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MANFRED HECKER / HANS-DIETER STEINMETZ

Karl May in Böhmen




Man schrieb das Jahr 1888. Nur wenige Monate waren seit der Veröffentlichung von Karl Mays Jugenderzählung »Der Sohn des Bärenjägers« in »Spemanns Illustrierter Knabenzeitung: Der gute Kamerad« vergangen (1), als ebenfalls in einer für jugendliche Leser herausgegebenen Zeitschrift »Nasi Mladezi« (»Unserer Jugend«) in Prag die erste ausländische Übersetzung dieser Erzählung erschien. »Syn lovce medveduv« lautete der tschechische Titel der von Jaroslav Pekar angefertigten Nacherzählung; die Illustrationen stammten von Karel Thuma und Josef Mukarovsky. Der Abdruck erstreckte sich auf alle zwölf Hefte des Jahrgangs 1888; der Name des Verfassers wurde im Register mit K. Maya, in den Heften 1-5 jedoch mit K. Way-a und 6-12 mit K. May-a angegeben. »Unserer Jugend« erschien 1888 im 14. Jahrgang; als verantwortlicher Redakteur zeichnete Jos. Vlast. Kratky und als Herausgeber Josef Vilimek, identisch mit dem Inhaber der Druckerei und des Verlags Josef Richard Vilimek, Praha, Spalena ulice c. 13. (2) Und bereits im 15. Jahrgang erschien, wiederum auf Heft 1-12 verteilt, die Fortsetzung »Duch Llana estakada« (»Der Geist des Llano estakado«), und zwar »nach K. May, Verfasser der Geschichte "Syn lovce medvedu" frei erzählt von J. Pekar. Illustrationen von K. Thuma«. (3)

Im ersten Teil ihrer Bibliographie der tschechischen Karl-May-Ausgaben (4) haben die Verfasser den »Sohn des Bärenjägers« als erste, bereits 1890 erfolgte Buchausgabe in tschechischer Sprache nachgewiesen. Auf der letzten Seite des Dezemberheftes 1890 (»Unserer Jugend«, 16. Jg.) erschien auch eine entsprechende Anzeige: als schönes Weihnachtsgeschenk für die heranwachsende Jugend wurde dort die Erzählung aus dem Leben der Indianer Nordamerikas »Syn


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lovce medvedu« des Schriftstellers Dr. K. May, übersetzt von J. Pekar, mit Illustrationen von Venceslav Cerny, Josef Mukarovsky und Karel Thuma, angeboten. So erschien die tschechische Buchausgabe zur gleichen Zeit wie die deutsche, da die »Union Deutsche Verlagsgesellschaft« ebenfalls 1890 die »Kamerad«-Erzählungen Mays in Buchform herauszugeben begann, eingeführt mit der Verlagsankündigung: »Die Helden des Westens. Unter diesem Titel beabsichtigt Karl May eine Serie der interessantesten und spannendsten Erzählungen für die reifere Jugend zu veröffentlichen und legt uns auf den diesjährigen Weihnachtstisch als I. Band "Der Sohn des Bärenjägers".« (5)

Daß es sich bei der tschechischen Ausgabe nicht um eine unerlaubte handelte, wie bisher angenommen wurde (6), ist aus dem Umstand zu schließen, daß in Kürschners Literaturkalender für 1891 (dessen Angaben auf den Informationen der Autoren beruhten) unter Mays Werken auch der tschechische Titel des »Bärenjägers« mit dem Erscheinungsjahr 1890 angegeben ist. (7)

Verständlicherweise erhebt sich die Frage, wer der tschechische Verleger war, der mit sicherem Instinkt - aus einer Vielzahl in Deutschland erscheinender Zeitungen und Zeitschriften, unter ungezählten Schriftstellern - gerade Karl May als denjenigen herausfand, der, wie es sich sehr bald herausstellen sollte, in Böhmen geradezu zum Begriff für spannungsgeladene Abenteuerromane wurde und dies bis heute, trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen seit jener Zeit, geblieben ist. Wer war Josef Richard Vilimek?

1860 in Prag als Sohn des Verlegers und Herausgebers der »Humoristicke listy« (»Humoristische Blätter«) Josef Richard Vilimek sen. (1835-1911) und dessen Ehefrau Anna geboren, arbeitete er im Verlag des Vaters, der 1871 noch eine verlagseigene Druckerei gründete, und übernahm bereits als junger Mann im Jahre 1886 das gesamte Unternehmen bis auf die »Humoristischen Blätter«, die sein Vater bis 1906 persönlich herausgab. (8) Zur Zeit der ersten May-Veröffentlichungen stand er einem renommierten Unternehmen vor. Zeitgenossen urteilten später: »In unserer Buchhändlerpraxis war das Verlagsunternehmen des Herrn Vilimek sehr bekannt und beliebt . . . Ich erinnere mich, wie er zu Beginn seiner Tätigkeit, als er das Vaterunternehmen übernahm, schlagartig hervortrat. Das erste Mal


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riß er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf der Jubiläumsausstellung an sich, wo er in einem eigenen Pavillon das Wunder der polygraphischen Industrie, eine Rotationsdruckmaschine, aufstellte, auf der er die Ausstellungszeitung "Praha" druckte. . .« (9) Seit Beginn seiner Laufbahn wurde Josef R. Vilimek, der gewissermaßen von der Pike auf gelernt hatte, als Mann der modernen Richtung erkannt. Er hatte unternehmerisch eine glückliche Hand, vor allem in der Auswahl der Autoren, und schaffte es, trotz der älteren und erfahrenen Konkurrenz und des Vorsprunges anderer Verlagshäuser, bekannte Namen für sein Unternehmen zu gewinnen. Er verlegte viele Übersetzungen und entdeckte eine Reihe von Schriftstellern, die später als die »modernen« anerkannt wurden. Er hatte ganz konkrete Vorstellungen davon, »daß man, um das geschäftliche Gleichgewicht zu halten, doch ab und zu einen Griff zur spannenden Literatur tun muß. Solche waren Schriften von Karl May, einem Autor, der in Deutschland mit seinen Romanen Sensationen verursachte, Romanen, die sich in fernen Ländern abspielten und geschickt mit einem Übermaß ausgefallener Abenteuer durchdrungen waren. Die Schriften dieses Modeautoren brachte der Vilimek-Verlag auf den Markt in wöchentlichen, von Jos. Ulrich illustrierten Heften und erntete damit einen beträchtlichen materiellen Gewinn . . . « (10) Um welche Werke Karl Mays es sich im einzelnen handelte, ist bereits an anderer Stelle dargelegt worden. (11)

Bedauerlicherweise war es den Verfassern nicht möglich, Belege für den Beginn der Beziehungen zwischen Karl May und Josef R. Vilimek aufzuspüren. Der erste der erhaltenen und weiter unten erstmals veröffentlichten Briefe Karl Mays an Vilimek stammt von 1897. (12)

Im Jahre 1897 besuchten Karl und Emma May, von Regensburg kommend, Böhmen. »Komotau war das letzte Reiseziel. Die Route dorthin führte über Falkenau, wo der Gastwirt Franzl Scholz und seine Frau Anna zu Hause waren, die Vorbilder für die Falkenauer Wirtsleute in der Reiseerzählung "Weihnacht". Es ist durchaus möglich, daß Karl und Emma auch dort abgestiegen sind. Kurz nach Rückkehr in die Villa Shatterhand jedenfalls begann Karl May mit der Niederschrift des Bandes »Weihnacht«, der in seinem einleitenden Kapitel von der Studentenfahrt Sapphos und Carpios nach Falkenau


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berichtet.« (13) Es waren für May in Böhmen ruhigere Tage gewesen als vorher in München und Regensburg. (14) Hier war er noch relativ unbekannt, und nach Böhmen zog er sich auch im selben Jahr noch einmal zurück, um in verhältnismäßiger Abgeschiedenheit an der Reiseerzählung »Weihnacht« zu arbeiten, die zum Jahresende erschien. Domizil Mays war die Sommerfrische Birnai an der Elbe (Brná nad Labem), Post Schreckenstein (Strekov), unweit Aussig (Usti n./L.), und dort die Pension Herzig. Angeblich ließ er sich ein Zimmer leerräumen und als indianische Blockhütte einrichten, die Wände mit Waffen geschmückt. (15) Umgeben mit zahllosen Landkarten und Plänen, schrieb er Tag und Nacht bei Petroleumbeleuchtung. (16)

Es sei dahingestellt, ob er tatsächlich »Tag und Nacht« schrieb, oder ob er sich nicht auch zeitweise in der wildromantischen Umgebung des idyllisch gelegenen Fleckchens zu entspannen und gleichzeitig neue Anregungen zu holen suchte. Birnai ermöglicht schöne Wanderungen durch die an eine Wild-West-Szenerie gemahnende Prutschelschlucht, die Quark- oder Zwerglöcher, zum Tannenbuschberg, Proposcht, zur Hohen Wostrey. Von der Hohen Wostrey (585 m), an deren Fuße Birnai liegt, geht der Blick nach Westen auf das Böhmische Mittelgebirge mit seiner höchsten Erhebung, dem Milleschauer (837 m), weiter links den Kostail und die zweitürmige Hasenburg, rechts zum Teplitzer Schloßberg (390 m) und zur hohen Mauer des Erzgebirges. Nach Norden sind der Schneeberg (731 m) und der Rosenberg (620 m), nach Osten der Geltzsch bemerkbar. Besonders schön ist der Blick auf die zu Füßen des Berges liegende Landschaft und die Elbe, die an mehreren Stellen von oben sichtbar wird. (17)

Es gibt keine Anhaltspunkte, ob Karl May bei seinen Aufenthalten in Böhmen 1897 mit Jos. R. Vilimek zusammengetroffen ist. Wahrscheinlich ergab sich dies erst im folgenden Jahr, als sich erwies, daß der Schriftverkehr doch nicht das rechte Mittel war, eine engere geschäftliche Verbindung zwischen Autor und Verleger herzustellen. May war verständlicherweise stark daran interessiert, einen günstigen Vertrag abzuschließen, der die Beziehungen ein für allemal juristisch einwandfrei klärte und denkbare Komplikationen ausschloß. Ob ihm tatsächlich - man sollte es wohl nicht glauben - noch elf Offerten (18) vorlagen, wird heute kaum mehr nachweisbar sein und ist auch


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nebensächlich. Anzunehmen ist, daß er von Anfang an die Absicht hatte, Jos. R. Vilimek den Vorzug zu geben.

Zu Verhandlungen kam es im Oktober 1898. Unmittelbarer Anlaß mag jenes bruchstückhafte Inserat gewesen sein, dessen Inhalt Karl May empört hatte. (19) Am 12. Oktober reiste er nach Prag und bezog in der Hybernska 2, im »Hotel de Saxe« Quartier. Bereits zwei Tage später, am 14. Oktober, erfuhren die Prager von der Anwesenheit des berühmten Reisenden und Schriftstellers Dr. Karl May in ihrer Stadt, wo er sich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Kriegspfad befand, wie der nebenstehend faksimilierten ganzseitigen Anzeige in der »Bohemia« (20) zu entnehmen war.

Mays Erklärung erschien bereits am 15. Oktober in der Wiener Tageszeitung »Vaterland« mit dem Titel »Eine Verwahrung des Dr. Carl May«. (21) Aber auch tschechische Zeitungen nahmen den Vorfall zum Anlaß breiter Erörterungen, so beispielsweise »Katolicke listy« am 16. Oktober in ihrer Nr. 284 und »Nasinec« am 30. Oktober in der Beilage zu Nr. 123. Die Mitteilung von der gütlichen Einigung erschien in der »Bohemia« an Mays Abreisetag, dem 19. Oktober:

Noch im Jahr zuvor hatte May ruhige Tage in Böhmen verlebt. Aber die groß in der Zeitung aufgemachte Ankündigung, wo er abgestiegen sei, nämlich im vornehmen »Hotel de Saxe«, hatte bewirkt, daß er dort bald von seinen jugendlichen Verehrern bestürmt wurde. Wortführer seiner Klassenkameraden war der damals dreizehnjährige Egon Kisch,


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[Reprintierte Anzeige Mays (44Kb-Gif)]


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der spätere »rasende Reporter«, und dieser gestand noch in reiferen Jahren, daß er »ihn mit zitterndem Herzen« aufgesucht habe und von May ein Autogramm erhielt, »mit Dr. Carl May gezeichnet, es war ein Gegenstand des Neides aller meiner Mitschüler«. (22) Und der Vilimek-Redakteur Jaroslav Janecek erinnerte sich später: »Ich sah einmal den Autor Dr. Karl May, einen fünfzigjährigen bebrillten Herrn stattlicher Statur, der sich in seinen Romanen gern als sich selbst, als eine herausragende Persönlichkeit, die durch Witz, physische Geschicklichkeit und unwahrscheinliche Kraft ausgezeichnet ist, darstellte, während des Besuches in Prag im lebendigen deutschen Gespräch mit unserem Administrationsdirektor Cecetka, der mir danach seinen Eindruck von ihm als einem Menschen, der unter Größenwahn leidet, schilderte.« (23)

Noch im Jahre 1898 erschien die vereinbarungsgemäß überarbeitete Ausgabe »Durch die Wüste« als erster Band des Zyklus »Auf der Spur einer bösen Tat«, und 1900 war mit dem »Schut« der sechsbändige Orient-Zyklus abgeschlossen. Der Schriftsteller Karl May hatte seinen festen Platz im Verlag Jos. R. Vilimek und in den zur Information vom Verlag herausgegebenen Bücherverzeichnissen gefunden.

Nach den Verzeichnissen zu Beginn der neunziger Jahre verlegte das Unternehmen bereits (die vergriffenen Werke nicht inbegriffen) 389, im Jahre 1898 schon 744 und 1905 immerhin 960 Titel, und so sei in groben Zügen dargelegt, in welcher Gesellschaft sich Karl Mays Reiseerzählungen befanden. Schon im Jahre 1895 versuchte Jos. R. Vilimek theoretisch abzuleiten, wie ein vorbildliches Buch aussehen sollte. Praktisch zeigte er es in seinen Editionen. Berühmte Autoren, von denen Gesammelte Werke herausgegeben wurden, waren, um nur einige Beispiele zu nennen: Honore de Balzac, Charles Dickens, Alexandre Dumas (d. Ä.), Heinrich Heine, Victor Hugo, Henryk Sienkiewicz, Rudyard Kipling, Guy de Maupassant, Alexander Puschkin, L. N. Tolstoi, Anton Tschechow, Iwan Turgenjew, Jules Verne, H. G. Wells, Emile Zola. Illustrierte Romane wie der »Wandernde Ritter« Walter Scotts u. a. erreichten hohe Auflagen. In 41 Bänden wurde eine »Humoristische Bücherei« präsentiert und für die Jugend zunächst die »Bibliothek des Kleinen Lesers« (71 Bde.), danach die »Bibliothek für die heranwachsende Jugend« (53 Bde.) mit Titeln


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von Verne, Tissot, Malot, Gogol, Tolstoi, Hugo, den beiden genannten May-Titeln und vielen anderen. Außerhalb dieser Sammelwerke und Reihen wurden Kalender und verschiedene Zeitschriften verlegt, ausgesuchte Schauspiele für Laienspieler (44 Bde.), Lehrschriften zur Weiterbildung auf allen Gebieten des Wissens, Übersichten der bulgarischen, schwedischen und polnischen Literatur in der »Bibliothek der Kultur und Geschichte«, Biographien berühmter Persönlichkeiten und vieles andere.

Vor Weihnachten 1899 vernichtete ein Brand die 1871 eingerichtete und ständig auf den neuesten Stand der Technik gebrachte Druckerei. Jos. R. Vilimek baute die Buchdruckerei, die Chemiegraphie, Stereotypie und Galvanoplastik modern und erweitert wieder auf. Im Herbst 1900 trat Vilimek seine einzige Reise nach Radebeul an. Es ging um die Herausgabe des »Winnetou«, und eine persönliche Absprache über die Festlegung der Modalitäten schien beiden Parteien unumgänglich. Leider kam das Treffen in der Villa Shatterhand nicht zustande, da Vilimek sich nicht rechtzeitig angemeldet hatte und Karl May sich gerade an diesem Tag in Weimar aufhielt. (24)

Im Frühjahr 1903 fragte May bei seinem tschechischen Verleger an, auf welche Bände er noch reflictire; als Begründung dafür gab er an, daß man ihn von Wien aus, auch aus Graz, um das Übersetzungsrecht in das Böhmische bestürme. (25) Und einige Monate später bekam er aus Prag eine Nachricht, die ihn veranlaßte, genauere Erkundigungen einzuziehen. Jos. R. Vilimek hatte ihn von einer Übersetzung unterrichtet, deren Vorrede mit der Überschrift »Milovnikum a pratelum poutavého cteni!« (»Liebhaber und Freunde spannender Lektüre«) begann und aus dem Verlag Aloys Hynek stammte.

Das Unternehmen Hynek umfaßte Papiergroßhandlung, Buchbinderei, Papiergeschäft, Verlag und Buchhandlung und bestand seit Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts in der Celetaná ulice c. 11 n., der Hauptgeschäftsstraße des alten Prag. Zwischen den beiden Verlagen - Jos. R. Vilimek und Alois Hynek - bestand eine Konkurrenz. So hatte z. B. Hynek begonnen, Jules Verne zu verlegen, und gleich zog Vilimek nach. Umgekehrt ging es im Fall Karl May: Vilimek begann und Hynek zog nach. Aus dem Verlag Hynek kam eine Großzahl von Sammlungen: eine »Tschechische Bibliothek« (ab


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1882, 60 Bde.), eine »Bunte Bibliothek«, (ab 1910, 150 Bde.), die »Bibliothek der Unterhaltung und der Bildung«, für die Jugend die »Kinderbibliothek« (ab 1881), die »Bibliothek der Jugend« (ab 1882), die »Schatztruhe der Jugend« (104 Bde.), das »Bildende und unterhaltsame Lesen« (85 Bde. in zwei Reihen). Hynek gab auch einige haus- und landwirtschaftliche Schriften heraus sowie Briefmarkenalben, Theatertexte, Landkarten und Zeitschriften.

In dem einzigen den Verfassern vollständig vorliegenden Brief Jos. R. Vilimeks an Karl May, der in der »Bibliothek des Nationalmuseums der CSSR«, Praha, in Kopie aufbewahrt wird, geht es um diesen Konkurrenz-Verlag Alois Hynek; aus dem Brief geht auch hervor, um welche nichtautorisierte Karl-May-Ausgabe es sich bei diesen Büchern für »Liebhaber und Freunde spannender Lektüre« handelte:

V Praze, den 21. 12. 1903

Sehr geehrter Herr Doktor!

Vorerst muß ich meiner Freude darüber Ausdruck geben, dass Sie Ihre Krankheit wieder glücklich überstanden haben (26) und die Festtage gesund und wieder hergestellt werden genießen können, wozu ich Ihnen die herzlichsten Wünsche darbringe. Den Inhalt Ihres Geschätzten v. 19. d. höflichst beantwortend, kann ich meine Verwunderung nicht verschweigen, daß Sie heute so schreiben, als ob ich mich bei Ihnen schon über die unbefugte Herausgabe Ihrer Romane »Durch drei Welttheile« (27) seitens der Firma A. Hynek Prag nicht beschwert hätte und Sie mir darauf nicht bereits geantwortet hätten. Ich lege die beiden Copien meiner diesbezüglichen Briefe bei, berufe mich auf Ihr Geschätztes vom 24. October a. c. und hoffe, dass Sie nunmehr über die Sache informiert sein werden. Also nicht ich, sondern die Firma A. Hynek in Prag gibt Ihre Romane unbefugt heraus, eine Firma, die bei uns denselben Ruf hat, wie z. B. Münchmeyer in Dresden, und die sich sonst nur mit blutigen Schundromanen zu befassen pflegt, also dem Namen Dr. May keine Ehre macht. Ich benütze diese Gelegenheit, um Ihnen die weitere Herausgabe Ihrer Werke anzumelden, und werde ich mit dem ersten Theile des »Im Reiche des silbernen Löwen« fortsetzen. Da ich mit diesem Werke eine größere Aktion unternehmen will, so beabsichtige ich dasselbe in 6000 Exemplaren herauszugeben, und überweise Ihnen in Gemässheit unseres Vertrages beigeschlossen an Honorar Mrk. 360,- resp. nach Abzug meines Guthabens per Mrk. 60,- den Betrag von Mrk. 300,- mit dem höflichen Ersuchen, mir den Empfang gefälligst bestätigen zu wollen. Schließlich bitte ich noch der uns beide schädigenden unbefugten Herausgabe Ihrer Romane volle Aufmerksamkeit zu widmen und mich gef. von den unternommenen Schritten zu verständigen.

Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung zeichne ich

ergebenst Jos. R. Vilimek.


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Vilimek hatte den Verdacht, daß May sich geheim mit Alois Hynek vereinbarte, welcher in der Folge nicht weniger als 20 May-Bände in tschechischer Sprache herausgab. Diesen Verdacht teilte Vilimek am 3. 8. 1905 ganz offen May mit. Da er keine günstige Antwort erhielt, betrachtete er dies als Bruch des Vertrags und erfüllte den Vertrag auch seinerseits nicht mehr. Es ist ja wahr, daß May gegen Hynek niemals mit einem einzigen Wort einschritt, seine tschechischen Ausgaben duldsam hinnahm . . . (28) Jedenfalls wurden die Honorarzahlungen aus Prag spärlicher, und die wenigen Briefe, die in den Folgejahren aus Radebeul an Vilimek abgingen, beschäftigten sich fast nur noch mit Geldfragen. Tatsache ist, daß noch 1908 bei Jos. R. Vilimek neue Auflagen der meisten, in den Vorjahren bereits zum Teil mehrfach aufgelegten Werke Karl Mays erschienen. Und Tatsache ist ferner, daß May in der Hybernská 8, unweit vom »Hotel de Saxe«, im Handelsgericht der Stadt Prag am 2. Juni 1908 Klage gegen die Firma Jos. R. Vilimek wegen »Gestattung der jederzeitigen Büchereinsicht« erhob. Von diesem Verfahren hat sich nur das Protokoll erhalten. Aber auch dieses dreiseitige handschriftliche Protokoll läßt den wesentlichsten Teil der Verhandlung verständlich erscheinen. (29)

Geschäftszahl Cg IV 31/8

5

Mündliche Verhandlung vor dem k.k. Handels-Gerichte in Prag, Abtheilung IV, am 2. Juni 1908.

Gegenwärtig:
1. k.k. Vicepräs. Ritter Des Loges als Vorsitzender
2. kais. R. Ronz
3. k.k. L. G. R. Dr. Isak als beisitzender Richter
Rechtsprakt. Kutschera als Schriftführer.

In der Rechtssache des Dr. Karl May, Schriftsteller in Radebeul-Dresden, Klägers, vertreten durch Dr. Arthur Freund Adv. in Prag, wider die zert. Firma Jos. R. Vilimek in Prag, Beklagten, vertreten durch Dr. Leopold Katz Adv. in Prag, wegen Gestattung der jederzeitigen Büchereinsicht, erschienen bei Aufruf der Sache um 9 Uhr vormittags:

1. der Kläger und Dr. Arthur Freund, Vollmacht in den Akten
2. für die Beklagte Dr. Katz, Vollmacht in den Akten.
Statt zu verhandeln, haben die Parteien nachstehenden Vergleich geschlossen:

I. Der H. Vertreter der Geklagten Firma Josef R. Vilimek in Prag anerkennt die Verpflichtung, dem Kläger H. Dr. Karl May beziehungsweise dessen Vollbemächtigten,


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der jedoch nicht aus der Konkurrenz der Klagsbuchhändler und Drucker entnommen werden darf, jederzeit die Einsicht in ihre die Geschäftsverbindung mit H. Dr. Karl May betreffenden Geschäftsbücher zu gestatten.

II. Der H. Dr. Karl May und dessen Rechtsfreund H. Dr. Arthur Freund nehmen diesen Antrag an und lassen von der Klage ab.

III. Das Interesse an dem Streitgegenstand wird einverständlich mit 1500 Kronen bemessen. Die Kosten werden gegenseitig aufgehoben.

Nach Durchsicht gefertigt:

Karl May       Dr. Arthur Freund         Dr. Katz

Geschlossen und gefertigt um 9 1/2 Uhr vormittags.

Kutschera

Des Loges

Aufgrund dieses Vergleichs sandte Vilimek noch im Juni 1908 an Karl May einen Kontoauszug über die zwischen 1898 und 1907 bezogenen Honorare sowie eine Bestätigung der böhmischen graphischen Gesellschaft »Unie« über die Zahl der Auflagen. Auf diese Sendung bezieht sich der letzte noch zu ermittelnde Brief Mays an Vilimek vom 1. August 1908 (30), der das im Anschluß abgedruckte Brief-Konvolut abschließt. Nach der 1909 erfolgten dritten nichtillustrierten Auflage der Bände 4-6 stellte Jos. R. Vilimek das Erscheinen seiner May-Ausgaben ein.

Manches mußte bei der Darstellung der Beziehungen Karl Mays zu seinem Verleger Vilimek offen bleiben, manche Widersprüche im Verhalten beider Partner bleiben bestehen. Das Verdienst, große Sorgfalt in die Gestaltung und Ausstattung seiner Karl-May-Ausgaben gesteckt zu haben, kann Vilimek bestimmt nicht abgesprochen werden. Er zog die bedeutendsten Illustratoren jener Zeit für die Bebilderung seiner Karl-May-Ausgaben heran. (31) So beispielsweise Karel Ladislav Thuma (1853-1917), Josef Ulrich (1857-1930) und Venceslav Cerny (1865-1936). Und sein Verdienst ist es sicher auch, Karl Mays Werk in Böhmen einem breiteren Publikum nähergebracht zu haben, und zwar zu einer Zeit, als sich das tschechische Volk im nationalen Aufbruch befand. Der spätere May-Übersetzer Jaroslav Moravec wies auf »die Merkwürdigkeit« hin, »daß das tschechische Achtmillionen-Volk unter seinen gelesensten Autoren Karl May hatte«. Zu den Gründen, warum Karl May auch übersetzt und im Ausland gelesen wird, zählt Moravec das Fehlen von »Aggressivität gegen eine andere Rasse« in Mays Werk: »Heute, wo es sich um das ruhige Miteinanderleben der Völker handelt, kann man nicht einen


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Autor außer acht lassen, der zu so viel Völkern gesprochen hat und der einen so großen Einfluß auf seine Leser hat. Ich meine damit sein Bestreben nach dem Weltfrieden, seine Humanität und Menschlichkeit und die darauf aufgebaute Weltanschauung.« (32)



1 Januar bis September 1887 (nach: H. Wollschläger, Karl May, Reinbek 1965, 55)

2 Standort des Zeitschriften-Jahrgangs: Bibliothek des Nationalmuseums der CSSR, Praha, 83 B 8, Staatsbibliothek der Tschechischen Sozialistischen Republik (CSR) Praha, 54 C 394

3 »Nasi Mladezi«, XV. Jg. 1889 (Standort: Staatl. Wiss. Bibliothek, Olomouc-Olmütz II 310843). Den Hinweis verdanken die Verf. Herrn Mirko Velinsky, Leiter der Sektion der Bibliotheksdienste und Spezialabteilungen an der Staatsbibliothek der CSR, Praha.

4 vgl. Mitt.-KMG, Nr. 22 (Dez. 1974), S. 9 f.

5 zitiert nach: Heinz Neumann, Karl Mays frühe Buchausgaben und ihre Verwandlungen (Mitt.-KMG Nr. 17, Sept. 1973, S. 9 f.)

6 Emanuel Kainz, Das Problem der Massenwirkung Karl Mays. Diss. Wien 1949, 105 ff.

7 Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1891, 575 f.

8 Nach Informationen von Dr. Richard Khel, mitgeteilt von Dr. Karel Bezdek, Leiter der Abteilung für Buchkultur und Information an der Bibliothek des Nationalmuseums der CSSR, Praha.

9 Karel Sezima, Jos. R. Vilimek. Osobnost i zavot. Uvahy a vzpomiky, Praha 1937, Abschnitt: Eduard Weinfurter - Persönlichkeit und Werk von Jos. R. Vilimek, 151 ff. (Staatsbibliothek des CSR, Praha, SYF 12149, Bibliothek des Nationalmuseums der CSSR, Praha, 91 H 95). Die deutsche Übersetzung verdanken die Verf. Herrn Werner Sobota.

10 siehe Anm. 9, Abschnitt: Jaroslav Janacek, Redakteur bei Vilimek, 66 f.

11 Mitt.-KMG Nr. 22, S. 9 ff. und 23, S. 13 ff.

12 Veröffentlichungsbefugnis für die Briefe Karl May - Jos. R. Vilimek (für den deutschen Sprachraum) seit 24. 5. 1967 bei Manfred Hecker. Standort der Originale: Literar. Archiv PNP, Praha.

13 Fritz Maschke, Karl May und Emma Pollmer, Bamberg 1973, S. 76

14 siehe Claus Roxin, »Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen, Jb-KMG 1974, 15 ff.

15 »Im Herzen Europas«. Tschechoslowakische Monatsschrift, Praha, Mai 1966, S. 8

16 Hans Wollschläger, Karl May, Reinbek 1965, S. 67

17 »Sächsische Schweiz«. Woerl's Reisebücher-Verlag, Leipzig 1933, 96

18 Brief Mays an Vilimek vom 18. 5. 1898 (siehe Brief-Dokumentation)

19 Brief Mays an Vilimek vom 12. 7. 1898 (siehe Brief-Dokumentation).

20 Bohemia, Praha, Nr. 283, 7 (vgl. auch Mitt.-KMG Nr. 22, S. 11). Die tschechische Überschrift der beiden Inserate bedeutet »Abenteuerliche Reisen« und war der Obertitel der von Vilimek bereits vorbereiteten und angekündigten Hefte.

21 Ermittlung und Nachweis dieses Nachdrucks verdanken die Verf. Herrn Dr. Franz Cornaro, Wien.

22 Egon Erwin Kisch, Ms.: Literar. Archiv PNP, Praha, III g 11; 31/5. Vgl. auch die Episoden-Schilderung in: Friederike Hübner, Knoblauch, Kunst und Kindheit in Prag. Heilbronn 1975, S. 66-73.

23 siehe Anm. 10. Vgl. hierzu auch Roxins Ausführungen in: Jb-KMG 1974 (wie Anm. 14)


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24 Brief Mays an Vilimek vom 21. 9. 1900 (siehe Brief-Dokumentation)

25 Brief Mays an Vilimek (undatiert) mit der gedruckten Danksagung vom 25. 2. 1903 »An alle meine lieben Gratulanten«

26 zur Krankheit Mays vgl. Jb-KMG 1972/73, 107

27 Gemeint ist der Karl-May-Roman »Deutsche Herzen - deutsche Helden« (vgl. Vorwort zur Reprint-Ausgabe dieses Romans, Hildesheim 1976). Hynek hatte, wie er später Karl May mitteilte, die Übersetzungsrechte vom Verlag H. G. Münchmeyer (Adalbert Fischer) erworben und seine Übersetzung auch aufgrund der sog. »Fischer-Fassung« erstellen lassen. (Anm. d. Red.)

28 Mitteilung von Jaroslav Moravec an die Verf. vom 19. 12. 1973. Anm. d. Red.: Wohl protestierte May bei Alois Hynek gegen die nicht autorisierten Übersetzungen, doch fand er wohl aufgrund der damaligen unsicheren Urheberrechts-Lage im Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und der k. und k. Monarchie keine rechtliche Handhabe, um gegen Hynek vorzugehen. Hynek berief sich darauf, daß May auf alle Anfragen wegen Übersetzungsrechten mit keinem Wort reagiert hätte. Eine Veröffentlichung der betreffenden im Karl-May-Verlag liegenden Briefe und Dokumente, die die vorliegende Arbeit ergänzen und abrunden könnten, wäre wünschenswert.

29 An dieser Stelle möchten die Verf. den Herren Dr. Josef Görner und Dr. V. Hrnby von der Staatlichen Archivverwaltung, Praha, für die so bereitwillig übernommenen und durchgeführten Ermittlungsarbeiten, sowie dem Außenministerium der CSSR und der Botschaft der CSSR in der DDR für die Zustellung der Mikroaufnahmen ihren herzlichsten Dank aussprechen.

30 nicht, wie irrtümlich in den Mitt.-KMG Nr. 22 angegeben, am 1. Sept. 1908. Original des Briefs: Bibliothek des Nationalmuseums der CSSR, Praha.

31 Dr. R. Khel, Karl May und sein tschechischer Verleger, in: Im Herzen Europas. Tschechoslowakische Monatsschrift, Praha, Juli 1965

32 Jaroslav Moravec, Die tschechischen Übersetzungen Karl Mays, in: KMJb 1921 (Radebeul), 262 ff.

Der teilweise seit Jahren währenden tatkräftigen Unterstützung von Einzelpersonen und staatlichen Institutionen der CSSR gebührt unser aufrichtiger Dank. Ganz besonders Herrn Dr. Jaromir Louzil, der am 24. 5. 1967 als damaliger Leiter des Literarischen Archivs im Museum des Nationalen Schrifttums (PNP), Praha-Strahov, die Veröffentlichungsbefugnisse (für den deutschen Sprachraum) der May-Vilimek-Briefe erwirkte, sowie dem Ministerium der Justiz der CSR, das über den Rahmen des Rechtshilfevertrags Nr. 38/1957 Slg. umfangreiche Hilfe und Unterstützung gewährte.

Die Wiedergabe der tschechischen Wörter und Buchtitel erfolgte aus drucktechnischen Gründen (wie innerhalb deutschsprachiger Texte meistens üblich) ohne die spezifisch tschechischen Akzente.


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