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HEINZ STOLTE

»Waldröschen« als Weltbild

Zur Ästhetik der Kolportage



Was für ein galaktisches Ungeheuer ist diesem Kopf entsprungen! Mit dem zierlichen Namen »Waldröschen« benannt, der an Idylle und Winkelglück denken läßt, an Gartenlaube und Kindermärchen, aber zugleich auch im Untertitel als eine »Verfolgung rund um die Erde« und als »großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft« deklariert -, so liegt dieser gewaltige Kolportageroman Karl Mays jetzt vor uns, vom Olms-Verlag dankenswerterweise aufs neue ans Licht der Öffentlichkeit gebracht (1). Zwar kannten wir ihn schon in den Bänden der Leseausgabe des Karl-May-Verlags (2), in einer gleichsam gezähmten und zivilisierten Form, und mancher hatte Gelegenheit, im Radebeuler oder Bamberger Archiv, das Autorenexemplar der Erstausgabe von 1882 in die Hand zu nehmen. Nun aber, in den blauen Bänden der Olms-Ausgabe, ist auch dem weiteren Kreise der an Karl May Interessierten die Begegnung mit diesem Ungeheuer von Roman, einer der kolossalsten Kuriositäten der Weltliteratur, in seiner Ur- und Ungestalt wieder möglich geworden.

Wir wissen wohl, daß diese Neuausgabe in Faksimileform, was ihre Legalität betrifft, nicht ganz ohne Problematik ist, hatte doch der Autor selber einst auf Entstellungen seiner Texte schon in der Erstausgabe hingewiesen und in schmerzvoll durchgekämpftem Prozeß die Verfügung erwirkt, daß seine einst im Frondienst der Kolportage geschriebenen Werke nicht wieder unter seinem Namen erscheinen dürften. Nicht zuletzt deshalb hat denn auch der Karl-May-Verlag eine Neuausgabe nicht erwägen wollen, eine verständliche Pietät, wenn man bedenkt, welchen Kummer dem Autor einst der Vorwurf bereitet hatte, ein Schundschriftsteller gewesen zu sein. Allein seit dem Tode des Schriftstellers sind nunmehr sechzig Jahre vergangen, und wie das


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Autorenrecht in solcher Zeitspanne endet, hat sich auch die Einstellung der an literarischen Dingen interessierten Öffentlichkeit, vor allem der Literaturwissenschaft, dem Phänomen der Kolportage gegenüber von Grund auf geändert. Wir glauben gern, daß unter den besonderen Bedingungen des Kolportagebetriebes der eine oder andere fremde Einschub in die Texte geraten ist, vorzüglich wenn es galt, ihnen ein bißchen mehr Feuer unter den Mantel zu blasen, aber »Unsittlichkeit« - ? Davon kann kaum die Rede sein, und im Zeitalter der Pornographie wird gewiß jeder einschlägig interessierte Leser den etwa aufzuspürenden »Stellen« solcher Art höchstens ein müdes Lächeln abgewinnen können. Die Vorwürfe einer Schnüffelkritik, einst von Cardauns und anderen über Gebühr aufgebauscht, brauchte der Autor Karl May also heute gewiß nicht mehr zu fürchten, und wenn sich die Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaft nunmehr in steigendem Maße, wie der sogenannten »Trivialliteratur« überhaupt, so auch den einst so verachteten Kolportageromanen Karl Mays zuwendet, so hat dies ganz andere und gewichtigere Gründe.

Wir sehen heute im Phänomen der Kolportage, einer ganz besonderen Erscheinungsform der Literatur, die vor allem in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sozusagen im 'Underground' des geistigen Lebens blühte und bis an die Schwelle des ersten Weltkrieges im Schwange war, ein kulturhistorisch und soziologisch außerordentlich interessantes Gebilde. Interessant und aufschlußreich deshalb, weil es uns dokumentarische Zeugnisse liefert aus der Breite und Tiefe einer geistigen und gesellschaftlichen Schicht, deren Bedürfnisse und Wünsche, deren Weltbild und Lebensverständnis von der eigentlichen, der sogenannten hohen Literatur einer geistigen Elite kaum gespiegelt wurden. Wofür ich vor Jahrzehnten in meiner Dissertation über den Volksschriftsteller Karl May um ein erstes, ernsthaftes Verständnis plädiert habe, das ist aber heute, im Zeichen einer weithin soziologisch orientierten Literaturwissenschaft einer wachsenden Zahl von Forschern und Kritikern schon zum fast selbstverständlichen Anliegen geworden.

Allerdings - wenn wir hier von Ästhetik der Kolportage sprechen, so sollte das nicht mißverstanden werden. Es liegt nahe, einen Roman wie »Waldröschen« mit den Augen des geschmäcklerisch differenzierten Ästheten zu lesen, Stilblüten zu pflücken und ihren unnachahmlichen


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Duft aus Überschwang, Tränenseligkeit und Pathos zu goutieren, und gewiß: Herrlichkeiten dieser Art gibt es in unserem Roman in Fülle zu finden. Welche Quelle unerschöpflichen Vergnügens stellen nicht schon die Illustrationen dar! Oder gar die den einzelnen Kapiteln mottohaft vorangestellten Verse:

O, wende Deine Strahlenaugen
Von meinem bleichen Angesicht ;
Ich darf ja meinen Blich nicht tauchen
Zu tief in das verzehrend Licht, -
Wenn unter Deiner Wimper Schatten
Der Liebe mächt'ge Sonne winkt,
So muß mein armes Herz ermatten
Bis es in Wonne untersinkt.

Solches (3) und ähnliches mag der gebildete Leser, je nach Lebensart und Humor, mit amüsiertem Lächeln oder ästhetischem Schüttelfrost quittieren und mit dem Spitznamen 'Kitsch' rasch abzutun geneigt sein. Ich beabsichtige aber hier nicht, zu vergnüglicher Erbauung eine Sammlung dieser Art auszubreiten, so sehr auch dies zur Ästhetik der Kolportage gehören mag. Und was übrigens das spezifisch Kitschige dieses Stils betrifft, so müssen wir, wenn wir die Entstehungszeit des Romans bedenken, vom hohen Maß unserer ästhetischen Urteile einige Abstriche machen. Es sind dies die achtziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, Jahre, in denen - zumindest in Deutschland - das Epigonentum auch in der hohen Literatur blühte, und auch die Verse des jungen Gerhart Hauptmann der vornaturalistischen Periode sind zu eben jener Zeit nicht anders gewesen:

Aber du, o Sänger,
Wird dir bang und bänger,
Auf mit deinem Sang !
Zucken rote Feuer,
Stimme deine Leier
Nach dem Donnerklang ! (4)

So dichtete jener um 1885, und das liegt gewiß auf der gleichen stilistischen Ebene.

Nicht also, um den Kitsch als Kitsch zu brandmarken und uns des gottseidank fortschrittlicheren eigenen Geschmacks zu vergewissern legen wir den Finger auf dergleichen stilistische Eigentümlichkeiten. Was in ihnen zum Ausdruck kommt, gilt es in einer sehr ernsthaft


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gemeinten philologischen Exegese zu klären, von der ich freilich hier nur andeutungsweise sprechen kann. Was aber sogleich - schon in den zitierten Versen - ins Auge fällt, ist die völlig naive Ungebrochenheit aller Aussagen, der alles Differenzieren, Abdämpfen ins Dezente und Verhaltene, alle Raffinesse und Delikatesse des Ausdrucks so gänzlich fremd ist, der hingegen eine Direktheit und stets übertreibende Deutlichkeit eignet, die einem differenzierten Geschmack als primitiv erscheinen wird.

Das Schöne ist stets überaus herrlich, das Edle natürlich ganz und gar erhaben, der Tüchtige ein Held und Übermensch, der Böse ein Satan. Und wie in der äußeren Handlung dieses Romans, in allen seinen Episoden und Abenteuern, der Erzähler stets und überall aufs äußerste geht, an Intrigen, Verführungen, Vergewaltigungen, Menschenraub, Vertauschungen, Seeräuberei, an Mord und Totschlag kein Mangel ist, aber auch nicht an edlen Taten der Menschenliebe, an Heldentum, an Befreiungen und happy ends, so geht dieser Zug karikierender Übertreibung bis in die stilistische Wendung. So ist - in unseren hier zitierten Versen - das Auge sogleich ein Strahlenauge, sein Blick ein verzehrend Licht, die Liebe, die sich in ihm ausdrückt, eine mächt'ge Sonne und die Freude eine Wonne, in der man untersinkt. Und nicht nur in den einzelnen Abenteuern und Episoden, nicht nur in den kleinsten Wendungen der Sprache macht sich dieser Zug zur Übertreitung bemerkbar, er hat ebenso auch die Architektur des Ganzen bestimmt. Denn nicht um ein einzelnes Menschenschicksal in seinem begrenzten und beschränkten Lebensraum soll es gehen, sondern rund um die ganze Erde und um die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Das ist ein Anspruch, der nicht mehr übertroffen werden kann. Der totale Roman ist programmiert, ein Bild der ganzen Welt soll entworfen werden, und eben dies, die Kolportage als Weltbild, ist die eigentlich schöpferische Idee unseres Romans, die so ernst genommen werden muß, wie sie vom Autor gefaßt war.

Die Kolportage ernst nehmen, ernst in ihrem Anspruch, gültige Literatur zu sein, nämlich gültig für eine gesellschaftliche Schicht, eine Gruppe von Menschen, die vermutlich ihrer Zahl nach die kleine Bildungselite einer Nation - jene, für die Homannsthal und Rilke schrieben - um ein Vielfaches übertrifft, das scheint mir eine unabweis-


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bare Forderung zu sein, wenn anders man über Funktion und Möglichkeiten der Literatur überhaupt eine wirklich zutreffende Idee gewinnen will. Freilich spiegelt die Kolportage als Welt- und Lebensbild durchaus eine in sich begrenzte, historisch abgeschlossene Epoche der gesellschaftlichen Entwicklung, die - wie angedeutet - über die Schwelle des ersten Weltkrieges wohl kaum hinausgereicht hat. Sie hat für uns Heutige bereits manches Befremdliche und eine gewisse historische Patina angenommen, was wir mit Ausdrücken wie »Gründerzeit« und »Wilhelminische Ära« hier nur andeuten möchten. Wie aber das neunzehnte Jahrhundert, vor allem in seiner zweiten Hälfte, überhaupt ein Zeitraum ungeheurer Verwandlungen im Technischen, Gesellschaftlichen, Politischen und Geistigen gewesen ist, so ist auch die Kolportage als ein Symptom zivilisatorischer Veränderungen zu begreifen. Daß sie überhaupt heraufkommen und zu einer Art Blüte gelangen konnte, das ist einem Umstand zu verdanken, der an und für sich ein erfreuliches Ergebnis jahrhundertelanger kulturpolitischer und pädagogischer Bestrebungen darstellt. Was wir »Volksbildung« nennen, dieses seit der Reformationszeit einsetzende Bemühen, das Analphabetentum zu beseitigen und ausnahmslos a l l e Schichten und Klassen der Nation an das geschriebene und gedruckte Wort heranzuführen (ein Bestreben, das zunächst religiösem Eifer entsprungen ist, weil man wünschte, daß alle die Bibel zu lesen vermöchten), diese kontinuierlich fortschreitende Bildungsbemühung hatte zuerst in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu einem totalen Erfolg geführt. Fortan gab es kein (nennenswertes) Analphabetentum mehr, die Vertrautheit mit Schrift und Buch war so weit fortgeschritten, daß Literatur zu einem Massenbedürfnis und Massenkonsum geworden war.

Dieser Zustand ist uns heute so geläufig, erscheint uns als so selbstverständlich, daß wir die gesellschaftliche Bedeutung eines literarischen Lebens in älteren Perioden unserer Geistesgeschichte ganz falsch zu beurteilen geneigt sind. Was wir deutsche Klassik nennen, jene Hochblüte der Dichtung im Zeitalter Goethes und Schillers, war beispielsweise durchaus nicht, wie es uns jetzt erscheint, ein nationales Ereignis. Die Zahl derer vielmehr, die daran teilzunehmen, ja, die überhaupt etwas davon wahrzunehmen verstanden, war geradezu lächerlich klein. Dies war eine winzige helle Insel in einem unermeßlich weiten dunklen


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Meer literarischer Unbildung. Aber mit erstaunlicher Vehemenz kam im weiteren Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts eine Massen- und Volksliteratur herauf, zuerst in der Epoche des Biedermeier ührigens, in der die literarischen Zeitschriften und Leihbibliotheken ihre große Zeit hatten. Die folgenden Jahrzehnte haben, insgesamt gesehen, einen so ungeheuren Ausstoß an Literatur hervorgebracht, ein so gewaltiges Anschwellen der Druckerzeugnisse, daß die Literaturwissenschaft von heute auch nicht annähernd in der Lage ist, sie zu registrieren und zu sichten. Dies war ein lesewütiges und lesesüchtiges Zeitalter, und Literatur hatte eben die zentrale Bedeutung im Leben jedes einzelnen und in der Gesellschaft als ganzer, wie sie heutzutage etwa vom Fernsehen usurpiert ist. Literarische Unterhaltung zu konsumieren war so selbstverständlich geworden, wie man heute des Abends zu Hause den Bildschirm einschaltet (und deshalb denn ja auch weithin das L e s e n von Literatur für überflüssig erachtet!). Wie aber den Massen von heute ihr Unterhaltungs- und vielleicht Bildungsprogramm über den Äther ins Haus kommt, so kam dazumal der Kolportageroman über die Hintertreppe zu seinen Lesern.

"Hintertreppenromane" - so nennt man sie ja wohl auch, und das mit vollem Recht. Sie sind, diese Romane, die Literatur derjenigen, zu denen man nicht durch die prächtigen Vorderportale der Herrschaftshäuser gelangte, sondern durch den »Eingang für Dienstboten und Lieferanten«, über den Hof und die hintere Treppe. Mägde und Knechte, Kutscher und Gärtner, Köchinnen und Zofen, Diener und Lehrlinge, Arbeiter und Ladengehilfen, die Hausfrauen in den Hinterhäusern der Stadtquartiere, Reinmachefrauen und Portiers, das ganze Heer der dienstbaren Geister der Gründerjahre, dazu die Deklassierten der beginnenden technischen Revolution - dies ist das Publikum, dem der Kolportageroman den Feierabend verschönte und die Misere seiner Lebensenge und Gedrücktheit erträglicher machen sollte.

Geschäftstüchtige Verleger erschlossen sich diesen einträglichen und umfangreichen literarischen Markt mit Erzeugnissen, die, um anzukommen und gekauft zu werden, aufs genaueste den geistig-seelischen Bedürfnissen, dem Bildungsgrad, den Lebensanschauungen und Wunschträumen der hier angesprochenen Schicht angepaßt sein mußten. Und ein Heer von Kolporteuren, von literarischen Hausierern, machte sich


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auf, um über viele tausend Hintertreppen die Produkte dieser Traumfabriken anzupreisen und auszuliefern. Die Lieferung ging in Raten vor sich, in möglichst vielen Heften, deren Abonnement sich oft über Jahre erstreckte. Das erste Heft schon mußte den Erfolg entscheiden: ein vielversprechender Titel und die stoffliche Spannung erster Ereignisse mußten auf die Fortsetzungen, und immer mehr Fortsetzungen, begierig machen.

Man mag über dergleichen Praktiken die Nase rümpfen, aber das Gespür dieser Kolportageverleger für die Bedürfnisse ihrer Kundschaft bleibt immerhin bemerkenswert und auffallend auch an einem Mann wie Münchmeyer die sichere Witterung, mit der er in dem jungen Karl May sogleich einen Menschen erkannte, der als Autor seinen Spekulationen im literarischen Untergrund dienlich sein konnte. Er hatte den jungen Mann ja schon sozusagen von der Gefängnistür weg für seine Zeitschriftenpläne engagiert, und als es, ein paar Jahre später, um die Hintertreppenromane ging, da erwies sich der anstellige, zuverlässige und fleißige Textlieferant auch hierfür als ein geradezu idealer Mitarbeiter.

Er war wirklich der geeignete Mann. Ich will keinen Zweifel darüber lassen, daß ich Karl May für einen ganz und gar genialen, für einen g r o ß e n Schriftsteller halte, für mehr jedenfalls als einen Kolportage-Schreiberling. Aber wenn er mehr war, so war er doch eben auch dies mit ganzer Perfektion. Was ihn dazu befähigte, war die Tatsache, daß er nach Herkunft und Lebensschicksal ja eigentlich genau dasjenige im Menschlichen und Gesellschaftlichen selber war, was auch das literarische Publikum der Kolportage darstellte. Er war selbst ein Produkt der deutschen Misere. Er gehörte zur Klasse der Gedrückten, Bevormundeten und Ausgebeuteten, war ein Sündenbock dieser Gesellschaft, er hatte alle ihre untersten Ränge durchlaufen, vom Webstuhl bis zur Zuchthauszelle. Und was die Begegnung des Jugendlichen mit der Literatur betraf, so war ihm im Hohenstein-Ernstthaler Milieu eben vor allem der literarische Untergrund zum »Bildungserlebnis« geworden mit den Räuber- und Abenteuerromanen einer obskuren Leihbibliothek. Er kannte das Genre also gut, viel besser, als es ihm zuträglich war. Und mehr als das: sein ganzer Aspekt auf das Leben und die Welt war dieser gleiche Blick von ganz unten, hinauf nach den »Höhen«, an denen die


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Furcht und die Hoffnung hängt. Es war der Blick des Untertanen. Er hatte die gleichen Ansichten über das Leben, und er träumte die gleichen Träume wie die Leser, für die er als Kolportageautor schreiben sollte.

Es kann kein Zweifel darüber sein, daß Karl May diese Produktion keineswegs als eine schriftstellerische Leistung betrachtet hat, auf die man stolz sein und zu der man sich mit Genugtuung bekennen könnte. Unter dem Schutz der Anonymität vielmehr machte er sich daran, etwas ganz außerhalb der zu verantwortenden Literatur Stehendes zu produzieren, als an eine bloße Handwerkerei zum Broterwerb. Ich behaupte nun, daß gerade dieser Umstand, daß er sich nämlich von aller offiziellen Verantwortlichkeit für seine Texte gewissermaßen dispensierte, für den Literaturwissenschaftler, dem es darum geht, die W a h r h e i t über diesen Schriftsteller zu erforschen, ein besonders günstiges Verhältnis darstellt. Denn der da unter der Maske eines Capitain Ramon Diaz de la Escosura seiner ausschweifenden Phantasie die Zügel schießen läßt, findet sich ganz in der Lage eines Maskierten im Fasching, für den die Narrenfreiheit dieser Anonymität Entbindung von allen bürgerlichen Rücksichten bedeutet, weshalb sein Verhalten unter der Maske mehr von seiner inneren Wahrheit zeigt als eine bürgerliche Pose im Zustand der Demaskierung.

Etwas weiteres kommt hinzu, um gerade einen Roman wie Waldröschen zu einem menschlichen Dokument ersten Ranges zu machen. Es ist die besondere Bedingung geradezu atemloser Gehetztheit, unter der der Schaffensprozeß dieses Autors verlief. Die Hetzpeitsche der Kolportage, die dem Schriftsteller im Nacken geschwungen wurde, der gnadenlose Zwang, termingerecht außerordentliche Massen an Manuskript zur Auslieferung zu bringen, brachte es mit sich, daß dem Autor keine Kontrolle, kein Ausreifenlassen, kein Bedenken, Zögern, Ändern und Bessern erlaubt war. Das produzierende Gehirn mußte auf ein Äußerstes an Leistung gespornt werden, es war eine Leistung im Galopp. Hans Wollschläger hat in seiner May-Biographie gerade von dieser Zeit im Leben des Autors eine recht lebendige Schilderung gegeben, von der »unter der Schwelle von Mays literarischem Gewissen« pausenlos rotierenden »Kolportage-Maschinerie« (5). Aber eben dies »unter der Schwelle« und dies »pausenlose Rotieren«, sie bezeugen sich geradezu als eine Art Wahrheits- und Enthüllungstest. Es gibt einen psycho-


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analytischen Test, der darin besteht, auf ein gegebenes Reizwort hin eine Versuchsperson pausenlos und ohne jede Muße zur Besinnung über einen längeren Zeitraum hinweg Wörter aussprechen zu lassen, wie sie ihr in loser Assoziationskette eben gerade einfallen. Der Mechanismus des Sprechens, der Zwang zum raschen Plappern fördert aus der Triebwelt des Unbewußten die Wahrheit über Vorstellungen, Wünsche, Verdrängungen, Komplexe zu Tage, die von der Kontrolle des verantwortlichen Bewußtseins sonst nicht zugelassen werden. Von eben dieser Art war die literarische Produktion Karl Mays unter den Bedingungen der Kolportage. Was da herauskam, hatte den Testwert unbewußter Enthüllungen. Das Assoziative und Unwillkürliche, Ungesteuerte dieser Produktion brachte notwendigerweise eruptiv gleich einem Vulkan, der die glühende Lava aus dem verborgensten Erdinnern heraufwirft, das Verdrängte und Bedrängende dieser Seele zur Erscheinung, und die riesige Lavawelt aus Seelenschlacken heißt nun »Waldröschen«, heißt »Verfolgung rund um die Erde« und heißt »Enthüllung der Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft«.

Erstaunlich bleibt immer, mit welcher exakten Treffsicherheit im Dreifachen dieses Romantitels ein Dreifaches an Weltverständnis und geistig-seelischen Bedürfnissen umrissen ist, aus dem sich, insgesamt gesehen, dasjenige strukturiert, was wir das »Weltbild« dieses Autors, aber auch dieser Leserschaft nennen wollen. »Waldröschen« - , das ist der poetische Klang, der auf Idyll und Glückseligkeit hindeutet. Das ist der Glaube der Geschundenen und Bedrückten, der in der Misere ihrer kummervollen Existenz Gebundenen, daß es jenseits der Prüfungen und Ängste ein heiles Leben, eine Erfüllung, ein Idyll und Paradies gebe. Es ist das »Prinzip Hoffnung«, wie es im Untergrund glimmt und von dem uns Ernst Bloch auch in bezug auf Karl May so Grundsätzliches und Beherzigenswertes darzulegen gewußt hat. Das ist happy end und Erlösung, Utopia und Waldfrieden. Die »Verfolgung rund um die Erde« aber, das ist der romantische Fernentraum der in Hinterzimmer und Höfe, in Slums und enge Straßen Gepferchten. Das ist der Freiheitsdurst und die überschwengliche Reiselust, die euphorische Vision des siebeneinhalb Jahre hinter Gitter und Kerkermauern Gefesselten. Und je enger und gebundener der proletarisch-kleinbürgerliche Lebensbezirk, um so ungehemmter die Raumträume, um so weiter die Horizonte dieser


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ausschweifenden Romantik. Wüsten, Savannen, Urwälder, spanische Schlösser und exotische Inseln, Südsee und Ozean: nicht anders als »rund um die Erde« geht dieser Welttraum. Doch es ist nicht bloß einfach so »Duft der großen weiten Welt«, der hier durch die Seiten weht, nicht einfach nur Reisen ins Ferne, was hier die Gemüter spannt - , was wäre das Reisen ohne die Würze des Abenteuers? Wenn schon nicht Riesen und Drachen mehr, so müssen doch Räuber und Zigeuner, Piraten und Schmuggler, Cowboys und Indianer, Erbschleicher und Giftmischer, Kidnapper und Mörder die Szene bevölkern. Reisen ist Aventiure, und Don Quijote reitet wie eh und je, reitet siegreich für Recht und Gerechtigkeit, von keinem Sancho Pansa je auf den Boden der deutschen Misere heruntergeholt. Nein, es ist vielmehr Sancho Pansa selbst, der hier seine Wunschträume träumt und genießt. Der kleine Mann, das Stiefkind der Gesellschaft, der Unterprivilegierte, der die Entbehrungen seines grauen und lichtlosen Alltags überkompensiert. Wie heißt doch die Gestalt, die so unendlich mühevoll, aber am Ende so siegreich durch die tausend Gefahren und Verwicklungen dieser Intrigenwelt schreitet, der Mann, der das Schicksal bezwingt? Nicht Karl May, aber Karl S t e r n a u ist sein Name. Mit einer Hälfte noch ist er dieser kleine Mann, Karl, der Noch-nicht-einmal-Parvenue, mit der anderen aber ein Sternau, ein Sternenmann, ein Auserwählter der ewigen Gestirne. Sternau - da fassen wir den Mythos von Sitara zum erstenmal, von dem wir eigentlich meinten, er sei erst im Zusammenhang mit den symbolischen Alterswerken Karl Mays konzipiert worden. Nein, das Märchen von Sitara, dem Stern, von dem die Wahrheit in die Welt heruntersteigt, um sich in Symbolfiguren darzustellen, ist offenbar hier schon im Spiele. Wie recht hat Claus Roxin, wenn er in seiner ebenso knappen wie ertragreichen Plauderei über »Waldröschen« (6) dieses einen »metaphysischen Roman« nennt und von seiner (wenngleich primitiven) »Symbolik« spricht, auch die mythenbildende Kraft hervorhebt, durch die sich Kolportage hier schon zu jenem Surrealismus umbildet, wie er anders nicht im Symbolismus der Spätwerke in Erscheinung getreten ist. Wir betonen dies hier im Gegensatz zu einer Meinung, die zwischen dem Alterswerk Mays und seinen davor liegenden Schaffensperioden einen Bruch und Widerspruch konstatiert. Die Einheit des Gesamtwerks ist evident. Im primitiven Surrealismus der Kolportage manifestiert sich


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kein anderes Weltbild als in den verfremdeten Symbolgebäuden des »letzten Großmystikers«. Hier schon steigt die »Menschheitsfrage« auf und geht - personifiziert in jenem Karl Sternau - auf die Suche nach dem »Edelmenschen«. »Die ganze Erde«, so formuliert es Claus Roxin, »ist das Welttheater, auf dem die dunklen und hellen Mächte unablässig miteinander ringen«.

Denn der Roman »Waldröschen« ist - wie der dritte seiner Titel lautet - auch ein »großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft«. Und »Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft« - , wer von denen, die nach des Tages Fron und Mühe diesen Lesestoff verschlangen, wer hätte darin nicht gerne eingeweiht sein wollen? Von hier unten gesehen, heißt Gesellschaft vor allem das glänzendere Leben derer da ganz oben, der »upper ten«. Kein größeres Glück auf dieser Welt, als dorthin aufzusteigen, dort einzudringen, dazu zu gehören »in« zu sein! Da ist denn Karl Sternau so recht ein Seelentrost und Wunschidol. Er jedenfalls brachte das fertig. Was war er denn schon? Das uneheliche Kind einer Gouvernante - , aber man kann niedrig geboren und armer Leute Kummerkind sein, und doch ein heimlicher Fürst und Herr, ein heimlicher Kaiser, vor dem die Lakaien zittern und Grafen sich neigen, der die Kranken heilt und die Teufel austreibt, die Prinzessin befreit und den Schatz gewinnt. Bemerken wir, daß dies Märchenwünsche und Märchenmotive sind, daß Kolportage nichts anderes darstellt als Märchen in gewandelter Gestalt?

Die menschliche Gesellschaft als Gesamtgefüge des Zusammenlebens, als Ordnungssystem freilich, wie dies alles in unserem Roman abgebildet ist, in all seinen Rängen und Stufungen, von den Königen und Staatslenkern bis hinab in die unscheinbarsten Niederungen der Gestrauchelten und Gefallenen - ein ins Ungeheure überquellendes episches Personal, eine gigantische Typenschau - es ist, aufs Ganze gesehen, ein historisch getreues Abbild des Obrigkeits- und Standesstaats, der Kasten- und Klassengesellschaft der Gründerzeit und der wilhelminischen Ära. Der fast unvergleichliche Dokumentationswert unseres Romans und anderer Kolportagewerke Karl Mays, vor allem auch desjenigen vom »Verlorenen Sohn«, die Fülle des Materials, die sich hier dem Soziologen präsentiert, ist schon sehr anschaulich von Otto Forst-Battaglia in seiner May-Monographie hervorgehoben worden.


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»Bei ihm«, so heißt es dort, »zeigt sich auch, sehr eindrucksam, weil aus Jugendeindrücken herrührend, schärfer und mannigfaltiger, als es systematische wissenschaftliche Abhandlungen vermöchten, das lebendige Bild des Rahmens, in dem sich die breiten Massen wirklich bewegten ... Wir sehen nicht nur die Interieurs: Möbel, Geräte, Wandschmuck und Kleider, sondern auch die Gebärden, das Zeremoniell, das Gehaben im Alltag. Wir lauschen auf die Gespräche, und sie verraten uns Entscheidendes über die gesellschaftliche Struktur Deutschlands in den Jahren, als Karl May jung war, und bis in die Zeit, da ihm dank seinen Reise-Erzählungen der große Sprung hinüber zu den Bevorzugten geriet.« (7)

Und was weiterhin Forst-Battaglia in einem weit abgesteckten Panorama nach dem Muster Karl-Mayscher Kolportage als eine soziologische Schautafel des gesellschaftlichen Lebens jener Zeit entworfen hat, gehört zu den glanzvollsten Kapiteln dieses letzten großen Buches des greisen Gelehrten. Ich will es hier nicht wiederholen, aber es eingehender Lektüre empfehlen. Drei Ventile, so sagt er in diesem Zusammenhang, standen denen, die mit den Verhältnissen haderten, offen: »versteckter Groll, zum Fehlschlag verurteilte Revolte oder Wunschträume.« (8) Sehr wahr, sehr zutreffend insbesondere auf denjenigen, mit dem wir es hier zu tun haben. Er hatte mit der Revolte, der zum Fehlschlag verurteilten, seine eigenen Erfahrungen hinter sich gebracht, mit jener Revolte, die freilich keine politische, aber immerhin eine gegen die Gesellschaft überhaupt gerichtete gewesen war. Sie hatte ihm siebeneinhalb Jahre Gefängnis eingetragen. Geblieben waren die Wunschträume und der versteckte Groll; und daß aus Wunschträumen gewoben ist, was er an Literatur hervorbrachte, das haben wir auch in diesem Zusammenhang schon zur Genüge betont. Aber wie steht es mit jenem "versteckten Groll«? Man hat oft gesagt und geschrieben, und auch Forst-Battaglia hat es getan, daß Karl May, sobald er seine Laufbahn als Schriftsteller angetreten hatte, sich zusehends zu einer »Stütze der Gesellschaft« wandelte, zu einem guten und lammfrommen Staatsbürger, der die Verhältnisse, unter denen er lebte und erfolgreich wirkte, von Grund auf bejahte. Dem steht immerhin die erstaunliche Tatsache gegenüber, daß er noch in seinem Greisenalter, als streitbarer Pazifist, in entschiedenen und bewußten Widerspruch getreten ist zu dem, was


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als Chauvinismus, Imperialismus und Kolonialismus die spätere wilhelminische Ära prägte. Sollte jenes »Unbehagen an der Kultur« erst den Greis ergriffen haben, nicht aber in dem jungen Autor lebendig gewesen sein, der, wie nur einer, zu den Gedemütigten und Erniedrigten, den Deklassierten dieser Gesellschaft gehörte?

Gewiß, er war nie ein Revolutionär in dem Sinne, daß er - nach welchem ideologischen Programm auch immer - eine Abschaffung des »Systems« und etwa ein sozialistisches oder kommunistisches Konzept je ins Auge gefaßt hätte. Dergleichen lag außerhalb seiner christlich geprägten Mentalität. Aber war er deswegen schon ein Angepaßter, ein Konformist, ein Lobredner des Bestehenden? Nun fehlt es zwar in unserem Roman durchaus nicht an rituellen Gebärden des Wohlverhaltens gegenüber der legalen Obrigkeit, natürlicherweise, denn dies war die conditio sine qua non seines Schreibens, und der noch nach seiner Haftzeit lange in demütigender Weise der Polizeiaufsicht Unterstellte hatte wohl die Technik solcher Schaustellungen guten Willens von Grund auf erlernt.

Aber darunter und dahinter -, wie sollte es anders sein, als daß der »versteckte Groll« sich auf dem Grunde seines Herzens gesammelt hätte? Ressentiments des Webersohns, der, das Gefühl geistiger Berufenheit, das Rumoren des Genialen in sich tragend, durch die Kränkungen der Armut geschritten war, der als junger Lehrer gestrauchelt und brutal von der Obrigkeit ausgestoßen worden war und der, immer so fort, als ein Prügelknabe dieses Systems durch sein Leben gegangen war, der noch als reifer Mann so schwer und peinlich an der Bürde krimineller Vergangenheit zu tragen hatte, daß er seine Identität hinter immer neuen Masken und Rollen zu verbergen trachtete. Wie sollte dies alles nicht angestaut sein als ein Verdrängtes, als ein lastender, drängender und ängstigender Komplex dieser Seele?

Wir haben von seinem Kolportageroman gesprochen als von einem Wahrheitstest, der das Verborgene und Verdrängte wie aus einem Krater ans Licht geschleudert habe. Und dies ist der Schlüssel, mit dem wir, die Leser von heute, die großen symbolischen Chriffren dieses Romans lesen und lösen sollten. Dies ist der »Karl May für Erwachsene«, von dem gelegentlich schon die Rede gewesen ist. Ernst Bloch ist es gewesen, der als erster, schon 1929 in seinem berühmten Aufsatz in der


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»Frankfurter Zeitung«, etwas erkannt hat von dem auch Unheimlichen, Untergründigen, Empörerischen in diesem Schriftsteller, wenn er ihn charakterisierte als den Proletarier und Kleinbürger, der die Verkrustungen seiner Welt durchbricht. »Er schreibt«, so formulierte er, »keine blumigen Träume, sondern Wildträume, gleichsam reißende Märchen.« (9)

Reißende Märchen -, das ist in der Tat der gefährliche Stoff, aus dem »Waldröschen« gemacht ist. Wie hat man dergleichen je übersehen können? Daß dies Ganze, dies wie im »Fiebertraum« Hervorgebrachte (um Claus Roxins trefflichen Ausdruck zu übernehmen), das triumphale Ausbrechen einer Empörung, einer neuerlichen Revolte darstellt. Denn sichtbar vor aller Augen, in einer nicht abreißenden Kette von Motiven, reiht sich hier das, was ich die Gebärden der Insubordination, der Aufsässigkeit, nennen möchte. Ins Literarische sublimiert, als bloße S p r a c h - Gebärden getarnt und abgesichert, lebt sich hier aus, was in planer Wirklichkeit der deutschen Misere »zum Scheitern verurteilt« wäre, hier aber, im Gewande der Kolportage, diesem Autor sowohl wie all seinen entzückten Lesern herrliche Erfüllungen, heimlich-unheimliche Triumphe bereitet.

All der latent im Untergrunde brodelnde Aufruhr des Untertanenvolks spült keck und fröhlich, frech und unverfroren an die Oberfläche. Und nur ein wenig Verfremdung ins Spiel gebracht, mit zwei simplen Kunstgriffen die Kulissen der Szene verstellt und die Personen anders kostümiert, und schon ist ein weites Feld unbegrenzter Möglichkeiten gewonnen. Zwei Kunstgriffe, sagen wir. Der eine davon ist die Camouflage der geographischen Vertauschung: Man behauptet, in Spanien oder Mexiko spiele sich ab, was natürlich »im lieben Deutschland daheime« (wie Heine sagte) unmöglich wäre. Der andere ist die Vorgabe, als seien die Inhaber der Macht, die Vertreter des bösen Establishments, ohnehin nicht die legitimen, von Gott gesetzten Obrigkeiten, sondern betrügerische Usurpatoren, korrupte Amtstyrannen oder - im mildesten Falle - mit Dummheit geschlagene Trottel, mit denen allen es abzurechnen, die es zu entlarven gilt. In Spanien, in Mexiko! Aber gelegentlich doch auch in der Gegend von Mainz.

Es ist also, wohlgemerkt, nicht eine heile Welt patriarchalischer und ständischer Ordnung, gegen die es hier anzugehen gilt. Diese wäre schon recht, wenn es sie nur in Wirklichkeit g ä b e ! Aber was unser


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Karl Sternau antrifft, das ist die Welt im Zustande totaler Verwirrung und Unordnung. Alles ist verrückt und vertauscht in dieser Welt: falsche Söhne, falsche Väter, ein falscher Graf, falsche Ärzte, falsche Geistliche, falsche Richter und Urteile, die Hohen erniedrigt, die Canaille erhöht, die Legitimen entmachtet und entführt, die Edelste und Schönste in Wahnsinn gestürzt, die Unschuld geschändet, die Armen ausgebeutet. Kurzum, es ist wenig, wie es sein sollte, ein heilloses Inferno das Ganze.

Man begreift vielleicht, daß in der Summierung dieser Schrecken - symbolisch verkleidet - fast so etwas wie eine philosophische Aussage steckt. Die Welt, so wie sie nun einmal ist, ist schlecht bis ins Mark. Sie ist buchstäblich des Teufels, und wenn dieser Teufel anderswo vielleicht Beelzebub oder Mephistopheles heißt, wenn er sein Unwesen treibt, in unserem Roman jedenfalls heißt er Cortejo, und Claus Roxin hat schon den Finger auf die Stelle gelegt, an der es heißt: »Der Teufel ist mein Genosse; er ist oft mächtiger als dieser Gott, vor dem sich Tausende fürchten, ohne daß sie sagen könnten, daß er auch wirklich existiert.« (10) Daß die Welt schlecht ist, diesen pessimistischen Befund würde auch Schopenhauer bestätigen, und eine der Grundpositionen der christlichen Theologie ist er wohl auch. Aber weder in sakrale Praktiken und Jenseitsmythen, noch in asketische Verneinung des Willens weicht man hier aus, denn wir befinden uns in der säkularisierten Gesellschaft des späten neunzehnten Jahrhunderts; sondern daß einer kommen soll und muß, ein Starker, Weiser und Tüchtiger, der das Unrechte wieder recht macht, das Verworrene zur Harmonie löst, die Enterbten, Beraubten, Erniedrigten auf den legitimen, ihnen zustehenden Platz bringt - , solcherart ist die Hoffnung und das Wunschbild auf den Hintertreppen und in den Hinterhäusern dieser Welt. Das Dienstmädchen in der Herrschaftsküche so gut wie der deklassierte Lehrer und Dichter in der Zuchthauszelle, sie nähren die gleichen sozialen Wünsche und den gleichen sozialen Groll.

Und es wird denn nun auch aufgeräumt und in Ordnung gebracht in unserem Roman. Das ist kein leichtes Werk, es dauert fast 3000 Druckseiten lang, um wenigstens einiges, so zwischen Spanien, Mexiko und Mainz, wieder zurechtzurücken. Eine Episode nur, aber - wie Karl May sich ausdrückt - eine entscheidende im »Kampfe des Bösen


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gegen das Gute«, in der aber nun einmal das Gute die Oberhand behält. Es wird aufgeräumt. Da wird, wenn es sein muß, wenig Federlesens gemacht. Soll man d o c h sagen: Es wird Revolution gemacht? Dies wohl nicht, aber immerhin: Die Plebejer proben den Aufstand! Daß dieser Karl Sternau, der Sohn einer armen Gouvernante, sobald er im Grafenschloß eintrifft, rundweg die Macht ergreift, die korrupten Ärzte an die Luft befördert, den Teufel Cortejo und sein Geschmeiß in ihre Schranken verweist, das ist noch das Mindeste: Wie ein Fürst, wie ein König, so heißt es(11), stand er vor ihnen, mit hocherhobenem, stolzem Nacken, und einem solchen machtvollen Blicke in seinen Augen, als sei er nicht ein unbekannter Fremder, sondern der Besitzer des Schlosses ... »Schafft diesen Menschen fort! « gebot der Graf. »Er ist verrückt!« - Statt aller Antwort drehte sich Sternau nach den Domestiken um und schritt auf sie zu. Sie konnten nicht einmal dem bloßen Eindrucke seiner Gestalt und seiner Augen widerstehen; sie wichen vor ihm zurück bis hinaus auf den Korridor, worauf er hinter ihnen die Tür verschloß, den Schlüssel zu sich steckte und lächelnd zu den Gegnern zurüchkehrte. - »Graf, Ihre Leute versagen Ihnen den Gehorsam«, bermerkte er sehr gleichmütig. »Verlangen Sie es nicht anders von einem Fremden, den Sie ohne Grund zu beleidigen trachten, obgleich er nur in Ihrem eigenen Interesse an dieser Stelle steht und stets gewohnt gewesen ist, selbst von den höchsten und distinguirtesten Herrschaften mit Achtung behandelt zu werden.« - »Ich frage Sie, ob Sie mir gehorchen werden!« rief der Angeredete jetzt außer sich. »Geben Sie augenblicklich den Schlüssel heraus.« - »Gemach! Er gehört einstweilen mir, denn ich bin gegenwärtig Herr der Situation!« - »Mensch, ich ohrfeige dich!« schrie Alfonzo wütend. Er sprang auf den Arzt zu und hob die Hand zum Schlage, stieß aber sofort einen gräßlichen Schrei des Schmerzes aus, denn Sternau hatte diese Hand ergriffen und mit einer so fürchterlichen Stärke zusammengepreßt, daß die Knochen prasselten und das Blut hervorspritzte.

Bemerkt man wohl, wie in einer solchen Szene das soziale Ressentiment aufständisch gesonnener Plebejer herrliche Triumphe auskostet? Man bemerke auch, in diesem Zusammenhang, die ausdrückliche Sympathie - soll man sagen: Solidarität? - die in unserem Roman die Outlaws der menschlichen Gesellschaft genießen, die Räuber, Zigeuner


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und Indianer, soweit sie nicht ausgemachte Bösewichter sind. Wie auch sie am großen Kampf gegen böse Machthaber ihren dankenswerten Anteil haben und die Helden der guten Partei gerade unter ihrem besonderen Schutze stehen.

Nicht hingegen Advokaten, Richter und Polizei. Daß der Schlimmste unter den Bösewichtern ein Advokat ist, Cortejo, das ist ja wohl ganz aus dem Herzen des kleinen Mannes gedacht, dem die Männer der Rechtsmaschinerie wahre »Rechtsverdreher« zu scheinen pflegen. Und der Untersuchungsrichter, der den Karl Sternau - da in Spanien - verhört? Ein kümmerliches »Männchen« nur, das komisch wäre, wenn es nicht die Macht hätte, Ehrenmänner unschuldig hinter Kerkermauern zu bringen. O, wie herrlich stolz kann d i e s e r Karl (der aus Mainz, nicht der aus Hohenstein-Emstthal) vor ihm und seinem Verhör bestehen: »Seid Ihr bereits einmal bestraft?« - »Nein.« - »Ist das auch wahr?« - »Ja - außer -« - »Außer? Nun, heraus damit!« - »Außer einer kleinen Ohrfeige, die ich von meiner Mama bekam, als ich noch ein Knabe war.« (12) Wir verstehen, wie auch hierin etwas korrigiert, zurecht gerückt, heil gemacht wird, was in der Wirklichkeit so ganz falsch gelaufen war. Und wenn »Weihnachten im Gefängnis« auch für Karl Sternau zum traurigen Schicksal wird - , i h n halten keine Kerkermauern, er kann (nicht ganz überraschend für Leser des »Grafen von Monte Christo«) beim Tode seines Mithäftlings die Freiheit wiedererlangen: Seine Faust fuhr wie der Blitz empor und wieder nieder, auf die Schläfe des Schließers, der sogleich zu Boden stürzte und besinnungslos liegen blieb. »Ah, Gott sei Dank. Die alte Kraft ist noch da!« jubelte der Gefangene in sich hinein ... Er war frei. Er hatte im Dunkel gewandelt, und nun wurde es hell. (13) Der Wunschtraum mancher Gefängnisnacht, hier wird er Ereignis, vermischt mit einer Reminiszenz an Händels »Messias«.

Wie man mit Advokaten verfahren sollte? Vielleicht so, wie Karl Sternau mit Cortejo: »Ich werde Euch jetzt so lange kitzeln, bis Ihr den Schaum des wahnsinnigsten Schmerzes von Euch gebt. Tödten will ich Euch aber erst dann, wenn auch dieses Mittel nichts hilft.« (14) Aber der Aufstand wird auch in größerem Stile geprobt. Die Gendarmerie, die da aufgeboten wird, den Aufrührer zu fangen, wird hohnlachend - mit Hilfe der braven Räuber - matt gesetzt, und es war gewiß ein schlimmes


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Ding, wie es dann dem »Männchen«, dem Corregidor, erging: »Ah, das soll er büßen! Das ist Hinterlist. Zählt ihm fünfzig auf die Kehrseite.« ... Bald hörte man die kräftigen Hiebe und das laute Geschrei des Beamten, der wohl nicht gedacht hatte, daß er sich anstatt eines Gefangenen fünfzig Stockschläge holen würde. (15)

Rauhe Länder, rauhe Sitten -, aber unversehens schlägt die Insubordination doch auch ins heimische deutsche Revier. Auch hier steht Plebejer-Stolz gegen Arroganz der Obrigkeit. Denn was macht der Oberförster Rodenstein, als ihm ein Kriminalkommissar ins Haus kommt, um seinen Gast Sternau zu verhaften? »Hinaus!« unterbrach ihn der Hauptmann (Rodenstein) und zwar mit einer Stimme, welche dem Fremden durch alle Glieder fuhr ... »Ich bin großherzoglich hessischer Polizei-Commissar. Verstanden, Herr Oberförster!« - »So? Was ist das weiter! Und selbst wenn Sie großherzoglich hessischer Polizei-Nudelmacher wären, müßten Sie dennoch grüßen. Verstanden!« Und weiter: »Haben Sie Ihre Legitimation mit? Ich kenne Sie nicht.« - »Herr, wie können Sie mir eine Legitimation abverlangen?« brauste der Mann auf. - »Weil ein jeder Schwindler auf den Gedanken gerathen kann, sich für einen Polizei-Commissarius auszugeben.« Sehr wahr, werden wir hier sagen, er, Karl May, mußte das am besten wissen! Und Rodenstein macht tabula rasa: »Dieser Kerl hier wird hinausgesteckt, und wenn dies nicht rasch genug geht, so wird er hinausgeworfen und mit den Hunden über die Grenze von Rheinswalden gejagt ... Und wenn er sich noch einmal bei uns sehen läßt, ohne Legitimation zu besitzen, so arretirt Ihr ihn, oder, wenn er ausreißen sollte, so schießt Ihr ihm eine Ladung Schrot in die Beine!« (16)

Das ist der rechte Ton, mit Obrigkeiten umzugehen, der rechte struppig-ruppige Plebejerton. Wie aber die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Da nimmt es nicht wunder, daß auch der kleine Kurt, der Liebling des Oberförsters, als die Sache für diesen und Sternau brenzlig zu stehen scheint, den Revolver in die Tasche steckt und auf Mainz marschiert, um seine eigene Revolte zu machen, und geradewegs in des Staatsanwalts Haus. »Wenn Du sie nicht auf der Stelle frei giebst, so erschieße ich Dich!« - »Junge, Du bist des Teufels!« - »Nein, ich bin nur mutig!« - »Aber wenn Du mich erschießest, so wird man auch Dich einstecken!« - »Das schadet nichts, denn dann hast Du doch Deinen


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Lohn, und ich bin bei ihnen im Gefängnisse.« - »Und womit willst Du mich denn erschießen?« - »Mit diesem Revolver.« - Er griff in die Tasche und zog ihn heraus. »Wahrhaftig, dieser Knabe macht Ernst!« rief der Staatsanwalt. (17)

Das ist gewiß starker Tobak. Die Justiz verunsichern, das kennt man ja. Ein Glück nur, daß dies - ein weißer Rabe - ein Staatsanwalt ist, der sich nicht verunsichern läßt, aber auch keine braven Männer einsperrt, ja, der sogar das versöhnlichste Schlußwort findet: »Wir haben es hier mit einer groß angelegten Menschenseele zu thun, und nur die Erziehung hat es in der Hand, was aus ihr wird, ein großer Verbrecher oder eine im Guten gewaltig hervorragende Existenz. Nehmen Sie die Verantwortung dafür nicht leicht, so werden Sie einmal Freude erleben!«

Das sind wohl »reißende Märchen«, nicht wahr? Und so, aus der Wildheit des sozialen Ressentiments, aus dem latenten Aufruhr einer gedemütigten Seele, sprudelt es fort über die fast dreitausend Druckseiten dieses Romans. Wir könnten die Beispiele in schier endloser Kette aneinanderreihen, aber ich will hier nur noch eine besonders prächtige Perle aus dieser Kette hervorheben, ein Motiv, dem noch heute, und gerade heute, besondere Aktualität innewohnt. Wir denken an den Aufstand entrechteter Indianer und Landarbeiter gegen die Kaste der Gutsbesitzer in südamerikanischen Staaten, an Guerilleros und Tupamaros, wenn wir im Waldröschen-Roman vernehmen, wie man dortzulande, d. h. in Mexiko, mit einem dieser feudalen Großgrundbesitzer umspringt. Das Rezept ist gar schrecklich, und man möchte es keineswegs zur Nachahmung empfehlen. Es ist übrigens wieder der Graf Alfonzo, dem solches geschieht. »Was ist Rodriganda?« sagte er (nämlich der Häuptling der Miztecas) »was ist Deine Grafschaft, was sind Deine Besitzungen! ... Bleibe ein Graf, und stirb! Sieh diese Thiere (es sind Alligatoren), die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baume hängen und Deine Füße emporwerfen, wenn sie nach ihnen schnappen; sobald Du aber schwach und müde wirst, werden sie Dir dieselben abreißen. Dann verblutest Du Dich und stirbst. Und wenn nachher Dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte.« Und nichts hilft es


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diesem weißen Grafen, daß er um Erbarmen fleht: »Ich will Euch dienen und gehorchen als der geringste von Euren Knechten!«, denn: »Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht.« (18)

In anderer Gestalt, in lustiger Persiflage, als Schelmen-Schwank, variiert der Autor schließlich sein Thema, wenn er - als die personifizierte Insubordination - den Trapper Geierschnabel durch Deutschland ziehen läft, ihn, den Antiautoritären, wie er im Buche steht, für den es keine Achtung vor Obrigkeiten gibt und der gegenüber arroganten Respektspersonen das Äußerste an respektloser Verachtung aufbietet, was plebejische Rauhigkeit hervorbringt: Er spuckt darauf, er spuckt sie an, aus jeder Distanz gleich treffsicher und wirkungsvoll.

Daß dieser wunderliche Trapper Geierschnabel aber zugleich Dragonerkapitän der Vereinigten Staaten ist und im besonderen Auftrag des revolutionären mexikanischen Präsidenten Juarez nach Deutschland gekommen ist, das macht ihn geradezu zu einer Symbolfigur der Demokratie. Geradeswegs führt ihn sein Weg nach Berlin und dem König von Preußen sozusagen in die Arme: »... aber wenn dieser Master Sie Majestät nennt, so sind Sie wohl gar ... der König von Preußen? ... Aber wer hätte das auch denken können. Kommt dieser alte, brave Herr so still und schmauchend die Treppe herab, fragt mich nach hier und dort und ist der König von Preußen in eigener Person ... Aber Majestät, wer ist denn dieser Herr hier? ... Was? Der ist Bismarck, wirklich? ... Na, den habe ich mir ganz anders vorgestellt! Klein, dünn und dürftig, wie so einen echten, rechten pfiffigen Federfuchser. Aber eine größere Figur schadet auch nichts, im Gegentheile, sie macht Eindruck.« (19)

Wer so mit Königen umgeht, der kann - so viel ist sicher - in aller Seelenruhe den Kriminalkommissaren auf den Mantel spucken. Geierschnabel hat »seine Legitimation«, er verhandelt von gleich zu gleich. »Ich bitte Eure Majestät, dem Master Minister zu sagen, wer ich bin.« - Der König reichte dem Grafen lächelnd die Dokumente Geierschnabels entgegen. Bismarck überflog sie, eiu durchdringender Blick fiel dann auf den Jäger, und dann sagte er: »Kommen Sie, Kapitän.« Er trat unter Vorantritt des Königs in sein Cabinet zurück, und Geierschnabel folgte. Der Diener, welcher einige Augenblicke später in das Vorzimmer zurüchkehrte, bemerkte an den lauten, oft wechselnden


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Stimmen, daß da drinnen ein sehr animirtes Gespräch geführt werde. Der Inhalt desselben aber war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. (20)

Hier also endet der Aufstand der Plebejer, die Geheimdiplomatie hat das Wort. Aber viel scheint Geierschnabel nicht erreicht zu haben, denn - wie man weiß - die Ausrufung der deutschen Demokratie ließ noch einige Zeit auf sich warten.

Ich habe Karl Mays Roman »Waldröschen« ein g a l a k t i s c h e s Ungeheuer genannt. Und das ist wörtlich zu nehmen. Unter Galaxien versteht der Astronom die großen Sternennebel im Weltall, die sich als ungeheure, feurig wirbelnde Spiralen um eine in sich beruhende Mitte drehen. Ganz so ist »Waldröschen« gestaltet. Mit gleichsam gewaltig nach fernsten Räumen ausschweifenden Spiralarmen greift das Intrigengeschlinge der Handlung, und je weiter von der Mitte entfernt, um so wilder und bewegter das Geschehen. Diese Mitte selbst aber ist Stille, Idyll, ist die heile Welt, ist Waldleben und Kinderheimat, sie heißt »Rheinswalden« und liegt - kurioserweise - in der Gegend von Mainz. Schon hat auch Volker Klotz in einer Besprechung (21) auf diese originelle Struktur des Romans hingewiesen, die ja zugleich die Struktur eines Weltbildes ist. Rheinswalden, sagt er, ist die »Nadel des riesigen Zirkels«, der »Nabel der weitgespannten Abenteuerwelt«, das »relativ windstille Zentrum im tobenden Taifun der Ereignisse.« Wir fügen hinzu: Symbol und Chiffre, mystisches Zeichen dafür, daß - mit Hölderlin zu sprechen - »Versöhnung mitten im Streit« sei. Kein vollkommenes Paradies, aber ein lebenswertes Leben.

Was nun aber - um dies noch abschließend anzudeuten - jene oft angestellten Vermutungen betrifft, die man angesichts der fast uferlosen und über manches Jahrzehnt hin anhaltenden Beliebtheit Karl Mays diskutiert hat, die Frage nach dem »Geheimnis seines Erfolges«, so scheint es mir dringend an der Zeit, auf dasjenige hinzuweisen, was der Gegenstand dieser unserer Analyse gewesen ist. Sollten es nicht auch und vielleicht sogar vor allem jene Gebärden der Aufsässigkeit gewesen sein, diese Bekundungen antiautoritärer Widerspenstigkeit und plebejischen Trotzes und Stolzes, sollten es nicht die geheimen oder offenen Revolten gegen Obrigkeiten, die quasi-demokratischen Posen gewesen sein, auf die das Ressentiment seiner Leser mit innerstem Entzücken reagierte? Denn auch die Reiseerzählungen und Jugendbücher sind ja noch reichlich


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mit diesem Pfeffer gewürzt. Alle aber, der renitent gesinnte Knabe im Pubertätsalter wie der von sozialen Enttäuschungen und Demütigungen - die gibt es immer - bedrückte Erwachsene, sind solcher Tröstungen und Bestätigungen bedürftig. War dies das Geheimnis seines Erfolges? Es wäre das Schlechteste nicht.



1 »Waldröschen ...«, Reprintdruck der Munchmeyer-Ausgabe in 6 Bänden, Olms Presse, Hildesheim 1969-71 (künftig abgekürzt WR)

2 »Karl May's Gesammelte Werke«, Bde. 51-55, Radebeul 1924 ff. und Bamberg

3 WR 1

4 von Hauptmann selbst zitiert in: Das Abenteuer meiner Jugend, 2. Buch, Kap. 35 (G. Hauptmann, Die großen Beichten, Berlin 1966, 579)

5 Hans Wollschläger, Karl May, Reinbek 1965, 50

6 Claus Roxin, Zum ersten Band des »Waldröschen«-Nachdrucks, Mitteilungen der KMG Nr. 3

7 Otto Forst-Battaglia, Karl May, Bamberg 1966, 23

8 Forst-Battaglia a. a. O. 29

9 Ernst Bloch in der Frankfurter Zeitung 31. 3. 1929; u. d. T. »Traumbasar« auch KMJB 1930, 59ff. (bearbeitet); Neudruck als »Die Silberbüchse Winnetous« in »Erbschaft dieser Zeit«, Frankfurt 1962, 169 ff.

10 WR 132

11 WR20f.

12 WR 182

13 WR 192

14 WR 217

15 WR 223

16 WR 242 ff.

17 WR 272, das folgende Zitat 273

18 WR 443

19 WR 2165 f.

20 WR 2166

21 Volker Klotz, Holder Westen, wilde Heimat oder Die Entkräftung des Abenteuers, Frankfurter Rundschau, 31. 10. 1970


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