Der Weg zum Glück - Teil 91

Lieferung 91

Karl May

21. April 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Nein!«

»So sollen Sie sogleich erfahren, daß - -«

Er holte bereits zum Sprunge aus. Er war der Mann, dem man es zutrauen konnte, daß er sich zu dem Grafen auf das Pferd schwingen werde. Da aber trat Leni schnell vor ihn hin.

»Halt, Landstreicher!« rief sie ihm zu. »Willst Dich an einem Ehrenmann vergreifen! Dazu bist dera Kerl noch lange nicht. Schäm Dich in Deine Seele hinein, daßt so ein Lodrian worden bist. Deine Eltern werden sich vor Herzeleid ins Grab legen wollen, wanns hören, wie weit es bereits mit Dir kommen ist. Troll Dich von dannen und laß brave Leut in Ruh!«

Er starrte sie an, ohne sich zu rühren.

»Was - -!« fragte er. »Wie - wo - wer bist, daßts wagen kannst, mir solche Worte ins Gesicht zu schleudern?«

»Wer ich bin? Da schau her! Ich kann Dir mein Gesicht zeigen, ohne mich schämen zu müssen.«

Sie nahm den Schleier weg. Er trat um einen Schritt zurück und rief erstaunt:

»Die Leni, die Muhrenleni! Ah, Du bists, Du machst mir die Predigt! Und dabei gehst mit Dienstboten auf den Raub aus, um Männer zu fangen! Schau, was aus Dir geworden ist! Da ist wohl auch Dein Wurzelsepp bei Dir und macht den Kassirer? Komm, Baron, da sind wir schön angeflogen! Wann ich wußt hätt, daß es zwei solche Vögel sind, so hätt ich mir doch lieber die Hand abhaut als daß es mir einifallen wär, sie anzugreifen. Komm! Wir wollen sie dem Grafen lassen. Der hats verdient, daß wir sie ihm schenken.«

Er ergriff den Baron beim Arme und verschwand mit ihm hinter der Buschecke, hinter welcher sie vorher hervorgetreten waren.

Bei seinen frechen Worten war Leni glühend roth geworden. Wie in instinctiver Abwehr wendete sie sich an den Grafen:

»Glaubens das dem Menschen nicht, gnädiger Herr! Wir sind Beide arme Dirndln, aberst was Böses nachsagen, das kann uns kein Mensch als nur dieser Lodrian.«

»Ich glaube Ihnen das sehr gern,« antwortete der Graf freundlich, indem er vom Pferde stieg. »Gesichtszüge, wie Sie haben, können nicht lügen. Daß Sie brav sind, das brauchen Sie gar nicht erst zu versichern. Bitte, wo wohnen Sie?«

»Auf dera Mohrengasse.«

»Werden Sie mir gestatten, Sie wenigstens so weit zu begleiten, bis Sie in eine belebtere Gegend kommen?«

»Ja, bitt schön, kommens mit! Denn wir müssen halt gewärtig sein, daß sonst die beiden Strauchritter uns abermals belästigen.«

Der Graf warf seinem Reitknechte den Zügel zu und schloß sich den beiden Mädchen an.

Er in der Mitte, gingen die Drei den Weg zurück, den die Ersteren


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gekommen waren, zunächst ohne zu sprechen. Der Graf betrachtete sich dabei verstohlen Lenis Gesichtszüge.

Das waren nicht die Züge eines Dienstmädchens; ihnen hatte die geistige Arbeit ihren Stempel, ihr Gepräge aufgedrückt. Dieses Gesicht war von einer eigenartigen, ausgesprochenen Schönheit, mild und doch kräftig, zart und doch frisch trotz der Blässe der Wangen. Diese dunklen Augen besaßen die Gewalt des Blitzes, und doch schauten sie jetzt so mild in den kalten Nachwinterstag hinein. Welch einen seltenen Wohllaut hatte ihre Stimme! Er konnte fast den Blick nicht von diesem Mädchen wenden.

Und nun ihr Verhalten gegen ihn selbst! Er konnte darüber gar nicht klar werden. Tausend Andere hätten, als er seine Begleitung anbot, dieselbe mit fulminanten Danksagungen zurückgewiesen; sie aber hatte sie als ganz selbstverständlich angenommen. War das der Mangel an Bildung, der bei einem Dienstmädchen freilich nicht auffallen konnte? Oder war es etwas Anderes - Räthselhaftes, zu dessen Lösung ihm leider die Zeit fehlte.

Er stand vor ihr wie vor einem Geheimnisse, von welchem man weiß, daß sich, wenn der Vorhang hinweggezogen wird, etwas wahrhaft Schönes zeigen muß - - aber eben ist dieser Vorhang leider unberührbar.

Ganz wider alles Erwarten war Martha die Erste, welche das Wort ergriff. Sie wendete sich an den Grafen:

»Nun werdens gar viel Aerger und wohl auch noch Schlimmeres haben dafür, daß Sie sich unserer so gut angenommen haben. Es thut mir so leid, daß wir Ihnen halt nur danken können.«

Sie bediente sich des bayrischen Dialectes, weil Leni vorher dasselbe gethan hatte.

»Bitte, haben Sie keine Sorge um mich,« antwortete der Graf. »Diese Herren sind nicht im Stande, mir den geringsten Schaden zuzufügen.«

»Aber sie haben doch gar vom Duell sprochen!«

»Gesprochen, ja. Aber kein anständiger Mann wird sich mit solchen Leuten schlagen. Sie scheinen alte Bekannte zu sein?«

Diese letztere Frage war an Leni gerichtet. Sie blickte ihm voll und offen in das männlich schöne Gesicht und antwortete:

»Ja, wir haben uns kannt. Er ist mein Bräutigam gewest. Seit er aber ein so berühmter Sängern worden ist, hat er mich vergessen habt.«

Es war ein Blick unendlichen Erstaunens, welchen der Graf auf die Sprecherin warf.

»Ihr Bräutigam! Wunderbar! Wer von Beiden hat denn das Verhältniß gelöst?«

»Er. Ich bin ihm treu blieben bis heut, ohne ihn jahrelang zu derblicken. Nun ich aberst sehen hab, auf was für eine Stufen er herunterstiegen ist, so ists schad um jeden guten Gedank, den ich noch für ihn haben konnt.«

»Hatten Sie sich mit Absicht hier getroffen?«

»Das hätt mir nicht einfallen konnt. Wir haben keine Ahnung habt, daß er uns begegnen wird. Schön aber ists, daß er eine so gute Lehr


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erhalten hat. Und dera Baron noch besser. Erst hab ich ihm die Nasen überstülpt hier mit meinen Fäusten, und nachhero habens ihm, gnädiger Herr, mit dera Peitschen einen Gedankenstrich übers Gesichten macht, an dem er gar lange Zeiten zu kuriren haben wird. Grad so und nicht anders muß es solchen Leutln ergehen!«

Sie lachte befriedigt auf, so glockenhell und rein. Dabei betrachtete sie ihre beiden »Fäusten«, mit denen sie sich so kräftig gewehrt hatte.

Der Graf schüttelte leise den Kopf. Was sollte er denken? Was war das Richtige? So wie sie jetzt, konnte nur eine gewöhnliche Aelplerin sprechen. Und doch lag grad in ihrer Ausdrucksweise, ihrem Tone, ihrem Blicke, ihrem Mienenspiele ein Etwas, was es ihm ganz unmöglich machte, sie für ein gewöhnliches Mädchen zu halten.

»Ja,« sagte er. »Gewehrt haben Sie sich auf das Tapferste. Ich glaube sogar, Sie wären mit den Beiden auch ohne meiner Hilfe fertig geworden.«

Er hatte vielleicht erwartet, daß sie verneinend antworten und seine That mit großem Lobe hervorheben werde; sie aber sagte ganz im Gegentheile:

»Natürlich! Ich hätt dem Criquolini nur mein Gesichten zu zeigen braucht, so wär er fortgelaufen. Das wollt ich aber doch nicht gern. Darum hab ich halt wartet, daß Sie herankommen möchten.«

»Und ich bildete mir ein, daß Sie sich in großer Bedrängniß befänden!« lachte er ein Wenig pikirt.

»Damit war es nix. Aberst gut ists doch gewest, daß Sie grad zugegen waren, und darum danken wir Ihnen auch gar schön. Und daß Sie nachher gar vom Pferde stiegen sind, um bis hierher mit uns zu gehen, das ist so brav und ritterlich von Ihnen, daß ich Ihnen gar gleich eine Hand dafür geb. Hier ist sie!«

Er, der Aristokrat, welcher mit den höchsten Herrschaften zu verkehren verstand und niemals in eine Verlegenheit zu bringen gewesen war, er fühlte sich von ihren Worten und ihrem Verhalten beinahe verblüfft.

Sie, das Dienstmädchen, wagte es, ihm die Hand zu bieten! Sie nannte sein Benehmen brav und ritterlich! Sie sagte: »um bis hierher mit uns zu gehen,« und deutete ihm damit an, daß er wieder umkehren möge! Was sollte er da denken? Er fand nicht sofort eine Antwort, und darum war es gut, daß Martha beistimmte:

»Ja, dera gnädige Herr ist schon allzuweit mit uns gangen. Wir dürfen seine Güt nicht länger mißbrauchen.«

»Wie Sie wollen,« antwortete er. »Aber darf ich, bevor wir scheiden, erfahren, bei wem Sie in der Mohrengasse dienen?«

Diese Frage war ihm halb unabsichtlich entfahren. Es war eigentlich gar nicht »gentlemanlike« von ihm als Grafen, sich nach der Hausnummer von zwei Dienstmädchen zu erkundigen; aber es trieb ihn, zu wissen, wo Leni wohne.

»In demselbigen Hause, wo dera Criquolini im Parterre wohnt,« ant-


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wortete Martha. »Er muß bis morgen ausziehen. Wir wohnen in dera ersten Etagen.«

Die Drei waren mit einander stehen geblieben. Der Graf erhob spaßhaft drohend den Finger und sagte zu Leni:

»Also in demselben Hause! Ei, ei! Und da haben Sie nicht gewußt, daß er nach dem Augarten spazieren gegangen ist!«

»Nein,« antwortete sie ohne alle Verlegenheit. »Ich bin erst gestern in Wien ankommen und hab mit keinem Wörtle ahnt, daß er grad in demselbigen Hause wohnt. Aber, was thuts auch, obs glaubt wird oder nicht. Wir sagen schönen Dank, Herr Graf, und nun Adieu!«

Sie reichte ihm abermals die Hand hin. Er ergriff dieselbe und fragte:

»Werden wir uns vielleicht im Leben noch einmal begegnen?«

Diese Frage eines Grafen an ein Dienstmädchen! Wie kam es nur, daß sie ihm entfahren war?

»Ganz gewiß,« antwortete Leni.

»So! Sie thun, als wüßten Sie das so ganz genau?«

»Das ist gar kein Wunder.«

»Wieso?«

»Wien ist doch nicht so groß, daß zwei Menschenkinder, wie wir Beid sind, so ganz und gar für nander verschwinden müßten. Ich denk, daß wir nander sogar recht bald begegnen werden.«

»Wenn Sie so gut wahrzusagen verstehen, so wissen Sie vielleicht auch wann und wo?«

»Ja, das weiß ich freilich genau.«

»Nun, wann?«

»Wohl gar schon heute noch.«

»Ah! Und wo?«

»Beim Abendregen.«

»Wo ist das?«

»Das ist ein Ort und eine Zeit, die ich jetzund noch nicht sagen kann. Wissens, eine jedes Weissagung hat auch ihre Dunkelheiten, wohinter man sich verstecken kann. Aberst das sag ich, daß Alles ganz genau zutrifft, wann ich einmal die Zukunft vorhersagt hab. Und nun nochmals großen Dank, gnädiger Herr! Großen Dank und - auf Wiedersehen!«

Sie machte einen Knix, so wie eine Aelplerin ihn vor einem vornehmen Herrn zu machen pflegt, und zog die Martha mit sich fort.

Er blieb stehen und blickte ihnen nach, fast wieder so verblüfft wie vorher. »Großen Dank und - auf Wiedersehen,« hatte sie ihm gesagt. Wußte sie denn wirklich, daß er sie wiedersehen werde? Was hatte das Wort 'Abendregen' zu bedeuten?

Er rieb sich vergeblich die Stirn. Er sah ihren elastisch kräftigen Gang. Die kleinen Füße wurden zuweilen unter dem Saume des Kleides sichtbar. Er hatte ihre Hand in der seinigen gehabt; sie war so klein, so weich, so rundlich gewesen - eine schöne Damenhand!


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Und doch sprach sie diesen Bauerdialect! Doch bewegte sie sich in der ganz vulgären Ausdrucksweise! Und dennoch, dennoch hatte es zuweilen ein Wort gegeben, welches errathen ließ, daß sie scharf zu denken und fein zu fühlen verstehe!

Ja, dieses Dienstmädchen war eine ganz ungewöhnliche Erscheinung, ein gradezu fascinirendes Wesen. Nach den Reden des Sängers hätte man sie zu den verlorenen Dirnen zu zählen gehabt. Sollte das möglich sein? Es sprach Manches dafür - ihre Anwesenheit in der Wohnung des einstigen Geliebten, ihr einsamer Spaziergang hier und Anderes. Aber der Graf wies diesen Gedanken mit ebenso stiller wie energischer Entrüstung zurück.

Er wär wohl noch eine ganze Weile tief in Gedanken versunken, hier stehen geblieben, wenn ihn nicht der Hufschlag seiner Pferde darauf aufmerksam gemacht hätte, daß sein Reitknecht, welcher den Dreien langsam nachgeritten war, bei ihm angekommen sei.

Er stieg wieder in den Sattel und ritt, ganz von dem Eindrucke dieses kleinen Abenteuers erfüllt, nach Hause. Und dort angekommen, gab er sich nicht seinen gewöhnlichen Beschäftigungen hin. Er konnte das lieblich ernste Gesicht der schönen Aelpnerin nicht los werden und ging, in den Gedanken an sie versunken, ruhelos in seinem Zimmer auf und ab.

Endlich strich er sich mit der Hand über die Stirn, lachte leise und verwundert auf und sagte zu sich selbst:

»Graf Horst von Senftenberg, was ist mit Dir! Denke doch an Deinen Stammbaum, an die lange Reihe Deiner Ahnen, an Deine hohen Verbindungen und gesellschaftlichen Verpflichtungen, nicht aber an dieses Bauermädchen, welches ja gar nicht für Dich existiren darf!«

Er setzte sich an den Schreibtisch und begann, zu rechnen. Er hatte von den Verwaltern verschiedener seiner Güter Rechenschaftsberichte vorliegen, welche zu prüfen waren; aber er kam nicht vorwärts. Zwischen den trockenen Zahlenreihen blickte ihm immer und immer wieder das Gesichtchen mit den tiefen, unergründlich tiefen Augen entgegen. Er machte Fehler auf Fehler und warf endlich mißmuthig die Feder weg.

»Es geht nicht!« gestand er. »Dieses Mädchen hat es mir angethan, mir, dem noch keine einzige Dame ein tieferes Interesse einzuflößen vermochte. Das ist so schnell gegangen. Ich habe sie nur dieses eine Mal gesehen und kenne ihre Züge und den Tonfall ihrer Stimme bereits so gut, als ob ich sie Jahre lang studirt hätte. Ich halte es hier nicht länger aus; ich gehe! Aber wohin?«

Er blickte nach der Uhr.

»Es ist noch nicht Zeit, beim Commerzienrath vorzufahren. Ich werde nach dem Kaffee gehen und ein Glas Wein trinken. Dort giebt es Zeitungen und zahlreiche Gesichter, bei deren Betrachtung andere Gedanken kommen werden.«

Er kleidete sich, da er nicht zurückzukommen beabsichtigte, zur Soirée an


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und begab sich dann nach einer der berühmten Wein- und Kaffeestuben, welche in der Nähe lag.

Dort angekommen, bemerkte er zu seinem Leidwesen, daß das Lokal gefüllt war. An denjenigen Tischen, an welchen noch ein Platz zu finden war, saßen Personen, die ihm nicht behagten. Er suchte ein kleines, ihm bekanntes Cabinet auf, in welchem nur ein einziges Tischchen mit vier Stühlen stand. Dieser Raum pflegte stets für exclusive Stammgäste reservirt zu sein. Dort war er gewiß, nur anständige Leute zu finden. Selbst wenn die vier Stühle besetzt waren, konnte er sich einen fünften herbeibringen lassen.

Dieses Cabinet war durch eine Portière von dem Hauptraume getrennt. Wenn man dieselbe aus einander zog, konnte man alle draußen Befindlichen beobachten, ohne von ihnen gesehen zu werden.

Dort hatte der Graf oft gesessen und sich im Stillen dadurch unterhalten, daß er an den so verschiedenartigen Gesichtern der Gäste psychologische Studien machte.

Als er jetzt hinter die Portière trat, war nur ein einziger Stuhl besetzt, und Derjenige, welcher ihn inne hatte, war ein ihm vollständig Fremder.

Dieser Mann war schon hoch bei Jahren und hatte sehr scharf und kühn gezeichnete aber angenehme und Vertrauen erweckende Züge. Sein Gesicht war außerordentlich sonnenbraun. Von dieser tiefen Färbung stachen die dichten, grauen Haare und der gewaltige, schneeweiße Schnurrbart effectvoll ab. Sein Anzug war elegant, aus feinstem, graubraunen Winterstoff nach dem neuesten Schnitte gefertigt. Am Nagel hing ein Gehpelz, mit theurem Biberrücken gefüttert. An den Händen trug er einen einzigen Ring, dessen schmaler, einfacher Reif aber einen so werthvollen Diamanten trug, daß man den Besitzer für einen sehr wohlhabenden Mann halten mußte. Dieser Letztere hielt eine der bedeutenderen Zeitungen, in welcher er gelesen hatte, in der Rechten.

Das Alles hatte der Graf mit einem Blicke übersehen. Er war überzeugt, bei diesem Herrn Platz nehmen zu können, ohne die Würde seines Standes zu beleidigen. Darum verbeugte er sich, höflich grüßend.

"Erlauben Sie mir einen Platz?"

»Würden Sie mir einen Platz erlauben, mein Herr?«

Der Fremde erhob sich, erwiderte die Verbeugung in militärischer Haltung und antwortete:

»Gern. Nehmen Sie ungenirt Platz!«

Ein herbeigekommener Kellner nahm dem Grafen Hut und Ueberrock ab und erhielt die erwarteten Befehle. Dann zog der Letztere seine Karte hervor und überreichte sie, indem er sich niederließ, dem Gaste.

»Horst Arnim Graf von Senftenberg« stand unter der Grafenkrone.

Der Andre stellte sich dann durch die seinige vor, auf welcher zu lesen war »Josef von Brendel, Königl. Bayr. Hauptmann a.D.«

So Etwas hatte der Graf erwartet. Der Unbekannte war nach seinem ganzen Habitus ein alter Offizier.

Die Unterhaltung, welche nun zwischen Beiden geführt wurde, befriedigte den Grafen außerordentlich. Das Auftreten des Hauptmannes war beinahe


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originell. Er bewegte sich in kräftigen, scharf bezeichnenden Ausdrücken, ohne aber im Geringsten gegen die Umgangsformen der feineren Gesellschaft zu verstoßen. Er zeigte gesunde Lebensansichten, entwickelte reiche Erfahrungen und schien in allen Schichten der Bevölkerung eingehende Studien gemacht zu haben.

Der Graf hatte die angenehme Empfindung, daß er diesen Mann recht bald lieb gewinnen könne. Derselbe war jedenfalls ein Character, an welchem kein Falsch zu finden war.

Zwar zeigte er sich zurückhaltend, wenn der Graf eine inhaltsvolle künstlerische oder wissenschaftliche Bemerkung machte, zu deren weiterer Ausführung tiefe Fachkenntnisse gehörten, aber von so einem alten, wackern Haudegen war doch unmöglich zu verlangen, daß er sich auch mit eingehenden philosophischen und ästhetischen Studien befaßt habe.

So folgte eine Minute nach der andern wie im Fluge, und der Graf fand keine Zeit, an die schöne Aelpnerin zu denken. Da wurde die Portière abermals geöffnet, und in derselben erschien - der Commerzienrath.

»Ah, Graf Senftenberg!« rief er erfreut. »Das ist eine angenehme Ueberraschung.«

»Sie, Herr Baron?« erwiderte der Graf. »Sie konnte ich am allerwenigsten hier erwarten. Ich mußte natürlich glauben, daß Sie mit den Vorbereitungen zu Ihrer Soirée beschäftigt seien. Bitte, Platz zu nehmen!«

»Was giebt es da vorzubereiten? Nichts. Ich hatte einem Geschäftsfreunde eine eilige Angelegenheit vorzutragen und war meine Kehle während des vielen Sprechens so trocken geworden, daß ich den Schritt hierher lenkte, um der Stimme ihre frühere Elasticität wieder zu geben. Ich sehe, daß Sie sich bereits im Gesellschaftshabitus befinden, also können wir nachher gleich zusammen zu mir gehen.«

»Sehr gern! Gestatten die Herren, sie einander vorzustellen! Herr Commerzienrath Baron von Hamberger - Herr Hauptmann von Brendel, Bayern.«

Die beiden Genannten verbeugten sich gegeneinander. Dabei war dem Commerzienrathe anzusehen, daß der Name des Fremden ihn frappirte.

»Hauptmann von Brendel?« fragte er. »Ihr Vorname ist Josef, Herr Hauptmann?«

»Ja.«

»Sie kommen aus München?«

»Allerdings, Herr Commerzienrath.«

»Hatten Sie nicht die Absicht, hier in Wien unter Anderen auch mich mit Ihrem Besuche zu beehren?«

»Gewiß. Ich hatte mir vorgenommen, mich am morgenden Vormittage bei Ihnen vorzustellen.«

»So freue ich mich, Sie bereits heut zu sehen. Ihre Ankunft ist mir von dem befreundeten Münchener Bankhause gemeldet worden.«

»Dann verstößt es wohl nicht gegen die geschäftliche Höflichkeit, Ihnen


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bereits heut Einsicht in diese wenigen Zeilen zu geben. Der Herr Graf werden das wohl freundlichst entschuldigen.«

Er zog einen fünffach versiegelten Brief aus einem eleganten Portefeuille und reichte ihn dem Commerzienrath hin.

Dieser prüfte nach geschäftsmännischer Gewohnheit genau die Aufschrift, welche seine eigene Adresse enthielt und die Siegel, welche zweifellos diejenigen des betreffenden Bankhauses waren. Dann öffnete er und las:

»Herrn Commerzienrath
Baron Hesekiel von Hamberger
                                                       Wien.
Sie wollen dem Vorzeiger dieses, den Königlich Bayrischen Hauptmann a.D. Herrn Josef von Brendel auf unsere Rechnung und Gefahr einen so hohen Credit, als wir selbst bei Ihnen genießen, unbeschränkt eröffnen und uns die von ihm bei Ihnen erhobenen Summen zu monatlicher Sicht auf Wechsel stellen.«

Unterzeichnet war diese seltene Anweisung von einer der bedeutendsten Bankfirmen der Hauptstadt Bayerns.

Beim Lesen derselben stiegen die Brauen des Commerzienrathes höher und immer höher. Seine Augen prüften dann mit doppelt scharfem Blicke die Unterschrift auf ihre Aechtheit, und als er erkennen mußte, daß an derselben gar nicht zu zweifeln sei, nahm sein Gesicht den Ausdruck einer unendlichen Hochachtung an. Seine Schultern zogen sich demüthig nach vorn, und seine Unterlippe senkte sich herab. Er erhob sich, machte eine tiefe, respectvolle, ceremonielle Verbeugung und sagte:

»Herr Hauptmann, ich bin Ihr allerunterthänigster Diener und stelle mich mit meinem ganzen Vermögen und Credite Ihnen zur geneigten Verfügung.«

Der Alte erwiederte die Verbeugung mit einem einfachen Nicken und antwortete lächelnd:

»Danke! Was ich brauche, ist gar nicht der Rede werth, vielleicht einige hundert Gulden, wahrscheinlich aber gar nichts.«

Da machte der Baron ein hocherstauntes Gesicht.

»Aber, mein Herr, wissen Sie denn nicht, wie viel Sie bei mir entnehmen können?«

»O doch! So viel, wie ich brauche.«

»Aber das kann eine Million sein, noch mehr, mehrere Millionen. Ich gebe sie Ihnen!«

»Danke! Ich bin ein sparsamer Mann, habe bereits einiges Geld zu mir gesteckt, so viel ich nämlich voraussichtlich brauchen werde, und versah mich nur deshalb mit dieser Anweisung an Sie, weil man doch einmal sein Portemonnaie vergessen oder verlieren kann. Ich bin auch bereits einmal in die Verlegenheit gekommen, eine Zeche von sechzehn Groschen nicht bezahlen zu können. Habe dem Kellner meine Uhr als Pfand zurücklassen müssen.«

»Sie! Sie? Für sechzehn Groschen! Ein Mann, dem ich Millionen geben würde!«


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»Der Mann kannte mich ja nicht. Hier in Wien bin ich noch weniger bekannt. Wenn sich so ein Fall hier ergeben würde, so kann ich den Kellner an Sie weisen.«

Der Commerzienrath fand vor Erstaunen gar keine Worte. Endlich fragte er:

»Bei der Eröffnung eines solchen Credites muß ich selbstverständlich annehmen, daß Sie voraussichtlich hier ganz bedeutende Ausgaben zu machen beabsichtigen.«

»Gar nicht. Ich will Wien kennen lernen und mich einige Tage amusiren. Dann reise ich weiter.«

»Bitte, wohin?«

»Nach Triest vielleicht.«

»Besitzen Sie bereits Creditbriefe an dortige Bankhäuser? Wo nicht, so stelle ich mich gern zur Verfügung.«

»Danke! Bin auch für dort versehen.«

Der Bankier begann fast zu schwitzen. Es wurde ihm beinahe unheimlich vor lauter Hochachtung. Für Wien so ein ungeheurer Credit, und für Triest, für weitere Orte wohl auch noch! Der alte Hauptmann mußte doch ein ungeheuer reicher Kerl sein.

Natürlich hatte der Bankier gerade so wie jeder Besitzer einer Bank die Gepflogenheit, jedem Interessenten, welcher mit einer oder vielmehr über eine gewisse Summe bei ihm accreditirt wurde, sein Haus zu öffnen und ihn zu sich einzuladen. Darauf besann er sich. Mit diesem bayrischen Hauptmanne konnte ja geradezu Staat gemacht werden.

Jeder Andere wurde nur zur Tafel geladen, in diesem ganz außerordentlichen Falle aber konnte nur von Vortheil sein, eine noch bedeutendere Gastfreundschaft zu entwickeln. Darum erkundigte sich der Bankier:

»Darf ich fragen, Herr Hauptmann, wo Sie abgestiegen sind?«

»Im 'Kronprinzen von Oesterreich', Asperngasse.«

»Aber dort werden Sie doch nicht wohnen bleiben?«

»Warum nicht?«

»Bei den Ansprüchen, welche Sie machen können!«

»Ich könnte, ja, aber ich mache keine. Je einfacher man lebt, desto freier ist man.«

»Das ist zwar sehr richtig, aber man verzichtet doch selbst in der Fremde nicht gern auf Gewohntes, Bequemes. Ich offerire Ihnen eine Wohnung in meinem Hause und würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Sie die Güte hätten, mir die Erfüllung dieses Wunsches zu gewähren.«

»Danke, Herr Baron! Sie sagen selbst, daß man auf Gewohntes nicht verzichten solle, und meine Gewohnheit ist es eben, auf Reisen Niemanden zu incommodiren und zugleich meine Selbstständigkeit dadurch zu wahren, daß ich nur in Hotels wohne. Darum hoffe ich, Sie werden verzeihen, wenn ich auch hier nach dieser Regel handle.«


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»Nur ungern! Aber Ihr Wunsch ist mir natürlich Befehl. Doch hoffe ich, daß Sie mir dann eine andere, ebenso dringende Bitte gewähren.«

»Welche?«

»Haben Sie die Güte, mich in den Stand zu setzen, Sie noch heute Abend meiner Gemahlin und unseren Gästen vorzustellen. Der Herr Graf von Senftenberg erwähnten bereits die heutige Soirée. Ich weiß nicht, ob Sie ein Musikfreund sind, aber ich denke - -«

»O, ein großer Musikfreund sogar!«

»Nun, dann schmeichle ich mir, daß Sie sich bei mir gut unterhalten würden. Sie hören ganz hervorragende künstlerische Kräfte. Die Vortragenden sind sowohl in Beziehung der Instrumental-, als auch in der Vocalmusik Namen ersten Ranges. Der Herr Graf werden vielleicht die Güte haben, meine an Sie gerichtete Bitte zu unterstützen.«

Der Genannte hatte an dem Gespräche der Beiden nicht mit theilgenommen. Auch er war einigermaßen erstaunt über die Gleichgiltigkeit, mit welcher der Hauptmann die außerordentliche Creditangelegenheit behandelte. Jetzt nun ging er auf die Aufforderung des Bankiers ein, indem er sich an den alten Offizier wendete:

»Ich kann Ihnen allerdings den Salon des Herrn Barons warm empfehlen. Sie werden sich da nur in guter Gesellschaft befinden.«

»Davon bin ich fest überzeugt, da auch Sie dort anwesend sein werden,« antwortete der Hauptmann höflich.

»Sie werden zum Beispiel einen sehr namhaften Sänger hören,« fiel der Baron ein. »Vielleicht haben Sie bereits von ihm gehört. Er heißt Criquolini.«

»Ach! Criquolini singt bei Ihnen? Den möchte ich freilich einmal hören. Ich kenne ihn sehr genau, genauer als Sie denken.«

»Wohl gar persönlich?«

»Ja.«

»Das ist mir höchst interessant.«

»Leider muß ich sagen, daß seine Anwesenheit eigentlich für mich keine Veranlassung sein kann, Ihrer Einladung Folge zu leisten. Criquolini mag ein guter Sänger sein, ein guter Mensch aber ist er nicht.«

»Das ist bedauerlich. Aber wir werden es ja nicht mit dem Menschen, sondern mit dem Sänger zu thun haben.«

»Ganz richtig; aber wenn ich mich ja noch entschließen sollte, Theil zu nehmen, so bitte ich, ihn mir ja nicht vorzustellen.«

»Ganz gewiß nicht. Es wird ja dazu gar keine Gelegenheit geben. Er wird sich nicht unter den Gästen, sondern bei den Musici befinden, denen ein apartes Nebenzimmer angewiesen ist.«

»Das ist mir lieb. Ich habe nicht Lust, mit ihm persönlich in Berührung zu kommen. Er ist ein schlechter Character. Ich kenne zufällig seine ganze Vergangenheit und also auch seine Familienverhältnisse. Seine Eltern sind blutarme, brave Leute, welche kaum das trockene Brod zu essen haben,


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und er giebt ihnen keinen Pfennig, obgleich ich genau weiß, daß er von seiner amerikanischen Tournée ein Vermögen mitgebracht hat. Er ist ein rüder Mensch geworden, den man nicht achten kann. Betrachten wir ihn also als für uns abgethan! Wen werden wir noch hören?«

»Eine der berühmtesten Sängerinnen, die Ubertinka nämlich.«

»Also sie hat zugesagt? Sie hat sich doch erbitten lassen?« fragte der Graf erfreut.

»Ja, allerdings nur auf ganz besonderes Zureden ihrer Wirthin.«

»Sie meinen die Hotelwirthin?«

»Nein. Die Sängerin war im Hotel bereits nicht mehr zu finden. Sie hatte sich bei Frau Salzmann einlogirt, gar nicht weit von hier, in der Mohrengasse.«

»Ah! Ist das nicht ganz dieselbe Dame, bei welcher auch Criquolini wohnt?«

»Ja.«

»Sonderbar.«

Er machte ein sehr nachdenkliches Gesicht, kam aber natürlich nicht auf die Vermuthung, daß die berühmte Sängerin und seine schöne Aelplerin eine und dieselbe Person sei.

Als der Name derselben genannt worden war, hatte es sich wie heller Sonnenschein auf das Gesicht des alten Hauptmannes gelegt. Er fragte jetzt erstaunt:

»Die Ubertinka ist hier in Wien? Davon weiß ich ja gar nichts. Das muß ganz plötzlich gekommen sein, sonst hätte sie mich benachrichtigt. Vielleicht hat mich ihr Brief noch nicht treffen können, weil sie nicht vermocht hat, eine genaue Adresse anzugeben.«

Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an den beiden Andern. Der Graf fragte schnell:

»Wie, Herr Hauptmann? Sie kennen diese berühmte und geheimnißvolle Sängerin? Sie haben sogar das Glück, Briefe von ihr zu erhalten?«

»Ja,« antwortete der Gefragte. »Ich habe von dem Prachtmädchen sogar noch andere Dinge erhalten als nur allein Briefe. Sie hat mir zum Beispiel so manchen kräftigen Kuß gegeben.«

Dabei strich er sich, behaglich schmunzelnd, seinen martialischen Schnurrwichs.

»Sie scherzen!« rief der Graf.

»O nein. Warum soll sie mich nicht küssen? Ich bin ja ihr Pathe und Pflegevater.«

»Wirklich? Wirklich? Das ist ja im höchsten Grade interessant! Das ist eine freudige Ueberraschung für uns und jedenfalls auch für die Sängerin. Sie weiß, wie es scheint, gar nicht, daß auch Sie sich hier in Wien befinden?«

»Sie hat gar keine Ahnung. Ich freu mich königlich auf das Gesicht, welches sie machen wird, wenn sie mich erblickt. Herr Baron, jetzt können Sie ganz sicher sein, daß ich mit Ihnen gehe. Das wird ein Abend werd -«

Er wurde unterbrochen. Die Portière öffnete sich abermals, und unter


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derselben erschien der Baron von Stubbenau. Auch dieser kannte dieses behagliche, kleine Cabinet. Als er den Grafen erblickte, mit dem er das unliebsame Rencontre gehabt hatte, vergaß er zu grüßen, starrte ihn einige Secunden lang verlegen an und drehte sich dann um, die Portière wieder zufallen lassend.

Sein Erscheinen hatte auf die drei Anwesenden einen dreifach verschiedenen Eindruck gemacht. Der Graf hatte sich verächtlich zur Seite gewendet. Der Banquier machte ein ganz verwundertes Gesicht, denn der Baron hatte einen langen Streifen hautfarbiges Heftpflaster quer über das Gesicht kleben. Der Hauptmann aber hatte sich langsam von seinem Sitze erhoben und das Gesicht des Barons mit einem überrascht forschenden Blicke gemustert. Dann war er an die Portière getreten und hatte die beiden Theile derselben ein wenig auseinander gezogen, um sehen zu können, wohin der neue Gast sich draußen setzen werde.

»Was ist mit dem geschehen?« fragte der Banquier. »Ob er sich mit Jemand geschlagen hat?«

»Nein. Er ist geschlagen worden,« antwortete der Graf, indem er das letzte Wort stark betonte.

»Geschlagen worden? Von wem?«

»Von mir, und zwar mit der Reitpeitsche. Ich traf ihn am Nachmittage im Augarten, wo er mit Criquolini zwei Mädchen anfiel, um sich Zärtlichkeiten zu erzwingen. Meine Reitpeitsche ist dabei mit seinem Gesichte in nahe Berührung gekommen, während diejenige meines Reitknechtes sich für den Sänger interessirte. Beide wollten mich fordern, doch sind sie ja nicht Personen, denen man Genugthuung zu geben hat.«

Als der Hauptmann das hörte, wendete er sich rasch von der Portière zurück und fragte:

»Sie kennen diesen Herrn? Wer ist er?«

»Er nennt sich Baron Egon von Stubbenau und behauptet, irgendwo große Güter zu besitzen.«

»Wie lebt er hier?«

»Auf gutem Fuße; doch sind die Quellen seiner Mittel jedenfalls nicht lauter. Ich halte ihn für einen Schwindler, der sich durch falsches Spiel und andere Gaunereien ernährt.«

»Und mit diesem Manne verkehrt Criquolini! Hm, hm!«

Der Alte machte ein so ganz eigenthümliches Gesicht, daß der Graf sich erkundigte:

»Kennen Sie diesen sogenannten Baron?«

»Nein; aber ich interessire mich für sein Gesicht. Ich muß es bereits irgendwo gesehen haben.«

Er entfernte sich auf eine kurze Zeit. Draußen im Hofe zog er seine Brieftasche hervor und entnahm derselben eine Photographie, welche er genau betrachtete. Sie war genau das Bild des Barons von Stubbenau, nur daß die Photographie Haar und Bart blond erscheinen ließ, während Beides bei ihm tiefdunkel war.


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»Er ists, ja er ists,« murmelte der Hauptmann. »Hab mirs gar nicht denken konnt, daß ich den Hallunken so schnell finden thu. Wart, Bursch! Ich hab ein Wörtle mit Dir zu reden, welches Dir wohl gar nicht sehr gefallen wird. Aberst fein sauber muß ich diese Sach angreifen. Auf dera That muß ich ihn ertappen. Die Gelegenheit dazu muß sich finden, wann auch nicht hier, so doch nachhero in Triest.«

Er hatte das in bayrischer Mundart gesagt. Als er durch das Gastzimmer nach dem Cabinet zurückkehrte, warf er einen scharfen Blick auf den Baron. Er überzeugte sich, daß der Letztere wirklich das Original der Photographie sei.

Nun wurde aufgebrochen, denn die Zeit, in welcher der Salon des Commerzienrathes zu öffnen pflegte, war da. Er kam gerade noch zur rechten Zeit, um seine Gemahlin aus der Verlegenheit, die geladenen Gäste allein empfangen zu müssen, zu befreien, und stellte ihr den Hauptmann in einer Weise vor, aus welcher sie erkannte, daß der alte Herr eine geschäftlich bedeutende Persönlichkeit sein müsse. Darum hieß sie ihn in auszeichnender Weise willkommen.

Nach und nach stellten sich die erwarteten Herren und Damen ein, und der Hauptmann erkannte da allerdings, daß diese Gesellschaft eine wirklich vornehme sei.

Man war allgemein auf das Erscheinen der Sängerin gespannt. Jeder hatte Etwas von ihr gehört, ohne aber etwas Bestimmtes über sie erfahren zu haben. Der Banquier theilte den einzelnen Personen heimlich mit, daß der Hauptmann von Brendel der Pathe und Pflegevater der Ubertinka sei und daß derselbe ein horrentes Vermögen besitzen müsse, da er Veranlassung erhalten habe, ihm einen unbeschränkten Credit zu eröffnen, ein Fall, der ihm in seiner langen Geschäftspraxis noch nie vorgekommen sei.

Durch diese vertrauliche Mittheilung wurde der Alte mit einem Male der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit; er bemerkte das sehr wohl, that aber, als ob er es gar nicht beachte.

Es war zu Ende der Wintersaison, in welcher Gesellschaften, Bälle und Maskeraden an der Regel sind. Bei solchen Gelegenheiten entfaltet die Wiener Welt eine außerordentliche Toilettenpracht. Auch die anwesenden Damen zeichneten sich sämmtlich durch einen ungemeinen Reichthum der äußeren Erscheinung aus. Sammet und Seide, Diamanten und Perlen rauschten und flimmerten um die Wette, und die Freiheit des Kleiderschnittes, welche die Wienerin so sehr liebt, ließ die Schönheit der Formen und die sonst so sorgsam behüteten Reize zur vollen, offenen Geltung kommen.

Auch der Agent Goldmann war da. Er hatte zu seiner Genugthuung seinen Zweck, eine Einladung zu erhalten, erreicht. Kaum vernahm er, in welch intimen Verhältnissen der Hauptmann zu der Sängerin stehe, so ließ er sich ihm vorstellen. Er gab sich alle Mühe, einen vortheilhaften Eindruck auf ihn zu machen und etwas Näheres über die hochinteressante Dame zu erfahren, war jedoch nicht glücklich dabei, denn der alte Herr ließ sich nicht ausfragen.


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Der einstige Krickelanton kam noch eher als seine vormalige Geliebte. Er war ganz in der Meinung, zu den Geladenen zu gehören. Er gab in der Garderobe seinen Hut und Ueberrock ab, betrachtete sich noch einmal im Spiegel, ob seine Frisur in Ordnung sei und schritt dann dem weit offenen Eingange des Saales zu. Dort stand ein Diener, um jeden Eintretenden zu melden. Er kannte den Sänger nicht.

»Bitte, Ihren Namen!« sagte er darum.

»Criquolini, Signor Criquolini.«

»Ach so! Bitte, treten Sie hier herein!«

Er schritt ihm längs des Corridores voran und öffnete dort eine Thür. Der Sänger schaute hinein. Da saßen drei Violinisten, ein Vierter mit einem Cello und noch zwei weitere Personen mit Flöte und Clarinette. Abseits von diesen standen zwei Herren, deren ganzer Habitus verrieth, daß sie Künstler seien. Der Eine war Pianist und der Andere Violinvirtuos. Sein Instrument lag in einem eleganten Kasten in seiner Nähe.

»Was ist das? Hier herein soll ich?« fragte der Sänger.

»Ja, bitte!« antwortete der Lakai. »Meine Herren, hier ist Signor Criquolini, welchen Sie erwartet haben.«

Die Anwesenden verbeugten sich; er aber erwiderte diesen Gruß nicht sofort, sondern sagte in zornigem Tone zum Lakaien:

»Das ist doch wohl nicht der Salon?«

»O nein, Signor.«

»Nun, ich gehöre doch wohl in den Salon?«

»Verzeihung! Der Herr Baron haben mir befohlen, Sie hierher zu führen. Hier pflegen die Herren Musici sich aufzuhalten.«

»Donnerwetter! Bin ich ein Musikus?«

»Ich glaube, daß der Gesang auch Musik ist.«

»Aber ein Sänger ist kein Bierfiedler!«

»O, diese Herren sind auch keine Bierfiedler.«

»Mensch, werden Sie nicht impertinent! Ich habe gehört, daß Signora Ubertinka auch geladen ist?«

»Ja, sie ist geladen.«

»Bringen Sie diese Dame auch hierher?«

»Nein, denn sie ist, wie eben erwähnt, geladen; Sie aber sind engagirt. Hier auf dieser Tafel ist Ihr Souper aufgetragen. Wein ist da. Wenn Sie einen Wunsch haben, so brauchen Sie nur die Glocke zu ziehen. Und dort die Thür führt nach dem Musiksalon. Wenn man Sie dort braucht, wird man es Ihnen sagen.«

Er ging.

Criquolini stand noch an der Thür, unentschlossen, ob er bleiben oder lieber gleich wieder gehen solle. Sein Künstlerstolz war auf das Gröbste beleidigt worden. Er sah das Lächeln, mit welchem die Anwesenden auf ihn blickten. Das erhöhte seinen Zorn.

»Meine Herren,« sagte er, »lassen Sie sich denn so Etwas gefallen?«


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Der Violinvirtuos zuckte die Achseln und antwortete:

»Was sollen wir anders thun? Man bezahlt uns ja; darum rechnet man uns nicht zu den Gästen.«

»Ach! Man bezahlt uns! Ich habe geglaubt, mich gratis hören lassen zu sollen. Nun erst verstehe ich diesen baronisirten Juden. Man bezahlt uns also! Gut, so soll man auch sehr brav zahlen. Sind Sie gegen ein bestimmtes Honorar engagirt?«

»Ja. Wir sind während der Saison sehr oft hier und wissen, was wir für den Abend erhalten.«

»So hat der famose Herr Commerzienrath die Dummheit begangen, mich nicht nach der Höhe des Honorars zu fragen. Da er uns zu den 'Musikanten' zählt, werde ich ein echt amerikanisches Honorar verlangen.«

»Wieviel?«

»Das ist noch unbestimmt. Ich kam in der Absicht, eine ganze Reihe von Liedern vorzutragen; nun aber werde ich nur zwei singen. Wer hat mich zu begleiten?«

»Ich,« antwortete der Pianist.

»So werde ich Ihnen die Noten holen, welche in meinem Ueberrocke stecken. Es ist ein Trinklied, gedichtet von Emil Ritterhaus, und was ich dann noch für eins wählen werde, weiß ich noch nicht.«

Er kehrte zur Herrengarderobe zurück. Wäre er nur einige Augenblicke früher gekommen, so hätte er die Ubertinka an der Seite der Frau Salzmann in den Salon treten sehen.

Hatten die Anwesenden erwartet, die Sängerin in großer Gesellschaftstoilette zu sehen, so waren sie im Irrthum gewesen. Sie trug ein einfaches, schwarzseidenes Kleid, und eine rothe Rose in dem prachtvollen, dunklen Haar war ihr einziger Schmuck. Während alle anwesenden Damen tief ausgeschnitten gingen und auch die Arme ganz entblößt trugen, schloß ihr Kleid sich eng um den Hals und die Aermel desselben reichten bis über den Ellbogen. Der Vorderarm stak in Handschuhen.

So stach sie außerordentlich gegen die strahlende Umgebung ab. Aber Jeder und Jede sagte sich sofort beim ersten Blicke, daß dieses Mädchen eine seltene, ausgezeichnete Schönheit sei.

Die Commerzienräthin eilte ihr entgegen und stellte sie den Anwesenden vor. Binnen wenigen Augenblicken hatte sich ein Kreis um die reizende Künstlerin gebildet. Vieler Augen suchten nach dem Hauptmanne, um sich an seiner Ueberraschung, sie hier unerwartet zu sehen, zu weiden. Er war nicht im Salon, sondern er befand sich mit dem Grafen von Senftenberg im Rauchzimmer.

Der Commerzienrath suchte sie auf, um sie zu benachrichtigen. Beide kamen herbei, voran der Hauptmann, der Graf hinter ihm.

»Signora,« sagte die Commerzienräthin zu Leni, »ich habe Ihnen noch zwei Herren vorzustellen, die bisher nicht anwesend waren. Bitte!«

Der Kreis öffnete sich. Leni's Auge fiel auf den Hauptmann. Eine


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außerordentliche Ueberraschung malte sich in ihren Zügen. Sie war für einige Augenblicke bewegungslos.

»Ists möglich! Ists wahr?« rief sie, ganz vergessend, daß sie nicht allein war. »Ists dera Sepp oder ist ers nicht?«

»Ja freilich bin ichs,« antwortete er. »Oder willst mich nicht mehr kennen, Dirndl?«

»Ja, ja, das ist er! Sepp, mein alter, lieber, guter Sepp! Was ist das für eine Freuden, Dich hier zu sehen! Komm her, ich muß Dir gleich ein Busserl geben!«

Sie flog auf ihn zu, schlang die Arme um ihn und küßte ihn herzhaft auf den Mund. Er drückte sie in tiefer Rührung an sich und flüsterte ihr dabei zu:

»Dirndl, mach kein dumm Geschwätz! Ich bin hier dera Hauptmann Josef von Brendel aus Bayern. Verstanden?«

»Warum?« fragte sie verwundert.

»Darum! Mehr brauchst nicht zu wissen. Jetzt schau Dir auch meinen jungen Freund an, den ich kennen lernt hab, den Grafen Senftenberg. Da ist er.«

Der Graf war, als er Leni erblickte, vor Erstaunen unter der Thür stehen geblieben. Das war ja die schöne Aelplerin! Sie und die berühmte Sängerin eine Person! Welch eine Ueberraschung! Da war ja mit einem Male das Räthsel gelöst!

Jetzt brachte der Hauptmann sie ihm zugeführt. Sie lächelte ihm neckisch entgegen, reichte ihm die Hand und sagte:

»Ersparen wir uns die Verbeugungen, gnädiger Herr! Meinem Beschützer muß ich die Hand geben. Sie haben es verdient.«

Er zog die Hand an seine Lippen und antwortete, indem seine Augen glücklich strahlten:

»Darum also! Darum sprachen Sie davon, daß wir uns bereits heute sehen würden. Wußten Sie, daß ich geladen war?«

»Die Frau Commerzienräthin hatte es mir mitgetheilt.«

»Und dann das Andere? Was war mit dem Abendregen gemeint?«

»Das hier. Ich hörte, daß Sie das Piano lieben. Würden Sie mich zu zwei Liedern begleiten, gnädiger Herr?«

Sie zog zwei kleine, zusammengefaltete Notenblätter aus der Tasche.

»Mit Stolz und Vergnügen,« antwortete er, ganz beseligt durch diese Bevorzugung.

Er schlug die Blätter auseinander und fuhr fort, Noten und Text betrachtend:

»Zwei Gedichte von Gerock, 'Behüt Dich Gott' und 'Abendregen'. Jetzt begreife ich auch das Andere. Also dies ist der Abendregen, bei welchem wir uns wieder sehen. Ich sollte Ihnen eigentlich über Ihr Incognito zürnen. Denken Sie sich, lieber Hauptmann, die Signora gab sich für ein Dienstmädchen aus!«


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»So? Das sieht ihr ähnlich. Aber ich bin ganz erstaunt, zu erfahren, daß Sie sich kennen.«

»Wir sahen uns heut. Die Signora war eine der beiden Damen, denen ich im Augarten den erwähnten kleinen Dienst leisten durfte.«

»Was? Leni, Du warst es, die der Criquolini angefallen hat? Hat er Dich erkannt?«

»Nein, denn ich war verschleiert; dann aber habe ich ihm freilich gezeigt, wer ich bin.«

»Da ist er erschrocken? Nicht?«

»Nein, gar nicht. Er hat vielmehr - aber schweigen wir lieber davon!«

»Ganz recht,« stimmte der Graf bei. »Fort mit dieser unangenehmen Erinnerung. Ich sehe, daß mir die Herrschaften zürnen, daß ich Sie ihnen entziehe. Wir dürfen uns nicht isoliren. Kommen Sie!«

Er nahm ihren Arm und führte sie in den Kreis zurück, welcher sich sofort um sie schloß.

Ihr Verhalten zu dem alten Hauptmanne hatte allgemein sympathisch berührt. Zwar war es aufgefallen, daß sie ihn Sepp genannt hatte, doch war dies durch die derbe, kernbayrische Art leicht zu erklären. Sie bildete bereits in Kurzem den Mittelpunkt der Gesellschaft. Selbst die jüngeren, sonst auf ihre Vorzüge so eifersüchtigen Damen erkannten ihre Schönheit neidlos an. Ihr einfaches, bescheidenes und doch so sicheres Wesen ließ keine Mißgunst aufkommen.

Der Graf stand allein am Fenster und beobachtete sie. Er konnte den Blick fast nicht vor ihr wenden. Jetzt, hier, sah er erst, wie schön sie war. Und sie war keine Sängerin, sondern Jungfrau - so rein, keusch und züchtig. Dem Zahn der Sünde war es nicht gelungen, dieses Mädchen zu verwunden. Das sah man ihr an.

Zuweilen schien es, als ob ihr Auge ihn suche. Das erfüllte ihn mit einem Gefühle süßer Befriedigung, wie er es noch niemals empfunden hatte.

Dann öffnete sich die Thür zum Musiksalon, und die kleine Capelle trug eine Introduction vor. Alle wendeten sich dieser Richtung zu. Das benutzte der Graf. Er eilte zu Leni, nahm ihren Arm in den seinen und bat:

»Lassen Sie mich Ihr Führer sein, Fräulein. Ich sah, daß Sie eine Tanzkarte erhielten. Haben Sie bereits über alle Tänze verfügt?«

»Noch über keinen,« antwortete sie lächelnd.

»Ah! Wie kommt das? Da ist es mir ganz unmöglich, die Herren zu begreifen, welche sich die Gelegenheit entgehen lassen, der Königin dieses Abends ihre Huldigung darzubringen.«

»O bitte, ich kann mich nicht über Mangel an Aufmerksamkeit in dieser Beziehung beklagen. Es ständen auf meiner Karte wohl die Namen aller Herren bereits verzeichnet, wenn ich nicht erklärt hätte, daß ich nicht tanze.«

»Wie? Ists möglich! Sie tanzen nicht?«

»Nein. Grundsätzlich nicht.«

»Warum?«


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»Meine Ansichten über dieses Vergnügen sind vielleicht zu streng, aber ich möchte sie doch nicht ändern.«

Sein Blick leuchtete auf.

»Eine Sängerin, die zugleich den Tanz verwirft. Wahrlich, das ist eine Seltenheit, ja, das ist vielleicht noch gar nicht vorgekommen. Hegten Sie auch früher diese strengen Ansichten?«

»Hätte ich sie gehegt, sie wären doch nicht zur Geltung und Anwendung gekommen. Ich habe nur ein einziges Mal getanzt. Ich war eine arme Sennerin, befand mich die größte Zeit des Jahres auf einsamer Alm und habe auch während der übrigen Zeit das Leben nur von der ernsten Seite betrachtet.«

Er drückte unwillkürlich ihren Arm fester an sich.

»So wird also auch mein Verlangen nach einem Tanze ein unerfülltes sein.«

»Leider. Ich bitte um Verzeihung!«

»Da ist nichts zu verzeihen. Vielmehr habe ich Ihre Nachsicht in Anspruch zu nehmen, wenn ich Sie dringend ersuche, Sie nachher zur Tafel führen zu dürfen.«

»Sollte nicht unsere Wirthin bereits andere Verfügungen getroffen haben?«

»Möglich, denn von den anwesenden Herren wird wohl ein Jeder wünschen, an Ihrer Seite zu sitzen; aber wenn Sie es mir gestatten, so werde ich der Frau Commerzienräthin einen Wink ertheilen.«

Sie antwortete nicht sogleich. Das Verhalten des Grafen berührte sie in einer Weise, über welche sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte. Es war nicht sein Stand, wegen dessen es sie mit großer Genugthuung erfüllte, daß er sich ihr in so auffälliger Weise widmete. Seine Persönlichkeit war es, seine Persönlichkeit ganz allein. Er trat so einfach, so bescheiden auf. Sein Wesen zeigte eine Offenheit, eine Wahrheit, welche man an dergleichen Cavalieren nicht zu beobachten pflegt. Leni fühlte, daß er kein gewöhnlicher Salonmensch sei und ihr nicht Höflichkeiten sagte, weil er es gewöhnt war, Damen zu schmeicheln. Was er sagte, kam ihm wirklich aus dem Herzen.

Sie waren in den Musiksalon getreten. Der Graf wollte sie nach einem Stuhle führen, sie aber bedankte sich und ging zu dem alten Hauptmanne, welcher abseits von der Gesellschaft stand, um sich ein Gemälde zu betrachten.

»Sepp, jetzund mußt mir mal Red und Antwort stehen,« sagte sie. »Willst es thun?«

»Wann ich kann, ja!«

»Was willst eigentlich hier in Wien?«

»Marinerirte Heringe fangen in dera Donauen. So, jetzt weißts.«

»Geh! Bist doch stets ein Grundböser. Kannst denn niemalen aufrichtig ein?«

»Bin ich jemals verschlossen gegen Dich gewest?«

»Oft!«

»Dann hab ichs halt nöthig gehabt. Und so ists auch grad jetzt. Was ich hier such, das darf ich Dir halt nicht sagen.«


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»Warum aber spielst den vornehmen Herrn?«

»Weils für das, was ich will, nöthig ist.«

»So! Ich hätt gar niemals glaubt, daßt so gut einen Offizieren machen kannst.«

»Du, da hast Dich täuscht. Dera Wurzelsepp ist halt Einer, der Alles kann, was er will. Das magst Du Dir nur merken.«

»Ja, ich glaub es fast. Und wie sich das so schön ereignet hat, daß wir uns gleich treffen müssen. Auch den Anton haben wir gleich auf dera Stell gefunden.«

»Du, daran liegt mir nix.«

»Warum?«

»Weil er mich nicht sehen darf. Er könnts sonst verrathen, daß ich nicht ein Offizier bin, sondern dera Wurzelsepp.«

»So mußt halt hinaus gehen, wann er singen thut.«

»Ja. Und Du? Soll er Dich sehen?«

»Hm! Er hat keine Ahnung, daß ich die Ubertinka bin, obgleich er, wenn er gescheidt wäre, es errathen könnte, daß dieser Name eigentlich von der zweiten Hälfte meines Geburtsnamens Berghuber herkommt. Wann ich es vermeiden kann, so soll er mich nicht erblicken.«

»So wollen wir uns erkundigen, wann er auftreten wird.«

Die Capelle hatte indessen einen Walzer gespielt, und nun traten der Pianist und der Violinvirtuos herein, um sich Beide hören zu lassen. Nach ihnen sollte Criquolini auftreten.

Bevor er erschien, traten der Sepp und die Leni wieder zusammen und gingen, wie in ein angelegentliches Gespräch vertieft, hinaus in den Empfangssalon, was keinem der Anwesenden auffiel.

Sie konnten von dort aus den Krickelanton beobachten, ohne von ihm bemerkt zu werden. Er schritt in stolzer, selbstbewußter Haltung nach dem Piano. Dort verbeugte er sich, aber so leicht und kurz, als sei er ein Fürst, der auf eine ihm erwiesene Ovation gnädig danke. Dann durchflog sein Blick den Saal.

Er suchte die Ubertinka. Welche von den anwesenden Damen mochte die Sängerin sein? Es gab kein Anzeichen, mit dessen Hilfe er sich diese Frage hätte beantworten können.

Der Pianist verkündete laut, daß Signor Criquolini ein Trinklied vortragen werde. Der Sänger lehnte sich nachlässig mit dem Arme auf das Piano, wartete, bis das Vorspiel zu Ende war und begann dann die 'Rheingauer Glocken' vom Emil Ritterhaus:

»Wo's guten Wein im Rheingau giebt,
Läßt man den Mund nicht trocken.
Drum, wer ein schönes Tröpfchen liebt,
Beacht den Klang der Glocken!
Merk, ob Du hörst den vollen Baß
Ob dünn und schwach der Ton summ'.
Wo edle Sorten ruhn im Faß,
Da klingt es: Vinum bonum!
Vinum bonum, vinum bonum!«


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Er hatte halblaut begonnen, sichtlich nachlässig, als ob ihm an dem Beifalle der Anwesenden ganz und gar nichts liege. Von Wort zu Wort aber färbte sich die Stimme energischer. Er richtete sich höher auf. Sein prachtvoller, kräftiger Tenor begann, den Saal zu füllen, und als er dann 'vinum bonum', den Klang der Glocken nachahmte, da klang es wirklich wie Glockengeläut, so metallisch, so tief und brausend, als ob es vom hohen Thurme hin über den Rheingau schalle.

Dann kam die zweite Strophe:

»Doch wo die Rebe schlecht gedeiht,
Muß man die Aepfel pressen;
Da wird gar klein die Seligkeit
Dem Zecher zugemessen.
Der Trank ist matt, das Geld ist rar;
Man spart an Glock und Klöppel -
Und von dem Thurm hört immerdar
Man Eins nur: Aeppelpäppel!
Aeppelpäppel, Aeppelpäppel!«

Man hätte meinen sollen, daß bei diesen humoristischen Zeilen sich die Pracht seiner Stimme nicht documentiren könne, aber grad das Geläute 'Aeppelpäppel' wurde in einer solchen Tonhöhe vorgetragen und klang doch so glockenrein aus tiefster Brust, es war eine so prachtvolle Nachahmung, daß man glaubte, in Wirklichkeit drei kleine Glöcklein eines armen Dorfes läuten zu hören. Als er diese Strophe geendet hatte, wurde er mit einem rauschenden Beifalle belohnt. Er zuckte, anstatt sich dankend zu verbeugen, leicht die Achsel, als ob er sagen wolle: Hört nur erst weiter, bevor Ihr applaudirt. Dann trat er einen Schritt vor und fuhr fort:

»Mein Sohn, wo Du den Ton vernimmst,
Da kann Dein Herz nicht lachen,
Da rath ich, daß Du weiter schwimmst
In dem bekränzten Nachen.
Doch wo das Baßgeläut erscholl,
Da kehre nicht, mein Sohn, um,
Da labe Dich, der Andacht voll,
Und singe: Vinum, bonum,
Vinum, bonum, vinum, bonum!«

Die Aufgabe, welche dieses Lied an den Sänger stellte, war die Nachahmung des Glockengeläutes. Jetzt ließ Anton ein tiefes, melodisches Läuten erschallen, daß man meinte, die Glocken schwingen sehen zu müssen. Die Nachahmung war eine wirklich meisterhafte, und es wurde ihm dafür ein ungeheurer Applaus zu theil. Man rief in stürmische Weise Dacapo. Der Pianist begann auch bereits die Einleitung, da er glaubte, daß der Sänger diesen Beifall doch sicher belohnen werde. Anton aber gab ihm mit der Hand ein verneinendes, unwilliges Zeichen, nickte den Zuhörern leicht zu und schritt zum Saale hinaus. Der Pianist brach natürlich ab und folgte ihm verlegen.


// 2181 //

Dieses hochmüthige Verhalten ließ sofort die noch anhaltenden Zeichen des Beifalles verstummen. Draußen im Musikantenzimmer fragte der Pianist den Sänger, warum er nicht noch eine Strophe gesungen habe.

»Weil das Lied nur diese drei hat,« antwortete Anton kurz.

»In diesem Falle pflegt man die letzte zu wiederholen.«

»Was Andere thun und pflegen, geht mich nichts an. Ich singe ein jedes Lied zu Ende; über das Ende hinaus giebts nichts.«

»Aber, Herr, dieser Beifall!«

»Den habe ich verdient; darum brauch ich ihn nicht extra zu belohnen. Kein Mensch wird etwas Wohlverdientes auch noch extra bezahlen. Kennen Sie die Ubertinka?«

»Nein.«

»Sie muß sich doch drin im Saal befinden?«

»Selbstverständlich.«

»Hm! Welche mag es sein? Haben Sie bereits Noten von ihr erhalten?«

»Noch nicht. Sie wird jedenfalls der richtigen Ansicht sein, daß ich die Begleitung vom Blatte zu spielen vermag.«

Jetzt folgte ein Mozartsches Quartett, von der kleinen Capelle executirt, und dann kam der Diener, um den Herren Künstlern zu melden, daß jetzt die Signora singen werde.

»Da muß ich doch hinaus, sie zu begleiten!« sagte der Pianist.

»Ist nicht nöthig. Graf Senftenberg hat die Begleitung übernommen.«

»Ah, vornehm, sehr vornehm!« knirschte Anton. »Auch ich sollte dem Herrn Grafen meine Noten schicken. Wenigstens bekommen wir jetzt endlich diese 'größte' Künstlerin zu hören und hoffentlich auch zu sehen.«

Er trat an die Thür, welche in den Musiksalon führte. Er wollte dieselbe um eine kleine Lücke öffnen, fand aber zu seiner Ueberraschung, daß man von innen - den Schlüssel umgedreht hatte.

»Donnerwetter, es ist verschlossen!« fluchte er. »Das ist doch toll, das ist unverschämt! Ich werde mir das nicht wieder gefallen lassen.«

Er warf sich in einen Sessel, aber er blieb nicht lange sitzen, denn drinnen im Saale erklang jetzt eine Stimme, eine so wunderbare Stimme, daß es ihn vom Sessel emporriß.

Leni hatte, ohne dazu aufgefordert zu sein, dem Grafen gesagt, daß sie jetzt bereit sei, das erste der beiden Lieder vorzutragen, und er hatte die Wirthin darüber verständigt.

Als diese Letztere es weiter meldete, ging eine Bewegung durch den Saal. Jeder und Jede suchte den verlassenen Platz wieder auf und machte es sich auf demselben so bequem wie möglich, um ja dann während des Vortrages kein Geräusch zu verursachen.

Der Sepp schlängelte sich langsam an der Wand hin bis zu der Thür, welche in die Musikantenstube führte. Er ahnte, daß man von dorther neugierig sein werde, und drehte, ohne daß es von Jemand bemerkt wurde, den Schlüssel um.


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Darum konnte Anton dann nicht öffnen.

Nun nahm der Graf Leni's Arm und führte sie nach dem Piano. Dort verkündete er den Vortrag des Liedes »Behüt Dich Gott«, Abschied der Mutter von ihrem scheidenden Kinde.

Als er sich dann selbst an das Instrument setzte, vernahm man jenes leise Rauschen und Wehen, welches durch eine Versammlung geht, wenn sich vor den Augen derselben etwas Ungewöhnliches ereignet.

Daß der Graf die Sängerin begleitete, war eine Auszeichnung, welche diese Beiden einander ertheilten. Man wußte, daß der Graf es bei einer Anderen nicht gethan haben würde; man war aber auch von Leni überzeugt, daß sie nicht einem Jeden diese Erlaubniß gegeben hätte. Und als es sich nun blitzschnell herumflüsterte, daß Graf Senftenberg heut am Nachmittage die Künstlerin gegen eine Frechheit Criquolini's in Schutz genommen habe, war das sympathische Verhalten der Beiden gegen einander erklärt, und man hielt es für ganz begründet, daß ein Mensch wie Criquolini nicht geladen worden sei, sondern ganz einfach als Musikus behandelt werde.

Es waren leise, lieblich melodirte As-dur-Klänge, welche unter den Fingern des Grafen entstanden; ebenso leise und mildtönig begann Leni:

»Behüt Dich Gott, geliebtes Kind,
In Deinen Locken spielt der Wind;
   Das Hündlein wedelt, springt und bellt,
   Dein Muth ist frisch und schön die Welt.
Behüt Dich Gott!«

Die Stimme der Sängerin hatte sich erhoben. Sie hatte einen Klang, einen Klang, der gar nicht zu beschreiben war. Bereits diese wenigen Takte rissen das Publikum hin; doch wagte man es nicht, einen Laut, ein Geräusch hören zu lassen. Nur Blicke flogen von Aug zu Aug, als das »Behüt Dich Gott« verklungen war, und diese Blicke waren für die Sängerin eine wenigstens ebenso große Ehre, wie ein lauter Beifall es gewesen sein würde.

Das schöne Lied Carl Geroks klang weiter:

»Behüt Dich Gott, mein Herz ist schwer,
Ich kann Dich hüten nimmermehr,
  Doch send ich Dir als Engelswach
  Geflügelte Gebete nach:
Behüt Dich Gott!

Behüt Dich Gott an Leib und Seel
Vor Sünd und Schand, vor Fall und Fehl,
   Dein kindlich Herz, vom Argen rein,
   O hüt es wohl wie Edelstein;
Behüt Dich Gott!«

War das wirklich Gesang, den man hörte? Ja, ein herrlicher, herrlicher Gesang! Und doch war es keiner, sondern es war die Sprache eines


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von Liebe und Sorge überfließenden Mutterherzens zu dem scheidenden Kinde. Da gab es keine gekünstelte Melodie, mit Cadenzen, Läufen und Trillern; ja, das schien gar keine Melodie zu sein. Es waren Seelenworte, nicht gesungen, sondern gesprochen, obgleich Text, Begleitung und Stimme eine einzige, ergreifende Harmonie bildeten.

Dann kam der Trost für jeden Scheidenden:

»Behüt Dich Gott, ein starker Hort,
Sein Scepter reicht von Ort zu Ort;
   Sein Arm gebeut, sein Auge schaut
   So weit der liebe Himmel blaut.
Behüt Dich Gott!

Behüt Dich Gott - und nun zum Schluß
Von Mund zu Mund den letzten Kuß,
   Von Herz zu Herz das letzte Wort:
   Auf Wiedersehn hier oder dort!
Behüt Dich Gott!«

Leni hatte geendet. Kein einziger Laut des Beifalles erscholl; keine leise Bewegung ließ sich hören, nicht das Rauschen einer Falte oder das Geräusch einer Fußspitze. Eine wirkliche Grabesstille herrschte für einige Augenblicke. Dann aber erhoben sich sämmtliche Personen wie auf ein Commando von ihren Stühlen und eilten auf die Sängerin zu.

Jeder genirte sich, die gewöhnlichen Beifallsworte wie »herrlich, prächtig, o wie schön u. s. w.« hören zu lassen. In den Gesichtern strahlte der Applaus in glänzenden Zügen; an den Wimpern hing er in schweren Tropfen. Zehn, zwanzig, noch mehr Hände streckten sich Leni entgegen, und der Graf, welcher sich langsam vom Musiksessel erhoben hatte, stand dabei wie ein Träumender. Sein Blick hing wie gebannt an dem schönen, tiefernsten Angesichte der Sängerin. Er fuhr sich mit der Hand über die hohe, weiße Stirn und erinnerte sich fast zu spät daran, daß er sie ja wieder vom Piano zurückzuführen habe.

Als er ihr den Arm dazu bot, war es noch still im Saale. Man flüsterte nur leise, da Alle noch unter dem Eindrucke des herrlichen Liedes, der unbeschreiblichen Stimme und des meisterhaften Vortrages standen.

»Signora,« fragte er mit leiser Stimme, welche hörbar vibrirte, »bitte, sagen Sie mir, ob ich richtig gespielt habe!«

»Gewiß. Sie haben mich sogar unübertrefflich begleitet.«

»Das ist ja gar nicht möglich!«

»In wiefern? Sie spielen ja meisterhaft.«

»Aber ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich wirklich nicht weiß, was ich gespielt habe. Ich habe nicht auf die Noten gesehen. Mein Auge hat nur Sie erblickt und mein Ohr nur Ihre Stimme gehört. Ich möchte mich wirklich fragen, ob ich überhaupt zu Ihrem Gesänge gespielt habe.«

Sie antwortete nicht. Sie senkte den Blick und über ihr Gesicht glitt ein Lächeln, ein unbeschreiblich glückliches Lächeln. Konnte es eine herrlichere


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Anerkennung geben, als Diejenige, welche in seinen Worten lag? Gewiß nicht.

»Sie lächeln?« flüsterte er. »Ja, ich mag Ihnen ganz gewiß recht lächerlich vorkommen; aber ich sage Ihnen, daß ich jetzt nicht mehr ich bin. Ich kenne mich gar nicht mehr. Sie sind eine Zauberin, aber nicht ein böse, sondern eine gottbegnadete Fee, welche nur Glück und Heil bringen kann.«

Er hatte sie zu ihrem Platze geführt und zog sich zurück. Er konnte das, was er empfand, unmöglich durch eine gewöhnliche Unterhaltung entweihen.

Der Sepp hatte heimlich den Schlüssel jetzt wieder umgedreht. Dann entfernte er sich von der Thür, so daß die Capelle, welche jetzt wieder zum Vortrage kam, den Eingang für sich offen fand.

Dann spielte der Pianovirtuos ein Stück. Ihm folgte der Violinist, und sodann war ein Lied von Criquolini angekündigt. Der Sepp zog sich mit Leni abermals unbemerkt zurück.

Criquolini zeigte jetzt womöglich eine noch stolzere Haltung als vorher. Es war nicht eine Verbeugung, welche er dem Publikum machte, sondern eine herablassende Verneigung, ganz so, als ob er hoch über den Anwesenden stehe. Er sang eines der bekannten Fannylieder:

»Ich liebe die trauten Wellen,
   Ich liebe das wilde Meer.
Wie Liebesgedanken schwellen
   Die Wasser dahin, daher.

Wie Blicke der Liebe steigen
   Glühfünklein in die Höh;
Wie Grüße der Liebe neigen
   Die Lilien sich im See.

Wie Worte der Liebe klingen
   Seltsame Töne hervor.
Die Seejungfräulein singen
   Und tauchen lustig empor.

Ich liebe die trauten Wellen,
  Ich liebe das wilde Meer.
Wie Liebesgedanken schwellen
  Die Wasser dahin, daher.«

Hatte er dieses Lied des Textes oder der eigenartigen, in wallenden Triolen sich bewegenden Composition wegen gewählt? Mochte es sein, wie es wollte, die Wahl war eine vortreffliche.

Dieses Lied war wie für ihn gedichtet und componirt. Auch er »liebte die trauten Wellen, und er liebte das wilde Meer«. Er war ein zu Leidenschaftlichkeiten geneigter Charakter, unberechenbar wie die Fluth, welche jetzt im Sonnenglanze lacht und im nächsten Augenblicke ihre brüllenden, todesdunklen Wogen erhebt. Auch ihm hatten »Meerfräulein« zugewinkt, und er war ihnen in die blinkenden, verführerischen aber kalten Arme gesunken. Er hatte zwischen den feilen, bleichen »Seeblumen« moralischen Schiffbruch erlitten.


Ende der einundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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