Der Weg zum Glück - Teil 63

Lieferung 63

Karl May

8. Oktober 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Es geschieht Dir ganz recht!« antwortete sie. »Jetzund legst ihn wieder hinein und bekommst ihn nicht eher, als bist mir sagst, wozu er braucht werden soll. Denn - - - o Jerum, jetzund lauft mir die ganze Buttern aus dem Kasseroltiegeln heraus!«

In der Küche ließ sich nämlich das laute Kreischen aufschäumender Butter hören. Die Alte eilte, so schnell sie konnte, hinein, um zu retten, was zu retten war. Ebenso schnell war auch der Sepp fort, nämlich mit dem Kürbis durch die Hinterthür in den Garten hinaus. Schon eine Minute später kehrte er von dort zurück, machte die noch offene Gewölbethür zu und trat nun in die Stube, um sich zu Ludwig zu setzen.

»Das war ärgerlich!« sagte dieser.

»Ich bin fast so verschrocken wie ein wirklicher Spitzbub. Konntst sie denn nicht festhalten hier in dera Stuben?«

»Ich hab es wollt, aberst es ging nicht. Nun ists mit dem Kürbissen gefehlt.«

»O nein.«

»Willst ihn noch holen?«

»Ja, aus dem Garten.«

»So ist er draußen?«

»Ja. Die heiße Buttern hat uns den Kürbissen gerettet. Nun ists dennoch gelungen. Und dera Schmarren wird auch gelingen. Das riech ich bereits. Ich will nur immer mein Messern herausnehmen, damit es nachhero gleich beginnen kann.«

Er nahm wirklich sein altes Messer heraus und legte es vor sich hin. Bald trat die alte Barbara glühenden Angesichts aus der Küche. Sie hatte ein wahres Meisterstück geliefert. Der Sepp griff sofort zum Messer.

»Halt!« sagte sie, indem sie den Schmarren auf den Tisch setzte.

»Was willst?«

»Essen.«

»Das glaub ich schon, doch daraus wird heut wohl nix!«

»Und ich denk, daß sehr viel daraus wird.«

»Nicht eher, als bis ich Zweierlei derfahren hab. Nachher erst darfst zugreifen.«

»Nun, was willst wissen?«

»Zuerst, wast mit dem Kürbissen hast machen wollt.«

»Kegelschieben.«

»Halts Maul! Die Wahrheit will ich wissen.«

»Na, meinswegen! Wann ichs nicht sag, so druckts Dir das Herze ab. Ich hab ihn Dir bringen wollt. Weißt, so ein Schnittle Kürbissen in denen Schmarren hinein, das ist die größte Delicatessen, die es nur geben kann.«

Sie schlug erstaunt die Hände zusammen.

»Kürbissen in den Schmarren! Das hab ich all mein Lebtag noch nimmer hört! Wer hats Dir weiß macht?«


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»Weiß macht? Was denkst von mir! Ich bin Keiner, der sich was weiß machen läßt.«

»Und doch ists nicht wahr!«

»Oho! Versuchs nur mal! Die junge Baronessen drüben in Schloß Steinegg hats mir sagt.«

»Eine Baronessen! Ja, die haben einen ganz verwunderlichen Geschmack sehr oft.«

»Der ist nicht verwunderlich. Es schmeckt wirklich so ausgezeichnet, wie ich noch gar nix gessen hab.«

»So hasts auch schon gessen?«

»Ja, mit eben dera Baronessen.«

»So ists also wirklich wahr? Dann muß ichs doch mal versuchen. Und wannst den nächsten Schmarren bekommst bei mir, so ist ein Kürbissen darin.«

»Verteuxeli!«

»Was sagst? Ists Dir nicht recht?«

»O ja. Aberst gleich einen ganzen brauchst darum nicht hinein zu schneiden.«

»Das weiß ich auch. Heut freilich mußt ihn nun ohne Kürbissen verspeisen.«

»Nun weißts also. Und was willst noch wissen, alte Neugierde?«

»Wer Dein guter Freunden hier ist.«

»Das kannst derfahren. Der ist der Ludwig Held aus Oberdorf, ein gar braver Kerlen. Er hat eine alte Muttern und eine arme Schwestern, für die er sich abschinden thut, damits nicht hungern müssen.«

So Etwas konnte die Barbara nicht gut hören. Sofort waren ihre Augen feucht.

»Armes Wurm!« sagte sie. »Ja, wer eine alte Muttern hat, der soll auch für sie sorgen. Hast nicht das schöne Lied mal hört von dera Mutter?«

»Welches?«

»Es beginnt:

Wenn Du noch eine Mutter hast,
So danke Gott, und sei zufrieden.
Es ist auf dieser Erdenwelt
Nicht Jedem solch ein Glück beschieden.

Aber leider weiß ich nicht, wie es weiter geht. Und weilst so für Deine Muttern sorgest, so bist mir sehr willkommen. Da macht Euch also über den Schmarren her, und laßt mir fein nix übrig!«

Sie setzte sich zu ihnen und sah mit Vergnügen zu, wie das kochkünstlerische Meisterstück so schnell hinter den gesunden Zähnen der beiden Männer verschwand. Dabei flogen launige Reden herüber und hinüber, und als der Schmarren verspeist war und die beiden Männer von ihren Sitzen aufstanden, meinte die Alte:

»Das ist schön gewest; das hat mir gefallen. Wollt Ihr etwa schon fort?«


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»Ja, wir müssen ins Dorf.«

»Aber Ihr kommt doch wieder?«

»Gegen Abend. Vielleicht bleibt dera Ludwigen hier bei Euch über Nacht.«

»Das sollt mir sehr lieb sein, denn dann könnt ich Euch gleich bereits heut Abend noch einen Schmarren machen mit Kürbissen darein.«

»Danke sehr! So schnell braucht das nicht probirt zu werden. Ein und dasselbige Essen zweimal des Tages, das ist nicht gut. Dabei verdirbt man sich nur denen Magen.«

Sie gingen nun nach dem Dorfe und fanden den Tausendkünstler daheim. Sein Wagen stand im Hofe des Wirthshauses. Er selbst hatte sein Domicil in der Scheune aufgeschlagen. Dort auf der Tenne lagen einige Bunde Stroh, und auf einem derselben saß Signor Bandolini oder Jeschko, wie sein eigentlicher Name war.

Er schien schlechter Laune zu sein und empfing die Beiden nicht eben sehr freundlich. Dem Wurzelsepp, mit dem er bereits einige Male zusammengetroffen war, gab er die Hand. Ludwig schien er gar nicht zu sehen. Wenigstens nahm er keine Notiz von ihm.

Sepp ließ sich sogleich auf das Stroh nieder und fragte:

»Ich komm heut, um zu fragen, wanns denn endlich mal Ihre Vorstellungen beginnen. Die Leuteln hier möchten doch auch mal von Ihren Künsten was sehen.«

»Ist nicht nothwendig!« klang es beinahe unhöflich.

»Ja, nothwendig ists freilich nicht; aberst ich denk, Sie sind herbeikommen, um hier ein Theater sehen zu lassen.«

»Eigentlich ja; aber meine Truppe ist mir zersprengt worden, und zudem fehlt mir die Lust, eine Vorstellung zu geben.«

»Dann verdienens auch kein Geldl.«

»Was die hiesigen Bauern zahlen würden, das kann ich wohl verschmerzen.«

»Es giebt auch einige wohlhabende darunter. Nicht alle sind so arm wie dera Finkenheiner.«

»Gehen Sie mir mit Dem! Ich mag von ihm nichts hören.«

»Hat er Ihnen was than?«

»Ja. Das Aergste, was mir Einer thun konnte.«

»So! Das wundert mich. Er ist ja sonst so ein braver und guter Kerlen!«

»Das will ich nicht bestreiten, und eigentlich trägt ja auch nicht er die Schuld, sondern die Anna ists gewesen.«

»Seine Frau?«

»Ja. Der Assessor hat mir verboten, von diesen Angelegenheiten zu sprechen; aber ich weiß, daß Sie eingeweiht sind. Da kann man wohl ein Wort fallen lassen.«

»Freilich. Gegen mich brauchens gar nicht zuknöpft zu sein, und hier


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mein Kamerad weiß auch schon Alles. So wollens wohl gar nicht lang mehr hier bleiben!«

»So bald diese verfluchte Amtsgeschichte, bei welcher man mich als Zeuge braucht, vorüber ist, schüttele ich den Staub von den Sohlen, und Niemand erblickt mich wieder. An dieses Hohenwald will ich denken.«

»Warum? Ist das, was Ihnen hier geschehen ist, denn gar so schlimm?«

»Ja. Ich hatte eine Frau, die wurde mir untreu. Und dann lernte ich eine zweite kennen, von der ich annahm, daß sie die Meinige werden würde. Jetzt nun erfahre ich hier, daß sie die Frau des Finkenheiner ist und daß sie bei ihm bleibt.«

»Donnerwettern, das ist freilich ein Pech! Hat die Anna denn niemals sagt, daß sie seine Frau ist?«

»Ja und nein. Sie hat sich genirt, ausführlich darüber zu sprechen.«

»Das läßt sich denken; aberst eine Untreue ist das doch nicht. Da müssens sich also über Ihre erste Frau noch weit mehr kränkt und ärgert haben.«

Der Zigeuner blickte finster vor sich hin. Erst nach einer Weile fragte er:

»Waren Sie verheirathet?«

»Nein.«

»So wissen Sie nichts, gar nichts. Sie haben gar keine Ahnung davon, was es heißt, eine untreue Frau zu haben.« ,

»Hm! Ich hab halt nur deswegen nicht heirathet, weil mein Dirndl mir untreu worden ist.«

»So! Also haben Sie doch auch dieselbe Erfahrung gemacht wie ich. Sie taugen doch Alle nichts. Es ist keine Einzige dabei, welcher man Glauben und Vertrauen schenken darf.«

»Sollts wirklich so gar schlimm sein?«

»Ja, ganz sicher. Meine Frau gab sich sogar mit meinem Bruder ab. Sollte man das für möglich halten!«

»Mit dem Barko also?«

Der alte Sepp hatte diese Frage ganz im gleichgiltigsten Tone ausgesprochen; aber dennoch machte sie einen gewaltigen Eindruck. Der Zigeuner sprang von seinem Sitze empor und rief:

»Barko! Was wissen Sie denn von ihm?«

»Hm!« brummte Sepp.

»Woher wissen Sie, daß ich einen Bruder Namens Barko habe?«

»Hm!«

»Ich habe Ihnen ja gar nichts von ihm erzählt. Ich habe mich überhaupt stets gehütet, von ihm zu reden. Also, woher wissen Sie es?«

»Es hat mir von ihm träumt.«

»Unsinn! Man kann nur von bekannten Gegenständen träumen. Uebrigens ist Barko längst todt.«

»Wissens das genau?«

»Ich war zugegen als er starb.«


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»So war ich zugegen, als er wiederum auferstanden ist.«

Der Zigeuner trat um mehrere Schritte zurück und starrte den Alten an.

»Auferstanden?« fragte er.

»Ein Todter kann nie auferstehen.«

»Aberst Einer, der noch nicht ganz todt ist.«

»Alle Teufel! Wollen Sie etwa sagen, daß Barko noch lebt?«

»Ja.«

»Wo?«

»Gar nicht weit von hier.«

»Unmöglich!«

»Na, wanns nicht glauben wollen, so lassens halt bleiben! Mir kanns sehr gleichgiltig sein.«

»Es ist jedenfalls ein ganz Anderer, der nur denselben Namen hat.«

»Nein, es ist ganz Derselbige, nur daß er einen andern Namen , hat. Er nennt sich nämlich nicht mehr Barko sondern anders.«

»Ich kanns nicht glauben!«

»So lassens eben bleiben!«

»Er ist ja vor meinen Augen gestorben.«

»Das ist ein Irrthum.«

»Nein. Können Sie mir beweisen, daß er lebt?«

»Ja wohl.«

»Wie ist Ihnen das möglich?«

»Soll ich ihn Ihnen etwa herbringen?«

»Alle tausend Donnerwetter! Wenn er wirklich noch lebte, wenn Sie ihn mir bringen könnten! Welch eine Scene! Das wäre eine Rache, eine Entschädigung für Vieles, Vieles, Vieles, was ich erduldet habe und kaum tragen konnte. Aber was Sie sagen ist unwahr. Sie täuschen sich, oder Sie werden getäuscht. Es ist gar nicht anders möglich.«

»Und doch ist es wahr; auch weiß er, daß Sie sich hier in Hohenwald befinden.«

»Was sagen Sie?«

»Und deshalb fürchtet er sich, hierher zu kommen.«

»Ist das wahr?«

»Ja, ich kanns beschwören.«

»Er kennt mich also? Er sagt wirklich, daß ich sein Bruder bin?«

»Ja.«

»Woher wissen Sie das?«

»Hier sitzt Einer, der es selbst hört hat.«

Er deutete auf Ludwig. Der Zigeuner wendete sich daher an diesen:

»Bestätigen Sie die Behauptung des Sepp?«

»Ja, ich kenne Ihren Bruder seit längerer Zeit. Ich kann Ihnen sagen, daß er den Silberbauer kennt, den Fex und den Thalmüller.«

»So ist er es, so ist ers! Geschehen denn wirklich noch Zeichen und Wunder?«

Er schritt in höchster Aufregung auf der Scheunentenne hin und her.


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»Ein Wunder ist das nicht,« bemerkte Ludwig. »Sie haben sich eben getäuscht. Er ist gar nicht todt gewest.«

»Er war todt!«

»Nein!«

Der Zigeuner blieb stehen, griff sich an den Kopf, befühlte seine Glieder, dann trat er näher heran und sagte, indem seine Augen in rollende Bewegung kamen:

»Er war todt; ich selbst habe es gesehen; ich selbst habe - habe - habe ihm damals die Kugel in die Brust gejagt.«

»Herrgott!« schrie der Sepp auf. »Sie haben ihn derschossen?«

»Ja, ich.«

»Ihren eigenen Bruder!«

»Er war mein Bruder nicht mehr. Er war ein Satan. Der Zigeuner hat keine Brüder. Er liebt nur Den, von dem er Liebe erhält, und er haßt selbst seinen Bruder, wenn dieser es verdient.«

Er ging jetzt wieder in langen, hastigen Schritten auf und ab. Sepp blickte Ludwig ganz betroffen an. Eine solche Kunde, ein solches Geständniß hatten Beide nicht erwartet. Dann warf der Zigeuner sich neben sie in das Stroh nieder und sagte, mehr zu sich selbst als zu ihnen:

»Also er soll leben - er soll in der Nähe sein - er soll sich vor mir fürchten! Das will ich glauben! Er hat mich zu fürchten, sehr, sehr, mehr als irgend einen Andern! Wenn er noch lebte, so würde ich meine Rechnung abermals mit ihm zum Abschlusse bringen. Erzählen Sie mir, wo er ist und wie Sie ihn getroffen und kennen gelernt haben.«

»Das kann ich nicht,« sagte der vorsichtige Ludwig.

»Warum nicht?«

»Dann müßte ich Einiges verrathen, was auf Wunsch des Gerichtes noch Geheimniß bleiben muß. Wenigstens kann ich Ihnen nicht eher Etwas erzählen, als bis ich erfahren habe, welche Rechnung Sie mit Ihrem Bruder abzuschließen haben.«

»Sie wollen mich ausforschen?«

»Nein.«

»Pah! Sie sind wohl ein verkleideter Polizist?«

»Nein, das bin ich nicht. Ich bin ein ganz einfacher Bauernknecht und ganz zufällig mit Ihrem Bruder in Berührung gekommen. Ich kann es beschwören, daß er es ist.«

»Und dennoch möchte ich es kaum glauben. Können Sie ihn mir beschreiben?«

»Ganz genau. Aber es fragt sich halt sehr, obs ihn aus dera Beschreibungen derkennen werden, denn ich kanns mir denken; daß Sie ihn seit langen Jahren nicht wieder sehen haben.«

»Das ist richtig. Aber gewisse Dinge giebt es doch, die sich selbst in den Jahren nicht sehr verändern, die Statur, die Farbe der Haare, der Augen


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und noch Anderes. Er hat überhaupt ein Kennzeichen, welches man beim ersten Blick bemerken muß.«

»Meinens etwa die Nasen? Er muß wohl mal einen Hieb darauf erhalten haben.«

»Von mir selbst. Vorher war er ein sehr hübscher Kerl, nachher aber sah er entstellt aus. Also Derjenige, den Sie meinen, hat eine solche breitgeschlagene Nase?«

»Ja. Freilich mag sich diese Beschädigung im Lauf der Jahre wiederum ziemlich verwachsen haben, doch sehen thut man es noch.«

»Alle Teufel! Sollte er es wirklich sein?«

»Ganz sicher. Er hat eine starke, untersetzte Statur. Seine Haare sind mit Grau vermischt, müssen aberst pechschwarz gewest sein, ebenso auch die Augen.«

»Das stimmt, das stimmt!«

Er befand sich in großer Aufregung und schritt, während er sprach, immer schnell hin und her. Die Andern ließen ihn gewähren. Sie störten ihn nicht, bis er, plötzlich vor Ludwig stehen bleibend, sagte:

»Also Sie können mir wirklich nicht sagen, was Sie von ihm wissen und was Sie mit ihm gesprochen haben?«

»Nein, das darf ich nicht.«

»Sie sprachen von der Behörde. Ist er mit ihr in Conflict gerathen?«

»Ja. Ich kann mir denken, daß sie ihn gar gefangen nehmen werden.«

»Ah! Das ist mir lieb. Lebt er wirklich noch, so ist er an seinen damaligen Verletzungen nicht gestorben, und ich bin kein Brudermörder. Das hat mir stets wie ein Alp auf der Seele gelegen und war auch schuld, daß ich niemals, selbst jetzt nicht, wo ich ausgefragt worden bin, die reine Wahrheit über das früher Geschehene gesagt habe. Nun aber kann ich Alles erzählen. Ich bin kein Mörder; ich bin frei von dieser Schuld und weiß dennoch, daß er seinen Lohn erhalten wird.«

Er holte tief, tief Athem. Man sah es ihm an, wie sehr er sich erleichtert fühlte. Das Bewußtsein seiner Schuld mußte wirklich schwer auf ihm gelegen haben.

»Wanns so ist, so könnens freilich froh sein,« sagte der Sepp. »Und wanns uns derzählen wollen, was mit dem Barko vorgegangen ist, so wissen wir nachhero auch, ob wir Ihnen sagen dürfen, was er treibt und wo er sich befindet.«

»Ich brenne darauf, dies zu erfahren, und darum will ich Ihren Wunsch erfüllen. Das wird kein Fehler sein, denn ich weiß, daß Sie in die ganze Angelegenheit ebenso eingeweiht sind, wie die daran näher Betheiligten.«

Er setzte sich jetzt wieder zu ihnen hin und begann:

»Ich bin kein Italiener, obgleich ich einen italienischen Namen trage, sondern ein Zigeuner.«

»So ist also auch dera Barko kein Slowak?«

»Nein; er ist Zigeuner wie ich, und zwar ist er mein älterer Bruder.


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Er war Hirt bei den Heerden des Barons von Gulijan. Ich aber führte ein wanderlustiges Leben. Während er bei Slatina seine Hütte hatte, zog ich als Scheerenschleifer im Lande herum und verdiente mir nebenbei durch allerhand Kunststücke und Productionen ein schönes Geld. Ich konnte nach den Verhältnissen, in denen wir Zigeuner leben, für wohlhabend gelten.«

»Hatte er auch eine Frau?«

»Nein. Wir Beide lernten ein und dasselbe Mädchen kennen, eine junge, schöne Zigeunerin. Er war hübscher als ich, und sie hatte ihn also lieber als mich; aber ich war reicher, und da heuchelte sie mir Liebe und wurde meine Frau. Nun mußte ich eine Heimath haben, denn meine Frau wollte nicht mit mir im Land umherziehen, und so kaufte ich ein kleines Häuschen bei Slatina, in der Nähe der beiden Mühlen. Das bewohnten wir.«

»Aha, jetzunder kommen nun auch die beiden Müllern zum Vorschein.«

»Ja. Da ich mein Handwerk nicht aufgeben wollte, war ich öfters wochenlang nicht daheim. Meine Frau kehrte sich nicht daran. Sie hat niemals geäußert, daß es ihr unlieb sei, so oft allein zu sein. Und wenn ich selbst einmal davon erwähnte, so sagte sie, daß sie nie ganz ohne Schutz und Hilfe sei, weil ja mein Bruder ganz in der Nähe wohne.«

»Vielleicht hat das ihr grad gefallen.«

»Ich ahnte das nicht, habe es aber später leider einsehen müssen. Wenn ich daheim war, so hatte ich nichts zu thun. Dadurch wurde ich zu allerhand Dingen verleitet, welche verboten waren. Ich ging in den Wald und legte dem Wilde Schlingen. Dabei bin ich mehrere Male von dem Obermüller erwischt worden. Er sagte, daß ihm das nichts angehe und er mich also nicht anzeigen werde. Später wollte ich mir einmal des Nachts Etwas aus seiner Mühle holen. Da ertappte er mich auch, zeigte mich aber auch da nicht an.«

»Hm! Etwas holen? Wohl ohne seine Erlaubnissen?«

»Ja.«

»Das war also ein Diebstahl. Die Zigeuner mausen doch wohl alle?«

»Alle! Das ist ihnen angeboren. Der Zigeuner hält eben den Diebstahl nicht für ein Verbrechen, sondern einfach für ein Vergnügen, welches sich der Kluge macht, den Dummen zu übervortheilen.«

»Aber Sie reden vom Obermüller. Wer ist denn das?«

»Der jetzige Silberbauer. Er hatte die obere Schiffsmühle, und Keller die untere in Pacht, darum wurden sie Ober- und Untermüller genannt.«

»Wie ists denn eigentlich kommen, daß er Sie nicht angezeigt hat?«

»Weil er selbst ein Wilddieb war. Die beiden Müller schlichen des Nachts im Walde herum und schossen gar manches Wild weg. Sie fingen das aber so schlau an, daß sie niemals erwischt worden sind.«

»Ja, schlau sind sie alle Beid immerfort gewest. Das muß man sagen. Aber daß er Sie auch dann nicht anzeigt hat, als Sie in seiner eigenen Wohnung einbrochen sind, das ist zum Verwundern.«

»Auch das hatte seinen Grund. Ich hatte ihn nämlich einmal belauscht, als er die Baronin auf einem Spaziergange traf, den sie machte. Er war


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verliebt in sie und wagte es, ihr eine Liebeserklärung zu machen und nachher als sie ihn abwies, ihr zu drohen. Dann einige Tage später ging ich in den Busch, um nach den Schlingen zu sehen, die ich gelegt hatte. Da hörte ich zwei laute Stimmen und schlich mich näher. Es war der Baron, welcher den Müller hier getroffen hatte. Beide befanden sich im höchsten Zorn. Die Baronin hatte es ihrem Manne gesagt, was der Obermüller ihr gegenüber gewagt hatte. Das gab einen so heftigen Zusammenstoß, daß der Baron den Müller mit der Faust in das Gesicht schlug und sodann davon ging.«

»Was that da der Müller? Hat er es sich gefallen lassen? Das würde ihm gar nicht ähnlich sehen.«

»Er stand erst ganz steif und unbeweglich. Sodann stieß er einen wilden Fluch aus und zog den dicken Stock, welchen er in der Hand hatte, auseinander. Jetzt sah ich, daß dies eine Stockflinte war. Dann folgte er dem Baron nach. Ich huschte so vorsichtig wie möglich hinter ihm her und hörte nachher zwei Schüsse.«

»So sind sie zusammengerathen!«

»Das dachte ich auch, jetzt aber denke ich ganz anders darüber. Ich war so erschreckt, daß ich gar nicht nachdachte, ob es gut für mich sei, mich sehen zu lassen. Ich eilte hinzu. Da lag der Baron am Boden und der Müller kniete bei ihm und griff ihm an das Herz, um nach dem Pulse zu fühlen.

Der Müller kniete bei ihm.

»>Was machst Du hier?< schrie er mich an, als er mich erblickte.

»>Das geht Dich nichts an! Was aber hast Du hier gemacht?<

»Ich deutete auf die Leiche, denn der Baron war todt. Der Müller aber hatte, wie es ein solcher Wildschütze stets thut, nach dem Schusse seine Stockflinte gleich wieder zusammengeschoben. Er ließ sich nicht aus der Fassung bringen und antwortete:

»>Nichts habe ich gemacht. Ich war hier im Wald und hörte den Schuß. Da eilte ich herbei und fand die Leiche. Der Baron ist ein Selbstmörder. Er hat sich erschossen.<

»>Das soll ich wohl glauben?<

»>Wie soll es denn anders sein?<

»>Er ist erschossen worden.<

»>Von wem denn?<

»>Von Dir!<

»Da stand der Müller vom Boden auf, stellte sich drohend vor mich hin und sagte:

»>Du bist wohl wahnsinnig? Womit sollte ich ihn erschossen haben? Es ist ja kein anderes Gewehr als das seinige vorhanden.<

»>Dieses da!< sagte ich, indem ich auf seine Stockflinte deutete.

»>Das ist mein Stock. Mit dem kann ich doch nicht schießen.<

»>So nicht, wohl aber wenn Du ihn auseinander schraubst.<

»>Kerl, woher weißt Du das?<

»>Das ist Nebensache. Ich weiß es, das ist genug.<


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»Da sah der Müller mich mit solchen Augen an, daß mir angst und bange wurde. Es war ihm anzumerken, daß er den Gedanken hatte, mich niederzuschießen. Dann aber lachte er laut auf und sagte:

»>Kerl, Du bist ein Schlaukopf und hast mich, während Du Schlingen legtest, einmal beobachtet. Nun ja, ich habe eine Stockflinte, mit welcher ich mir zuweilen eine Kleinigkeit schieße. Hier schau sie Dir an. Vergleiche ihr Kaliber mit dem Loch, welches die Kugel des Barons gemacht hat, und Du wirst sehen, daß der Schuß nicht aus meiner Flinte gekommen sein kann.<

»Da hatte er freilich Recht. Die Wunde konnte nur von einer Kugel stammen, für welche das Kaliber der Stockflinte viel zu klein war. Ich konnte mir das nicht erklären. Hatte der Baron sich wirklich erschossen? Das war doch nicht anzunehmen. Als ich das dem Müller sagte, lachte er mich aus und antwortete:

»>Der sich erschießen? Das wäre ihm im ganzen Leben nicht eingefallen. Es ist eine Unvorsichtigkeit gewesen. Wer weiß, wie er das Gewehr getragen oder gehalten hat. Niemand war dabei.<

»>Aber vorher hast Du Dich mit ihm gezankt!<

»>Was? Wer sagt das?<

»>Ich. Ich habe es gehört. Ich habe es sogar gesehen, daß er Dich geschlagen hat.<

»>Mensch! Ist das wahr?<

»>Ja. Ich weiß sogar, weshalb er Dich geschlagen hat.<

»>Nun, weßwegen?<

»>Wegen seiner Frau.<

»Er wurde leichenblaß, und in seinen Augen blitzte Etwas auf, was ganz nach Mord und Todtschlag aussah. Das machte mir Angst, denn er war stärker als ich. Darum fügte ich schnell hinzu:

»>Aber das Alles geht mich gar nichts an. Ich habe keine Lust, mich in solche Sachen zu mischen.<

»>Höre, Jeschko, daran thust Du ganz recht. Ich will nicht thun, was ich eigentlich thun sollte. Kannst Du mir beweisen, daß ich Den da erschossen habe?<

»>Nein, denn die Kugel ist aus seinem Gewehre gekommen.<

»>So sind wir Beide eben ganz zufällig hier in der Nähe gewesen, als er sich durch eine Unvorsichtigkeit entleibte. Am Besten ists, wir wissen nichts davon. Wenn wir es melden, so haben wir tausend Scheerereien. Das können wir vermeiden. Bist Du einverstanden?<

»>Nicht ganz. Wir haben doch wohl die Pflicht, die Meldung zu machen.<

»>So habe ich auch die Pflicht, anzuzeigen, daß Du ein Wilddieb bist und bei mir eingebrochen hast.<

»>Du wilderst doch auch!<

»>Beweise es. Ich will sehen, wem man mehr glaubt, mir oder Dir. Ich erkläre Alles, was Du vorbringen würdest, für eine Fabel. Ja, ich bin


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sogar im Stande, zu behaupten, daß diese Stockflinte Dir gehört und daß ich Dich hier an der Leiche des Barons getroffen habe!<

»Es war ihm zuzutrauen, daß er diese Drohung ausführen werde. Darum überlegte ich nicht lange und versprach ihm, daß ich schweigen wolle.

»>Gut, abgemacht,< sagte er sodann. >Lassen wir den Todten liegen. Er geht uns ja gar nichts an. also komm!<

»Und nachdem wir uns von der Stelle weit entfernt hatten, blieb er stehen und meinte:

»>Damit Du erkennst, daß ich Dir vertraue und daß ich es gut mit Dir meine, will ich Dir ein Geheimniß mittheilen. Wer ist denn eigentlich der Mann Deiner Frau? Du oder der Barko, Dein Bruder?<

»Ich war von dieser Frage so verblüfft, daß ich keine Antwort gab.

»>Nun?<

»>Ich natürlich.<

»>So! Du? Armer Junge! Hast Du denn noch gar nicht bemerkt, daß diese Beiden es mit einander halten?<

»>Tausend Teufel! Ists wahr?<

»>Ueberzeuge Dich nur. Du brauchst ja nur zu thun, als ob Du in Geschäften fortgingst. Du bleibst aber da und beobachtest sie. Da wirst Du bald sehen, wer der eigentliche Herr in Deinem Hause ist. Leb wohl jetzt, und halte reinen Mund! Dann bleiben wir gute Freunde. Solltest Du aber plaudern, so magst Du die Folgen auf Dich nehmen.<

»Er ging fort, und ich stand da, als ob mich der Schlag gerührt habe.«

»Das glaub ich gar wohl,« meinte der Sepp. »Wann man eine solche Botschaften zu hören bekommt, so ists grad, als ob man mit einem Beil einen Hieb auf den Kopf empfangen thät.«

>Ja, so war es, ganz so!«

»Für jetzt ist mir die Hauptsach, ob dera Müller denen Baronen derschossen hat oder nicht.«

»Ich bin überzeugt, daß er der Mörder ist.«

»Vorhin habens aber doch ganz anderst sprochen, nämlich von wegen dem Kaliber!«

»Ja, damals habe ich mir die Sache nicht erklären können. Je mehr ich aber später über dieselbe nachdachte, desto klarer ist es mir geworden, wie der Vorgang eigentlich gewesen ist.«

»Nun, wie soll er gewest sein?«

»Der Müller ist dem Baron nach und hat ihn mit seiner Stockflinte erschossen - - -«

»Da wär doch das Mundloch kleiner gewest.«

»Lassen Sie mich ausreden! Damit man nun annehmen möge, daß die Kugel aus dem Gewehre des Barons gekommen sei, hat der Müller dann die Mündung desselben grad auf die Wunde gehalten und die größere Kugel noch hindurchgeschossen. Beide sind vorn in den Kopf und hinten wieder hinaus.


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Das Gewehr ist ganz nahe an die Stelle gehalten worden, denn sie war versengt und verbrannt.«

»Himmelsakra! Wäre das richtig?«

»Ganz gewiß. Sie müssen sich erinnern, daß ich nicht einen Schuß, sondern zwei Schüsse gehört hatte.«

»Ja, ja! Zuzutrauen ist ihm ein solches Experimenten gar sehr wohl. Was hat man denn über den Baronen denkt?«

»Es ist viel nachgesucht worden an Ort und Stelle; man hat nichts finden können. Aus Allem aber läßt sich ersehen, daß die Baronin verrathen hat, wer der Mörder gewesen ist.«

»Nun, vielleichten bringts heut noch die Sonne an den Tag. Wie ists dann mit Ihrer untreuen Frauen worden?«

»Ich habe am nächsten Morgen gethan, als ob ich mich wieder auf eine meiner Wanderungen begebe, und sie hat mich eine Strecke weit begleitet und dann zärtlichen Abschied genommen. Aber am Abende war ich wieder daheim. In meinem kleinen Häuschen brannte Licht. Ich konnte durch das Fenster sehen. Da saß mein Bruder bei ihr, und ich sah nun, was ich nicht zu beschreiben brauche. Sie waren wie Mann und Frau.«

»Donnerwettern! So eine Weihnachten! Was habens denn da macht?«

»Zunächst wollte ich die Thür einschlagen und Beide umbringen. Aber von diesem Gedanken kam ich glücklicher Weise ab. Dann habe ich lange, lange an der Mauer gelehnt und bitterlich geweint. Endlich dachte ich an den Schieber im Dache. Hinter dem Häuschen lag die Leiter. Ich lehnte sie an, stieg auf das Dach und schob den Schieber auf. Ich stieg hinein und befand mich nun auf dem niedrigen Boden. Dann schlich ich mich die Treppe hinab. Die Beiden waren so sicher, daß sie nur die Haus- nicht aber die Stubenthür abgeschlossen hatten. Ich machte auf und stand nun so plötzlich vor ihnen, daß sie sich vor Schreck nicht zu rühren vermochten.«

»Ist ihnen auch zu gönnen, und nicht nur dieses, sondern noch weit mehr.«

»Eine Ausrede für sie gab es nicht. Ich habe kein Wort gesagt, kein einziges. Ich habe mich umgedreht und den Ort verlassen. Als ich nach langer, langer Zeit wieder hin kam, war mein Bruder verschwunden. Er hatte jedenfalls meine Rache gefürchtet und sich aus dem Staub gemacht.«

»Ich dacht, Sie hätten ihn derschossen?«

»Damals nicht. Das geschah später.«

»Und Ihre Frau?«

»Die war auf dem Schlosse Amme geworden. Ihr Kind, dessen Vater ich wohl nicht gewesen bin, war gestorben.«

»Haben Sie dieselbige denn nicht besucht?«

»Nein. Aber am nächsten Tage begegnete ich dem Bruder, welcher heimlich in die Gegend gekommen war, um sich nach der Lage der Sache umzusehen. Es war im Freien, und wir standen uns ganz plötzlich gegenüber. Ich hob unwillkürlich den Arm empor, wie um nach ihm zu schlagen, und da packte er mich blitzschnell mit beiden Fäusten an der Gurgel. Wir kamen zum


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Ringen und stürzten nieder. Dabei gerieth mir ein Stein in die Hand, mit welchem ich ihm einen Hieb ins Gesicht versetzte, der ihn für den Augenblick betäubte. Später habe ich gesehen, daß ich ihm die Nase zerschlagen hatte. Es war eine große Wuth über mich gekommen; aber ich überwand sie und ließ den Kerl liegen, ohne ihm ein Weiteres anzuthun.«

»Das hätten viele Anderen wohl nicht so fertig bracht.«

»Ich habe mich selbst auch darüber gewundert. Später hatte ich eine solche Selbstbeherrschung nicht. Ich traf auf meiner Wanderung auf eine Zigeunerbande, der ich aber aus dem Wege ging. Ich bog weit um ihr Lager herum und setzte dann den Weg fort. Da kam Einer von ihnen, der zum Lager zurückkehrte, auf mich zu. Er hatte eine Flinte überhängen. Es war - - mein Bruder!«

»Sapristi! Jetzt kommts!«

»Ja. Wir erkannten uns auf der Stelle, trotzdem indessen die Blattern mein Gesicht zerrissen hatten. Er riß sogleich das Gewehr herab und legte auf mich an. Dabei rief er mir zu, meine letzte Stunde sei vorhanden, weil ich ihm damals die Nase zerschlagen hätte. Aber ich war schneller als er. Wuth und Todesangst gaben mir doppelte Kräfte. Ich entriß ihm das Gewehr, sprang zurück, richtete den Lauf auf ihn und schoß - aus einer Entfernung von drei Schritten grad durch die Brust. Er stürzte nieder. Ein Blutstrom quoll aus seinem Munde. Ich aber ergriff schleunigst die Flucht. Seit jenem Augenblicke habe ich ihn für todt gehalten.«

»Er lebt. Er muß geheilt worden sein.«

»Möglich ist es ja. Selbst wenn die Kugel durch die Lunge gegangen ist, kann die Wunde heilen. Freilich bedarf es da einer ganz außerordentlichen Pflege. Aber die Zigeuner verstehen sich auf Wundbehandlung. Also er lebt und ich kann ihn zu sehen bekommen?«

»Ja. Und das sehr bald. Vielleicht schon heut Abend.«

»Wo?«

»Das darf ich nicht verrathen, aber Sie werdens wohl gleich derfahren, sobalds mit dem Herrn Ludewigen sprochen haben.«

»Meinen Sie den, der in der Mühle wohnt?«

»Ja.«

»Der weiß auch davon?«

»Er weiß Alles und hat uns herschickt, damit Sie zu ihm kommen sollen. Er will mit Ihnen über diese Angelegenheiten reden.«

»Und da sitze ich hier und verschwatze die kostbare Zeit!«

Er sprang wieder von seinem Sitze auf.

»So eilig ists halt nicht,« beruhigte ihn der Sepp. »Wanns nur am Nachmittag hin kommen.«

»So lange soll ich warten? Das bringe ich nicht fertig. Ich muß möglichst bald von meinem Bruder erfahren. Ich gehe sofort.«

Er griff nach seinem Hute, welcher an einem Pflocke hing.


// 1502 //

»Halt!« rief der Sepp. »Laufens doch nicht davon! Wir haben noch mitnander zu reden.«

2033

»Was denn?«

»Wir müssen doch derfahren, was damals Alles geschehen ist.«

»Das können Sie später auch hören.«

»Von wegen daß das Schloß wegbrannt worden ist - - -«

»Dazu habe ich nun keine Zeit.«

»Und wie Sie mit dera Frau des Finkenheiner zusammenkommen sind.«

»Kommen Sie später wieder. Jetzt muß ich vor allen Dingen wissen, was der Herr Ludwig mit mir zu sprechen hat.«

Er eilte davon. Der Wurzelsepp schlug sich zornig mit der Faust auf das Bein, stand auch auf und sagte:

»So ists, wann man sich auf die Leut verlassen thut! Grad wanns bleiben sollen, da laufens erst recht davon!«

»Und wann sie laufen sollen, da bleiben sie sitzen.«

»Ja. Was thun wir nun?«

»Ganz was Dir gefällt.«

»Wollen wir etwan hier warten, bis dieser Zigeunern wiederkommt?«

»Nein. Dazu habe ich keine Geduld.«

»Ich auch nicht.«

»Sollten wir nicht den Lehrer und den Fex nach der Mühle schicken?«

»Ja, das werden wir jetzunder thun. Die Beiden sind schnell dicke Freunden worden. Ich kann gleich drauf schwören, daß dera Fexen sich jetzt beim Lehrer befindet. Gehen wir dahin!«

Er hatte sich nicht geirrt. Die beiden Genannten waren beisammen und begaben sich nach der erhaltenen Botschaft sogleich nach der Mühle. Der Sepp schlug mit Ludwig ganz dieselbe Richtung ein, nur langsamer und gemächlicher.

Dort angekommen, schlich er sich in den Garten und holte den Kürbis aus demselben. Sie begaben sich in den nahen Wald und setzten sich an ein Plätzchen, welches rings von Büschen umgeben war, so daß sie nicht leicht entdeckt werden konnten.

Sepp begann sein Meisterwerk. Während sie sich eifrig unterhielten, schnitt er an dem Kürbis herum, daß es eine Art hatte. Später, als die rohen Umrisse vorhanden waren und es nun darauf ankam, die feineren Linien heraus zu bringen, ging es freilich viel langsamer, doch war, als die Dämmerung hereinbrach, die Arbeit vollendet.

Er knüpfte den Kopf in sein Sacktuch und begab sich zum Könige. Dieser zeigte sich über diese Arbeit sehr befriedigt. Der alte Sepp hatte wirklich kein übles Geschick zum Bildschnitzen, und eine kleine Aehnlichkeit war unbedingt zu erkennen.

Der König theilte ihm mit, daß die Vorbereitungen getroffen worden seien und daß auch Jeschko, der Zigeuner, mit dabei sein werde. Punkt zwölf Uhr wollte der Letztere mit dem Lehrer und dem Fex kommen.

Nun begab sich der Alte mit Ludwig hinab in die Mühle, wo das


// 1503 //

Abendbrot bald auf dem Tische stand. Der Finkenheiner war mit seiner Tochter Liesbeth gekommen, und so gab es eine recht animirte Unterhaltung. Der Abend verging. Der Finkenheiner verabschiedete sich mit der Liesbeth, und der Sepp begab sich mit Ludwig nach der Kammer, die ihnen zum Nachtlager angewiesen worden war.

Nach kurzer Zeit aber waren sie bereits überzeugt, daß der Müller mit der alten Barbara schlafen sei. Die Mühle sollte heut einmal von dem alten Knappen Peter bedient werden. Der bekümmerte sich ganz gewiß nicht darum, ob Jemand noch nicht eingeschlafen sei.

Die Beiden schlichen sich also leise wieder hinab und öffneten die Hausthür, vor welcher sie den Fex mit dem Lehrer fanden. Als diese Beiden kaum nach der Stube des Königs gegangen waren, kam auch der Zigeuner. Er wurde hinauf geleitet.

Es war hoch interessant, ihn beim Eintritte zu beobachten. Er hatte den Fex noch nicht gesehen. Als nun sein Blick auf denselben fiel, blieb ihm der Gruß, welchen er bereits ausgesprochen hatte, im Munde stecken.

»Was haben Sie?« fragte der König.

Das Fenster war vorsichtiger Weise verhängt worden, und eine Lampe brannte so hell, daß die Züge eines Jeden auf das Deutlichste zu erkennen waren.

»Wer - wer - wer - -!« stammelte der Gefragte anstatt der Antwort.

»Sprechen Sie doch!«

»Wer - wer - wer ist das?«

Da antwortete der Sepp:

»Das ist dera Wasserfex, welcher den Barko mit fangen soll.«

»Der - der - Wasserfex! Mein Gott, Herr Baron! Das ist ja der Herr Baron von Gulijan, er und kein Anderer!«

»Sprechen Sie leiser!« warnte der König. »Es ist allerdings zu vermuthen, daß unser junger Freund der Sohn des ermordeten Barons ist, aber wir haben noch einige Glieder für die Kette des Beweises zu suchen. Jetzt können wir uns nicht damit befassen. Wir haben uns zu postiren. Sie sehen, daß der Kopf bereits im Bette liegt. Und die Falten des Letzteren sind so geordnet, daß man selbst bei einem sehr aufmerksamen Blicke zum Fenster herein unbedingt der Meinung sein muß, daß ich selbst im Bette liege.«

Er öffnete sodann einen großen Kleiderschrank, welcher in der Stube stand.

»Hier dieser Schrank ist ausgeleert worden. Zwei Stühle stehen darinnen. Auf ihnen werden der Fex und Jeschko Platz nehmen, um die Mörder hier zu erwarten.«

»Darf ich denn nicht mit hier im Zimmer bleiben?« fragte Sepp. »Ich möcht halt gern dera Erste sein, welcher zugreifen thut.«

»Nein. Es steht zu erwarten, daß Barko als Erster einsteigen werde. Wenn er seinen Bruder erblickt, wird er so erschrocken sein, daß er für den ersten Augenblick alle Gegenwehr vergißt. Auch meine ich, daß er über den Anblick des Fex so erstarren wird wie hier sein Bruder Jeschko. Ehe er sich


// 1504 //

erholt, ist er überwunden. Da im Schranke liegen Stricke zum Fesseln. Vor das Fenster postiren sich der Herr Lehrer und da mein Lebensretter und Namensvetter Ludwig. Eine Instruction brauche ich ihnen wohl nicht zu geben.«

»Aberst wohin werde denn nun ich posterirt?« fragte der Sepp ungeduldig.

»Hinaus vor die Stubenthür.«

»Donner und Doria! Da soll ich wohl gar nicht dabei sein, wann dera Krawall beginnt? Da mach ich nicht mit.«

»Du sollst auch mit dabei sein. Sobald Du draußen hörst, daß der Kampf hier losgeht, trittst Du schnell ein.«

»Das will ich mir schon eher gefallen lassen.«

Um ihn vollends zu beruhigen, fügte der König hinzu:

»Uebrigens werde ich mich nach der Wohnstube hinab begeben und auf dem Kanapee die Entwickelung abwarten. Es kann da leicht vorkommen, daß ich eines schnellen und zuverlässigen Menschen bedarf. Darum habe ich Dich auf den Hausboden postirt. Von der Stubenthür aus kann ich leise mit Dir reden, ohne daß ein Unberufener es hört.«

»Schön! So bin ich also dera Flügeladjutant. Das will ich mir gefallen lassen.«

»Jetzt löschen wir die Lampe aus und brennen das Nachtlicht an. Wenn dann noch der Vorhang vom Fenster weggenommen ist, so sind alle Vorbereitungen getroffen.«

»Aber wie steht es mit dem Laden?« fragte der Lehrer.

»Der ist zu aber nicht verschlossen. Sie können ihn leicht und ohne Geräusch von draußen aufziehen. Man muß ihnen so wenig Schwierigkeiten wie möglich bieten. Also, ein Jeder nun an seinen Platz!«

In Zeit von einer Minute lag die Mühle in tiefer Nacht und Ruhe. Die Stille wurde durch das Klappern und Knarren der Räder eher hervorgehoben als unterbrochen.

Der Fex hatte sich mit dem Zigeuner in den Schrank gesetzt und die Thüre desselben von innen zugezogen. Ihr Lage war eine möglichst bequeme.

»Dürfen wir mit einander sprechen?« fragte Jeschko.

»Leise, ja.«

»Aber vertreiben wir da nicht vielleicht die Einbrecher?«

»Nein. Nach dem von dem Knecht gelieferten Bericht steht zu erwarten, daß sie schießen werden. Bevor also der Schuß nicht gefallen ist, haben wir sie hier in der Stube nicht zu erwarten.«

»Welch eine Dreistigkeit, schießen zu wollen! Das muß man ja hören!«

»Vielleicht besitzt Ihr Bruder eine Windbüchse oder ein geräuschloses Deschin. Sie müssen natürlich den Bewohner des Zimmers erst tödten, bevor sie einsteigen können.«

»Na, kommt nur herein! Wir werden Euch empfangen!«

»Sie scheinen sich förmlich darauf zu freuen, den Mann, welcher Ihnen so nahe verwandt ist, dem Arme der Gerechtigkeit zu überliefern.«


// 1505 //

»Er hat es verdient, um mich, um Andere und vor allen Dingen auch um Sie.«

»Ich habe das, was ich erlitt, meist nur dem Silberbauer und dem Thalmüller zu danken.«

»Aber Barko war ihr Verbündeter. Sie müssen sich doch seiner ganz gut erinnern können.«

»Nein. Vielleicht habe ich ihn niemals gesehen.«

»Sie sind ja eine ganze Zeit von ihm herumgeschleppt worden.«

»Davon weiß ich nichts. Ich war zu jung. Ich erinnere mich nur noch der Amme.«

»Das war meine Frau.«

»Die Frau des Finkenheiner, mit welcher Sie hier angekommen sind, hat es mir mitgetheilt. Sie haben mit dieser Frau nicht glücklich gelebt?«

»Sehr glücklich, bis sie mich betrog. Sie war die Geliebte meines Bruders.«

»Das müssen Sie mir später einmal erzählen. Würden Sie sie erkennen, wenn Sie ihr heut begegneten?«

»Ganz gewiß. Eine Person, welche man so lieb gehabt hat, erkennt man sofort. Aber von einer Begegnung ist keine Rede. Sie ist ja todt.«

»Ja, aber ich werde Ihnen einmal ihr - - - Bild zeigen. Es ist so außerordentlich täuschend, daß Sie staunen werden.«

»Horch! War das nicht am Laden?«

»Ja. Auch ich hörte es!« »Dann pst!«

Sie lauschten mit angehaltenem Athem. Es ließ sich ein leises, klingendes Knicken hören.

»Sie haben eine Fensterscheibe mit Hilfe eines Pflasters eingedrückt,« flüsterte der Fex. »Nun wird sich der Schuß hören lassen. Horch!«

Ein nicht zu lauter Knall ertönte. Er wurde von dem Klappern der Mühle übertäubt. Draußen war er jedenfalls nur ganz schwach zu hören. Hier im Zimmer war er vernehmlich gewesen.

Nun erklang das Fenster. Es knisterte von dort her. Dann hörte man, daß ein Mensch hereingestiegen kam und mit einem leisen Sprunge auf der Diele fußte.

»Einer ist da,« flüsterte der Zigeuner. »Wollen wir hinaus?«

»Ja. Aber vorher mal schauen.«

Er schob die Schrankthür um eine ganz kleine Lücke auf und blickte hinaus. Ein Mensch schlich sich an das Bett und beugte sich über den vermeintlichen Kopf des Königs.

»Jetzt! Leise noch!« sagte er und erhob sich geräuschlos vom Stuhle.

Ebenso geräuschlos öffnete sich die Thür des Schrankes. Es war nicht das mindeste Knarren zu vernehmen. Die Beiden traten heraus, voran der Fex. - -

Der Lehrer hatte mit dem Knecht Ludwig nicht ganz nach dem Willen


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des Königs gehandelt, dessen Instruction er bereits am Nachmittag erhalten hatte. Es war ihm die Weisung geworden, sich in das Hollundergebüsch, welches längs der Mauer wucherte, zu verstecken. Als er aber jetzt nun mit Ludwig herauskam und am Hause stehen blieb, schien es ihm doch bedenklich zu sein, der erhaltenen Weisung Folge zu leisten.

»Meinen Sie auch, daß wir uns in diesen Hollunder stecken?« fragte er.

»Ja.«

»Das ist gefährlich.«

»Und ich denk grad das Gegentheil.«

»Stecken wir drin, so können wir nicht weichen. Wie nun, wenn die beiden Kerls auf den Gedanken kommen, das Buschwerk abzusuchen.«

»Hm! Darauf können sie allerdings sehr leicht kommen.«

»Sie müssen das sogar, wenn sie nur eine Spur von Gehirn haben. Entdecken sie uns, so ists aus mit unserem Vorhaben.«

»Nun, ergreifen würden wir sie doch.«

»Nein. Ehe wir uns aus den Sträuchern fitzen können, sind sie fort. Und selbst wenn es uns gelingt, sie festzuhalten, so haben wir sie doch nicht auf vollendeter That erwischt.«

»Sehr richtig! Wir müssen uns also anderswo postiren.«

»Uebrigens können wir sie auch nicht genau beobachten, wenn wir da unten auf der Erde liegen, dicht an die Mauer gedrückt und vom Hollunder überdeckt.«

»Ja, wenn wir uns dem Fenster gegenüber stellen könnten! Da würden wir freilich Alles sehen.«

»Das können wir doch!«

»Ohne alle Deckung?«

»Wir haben Deckung, nämlich das Dunkel der Nacht. Wir legen uns in das Gras. Da sind wir an der dunklen Böschung gar nicht zu sehen und haben alle Freiheit der Bewegung. Kommen sie uns zu nahe, so entfernen wir uns kriechend. Kommen Sie, es ist das Allerbeste.«

Sie zogen sich also bis auf ungefähr zwanzig Schritte von dem betreffenden Fenster zurück und legten sich da dicht neben einander in das weiche Gras, in welchem sie bis auf vier, fünf Schritte Entfernung nicht erkannt werden konnten.

»Woher werden sie kommen? Von welcher Seite?« fragte Ludwig.

»Jedenfalls von rechts, aus dem Walde. Links ist ihnen der Mühlgraben im Wege. Es steht natürlich zu erwarten, daß sie vorher die ganze Mühle umschleichen werden. Nachher wird -«

Er hielt inne.

»Was wird nachher?«

»Still! Hörten Sie nichts?«

»Nein.«

»Mir war, als ob mit einem Stiefel auf Stein getreten worden sei.«

»Ja, ja. Sehen Sie da gegen die weiße Mauer, an der Ecke.«


// 1507 //

»Das scheint ein Mensch zu sein. Kriechen wir näher.«

Sie bewegten sich leise fort, dem Gebäude entgegen, und gewahrten nun deutlich eine an der Ecke lehnende menschliche Gestalt.

»Das ist der Eine, der auf den Anderen wartet,« flüsterte der Lehrer. »Dieser Andere wird sich noch auf Recognition befinden.«

»Nein; da kommt er.«

Eine zweite Gestalt bog um die Ecke und Beide huschten sodann nach dem Laden. Es war ein leises, ganz leises Klingen zu hören. Der Laden wurde geöffnet. Das sah man genau, weil nun das von dem Nachtlichte erleuchtete Fenster zum Vorscheine kam.

»Jetzt werden sie hineinblicken,« vermuthete Ludwig.

»Nein. Sehen Sie, daß sie erst nach rechts und links die Mauer absuchen? Jetzt würden sie uns entdecken, wenn wir uns dort versteckt hätten. Sie finden nichts; nun kehren sie zurück.«

Der eine der beiden Einbrecher erhob den Kopf an das Fenster und blickte hinein, eine ziemlich lange Zeit. Dann sahen die beiden Lauscher, daß etwas Dunkles an die Glastafel gehalten wurde.

»Ein Pechpflaster,« meinte der Lehrer. »Sie drücken das Fenster ein.«

Jetzt hörten auch sie jenes leise Knirschen, welches der Fex mit dem Zigeuner vernommen hatte. Das Pflaster verschwand und mit demselben die Glastafel. Dann wurde wieder ein Kopf sichtbar, welcher durch das Fenster in die Stube lugte, und nun wurde ein langer Gegenstand in das durch die entfernte Glastafel entstandene Loch gesteckt.

"Eine Flinte!" sagte der Lehrer.

»Eine Flinte!« sagte der Lehrer. »Der Kerl zielt sehr, sehr lange. Er will natürlich keinen Fehlschuß thun. Ah, jetzt!«

Der Schuß erklang, aber so, daß er vom Mühlengeklapper fast ganz verschlungen wurde. Sodann lauschte wieder Einer in die Stube hinein und langte nachher mit dem Arme durch die Oeffnung, um die Wirbel zu öffnen. Als das geschehen war, stieg der Mann ein.

»Jetzt ist unsere Zeit gekommen,« meinte der Lehrer. »Kriechen wir ganz hinzu. Der Andere wird auch sogleich einsteigen.«

Sie bewegten sich in gerader Richtung nach dem Fenster hin. Jetzt schwang sich auch der Zweite hinauf und wollte hinein.

»Jetzt können wir aufstehen,« sagte Ludwig. »Ich bin stark. Ich halte den Kerl ganz allein fest. Binden Sie ihn!«

»Dann rasch. Wir dürfen ihn nicht in die Stube lassen, sonst sind da drinnen Zwei gegen Zwei. Nehmen wir ihn bei den Beinen! Ah, was ist das?«

»Er kommt wieder.«

Der Einbrecher wollte zurück. Drinnen in der Stube waren Stimmen zu vernehmen. Es war ein kritischer Augenblick. Usko und Zerno waren mit den anderen Paschern nach dem Föhrenbusch gekommen und hatten da an andere hier versteckte und auf sie wartende Schmuggler ihre nichts als Lumpen enthaltende Packete abgegeben. Bis sie


// 1508 //

Rückfracht bekamen, konnten mehrere Stunden vergehen. Diese Frist benutzten sie zu dem verabredeten Ueberfalle.

Sie hatten nicht weit bis nach der Mühle. Usko hatte die Lage derselben und deren Umgebung bereits ganz genau ausgekundschaftet. Es handelte sich nur, zu erfahren, ob man noch wache oder nicht. Das fiel den schlauen Verbrechern gar nicht schwer. Sie wußten sehr bald, daß nur ein alter Knappe in der Mühle wache.

Nun lauschten sie an den vorderen Parterrefenstern. Es ließ sich keine Spur von Leben hören. Die Bewohner waren schlafen gegangen.

»So sind wir sicher,« sagte Usko. »Komm!«

Er huschte nach der Ecke, mußte aber dort noch kurze Zeit warten, da der übervorsichtige Zerno abermals zu horchen begann. Endlich war Letzterer befriedigt und sie näherten sich nun dem Fenster. Usko hob den Kopf und blickte durch eine kleine Spalte des Ladens.

»Wie steht es?« fragte Zerno.

»Sehr gut. Er schläft fest.«

»Aber der Laden. Den können wir ohne Geräusch doch nicht öffnen. Das muß ihn unbedingt aufwecken.«

»Pah! Du scheinst sehr ungeschickt zu sein. Uebrigens steht uns ja eine Probe frei - - Himmelsapperment! Das ist gut! Der Laden ist gar nicht richtig zu! Es ist vergessen worden, den Vorstecker einzuschieben. Schau, da geht er auf.«

»Leise, leise!«

»Keine Sorge! Ich mache jede Thür und jeden Laden auf, ohne Geräusch zu verursachen.«

»Halt, jetzt klingts!«

»Das war so wenig, daß es kein Mensch hört. So, jetzt ist er auf. Aber wir wollen doch aus Vorsicht mal nachsehen, ob wir uns auch wirklich ganz allein hier befinden. Gehe Du rechts und ich links.«

Sie recognoscirten die Giebelmauer bis zu den beiden Ecken hin, und da sie nichts Verdächtiges fanden, kehrten sie befriedigt zu dem Fenster zurück, durch welches Usko nun sehr aufmerksam schaute.

»Er hat nichts gemerkt,« sagte er. »Er schläft wie ein Ratz. Ich glaube, der Anschlag wird gelingen. Gieb mir jetzt das Pechpflaster her!«

»Aber mach ja leise!«

»Pah! Ein Fenster einzudrücken, das habe ich gelernt.«

Er drückte das Pflaster fest an die Scheibe, legte dann die beiden Handflächen darauf und gab einen raschen, kräftigen Druck. Die Scheibe war herausgebrochen und blieb an dem Pflaster kleben. Es hatte nur leise geknirscht.

»So!« sagte er. »Auch das ist gelungen. Nun haben wir leichtes Spiel. Jetzt einen Schuß und wir sind die Herren im Hause.«

»Ist es wirklich nothwendig, daß wir ihn ermorden?«


// 1509 //

»Wimmre nicht, altes Kind! Ehe ich mich erwischen lasse, muß lieber ein Anderer dran glauben. Wer dieser Andere ist, das ist mir sehr egal.«

Er nahm das mitgebrachte Gewehr, welches er vorher gegen die Mauer gelehnt hatte, empor und legte an. Er zielte auf das Sorgfältigste und drückte sodann ab.

Es gab einen leichten Knall, welcher aber, wie bereits erwähnt, nicht vernommen wurde, wenigstens von den Schläfern nicht. Sodann lehnte er die Flinte wieder zurück.

»Getroffen!« sagte er. »Grad in die Schläfe. Er bewegt sich nicht, er ist augenblicklich todt gewesen. Jetzt können wir hinein.«

»Wer steigt voran?«

»Ich natürlich. Habe ich Alles machen müssen, so will ich auch das noch thun.«

Er schwang sich empor und stieg in die Stube. Da angekommen, lauschte er einige Augenblicke und schlich sich dann auf den Fußspitzen nach dem Bette. Er beugte sich, während Zerno sich anschickte, nachzusteigen, über die vermeintliche Leiche.

»Ja, grad in die Schläfe,« sagte er; »ein Meisterschuß. Aber - Donnerwetter!«

»Was ists?« fragte Zerno, indem er in seinen Bewegungen inne hielt.

»Das - das ist ja gar kein Kopf!«

»Was? Kein Kopf!«

»Nein.«

Er griff den Kopf mit beiden Händen, hob ihn empor, betrachtete ihn und flüsterte dann hastig:

»Der ist aus einem Kürbis geschnitzt. Alle tausend Teufel! Mach wieder hinaus, Zerno. Wir sind verrathen!«

Er selbst drehte sich um, um nach dem Fenster zurückzueilen, blieb aber erstarrt stehen, denn vor ihm stand der Fex.

»Guten Abend, Barko!« sagte dieser.

Der Zigeuner wankte. Er griff mit den Händen um sich, nach eine Stütze suchend.

»Der Ba-ba-ba-ron!« stieß er hervor.

»Ja, der Baron. Was thust Du hier?«

»Ich - ich - ich - Himmel und Hölle!«

Er sah jetzt auch seinen Bruder, welcher aus dem Schrank getreten war.

»Jesch-jesch-jeschko!« stöhnte er.

»So?« antwortete der Genannte. »Du kennst mich also noch. Komm her, mein Lieber, wir haben Armbänder für Dich!«

Er hob den Strick empor.

Da erkannte Usko die ganze Größe der Gefahr. Wenn er nicht floh, so war er verloren, fürs ganze Leben verloren. Zerno war vom Fenster verschwunden. Das letztere stand offen und frei. Da hinaus mußte er. Der Fex sah nicht stark aus; darum sprang Usko auf diesen ein, um ihn bei Seite


// 1510 //

zu schleudern. Aber da hatte er sich geirrt. Der Fex wich keinen Zoll breit zurück, sondern versetzte ihm vielmehr einen Stoß, daß er bis zur Thür hin taumelte.

Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken: Vielleicht gelang es ihm, durch die Thür zu entkommen. Er wollte hinaus und riß sie auf. Da aber ertönte ihm, unter dem Schnurrbarte des alten Sepp hervor, entgegen:

»Hier kannst halt nicht außi, mein Bub. Bleib also liebern daheimi!«

Der Sepp schob ihn zurück und trat mit herein. Er hatte einige Stricke in der Hand.

Usko wollte nun blind um sich schlagen, hatte aber auch damit keinen Erfolg, denn er wurde von seinem Bruder und dem Fex von hinten so fest gehalten, daß der Sepp ihn in aller Gemüthlichkeit fesseln konnte. Dann trugen ihn die Drei hinunter in die Wohnstube.

Zerno hatte, als der Warnungsruf seines Gefährten erschallte, sofort die Flucht ergriffen. Er schob sich aus dem Fenster zurück und sprang zur Erde. Dort aber blieb er für einige Augenblicke bewegungslos stehen, denn hinter ihm ertönten die Worte:

»Haben ihn! Ich halt ihn fest! Bindens ihn gar schön, Herr Lehrern!«

Im gleichen Augenblicke legten sich die Arme des riesenstarken Ludwig um seinen Leib. Der flinke Lehrer zögerte nicht, der an ihn ergangenen Aufforderung nachzukommen. Noch ehe dem Einbrecher die Besinnung recht zurückgekehrt wahr, lagen ihm die Stricke so fest um den Leib, die Arme und Beine, daß er sich nicht zu rühren vermochte.

»Nun hinein mit ihm. Ich nehme ihn auf die Achsel. Bringens seine Flinten mit!«

Bei diesen Worten schwang Ludwig sich den Gefangenen auf die Achsel und trug ihn wie einen Sack in das Haus und die Stube hinein. Der Lehrer folgte mit dem Gewehre. In der Stube war es noch dunkel. Darum sagte Ludwig:

»Hier ist Einer, Herr Ludwig. Den Anderen werdens wohl auch bald bringen. Jetzund sollten wir ein Streichhölzerl haben.«

»Ist schon da,« antwortete der Lehrer, indem er ein Hölzchen anstrich und dann die auf dem Tisch stehende Lampe anbrannte. Jetzt wurde eben Usko zur Treppe herabgebracht. Man legte die Beiden auf die Diele neben einander.

»Willkommen auch!« lachte der alte Sepp. »Schaut, so kommen die fremdesten Leutln zusammen. Ihr hättet wohl nicht glaubt, Euch mal hier in dera Mühlen zu begegnen? Na, uns gefreuts auch gar sehr, daß wir Euch kennen lernen. Wir werden Euch so bald nicht wieder fortlassen.«

»Warum werde ich gefangen?« fragte Zerno. »Ich habe gar nichts gethan!«

»Nichts? Bist wohl nicht einistiegen?«

»Ja, aber in der besten Absicht.«

»So! Was war denn das für eine?«


// 1511 //

»Ich kam am Wasser her und sah bereits von Weitem, daß Einer durch das Fenster stieg. Ich eilte herbei und bin ihm nach, um zu sehen, ob das vielleicht wohl gar ein Spitzbube sei.«

»Wars denn Einer?«

»Das weiß ich nicht, denn in diesem Augenblicke wurde ich ergriffen und gebunden.«

»Wie jammerschade! Man soll gar nicht glauben, daß das so einem braven Kerlen passiren kann. Ja, es kommen Sachen vor, die selbst ein Spitzbub nicht begreift. So kennst wohl diesen Anderen hier gar nicht?«

»Nein.«

»Und doch geht Ihr mit nander auf den Handel!«

»Das ist nicht wahr.«

»Und schlaft mit nander auf denen Heuböden bei denen Bauern.«

»Das ist eine Lüge.«

»Und steckt mit nander in denen Ziegelhütten. Ist auch das unwahr?«

»Ja.«

»So seht Euch mal da diesen Buben an. Es scheint, daß der uns belogen hat.«

Er zog Ludwig herbei, welcher bis jetzt seitwärts gestanden hatte.

»Dieser!« knirschte Usko, als er den Knecht erblickte. Weiter sagte er nichts.

»Den kenne ich nicht!« log Zerno.

»Das braucht Dich nicht zu ärgern, denn Du wirst ihn recht bald kennen lernen. Sodann kann es leicht kommen, daßt ihn fein lieb gewinnen wirst.«

Er wendete sich ab. An seiner Stelle trat Jeschko zu den Gefangenen heran. Er funkelte seinen Bruder mit haßerfüllten Augen an und sagte:

»Nun wirst Du keine Frauen mehr verführen, keine Schlösser anbrennen und keine Kinder mehr rauben können!«

»Hund!« zischte der Gefangene wüthend.

»Das beleidigt mich nicht. Die allergrößte Beleidigung für mich erfuhr ich an dem Augenblicke, an welchem ich als Dein Bruder geboren wurde. Du hast es lange genug getrieben. Nun bricht das Strafgericht über Dich herein.«

Anstatt der Antwort spuckte der Gefangene vor seinem Bruder aus. Dieser wendete sich von ihm ab.

Der König hatte diese beiden Scenen schweigend beobachtet. Jetzt winkte er den Lehrer zu sich heran und sagte:

»Besorgen Sie einen Wagen, in welchem die Gefangenen sofort in das Gefängniß geschafft werden. Sie mögen mit dem Sepp und Ludwig Held als Bedeckung mitgehen. Lassen Sie den Assessor wecken und sagen Sie ihm, daß ich unverweilt mit ihm sprechen muß. Ich bin gezwungen, bis zu seiner Ankunft hier unten zu bleiben, da oben nichts verändert werden darf. Also beeilen Sie sich!«

Als der Lehrer zur Thür hinaus wollte, begegnete er unter derselben der alten Barbara, welche in einem unbeschreiblichen Negliggée hereintrat.


// 1512 //

»Was ist denn das für ein Lärm im Haus? Was ist geschehen?« fragte sie.

»Zwei Freier haben wir in Deiner Kammern funden und sie allsogleich verarretirt,« antwortete der Sepp.

»Freier? Bei mir? Was fallt Dir wieder mal eini, Du alter Nixnutz! Marie, Joseph! Da liegen wirklich Zwei!«

Sie schlug die Hände zusammen und dabei entfiel ihr das alte Saloppentuch, welches sie übergeworfen hatte. Als sie sich nun augenblicklich nach demselben bückte, rutschte ihr auch die riesige Nachthaube vom Kopfe. Beides aufraffend, erkannte sie nun zu spät, daß sie sich nicht in einer salonfähigen Toilette befinde. Wie der Wind war sie zur Thüre hinaus. -

Am nächsten Mittwochstage saß der Kerybauer wieder mit seiner Familie beim Mittagsessen. Es ging heute noch stiller und trüber als gewöhnlich zu.

Heute war der Entscheidungstag. Heute wollten die Osecs sich die Antwort holen, und doch hatte er weder mit der Frau noch mit der Tochter wieder über das schwierige Thema gesprochen.

Und warum hatte er das nicht gethan?

Er selbst hätte auf diese Frage wohl keine klare Antwort zu geben vermocht. Der einzige Grund lag in seiner verborgenen, ihm selbst unbewußten Liebe zu Gisela.

Ihr letztes kräftiges und selbstständiges Wesen hatte ihm imponirt. Ihr Widerstand, obgleich gegen ihn selbst gerichtet, war ihm sympathisch. Er fühlte, daß er an ihrer Stelle ganz ebenso gehandelt hätte, und darum brachte er es nicht dazu, ihr zu zürnen.

Aber seine Lage wurde dadurch nicht gebessert. Er befand sich in den Händen der Osecs. Seine einzige Hoffnung waren die fünfzehntausend Gulden, welche er für die vorgestern abgelieferten Waaren im Laufe dieser Woche bekommen mußte. Dieses Geld mußte ihn schwimmend erhalten. Vielleicht scheuten die Osecs einen Proceß.

So saß er an dem Tische und aß, obgleich ihm kein Bissen schmeckte. Niemand wagte, eine laute Aeußerung zu thun. Man sah es ihm an, daß er sich in der allerschlechtesten Laune befand.

Da kam der Postbote und brachte einen eingeschriebenen Brief. Das Gesicht des Bauers erheiterte sich. Er erkannte die Handschrift des Kaufmannes, welchem er die Schmuggelwaaren geliefert hatte.

Er quittirte, stand vom Tische auf und ging hinauf in seine Stube. Dort öffnete er den Brief. Derselbe lautete, anstatt in gewohntem, freundlichem Tone, folgendermaßen:

          »Herrn Georg Kery.
Wenn Sie meinen, mich im Laufe einer längeren Zeit durch scheinbare Ehrlichkeit so kirre gemacht zu haben, daß Sie nun einen desto lohnenderen Betrug gegen mich ausführen können, so haben Sie sich in vollständigem Irrthum befunden. Mit einem so gemeinen Schwindel übertölpelt man mich nicht. Zum Glück haben Sie weder eine Empfangsbestätigung noch ein


Ende der dreiundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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