleicht einmal Etwas geborgt?«

»Nein.«

»Ich könnte mich auch auf nichts besinnen.«

»Ich meine heut. Es ist doch eine jede Amtshandlung zu bezahlen.«

»Sapperment! Daran habe ich gar nicht gedacht. Du hast doch die Gebühren und Sporteln zu entrichten.«

»So sag, wieviel!«

»Das weiß ich nicht.«

»Als Beamter!«

»Davon steht in meiner Instruction nichts. Hast Du vielleicht zufällig mal gehört, wie viel man für die Aushändigung eines verirrten Briefes zu bezahlen hat?«

»Nein.«

»So ist das eine schlimme Geschichte. Ich muß doch nach den Gesetzen handeln. Ich darf das Geld nicht verschenken.«

»Freilich nicht. Aberst auf dem Gnadenwege darfsts mir erlassen.«

»Ist das wahr?«

»Ganz gewiß.«


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»Nun wohl, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und Dir die Sporteln schenken. Bist Du nun zufrieden?«

»Sehr.«

»Aber weißt Du, ein paar Kreuzer könntest Du mir doch zukommen lassen. Ich bin ein armer Teufel und möcht mir gern einen Tabak für meine Pfeifen kaufen.«

»Wie viel brauchst?«

»Einen Sechser.«

»Den geb ich gern. Ich will Dir sogar zwanzig Kreuzer schenken. Brenn ein Streichholz an, damit ich das Geld erkennen kann.«

Der Wächter machte Feuer, und Ludwig suchte ihm zwanzig Kreuzer zusammen, welche er ihm schenkte. Dann schieden sie, Beide herzlich zufrieden mit dem Erfolge der hochwichtigen Amtshandlung, welche der Bahnhofsnachtwächter vorgenommen hatte, obgleich nichts davon in seiner Instruction stand.

Jetzt nun erst konnte Ludwig vollständig mit seinen Erfolgen zufrieden sein. Es war ihm Alles leichter und besser gelungen, als er es für möglich gehalten hatte. Er kehrte höchst befriedigt nach Slowitz zurück.

Dort kam er durch die stets unverschlossene Hinterthür in das Haus und schlich sich hinauf in seine Schlafstube. Er klopfte, und seine Mutter öffnete ihm.

Sie hatte keinen Augenblick geschlafen, natürlich aus Sorge um ihn. Sie bat ihn, daß er ihr erzählen solle, was geschehen sei. Er sprach einige beruhigende Worte und erklärte, daß er ihr am Tage Alles erzählen wolle; jetzt sei er müd und müsse schlafen.

»Sage mir nur das Eine, ob etwas Unglückliches geschehen ist!« bat sie.

»Was geschehen ist, ist kein Unglück,« antwortete er. »Es ist etwas Unangenehmes, kann aber für mich ein sehr glückliches Ende nehmen.«

»Was ists denn?«

»Ich ziehe ab.«

»Was! Du gehst aus dem Dienste?«

»Ja.«

»Wann?«

»Am Vormittage.«

»Herrgott! Ists wahr?« fragte sie erschrocken.

»Ja. Ich gehe mit Dir heim.«

»So schnell! Wie ist denn das gekommen? Hat er Dich fortgejagt?«

»Nein, sondern ich bin es, der den Dienst aufgesagt hat.«

»Warum?«

»Er traf mich bei Gisela im Garten und wurde grob. Da sagte ich ihm, daß ich morgen früh fortgehen werde.«

»Und er willigte ein?«

»Natürlich, denn er stand eben im Begriff, mich fortzujagen.«

»Warum wurde er denn grob? Es war doch gar nichts Böses von Dir, mit Gisela zu reden.«

»O nein; es war im Gegentheile etwas sehr Gutes. Ihm aber gefiel


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es nicht. Denn eben als er kam, uns zu belauschen, sagten wir uns, daß - - nun, rathe einmal, was wir uns sagten, Mutter!«

»Das kann ich nicht.«

»Wir sagten uns, daß wir uns lieb hätten.«

»Ists wahr!«

»Ja. Und daß wir uns heirathen werden.«

»Die Gisela Dich?«

»Natürlich, und ich sie.«

»Sie hat wirklich, wirklich gesagt, daß sie Dich nehmen will?«

»Sie hat gesagt, daß sie niemals heirathen werde als nur mich.«

»Den Heiligen sei Lob und Dank! Sie wird Wort halten, wie ich sie kenne.«

»Heut sollte ihre Verlobung mit dem Osec sein. Nun kannst Du Dir denken, welch eine Scene es gab, als ihr Vater uns erwischte.«

»Das glaube ich. Aber was soll nun werden?«

»Ich ziehe ab, werde aber in kurzer Zeit wieder anziehen.«

»Da könntest Du Dich in dem Kerybauer doch geirrt haben.«

»Ich irre mich in ihm ebenso wenig, wie ich mich in Dir oder mir irren kann. Ich werde meinen Wiedereinzug in das Kerygut nicht als Knecht, sondern als Schwiegersohn halten.«

»Bilde Dir nicht zu viel ein!«

»Ich bilde mir gar nichts ein. Wenn ich Dir Alles erzählt habe, wirst Du mir Recht geben.«

»So erzähle doch!«

»Jetzt nicht. Ich habe den Schlaf nothwendig. Es ist bereits spät, und wer weiß, ob ich heut Abend schlafen kann.«

»Was hast Du da vor?«

»Verschiedenes, was Du noch erfahren wirst. Jetzt aber wollen wir schweigen. Gute Nacht, liebe Mutter!«

»Gute Nacht, Ludwig!«

Nach wenigen Augenblicken schliefen Beide. Ludwig war müde, und seine Mutter fühlte sich durch seine Worte so beruhigt, daß sie jetzt schnell den Schlaf fand, der sie vorhin gemieden hatte.

Da sie so spät einschliefen, war es gar kein Wunder, daß sie auch erst spät erwachten. Ludwig ging sofort hinab, sich sein Dienstbuch zu erbitten, welches sich in der Aufbewahrung seines bisherigen Herrn befand.

Der Bauer antwortete ihm kein Wort, setzte sich aber hin und schrieb. Als er fertig war und dem Knechte sein Dienstbuch gab, las dieser nur die Worte:

»Muß heut meinen Dienst verlassen.«

Weiter stand nichts da. Ludwig legte ihm das Buch wieder hin und sagte:

»Mit dieser Bemerkung bin ich nicht einverstanden.«

»So! Warum nicht?«


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»Sie enthält eine Unwahrheit.«

»Oho! Mußt Du nicht heut aus dem Hause?«

»Nein. Ich muß nicht, sondern ich gehe aus eigenem Antriebe.«

»Das ist nicht wahr!«

»Ich habe Dir gestern Abend in Gegenwart Deiner Tochter erklärt, daß ich heut früh Deinen Dienst verlassen werde.«

»Und ich habe Dir in derselben Gegenwart gesagt, daß ich Dich fortjage.«

»Zu spät!«

»Nein!«

»Ich werde aber doch nicht fortgejagt!«

»Doch!«

»Nun, so jage mich einmal hinaus!«

Er war zornig geworden.

»Wenn Du nicht augenblicklich gehst, so jage ich Dich hinaus!«

»Und wenn Du Dich nicht weniger grob ausdrückst, so weiß ich, was ich zu thun habe!«

»Willst Du schon wieder drohen? Das verfängt bei mir ganz und gar nicht. Ich weiß nun, was Du Dir einbildest.«

»Es ist keine Einbildung. Ich weiß, was ich weiß. Ich weiß sogar weit mehr als Du.«

»Ah! Was denn?«

»Daß ein Pascher den andern betrügt.«

»Da sagst Du mir nichts Neues; aber es geht mich nichts an, weil ich kein Schmuggler bin.«

»Dein bester Schmuggelkumpan wird in ganz kurzer Zeit im Gefängniß sitzen.«

»Das ist mir lieb. Ich bin kein Schmuggler, wie ich bereits gesagt habe, und wenn ein Pascher zum Sitzen kommt, so kann ich als ehrlicher Mann nur Freude darüber haben. Du lebst im Traume, in der Einbildung, wirst aber auch noch erwachen!«

»Mein Erwachen wird da aber jedenfalls ein weit besseres sein. Wenn Dir die Augen aufgehen werden, so wirst Du vor einem Abgrunde stehen, an welchem nur eine einzige Hand Dich vor dem Sturze bewahren kann.«

»So? Welche wohl?«

»Die meinige.«

»Du bist wirklich ein so eingebildeter Mensch, daß man Dich nur auslachen sollte anstatt man sich über Dich ärgert.«

»Es ist weder zum Aergern noch zum Lachen, sondern nur zum Weinen. Es wird die Zeit kommen, daß Du mich wieder zu Dir rufest, daß Du froh sein wirst, mich bei Dir zu haben.«

»Höre, werde nicht frech!« rief der Bauer. »Nimm Dein Buch, und packe Dich fort!«

»Mit diesem Eintrage nehme ich mein Dienstbuch nicht!«

»So bleibt es liegen!«


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»Gut! Ich werde es mir durch die Behörde kommen lassen. Setzest Du kein richtiges Zeugniß hinein, lasse ich die Sache untersuchen. Du hast zu erwähnen, ob ich treu, fleißig und ehrlich gewesen bin.«

»Was ich zu schreiben habe, weiß ich. Darüber hast Du mich nicht zu belehren. Jetzt aber gehest Du und kommst mir nie wieder in das Haus. Treffe ich Dich aber einmal mit Gisela zusammen, so schlage ich Dir alle Knochen im Leibe entzwei!«

»Schön! Darauf freue ich mich außerordentlich. Ich habe mich bereits längst gesehnt, einmal meinen Meister zu finden. Also ich soll mich nicht mit Gisela treffen lassen? So wirst Du mir aber doch wenigstens erlauben, mich vor ihr zu verabschieden?«

»Nein. Das verbitte ich mir!«

»So wirst Du mich öfters mit ihr treffen. Darf ich aber Abschied nehmen, so - - -«

»Hinaus!« schrie der Bauer, indem er aufstand und gebieterisch nach der Thür zeigte. Da aber ging diese Letztere auf, und Gisela kam herein.

»Ich war in der Küche und habe Alles gehört,« sagte sie. »Der Ludwig will Abschied von mir nehmen, und er hat ein Recht dazu.«

»Wer hat es ihm gegeben?«

»Ich.«

»Du? Dirne, redest Du so mit mir!«

»Ja. So wie Du mit mir rede auch ich mit Dir. Das darf Dich nicht befremden.«

Sie standen einander gegenüber, Auge in Auge. Er zornig, sie ruhig entschlossen.

»Gehe in Deine Küche!« befahl er ihr.

»Wenn ich mit Ludwig gesprochen habe, eher nicht.«

»Ich werfe den Kerl hinaus!«

»So gehe ich mit ihm und komme niemals wieder nach Hause zurück!«

Sie sagte das in so entschlossenem Tone, daß er einsehen mußte, wie ernst es ihr mit dieser Drohung sei. Da sagte Ludwig in bittendem Tone zu ihr:

»Rege Dich meinetwegen nicht auf, Gisela. Es kommt doch so, wie es kommen soll. Es wird nicht lange dauern, so sieht Dein Vater, wer sein Freund oder sein Feind gewesen ist.«

»Nun, Du willst doch wohl nicht etwa mein Freund gewesen sein!« rief der Bauer.

»Dein bester sogar!«

»Kerl, nun packst Du Dich aber hinaus!«

»Ja, Du hast Recht; es ist besser, ich gehe. Mein Bleiben nützt Dir und mir heut doch nichts. Also leb wohl, Kerybauer! Wir sehen uns bald wieder. Leb auch Du wohl, Gisela! Wir brauchen uns nicht zu grämen, daß wir jetzt aus einander müssen. Desto größer ist dann die Freude, wenn wir uns wieder haben.«


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»Der Teufel soll Euch haben!« schrie der Bauer. »Macht Euch fort!«

»Ja, das thun wir bereits,« lachte Ludwig.

Er ergriff Gisela bei der Hand und zog sie aus der Stube.

»Wirst Du mir treu bleiben?« fragte er draußen.

»Bis zum Tode.«

»So ist ja Alles gut. Ich muß meine Sachen hier lassen. Nimm sie in Verwahrung, bis ich sie holen lasse.«

»Vielleicht lässest Du sie gar nicht erst holen.«

»Ja. Ich ahne auch, daß ich bald wieder da sein werde.«

»Hast Du gestern Etwas erlauscht?«

»Ja.«

»Was?«

»Davon später. Du wirst zu seiner Zeit Alles erfahren. Jetzt aber ist es besser, daß Du noch im Unklaren bleibst.«

»Sag nur wenigstens, ob es etwas Gutes oder etwas Böses war.«

»Es sollte etwas Böses für uns werden, wird sich aber, nun ich es erfahren habe, in Glück und Freude für uns kehren. Und nun, behüte Dich Gott, mein Mädchen.«

Er zog sie an sich und küßte sie innig. Sie erwiderte seinen Kuß und sagte dann in traurigem Tone:

»Ich werde hier im Hause nicht wie im Himmel wohnen. Komm bald zurück, Ludwig, sonst halte ich es nicht aus!«

Dann entzog sie sich ihm schnell und ging in die Küche.

Er suchte nun auch die Bäuerin auf, um Abschied von ihr zu nehmen. Sie war an ihn gewöhnt, ja, sie hatte ihn so lieb, fast als ob er ihr eigener Sohn sei. Sie begann zu weinen. Er verkürzte also den Abschied so viel wie möglich. Sodann suchte er die Knechte und Mägde auf. Sie alle sahen ihn nicht gern gehen. Er hatte den Vermittler gemacht und viele Härten des Bauers gemildert. Nun er fortging, bekamen sie es mit Kery direct zu thun, und davor hatten sie Angst.

Nun konnte Ludwig gehen. Ein kleines Bündel in der Hand, wanderte er mit seiner Mutter fort, zum Hause hinaus, in welchem er so lange Zeit treu und redlich gedient hatte.

Unterwegs erzählte er ihr die Vorkommnisse des gestrigen Abends, aber nur so weit, wie er es für unumgänglich nöthig hielt, um sie auf dem Laufenden zu erhalten. In die Geheimnisse aber weihte er sie nicht ein.

So schritten sie rüstig vorwärts. Mit scharfem Auge durchforschte er den Weg und seine Umgebung. Er mußte ja nun bald den Ort erreichen, an welchem er den Brief finden sollte. Seiner Mutter hatte er nichts davon gesagt. Wenn sie nichts davon wußte, so spielte sie die Finderin mit vollendeter Wahrheit und die Lauscher wurden sicherer getäuscht.

Denn es verstand sich ganz von selbst, daß Zerno in der Nähe sein werde, um zu beobachten, welchen Erfolg der Fund des Briefes machen werde. Höchst wahrscheinlich war auch Usko dabei. Ludwig war, bevor er das Kery-


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gut verließ, einmal hinauf ins Heustadel gegangen und hatte sich überzeugt, daß die beiden Slowaken nicht mehr da seien.

Jetzt führte der Weg in kurzen Windungen zwischen dichten Büschen eine Höhe empor. Es gab keine geeignetere Stelle für die Absicht Zerno's. Und wirklich, da blieb Ludwigs Mutter, welche augenblicklich voranschritt, weil der Weg hier schmal war, plötzlich stehen und sagte:

»Was ist das? Hier liegt ein Papier.«

»Wo?«

»Grad im Wege. Schau! Am Ende ist es gar ein Brief.«

Sie hob den Brief auf.

Sie hob denselben auf und gab ihn ihm in die Hand. Er las die Adresse mit lauter Stimme und sagte dann:

»Allerdings ein Brief. Aber den Namen kenne ich nicht, der darauf steht. Ah, das Couvert ist offen. Da kann man ihn doch lesen und dabei sehen, an wen er ist. Es steht wohl der Name des Mannes da aber kein Ort dabei.«

Er zog das Blatt aus dem Couvert, faltete es aus einander und las mit lauter Stimme die wenigen Zeilen. Er wußte, daß er gehört und beobachtet werde.

»Hast Du das verstanden?« fragte er sodann seine Mutter.

»Nicht ganz.«

»So will ich es Dir noch mal lesen.«

Er begann von Neuem.

»O, jetzund versteh ich es schon besser,« sagte sie nun. »Aberst was ist denn das?«

»Ein Briefen, den der Eine an den Andern schreibt.«

»Ja, das kann ich mir schon denken.«

»Und Beide sind Pascher.«

»Herrgottl! Einen Brief von Paschern haben wir funden?«

»Ja, anderst ists nicht.«

»Sie schreiben also wohl gar vom heutigen Abend?«

»Freilich. Da steht der Ort und die Zeit, wo und wanns zusammenkommen wollen, um die Waaren herüber und hinüber zu transportiren.«

»So eine Schlechtigkeiten! Und auch welch eine Unvorsichtigkeiten! Wer so ein Schreiben verliert, der sollt eine richtige Strafen bekommen, denn er kann sich und auch die Kameraden ganz in das Unglück bringen.«

»Diese Straf wird er auch erhalten.«

»Meinst? Was für eine?«

»Er wird derwischt werden.«

»Auf welche Weisen soll das geschehen?«

»Ich werd dafür sorgen.«

»Du? Willst Dich wohl gar mit einer solchen Sach abgeben? Das wirst nicht thun!«

Da Ludwig seiner Mutter nichts davon gesagt hatte, daß er es wußte, daß man ihm einen solchen Brief in den Weg legen werde, so hatten ihre


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Worte, ihre Mienen, überhaupt ihr ganzes Verhalten den Ausdruck der Wahrheit. Er hatte berechnet, daß die Lauscher sich dadurch täuschen lassen würden.

Und diese Berechnung trog ihn nicht, denn die beiden Slowaken kauerten in Wirklichkeit hinter einem der nächsten Büsche, um den ganzen Vorgang anzusehen und anzuhören.

Sie hatten diesen Ort für denjenigen gehalten, welcher für ihr Vorhaben am Allerbesten geeignet sei. Erstens konnten sie sich hier so verstecken, daß sie nicht gesehen wurden, dabei aber Alles leicht zu beobachten vermochten. Und bei der Schmalheit des Pfades konnte Ludwig gar nicht vorübergehen, ohne den für ihn bestimmten Brief zu bemerken.

Jetzt nun freuten sie sich über jedes Wort, welches sie hörten. Nach ihrer Ansicht war ihr Vorhaben vom besten Erfolg gekrönt. Ludwig ging auf die ihm gesteckte Leimruthe. Er wollte den Brief abgeben.

»Freilich werde ich es thun,« sagte er. »Ich bin sogar gezwungen dazu.«

»Wer sollte Dich zwingen?«

»Mein Gewissen. Oder meinst Du, daß ein braver Mann ein Verbrechen ausüben läßt, wann er dasselbige verhindern kann?«

»Ja, die Schmuggelei ist freilich verboten, doch ein wirkliches Verbrechen ist sie wohl nicht.«

»Sie ist verboten und wird streng bestraft, also ist sie auch ein Verbrechen, und so muß ich es zur Anzeig bringen.«

»Bist aberst doch kein Polizist oder gar ein Grenzbeamter.«

»Aberst ein Unterthan bin ich, der seine Rechten und also auch seine Pflichten kennen muß. Ich bin ein Bayer. Soll ich es dulden, daß die Oesterreicher, von denen ich gar nix hab und die mich jetzunder sogar hinausstoßen haben, mit ihrer Schmuggeleien sich unser schönes bayrisches Geldl derschwindeln? Nein, das darf ich nicht. Ich muß allsogleich zur nächsten Grenzstation, wo ich diesen Briefen abzugeben habe.«

»Wirds aber auch was nützen?«

»Allemalen! Es steht doch ganz deutlich hier, wann die Paschern kommen wollen und wo sie sich treffen werden.«

»Vielleichten kommen sie gar nicht. Wir haben diesen Briefen hier mitten im Wege funden. Der Bote hat ihn verloren, und so ist er also gar nicht an Denjenigen abgeben worden, für den er bestimmt war.«

»Das denkst, weilsts nicht verstehst. Schau mal her! Sind nicht zweierlei Schriften da?«

»Ja, das sehe ich schon. Die eine ist mit Tinten und die andere mit Bleistiften. Wie mag das kommen?«

»Das ist sehr einfach. Derjenige, der den Briefen schickt hat, der hat ihn mit Tinten schrieben. Und Derjenige, der ihn empfangen hat, der hat mit Bleistiften eine Bemerkungen daraufi macht. Also ist dera Briefen doch sicher an den richtigen Adressaten kommen, und dera Pascherzug wird heut Abend jedenfalls vor sich gehen.«


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»Aberst, wannst die Anzeig machst, kannst doch nicht etwa vielleicht in Schaden kommen?«

»Was denkst denn da! Wie soll es mir Schaden bereiten, wann ich meine Pflicht erfüll? Ein Lob werd ich erhalten und auch noch gar ein Geldl dazu.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Derjenige, der dazu beihilft, daß ein Schmuggelzug abfaßt wird, erhält eine Prämie. Und die kann sehr groß sein, wanns werthvolle Waaren sind, die abfaßt werden.«

»So hab ich freilich nix dagegen, daßt diese Anzeigen unternimmst. Eine Pflicht derfüllen und auch noch ein Geldl dazu derhalten, das ist ja sehr gut. Besser kann man es ja gar nicht haben.«

»Schau, wie das Geldl gleich einen großen Eindrucken auf Dich macht! Ja, das Weibsvolk hat das Geldl lieb. Da lachts gleich im ganzen Gesicht, wanns einen Thalern oder ein Fünfmarkl derblickt. Aberst komm weiter. Wir bleiben hier stehen und müssen doch eilen, damit ich denen Briefen recht bald abgeben kann.«

Sie setzten ihren Weg fort.

Sobald sie verschwunden waren, standen die beiden Slowaken vom Boden auf.

»Prächtig!« meinte Zerno. »Besser konnte es gar nicht gehen. Unsere Absicht ist so gut gelungen, wie sie nur gelingen konnte. Wenn nun auch der andere Brief in die richtigen Hände kommt, so gilt der Ludwig für einen Pascher und kommt unter Polizeiaufsicht.«

»Das gönne ich ihm von ganzem Herzen. Wir kommen gut weg dabei. Der Verdacht ist auf ihn gelenkt. Wir werden weniger beobachtet, weil man nun sehr auf ihn merkt, und können unser Handwerk leichter treiben.«

So erfreut wie sie über das Gelingen ihres Streiches waren, war es auch Ludwig über das Gelingen des seinigen. Er schritt eine Weile rasch aus, um aus dem Bereiche der Lauscher kommen. Dann, als der Weg wieder breiter wurde und nicht mehr von Büschen eingefaßt war, so daß er sich überzeugen konnte, daß er nicht mehr beobachtet werde, sagte er zu seiner Mutter:

»Aber weißt, aus dera Belohnung wird doch nix werden.«

»Denkst, daßt keine bekommst? Meinst wohl, daß die Paschern nicht derwischt werden?«

»Nein. Sie werden nicht derwischt.«

»Aber wannst den Briefen abgiebst, so muß man sie doch ergreifen!«

»Ich geb ihn gar nicht ab.«

»So hast Dich schon anderst besonnen? Was bist doch für ein wetterwendischer Kerlen jetzt. Jetzt willst so und in einer Minuten schon bereits wieder das Gegentheil.«

»O nein. Ich hab gleich erst wußt, daß ich den Briefen nicht abgeben werd.«

»Geh mir doch von dannen! Warum hast da ganz anderst sprochen?


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Ich hab mich nun bereits auf die Prämie freut, welche wir doch bekommen hätten.«

»Wir hätten keine erhalten, denn erstens kommen die Paschern gar nicht auf demjenigen Weg, der hier im Briefen steht, und zweitens tragen sie nur Lumpen und altes Papier über die Grenz. Wann man es ihnen abnimmt, so giebt das doch keine Prämie für mich. Es ist ja gar nix werth.«

»Und das weißt so genau?«

»Ja. Ich weiß sogar, daß dieser Brief nur deshalb hinlegt worden ist, damit ich ihn finden und abgeben soll.«

»Das weißt? Woher denn? Ich bin ganz derstaunt darüber. Bist denn mit denen Paschern so bekannt, daß sie Dir Alles sagen?«

»Kennen thu ich sie sehr gut, aber mir was zu sagen, da werdens sich schön hüten. Ich hab sie belauscht. Sie kommen heut Abend nicht durch den Ort, der hier im Briefen angeben ist, sondern durch das Föhrenholz.«

»O Jerum! Das ist ja ganz nahe bei unserem Oberdorf!«

»Ja, ganz nahe.«

»Und willst sie da nicht abfangen lassen?«

»Nein. Und ich hab meine guten Gründen dazu. Erstens bringen sie nur Lumpen, und zweitens käm dera Kerybauern dabei in großen Schaden. Er ist dera Gisela ihr Vatern, und da will ich ihn nicht ins Unglück bringen.«

»Der Bauer!« rief sie erstaunt. »Ist denn der etwa auch dabei?«

»Freilich. Er und die beiden Osecs sind eigentlich die richtigen Anführern.«

»Herrgottle! Wer hätt das denken konnt!«

»Ja. Sie haben bisher Alles so schlau anfangen, daß Niemand einen Verdachten auf sie haben kann. Aberst dera Krug geht halt so oft zum Wasser, daß er endlich doch mal zerbrechen thut. Und dieses End ist nahe herbei kommen.«

»Da weiß ich gar nicht, was ich sagen soll! Dera reiche Kerybauern giebt sich mit denen Schmugglern ab! Er, der so stolz thut und mich nicht mal niedersitzen läßt, wann ich zu Dir auf Besuchen komm!«

»Wann man es zum ersten Mal derfährt, ists freilich zum Verwundern. Nachhero aberst, wann man sich an den Gedanken gewöhnt hat, so ists gar leicht zu begreifen. Ich schau ganz klar hinein in diese Angelegenheiten.«

»Wie bist denn dahinter kommen?«

»Durch einen Zufall. Und von da an hab ich immer aufmerkt bis gestern, wo ich dann Alles entdeckt hab. Dera Kery hat reich werden wollen durch denen Schmuggel, doch Alles, was er sich dabei erworben hat, das haben die Osecs ihm im falschen Spiele abnommen, heut ist er ebenso arm wie ich, und gar vielleichten noch viel ärmer. Ich mag nicht mit ihm tauschen.«

»Mein grundgütiger Himmel! Weiß die Bäurin davon und die Gisela?«

»Sie wissen nur ein Wenig, und wann es nach mir geht, sollen sie auch niemals Alles derfahren. Die Osecs wollen den Kery vom Hof fortjagen und dann sich hineinsetzen wie der Sperling, wann er in das Staarnest


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kommt. Aber dera Ludwig ist auch noch da. Er wird es nicht dulden, daß sein Dirndl zur Bettlerin macht wird.«

»Dagegen wirst wohl nix thun können!«

»Meinst? O, ich kann da viel thun, vielleicht gar Alles.«

»Was denn?«

»Darüber darf ich nicht reden. Weißt, wanns sich um solche Sachen handelt, wie die Pascherei eine ist, so ists gefährlich, viel darüber zu reden. Ich will also lieber schweigen.«

»Bei dem Allen wirds mir himmelangst nun auch um Dich!«

»Um mich brauchst keine Sorg zu haben. Ich werd jetzunder einige Tagen lang gar nicht viel zu Hause sein; doch darf Dich das nicht in Angst versetzen. Die Wegen, auf denen ich gehe, sind gute.«

»Willst Dir einen andern Dienst suchen?«

»Nein. Ich brauche keinen.«

»Mußt aber doch leben und arbeiten!«

»Das werd ich auch, nämlich wiederum in meinem jetzigen Dienst beim Kerybauer.«

»Nachdem Ihr so im Zorn ausnander gangen seid? Wer soll das glauben!«

»Du. Was ich sag, das kannst für die richtige Wahrheit nehmen. Ich weiß schon, was ich thu. Ich weiß bereits vorher, wie Alles wird. Es ist mir Alles klar. Nur über ein Einziges bin ich mit mir in Zweifel.«

»Was ists? Kann ich Dir nicht vielleicht einen Rath ertheilen?«

»Nein. Du weißt es auch nicht.«

»Was?«

»Die Paschern werden heut in dera Nacht durch das Föhrenholz kommen. Sie redeten davon, daß in dera Nähe eine Mühlen liegt. Weißt Du eine?«

»Nein.«

»Das Föhrenholz liegt gleich neben unserm Dorf. Doch eine Mühlen giebts in dera weiten Umigegend nicht. Das macht mir Schmerzen.«

Ludwig täuschte sich. Was er erlauscht hatte, handelte nicht vom Föhrenholze, sondern vom Föhrenbusche. Beide Orte lagen weit aus einander. Das Föhrenholz war eine kleine Kiefernwaldung ganz in der Nähe von Oberndorf, der Heimath Ludwigs. Der Föhrenbusch aber befand sich bei Hohenwald, eine nicht sehr bedeutende Strecke von der Mühle entfernt, in welcher jetzt König Ludwig wohnte.

Diese Verwechslung der beiden Orte konnte für den Monarchen leicht verhängnißvoll werden.

»Ja,« fuhr Ludwig fort. »Ich hab schon nachsonnen und nachsonnen immerfort, aberst es fallt mir keine Mühlen ein.«

»Wirst fragen müssen.«

»Das kann auch nix helfen. Ich kenn die Gegend grad so gut wie ein jeder Andere, und es wird Keinen geben, der in dera Gegend vom Föhrenholz eine Mühlen entdecken kann.«


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»Ists denn so wichtig?«

»Sehr wichtig. In dera Mühlen soll nämlich heut in der Nacht was macht werden, was ich verhüten muß.«

»Was denn? Das klingt grad so, als obs was Böses ist.«

»Das ists auch.«

»Und wohl gar gefährlich?«

»Sehr.«

»Mein Gott! Ludwig, ich bitte Dich, thu mir doch den Gefallen und gieb Dich nicht mit solchen Dingen ab. Wer sich in Gefahren begiebt, der kann sehr leicht darinnen umkommen. Bedenk, daßt eine Muttern und eine Schwestern hast!«

»Und gar auch noch ein Dirndl, was meine Frauen werden soll!« lachte er.

»Du lachst hierüber! Mir ists gar nicht zum Lachen. Wannst von einer Gefahren redest, so kann ich doch nicht ruhig dabei sein.«

»Hab ich denn sagt, daß ich es bin, für den es eine Gefahren giebt?«

»Ja.«

»Nein. Mir will Niemand nix thun, sondern es ist ein ganz Anderer, dem es an den Kragen gehen soll. Und diesen möchte ich so gern derretten. Ich werd halt doch nach dera Mühlen fragen, und nachhero, wann ich keine Auskunften derhalten kann, so muß ich die Sach dera Polizeien melden.«

»Und wanns Dich auch nicht betrifft, so wirds mir doch gleich ganz angst und bang dabei! Red lieber richtig aus dera Seel heraus, damit ich weiß, woran ich bin. Wann man sich so in Ungewißheiten befindet, so macht man sich das Leben schwerer, als es nöthig ist.«

»Da hast schon Recht. Darum werd ich Dir später Alles derklären. Nur jetzund kann ich nicht. Ich kann Dir aberst sagen, daß ich in gar keiner Gefahr bin, auch nicht in dera kleinsten. Und nun wollen wir von diesem Gespräch ablassen. Hier ist das Gasthaus. Wir werden mal einikehren, denn wir Beid sind noch ganz nüchtern im Magen.«

Sie hatten wirklich noch nichts genossen und darum war ihnen die Schänke eben recht. Diese lag am Eingange eines kleinen Dörfchens, durch welches der Weg nach Oberdorf führte. Nach einer anderen Richtung ging die Straße gegen Eichenfeld und Hohenwald hin.

Die Schänke war ein ärmliches Gebirgshäuschen, fast nur eine Blockhütte zu nennen, da das auf sie verwendete Baumaterial fast nur aus Baumklötzen bestand. Doch machte sie einen freundlichen Eindruck mit ihren kleinen, spiegelblank geputzten Fenstern und den Epheu- und wilden Weinranken, welche die Wände bis an das niedere Dach und die beiden Giebel bis zur Firste hinauf mit ihrem grünenden Kleide umzogen.

Vor der Hütte standen einige Tische nebst den dazu gehörigen Bänken, aus rohen Holzstangen zusammengenagelt. An einem dieser Tische saß ein Gast, ein einzelner, welcher die Nahenden mit erfreutem Blicke musterte. Er


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stand auf, ergriff seinen alten, mit allerlei Blumen und Kräutern geschmückten Hut, wirbelte ihn in die Luft, fing ihn wieder auf und rief dabei:

»Wer kommt denn da angedampft! Das ist doch dera Ludwigen vom Keryhof mit seiner Muttern! Nein, so was! Wer hätt denn das denkt, daß man hier heroben mit so einem feinen Bub und mit so einer hübschen, jungen Damen zusammentreffen thät! Nein, so eine Freuden! Hier ist meine Hand! Willkommen auch! Setzt Euch herbei und trinkt, was Euer Herz begehrt! Ich zahl Alles, Alles, was nicht über fünfzehn Pfennigen ist.«

Die Frau hatte bereits, als sie ihn von Weitem erblickte, im ganzen Gesicht gelacht. Jetzt antwortete sie, ihm die Hand reichend:

»Grüß Gott auch, Wurzelsepp! Bist und bleibst doch immer dera alte Schabernack!«

»Was sagst? Ich ein Schabernack! Wannst das nochmals sagst, mußt mich gleich mit einem Kussen versöhnen!«

»Mich eine junge, hübsche Damen zu nennen!«

»Bists etwan nicht? Dem Methusalem seine Urgroßmuttern ist achttausend Jahren alt worden. Bist etwan nicht jung gegen diese?«

»Ja, gegen so eine Achttausendjährige! Das ist richtig!«

»Also hab ich doch Recht. Und nun hast auch Du eine Hand von mir, Ludwig. Wie kommts, daßt mal vom Keryhof fort darfst? Hast eine Kindtaufen daheim, oder so eine andere ähnliche Festivitäten?«

»Nein.«

»Also einen Urlauben?«

»Auch nicht. Ich bin fortjagt worden.«

»Fortjagt? Bist auch ein Hallodri, der mir da einen Bären aufibinden will!«

»Es ist kein Bär, sondern die Wahrheit.«

»Das glaubt Dir dera Teuxel, ich aber nicht. Dera Ludwig wär eben ein Kerlen, den Einer fortjagt! Und dera Kery weiß ganz genau, wen er an Dir hat.«

»Er hats so genau wußt, daß er mich eben fortschickt hat. Aberst reden wir davon nicht. Ich hab einen Dursten und auch einen Hungern. Da setz Dich herbei, Muttern! Jetzt wird gegessen und trunken, was das Hotel hier zu schaffen vermag.«

»Holst doch recht groß aus!« lachte der Wurzelsepp. »Hast eine Lotterie gewonnen?«

»Nein; aberst eine Fröhlichkeiten hab ich in mir, die muß heraus.«

»Worüber wohl?«

»Ueber Dich.«

»Willst gleich das Maul halten! Wer wird über den alten Sepp fröhlich sein!«

»Ein Jeder. Wer Dir begegnet, der freut sich sicherlich. Bist eben ein Sonntagsmensch, wie es selten einen giebt. Wo kommst her?«

»Von Oberdorf, wohin Ihr wollt.«


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»Und wohin willst?«

»Hinüber nach Hohenwald.«

»Hast wohl dort Geschäften?«

»Ja. Ich hab jetzund meine Stationen dort, wannst mich mal besuchen willst.«

»Dazu kann Rath werden und die Zeit dazu hab ich ja auch.«

»So ists also wirklich wahr, daßt fort bist aus dem Deinigen Dienst?«

»Ja.«

»Himmelsakra! Warum denn eigentlich?«

»Weil - weil - na, weil ich eben nur so ein armer Teuxeln bin.«

»So! Ein armer Teuxeln! Was geht das dem Kery an, wannst Deine Arbeiten machst und Dir nix zu schulden kommen läßt.«

»Aberst ich hab mir was zu schulden kommen lassen.«

»Du? Das glaub ich nicht. Was denn?«

»Nix, als eben nur, daß ich arm bin.«

Der Sepp blickte ihm forschend in das Gesicht, stieß dann einen Pfiff aus, schnippste mit den Fingern und rief:

»Verdorio! Da hab ichs fest! Da ist auch wiederum ein Dirndl schuld daran! O, Ihr jungen Leutln, was seid Ihr doch für ein unnützes Volk! Kaum sieht Einer ein Dirndl, so vergafft er sich in sie, obgleichs die Tochter seines Herrn ist. Und kaum siehts Dirndl den Buben, so langt sie mit allen zehn Fingern nach ihm, obgleich er der Knecht ist und sie einen ganz Andern bringen soll, nämlich den Osec!«

»Ah! So weißt auch davon?«

»Was könnt dera Wurzelsepp nicht wissen?«

»Ja, Du bist dera Vetter von aller Welt, und ein Jeder theilt Dir seine Geheimnissen mit. Aber dera Kery wird Dir wohl nix sagt haben.«

»Der wäre der Richtige! Den kann ich so gut leiden wie den Leichdornen am Fuß. Nein, der sagt mir nix. Dennoch hab ich wußt, daß dera Osec sein Schwiegersohnen werden soll. Daß dies dera Gisela nicht passen thut, das konnt ich mir denken, aberst daß es ihr grad um Deinetwillen nicht passen will, das ist mir unbekannt gewest.«

»Ich habs auch nicht wußt,« lachte Ludwig.

»So! Das soll ich glauben?«

»Ja. Ich hab es erst am gestrigen Abend derfahren, und da kam auch sogleich dera Bauern dazu und hat einen Spektakeln macht, daß ich ihm gleich sagte, daß ich heut früh vom Hofe fortgehe.«

»Ists so! Also fortjagen hast Dich nicht lassen, sondern selbst bist gangen. Das kann ich mir denken, denn so Einer wie Du, der sieht sich wohl vor, daß er nicht einen Schandfleck in das Dienstzeugniß bekommt. Also mit dera Gisela bist einig?«

»Ja.«

»Und was sagt ihre Muttern dazu?«

»O, die ist nicht dagegen.«


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»Das ist gut. Da werdet Ihr Euch auch bekommen, und wann dera Kery sich noch so sehr dagegen sträubt. Ich bin seit einiger Zeit nicht hinunterkommen nach Slowitz. Aber ich werd in den nächsten Tagen mal hinab und da will ich dem Kery eine Bußpredigten halten, daß ihm die Augen übergehen.«

»Das kann ihm nix schaden. Aberst wo ist denn dera Wirth! Sieht uns denn Niemand sitzen?«

»Laß nur! Es ist kein Mensch daheim, als nur die alte Großmuttern! Bei dieser geht es langsam. Ich hab mir ein Käß und Brod bestellt. Ehe die das fertig bringt, kann eine Woch vergehen.«

»So lang kann ich mich nicht hersetzen; ich hab keine Zeit dazu. Geh Du doch mal hinein zu ihr, Muttern, und hilf ihr dabei. Das wird ihr willkommen sein. Hol ein Bier heraus und ein Essen dazu.«

Seine Mutter folgte dieser Aufforderung.

»Hasts doch recht eilig!« meinte der Sepp. »ja, ich hab heut noch gar viel vor.«

»Was denn? Willst Dir einen neuen Dienst suchen?«

»Nein. Ich hab andere Sachen zu versorgen.«

»Und damit hasts gar so schnell?«

»Es erleidet keinen Aufschub. Vielleichten sehen wir uns bereits heut wieder. Ich muß nach Hohenwald.«

»So kannst doch gleich jetzt mit mir.«

»Ich komme nach. Ich möcht doch erst zur Schwestern gehen, um sie zu begrüßen.«

»Nun, wannst dazu Zeit hast, so ist die Sach doch nicht so eilig, als wie ich dachte.«

»Es hat Zeit bis am Nachmittag. Also Deine Stationen hast jetzund in Hohenwald? So kennst wohl auch die Leutln dort?«

»Die kenn ich so gut wie mich selbst, bereits seit langer, alter Zeit, auch ohne daß ich meine Station dort aufschlagen thu.«

»So kannst mir am End eine Auskunften geben.«

»Ja, gern. Was willst wissen?«

»Sind jetzunder fremde Leutln dort im Dorf?«

»Ja. Warum fragst nach ihnen?«

»Ich möcht Einen aufisuchen.«

»Wen?«

»Er soll ein Hexenmeistern sein, ein Tausendkünstlern.«

»Da kenn ich keinen in Hohenwald. Die Bauern, die da wohnen, sind keine Tausend-«

»Er soll im Gasthofen wohnen,« fiel ihm Ludwig in die Rede.

»Ah, im Gasthofen! Sappermenten, das kann schon sein. Jetzunder weiß ich, wenst meinst. Heißt er nicht Signor Bandolini?«

»Ja. Aberst eigentlich nennt er sich anders.«

»So kennst also seinen wirklichen Namen?«


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»Ja.«

Das Interesse des alten Sepp begann sich zu verdoppeln. Er zog seine alte Tabakspfeife hervor und begann, den in dem Kopfe enthaltenen Tabaksrest in Brand zu setzen. Es war zu erwarten, daß er etwas Neues, Wichtiges erfahren werde, und dabei mußte die Pfeife brennen. Das erhöhte den Genuß. Er that einige tüchtige Züge und fragte sodann:

»Und wie nennt er sich dann?«

»Jeschko.«

»Das stimmt.«

»Er ist ein Zigeunern?«

»Auch das stimmt.«

»So kennst ihn also?«

»Ganz gut.«

»Mit dem muß ich reden!«

»Das kannst sehr leicht. Er ist immer anzutreffen. Doch, darf ich nicht vielleicht wissen, wast von ihm willst?«

»Ich möcht nicht davon sprechen.«

»Ach so! Es ist ein Geheimnissen?«

»Ja.«

»So behalts für Dich, wannst kein Vertrauen hast zum Wurzelsepp!«

Er stand von der Bank auf und entfernte sich. Er ging in das Innere der Schänke, entweder um die beiden Frauen zur Eile anzutreiben oder weil er sich ärgerte, daß Ludwig nicht mittheilsamer mit ihm war.

Bald brachte er dessen Mutter getrieben. Auch die alte Großmutter kam herbei gehinkt, um das verlangte Essen und Trinken zu bringen. Sie war fast ganz taub, hörte kein Wort von dem, was gesprochen wurde, und entfernte sich bald wieder.

Die Drei begannen zu essen. Der Sepp schien seine gute Laune verloren zu haben.

»Bist mir wohl bös?« fragte Ludwig.

»Bös? Warum sollt ich das sein?«

»Weil ichs Dir nicht sagt hab.«

»Wie könnt ich Dir das übel nehmen? Ein jeder hat das Recht, zu thun, was ihm bleibt; Du auch.«

»Ich kann Dir nämlich nix sagen, weil ich eigentlich selbst nix weiß.«

»Das klingt seltsam!«

»Ich will es erst derfahren.«

»So! Nun, vielleicht kann ich Dir eine Auskunften geben.«

»Du wohl nicht.«

»So! Hast noch niemals hört, daß dera Wurzelsepp Alles weiß?«

»Ja, aberst dieses kannst nicht wissen. Was geht Dich dera Jeschko und dera Barko an!«

Da legte der Sepp schnell sein Messer hin, sprang auf und rief:

»Barko! Kennst Einen, der so heißt?«


Ende der einundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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