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ALBERT EHRENSTEIN

Ein »Fall« Karl May?



Ein Dichter kann sich kompromittieren, indem er zur Welt kommt. Später nicht mehr. Wenn versucht wurde, die Werke des Romanciers Karl May durch einen Konnex mit seinem empirischen Privatleben um ihre löbliche Wirkung zu bringen, so war und ist dieses Vorgehen eines Staatsanwaltes würdig. Wenn nun auch noch Konkurrenten, Schriftsteller sich eines ähnlichen Grundirrtums beschuldigen, so müssen das durchaus nicht immer Pastoren und Gouvernanten sein, die ihren Beruf verfehlt haben. Gewiß sind es Leute, welche über ein so abenteuerliches Vorleben disponieren, daß ihnen die spannenden Phantasien Karl Mays wie ein schaler, sächsischer Bliemchenkaffee vorkommen. Sollten - was ich hoffe - diese Herren ihre Namen nennen, so mache ich mich anheischig, ihre Romane zu lesen. Aber auch nachher dürfte ich daran festhalten, daß es einen Fall Karl May nicht gibt. Was ist denn los? Ein Mann, der in seiner unchristlichen Jugend gefangen ward und irgendwie wieder frei kam, ließ sich im Traum seiner Bücher x-mal gefangen nehmen und sprengte diese fiktiven Ketten ebensooft auf die christlich-sanftmütigste Weise.

Der Psychoanalytiker Alfred Adler würde mit Recht sagen, es handle sich da um eine nachträgliche Überkompensation, um einen zu zahllosen Bänden angeschwollenen männlichen Protest gegen infantile Gefangenschaften.

Ich möchte den »Fall« durch ein literarisches Beispiel beleuchten. Der amüsante Rezensent Alfred Kerr schildert seine übrigens erlebten Reisen in einer ähnlich ruhmredigen Tonart wie der Karl May, er behandelt seine übrigens verschollenen Dichter ebenso von oben herab wie Old Shatterhand die gleicherweise dazu geborenen Indianer. Wer wagt es, da von aufschneiderischer Überhebung zu sprechen? Ach, es handelt


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sich in beiden Fällen nur um die bitteren Uberlegenheiten von Anbeginn unterlegener Kritiker und Korrektoren ihres Lebens!

Was wirft man dem Typus Karl May noch vor? Er verderbe die Jugend, erziehe systematisch zu Diebstahl, Totschlag, Mord - kurz zu unbürgerlichen Abenteuern. Wenn das wahr wäre, was ich nicht glaube, schiene er mir nur ein Werkzeug der Vergeltung. Durch seinen Einfluß nähmen dann die toten Indianer schwache Rache an der polwärts fortwuchernden europäischen Kultur.

Nüchterne, besorgte Mütter wünschen ein Ende des Karl-May-Rummels. Es liegt vollkommen an ihnen, ein Ende zu machen. Ich fordere sie feierlichst auf, den Cervantes zu gebären, der diesen ehrwürdigen Don Quixote der Indianerromantik der Literaturgeschichte einverleibt.

(1912)


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