Der Weg zum Glück - Teil 71

Lieferung 71

Karl May

3. Dezember 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


// 1681 //

hätte, daß die Juwelen fehlten! Dieser Scandal hätte ihm doch nicht entgehen können.

»Antworten Sie höflicher!« warnte der König. »Sie haben es nicht mit Ihresgleichen zu thun!«

»So? Da soll ich es mir wohl gefallen lassen, daß ich unschuldig zum Spitzbuben gemacht werde! Das paßt mir schlecht! Solche Späße muß ich mir verbitten!«

»Es ist kein Spaß, sondern Ernst. Das will ich Ihnen gleich beweisen.«

Er klingelte, und sofort traten die drei Polizisten ein. Keilberg erschrak, faßte sich aber schnell wieder. Man konnte ihm doch nichts Unmögliches beweisen. Er hatte bis heut nicht gestohlen, und die heutige That war ja noch nicht entdeckt.

»Was sollen denn diese hier?« fragte er, auf die Polizisten deutend.

»Sie sollen dafür sorgen, daß Sie uns nicht davon laufen, so wie Sie mir heut entsprungen sind!«

»Na, von denen werde ich mich auch nicht halten lassen. Ich habe nichts gethan.«

»So, Sie haben heut Abend nicht gestohlen?«

»Heut Abend? Wo denn?«

»Hier im Schlosse.«

 

»Fällt Niemandem ein!«

»So! Fräulein von Alberg, haben Sie noch nicht bemerkt, daß Sie bestohlen worden sind?«

»Ich? Bestohlen? Ich habe keine Ahnung davon,« antwortete sie.

»Wo heben Sie Ihre Schmucksachen auf?«

»Im Bureau.«

»Und Ihre Gelder?«

»Eben da.«

»Bitte, wollen Sie einmal nachsehen, ob Ihnen dergleichen Gegenstände fehlen!«

Milda war ganz bestürzt vor Erstaunen. Die Bürgermeisterin aber sagte:

»Siehst Du! Ich bat Dich, den Schrank zu verschließen!«

»Das kann doch unmöglich - - in dieser kurzen Zeit!«

»O bitte!« sagte Ludwig. »Nehmen wir Licht, um nachzusehen. Der Gefangene mag mitkommen.«

»Gefangen? Ich?« lachte Keilberg. »Das ist spaßhaft. Na, ich kann ruhig mitgehen, denn ich weiß von nichts.«

Als man im Bureau ankam, stellte es sich heraus, daß das Ebenholzkästchen leer war. Milda erschrak auf das Heftigste.

»Und Ihr Geld?« fragte Ludwig.

»Das Geld befindet sich hier in diesem Schubfache.«

»Wollen Sie öffnen?«

Sie that es. Es lag ein Zettel darin, welcher angab, wieviel vorhanden sei. Es stellte sich heraus, daß acht Rollen Gold fehlten.


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»Nun, Keilberg, was sagen Sie dazu?« fragte der König.

»Ich? Nichts. Das geht mich gar nichts an.«

»So? Wo haben Sie denn logirt?«

»Ich weiß nicht genau, wo meine Thür ist. Sie können ja nachsuchen. Da, hier stehe ich. Suchen Sie mich doch aus. Und suchen Sie in meinem Zimmer!«

»Da ist allerdings nichts zu finden.«

»Na, also! Sie scheinen überhaupt allwissend zu sein, weil Sie wissen, daß da nichts zu finden ist.«

»Ja. So weiß ich zum Beispiel, daß neben Ihrem Fenster der Blitzableiter heruntergeht.«

»Donnerwetter!«

Jetzt war er erschrocken. Die Sache begann unheimlich zu werden.

»Können Sie klettern?«

»Nein.«

»Oder kriechen?«

»Kriechen? Hm! Eigenthümliche Frage!«

»Zum Beispiel in eine Schleuße hinein?«

»Alle Teufel! Was meinen Sie?«

Es war ihm alle Farbe aus dem Gesicht gewichen.

»Was ich meine? Ich meine, daß es am Gerathensten für Sie ist, wenn Sie alles eingestehen.«

»Was soll ich eingestehen? Ich habe nichts begangen.«

»Lügen Sie nicht!«

»Ich lüge nicht!« behauptete er.

Da trat Ludwig hart an ihn heran und donnerte ihn an:

»Und doch lügt Er, Er frecher Bube! Hat Er die fehlenden Sachen gestohlen oder nicht?«

»Nein.«

»Hat Er sie zum Fenster hinabgeschafft?«

»Nein.«

»Hat Er sie nicht in der Schleuße versteckt?«

»Nein. Ich weiß nichts.«

»Ich habe es aber selbst gesehen. Ich habe Ihn aus dem Fenster und auch wieder hineinsteigen sehen!«

»Wenn Sie wirklich so Etwas gesehen haben, da bin ich es nicht gewesen. Da haben Sie mich total verkannt!«

»Ich habe nur vier Ellen entfernt von Ihm gestanden, als Er in die Schleuße kroch. Und dann habe ich nachgeschaut, was Er da unter dem Sande vergraben hat.«

»Das ist aber doch jedenfalls ein ganz Anderer gewesen!«

»Will Er mich zum Lügner machen! Das laß Er nur bleiben! Werden gleich sehen, daß es kein Anderer gewesen sein kann.«


// 1683 //

Diese Worte wurden Keilberg so entgegengedonnert, daß er ganz erschrocken zusammenfuhr und den Kopf einzog. Ludwig blickte sich forschend um. Die Verbindungsthür, die einzige, welche es außer dem Eingange gab, entging ihm nicht.

»Dieser Mensch kam aus dem dritten Fenster gestiegen, von der Ecke her gezählt. Wo liegt das betreffende Zimmer?« fragte er.

»Hier nebenan,« antwortete Milda. »Aber man wird ihn doch nicht da einquartirt haben! Das ist gar kein Fremdenzimmer!«

Der Hausmeister, welcher sich natürlich auch mit eingefunden hatte, erklärte, aus welchem Grunde er diesem Menschen grad dieses Zimmer angewiesen habe. Ludwig untersuchte die Thür. Sie war jenseits verschlossen. Er begab sich dort hinüber und öffnete die Thür. Es war sonnenklar, daß Keilberg der Dieb gewesen war. Er hatte aus seinem Zimmer ganz leicht in das Bureau gekonnt, und es gab weiter kein solches Nebenzimmer. Der König hatte ihn gesehen, beobachtet und ganz genau erkannt. Er konnte gar nicht leugnen und leugnete doch. Darum wurde er nun streng gefesselt und nach der Schleuße geführt, aus welcher beim Scheine mehrerer Laternen die gestohlenen Gegenstände hervorgeholt wurden.

Selbst jetzt, obgleich er vollständig überführt war, gestand er die That nicht ein. Er wurde nach dem Gefängnisse abgeführt, und Ludwig gab die Weisung, ihn ja auf das Beste zu beaufsichtigen, da er des Fluchtversuches außerordentlich verdächtig sei.

Milda war herzlich froh, die geraubten Geschmeidesachen sofort wieder zu erhalten. Eigentlich hätten sie zu den Acten genommen werden müssen. Bei der Schloßherrin aber wurde eine Ausnahme gemacht.

Ludwig ging gar nicht wieder mit in das Schloß zurück. Er sagte, daß man bald von ihm hören werde. Milda wollte ihm ihre Kutsche zur Verfügung stellen; er aber wies dieses Anerbieten zurück. Der Abend war nicht mehr ganz dunkel, da der Mond ins Viertel getreten war. Er wollte lieber gehen. Da konnte er den Gedanken über die heutigen Erlebnisse ganz anders Audienz geben, als wenn er im Wagen gesessen hätte.

Die Bürgermeisterin beschrieb ihm ganz genau den Weg und fügte noch hinzu:

»Hinter der dritten Krümmung der Straße geht ein Richtweg ab, auf welchem man eine Viertelstunde eher an das Ziel kommt. Er ist zwar bereit genug, daß man ihn auch des Abends gehen kann, aber wer nicht ganz vertraut mit ihm ist, der thut besser, auf der Straße zu bleiben. Er geht zunächst bergan, dann jenseits wieder hinab nach Hohenwald.«

Als nun Abschied genommen und die herzlichsten Danksagungen abgestattet worden waren, machte sich Ludwig auf den Weg. Langsam und gedankenvoll folgte er der Straße, so gedankenvoll, daß er die Krümmungen gar nicht zählte.

Er war längst bei der dritten, ja schon an der vierten vorüber, da ging ein Weg rechts ab. Er war ziemlich breit und führte zwischen hochstämmigen


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Bäumen dahin, welche weit auseinander standen. Ohne sich lange zu besinnen, folgte er diesem Pfade, welchen er für den erwähnten Richtsteig hielt.

Leider aber führte derselbe hinauf in die Berge und zwar nach dem Felsenklamm, welcher für heut zum Rendez-vous der Pascher dienen sollte.

Eine Viertelstunde und noch eine verging. Der Weg führte bergan und immer weiter bergan und schien sich gar nicht wieder thalabwärts neigen zu wollen. Der König achtete auch jetzt noch nicht darauf. Seine Gedanken waren ganz anderswo als auf dem Wege. Als er aber nun drei volle Viertelstunden bergan gestiegen war, kam ihm die Sache doch etwas abenteuerlich vor.

Der Weg war schmäler geworden und führte nun auch durch dichteren Wald, so daß er kaum mehr zu erkennen war. Ludwig sah ein, daß er sich wahrscheinlich verirrt habe. Aber sollte er die weite Strecke wieder zurückkehren? Nein. Der Weg mußte doch an irgend ein Ziel führen.

So folgte er ihm weiter und immer weiter. Bald hörte der Wald auf, und es gab nun ein Terrain von wild zerklüfteten Felsen. Der Viertelmond gab so viel Licht, daß der Weg von dem Gestein zu unterscheiden war.

Jetzt lief von rechts her ein anderer Pfad mit ihm zusammen, und beide mündeten in eine Felsenöffnung, welche kaum so breit war, daß zwei nebeneinander gehen konnten. Die Steinwände stiegen senkrecht und hoch empor, rechts und links, so daß das Licht des Mondes nicht vermochte herein zu dringen.

Es gab keine Wahl; Ludwig betrat die Spalte und folgte derselben. Das war der berüchtigte Felsenklamm.

Sich mit den Händen rechts und links weitertastend, schritt Ludwig langsam weiter. Der Klamm war wohl eine Viertelstunde lang. Er mochte die Hälfte desselben zurückgelegt haben, so schrak er heftig zusammen, denn nur wenige Schritte vor ihm hatte eine Stimme ein lautes, kurzes, rauhes Werda gerufen. Selbst der furchtloseste Mensch erschrickt, wenn er in finsterer Nacht in tiefster Einsamkeit aus nächster Nähe unerwartet angerufen wird.

»Gut Freund,« antwortete Ludwig.

»Was da, gut Freund! Die Parole wollen wir hören!«

Parole! Jetzt wußte der König, daß er Pascher vor sich habe. Sollte er zurück? Das war nicht nach seinem Geschmack. Vor solchen Leuten fliehen? Nein!

»Ich kenne Eure Parole nicht,« antwortete er.

»Donnerwetter! Ein Fremder! Den sehen wir uns an.«

Er war stehen geblieben. Jetzt blitzte vor ihm das Licht einer Blendlaterne auf, welches ihn vollständig beleuchtete und dann rasch wieder verschwand.

»Wahrhaftig ein Fremder!« bestätigte dieselbe Stimme. »Was willst Du hier oben?«

»Ich habe mich verlaufen.«

»Mach keine Lügen! Wo willst Du hin?«

»Nach Hohenwald.«

»Wo kommst Du her?«


// 1685 //

»Aus Steinegg.«

»Wer bist Du?«

Dieses Ausfragen belästigte ihn. Sollte er sich von diesen Leuten ausfragen lassen, von Leuten, welche die von ihm gegebenen Gesetze übertraten? Zudem waren es der Sprache nach nicht einmal Bayern sondern Böhmen. Nein. Er war kein Handwerksbursche, welcher vom Gensdarm verhört wird.

»Wer seid denn Ihr?« entgegnete der Gefragte.

»Oho! Der Kerl fragt uns!« lachte eine zweite Stimme. »Gieb ihm eins auf die Platte.«

Und die erste sagte:

»Hast Du es gehört, Fremder? Bei uns da geht es anders als Du denkst. Also sag, wer Du bist und zwar schnell!«

»Und bei mir geht es auch anders, als Ihr denkt!« antwortete er. »Wer seid Ihr?«

»Hölle und Teufel! Mach uns den Kopf nicht warm! Bist Du allein?«

»Ja.«

»Lüge nicht!«

»Ich lüge nicht. Laßt mich vorbei!«

»Daß Du es drüben melden kannst, was Du gesehen hast! Nein, so dumm sind wir nicht.«

»Gut! So gehe ich wieder zurück.«

»Oho! Das dulden wir auch nicht. Wenn wir Dich zurücklassen, so meldest Du uns unten, Du bleibst hier bei uns!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Wird Dir schon einfallen! Gieb Deine Hände her! Wir binden Dich! Da bleibst Du dann liegen, bis morgen am Tag Jemand kommt, der Dich frei macht. Also her damit!«

Er wurde beim Arm gepackt.

»Laßt mich!« rief er. »Mich binden lassen, fällt mir gar nicht ein!«

»Nicht, so wird Ernst gemacht. Greif zu!«

Vier Arme schlangen sich um ihn, die ihn niederringen wollten. Er im Vollgefühle seiner riesigen Körperkraft leistete wackern Widerstand. Sie brachten ihn nicht nieder.

»Mach kein langes Gesumms mit ihm!« keuchte der Eine. »Nimms Messer! Wenn er kalt ist, so ist er kalt!«

König Ludwig griff schnell zu.

Im nächsten Augenblicke sah Ludwig trotz der Dunkelheit ein blitzschnelles mattes Blinken vor seinen Augen. Der Pascher hatte wirklich zum Messer gegriffen. Ludwig griff schnell zu, und es gelang ihm, den Arm zu erfassen.

»Er hält mich!« sagte der Eine. »Stich Du ihn!«

»Schön! Gleich!«

Da plötzlich rief eine dritte Stimme laut:

»Stechen! Ihr Hunde, was fallt Euch ein! Das sollt Ihr verfluchten Mördern doch nimmer fertig bringen. Hier hasts!«


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Ludwig hörte einen kräftigen Schlag und der Kerl, welcher ihn jetzt hatte stechen wollen, stürzte zu Boden.

»Fremder, wie viele sinds halt?« fragte die dritte Stimme. »Doch nur zwei?«

»Ja.«

»Na, da wollen wir denen Andern auch noch ins Bett legen!«

Ein zweiter Hieb war zu hören, dann stürzte der Andere zu Boden.

»So!« sagte die Stimme. »Auch dieser ist fertig. Bist wohl verwundet?«

»Gott sei Dank, nein.«

»So ists gut. Es war grad die richtige Zeit, daß ich mich dazwischen machen that, sonst hättst ein Messern zwischen die Rippen bekommen.«

»Wie kommst Du hierher?«

»Grad so wie Du, auf denen Beinen.«

»Höre, Deine Stimme kommt mir bekannt vor.«

»Mir die Deinige Sprachen auch.«

»Wer bist Du denn?«

»Ich? Ich bin der Ludwig Held aus dem Oberndorf.«

»Habe es mir gedacht. Ich erkannte Dich an der Stimme.«

»Und wer bist denn Du?«

»Errathest Du es nicht?«

»Gar gut nicht. Hört hab ich Deine Stimm bereits schon; ich weiß auch, wer dieselbige hat; aberst der kannst nicht sein.«

»Warum nicht?«

»Dera liegt jetzund da unten in Hohenwald im Bett und schläft.«

»In welchem Haus?«

»In dera Mühlen. Ich mein halt den Herrn Ludwigen. Grad so eine Stimm hast Du.«

»So! Na, Deine Ohren sind scharf. Du hast ganz richtig gerathen.«

»Was? Himmelsakra! Du bist - Du wärst - - dera Herr Ludwigen?«

»Ja.«

»Aber was thust heroben?«

»Ich habe mich verlaufen.«

»Das hast bereits denen Zweien sagt.«

»Hasts gehört?«

»Ja. Ich steck halt schon seit zwei Stunden hier, um auf diese Zwei zu warten. Sie sind kommen und da hab ich sie belauscht. Nachhero kamst auch Du. Hast von Glück zu sagen, daßt nicht stochen worden bist.«

»Wie kommst aber Du dazu, hier oben auf diese Pascher zu lauern?«

»Weil ich sie hab fangen wollt.«

»Was? Du allein?«

»Nein. Es wollen noch Grenzer kommen; aberst die sind noch nicht da. Die Paschern sind viel eher aufstiegen, als sie halt selbst wollt haben.«


// 1687 //

»Da liegen sie nun am Boden. Sie werden wohl besinnungslos sein.«

»Ja, aberst ganz todt sind sie halt nicht. Ich habe ihnen einen kleinen Klapps auf denen Kopf geben. Wart, da am Stein habens ihra Latern stehen. Wollens halt mal anleuchten.«

Nebenan stand die Blendlaterne. Er hob sie auf und öffnete sie. Er ließ ihr Licht zunächst auf den König fallen.

»Sakra!« rief er. »Bists wirklich, Herr Ludwig! Na, das ist mir eine große Freuden, daß ich dazwischen kommen bin.«

»Und ich weiß es Dir großen Dank. Du hast mir heut zum zweiten Male das Leben gerettet.«

»Das brauchst nicht zu danken!«

»O doch. Sie hatten die Messer gezogen.«

»Ja, aberst von einem Stiche stirbt man nicht so gleich. Der muß tief gehen, wann er ins Leben dringen will.«

»Ich danke! Drei Zoll ist genug. Leuchte sie einmal an! Vielleicht kennst Du sie. Es scheinen Böhmen zu sein.«

»Ja, das sind sie. Und kennen thu ich sie auch.«

»So! Wer ists?«

»Die Osecs von jenseits dera Grenz, Vater und Sohn. Der Kerl hat mir mein Dirndl nehmen wollt; nun hab ich mir ihn selbst auch nommen.«

»Ach! Ich verstehe.«

»Verstehsts halt? Ja, bei solchen Sachen ist immer ein Dirndl und auch die Lieb dabei.«

Er leuchtete die beiden am Boden liegenden Männer an. Sie hatten sich die Gesichter mit Ruß geschwärzt, doch erkannte er sie sehr leicht.

»Sie sinds,« sagte er. »Sie werden sich freuen, wanns aufiwachen. Damits aberst nicht davonlaufen, werd ich ihnen die Händen und Beinen zusammenknüpfen.«

»Hast Du Stricke mit?«

»Stricken nicht aberst gute Riemen, die reißen sie mir nimmer entzwei.«

»Du scheinst Dich doch recht sorgsam vorbereitet zu haben.«

»Natürlich! Ich habs einmal auf sie absehen habt. Ich hab sie fangen wollt, und da hab ich mir die Riemen mitnommen.«

Er kauerte sich nieder und fesselte die Beiden. Sie wachten darüber auf.

»Alle Teufel! Gefangen!« rief der alte Osec.

»Ja, fangen bist, fangen wie die Flieg im Spinnennetz.«

»Was hast Du mit uns vor? Du bist doch kein Grenzer.«

»Merkst das auch bereits?«

»Ja. Du hast ja keine Uniform.«

»Ein Bauernknecht trägt keine Uniform.«

»Ein Knecht bist Du? Wohl ein armer?«

»Reich bin ich nicht. Das ist wahr.«

»Kerl, und dann nimmst Du uns gefangen und bindest uns sogar?«

»Ein Armer darf das wohl nicht?«


// 1688 //

»Wirsts doch nicht mit den Grenzern halten! Sind welche da?«

»Nein.«

»So laß uns doch frei!«

»Das fallt mir gar nicht eini!«

»Wir bezahlen Dich gut.«

»So! Wie viel gebt Ihr denn?«

»Fünfzig Gulden.«

»Dank schön! Da bleibt liebern liegen.«

»Fünfzig, nicht für uns Zwei sondern pro Mann. Macht also hundert.«

»Mach nicht mit!«

»So geben wir hundertfünfzig.«

»Nein.«

»Mensch, bedenke, welch ein Geld für Dich, für einen Bauernknecht.«

Ludwig, der Knecht, nahm nämlich eine solche Stellung ein, daß sein Gesicht im Dunkeln blieb. Auch suchte er seine Stimme zu verstellen. Aus diesen beiden Ursachen erkannten sie ihn nicht.

»Für einen Knecht sehr viel,« sagte er, »das ist wahr.«

»Und wir sind doch keine Verbrecher, sondern nur arme Pascher.«

»Macht keine Lügen!«

»Es ist wahr!«

»Paschern wärt Ihr nur? Nein, Mördern seid Ihr!«

»Nein.«

»Habt Ihr nicht meinen Kameraden derstechen wollt?«

»Das war nur Scherz.«

»Ja, sagt das nur jetzt. Dort liegen die Messern noch. Die Klingen sind zehn Zoll lang. Das geht durch und durch. Und das soll ein Gespaß gewest sein!«

»Nimm Verstand an! Wie viel willst Du haben?«

»Nix will ich.«

»Unsinn! Wir geben Dir zweihundert Gulden!«

»Nicht für zweitausend!«

»Die könnten wir gar nicht geben, denn wir sind arme Schlucker.«

»Ja, das weiß ich schon! Arme Schluckern seid Ihr, und des Kerybauers Gisela habts heirathen wollt. Da müßt Ihr freilich sehr arme Leutln sein!«

»Donnerwetter! Was fällt Dir ein! Du verkennst uns.«

»Ja. Dera Osec bist halt nicht. Ich hab Euch verkannt.«

»Bist Du toll! Ich der Osec!«

»Nein, der bist nicht. Der Osec hat keine schwarze Haut wie Du, sondern nur ein schwarzes Herz. Kennst ihn wohl auch?«

»Nein.«

»Jammerschad, daßt ihn nicht kennst! Der ist ein Feiner! Der trägt seine Packeterln zuvor zum Felsberger Pfarrern in die Scheun, um sie dort zu verstecken, damit er heut bei Zeiten in dem Felsenklamm sein kann.«


// 1689 //

Die beiden Osecs erschraken. Sie erkannten, daß sie verrathen seien. Sie hatten es jedenfalls nicht mit einem unbefangenen, gewöhnlichen Knecht zu thun.

»Wer bist denn Du?« fragte der Alte.

»Wißt Ihr das nicht?«

»Nein. Wir kennen Dich nicht.«

»Nun, so braucht Ihr mich doch nicht erst noch kennen zu lernen. Es kann mir und Euch nix nützen. Ins Spinnhaus kommt Ihr doch.«

»Du bist des Teufels!«

»Oder Ihr!«

»Laß uns los! Wir zahlen Dir fünfhundert Gulden.«

»Nein. Euch trau ich nicht. Ihr könntet mir auch solche Sachen machen, wie dem Kery. Wartet noch ein Wengerl, sodann kommen die Grenzer. Die führen Euch heim.«

»Donnerwetter, treibt den Spaß nicht zu weit! Was hast Du denn, wenn Du uns den Grenzern übergiebst?«

»Das Prisengeld.«

»Das zahlen wir Dir auch.«

»Für Euer Geld dank ich schön. Ihr müßt ins Zuchthaus. Dahin, wo ich den Usko und den Zerno auch schon schickt hab.«

»Du?«

»Ja.«

»Mensch, wir zahlen Dir noch mehr!«

»Bietet was Ihr wollt! Ich geb Euch nimmer frei.«

»Wir geben Dir die beiden Packete!«

»Danke sehr! Wann ich sie nehmen wollt, so thät ich Euch gar nicht erst fragen. Sie liegen hier, und ich könnt mit ihnen gehen. Ihr kennt mich ja nicht.«

»So sage, was Du haben willst!«

»Nix. Ihr kommt nicht frei.«

»Hartkopf! Ach, wenn Du uns nicht gebunden hättest!«

»So! Was würde da sein?«

»Da machten wir Dir den Kopf weicher.«

»Ihr? Ja, grad so weich, wie der Eure war, als wir Euch in Slowitz ins Wasser tunkt haben.«

»Was? Warst Du dabei?«

»Ja.«

»Kerl, so sag doch nur, wer Du bist!«

»Ich bin dem Kerybauern sein Schwiegersohn.«

»Das ist nicht wahr. Der hat keinen.«

»Oho! Hier steh ich da! Ich bins.«

Er trat nun so, daß der Lampenschein auf ihn fiel.

»Der Ludwig!« schrie der Osec auf.


// 1690 //

»Ja, dera Ludwigen,« lachte der Knecht. »Wie ists Euch denn nun? Nicht wahr, jetzund wißt Ihr ganz genau, daß Ihr nicht wieder frei kommt?«

Sie schwiegen.

»Todt habt Ihr mich machen wollt. Meinem Bauer habt Ihr das Gut abnehmen wollt! Doch Ihr habt nicht an den Ludwigen dacht. Der hat Alles gut macht.«

»Ja, das wissen wir!« knirschte Osec. »Du bists, dem wir Alles, was letzthin geschehen ist, zu danken haben.«

»Natürlich! Und daran seid Ihr selberst schuld. Ihr ganz allein. Verhaltet Euch so, daß die Leutln Eure Freunden sind anstatt Eure Feinden.«

»Du hast uns die Wechseln gestohlen aus der Brusttasche!«

»Meinst? Kannsts beweisen?«

»Eben nicht, sonst sollte es Dir schlecht ergehen. Du hast uns beschlichen und belauscht, um uns zu verderben. Das sehen wir jetzt.«

»So! Ich muß doch ein gescheidter Kerlen sein!«

»Nein, das bist Du nicht. Gieb uns frei!«

»Da könnt Ihr warten.«

»Höre, Du sollst die Packete haben und alles Geld, welches wir bei uns tragen.«

»Dank schöni!«

»Ferner entsagen wir allen Ansprüchen auf den Keryhof und auf die Gisela.«

»Habt Ihr solche Ansprüchen?«

»Ja.«

»Beweist sie uns!«

»Das werden wir später.«

»Schön! Das kann mich gefreun. Wann Ihr aus denen Zuchthausen herauskommt, so ist die Gisela längst meine Frau. Nachhero möcht ich die Ansprüchen sehen, die Ihr machen wollt.«

»Mensch, bedenke doch, daß Dir auch einmal ein Unglück geschehen kann.«

»Ich bin kein Pascher.«

»Wir meinen, ein anderes.«

»So werde ichs ertragen und nicht so betteln wie Ihr. Schämt Euch!«

Sie schwiegen jetzt. Sie zerrten an ihren Riemen, jedoch vergeblich. Es war unmöglich, sie zu zerreißen. Ihre Wuth war eine grenzenlose. Sie, die beiden Osecs, beim Paschen ertappt, gefesselt am Boden liegend, nachher mehrere Jahre in das Zuchthaus! Das war ja entsetzlich! Und zwar besiegt und überlistet von diesem Bauernknecht, den auf die Seite zu schieben ihnen ein so sehr Leichtes gedünkt hatte! Gab es denn gar keine Hilfe, keine Rettung?

Sie flüsterten leise mit einander, bis sich nahende Schritte vernehmen ließen. Sie waren in dem Felsenklamm, der das Echo in vielfach verstärktem Maße weiter trug, schon aus ziemlicher Entfernung zu vernehmen.


// 1691 //

»Jetzt kommen die Grenzer,« sagte Ludwig. »Nun nimmt die Sach ein End.«

Da wurde den Osecs himmelangst.

»Ludwig!« bat der Alte.

»Was hast?«

»Laß uns frei.«

»Wann Ihr das Zuchthaus absessen habt, eher aber nicht.«

»Bist Du denn kein Mensch, sondern ein Teufel?«

»Die seid Ihr.«

»Ich bezahle Dich fürstlich!«

»Du kannst gar nix zahlen!«

»Ich bin reich.«

»Gar nix hast. Warts nur mal erst ab, was Dir übrig bleibt, wannst Alles ans Gericht zahlen mußt.«

»Mensch, hast Du denn gar kein Herz?«

»Eben weil ich ein Herz hab, muß ich Euch aus dem Weg schaffen, daßt Ihr denen guten Leutln nix mehr schaden könnt. Nun mögt Ihr auf die Brautschau und auf den Verspruch gehen.«

»Hole Dich der Teufel!«

»Euch hat er schon. Da mag er keinen Andern, denn an Euch hat er genug. Da sind sie.«

Die Osecs stießen noch einige grimmige Flüche aus, dann waren sie still, denn die Grenzer kamen, den Officier an der Spitze.

Ludwig ergriff die Laterne und trat ihnen entgegen.

»Da bist Du schon!« sagte der Officier.

»Wir kommen zur richtigen Zeit. Aber mach die Laterne zu, sonst sehen die Kerls, wenn sie grad jetzt kommen sollten, das Licht schon von Weitem.«

»Sie habens schon sehen.«

»Wieso?«

»Es ist nicht meine Latern, sondern die ihrige.«

»Was? Teufel, Du hast sie uns doch nicht etwa verjagt?«

»Nein, sondern gefangt hab ich sie.«

»Ists wahr?«

»Schaut sie Euch an!«

»Wo sind sie?«

»Da liegens halt fröhlich beisammen und habens uns Alle so lieb.«

Er leuchtete die Gefangenen an. Der Officier bückte sich zu denselben nieder und fragte:

»Das sind wirklich die Osecs?«

»Ja. Da haben wir zwei feine Spitzbuben derwischt. Ich habs ihnen noch gestern sagt, daß ich sie in's Zuchthaus schicken werd, sie aberst habens nicht glaubt, sondern mich auslacht. Nun liegens da!«

»Und wie ists mit den Packeten?«

»Die habens da hinten ablegt.«


// 1692 //

Der Officier untersuchte die Packete und sagte befriedigt zu Ludwig:

»Kannst Dir gratuliren. Das ist die feinste Waare. Du wirst eine tüchtige Prämie bekommen.«

»Darnach hab ich weniger trachtet. Ich wollt diese Nattern unschädlich machen. Aber wanns was Gutes abwirft, dann wirds eben auch mitnommen.«

Jetzt bemerkte der Officier die Messer.

»Ah!« sagte er, »da scheint es ja lebensgefährlich hergegangen zu sein!«

Der König hatte bisher an dem Felsen angelehnt gestanden und war nicht beachtet worden, jetzt aber trat er hervor und sagte:

»Ja, wenn dieser brave Ludwig nicht gewesen wäre, so wäre ich jetzt todt.«

Der Officier nahm dem Knecht die Laterne aus der Hand und leuchtete dem Redner in das Gesicht.

»Wer sind Sie? Ah - - - Pardon! Mit Messern auf Seine Maje - -«

»Still!« gebot der König. »Incognito! Ludwig Held hat mir das Leben gerettet. Ich hatte mich verirrt und gelangte hierher, stieß auf diese beiden Schmuggler und sollte von ihnen getödtet werden. Es ist mein Wunsch, daß die ganze Strenge des Gesetzes gegen sie angewendet werde.«

»Das wird gewiß geschehen. Darf ich einige meiner Leute abcommandiren, um - um Ihnen den Weg nach der Mühle zu zeigen.«

»Danke. Ludwig wird mich führen.«

»Ja,« sagte dieser, »das werd ich halt gar gern thun. Ich weiß einen schönen Pfad, da können wir vom Berg herab gleich bei dera Mühlen in den Schornstein hineinsteigen. Aberst solls denn gleich fortgehen?«

»Ja.«

»Wollen wir nicht die anderen Pascher fangen, die nun bald kommen werden, um die Packete der Osecs zu holen und ihnen neue dafür zu bringen?«

»Das lassen wir hier den Beamten über. Du als Privatmann hast genug gethan. Komm! Wie lange gehen wir bis zur Mühle?«

»Eine halbe Stunden.«

»So habe ich einen großen Umweg gemacht.«

»Wir gehen jetzund wieder um ihn herum. Dann kommen wir richtig an.«

»Gute Nacht, meine Herren!«

Die Grenzer dankten in tiefster Ehrerbietung; dann entfernte sich der König mit Ludwig, welcher voranschritt. Als sie eine Strecke weit gekommen waren, sagte der Erstere:

»Ludwig, wie soll ich Dir danken! Das ist das zweite Mal, daß Du mich gerettet hast.«

»Machens kein solch Gered um die Sachen! Was hab ich than? Gar nix! Eine Kopfnuß hab ich ihnen geben. Das ist gar nicht des Redens werth.«


// 1693 //

»Weil Du ein braver Mensch bist. Aber es wird die Zeit kommen, in welcher ich Dir danken kann.«

»Wanns mir einen Gefallen erweisen wollen, so redens nicht von Dank, Herr Ludwig, sonst muß ich mich da grad vor mir selber schämen. Was ich hab thun konnt, das macht mich glücklich. Das ist der schönste Lohn, den ich empfangen kann. Wann ich mal meinen Kindern verzählen kann, wie leutselig und lieb mein guter König mit mir sprochen hat, so werdens mich glücklich preisen, und noch die Urenkel werden stolz sein auf denen Urgroßvatern. Und in denen Büchern wird man lesen von dem Herrn Ludwigen, der sein Bayernland und das Bayernvolk so von ganzem Herzen lieb habt hat.«

Es trat eine Pause ein, dann fragte der König:

»Wann kommst Du heut nach Hause?«

»Noch in dera Nacht. Zuvor aber muß ich mit hinein ins Hohenwald, um den Herrn Lehrern zu wecken. Ich hab eine Botschaften an ihn. Von dem Fräulein auf dem Steinegger Schloß. Er soll sehr früh zu ihr kommen, weil sie ihm etwas sehr Nothwendiges zu verzählen hat.«

»Ah, so bist Du der Bote, welcher heute Abend von ihm den Brief gebracht hat?«

»Ja. Nachhero, wann ich bei ihm gewest bin, dann geh ich heim zu meiner Muttern, die gar nicht wissen wird, warum ich mich nicht sehen lassen hab.«

»So grüße sie von mir.«

»Darf ich das?«

»Ja.«

»Von dem Herrn Ludwigen?«

»Nein, sondern von dem Könige.«

»Sakra! So hat das Incognitogeheimnissen jetzt ein End?«

»Noch nicht. Deine Mutter aber soll wissen, daß sie mit ihrem Könige gesprochen hat.«

»Mit - ah, mit wem?« fragte Ludwig ganz erstaunt.

»Mit ihrem Könige, mit mir.«

»So habens halt mit ihr sprochen?« »Ja.«

»O Jerum! Heut etwan?«

»Heut am Nachmittage. Und Hanna, Deiner Schwester, kannst Du sagen, daß ich die Fee gewesen bin. Als sie mit ihrem Stephan droben auf dem Felsen war, habe ich über ihnen gesessen und Alles gehört, was sie gesprochen haben. Da habe ich die Worte, welche sie hörten, von oben herab zu ihnen hinuntergerufen.«

»Das kann ich halt nicht verstehen.«

»Ich brauche es Dir nicht zu erklären. Wenn Du nach Hause kommst, wirst Du Alles hören.«

Und so war es auch. Sie erreichten nach kaum einer halben Stunde Hohenwald. Der König ging nach der Mühle und Ludwig zu dem Lehrer,


// 1694 //

welchen er aufweckte, um ihm Mildas Botschaft auszurichten. Sodann aber eilte er mit schnellen Schritten heim, um zu erfahren, was es mit dem Besuche des Königs für eine Bewandtniß gehabt habe.

Zu seinem Erstaunen bemerkte er von Weitem, daß in der Hütte noch Licht brannte. Als er eintrat, waren Mutter und Schwester noch auf, und bei ihnen saßen der Stephan und sein Vater, der alte Höhlgutbauer. Das war ein großes Wunder.

Da kommt er noch!

»Da kommt er doch noch!« sagte Hanna, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte. »Komm herbei, Ludwig, wir haben auf Dich wartet, und deshalb ist dera Stephan mit seinem Vatern nicht heimgangen.«

Ihr Gesicht glänzte vor Glück und Freude. Er reichte Allen die Hand und antwortete:

»Ja, Ihr Leutln, was hats denn bei Euch geben? Ihr macht ja Gesichtern grad wie dera heilige Christ. Und riechen thuts auch so gut, als ob Ihr was Absonderliches backen oder braten hättet.«

»Das haben wir auch.«

»Was denn?«

»O, wir haben heut fein lebt, fein und nobel, grad wie die großen Herrschaften. Wir haben gessen Kartoffeln mit Heringen, aberst die Heringen haben wir braten in Mehl einwickelt, worein das Fett so schön zogen ist und braun sinds worden. Wir haben fünf Stück habt, für jede Person einen ganzen, für Dich auch einen. Kannst ihn bekommen.«

Er schlug in heller Verwunderung die Hände zusammen und fragte:

»Was hat denn da ein einzelner kostet?«

»Acht Pfennigen.«

»O Jerum Je! Das sind für fünf Stück grad vierzig Pfennigen! Seid Ihr denn toll worden allesammt mit nander, daß Ihr einen solchen Luxurium treibt! Nachhero könnt Ihr wiederum ein ganzes Vierteljahr Fasten treiben.«

»O, damit ists aus!«

»Wieso?«

»Wann wir jetzund Fasten haben, so speisen wir Fisch, Karpfen in einer polnischen Brühen und Hecht mit dera feinsten Buttern, die sich halt auftreiben läßt.«

»So ist wohl ein Sack voller Geld vom Himmel fallen und Euch grad auf die Nasen?«

»Grad so ists gewest, fast grad so. Weißt, wir haben über sechstausend Mark!«

»Bist sechstausend Mal überschnappt!«

»Oho! Und alle Jahren bekommen wir sechshundert Mark; das ist dera Muttern ihre Pensionen.«

»Pension? Von wem?«

»Vom König.«

»Vom König? Aha, aha!«

Er nickte nachdenklich vor sich nieder, setzte sich zu ihnen, blickte Eins


// 1695 //

nach dem Andern an, ganz erbaut von ihren freudestrahlenden Gesichtern und fragte:

»So ist er wohl hier gwest?«

»Wer denn?« gegenfragte Hanna.

»Nun, der König.«

»Nein, der nicht, aber Einer, der immer bei ihm ist und mit ihm über Alles reden kann. Du, das war ein Feiner! Viel feiner noch als wohl Dein Herr Ludwig. Und doch war er auch so mild und gut mit uns. Er hat Brod gessen und Milch trunken und nachhero die ganze Pensionen auf den Tisch zählt.«

»So, so!«

»Ja, und vorher hat uns die Fee weissagt, daß wir nander heut noch bekommen werden.«

»Ah, die Fee! Hm! Kannsts mir doch mal verzählen. Nicht?«

»Ja, gern.«

Und nun berichtete das glückselige Mädchen von Anfang bis zu Ende die Ereignisse des heutigen Nachmittags. Als sie geendet hatte und in Ludwigs still und überlegen lächelndes Gesicht schaute, fragte sie:

»Willsts wohl nicht glauben?«

»O ganz gern.«

»Aber was machst für ein Gesichten?«

»Ich wundere mich über Dich.«

»Warum?«

»Wie hieß denn dera Herr?«

»Das weiß ich nicht.«

»Da hasts! Sonsten bist gleich stets bei dera Hand, um Alles zu derfahren, und heut hast nicht fragt.«

»Ich hab wohl daran denkt, es aber nicht wagt. Er sah so ganz besonders vornehm aus, fast wie ein Ministern.«

»So! Du weißt also, wie so ein Ministern ausschaut?«

»Nein, aberst ich kanns mir denken.«

»Und feiner ist er gewesen als mein Herr Ludwigen?«

»Ganz gewiß.«

»So? Wanns aberst nun grad dera Herr Ludwigen gewest wär?«

»Der? Warum meinst das?«

»Weil ers mir sagt hat.«

»Was! Der ists gewest? Ist das wahr?«

»Ja. Er hat mir vorhin noch sagt, daß ich Euch grüßen soll. Es hat ihm bei Euch so gut gefallen.«

Da zeigten sie Alle das größte Erstaunen und Hanna rief:

»Dera Ludwigen! Also ist der beim König?«

»Ich hab Euch doch sagt, daß er ein gar vornehmer Herr ist. Und das mit dera Fee habt Ihr auch richtig vernommen?«

»Ja, ganz richtig.«


// 1696 //

»Und eine Fee ist ein Weibsbild?«

»Ja.«

»Was hatte denn die Eurige für eine Stimme? Etwan einen Discanten?«

»Nein, sondern einen Baßtenoren.«

»So! Also ists kein Weibsbild gewest.«

»Nein.«

»Keine Fee, sondern auch dera Herr Ludwigen!«

»Was sagst! Der soll es gewest sein?«

»Ja. Er hat mir anbefohlen, daß ich es Euch sagen soll. Als Ihr auf dem Berg gewest seid, hat er Alles hört, was Ihr sprochen habt. Darauf hat er Euch die Worten hinabrufen.«

Da schlug das Mädchen in heller Verwunderung die Hände zusammen.

»Der, der ists gewest? Warum hat er das nachhero nicht sagt?«

»Weil Ihrs Euch denken könnt, daß es ein Mensch, ein Mann gewest ist. Eine Fee hats nie geben und giebts auch heut nicht. Es hat so gar schön paßt, daß Ihr Euch das wünscht habt und er hats derfüllen können mit dera Pensionen, die er bereits in denen Taschen stecken hatte.«

»O weh!« sagte Stephan, indem er sich hinter den Ohren kratzte, »so hat er also Alles gehört!«

»Ja.«

»Und auch Alles sehen?«

»Auch!«

»Sappermenten! Die Busserln auch?«

»Davon hab ich nix von ihm hört.«

»Grad die Letzten beim Abschied haben gar gewaltig schnalzt. Da ist Kraft und Saft drinnen gewest. Wann er das hört hat, so hat er ganz gewiß einen gar gewaltigen Respecten bekommen vor unserer Kunst und Fertigkeiten.«

»Stephan!« mahnte Hanna.

»Brauchst Dich nicht zu schämen. Ich machs mit meiner Gisela ganz ebenso. Das leise, heimliche Busserln ist ganz schön, aberst es muß auch mal so klingen, als ob eine Saiten auf dera Baßgeigen springt oder gar so, wie wenn eine Fensterscheiben zerspringt. Das giebt nachhero was ganz Apartes!«

»Hör aufi, sonst hau ich Dir eine Schelle eini!« zürnte das Mädchen.

»Sei still! Euch Dirndln kennt man schon! Ihr thut immer, als könnts nicht bis Drei zählen, und wanns zum Treffen kommt, so zählt Ihr gleich bis zur Millionen. Aberst könnt ich denn nun auch mal die Hauptsach sehen, nämlich das viele Geldl?«

»Die Muttern hats.«

»Wo?«

»Dort in dera Truhen.«

»So nehmts herausi.«

»Ja, da müssen wir erst die Kneipzangen suchen, um die Nageln herauszuziehen.«


// 1697 //

»Habt Ihr denn die Truhe zunagelt?«

»Freilich.«

»Ah, und auch mit Stricken zubunden, wie ich sehen thu und dann gar noch mit Siegellacken verklebt. Herrgottle, giebts denn gar so große Spitzbuben hier?«

»Man kanns nicht wissen. Es ist allemal besser, wann man vorsichtig ist. Willsts also sehen?«

»Nein, nun nicht. Wanns Euch solche Mühen macht, so will ich lieber verzichten.«

»Alles freilich haben wir nicht einischlossen, sondern ein Zwanzigmarkstuckerl haben wir aufbehalten. Morgen gehts nach dera Stadt, wo wir uns neue Busentücherl kaufen und eine neue Schürzen, denn wir müssen zum Herrn Ludewigen gehen.«

»So! Was wollt Ihr bei ihm?«

»Uns natürlich bedanken.«

»Das ist recht; das wird ihn gefreun. Macht mir aberst nur keinen Fehlern.«

»Was sollten wir für einen welchen machen können?«

»Ihr dürft ihn nicht falsch nennen.«

»Das ist ja gar nicht möglich. Wir wissen ja, wie er heißt. Wir nennen ihn den Herrn Ludwigen.«

»Grad das ist falsch.«

»Warum?«

»Ludwig ist nur sein Vorname.«

»So! Wie wird er denn genannt?«

»Majestät.«

»Machst wohl Dummheiten!«

»Nein.«

Die Vier saßen da und blickten ihn starr an. Da stand er auf, nahm das Königsbild von der Wand, hielt es ihnen vor die Augen und rief:

»Seid Ihr denn blind gewest! Dieses Conterfeium taugt zwar nicht viel, aberst zu sehen ists doch, was für ein Gesichten er hat. Und da hat er bei Euch sessen, und Ihr habts wirklich nicht sehen, daß es dera König gewest ist! Sollt man das für möglich halten!«

Jetzt nun gingen den beiden Frauen und auch den Andern die Augen auf. Ja, es konnte gar kein Anderer als der König gewesen sein. Das war klar. Ein jeder Andere hätte ein Schreiben mit der allerhöchsten Unterschrift mitbringen müssen.

Aber nun das Halloh, die Aufregung, das Fragen und Antworten, welches es jetzt gab; es wollte kein Ende nehmen. Ludwig hatte nur zu erzählen und zu berichten. Und als er das heutige Pascherabenteuer erzählte, erreichte die Verwunderung den höchsten Grad.

Abermals dem Könige das Leben gerettet! Die vier einfachen Leute


// 1698 //

blickten den Knecht mit staunender Ehrerbietung an. Er schien ihnen ein ganz anderes Wesen als bisher zu sein.

So kam es, daß der Tag bereits durch die kleinen Fenster lugte, als die beiden Höhlenbauers Abschied nahmen. Aber ehe sie gingen, nahm Ludwig Allen das heilige Versprechen ab, ja noch nicht zu verrathen, wer dieser Herr »Ludwigen« eigentlich sei.

Eine ähnliche Scene, nur ruhiger, spielte sich in dem Städtchen Eichenfeld ab, als Rudolf Sandau am späten Abende von Hohenwald nach Hause kam.

Er traute seinen Augen nicht, als er die Mutter außerhalb des Bettes sitzen sah. Sie war feiertäglich angezogen und hatte eine leichte Handarbeit vorgenommen.

»Mutter!« rief er ganz erstaunt, indem er unter der offenen Thür stehen blieb.

»Rudolf, lieber Rudolf!«

Sie kam ihm entgegen, zwar nicht so schnell wie in gesunden Tagen, aber doch mit sicheren Schritten, und zog ihn an ihr Herz.

»Du - kannst - gehen!« stotterte er, außer sich vor glücklicher Ueberraschung.

»Wie Du siehst.«

»Das ist ein Wunder, ein wirkliches Wunder.«

»Ja. Aber es war auch ein ganz ungewöhnlicher Arzt da. Er hat mir geholfen.«

»Welcher Arzt?«

»Das erräthst Du nicht.«

»So sage es.«

»Der - König.«

»Ists - auch - wahr?«

»Ja. Er war erst beim Herrn Pfarrer und sodann sehr lange Zeit bei mir. Es gab mir eine Arznei, durch welche ich sofort den Gebrauch der Glieder wieder erhielt.«

»Sprichst Du im Ernst oder im Scherz? Er, eine Arznei!«

»Ja, ich kann sie Dir noch zeigen.«

Sie öffnete den Tischkasten und gab ihm ein zusammengefaltetes Papier in die Hand. Er schlug es auseinander und rief, nein, schrie fast überlaut:

»Ein Tausendmarkschein! Herrgott, wem gehört der?«

»Dir!« antwortete sie, indem sie ihn aus freudetrunkenem Gesichte mit mütterlich stolzem Blicke betrachtete.

»Mir?« fragte er. »Wieso mir? Wer hat ihn gebracht? Der König?«

»Ja.«

»Ah! Ein Almosen.«

Sein Gesicht nahm den Ausdruck der Enttäuschung an.

»Nein, nein, kein Almosen,« sagte sie. »Du hast dieses Geld verdient.«

»Aber ohne daß ich es weiß.«


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»Es ist der erste Preis, welchen Du mit Deiner Kirchenbauzeichnung errungen hast.«

Er starrte sie an, wurde abwechselnd bleich und roth und sagte mit bebender Stimme, leise, als ob er sich fürchte, seine eigenen Worte zu hören:

»Ich - hab - den - ersten - Preis?«

»Ja, Du, Du, Du!« antwortete sie in beinahe jauchzendem Tone.

»O Gott!«

Er sagte diese zwei Silben; dann sank er auf den Stuhl und faltete die Hände.

»Rudolf, Rudolf! Was ist Dir?«

Sie trat besorgt zu ihm hin. Er aber hob den Kopf empor, blickte sie mit verklärtem Gesicht an und sagte:

»Mutter, bei meiner Jugend, den ersten Preis. Wir haben gewonnen. Nun werden wir nicht Noth leiden.«

»Nein, nein, denn es kommt noch eine Nachricht, die fast ebenso freudig ist wie die erstere: Du bekommst die Kirche zu bauen.«

»Ich - ich - ich?« stammelte er.

»Ja. Du sollst die Oberleitung übernehmen. Und weißt Du, welche Kirche es ist?«

»Nein. Es war nur angegeben, daß ungefähr sechzigtausend Mark zur Verfügung ständen, sodann noch einige nebensächliche Bemerkungen gemacht. An welchem Orte sie erbaut werden soll, weiß ich aber nicht.«

»So rathe einmal.«

»Wer könnte das.«

»Nun, wo giebt es denn eine Gemeinde, welche wünscht, eine neue Kirche erbauen zu können, weil die alte einzustürzen droht?«

»Freilich hier bei uns. Leider aber fehlt das Geld dazu.«

»Der König giebt ja die sechzigtausend Mark aus seiner Privatschatulle.«

Da sprang er wieder von seinem Stuhle auf.

»Was?« fragte er. »Wärs hier bei uns?«

»Ja. Die hiesige Kirche bekommst Du zu bauen, ganz nach Deinem Entwürfe. Denke Dir das Glück, die Ehre, das Aufsehen in der ganzen Gegend, ja im ganzen Lande, wenn ein junger Mensch von Deinem Alter so ausgezeichnet wird.«

»Mutter, Mutter! Welch eine Seligkeit! Ich bin ganz außer mir. Ich muß gleich morgen zum Könige, um ihm fußfällig zu danken.«

»Er sagte, daß er sich ins Einvernehmen mit Dir setzen werde.«

»Mein Glück ist gemacht! Welch ein Tag! Er ist der schönste und seligste meines Lebens.«

Nun saßen die Beiden in stiller Wonne noch lange beisammen und schwelgten in dem Gedanken an eine heitere, sorgenfreie Zukunft. Erst spät suchten sie die Ruhe; aber bei Rudolf wollte der Schlaf nicht kommen. Er stand auf, zog sich an und ging fort, hinaus in den Wald.

In solchen Tagen des Glückes ist der Geist des Menschen doppelt pro-


// 1700 //

ductiv. In Rudolfs Kopfe jagten sich Gedanken, Pläne und Entwürfe, und doch arbeitete nicht der Kopf allein, sondern das Herz auch mit, aber still und heimlich, ohne daß er es merkte: Er lenkte seine Schritte weiter und weiter, bald langsamer und bald schneller, bis er zu seinem Erstaunen an der nach Schloß Steinegg führenden Straße stand.

Er blickte nach seiner Uhr. Zwar hatte er der schönen Schloßherrin versprochen, sie des Vormittags aufzusuchen, aber jetzt war es erst so früh am Tage, daß er unmöglich schon nach Steinegg gehen konnte.

Indem er überlegte, wohin er sich am besten wenden werde, hörte er eilige Schritte. Er blickte nach links, in der Richtung nach Hohenwald, und sah seinen Freund Max Walther um eine Ecke des Gehölzes biegen. Auch dieser erblickte ihn und rief erfreut:

»Rudolf, Du hier? So früh? Willkommen! Hast mir doch gestern Abend gar nichts von der Absicht mitgetheilt, so zeitig eine Morgenpromenade zu machen.«

»Ich wußte selbst nichts davon. Ich konnte nicht schlafen; da stand ich auf und lief im Walde herum, in mich selbst verloren, bis ich mich zu meinem Erstaunen hier wiederfand.«

»Hier auf dem Wege nach Steinegg! Ja, der Magnet, der Magnet!«

Rudolf erröthete.

»Schweig! Du thust mir wehe! Ich überlegte eben, nach welcher Richtung ich weiter spazieren solle; da kamst Du.«

»So habe ich Dich also gestört, und Du weißt noch immer nicht, wohin?«

»So ists.«

»Nun, so wach auf aus Deinen Träumen und folge mir nach Steinegg.«

»Unmöglich.«

»Wohl wegen der zu frühen Stunde? Pah! Milda nimmt es Dir nicht übel.«

»Sie schläft auf alle Fälle noch.«

»Nein. Sie hat noch am Spätabende zu mir geschickt, daß ich zu einer Besprechung ganz zeitig zu ihr kommen soll. Sie ist jedenfalls wach.«

»Ists etwas so Nothwendiges?«

»Ja, komm. Es ist sogar möglich, daß sie gar nicht geschlafen hat.«

»Grad so wie ich!«

»Ja, was ist es denn gewesen, was Dir die Ruhe geraubt hat, edler Freund und lieber Jüngling?«

»Eine große Freudenbotschaft. Das Entzücken hat mich wieder aus dem Bett getrieben.«

»So ist Dein Entzücken sehr unruhiger Natur. Der Mensch hat um seiner selbst willen die Verpflichtung, des süßen Schlafes täglich nach allen Kräften zu pflegen, denn der Schlaf ist derjenige Zustand des Menschen, in welchem er in keine Versuchung fallen und auch keine Dummheiten begehen kann.«

»Richtig!« lachte Rudolf. »Heut bin ich sehr wach und fühle die Befähigung in mir, vor Glück einige Dummheiten auf mein Conto zu nehmen.«


// 1701 //

»So spricht kein Weiser dieser Erdenwelt. Theile mir lieber mit, welche Freudenbotschaft es ist, die Dich so sehr aus der Einbanddecke herausgerissen hat.«

Rudolf erzählte ihm sein Glück. Max drückte ihm die Hand und sagte:

»Machen wir nicht unnöthige Worte. Du weißt, welch aufrichtigen Antheil ich nehme. Laß Dir gratuliren. Dein Weg ist gemacht. Er geht aufwärts, wenn Du Dich dessen würdig machst. Wollte Gott, der Grund, wegen dessen ich denke, daß Milda nicht geschlafen hat, wäre ein ebenso erfreulicher.«

»Ist er etwa das Gegentheil?«

»Leider. Milda hat gestern von mir eine Nachricht erhalten, welche so betrübend ist, daß es eine traurigere für sie gar nicht geben kann.«

»Um Gotteswillen! Ist etwas Schlimmes geschehen?«

»Ja, allerdings nicht jetzt, sondern bereits vor vielen Jahren. Es ist aber erst jetzt an den Tag gekommen. Die ganze Existenz meiner Schwester steht auf dem Spiele.«

»Ist das die Möglichkeit!« rief Rudolf. »Die ganze Existenz? Ich glaube, Du scherzest.«

»Es wäre mehr als trivial, wollte ich so Etwas im Scherze sagen. Nein, ich spreche leider im bittersten Ernste.«

»Aber ich kann mir darüber gar keine Vorstellung machen. Die Existenz des Fräuleins von Alberg kann doch unter keinem Umstande auf dem Spiele stehen. Sie ist von altem Adel, sehr reich und - - -«

»Reich?« fiel Max ihm in die Rede. »Leider ist das nicht der Fall, ganz und gar nicht.«

»Wieso? Sie muß ja Millionen besitzen, und so viel ich gehört habe, hat sie sogar die alleinige Bestimmung über ihr Vermögen. Nicht einmal von ihrem Vater ist sie abhängig.«

»Das ist wahr; aber das, was Du ihr Vermögen nennst und was sie allerdings bisher als dasselbe betrachtet hat, gehört ihr nicht.«

»Wem denn?«

»Einer Namensmuhme von Dir, nur daß dieselbe von Adel ist, während Du bürgerlich bist.«

»Also einer von Sandau?«

»Ja, Frau von Sandau, geborene von Sendingen.«

Rudolf war für einen Augenblick lang kreideweiß geworden, doch beherrschte er sich. Er fragte in möglichst gleichgiltigem Tone:

»Wie ist denn das gekommen?«

»Eigentlich sollte ich das als Familiengeheimniß betrachten, denn - -«

»So entschuldige. Wenn es ein solches ist, so will ich keineswegs in dasselbe eindringen.«

»O bitte. Wir sind Freunde, und bei der Theilnahme, welche wir Beide meiner Schwester zollen, glaube ich, keinen Fehler zu begehen, wenn ich über diese Angelegenheit mit Dir spreche. Ich bin sogar überzeugt, daß Milda auch Dir Alles mittheilen würde.«

»Meinst Du?« fragte Rudolf erröthend.


// 1702 //

»Gewiß. Ich weiß genau, was und wie sie von Dir denkt. Erröthest Du? Ah! Und vorhin wurdest Du bleich vor Schreck. Schau, Du mußt doch eine ganz ungewöhnliche Sympathie für sie empfinden! Oder nicht?«

»Dir gegenüber leugne ich es nicht.«

»Aber ihr gegenüber verheimlichst Du es.«

»Sprechen wir nicht darüber.«

»Ja, so oft wir auf dieses Thema kommen, soll ich schweigen, und Du mußt doch zugeben, daß es für uns Beide ein hochinteressantes ist.«

»Für mich nicht.«

»Ah! Was denn für eins?«

»Ein sehr peinliches.«

»So! Du verkennst Milda.«

»Nein, ich kenne sie.«

»Du irrst Dich. Wenn sie einmal liebt, so wird sie nicht nach Rang und Vermögen oder gar nach Reichthum fragen.«

»Mag sein; aber als Ehrenmann darf ich mich keiner Dame, welcher ich nicht vollständig ebenbürtig bin, in der Weise nähern, daß sie gewisse Gefühle oder gar Wünsche voraussetzen kann. Ja, wäre sie das, wofür sie sich im Scherz damals ausgab - - -«

»Eine alte Tante!« lachte Max.

»Ja,« stimmte Rudolf heiter ein. »So sollte mich weder ihr urgraues Alter noch die ganze Menge von Cousins und Cousinen, deren Tante sie wäre, abhalten, ihr zu zeigen, wie lieb ich sie habe.«

»Das darfst Du ihr ebenso deutlich auch jetzt zeigen.«

»Nein.«

»Sie ist arm. Du stehest ihr in dieser und auch jeder andern Beziehung gleich.«

»Denk an ihre Abstammung.«

»Pah! Auf diese bildet sie sich wahrlich nichts ein. Ihr Vater ist ein Schurke.«

»Max!«

»Ja, ich wiederhole es. Grad das neue Herzeleid, welches so plötzlich über sie gekommen ist, hat auch er verschuldet.«

»Wieso?«

»Ich werde es Dir erzählen. Komm!«

Sie hatten bis jetzt die Stelle nicht verlassen, an welcher sie zusammengetroffen waren. Jetzt ergriff Max den Freund beim Arme und zog ihn mit sich fort, in der Richtung nach Steinegg zu. Er begann zu erzählen, und Rudolf hörte seinen Bericht mit geradezu unbeschreiblichen Gefühlen an. Sein Athem stockte und seine Pulse flogen. Was er jetzt hörte, war ja ganz geeignet, seinem Leben eine ganz andere Richtung zu geben.

Und die Hauptsache war, daß die Ehre seines Vaters wieder hergestellt werden konnte. Er hatte oft unter grimmigen Gefühlen gewünscht, den wirklich Schuldigen zu entdecken. Er hatte es sich innerlich ausgemalt, wie unnach-


// 1703 //

sichtlich er die Strafe über ihn hereinbrechen lassen werde. Zermalmen, vernichten hatte er ihn wollen.

Und nun? Jetzt kannte er ihn. Jetzt konnte er ihn packen. Er konnte ihm und seiner Tochter sogar den Reichthum, das ganze Vermögen abnehmen. Und doch - - empfand er weder Freude noch Genugthuung bei diesem Gedanken. Die Liebe - die Liebe!

Rudolf ging, als Max geendet hatte, neben dem Letzteren her. Er sagte kein Wort. Den Blick zu Boden gerichtet, rang er mit sich selbst. Er kämpfte einen harten Kampf. Es wurde ihm schwer, seine Aufregung zu verbergen. Aber das war das Wenigste. Schwieriger war es, zu entscheiden, was er zu thun habe. Er war es dem Andenken seines Vaters, er war es seiner Mutter schuldig, hier Gerechtigkeit walten zu lassen. Doch, konnte, durfte er die heimlich Geliebte verderben? Er schüttelte den Kopf und warf ihn nach hinten, als ob er einen Feind abzuschütteln habe. Er konnte nicht entscheiden, ohne vorher mit der Mutter gesprochen zu haben.

»Was hast Du?« fragte Max, welcher ihn heimlich beobachtete.

»Was soll ich haben?«

»Du schweigst, während ich denke, daß Du vor Erbitterung überfließen sollst?«

»Ich? Die ganze Sache geht mich doch gar nichts an!«

»Eigentlich ja; aber bei Deiner Verehrung für Milda kannst Du doch nicht gleichgiltig bleiben.«

»Meinst Du, daß ich es bin?«

»Ja. Du sagst kein Wort.«

»Weil ich überlege. Ich halte die Sache noch gar nicht für so unumstößlich wahr wie Du.«

»Es ist kein Zweifel.«

»Hast Du bereits mit Milda darüber gesprochen?«

»Nein.«

»Nun, so warte, bis Du ihre Meinung hörst.«

»O, die kenne ich bereits.«

»Du kannst Dich irren.«

»In Milda niemals. Ich weiß sogar bereits, was sie thun wird.«

»Ah! Was denn?«

»Sie wird das Vermögen hergeben.«

»Das darfst Du nicht dulden.«

»Hältst Du mich für einen Schwindler!«

»Pah! Du weißt ganz genau, daß das nicht der Fall ist.«

»Nun, wenn ich sie aufmunterte, ihre Pflicht nicht zu thun, so würde ich mich zum Mitschuldigen ihres Vaters machen. Das kann mir nicht einfallen.«

»Ich habe aber doch die Meinung, daß die Sache ganz anders stehen kann, als Du denkst.«

»Nein. Ich habe bereits in meiner gestrigen Zuschrift an sie eine


// 1704 //

Aeußerung gethan, aus welcher sie ersehen kann, was ich von ihr erwarte. Sie mag arm aber ehrlich sein.«

»Max!«

»Ja, das verlange ich von ihr. Uebrigens sollst Du Dich gleich überzeugen, daß sie grad so gesinnt ist wie ich. Du gehst natürlich mit zu ihr.«

Sie waren ganz nahe bei dem Schlosse angekommen. Man konnte Beide von den Fenstern des Letzteren aus sehen.

»Das thue ich nicht,« sagte Rudolf.

»Warum nicht?«

»Es ist zu zeitig, wie ich bereits gesagt habe.«

»Pah! Wenn sie mich empfängt, kannst Du auch mitkommen.«

»Du bist der Bruder.«

»Und Du mein Freund.«

»Dich hat sie zu sich bestellt, mich aber nicht.«

»Komm nur mit. Ich verantworte es.«

»Du kannst es nicht verantworten. In einer solchen Lage, wie diejenige ist, in welcher sich Fräulein von Alberg befindet, ist man nicht in der Stimmung, früh sechs Uhr gleichgiltige Leute zu empfangen.«

»Gleichgiltig! Donnerwetter! Ich muß wirklich fluchen.«

»Ich störe sie. Später werde ich vorsprechen.«

Er wendete sich ab. Max hielt ihn am Arme zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Fenster des Zimmers, welches die Wohnung Milda's war. Sie standen offen. An dem einen war Milda zu sehen. Sie winkte.

»Rudolf auch mit?« rief Max.

Sie nickte.

»Na, da hast Du es. Also komm!«

»Ich möchte es doch lieber nicht wagen. Sie hat nur aus Höflichkeit beigestimmt.«

»Unsinn! Oder willst Du mich zwingen, Gewalt anzuwenden und mich mit Dir zu balgen?«

»Mensch!« lachte Rudolf gezwungen. »Du hast das beste Talent, ein Werber oder Seelenverkäufer zu werden. Zum Matrosenpressen bist Du wie geschaffen.«

»Nun, so laß Dich pressen.«

Er zog ihn mit sich fort.

Als sie bei Milda ankamen, stand dieselbe bleich und übernächtig in der Mitte ihres Zimmers. Sie hatte ein graues Reisekleid an, und an der Wand stand ein bereits halb gefüllter Bahnkoffer.

Sie gab Beiden mild lächelnd die Hände.

»Ich danke Dir, lieber Max, daß Du mir die Nachricht bereits gestern sendetest,« sagte sie. »Eine jede Minute wäre ja eine Versündigung gewesen.«

Er hielt ihre Hand in der seinigen fest.

»Hast Du einen Entschluß gefaßt?« fragte er.

Sie zeigte auf ihr Reisekleid und den Koffer und antwortete:


Ende der einundsiebzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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