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ALFRED SCHNEIDER

Karl May und seine Hamburger Freunde Carl und Lisbeth Felber


Im Jahr 1903 gab Karl May unter dem Eindruck der Angriffe und Beschuldigungen, er habe als junger Mensch »Schund geschrieben«, eine Neuauflage seiner Frühwerke heraus: »Erzgebirgische Dorfgeschichten. Karl Mays Erstlingswerke. Autorisierte Ausgabe Bd. I. Belletristischer Verlag Dresden-Niedersedlitz«. Darin stehen auch zwei Erzählungen, die May nicht in seiner schriftstellerischen Frühzeit, sondern erst 1903, eigens für diesen Band, geschrieben hat: »Sonnenscheinchen« und »Das Geldmännle«.

Im »Sonnenscheinchen« wird von den Schicksalen des einstigen Oberknechts und späteren Pächters des Gutshofes »Im Sonnenschein«, Fritz Felber, und seiner Familie erzählt. Hans Wollschläger nimmt an, daß sich darin bereits »allegorische Züge« zeigen. Ohne Zweifel hat Karl May aber in der Gestalt des Fritz Felber seinem Hamburger Freund (1) ein literarisches Denkmal gesetzt. Ein freundliches Geschick ließ mich die Bekanntschaft der noch lebenden Schwester Carl Felbers, Frau Elisabeth Larson, machen. Da sie eine der wenigen heute noch lebenden Zeuginnen ist, die Karl May persönlich gesehen und gesprochen haben, sind ihre durch viele Briefe, Karten und Fotos bestätigten Aussagen, wie Karl May im privaten Umgang auftrat, von hohem Wert. Wie genau Frau Larson, die bei Mays Besuch in Hamburg erst 12 Jahre alt war, sich zu erinnern weiß (sie ist noch heute begeisterte Leserin der Mayschen Spätwerke), konnte ich in vielen fesselnden Plauderstunden erleben. Frau Larson war schließlich so liebenswürdig, ihre Erinnerungen an Karl May auch schriftlich niederzulegen. Ich werde daraus in diesem Bericht mehrfach zitieren.

Die ersten »Grünen Bände«, von Fehsenfeld Anfang der 90er Jahre herausgebracht, hatten Frau Lisbeth Felber zu einer begeisterten


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Leserin und Verehrerin des Radebeuler Schriftstellers werden lassen. Sie nahm Mays Schilderungen für bare Münze und versuchte sogar, das Anschleichen auf Fuß- und Fingerspitzen zu erlernen, - zur verständlichen Erheiterung ihres Gatten, der, zwar gleichfalls May-Leser, jedoch davon überzeugt war, daß Mays Phantasie in seinen Büchern ein gewichtiges Wort mitrede. Er schätzte besonders die humane Grundtendenz der Reiseerzählungen. Zweifel an deren Wahrheitsgehalt, die besonders stark ein Freund des Hauses, Dr. R., immer wieder äußerte, veranlaßten Frau Felber schließlich, an ihr Idol zu schreiben. Man kann sich vorstellen, daß Mays Antwort vom 16. Dezember l894 ihre Begeisterung noch vertiefte:

Ja, ich habe das Altes und noch viel mehr erlebt. Ich trage noch heute die Narben von den Wunden, die ich erhalten habe. Ich unternehme meine Reisen ja ganz anders als diejenigen, welche auf den großen, breiten Straßen und Karawanenwegen bleiben, wo es keine Gefahr giebt, wo man aber auch nichts leisten kann und Land und Leute niemals richtig kennen lernt. Von den kleineren Beschwerden, Entbehrungen und Entsagungen, die man zu erdulden hat und die in ihrer Gesamtheit viel schwerer zu ertragen sind als einzelne schwerere Schicksalsschläge, kann man freilich in keinem Buche erzählen ...

Diesen Eindruck, daß seine Reiseerzählungen auf wirklichem Erleben beruhten, hatte May inzwischen in der Öffentlichkeit allgemein zu wecken verstanden, und wenige Wochen später bestärkte er ihn erneut anläßlich der Übersendung einer Photographie an Felbers. Im Begleitbrief schrieb er am 7. Januar 1895:

... Wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie unter der Kinnlade die Spur von dem Messerstiche, den ich von Winnetou erhielt ...(2)

Der Wunsch nach einem persönlichen Kennenlernen, immer wieder von beiden Seiten brieflich geäußert, wurde schließlich erfüllt. u1 897 teilte Karl May mit, daß er beabsichtige, mit seiner Frau zur Gartenbau-Ausstellung nach Hamburg zu kommen, und uns dann besuchen wolle. Wir sahen dem mit großer Spannung entgegen. Old Shatterhand bei uns zu haben, mußte herrlich sein. Am verabredeten Tage erschien er mit seiner Frau Emma. Es gab eine kleine Enttäuschung, denn wir hatten ihn uns größer, imponierender vorgestellt, aber er war nur mittelgroß und gab sich ganz schlicht und freundlich. Das Paar wurde respektvoll und sehr herzlich begrüßt. Mein Bruder lud es gleich für den nächsten Tag ein. Die zwei Wochen, welche Karl May in Hamburg zu


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brachte, war er meist bei uns. Mitunter saß er mit seiner Frau im Café (Carl Felbers, Hamburg, Steindamm), oder man traf sich im großen Café der Ausstellung, das mein Bruder dort gebaut hatte. Spaß machte es, zu beobachten, wie sich überall die Kellner darum rissen, Karl May zu bedienen, denn es hatte sich herumgesprochen, daß er stets, ohne wechseln zu lassen, ein Goldstück auf den Tisch legte. - Es waren sehr interessante, anregende Stunden, die wir mit ihm verlebten. Die Herren verstanden sich prächtig, und so bot Karl May meinem Bruder zuletzt das »Du« an. Meine Schwägerin brannte darauf, recht viel über die bekannten Personen seiner Erzählungen zu erfahren, was meinen Bruder belustigte. May ließ sich jedoch nicht ausfragen, sondern meinte nur, später werde sie mehr darüber lesen können.« (3)

Ich fragte Frau Larson, ob sie denn bei allen Zusammenkünften zwischen ihrem Bruder und Mays zugegen war. »Kamen Mays am Tage, durfte ich dabei sein, aber abends, wenn noch Bekannte zugegen waren, wurde ich ins Bett geschickt. Allerdings berichtete meine Schwägerin am nächsten Tage ganz ausführlich, über was gesprochen wurde und wie nett und interessant es war.«

Felbers waren sehr gastfreundlich, sowie durch ihr österreichisches Naturell fröhlich und unterhaltsam. Carl Felber sang zur Gitarre und Zither mit seinem angenehmen Bariton fröhliche Lieder, Couplets und Schnadahüpferln. Die dadurch entstehende allgemeine Fröhlichkeit mag wohl Veranlassung gewesen sein, daß May seinerseits die Gelegenheit wahrnahm, die Gesellschaft ein wenig zum Besten zu halten. »Unter unseren Bekannten war eine ansehnliche Witwe mittleren Alters, ein brünetter Typ mit schwarzen Haaren und Augen, der Karl Mays Blicke galten. Er flüsterte meiner Schwägerin zu, sie erinnere ihn an Winnetous schöne Schwester. Wie interessant! Lisbeth flüsterte es weiter, und aller Augen richteten sich auf die Dame. Erst später wurde sie aufgeklärt und lächelte.« (3)

Frau Larson wußte verschiedene kleinere Episoden anschaulich zu schildern. Frau Felber fielen Mays fein geformte Hände auf, die nur wenig größer als Frauenhände waren. »Herr Doktor, wie machen Sie es nur, mit Ihren feinen Händen ihre Gegner niederzuschmettern, daß sie besinnungslos am Boden liegen?« Karl May, sehr ernsthaft: »Ja, wissen Sie, gnädige Frau, es kommt dabei nicht so sehr auf die Größe der ge


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ballten Faust, als vielmehr auf die Stellung der Fingerknöchel an. Man muß dann nur die richtige Stelle treffen!« Er erzählte dann weiter, »daß er, wenn er Menschen kennenlerne, meist auf ihre Hände achte, aus deren Form und der Länge der Finger zueinander sei viel von ihrem Charakter zu erkennen. Er schaute nun auch auf Lisbeths Hände und sagte, bei ihr laufe »das Herz mit dem Verstand davon«. Bei meinem Bruder fand er Herz und Verstand sich gleich gut die Waage haltend.« (3)

Der bereits erwähnte, Mays Bücher in ihrem Wahrheitsgehalt besonders stark anzweifelnde Dr. R. sollte schließlich doch erfahren, daß May ein Mensch war, der über besondere Gaben verfügte. Das Gespräch kam auf die in Mays Erzählungen immer wieder geschilderten logischen Überlegungen, die scharfsinnigen Kombinationen, durch die Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi so oft die verborgenen Absichten seiner Feinde erriet. May: »Ich werde das Zimmer verlassen. Denken Sie sich etwas, Herr Dr. R., ich werde es zu erraten wissen.« Man besprach die Sache, und nach drei Fragen hatte May die Aufgabe gelöst. Nun wollte es der Zweifler Dr. R. gleichermaßen versuchen: »Das ist kein Kunststück, das kann ich auch!« Es gelang ihm jedoch nicht, weil, wie May lächelnd sagte, seine Fragen so falsch gestellt wurden, daß es unmöglich sei, durch sie das Richtige zu finden.

Es fiel Frau Felber auf, daß Mays Frau Emma, sonst eine ruhige, sich kaum an den Gesprächen beteiligende Zuhörerin, mitunter einige unfreundliche Bemerkungen gegen ihren Gatten äußerte. Das wurde der glühenden Verehrerin »des Herrn Doktor« schließlich zuviel, und sie benützte eine Gelegenheit unter vier Augen, um sie zwar sehr freundlich, aber doch entschieden zu fragen, warum sie eigentlich so unleidlich zu ihrem Mann sei: »Hören Sie, Frau May, ich verstehe Sie nicht. Sie haben einen so bedeutenden Mann, der von aller Welt verehrt wird, der so geduldig ist und nie ein unfreundliches Wort sagt. Ich begreife nicht, warum Sie so wenig Verständnis für ihn haben!« Zu ihrer Freude nahm sich Emma May dies zu Herzen, wurde umgänglicher und freundlicher, - ein Zug, der sie in einem guten Licht zeigt, wäre doch bei ihr, die nur zu genau wußte, wie in den Erzählungen des »Doktors« und »Weltläufers« Wahrheit und Dichtung verteilt lagen, auch eine andere Reaktion verständlich gewesen. Sie muß auch ihrerseits Felbers sehr geschätzt haben. Zur Jahreswende 1897/98 gab sie in einer Karte dem


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Wunsch Ausdruck, » ... ihre lieben Freunde einmal und zwar recht bald bei uns (in Radebeul) zu sehen. Das wäre eine wirkliche Herzensfreude für uns, das können Sie mir sicher glauben ...«

Zwischen Carl Felber und Karl May müssen jedoch auch Gespräche tieferen Inhalts geführt worden sein. Vor dem Bücherschrank stehend erläuterte May sein Wollen und seine schriftstellerischen Ziele und versuchte, seinen Freund zu überzeugen, daß er anderes geben wolle, als nur reine Abenteuerschilderungen. »Sie müssen bei meinen Geschichten zwischen Fleisch und Knochen unterscheiden. Die Knochen sind die Grundlage, die innere Wahrheit, das Fleisch das äußere Drumherum.«

Man unternahm gemeinsame Ausflüge, zeigte Mays Hamburg und auch »Hagenbecks Tierpark«, wo als »Völkerschau« eine Arabertruppe zu Gast war. Wieder war es Frau Lisbeth Felber, die darauf drängte: »Da müssen Sie hin, Herr Doktor, vielleicht treffen Sie dort Bekannte!« Karl May war nicht sehr erbaut, gab dem Drängen seiner begeisterten Gastgeberin jedoch schließlich nach. »Nun müssen Sie mit den Leuten sprechen, Herr Doktor, vielleicht sind sogar Leute darunter, die von Kara Ben Nemsi gehört haben!« Verständlicherweise war May zu einem Gespräch mit den Arabern nicht zu bewegen.

Der letzte gemeinsame Ausflug führte auf Wunsch Karl Mays nach Friedrichsruh im Sachsenwald. Er hoffte, dem von ihm und Carl Felber hochverehrten Altreichskanzler Bismarck begegnen zu können. Und wirklich hatten die Damen Gelegenheit, dem Fürsten bei seiner täglich erfolgenden Ausfahrt Blumen »mit Grüßen aus Dresden und Hamburg« in den Wagen zu legen. Das leidende Aussehen Bismarcks - er starb ein Jahr darauf - hatte May und Felber in Bestürzung versetzt. Frau Larson erinnert sich sehr genau, wie sie eine ganze Weile in ernstem Gespräch auf und abgingen.

Am nächsten, dem Abreisetag, nahm man herzlich Abschied voneinander, dabei die Hamburger Freunde zu einem Gegenbesuch einladend. Mays sind nicht direkt nach Radebeul zurückgekehrt, denn auf einer kurz danach eintreffenden Karte vom 5. Juni 1897 schrieb Karl May:

Liebe Freundin, lieber Freund, meine gute Emma weint,
Daß der Rhein hier überfließt - viermal breiter als er ist -
Weil ihr hier in dieser Welt ihre theure Lisbeth fehlt.
Ohne die kann sie nicht leben, darum bleiben wir nicht kleben,
Sondern reisen mit Verstand von hier fort nach Helgoland.


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Ein weiteres Scherzgedicht vom 11. Dezember 1897 bestätigt erneut, wie wohl sich Karl und Emma May bei ihren Hamburger Freunden gefühlt haben:

Es stand in alten Zeiten ein Café hoch und hehr,
Das war ganz voll von Leuten und das gefiel uns sehr.
Jedoch am allerbesten gefiel von seinen Gästen
Uns der Besitzer selber, denn es war unser Felber.
Wir denken seiner immer und wenn er nicht bald schreibt,
wird's mit der Sehnsucht schlimmer, bis krank sie liegen bleibt.
Drum laßt uns nicht lang warten: Es gibt ja Ansichtskarten!

Der Besuch Felbers in Radebeul dürfte 1898 erfolgt sein. Frau Larson erinnert sich, daß sie von der liebenswürdigen Aufnahme und allem, was sie dort sehen konnten, sehr angetan waren.

Man erwies sich laufend gegenseitig Aufmerksamkeiten mannigfaltigster Art. So traf alljährlich zum Weihnachtsfest ein Kistchen mit Krabben, Stör und anderen Seefischen in der »Villa Shatterhand« ein, dort stets hocherfreut und dankbar willkommen geheißen. Eine Vielzahl von Karten, meist mit kleinen Versen versehen, bekundet, daß die freundschaftliche Verbindung nur selten eine längere Unterbrechung erfuhr.

Zwei der kleinen Verschen seien hier wiedergegeben:

Es ist im Leben häßlich eingerichtet
Daß May, grad wenn er schreibt und dichtet,
Eh fertig er den Reim an Euch gebracht,
Ein unbegreiflich dumm's Gesichte macht. (11. 2. 98)

Nach Hamburg fliegt von Haus zu Haus
Der Karl mit seiner Emma aus,
Um bei Kaffee und Osterkuchen
Die alten Lieben zu besuchen,
Und wernn's auch geistig nur geschieht,
Sie thun es doch mit Appetit,
Denn wenn Ihr seid beim Kaffeekochen,
So wird's in Radebeul gerochen,
Und so ein Duft macht alte Treu
Und alte Freundschaft wieder neu. (3. 4. 01)

Im gleichen Brief versichert May:

Wenn Du wüßtest, wie ich zu tun habe, würdest Du mein Schweigen verzeihen. Es kommen täglich neue Leser. Dazu die neuen Orientbekanntschaften. Für die, denen ich früher schrieb, habe ich keine Zeit mehr. Nur den Aller-, Allerliebsten kann ich zuweilen noch eine Zeile senden. ...


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Die Art der Erwähnung seiner ersten Frau Emma im April beweist, daß May damals wohl noch nicht an eine Scheidung gedacht hat. Seine Ehe wurde am 14. Januar 1903 geschieden. Es scheint, daß darüber keine besondere Nachricht nach Hamburg gelangte, denn erst im Sommer 1903 schrieb Frau Klara May (Heirat am 30. 3. 1903) einen vier Seiten langen Brief:

... Sie schrieben meinem Herzensmanne heute einen so lieben Brief und berührten dabei in Ihrer Güte ein Wesen, welches Ihre Liebe nicht verdient und welches nicht mehr in unserer Mitte weilt. Ich halte es für meine Pflicht. Ihnen einen Theil der traurigen Wahrheit zu enthüllen. ... Vielleicht wissen Sie. wie gerade ich ihre Freundin war und wie sehr ich sie liebte. Sie hat es leider nicht verdient und auch mich bitter enttäuscht ...

Der Brief ist für Kenner der Ehetragödie Mays aufschlußreich und wird bei der Beurteilung der beiden Frauen in einer dem Thema speziell gewidmeten Arbeit wichtige Aussagen machen. Bei Felbers, die in ihrer Verehrung Mays gutgläubig nur eine Seite hörten und dieser vollen Glauben schenkten, gab er Anlaß zu Antwortbriefen, die May in seiner Eingabe »An die 4. Strafkammer des Kgl. Landgerichts III in Berlin« (Privatdruck, Stuttgart 1910/11) als Zeugnisse verwendete:

Zunächst wie genauer Bekannte sich über Frau Pollmer aussprechen. Das Ehepaar Felber in Hamburg ...

Mays Beteuerung vom 3. April 1901, wonach er nur den Aller-Allerliebsten zuweilen noch eine Karte senden könne, bewahrheitete sich nicht, - im Gegenteil, die nach 1903 in Hamburg eintreffenden zahlreichen Briefe sind inhaltsreicher als die vor seiner Orientreise geschriebenen Karten. Sie zeugen von der Seelenqual in seinem letzten Lebensjahrzehnt und dem Bemühen, seine Hamburger Freunde von der Lauterkeit seiner schriftstellerischen Absichten zu überzeugen.

... Wie Du's aus meiner Schrift siehst, ist meine Hand noch zu schwach zum Schreiben; sie zittert. Ich war krank, habe lange mit dem Tode gerungen; nun aber bin ich genesen. Eure Weihnachtssendung habe ich erhalten und sage Euch herzlichen Dank. Der Inhalt soll dazu beitragen, meinen heruntergekommenen Kräften wieder aufzuhelfen. Ich sende Dir den ersten Band meiner »Erzgebirgischen Dorfgeschichten«. Sie sind fast 30 Jahre alt. Die Zeitungen haben behauptet, daß ich damals Schund geschrieben habe. Ich gebe diese Erzählungen also wieder heraus, um zu zeigen, ob das wirklich Schund ist ... .

Seid nicht bös, daß ich schon schließe. Ich darf eigentlich noch gar nicht wieder schreiben ... (23.12. 03)


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Der Band, noch heute im Besitz von Frau Larson, trägt die handschriftliche Widmung: Seinem lieben, alten Freunde Karl Felber vom Verfasser. Weihnacht 1903.

Bei Felbers konnten die damals stärker und stärker gegen May einsetzenden Angriffe die Freundschaft nicht zerstören. Man war zuerst empört und glaubte kein Wort. Die immer konkreter der Öffentlichkeit unterbreiteten Vorwürfe, »May sei nie auf Reisen gewesen, besitze keinen Doktortitel (den auch wir ihm gaben), er hätte alles erdichtet und sei sogar vorbestraft, irritierten auch uns. Wir wußten nicht, was wir denken sollten und waren deprimiert. Besonders meine Schwägerin, die nur den Kopf schüttelte und nichts mehr sagen wollte. Mein Bruder begriff alles auch nur schwer, doch er faßte sich und sagte, man könne von Karl May denken, was man wolle, er bleibe dabei, daß er ein guter Mensch sei und mit seinen Büchern das Beste gewollt habe.« (3)

Sicherlich haben Mays briefliche Versuche, seine Freunde von seinen schriftstellerischen Hochzielen zu überzeugen, das Ihre dazu beigetragen. Die Karl-May-Gesellschaft hat einen Brief vom 13. Dezember 1905 im Faksimile in der Nr. 1 ihrer »Mitteilungen« veröffentlicht. Dort ging es May um seine Beziehungen zu Sascha Schneider und dessen symbolische Zeichnungen für die Reiseerzählungen. Beigefügt war mit handschriftlicher Widmung die »Sascha-Schneider-Mappe« (4). Der Brief sei hier nochmals wiedergegeben:

Mein lieber Freund.

Der berühmteste Maler, der jetzt lebt, Professor Sascha Schneider, hat für meine Bände neue Buchdeckel gezeichnet, damit die Leser sehen sollen, daß ich nicht Indianergeschichten schreibe, sondern etwas ganz Anderes und viel Tieferes.

Diese Zeichnungen sind vom kunstsinnigen Publikum mit solcher Begeisterung aufgenommen worden, daß eine Mappenausgabe davon veranstaltet worden ist, die ich Dir mit der Bitte sende, sie als ein Zeichen unserer herzlichsten Anhänglichkeit zu empfangen.

Wie geht es Euch? Wohl grad so wie uns: Wir werden nur scheinbar alt, in Wirklichkeit aber immer jünger. Mit tausend Grüßen Eure alten treuen May's.

Noch deutlicher wird sein Brief vom Ostersonnabend 1906:

Mein lieber Freund!

Morgen ist der Tag der Auferstehung, kirchlich gemeint. Und auch das andere Ostern, an welchem die wieder erwachte Menschheitsseele die Pforten des Grabes sprengt, kündet sich bereits an.


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Es giebt überall ein immer stärker werdendes Ahnen, Wünschen und Suchen, und eines neuen Tages werden die, die über dieses Ahnen lachten, weil sie es nicht verstanden, die Emsigsten unter den Suchenden sei.

Dann wird man auch über mich nicht mehr zürnen, sondern begreifen, daß sogar ein Sascha Schneider sich für seine Bücher begeistern konnte, die keine Indianer- und Arabergeschichten enthalten, sondern Illustrationen zu dem brennenden Wunsche, daß die Menschen nun doch endlich einmal beginnen möchten, wirklich »Menschen« zu sein Was nützt uns alle andere, noch so erfolgreiche Arbeit, wenn wir nicht an uns selbst arbeiten! Was nützt uns das eifrigste Drängen nach dem militairischen »Frieden., wenn wir uns über Religion, Kunst und Wissenschaft wie Knaben herumschlagen, die noch in den Flegeljahren stehen!

Trachtet zuerst nach diesem höheren Frieden, nach diesem einzig wahren Reiche Gottes, dann wird uns das Andere alles ganz von selbst zufallen!

Niemand kann ein guter Christ, Jude oder Muhammedaner, ein guter Theolog, Künstler, Gelehrter oder Lehrer sein, bevor er nicht ein guter Mensch geworden ist. Das ist die einzige Lehre, die meine Bücher enthalten; alles Andere aber dichtet man mir an!

Mit Herzensgruß Dein alter May.

Leider sind die Antwortbriefe des Ehepaares Felber nicht mehr auffindbar, vermutlich auch nicht mehr erhalten. Der Briefwechsel ist jedoch bis kurz vor Mays Tod fortgeführt worden. Am 28. l2. 1910 bedankt sich Klara May: »Es war so unendlich lieb von Ihnen, daß Sie auch in schweren, kummervollen Tagen Ihres alten Freundes gedachten ... Schon bald 2 Wochen liegt ... Karl May schwer krank danieder. Das Leben hing nur noch an einem dünnen Faden ...« Auch in diesem Brief klagt Klara May Frau Emma Pollmer aufs schwerste an. - Am 19. 11. 1911 berichtet sie hocherfreut auf einer Karte: »Heute Lebius in der Berufung verurteilt zu 100 Mk. und Tragung aller Kosten.« Und Karl May setzte hinzu: Diesem kleinen Siege folgen nun die größeren. Wir sind hier in Berlin ...

Der vorletzte Brief Mays an Carl Felber stammt vom 11. Januar 1912.

Mein lieber Karl! Leider bin ich nicht so entzückt von Rosegger wie Du. Er hat nicht gut an mir gehandelt. Im Heimgarten stand Schlechtes über mich. Da sandte ich ihm eine Berichtigung, er nahm sie nicht auf, sondern schrieb mir nur einen schönen Brief, der mir nichts nützen kann.

Sollte er in neuerer Zeit das wieder gutgemacht haben? Bitte, sei so gut und schicke mir das Heft des Heimgartens, in dem diese Worte stehen! Ich sende es Dir sofort zurück. Ich muß es aber selbst lesen, damit ich weiß, woran ich mit ihm bin. Ich habe nämlich nächstens in einem Wiener Prozeß mit ihm zu tun. Also bitte, schicke es mir möglichst umgehend.

Mit den herzlichsten Grüßen an Dein Prachtweiberl! Deine alten, treuen Klara & Karl May.


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Zwei Tage darauf, am 13. Januar 1912, drängt May nochmals auf Erfüllung seiner Bitte:

Mein lieber Karl! Kannst Du mir denn nicht wenigstens Jahrgang und Nummer sagen, daß ich sie mir kaufen kann? Den haben muß ich sie!

In großer Eile. Herzlichen Gruß! Dein Karl.

Mit den Worten »Er hat nicht gut an mir gehandelt« dürfte May auf einen Artikel im »Heimgarten« (No. 8 - Mai 1910) anspielen, in dem Rosegger, offensichtlich unter dem Eindruck der nicht endenwollenden Angriffe gegen May nach der Charlottenburger Verhandlung, sich zwar im Schlußwort verstehend und verzeihend zeigte, aber doch auch einige recht harte Anwürfe niederschrieb. Einer späteren Arbeit zum Thema »Karl May und Peter Rosegger« soll es vorbehalten sein, ausführlicher darüber zu berichten.

Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Häusern May und Felber sind auch nach Mays Tod noch fortgesetzt worden, wie einige Briefe und Karten von Frau Klara Mays Hand bezeugen.



1 Carl Felber (1853 - 1917), geboren im Salzkammergut, entstammte einer ländlichen Familie, die neben der Landwirtschaft eine Bäckerei betrieb. Carl Felber aufgeweckt, begabt, musikalisch, hätte nach Meinung der Lehrer studieren müssen. Dem widersetzte sich der fleißige, gestrenge Vater, worauf Carl als 15jähriger auf »Wanderschaft« ging, sich zuerst recht mühsam in verschiedenen ungelernten Berufen ernährte und schließlich im Hotelfach landete: Salzburg, Wien, Hamburg. 1878 heiratete er die 23jährige Lisbeth Lechner und errichtete in Salzburg ein »Wiener Café«, das er, trotz allgemeinen Zuspruchs, nach etwa 5 Jahren günstig verkaufte, um in Hamburg, Steindamm. erneut ein »Wiener Café« zu errichten. Geschäftlich hatte er auch hier gute Erfolge zu verzeichnen. Ein Freund des Hauses machte ihn Anfang der 90er Jahre mit Mays gerade in Buchform erschienenen »Reiseromanen« bekannt.

2 Winnetou I, Fehsenfeld, S. 294. Daß May tatsächlich eine solche Narbe hatte, ist mehrfach belegt.

3 Frau Larson brieflich an den Verfasser.

4 Diese Sascha-Schneider-Mappe befindet sich heute im Besitz des Verfassers.

Die hier zitierten Briefe und Karten stammen aus dem Besitz Frau Larsons und wurden mit ihrer freundlichen Erlaubnis wiedergegeben. Es sei ihr an dieser Stelle herzlich Dank gesagt für ihr treues Hüten dieser Dokumente und nicht zuletzt für die vielen Plauderstunden, deren Frucht dieser Bericht ist.


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