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HARTMUT KÜHNE

Karl Mays »Ölbrand«


Die Feuersbrunst ist ein von Karl May häufig verwendetes Motiv. In der Selbstbiographie berichtet der Autor im fünften Kapitel von einer Brandstiftung, die ihm zur Last gelegt wurde. Ganz sicher hat dieses Erlebnis bei May einen starken Eindruck hinterlassen, und deshalb wohl sind solche Szenen in seinen Werken nicht eben selten: Man denke an »Und Friede auf Erden« (Kap. 3 f.), an den »Verlorenen Sohn« (Anfang), dessen Held sogar den Namen »Brandt« trägt; in »Wanda«, im »Teufelsbauer«, in der »Juweleninsel«, in »Von Bagdad nach Stambul«, in »Winnetou III« tauchen Brandszenen auf; auch die anonyme Erzählung »Rache« gehört dazu. Darüberhinaus gibt es Beispiele, in denen ein Ölbrand ausbricht.

Dieses spezielle Motiv finden wir zuerst 1875 in »Old Firehand«. Zum zweitenmal erscheint es in »Der Ölprinz« (»Frohe Stunden« II, 10 - 11; 1877). Das ist eine im Gesamtwerk bisher nicht veröffentlichte Kurzgeschichte, möglicherweise wegen der Ähnlichkeit der Thematik. Der Ich-Erzähler reitet auf seinem wackeren Pferd »Arrow« mit Sam Hawkens in einen Öl-Bluff, der dem Ölprinzen Josias Alberts gehört. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, weil der Ölprinz unbedingt das Pferd kaufen will. Plötzlich explodiert das Ö1, der Erzähler rettet ein Mädchen aus den Flammen, und zwar die Tochter des Ölprinzen, den er am nächsten Morgen als einzigen Überlebenden antrifft. Unter dem Titel »Der Brand des Oeltals« wurde diese kleine Erzählung auch noch in den Verlagen Ködel, Dresden; Liebau, Berlin und zuletzt um die Jahrhundertwende bei Weichert, Berlin in geringfügig veränderter Fassung nachgedruckt. Den dritten Ölbrand finden wir 1879 in der Hausschatz-Erzählung »Three carde monte«. Der vierte Ölbrand, inhaltlich von den vorigen Darstellungen abweichend, erschien 1883 im »Neuen


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Universum«, IV. Jahrgang. Karl May selber hat den Old-Firehand-Ölbrand in »Winnetou II« und die Three-carde-monte-Erzählung in den zweiten Band des dreibändigen »Old Surehand« übernommen.

Gleich dreimal erscheint das Motiv des Feuers in der hier vorliegenden Erzählung. Der Sioux-Häuptling heißt zu deutsch »Tötendes Feuer«; im Namen des Fallenstellers »Brandes« ist der Titel der Geschichte zumindest phonetisch enthalten; und schließlich ist es die Brandszene selbst. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Deutung des Namens »Winnetou«, die Karl May mit »Brennendes Wasser« angegeben hat. (Vgl. KMJB 1922, 256; KMJB 1932, 490; Forst Battaglia, Bamberg 1966, 202 f.)

Der »Ölbrand« ist entstehungs-chronologisch Mays dritte oder vierte Winnetou-Erzählung. Als Franz Kandolf in den Karl-May-Jahrbüchern 1921 und 25 seine Aufsätze zum Werden der Winnetou-Gestalt veröffentlichte, hat er den »Ölbrand« nicht berücksichtigt. Denn schon damals war dieser in v e r ä n d e r t e r Form den Gesammelten Werken einverleibt worden. Im Jahr 1917 erschien in Radebeul der 38. Band, dessen zweite Erzählung den Titel »Joe Burkers, das Einaug« trug. Diese Fassung stammt jedoch gar nicht von Karl May, sondern ist vom Verleger Dr. E. A. Schmid aus zwei May-Erzählungen neugestaltet worden: aus dem »Ölbrands nämlich und aus »Die Both Shatters«. Diese Erzählung findet sich im V. Jahrgang der Zeitschrift »Für alle Welt«, 1881, Heft 53. Die Joe-Burkers-Fassung verwendet nur das erste Kapitel des »Ölbrand«; während jedoch im Originaltext der Erzähler (Old Shatterhand) im Ich-Stil spricht, erzählt Band 38 in der dritten Person und überträgt das Erlebnis auf Old Firehand. Der »rote Olbers« aus dem »Ölbrand« wurde - wohl in Anlehnung an einen Räuber aus »Deutsche Herzen, deutsche Helden« namens »der Rote Burkers« - in »Joe Burkers« umbenannt. Das zweite Kapitel dagegen, der eigentliche Ölbrand, verschwand vollständig. Im gleichen Jahr 1883, in dem der »Ölbrand« erschien, veröffentlichte May in den »Feierstunden im häuslichen Kreise« die Erzählung »Im Wilden Westen Nordamerikas«, in der Winnetou den Tod findet.

Es lassen sich mancherlei Parallelen in beiden Geschichten finden. Beidemal weist der Autor auf bisher z w e i amerikanische Reiseabenteuer hin: Zweimal bereits hatte ich die Prairie nach allen Richtungen


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durchstreift (»Im Wilden Westen« S. 25) und: Nun, ich befand mich vor vier Jahren zum zweitenmale in Amerika (»Ölbrand« S. 166). Und gerade zwei Winnetou-Erzählungen hatte Karl May bis dahin veröffentlicht: die zweite im »Deutschen Hausschatz« von 1879 - vier Jahre zuvor also - hieß »Deadly dust«; die erste war im »Deutschen Familienblatt« erschienen und hieß »Old Firehand«.

Auch diese Veröffentlichung lag also wiederum vier Jahre zurück; in der Hausschatz-Fassung des »Deadly dust« schrieb May noch: »Habt Ihr nicht bereits vor vier Jahren einen Zug gerettet?« (S. 465; in der Buchausgabe für Fehsenfeld ist diese Stelle geändert).

Solche Zitate aus den Urtexten sind wichtiger, als es zunächst den Anschein hat. Sie lassen Rückschlüsse auf die Datierung einer Geschichte zu, wenn deren Entstehungszeit unbekannt ist. Man vergleiche dazu Band 71, S.268. Dort sagt der Erzähler »Wie soll ich ... den Beweis liefern, daß mir Swallow vor einem Jahr am Rio Suanca geschenkt wurde?« Man könnte hieraus schließen, der soeben zitierte Satz (aus »Die Both Shatters«) sei ein Jahr später als die »Old-Firehand«-Geschichte geschrieben. Einen geradezu klassischen Beweis für diese Theorie liefern zwei Stellen aus den Bänden 1-6 der »Gesammelten Reiseerzählungen«. Aus solcher geheimnisvollen Datierung entstand nämlich ein logischer Fehler im Handlungskonzept, der bis auf den heutigen Tag noch nicht beseitigt ist. Im »Schut« (S. 31) erzählt der Mübarek, er habe Kara Ben Nemsi in Mekka gesehen. In den »Schluchten des Balkan« im 8. Kapitel (S. 492) dagegen wird erzählt, daß der Mübarek sich bereits seit fünf oder sechs Jahren in Ostromdscha befinde. Nun hat die Reise der Bände 1 - 6 aber nur etwa 20 Monate gedauert (vgl. dazu KMJB 1923, S.245 und 248). Die beiden divergenten Aussagen lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Aber sie werden interessant, wenn man die Entstehungszeit der Erzählungen berücksichtigt: »Durch das Land der Skipetaren« (Bd. 4, Kap. 7 - Bd. 6, Kap. 7) wurde im »Deutschen Hausschatz« 1887 zum erstenmal veröffentlicht; der Besuch in Mekka (Bd. 1, S. 275ff) dagegen stand im »Deutschen Hausschatz« 1881; und das war vor genau sechs Jahren gewesen.

Die zweite Parallele liegt in der Aufzählung Männer wie Winnetou, Old Firehand, der lange Hilbers, Fred Walker, Sam Hawkens ... (»Ölbrand« S. 167), was sich »Im Wilden Westen« (S. 29) und zugleich in


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»Winnetou III« (S.365) so liest: ... Von Winnetou, von Old Firehand, von Old Shatterhand, von dem dicken Walker oder von dem langen Hilbers ...

Die Namensaufzählung erschließt die Möglichkeit, daß »Im Wilden Westen« (Winnetous Tod also) vor dem »Ölbrand« geschrieben wurde. Auch hier bezieht sich Karl May auf frühere Erzählungen mit den darin vorkommenden Personen, und der »dicke Walker« spielt bei Winnetous Tod eine Hauptrolle. (In der heutigen Lese-Ausgabe ist er umbenannt in Stephen Moody alias »Spürauge«.) Zugleich liegt der Gedanke nahe, daß Karl May eine weitere - verlorengegangene - Erzählung geschrieben hat, denn ein »langer Hilbers« ist bisher aus keiner May-Erzählung bekannt. Die Beschreibung Winnetous entspricht noch ziemlich der Hausschatz-Fassung von »Deadly dust«. Sie ist heute leicht greifbar im Nachwort zu Mays Waldläufer-Bearbeitung (Bd. 70, S.474). Das Prachtexemplar eines Indianers - sogar noch in Winnetou III (S. 391) - hat bereits den Unwillen Franz Kandolfs erregt (KMJB 1925, S.71).

Den Namen »Old Shatterhand« hat der Erzähler (»Ölbrand« S. 8) von einem müßigen Trapper erhalten. In der Hausschatz-Fassung von »Unter Würgern« (V. Jahrgang S. 620) stammte der Name noch von Emery Bothwell (genauso übrigens auch in den »Wüstenräubern« in Bachems Roman-Sammlung, die 1885, also später als der »Ölbrand« erschienen), während in »Winnetou I« (S. 51) die Namens-Erfindung dem Ingenieur White in den Mund gelegt wird.

In beiden Erzählungen aus dem Jahr 1883 fällt die gehäufte Anwendung indianischer Redewendungen auf, im Gegensatz zu den früheren Indianergeschichten, wo May sich auf Eigennamen beschränkte.

Besonders beachtenswert ist einmal die Entwicklung der Old Shatterhand-Gestalt, zum anderen, daran gebunden, die des »moralischen Gehalts«. In früheren Erzählungen finden wir noch eine recht bescheidene Selbstcharakteristik, und während noch in »Deadly dust« ein Indianer auf den Namen Shatterhand so reagiert: »Der weiße Mann wird sich diesen Namen selbst gegeben haben« (»Winnetou III«, S. 221), schreibt May jetzt: Die guten Yankees ... hatten vor meinem Trappernamen einen solchen Respekt (»Ölbrand« S. 16). Mit der Berühmtheit der Person wächst auch zugleich die Liebe zur Roten Rasse. In »Old


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Firehand« - auch noch in »Unter Würgern« (1879) - tötet der Erzähler bedenkenlos seine Gegner. In den »Both Shatters« registriert er dreißig Kopfhäute - Siegestrophäen seines Kampfgefährten - und beschränkt sich auf den kurzen Kommentar: Ich sah hier ein schlagendes Beispiel von der wilden Energie, mit der gegen eine dem Untergang geweihte und in den letzten Todeszuckungen liegende Menschenrasse der vernichtende Stoß geführt wird (Band 71, S. 269). Ähnliche Gedanken führt May im »Ölbrand« ganz breit aus: Ich gestehe freimütig ... daß ich das bisherige Verhalten der Weißen gegenüber den Roten nicht billige, so schreibt er auf S. 3 und läßt eine lange polemische Rede gegen den europäischen Imperialismus folgen. Später gibt er den Indianer frei mit den Worten »Du darfst nicht alle weißen Männer hassen, weil einige falsch und untreu waren« (S. 8), und an anderer Stelle spricht er - um den Frieden zu erhalten - »Ich muß meinem Manitou gehorchen, und er sagt, daß er allein der Rächer sei« (S. 10). Die angeführten Stellen verweisen zugleich wieder auf die Geschichte von Winnetous Tod, wo Winnetou in nächtlichem Gespräch zu dem Entschluß kommt, keinen Skalp mehr zu nehmen (»Winnetou III«, S. 429). Gedankengänge dieser Art sind in Mays früheren Indianergeschichten nur rudimentär vorhanden. Man darf sagen, daß die Zeit um 1883, die zugleich mit der Entstehung der Münchmeyer-Romane zusammenfällt (und tatsächlich lassen sich ähnliche humane Auffassungen in »Deutsche Herzen, deutsche Helden« finden), einen Wendepunkt bildet im Reifungsprozeß des Schriftstellers; und das kann erneut belegt werden mit dem lange verschollenen »Ölbrand«, der nach nunmehr 87 Jahren der Öffentlichkeit im Original wieder zugänglich wird.


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