Der Weg zum Glück - Teil 96

Lieferung 96

Karl May

26. Mai 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Ich habe ihn. Ich trage ihn bei mir.«

»Dürfte ich ihn einmal lesen?«

»Ich gebe ihn nicht in die Hand eines Fremden; Sie aber sollen ihn haben.«

Er zog ihn hervor. Der Beamte las das rührende Schreiben durch und fragte dann höflich:

»Es scheint, sie war Ihre Braut?«

»Meine Geliebte. Der Vater war dagegen.«

»Danke! Hier ist der Brief zurück. Er bietet leider keinerlei Anhalt.«

»Aber Paula muß sich also in Wien befunden haben.«

»Das ist fraglich.«

»Würde sie sonst hier auf der Liste stehen?«

»Diese Liste kann auch anderswo angefertigt worden sein.«

»Wie lange hält Salek sich hier auf?«

»Seit einem Vierteljahre.«

»Paula ist seit viel länger verschwunden.«

»Sehen Sie, daß diese Liste also noch kein Beweis dafür ist, daß dieses Mädchen sich hier befunden hat.«

»Kann man denn nicht erfahren, wer dieselbe angefertigt hat?«

»Jedenfalls Salek selbst. Es ist seine Hand. Und wenn ich die Schwärze der Tinte daraufhin betrachte, so scheint es mir, daß die Liste doch noch nicht alt sein kann. Unsereiner hat für so Etwas sehr scharfe Augen.«

»Ich bitte Sie dringend, den Menschen zu fragen, wozu diese Liste dient.«

»Natürlich werde ich ihn fragen, und diese Erkundigung wird zu den ersten gehören, die ich an ihn richte.«

Der Sepp war natürlich ebenso betroffen wie der Fex, den Namen der schönen Thalmüllerstochter hier verzeichnet zu finden. Er bemerkte einen Streifen Papier, welcher aus der Liste gefallen zu sein schien und nun auf dem Boden lag. Er hob denselben auf, betrachtete ihn und rief:

»Hier steht der Name noch einmal und auch noch Etwas dazu.«

Der Polizist griff nach dem Streifen. Dieser enthielt die Notiz:

»Bis Paula Kellermann hat Gärtner bezahlt. 24 Mädchen macht 480 Gulden.«

Auch der Fex überflog diese zwei Zeilen. Er fragte:

»Was wird das zu bedeuten haben?«

Der Beamte sann und sann und zuckte wortlos die Achsel.

»Vielleicht eine Dienstvermittelung?« meinte der Sepp.

»O nein. Zwanzig Gulden erhält kein Dienstvermittler ausgezahlt,« antwortete der Beamte. »Es handelt sich hier um etwas ganz Anderes.«

Da er bei diesen Worten ein sehr bedenkliches Gesicht zeigte, fragte der Fex erschrocken:

»Was meinen Sie? Was denken Sie?«

»Nichts, nichts. Ich werde mich erkundigen.«


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»Nein, nein! Sie haben einen ganz bestimmten Gedanken. Sie müssen mir sagen, was Sie denken.«

»Lieber Herr, man denkt zuweilen falsch!«

»Ich bitte Sie dennoch, aufrichtig mit mir zu sein.«

»Ich könnte Sie kränken.«

»Gewiß nicht! Was könnte ich Ihnen übel nehmen!«

»Mir allerdings nichts, denn ich kann nicht dafür!«

»Also reden Sie doch!«

Er bat so dringlich, daß der Andere doch meinte:

»Hm! Vielleicht ist es besser, ich sage Ihnen, was ich vermuthe. Wie alt war die Dame?«

»Noch nicht zwanzig.«

»Hübsch?«

»Sehr hübsch.«

»Und wirklich brav?«

»Die Bravste, die ich kenne.«

»So sollte es mir leid thun, wenn sie in schlechte Hände gerathen wäre.«

»Herrgott! In schlechte Hände! Was meinen Sie?«

»Seelenverkäufer.«

Dieses eine Wort reichte hin, den jungen Mann vor Schreck sprachlos zu machen. Aber der Sepp rief aus:

»Donnerwetter! Der sollt mir kommen!«

»O, der kommt Ihnen nicht!«

»Ein Menschenhändler? Den würde ich unter meinen Füßen zu Brei zertreten!«

»Erst ihn haben! Diese Menschen sind schlau.«

»Mein lieber Gott,« stöhnte der Fex. »Wenn diese Vermuthung wahr wäre!«

»Bitte, sich nicht aufzuregen! Ich habe noch keineswegs gesagt, daß ich es für eine Gewißheit halte. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß ich mich täusche. Ich als Polizist bin gewöhnt, die Verhältnisse mit kühler Objectivität zu betrachten. Diese Liste enthält keinen einzigen Fingerzeig; aber sie enthielt die Namen von über fünfzig Mädchen. Das giebt mir zu denken. Und der Zettel sagt, daß für jede Person zwanzig Gulden gezahlt worden sind. Das ist ungefähr der Preis, zu welchem gewisse Agenten sich dazu hergeben, zu gewissen Zwecken hübsche, junge Mädchen zu verschaffen.«

Auf der Stirn des Fex standen helle Schweißtropfen. Er schritt erregt im Zimmer auf und ab und rief dabei:

»Welch ein Unglück! Paula, meine Paula! Ich hole Dich! Ich suche Dich! Ich muß Dich haben!«

»Regen Sie sich doch nicht so unnöthig auf!« bat der Polizist. »Ich habe eine Vermuthung ausgesprochen, die sich hoffentlich nicht bestätigen wird. Ich werde Salek scharf vernehmen. Wir müssen unbedingt erfahren, wer dieser 'Gärtner' ist und wo wir denselben finden können.«


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»Thun Sie das; ja, thun Sie das, aber schnell, schnell!«

»Nur Geduld!« lächelte der Beamte. »Ueberstürzt darf hier nichts werden. Ich werde meine Pflicht thun, und zwar so schnell wie möglich. Mehr dürfen Sie nicht verlangen.«

»Sie müssen sofort mit dieser Liste in das Gefängniß, um Salek auszuforschen!«

»Und dadurch würde ich Alles verderben. Glauben Sie, daß es ihm einfallen kann, Etwas zu gestehen, was wir ihm nicht zu beweisen vermögen? Denn diese Liste ist kein Beweis. Er muß überrascht, überrumpelt werden, und das kann nicht in solcher Hast und Ueberstürzung geschehen. Damit mag diese Angelegenheit einstweilen abgethan sein.«

Dagegen war nun freilich nichts zu machen. Beide, der Sepp sowohl, als auch der Fex mußten sich in Geduld fügen; aber es kostete ihnen eine große Ueberwindung, ruhig zu erscheinen, während so ängstliche Befürchtungen in ihnen wohnten.

Der Beamte ließ einige Polizisten kommen, welche sämmtliche confiscirte Gegenstände zu transportiren hatten. Dann brach er auf, um die Tänzerin zu arretiren.

»Sie gehen doch mit?« fragte er den Alten.

»Versteht sich! Es soll mir eine Freude sein, dieses Frauenzimmer als Gefangene zu sehen.«

Der Fex aber lehnte ab. Er erklärte, daß er jetzt von gar nichts wissen und hören möge, da Paula sich in Gefahr befinde. Er sagte, daß er nach einiger Zeit bei dem Polizisten vorsprechen werde, und ließ die Beiden allein gehen.

Der einstige Krikelanton war heute erst sehr spät erwacht. Sein Kopf schien zehnmal schwerer als stets zu sein, und das Denken ging gar nicht sehr leicht von statten. Er erfuhr vom Wirthe, daß ein Nachtwächter den Hausschlüssel abgegeben habe, und besann sich nun erst darauf, daß ein solcher bei ihm gewesen sei und mit ihm gesprochen habe.

Vor allen Dingen wollte er erfahren, wie er sich in seiner Betrunkenheit benommen habe. Darum begab er sich nach der Wohnung seines Freundes Stubbenau, wo er erfuhr, daß derselbe nicht zu Hause sei. Darum ging er zu der Tänzerin. Wäre er nur wenige Minuten geblieben, so hätte er Zeuge von der Haussuchung sein können, welche bei Stubbenau alias Salek vorgenommen wurde.

Valeska litt auch noch an den Folgen der gestrigen Schwelgerei. Sie war noch matt, hatte einen sehr eingenommenen Kopf und sah gar nicht so reizend wie gewöhnlich aus. Dieses Letztere lag auch mit daran, daß sie heut noch nicht dazu gekommen war, ihre Schönheit durch die gewöhnlichen Toilettenkünste zu unterstützen.

Beide betrachteten sich einige Augenblicke und brachen dann in ein Gelächter aus.


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»Anton, Du siehst ja aus wie eine Leiche!« sagte sie. »Hat der Wein denn gar solche Macht über Dich?«

»Meinst Du, daß Du sehr frisch aussiehst?«

»Ich war auch länger bei der Sache.«

»Ja. Ich habe gar nicht bemerkt, wann Ihr fortgegangen seid. War Stubbenau bei Dir?«

»Nein. Er vermeidet es jetzt, mich zu besuchen. Er will Dich wohl nicht eifersüchtig machen.«

»Das ist lächerlich! Wie könnte ich eifersüchtig auf ihn sein? Er ist ja mein bester Freund.«

»Da hast Du sehr Recht. Keiner von allen Deinen Bekannten meint es so gut und treu mit Dir wie er.«

»Auch Du nicht?«

»Bin ich Dir nur eine Bekannte?«

»Nein. Du bist mir schon etwas mehr und wirst später noch mehr sein. Oder willst Du nicht?«

Sie nahm ihn anstatt der Antwort beim Kopfe und küßte ihn.

Bald erschien die Zofe und meldete, daß zwei Herren draußen seien, welche die Tänzerin Valeska zu sprechen wünschten.

»Wer sind sie denn?« fragte die Genannte.

»Sie haben mir ihre Namen nicht sagen wollen.«

»So schicke sie fort!«

»Das geht nicht, denn sie sagten, daß sie zur Behörde gehörten.«

»Das ist mir gleich. Wer zu mir will, hat sich ordnungsmäßig anzumelden. Sage ihnen, daß ich nicht für sie zu sprechen sei, weil ich Besuch bei mir habe.«

Das Mädchen war gezwungen, diese Botschaft auszurichten. Der Beamte fragte, wer dieser Besuch sei, und so nannte die Zofe den Namen des Sängers. Als der Sepp denselben hörte, sagte er, sofort in seinen bayrischen Dialect fallend:

»Da gehns nur nochmal hinein und sagens, daß dera Wurzelsepp es ist, der hinein will.«

»Meinen Sie denn, daß Sie da empfangen werden?«

»Ja. Ich bin ein Bekannter von Criquolini, und Ihre Herrin wird mich nicht fortweisen.«

Das Mädchen versuchte die Meldung zum zweiten Male.

»Bitte, bleiben Sie hier im Vorzimmer,« sagte der Alte. »Ich will diese Beiden erst einmal als Verlobte sehen.«

Die Zofe kehrte zurück und meldete, daß der Wurzelsepp eintreten könne. Der Beamte blieb zurück.

Der Krikelanton hatte keine Ahnung, daß sich sein einstiger guter Freund, mit dem er jetzt allerdings zerfallen war, in Wien befinde. Darum war er sehr überrascht, daß der Wurzelsepp mit der Tänzerin sprechen wolle.


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Er stand hoch und stolz inmitten des Zimmers und empfing den Alten mit einem keineswegs freundlichen Gesicht.

»Du hier?« fragte er. »Was willst Du in Wien?«

»Was soll ich da wollen? Anschauen will ich mirs.«

»Ja, Du hast Dich auch ganz als Tourist angekleidet. Der schmutzige Sepp ist gar nicht zu erkennen.«

»Kleider machen halt Leute; dera innerliche Schmutz aberst ist nicht wegzubringen.«

»Keine Anzüglichkeiten!«

»Ist mir auch keine eingefallen.«

»So? Was willst Du denn hier bei Fräulein Valeska?«

»Dich hab ich hier sucht.«

»Wer hat Dir denn gesagt, daß ich hier sei?«

»Ich hab hört, wannst nicht zu Haus seist, so kann man Dich hier treffen oder wenigstens derfragen.«

»Ach so! Und da lässest Du Dich als Einen von der Behörde anmelden?«

»Ich? Das fallt mir nicht ein. Das war halt dera Andere, welcher nach mir hereini will.«

»Er mag bleiben. Wir haben keine Zeit. Uebrigens hoffe ich, daß es etwas sehr Nothwendiges ist, was Dich zu mir führt. Nur so etwas kann es entschuldigen, daß Du diese Dame mit Deiner Gegenwart belästigest.«

»Nothwendig wirds schon sein,« nickte der Alte.

»Nun, was ist es denn?«

»Ein Gruß von dera Muhrenleni.«

»Und das soll nothwendig sein! Da packe Dich nur augenblicklich wieder fort!«

»Das werd ich schon gern thun, wannst mir vorher eine Antworten mitgeben willst.«

Der alte Sepp sprach in ruhigem, ja freundlichem Tone. Anton aber stand da wie ein Fürst, welcher Audienz ertheilt. Die Tänzerin machte ein höchst indignirtes Gesicht. Der Katzenjammer, welcher die Folge des vorigen Abends war, nahm ihr die Laune und die Lust, sich mit einem solchen Störenfried abzugeben.

»Einer Antwort bedarf es nicht,« erklärte der Sänger. »Du hättest den Gruß unterlassen sollen. Mich geht diese Leni gar nichts mehr an. Sie ist eine Gefallene, mit der ich nichts zu thun haben mag.«

»Eine Gefallene? Was meinst damit?«

»Das brauche ich Dir wohl nicht erst zu erklären.«

»Freilich mußts derklären. Ich weiß halt doch kein Wort davon, daß sie gefallen ist.«

»Sie treibt sich mit andern liederlichen Frauenzimmern im Augarten herum.«

»Ach so! Das also nennst gefallen, das! Wannst nur Du Dich nicht


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noch viel schlimmer herumtreibst! Grad Du brauchst über dieselbe die Nase nicht zu rümpfen.«

»Schweig!« fuhr Anton ihn an. »Denkst Du, ich kenne Deine Absicht nicht?«

»Du kennst sie? Was hab ich denn für eine?«

»Du bist wohl nur deshalb nach Wien gekommen, um den Kuppler für die Leni zu machen. Sie hat mich im Augarten gesehen: sie weiß also, daß ich hier bin. Da machst Du nun ihren Spion und hast mich ausgekundschaftet, damit Du mich wieder für sie angeln kannst. So ist es!«

Er hatte das in einer ungemein höhnischen Weise gesagt. Der Alte antwortete gar nicht; er machte ein sehr betrübtes Gesicht, als ob er bei irgend einer unrechten That ertappt worden sei. Darum fuhr Anton fort:

»Man sieht es Dir deutlich an, wie Recht ich habe. Du machst ein Gesicht wie ein Spitzbube, welcher auf frischer That ertappt worden ist. Aber bei mir hast Du Dich verrechnet. Ich habe es Dir und Deiner schönen Leni sofort gesagt, daß sie zu Grunde gehen wird; aber anstatt in sich zu gehen und mir für die Warnung dankbar zu sein, ist sie ihre eigenen, schlimmen Wege gegangen. Jetzt nun ist sie so tief gesunken, daß sie niemals wieder emporkommen kann. Und nicht nur leichtsinnig ist sie, sondern sogar schlecht, und Du bist ebenso schlecht wie sie, ja noch viel, viel schlechter. Du bist ihr eigentlicher Verführer. Anstatt meine Warnungen zu unterstützen und mir Recht zu geben, hast Du sie in ihrem Leichtsinne bestärkt. Und daß Du mich nicht nur in meiner Wohnung, sondern sogar hier bei meiner Braut aufsuchst, das ist gradezu eine Niederträchtigkeit, die ihres Gleichen gar nicht findet.«

Sepp machte noch immer eine zerknirschte Miene. Er fragte mit gesunkener Stimme:

»Eine Niederträchtigkeiten? Nein, so schlimm bin ich doch nicht. Du darfst mich nicht gar so schlecht machen.«

»O ja, eine Niederträchtigkeit ist es. Du hast erfahren, daß ich eine Braut habe und bist nun in der Absicht hierher gekommen, mich vor ihr zu blamiren. Du hast gemeint, sie weiß es noch nicht, daß ich schon eine Geliebte gehabt habe. Darum bringst Du mir einen Gruß von Deiner hübschen Leni, damit Valeska eifersüchtig werden und mir den Abschied geben soll.«

»Nein, das hab ich wirklich nicht beabsichtigt!«

»Jedenfalls!«

»Wirklich nicht. Anton, ich will Dir aufrichtig sagen, wie sehr ich mich freu, daßt so eine Braut funden hast. Ihr paßt mit nander so gut zusammen, daß es eine Sünd und eine Schand sein thät, Euch uneins zu machen. Was aber sagt denn dera Herr von Stubbenau dazu?«

»Der?« fragte Anton. »Was hat der mit dieser Angelegenheit zu schaffen?«

»Sehr viel.«

»Unsinn!«

»O, weit mehr, alst denkst. Er ist doch ihr Geliebter.«

»Schweig!« donnerte der Sänger. »Wenn Du meine Braut beleidigen


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willst, so werfe ich Dich hinaus. Da Deine Schlechtigkeit bei ihr nicht verfängt, willst Du nun mich gegen sie eifersüchtig machen. Aber das soll Dir nicht gelingen.«

Da trat der Sepp auf ihn zu, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte nun endlich in einem ganz anderen Tone:

»Anton, dera Wurzelsepp wird hier nicht hinausgeworfen. Ich kenne den Stubbenau und Deine schöne Braut viel besser als Du. Es kann mir gar nimmer einfallen, Euch von nander zu bringen, denn Ihr seid einander werth, und die Leni ist ganz glücklich, daß sie nix mehr von Dir zu wissen braucht. Ich bin in einer ganz anderen Absicht kommen, als Du denkst. Wannsts wissen thätst, so gingst sofort hier weg und schautst die Valeska gar nie wieder an.«

Da fuhr die Tänzerin vom Sopha empor und rief im zornigen Tone:

»Anton, soll ich solche Beleidigungen hier in meiner eigenen Wohnung anhören? Ich hoffe, daß Du mich schützen wirst!«

Auch der Sänger war jetzt wirklich zornig geworden. Er wollte dem Alten kräftig entgegentreten, besann sich aber eines Andern. Er legte seinen Arm um die Tänzerin und erklärte im verächtlichsten Tone, der ihm möglich war:

»Es kann mir, der ich ein berühmter Künstler bin, gar nicht einfallen, mich wegen einer Courtisane mit einem Wurzelsucher zu zanken, der ihren Zubringer macht. Meine Antwort die ich ihm ertheile, ist sehr einfach folgende:«

Er zog Valeska noch näher an sich, trat mit ihr auf den alten Sepp zu und erklärte in gehobenem Tone:

»Ich wiederhole Dir: Das ist meine Braut, von der mich kein Mensch abbringen kann, Du aber am allerwenigsten. Sage das Deiner schönen Leni! Sie soll alle Hoffnung auf mich fahren lassen. Es wäre gradezu eine Schande für mich, wenn ich noch an sie denken wollte. Und nun ists gut. Wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, werde ich den Beistand der Polizei zu Hilfe nehmen!«

»So!« meinte der Sepp. »Also sie ist wirklich Deine Braut?«

»Ja.«

»Und Du lässest nicht von ihr?«

»Auf keinen Fall. Wir gehören einander für das ganze Leben an. Jetzt mach Dich von dannen!«

»Wart nur noch einen kleinen Augenblick. Ich habe Dich so lange und so gut kannt, daß ich wohl so höflich sein muß, Dir zu der Verlobung und zu dieser Braut Glück zu wünschen. Es ist nicht meine Absicht gewest, Euch zu trennen. Die Leni weiß es gar nicht, daß ich hier bin. Wegen ihr bin ich auch nicht kommen, sondern wegen einer ganz andern Sache, die auch Dich sehr interessiren wird. Was die Leni betrifft, so irrst Du Dich außerordentlich in ihr. Sie ist nicht gefallen, sondern brav geblieben, braver als Du. Sie treibt sich nicht im Augarten herum. Daß sie mal dahin spazieren gangen ist, das wird ihr wohl derlaubt sein. Dich wird sie am Allerwenigsten fragen,


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was sie zu thun und zu lassen hat. Dir hat sie damals die Maulschellen geben, und ich denk, das ist deutlich genug gewest, daß sie nix, aber auch gar nix von Dir wissen will. Du könntst vor ihr auf denen Knieen liegen und sie um Liebe und Gnade bitten, sie würde Dich doch nur auslachen. Wer und was sie ist, was für eine große, berühmte und gefeierte Künstlerin, das wirst schon noch merken, wannst so dumm gewest bist, es noch nicht zu merken. Jetzt sind wir fertig, Du mit mir und ich mit Dir. Von einem Menschen, der sich ein solches Geldl verdient wie Du und dennoch seine armen Elternleut hungern läßt, von so einem mag ich nix wissen. Die Leni hat sie ernährt und wird auch fernerhin für sie sorgen. Du bist ein Lump worden, und es ist gar nicht zu verwundern, daßt Dir eine Braut anschafft hast, die auch nix Besseres ist als Du!«

»Anton, wirf ihn hinaus!« rief die Tänzerin.

Der Sänger ballte die Fäuste und trat drohend auf den Sepp zu. Dieser aber sagte lachend:

»Rühr mich doch mal an! Vor Dir fürcht ich mich noch lange nicht. Das weißt ganz genau. Meine Knochen und Nerven sind besser als die Deinigen, die Du Dir durch das liederliche Leben verdorben hast.«

»Ah, mir das, mir!« zischte Anton. »Wenn ich will, so schlage ich Dich zu Brei. Aber ich will meine Hände gar nicht mit Dir verunreinigen. Wenn Du nicht augenblicklich gehst, so schicke ich nach Polizei!«

»Schick doch nach ihr!« antwortete Sepp.

Da eilte Anton nach der Vorzimmerthür, öffnete dieselbe und rief der sich draußen befindlichen Zofe zu:

»Eilen Sie, einen Schutzwachmann zu holen! Er soll hier diesen Menschen arretiren!«

Der Beamte befand sich noch draußen. Er trat sofort herein, zog die Thür hinter sich zu und sagte:

»Da kann ich dienen. Ich bin Polizist.«

»Sie?« fragte der Sänger. »Das ist ein sehr günstiger Zufall. Was führt Sie herbei?«

»Eine kleine Angelegenheit, welche ich mit Fräulein Valeska zu ordnen habe. Das kann aber noch warten, da Sie vorher um meinen Schutz gebeten haben.«

»Ja, ich ersuche Sie, diesen alten Mann sofort zu arretiren.«

»Warum?«

»Er hat uns beleidigt.«

»Wodurch?«

»Er nannte mich einen Lump und sagte, daß Fräulein Valeska auch nichts Anderes sei. Ich bin der Sänger Criquolini - wenn Sie mich noch nicht kennen.«

Der Polizist ließ ein vertrauliches Lächeln sehen und antwortete:

»Was diesen alten, braven Herrn betrifft, so wird es sich gleich auf-


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klären, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht. Wer Sie sind, das weiß ich. Auch Sie werden mich wohl kennen.«

»Habe nicht das Vergnügen.«

»Nicht? Besinnen Sie sich! Wir haben uns doch bereits mit einander unterhalten.«

»Wann denn?«

»In letzter Nacht.«

»Sie scherzen!«

»O nein. Ich war in Ihrer Wohnung, um Ihnen zu sagen, daß dieselbe nicht verschlossen sei.«

»Das war ja ein Nachtwächter!«

»Ich war es, allerdings als Nachtwächter verkleidet. Sie hatten sich, wie es scheint, ein kleines Räuschchen angetrunken?«

»Möglich!«

»Hatten Sie Gesellschaft bei sich gehabt?«

»Ja.«

»Wen?«

Dem Sänger kam es sonderbar vor, so ausgefragt zu werden. Er nahm sofort einen zurückhaltenden Ton an und erkundigte sich:

»Warum wollen Sie das wissen?«

»Weil ich ein Interesse daran habe.«

»Ein persönliches?«

»Nein, sondern ein amtliches. Ich muß wissen, wer bei Ihnen sich befunden hat.«

»Sie müssen? Donnerwetter! Und wenn ich mich nun weigere, Ihre Fragen zu beantworten?«

»So zwingen Sie mich, Sie zu arretiren. In der Zelle werden Sie sich dann eines Besseren besinnen.«

Anton fuhr mehr zornig als erschrocken zurück.

»Herr, Sie sprechen mit einem Künstler!« rief er aus.

»Das weiß ich; aber auch die Herren Künstler stehen unter dem Gesetze. Ich muß Sie allen Ernstes ersuchen, mir zu antworten.«

»Alle Teufel! Beweisen Sie mir erst, daß Sie in Wirklichkeit ein Polizeibeamter sind!«

»Sehr gern. Hier haben Sie den Beweis. Und außerdem ist auch dieser Herr im Stande, mich zu legitimiren.«

Er deutete bei diesen Worten auf den Sepp und zeigte zu gleicher Zeit die Polizeimedaille vor.

»Es stimmt,« sagte Anton. »Aber warum fragen Sie mich aus? Ist Etwas passirt?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Davon später! Also jetzt hoffe ich, daß Sie sich nicht länger weigern werden, mir zu antworten. Wer waren gestern Abend Ihre Gäste?«


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»Herr von Stubbenau und - -«

»Anton!« rief die Tänzerin, ihn unterbrechend.

Es ging eine Ahnung in ihr auf, daß die Anwesenheit des Polizisten zu dem verübten Einbruche in Beziehung stehe. Sie sank auf das Sopha und war blässer geworden als vorher.

»Was willst Du?« fragte er.

»Ist nicht Herr von Stubbenau ganz allein bei Dir gewesen? Besinne Dich doch!«

Er blickte sie verwundert an. Der Polizist wendete sich zu ihr und sagte warnend:

»Bitte, zu schweigen! Sie haben nur dann zu reden, wenn ich Sie frage. Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, mögen Sie die Folgen tragen.«

»Aber was giebt es denn?« rief Anton jetzt bestürzt. »Was ist denn geschehen?«

»Wer außer dem Herrn von Stubbenau bei Ihnen war, will ich endlich wissen.«

»Hier Fräulein Valeska.«

»In welcher Toilette befand sich die Dame?«

»In - - -«

»Anton!« schrie sie auf.

»Schweigen Sie! Ich warne Sie zum letzten Male!« gebot ihr der Beamte. »Also, Signor Criquolini, welche Toilette hat sie getragen?«

Valeska verhüllte mit beiden Händen ihr Gesicht.

»Pah!« lachte Anton gezwungen. »Weshalb sollte es partout verschwiegen werden. Sie ist meine Braut und darf als Tänzerin sich so eine kleine Extravaganz gar wohl erlauben. Künstler sind eben, wenn sie sich in vertraulichem Kreise befinden, zu Scherzen sehr geneigt.«

»Also?«

»Sie trug Herrenkleidung.«

»In welcher Absicht?«

»Aus Scherz natürlich! Das sehen Sie doch wohl ein. Wir leben ja am Schlusse des Carnevals.«

»Hm! Vielleicht war ein ganz anderer Zweck damit verbunden. Sind Ihre Gäste gegangen, bevor Sie sich zur Ruhe legten?«

»Nein. Ich war müde und mag wohl etwas zu schnell und zu viel getrunken haben. Ich ging schlafen, während sie noch sitzen blieben.«

»War das nicht unvorsichtig von Ihnen?«

»Keineswegs. Diese Dame ist meine Braut, und Herr von Stubbenau gehört zu meinen besten, intimsten Freunden. Ihnen Beiden kann ich mein Logis unbedingt anvertrauen. Keins von ihnen wird mich bestehlen.«

Er sagte die letzteren Worte in einem sarkastischen Tone, wohl um dem Beamten einen indirecten Verweis zu ertheilen. Dieser aber that, als ob er dies gar nicht bemerke, und fuhr fort:


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»Auf Sie war es auch gar nicht abgesehen.«

»So? Etwa auf einen Andern?«

»Ja.«

»Alle Teufel! Wie meinen Sie das?«

»Es ist in vergangener Nacht ein höchst frecher und raffinirter Diebstahl ausgeführt worden - -«

»Wo denn, wo?« unterbrach ihn der Sänger.

»Von Ihrer Wohnung aus. Es ist in dem der Frau Salzmann gehörigen Hause eingebrochen worden. Man hat einem im Parterre, in Ihren früheren Zimmern wohnenden Herrn wichtige Papiere und eine bedeutende Summe Geldes gestohlen. Sodann haben sich die Einbrecher nach der ersten Etage geschlichen und dort sämmtliche Juwelen der Sängerin Fräulein Ubertinka geraubt.«

Anton öffnete den Mund weit und machte ein sehr dummes Gesicht.

»Dem Herrn in meiner früheren Wohnung?« fragte er. »Das wäre ja der Fex!«

»So wurde der Herr früher genannt.«

»Und der Ubertinka die Juwelen! Alle Teufel!«

»So ist es. Und der Einbruch ist von Ihrer jetzigen Wohnung aus unternommen worden.«

»Wieso denn?«

»Man hat Sie betrunken gemacht. Dann, als sie besinnungslos im Bette lagen, haben die beiden Personen sich in Ihren Hof begeben, um über die Mauer desselben in den Hof der Frau Salzmann zu gelangen. Dort sind sie durch das Parterrefenster eingestiegen. Auf ganz demselben Wege haben sie dann den Ort wieder verlassen.«

Anton blickte den Polizisten, den Sepp und die Tänzerin nach einander an. Er fragte:

»Und das soll wirklich wahr sein?«

»Natürlich ists wahr.«

»Aber da müßten doch wohl meine Gäste Etwas gemerkt haben. Oder seid Ihr da schon fort gewesen?«

Diese Frage war an Valeska gerichtet. Sie saß zusammengekauert auf dem Sopha. Es war ihr himmelangst. Sollte man sie im Verdacht haben? Antons Frage gab ihr Veranlassung, einen Ausweg zu finden. Sie antwortete:

»Wir haben nichts bemerkt, gar nichts. Wir sind, nachdem Du Dich niedergelegt hattest, sofort gegangen.«

»Sollten Sie sich da nicht irren?« lächelte der Polizist.

»Nein. Herr von Stubbenau wird es mir bezeugen. Wenn wirklich ein solcher Einbruch geschehen ist, so muß er erst nach unserer Entfernung unternommen worden sein.«

»O nein. Sie waren noch da.«

»Gewiß nicht!«

»Sie waren sogar dabei!«


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»Herr! Ich - - -?« schrie sie auf.

»Ja. Wollen Sie leugnen?«

»Ich begreife Sie nicht. Höre ich denn nicht recht?«

»Sie hören sehr gut. Besinnen Sie sich doch einmal! Sie sind doch mit Herrn von Stubbenau nach Hause gegangen?«

»Allerdings. Ich nahm seine Begleitung an, weil es so spät geworden war.«

»Sie begegneten an der Ecke der Circusgasse zwei Herren?«

»Ja.«

»Sie wurden von einem derselben angesprochen?«

»Nein.«

»Sie widersprechen sich. Erst gestehen Sie, und dann leugnen Sie. Kannten Sie diese Herren?«

»Nein.«

»Aber Herr von Stubbenau kannte sie?«

»Das weiß ich nicht.«

»Er wurde sogar bei seinem Namen angesprochen. Warum hörte er nicht darauf?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ach so! Was hatte er denn in der Hand?«

»Nichts.«

»Keine Schatulle, kein Köfferchen?«

»Nein, gar nichts.«

»Sonderbar, höchst sonderbar!«

Da ermannte sie sich. Sie stand von dem Sopha auf, gab sich eine strenge Miene und fragte im Tone tiefster Entrüstung:

»Herr, was wollen Sie eigentlich mit diesen Fragen? Daß ein Einbruch geschehen ist, geht doch mich nichts an. Das ist Ihre Sache!«

»Allerdings! Und eben weil es meine Sache ist, komme ich zu Ihnen.«

Da trat Anton hart an ihn heran und sagte:

»Hören Sie, Sie beleidigen meine Braut. Sie behandeln sie ja grad so, als ob sie sich an dem Verbrechen betheiligt hätte!«

»Schweigen Sie, Herr Criquolini! Ich muß wissen, was ich zu thun habe. Ihre sogenannte Braut ist eine notorische Einbrecherin!«

»Wa - wa - was - -«

»Ja, eine ganz gefährliche Einbrecherin, welche in Verbindung mit dem Baron von Stubbenau dieses Geschäft bereits seit langer Zeit getrieben hat.«

»Sind - sind - sind Sie - -?«

Er sprach nicht weiter. Er zitterte am ganzen Körper und stützte sich auf eine Stuhllehne.

»Hörsts nun, Anton, wast für eine Braut hast?« fragte der Sepp.

»Va - les - ka, ists - ists wahr?« stammelte der Sänger, sie angstvoll anblickend.

»Nein, nein!« antwortete sie.

»Sag die Wahrheit!«


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»Ich sage Dir, daß ich nichts, gar nichts weiß!«

Da raffte er sich zusammen und sagte, die Augenbrauen finster zusammenziehend:

»So werde ich auch nicht dulden, daß man Dich beleidigt. Die beiden Herren werden sofort gehen, sonst requirire ich Hilfe!«

»O bitte,« lachte der Polizist, »die Hilfe bin ich selbst. Sie scheinen Ihre Braut nicht zu kennen, ebenso wenig Ihren guten Freund von Stubbenau.«

»Ich kenne Beide!«

»O nein. Stubbenau trägt einen falschen Namen. Er heißt Salek und ist ein Gauner und Hochstapler ersten Ranges. Dieses Mädchen hier ist seine Verbündete, seine Geliebte. Sie hat ihm bereits mehrere außereheliche Kinder geboren und hätte Sie geheirathet, um Ihnen dann mit Ihrem Gelde durchzugehen und es ihm zu bringen.«

Das hatte Valeska nicht erwartet. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

»Valeska!« rief Anton. »Was sagst Du dazu? Ist es wahr, oder ist es unwahr?«

»Lüge ists, eine Lüge!« zeterte sie.

Da erklärte ihr der Beamte:

»Ich könnte strenger mit Ihnen verfahren. Ich habe es nicht nöthig, mich von Ihnen einen Lügner schimpfen zu lassen. Aber Sie sind ein Mädchen, und da will ich nicht zu der mir gebotenen Strenge greifen. Ich will Ihnen nur mittheilen, daß Stubbenau arretirt ist.«

»Herrgott!« fuhr sie auf.

»Wir haben den Schmuck, überhaupt den ganzen Raub bei ihm gefunden.«

Sie starrte ihn wie geistesabwesend an.

»Seine Schuld ist erwiesen und die Ihrige auch.«

»Das ist Täuschung, Täuschung!« jammerte sie.

»O nein. Dieser Stubbenau oder vielmehr Salek hat ja förmlich Buch geführt über Ihre gemeinschaftlichen Einbrüche. Er hat ganz genau verzeichnet, was auf Ihren Antheil gekommen ist.«

»Ich weiß nichts davon, gar nichts.«

»Sie haben ihm Karten und Briefe geschrieben, die er sich unvorsichtiger Weise aufgehoben hat. Diese Scripturen enthalten Bestellungen, Auskünfte, Anfragen und dergleichen, welche sich auf lauter Einbrüche beziehen. Sie können ja gar nicht leugnen!«

»Ich weiß von nichts. Wenn er solche Karten und Briefe besitzt, so sind sie gefälscht!«

»Die Untersuchung wird beweisen, daß Sie lügen. Kleiden Sie sich an!«

»Wozu?«

»Sie werden mir folgen.«

»Mein Himmel! Wohin?«

»Nach dem Gefängnisse, welches Sie leicht nicht so bald verlassen werden. Ich weissage Ihnen zwanzig Jahre schweren Kerker, wenn Sie fortfahren, so


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hartnäckig zu leugnen. Ein offenes Geständniß aber würde die Richter veranlassen, diese Strafe bedeutend zu mildern.«

»Ich kann nichts gestehen!«

»Gut! Ganz wie Sie wollen! Oeffnen Sie mir zunächst einmal alle Ihre Behältnisse!«

»Was? Wollen Sie etwa bei mir aussuchen?«

»Natürlich! Ich bin überzeugt, daß ich da ein ganzes Nest geraubter Gegenstände ausnehmen werde.«

Da brach sie zusammen. Sie weinte nicht. Sie ließ keinen Laut hören, aber sie war unfähig, ferner noch Widerstand zu leisten.

Anton war auf einen Stuhl gesunken. Er stemmte die Ellbogen auf die Kniee und legte den Kopf in die Hände. Niemand konnte sehen, was in ihm vorging.

»Nun,« fragte der Beamte die Tänzerin. »Wollen Sie immer noch leugnen?«

Da erhob sie den Kopf. Ihre Augen waren während dieser wenigen Secunden tief in die Höhlen zurückgetreten. Ihr Gesicht hatte die Farbe weiß-grauen Löschpapiers, und ihre Stimme klang heiser, als sie antwortete:

»Sie werden doch Alles finden. Ich werde nicht länger leugnen. Aber gehen Sie mit mir in die andere Stube. Dieser Herr soll nicht hören, was ich zu sagen habe.«

Sie meinte Anton.

»Also wirklich, wirklich ist es wahr?« fuhr dieser von seinem Stuhle auf.

»Ja,« antwortete sie. »Es ist aus mit mir; das weiß ich nun. Darum sollst Du erfahren, daß ich Dich gar nicht lieben mochte und lieben konnte.«

»Valeska!«

»Dein Geld wollte ich haben, weiter nichts.«

»Mir das, mir das!« rief er.

Da glühten ihre Augen auf; es trat ein Zug unheimlichen Hohnes auf ihr Gesicht. Sie sagte ihm:

»Warum grad Dir das nicht? Du bist ein eingebildeter, rücksichtsloser Mensch, ein dummer Laffe, der gar nichts Anderes verdiente. Grad Dich hätte ich mit dem größten Vergnügen betrogen. Leider ist es mir nicht gelungen. - Kommen Sie!«

Sie trat mit dem Beamten in die Nebenstube.

»Nun, heirathst sie noch?« fragte der Sepp.

Anton holte mit der Faust aus, als ob er schlagen wolle, ließ sie aber wieder sinken.

»Hund!« rief er grimmig. »Du, Du bist an Allem schuld! Du ganz allein!«

»Laß Dir nix weiß machen. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Das Deinige ist nix werth!«

»Sei still, Du Lump! Ich werde Dir und Deiner Leni beweisen, was


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für ein Glück ich mir verschaffen kann. Während mein Stern am Himmel der Kunst leuchtet, wird sie längst verkommen und verdorben sein - - und Du mit ihr!«

Er eilte fort. Der Alte aber blickte ihm ruhig und überlegen lächelnd nach.

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Elftes Kapitel.

In Miramare

  
Obgleich der Frühling noch längst nicht angebrochen war, lag das herrliche Triest in seiner immergrünen Umgebung wie eine weiß glänzende Perle zwischen schimmernden Smaragden.

Vom Süden her wehte eine milde Luft, und heller Sonnenschein drang selbst in die engen und sonst dunklen Gäßchen der ehemaligen Judenstadt, welche unweit des alten Kastells auf dem Schloßberge gelegen ist.

In einem dieser engen Gäßchen lagen zwei kleine, einstöckige Häuser neben einander, mit Fenstern, so klein, daß kaum ein Menschenkopf herausblicken konnte, und so niedrigen Thüren, daß selbst eine nicht zu lange Person sich bücken mußte, um ein- oder auszutreten.

In dem einen dieser Häuschen wohnte ein Grieche, deren es in Triest vierzehnhundert giebt. Der Bewohner des anderen war einer der fünftausend Juden, die in Triest ihre verschiedenartigen Geschäfte treiben. Der Grieche hieß Kolema und der Jude Baruch Abraham.

Alle Welt wußte, daß diese Beiden die besten Freunde waren. Sie handelten mit alten Sachen, doch munkelte man davon, daß sie außerdem noch heimliche Geschäftsbeziehungen unterhielten, in welche sie Niemanden blicken ließen. Leute, welche scharfe Augen und eine sichere Urtheilskraft besaßen, sagten, daß die beiden Freunde bedeutend reicher seien, als sie sich merken ließen.

Es gab sogar Personen, welche behaupteten, daß sowohl der Jude, als auch der Grieche mit bedeutenden hiesigen und ausländischen Firmen Verbindungen eingegangen seien, von welchen Niemand reden dürfe, die aber allem Anscheine nach ein bedeutendes Geld einbringen müßten. Ob das wirklich richtig sei, konnte nicht bewiesen werden.

Heute kamen zwei junge Männer die Gasse herauf. Sie blickten nach rechts und links wie Leute, welche hier fremd waren und die Stadt auch hier in dem unschönen, aber ethnographisch interessanten Viertel kennen lernen wollten.

Der Aeltere von ihnen mochte vierundzwanzig Jahre zählen; der Andere war um einige Jahre jünger. Beider Züge waren tief gebräunt. Sie kamen jedenfalls aus dem Süden. Die Gestalt des Ersteren war stark und kräftig. Seine Augen hatten den ruhigen, sicheren Blick eines Menschen, welcher weiß, was er will, und trotz seiner Jugend bereits viel zu seinem Vortheile erfahren hat.

Der Jüngere war schmächtiger. Seine blauen Augen hatten ein milderes


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Licht; er schien ein mehr anschmiegender als ein befehlender Character zu sein und machte den Eindruck eines Jünglings, welcher sich erst vor nicht sehr langer Zeit von einem körperlichen und vielleicht auch geistigen Leiden erholt hat.

Beide schienen dem Künstlerstande anzugehören, wenigstens ließ ihre Kleidung dies errathen. Sie trugen sich ganz gleich: blausammetne Schnurenröcke und sehr breitkrämpige Künstlerhüte.

Diese Beiden waren der einstige Lehrer von Hohenwald, Max Walther, und sein jüngerer Freund Johannes Weise, welcher daheim der Elephantenhanns genannt worden war. Sie kehrten aus Egypten zurück, wo Beide auf Kosten König Ludwigs gewesen waren, hatten gestern das Schiff verlassen und beabsichtigten, für einige Tage in Triest und Umgebung herumzustreifen, und besonders sich das berühmte Schloß Miramare anzusehen, den Lieblingsaufenthalt des so unglücklich geendeten Kaisers Max von Mexiko.

Sie gingen schweigend neben einander her, die lebenden Bilder studirend, welche die schmutzige Gasse ihnen bot.

Da kamen sie an das Häuschen des Juden. In den kleinen, gewiß seit Jahren nicht geputzten Fenstern lagen allerlei getragene Gegenstände, wie sie sich in dem Lagerraume eines Althändlers anzuhäufen pflegen. Auch Bücher, Karten und alte Bilder waren zu sehen.

Der Elefantenhanns, von Max Walther natürlich bei seinem wirklichen Vornamen Johannes genannt, blieb stehen und betrachtete sich das alte Firmenschild, welches über der Hausthür angebracht war. Die Inschrift war kaum mehr zu lesen. Sie war italienisch und deutsch und lautete in letzterer Sprache: »K.k. privilegirtes Antiquariat und Gemälde-Verkauf von Baruch Abraham.«

»Ein Antiquariat mit Gemälde-Verkauf,« lachte Johannes. »Da wird nicht viel zu finden sein!«

»Da kannst Du Dich doch vielleicht irren,« antwortete Max. »Solchen alten Buden sieht man es gar nicht an, was sie zuweilen beherbergen.«

»Meinst Du? Wollen wir einmal hinein?«

»Ich bin dabei. Du als Maler interessirst Dich natürlich für Gemälde, während ich als sogenannter Dichter und zugleich angehender Gelehrter mich nach Büchern, Landkarten und dergleichen umsehen werde. Komm!«

Sie waren bemerkt worden. Welcher Althändler sieht auch Käufer vor seinem Laden stehen, ohne sie zum Eintritt aufzufordern. Baruch Abraham trat heraus.

Er war eine lange, hagere Gestalt mit einer Habichtsnase, deren Kante dem Rücken eines Messers glich. Sein Kaftan, den er trug, war uralt und vielfach zerrissen, und an den beiden Ohren hingen ihm lange, graue Korkzieherlocken herab.

Die Verbeugung, welche er machte, war so tief, als ob er ein paar Prinzen vor sich habe. Dabei musterte er sie mit scharfen Augen und zog dann ein sehr zufriedengestelltes Gesicht. Er schien zu glauben, daß mit so jungen Leuten wohl ein gutes Geschäft zu machen sein werde.


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Trotz ihrer jetzt so tief gebräunten Gesichtsfarbe sah er ihnen sogleich an, daß der Norden ihre Heimath sei, denn er redete sie nicht italienisch, sondern in deutscher Sprache an:

»Kommen Sie, meine Herrschaften! Treten Sie in mein Haus! Sie finden da Alles, was Ihr Herz nur begehren kann.«

»So?« lachte Max. »Wissen Sie denn ungefähr, was unser Herz begehrt?«

Er zeigte ein listiges Lächeln, zwinkerte mit den Augen und antwortete:

»Wie soll ich nicht errathen, was Ihre Seele zu begehren wünscht! Sehe ich es den hohen Herren doch an, daß sie sind große Künstler, welche besitzen genug Berühmtheit, um zu verstehen, welche Schätze sich befinden in dem Laden des alten Baruch Abraham.«

»Sie irren sich. Wir sind keine Berühmtheiten.«

»So befinden Sie sich auf dem graden Wege, es zu werden. Dem Genie sieht man es ja gleich am Gesicht an, ob es Talent besitzt oder nicht.«

Ueber diese so logische Ausdrucksweise mußte sogar der sonst so ernste Johannes lachen. Das vermehrte die gute Laune des Händlers um ein Bedeutendes. Leute, welche lustig sind, kaufen lieber als solche, die sich in schlechter Stimmung befinden. Er machte also auch gar nicht viele Umstände, sondern er faßte sie bei den Armen und schob sie in das Häuschen hinein.

Grad als sie sich in dem sehr engen und sehr dunklen Flur befanden, klopfte es an die Hinterthür.

»Was ist denn, wer klopft denn?« fragte er in einem strengen Tone, dessen Härte außerordentlich gegen seine bisherige Höflichkeit abstach.

»Wasser, bitte, Wasser!« antwortete eine sehr wohlklingende, milde Frauenstimme.

»Wasser, schon wieder Wasser,« sagte er halblaut für sich. »Werde es Ihnen sofort geben.«

Er eilte nach der Hinterthür, nahm dort Etwas, was die beiden Jünglinge wegen der Dunkelheit nicht deutlich erkennen konnten, von der Wand und riegelte die Thür auf.

Jetzt, da die Letztere geöffnet war, konnte man in einen kleinen, kahlen Hof blicken, welcher rings von nackten Mauern umgeben zu sein schien.

Draußen, hart vor der Thür, stand ein junges Mädchen. Sie trug nur ein einziges kurzes und schäbiges Röckchen, keine Schürze darüber. Außer demselben waren ein kurzes Mieder und ein schmutziges Hemd ihre einzigen Kleidungsstücke.

Aber trotz dieses ärmlichen Habites leuchtete die jugendliche Schönheit und Lieblichkeit aus allen ihren Formen hervor. Die kleinen Füßchen waren nackt, und das reiche, dunkle Haar hing in langen, dicken Zöpfen von dem schön gezeichneten Kopfe hernieder.

Jetzt sahen die beiden jungen Männer auch den Gegenstand deutlich,


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welchen der Jude in der Hand hatte. Es war eine starke, kurzgestielte und aus Riemen geflochtene Peitsche.

Er holte blitzschnell, ehe das Mädchen dies vermuthen konnte, aus und versetzte demselben einige so kräftige Hiebe über die halb entblößten vollen Schultern, daß die Getroffene mit einem lauten Weherufe zurückfuhr.

»Da ist Wasser!« schrie er zornig dazu. »Trinkt es und badet Euch darin! Wenn Ihr mehr haben wollt, braucht Ihr es nur zu sagen.«

Damit warf er die Thür zu, schob den Riegel vor und hing die Peitsche wieder an die Wand.

Das war so schnell geschehen, daß weder Max noch Johannes Zeit gefunden hatten, ihn an der Ausführung dieser Rohheit zu verhindern.

»Aber, Baruch Abraham, was thust Du da!« sagte der Erstere. »Wer wird ein so hübsches Mädchen schlagen!«

»Eben weil sie ist hübsch, muß sie werden geschlagen,« antwortete der Jude. »Sind doch die Hübschesten stets die Allerschlimmsten, was die hohen Herren wohl auch noch erfahren werden.«

»Was hat sie denn gethan?«

»Wasser hat sie verlangt!«

»Ist das denn etwas Schlimmes?«

»Ja. Wenn ich soll geben des Tages wohl fünfzig oder sechzig Mal Wasser, wie soll ich da Zeit finden zu arbeiten im Geschäft, wenn feine Leute kommen, sich anzusehen meine Sachen.«

»Kann das Mädchen denn sich nicht selbst das Wasser holen, welches sie braucht?«

»Nein. Das ist verboten.«

»Warum?«

»Warum? Weil ich es nicht darf dulden, wenn mein Geschäft nicht soll gehen ganz zu Grunde. Aber warum wollen wir reden von dem Mädchen, da wir doch haben besseres zu thun. Die Herren mögen eintreten.«

Er öffnete eine Seitenthür, welche in einen niederen Raum führte, der so vollgepfropft mit allerhand Sachen war, daß man kaum Platz zum Stehen fand. Durch die hintere Mauer des Gewölbes führte eine schmale Thür hinaus in den Hof.

Nun begann er, seine Herrlichkeiten vorzuzeigen. Max fand verschiedene Bücher, welche sein Interesse erregten, und stellte sich mehrere davon zur Seite, indem er immer weiter suchte. Johannes betrachtete sich die Bilder, welche an den Wänden hingen.

Da wurde die Eingangsthür geöffnet, und unter derselben erschien ein altes, häßliches Weib, jedenfalls die Frau des Juden.

»Ich gehe in die Stadt,« sagte sie. »Hast Du vielleicht Etwas zu besorgen, Baruch?«

»Ja, Sarahleben!« antwortete er. »Kannst mit zur Post gehen und nach Briefen fragen.«


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Die Alte hatte mit jener lauten Stimme gesprochen, welche Schwerhörigen eigenthümlich ist. Als ihr der Mann jetzt antwortete, hielt sie die Hand an das Ohr und fragte:

»Was hast Du gesagt?«

Da trat er näher und wiederholte:

»Du sollst fragen, ob Briefe angekommen sind!«

»Ach so! Briefe. An wen?«

»An mich. Fragst nach Herrn Gärtner mit dem Zeichen Nummer Hundert. Verstanden?«

»Ja. Die Briefe an Herrn Gärtner Nummer Hundert. Aber woher denn?«

»Aus Wien natürlich, von dem Herrn Baron von Stubbenau.«

»Ja, ich weiß es, von dem Herrn Baron von Stubbenau, er, dem ich vor vierzehn Tagen vierhundertachtzig Gulden eingezahlt habe. Giebt es sonst noch Etwas?«

»Nein. Mach daßte kommst fort!«

Er sagte das Letztere in beinahe zornigem Tone. Es schien ihm unlieb zu sein, daß die beiden Fremden Zeugen des Gesprächs geworden waren.

Diese zwei Genannten hatten natürlich Alles gehört, ohne aber etwas Auffälliges darin zu finden, daß der Jude sich unter einer anderen Adresse postlagernd Briefe schicken ließ. So Etwas kann ja bei einem jeden Geschäftsmann vorkommen.

Aber die kurze Verhandlung zwischen Mann und Frau hatte doch etwas so Eigenartiges, wohl gar Geheimnißvolles, daß die genannten Worte, nämlich der Name Gärtner und das Zeichen Nummer Hundert in dem Gedächtnisse der zwei jungen Männer haften blieben.

Die Alte ging, machte aber nach wenigen Augenblicken die Thür abermals auf und rief herein:

»Paß mit auf die Mädchens auf, damit sie nicht etwa machen Dummheiten!«

»Das werde ich schon thun!«

»Siehe besonders auf die Anita; die ist eine Italienerin; ihr ist nicht zu trauen.«

Da stampfte er zornig mit dem Fuße, fuhr auf sie zu und schrie sie erbost an:

»Willste endlich lassen das Geschwätz! Weißte nicht, daßte nicht sollst reden von solchen Sachen!«

Sie fuhr erschrocken zurück und warf die Thüre zu. Er konnte sich in seinem Zorn nicht enthalten, grimmig vor sich hin zu rufen:

»Kein Weib kann halten das Maul! Da ist die Eine grad so wie die Andere. Gott sei's geklagt.«

Nun wendete er sich dem jungen Maler zu:

»Schauen Sie sich nur die Bilder und Zeichnungen an. Ich habe ganze Mappen voll daliegen. Es sind auch alte Meister darunter, Raphael und Murillo.«


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»Oho!« lachte Johannes ungläubig.

»Ja, sie sind da!« bestand er auf seiner Behauptung. »Raphael, Murillo, Caravaggio, David, Kaulbach, Rembrandt und viele Andere.«

»Die möchte ich sehen!«

»Da hängen sie ja.«

Er deutete auf die alten Schmöker an der Wand.

»Diese? Die sollen von solchen Meistern sein?«

»Ja. Sie haben mich gekostet ein schweres Geld; aber ich kann ja nicht behalten alle diese Herrlichkeiten. Ich gönne auch andern Leuten eine solche Wonne und werde sie verkaufen so billig, wie ich vermag. Schauen Sie sie sich nur an!«

Johannes war überzeugt, daß der Alte log; aber er wußte, daß es vorgekommen war, daß der Inhaber einer solchen Rumpelkammer ganz ohne sein Wissen ein werthvolles Bild beherbergte. Und da er jetzt nichts zu thun hatte, nahm er sich vor, diese alten Farbeklexereien einer gründlichen Besichtigung zu unterwerfen.

Aber das war nicht leicht. Der Raum war so niedrig, und die ohnehin zu kleinen Fenster lagen so voller unnützer Gegenstände, daß das nöthige Licht nicht hereindringen konnte.

»Anschauen soll ich mir die Bilder,« meinte darum Johannes; »aber wie soll ich das ermöglichen? Es ist zu dunkel hier.«

»Zu dunkel? Es ist hell, sehr hell! Sehe doch ich Alles, der ich bin ein alter Mann. Sie aber sind ein junger Künstler, der scharfe Augen hat.«

»Wenn Sie mit Gemälden handeln, so müssen Sie doch wissen, daß zur Beurtheilung derselben Licht, viel Licht gehört. Man muß eine Malerei, um sie richtig taxiren zu können, unbedingt in das richtige Licht bringen.«

»Das ist ja hier!«

Er schien gewisse Gründe zu haben, seinen Laden für genügend hell zu halten. Dabei fiel sein Blick, wie die beiden Freunde bemerkten, mit einer gewissen Besorgniß zum Hoffenster hinaus. Der Jude begann, ihnen verdächtig zu werden.

Max gab Johannes ein heimliches Zeichen und deutete nach dem Hofe. Der Maler verstand ihn und behauptete in Folge dessen hartnäckig:

»Sie mögen sagen was Sie wollen, hier ist es zu finster. Wenn Sie wirklich Bilder so berühmter Meister haben, so muß Ihnen daran liegen, dieselben in die richtige Beleuchtung zu bringen. Hier in diesem Gewölbe kann ich nichts kaufen.«

Der Alte zog ein unmuthiges Gesicht, sann eine kleine Weile nach und fragte dann:

»Werden die Herren denn wirklich kaufen?«

»Ja. Wenn wir etwas Preiswerthes finden.«

»Und werden Sie können auch sogleich bezahlen?«

»Sofort!«


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»So möchte ich Ihnen geben das richtige Licht; aber wo soll ich es nehmen her?«

»Nun, Ihr Hof ist ja hell genug.«

»Mein Hof? Au wai! Wie soll ich lassen die Käufer hinausgehen in meinen Hof!«

»Warum denn nicht? Haben Sie etwa Heimlichkeiten draußen? Müssen Sie sich vor dem Gesetze fürchten?«

Da hob der Alte erschrocken die Hände empor und rief in betheuerndem Tone:

»Gott Abrahams! Was führt der Herr für Reden. Baruch Abraham ist ein ehrlicher Mann und ein Freund der Gesetze. Wie kann er handeln gegen dieselben?«

»Nun, so haben Sie sich auch nicht zu fürchten, wenn ich mir die Bilder draußen betrachte.«

»Zu fürchten habe ich mich gar nicht, aber zu - zu - zu schämen!«

Er brachte dieses letztere Wort erst nach einigem Nachsinnen heraus; es war ihm nicht gleich eine passende Ausrede eingefallen.

Die Freunde waren überzeugt, daß er gar zu gern ein Geschäft gemacht hätte; aber hinaus in den Hof sollte keiner von ihnen. Es mußte doch draußen Etwas geben, was das Tageslicht zu scheuen hatte.

»Zu schämen?« fragte Johannes. »Vor uns brauchen Sie sich nicht zu schämen.«

»O doch! Mein Haus ist alt, und ich bin mit meiner Sarah allein. Wir sind zu betagt und zu schwach um es zu halten in Reinlichkeit und Ordnung. Wenn ein vornehmer, fremder Herr kommt hinaus in den Hof, wird er nicht wollen bleiben in demselben.«

»O, so lange ich mir die Bilder betrachte, so lange wird es wohl auszuhalten sein. Also schaffen Sie Licht, oder wir gehen!«

Er kratzte sich hinter den Korkzieherlocken. Um ihm Muth zu machen, bemerkte Max:

»Wir wollen ja nicht alle Beide hinaus. Nur mein Freund braucht Licht zu den Gemälden. Ich kaufe mir Bücher; dazu ist es hier hell genug.«

Das schien zu wirken, denn der Alte sagte:

»Da die Herren wirklich kaufen wollen und auch gleich bezahlen werden, will ich es erlauben, daß die Bilder dürfen betrachtet werden im Hofe. Aber ich muß erst hinaus, um zu machen ein Wenig ordentliche Sauberkeit. Ich werde kommen schnell wieder zurück.«

Er schob den Riegel von der Thür zurück, welche aus dem Verkaufsgewölbe nach dem Hofe führte, trat hinaus und zog aber die Thür hinter sich wieder in das Schloß. Die Beiden hörten an seinen Schritten, daß er sich entfernte.

Im nächsten Augenblicke standen sie an dem Fenster, welches mit Spinnweben umzogen und voller Schmutz war, aber doch einen Durchblick gestattete.


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Der Hof war leer, vollständig leer. In der einen Ecke erhob sich ein Düngerhaufen. Es war nichts zu sehen als nur die Schatten einiger weiblicher Personen, welche von einer Seite nach der andern huschten.

»Vom Fenster zurück!« flüsterte Max. »Er darf uns nicht überraschen!«

Er trat zu seinen Büchern, in welche er sich scheinbar vertiefte, während Johannes sich ebenso angelegentlich mit den Bildern zu beschäftigen schien. Dabei fragte der Letztere leise:

»Was sagst Du dazu?«

»Der Kerl kommt mir verdächtig vor.«

»Mir auch. Was mag das für ein Mädchen gewesen sein?«

»Es waren mehrere draußen, und doch behauptete er, daß er mit seiner Sarah das Haus allein bewohne.«

»Er hat gelogen. Es giebt hier Etwas, was das Licht zu scheuen hat.«

»Und das bezieht sich auf diese Mädchens. Jetzt erst fällt es mir auf, daß er Briefe unter anderem Namen empfängt.«

»Unter dem Namen Gärtner und Nummer Hundert.«

»Das habe ich mir auch gemerkt. Wollen wir versuchen, in sein Geheimniß einzudringen?«

»Ja.«

»Auch ich habe große Lust dazu. Das Mädchen war so schön und hatte ein so trauriges Gesicht.«

»Wie aber fangen wir es an?«

»Sehr einfach. Du gehst mit den einzelnen Bildern in den Hof und thust, als ob Du sie genau betrachtest -«

»Er wird sich mit hinstellen!«

»Das schadet nichts. Ich werde ihn schon auch beschäftigen. Ich rufe ihn herein, um ihn nach den Büchern zu fragen. Indessen hältst Du heimliche aber genaue Umschau. Das Weitere wird sich schon selbst finden. Wenn die Mädchens hier wirklich ein Leiden zu tragen haben, werden sie es zu ermöglichen suchen, Dir einen Wink zu geben. Also paß genau auf.«

»Kaufen wir denn wirklich Etwas?«

»Einige Bücher werde ich behalten. Ob Du ein kleines Sümmchen für irgend ein Gemälde giebst, das wird davon abhängen, ob Deine Beobachtungen von Erfolg sind oder nicht. Durch des Königs Güte haben wir ja so viel Geld, daß wir uns auch einmal eine überflüssige Ausgabe gestatten können.«

»Gut! Giebt es für uns irgend einen Grund zum Wiederkommen, so werde ich kaufen.«

Das leise Gespräch konnte nicht fortgesetzt werden, denn die schlürfenden Schritte des Juden ließen sich vernehmen. Als er eintrat, fand er die Beiden in großer Entfernung von einander stehend und in ihre Bücher und Zeichnungen vertieft.

»So!« sagte er. »Jetzt kann sich der Herr die Bilder mit in den Hof nehmen, und ich werde ihm dabei behilflich sein.«


// 2303 //

Es wurden nun mehrere Bilder hinausgetragen und an die Mauer gelehnt. Johannes betrachtete eins nach dem andern und that so, als ob er hier gar nichts weiter im Auge habe. Dennoch aber hielt er heimliche Umschau.

Das Häuschen bestand nur nach der Straße zu aus dem Parterre. Auf der Hofseite war ein Stockwerk aufgesetzt worden, und da zog sich an demselben eine Art Söller hin, welcher von einer bretternen Brüstung geschützt wurde.

Die beiden Seiten des Hofes wurden von den Gebäuden der Nachbarhäuser begrenzt, während hinten sich eine hohe Mauer erhob, durch welche ein kleines Pförtchen führte.

Der Alte beobachtete schweigend, welchen Eindruck die Bilder auf den Maler machen würden. Dieser verhielt sich sehr schweigsam.

Da ertönte drin im Gewölbe Maxens Stimme. Der Jude trat hinein und Johannes befand sich nun allein im Hofe. Er schaute sich scharf um, konnte aber nichts Auffälliges bemerken. Nur ein leises, leises Geräusch vernahm er über sich. Es kam vom Söller her.

»Pst!« machte er leise. »Ist Jemand da?«

»Tu scampara mi!« antwortete es ebenso leise.

Diese italienischen Worte heißen zu Deutsch: Rette mich! Johannes war dieser Sprache nicht so weit mächtig, als nothwendig war, in solcher Lage ein heimliches Gespräch zu führen, bei welchem es auf das richtige Verständniß jedes einzelnen Wortes ankam. Darum fragte er:

»Redest Du auch Deutsch?«

»O ja. Ich dachte, Sie seien Italiener.«

»Ich bin ein Deutscher. Also retten soll ich Sie?«

»Ja, ja, ich bitte Sie um Gotteswillen!«

»Still! Der Jude kommt!«

Der Alte kehrte zurück und brachte wieder Bilder mit. Doch sorgte der schlaue Max dafür, daß er bald wieder in das Gewölbe zurück mußte. Johannes hatte sich so gestellt, daß er grad unter der Stelle stand, an welcher von oben herab gesprochen worden war. Er fragte:

»Sind Sie noch da?«

»Ja.«

»Wer sind Sie?«

»Eine Gefangene.«

»Ach, ich werde Sie befreien. Ich gehe zur Polizei.«

»Um Gotteswillen nicht. Das würde mir nichts helfen, sondern nur schaden.«

»Warum?«

»Er hat meinen Contract.«

»Was für einen Contract?«

»Ich habe mich ihm vermiethet, zu ehrlicher Arbeit. Er aber hat böse Absichten.«

»Sapperment! Das soll er bleiben lassen!«

»Ich kann ihm aber nichts beweisen. Darum dürfen Sie nicht


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zur Polizei. Es muß durch List geschehen. Wenn ich nur erst aus dem Hause wäre.«

Der Alte kehrte zurück, so daß das Gespräch abermals verstummen mußte. Dies geschah noch mehrere Male; aber Max hatte sich so oft nach dem Inhalte oder dem Preise der Bücher zu erkundigen, daß Johannes Zeit fand, sich wenigstens nothdürftig mit der Sprecherin zu verständigen. Er erkundigte sich:

»Sind Sie Diejenige, welche vorhin von dem Alten geschlagen wurde?«

»Ja.«

»Der Schuft!«

»Er thut das sehr oft. Er will uns durch Hunger und Durst nachgiebig machen.«

»Sind noch mehrere Mädchen da?«

»Ja, noch vier.«

»Und die wollen auch frei sein?«

»O, die fühlen keine Schande. Die wollen Alles thun, was er will. Mit ihnen ist er gut. Nur gegen mich ist er grausam. Sie wohnen auch beisammen, während ich allein eingesperrt werde. Ach, könnte ich fort!«

»Kommen Sie herab! Ich nehme Sie mit.«

»Sogleich?«

»Ja.«

»Das geht nicht. Er würde es nicht dulden.«

»Ich fürchte mich nicht vor ihm, und ich habe einen Freund mit, welcher noch viel muthiger ist als ich es bin.«

»Das ändert nichts. Er hat einen Contract, und ich kann ihm nichts beweisen. Er würde mich durch die Polizei ergreifen lassen.«

»Hm! Eine böse Sache! So müssen Sie also heimlich fort.«

»Anders geht es nicht.«

»Aber wie?«

»Nur des Nachts ist es möglich. Könnten Sie nicht hierher in den Hof kommen?«

»Gern, wenn es zu bewerkstelligen wäre. Aber ich weiß nicht, wie ich hereinkommen soll.«

»Ueber die Mauer dort. Es geht ein schmales Gäßchen vorbei.«

»Aber dieselbe ist so hoch, daß ich eine Leiter brauchen würde. Das könnte auffallen, hier inmitten der Stadt.«

»Könnten Sie nicht das Pförtchen öffnen?«

»Dazu gehört ein Schlüssel.«

»Oder es aufsprengen?«

»Das macht Lärm, selbst wenn wir das dazu gehörige Handwerkszeug hätten.«

»Dio mio! So giebt es keine Hilfe!«

»Verzweifeln Sie nicht! Ich werde nachdenken. Giebt es hier einen Hund?«


Ende der sechsundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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