//211//

WILHELM VINZENZ

Karl Mays Reichspost-Briefe

Zur Beziehung Karl Mays zum "Deutschen Hausschatz"



Seit Anfang der 80er Jahre gewähren die Erträge seiner Schriftstellerei Karl May ein halbwegs gutes Auskommen. Wenn ihm um 1890 Zahlungsklagen ins Haus stehen, dann weniger wegen der Dürftigkeit seiner Einnahmen als vielmehr wegen seiner Leichtfertigkeit in Geldangelegenheiten. Das Ehepaar May lebt gelegentlich über seine Verhältnisse. Als 1892 im Verlag Fehsenfeld in Freiburg die bekannten grüngoldenen Bände erscheinen, haben die Finanznöte ein Ende. Fand May seine Gemeinde bisher hauptsächlich unter den Lesern des katholischen Familienblatts "Deutscher Hausschatz" und der Knabenzeitschrift "Der Gute Kamerad", so gewinnt er nun in weiteren Kreisen Ruhm und Ansehen. Der Schriftsteller genießt die Gunst der Stunde und läßt durchblicken, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi seien niemand anderer als Karl May, und die ursprünglich als »Reiseromane«, nunmehr als »Reiseerzählungen« bezeichneten Geschichten seien keineswegs Erfindung. 1896 zeigen Fotos »Dr. Karl May« in Wildwestleder oder Türkenhose: »Das Kostüm ist dasselbe, wie Karl May es auf seinen Reisen getragen hat.«(1) Bieder und gläubig berichten die Zeitungen über »den Mann, der die ganze Welt bereist hat, der über 1200 Sprachen und Dialekte versteht, den letzten Vertreter der Romantik des wilden Westens«.(2)

   Die Bücher Mays werden in der Presse durchweg gelobt - oder nicht beachtet. Lediglich die Frankfurter Zeitung soll laut May schon Weihnachten 1897 gegrollt haben, er gehöre auf den Index.(3) Das Jahr 1898 bringt mehr Abwechslung in die guten Gaben des Schicksals: Geld, Weihrauch - und Murren. Der "Wanderer" (St. Paul, USA) warnt am 16.2.1898 vor May, und Karl Muth geht in seiner unter dem Decknamen Veremundus veröffentlichten Broschüre "Steht die Katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?"(4) Anfang August 1898 mit dem Hausschatz hart ins Gericht. Er habe »das zweifelhafte Verdienst, ihn (den Abenteuerroman) unter der Firma Karl May in weiten Kreisen eingebürgert zu haben«. Jugendschriftsteller, literarische Geschmacksverderbnis, Karl-May-Kultus, reiseliterarische Taxiliaden,


//212//

religiöse Phrasen, erzieherisch nicht ganz einwandfrei, auf rein stoffliche Wirkung berechnet, literarische Bedeutungslosigkeit: diese unfreundlichen Stichworte bewegen May immerhin, sich beim Verleger dieser Kritik nach dem Urheber zu erkundigen.(5)

   Etwa zur gleichen Zeit, von diesen herben Tönen vielleicht nicht unbeeindruckt, trennt sich May vom "Hausschatz", schreibt, sichtlich um Qualität bemüht, "Am Jenseits" und tritt am 26.3.1899 seine Reise in den Orient an, von der er erst am 31.7.1900 nach Radebeul zurückkehrt.

   Während seiner Abwesenheit wird May erneut massiv angegriffen. Die kurze Zuschrift eines Lesers an den Bayerischen Kurier vom 31.5.1899, May sei »ob seiner gefährlichen Phantasie für die Jugend« aus den Mittelschulen verbannt worden, veranlaßt den Feuilletonredakteur der Frankfurter Zeitung, Fedor Mamroth, am 3.6.1899 seine wenig schmeichelhafte Meinung über den Reiseerzähler zu sagen. Die sich anschließenden Ergänzungen und Zuschriften von Fehsenfeld und Mays Freund Richard Plöhn beendet die Frankfurter Zeitung am 7.7.1899 mit einem Zitat aus der Kölnischen Volkszeitung vom 5.7.1899, die May ebenfalls scharf kritisiert hatte.(6) Unter Richard Plöhns Namen wehrt sich May in der Tremonia (Dortmund) vom 27.-29.9.1899. Die unheilschwangere Bemerkung des "Wanderers" im fernen St. Paul vom 23.8.1899, May habe auch »Schundromane (Die Liebe des Uhlanen, Waldröschen usw.) geschrieben«, bleibt in der Öffentlichkeit unbeachtet.(7)

   Wenn man davon absieht, daß May 1901 für eine Parodie in der Faschingsnummer der Münchener Neuesten Nachrichten herhalten muß, dann hatte der Schriftsteller ab Herbst 1899 äußerlich gesehen eine ruhige Zeit. Im privaten Bereich liegen die Dinge anders. Die während der Orientreise offenkundig gewordene Krise in seiner Persönlichkeitsentwicklung gärt weiter. Das Verhältnis zur Ehefrau Emma gestaltet sich immer unerquicklicher. Am 14.2.1901 stirbt der Freund Richard Plöhn. Seine Witwe Klara übersiedelt für zwei Wochen in die Villa Shatterhand.

   Zur gleichen Zeit geht Adalbert Fischer daran, die von ihm gekaufte Firma Münchmeyer gewinnbringend aufzubauen. Er wirbt aufwendig für die illustrierte Neuausgabe der 1882 - 1887 erschienenen Kolportagewerke Mays. Im "Wahlzettel" und im "Börsenblatt" unterrichten Ende März 1901 Fischer und May den Buchhandel über ihre sehr unterschiedlichen Standpunkte. Gierig greift die Presse den Fall auf: Der fromme, »katholische« Karl May, eben erst mit der Gedichtsammlung "Himmelsgedanken" hervorgetreten, verfaßte recht irdische Schundromane!


//213//

   Wir bringen nachstehend vier Beiträge der "Reichspost" in Wien aus der Anfangsphase jener Auseinandersetzungen, in deren Verlauf schließlich sogar die Haftstrafen des Dichters ans Licht gezerrt wurden. Am 3.4.1901 druckt das Wiener Blatt eine kurze Notiz. Es folgen am 17.4. ein Brief Mays (datiert 15.4.1901) an den Chefredakteur der Reichspost Ambros Opitz(8), am 9.5. eine Erklärung des Verlags Friedrich Pustet in Regensburg (datiert 29.4.1901) und am 18.5. eine Entgegnung von Karl May (datiert 12.5.1901).


Reichspost, 3. April 1901

Carl May's Name hat in der katholischen literarischen Welt nicht mehr den Namen, den er früher besaß. Es sind dafür eine Reihe von Gründen maßgebend. Neulich erschienen sogar schmutzige Colportageromane mit seinem Namen, die noch schmutziger illustrirt waren. Nun hat Carl May gegen die Veröffentlichung dieser Romane, welche aus seiner früheren Periode stammen sollen, protestirt und im Buchhändler-Börsenblatt angekündigt, daß er gegen den Verleger Münchmeyer in Dresden gerichtliche Schritte unternehmen wird. Was den Roman »Uhlanenliebe« betrifft, der jetzt in der illustrirten Ausgabe im Verlage Münchmayer erscheint, so ist derselbe derartig anstößig, daß er nicht als Volkslectüre empfohlen werden kann. Carl May will den genannten Roman in einer früheren Periode geschrieben haben, die wohl als Sturmperiode des Schriftstellers bezeichnet werden muß. Doch sein früherer Verleger Münchmayer will nach seiner Erklärung im Buchhändler-Börsenblatt sich an den Protest des Verfassers nicht kehren, so daß mit Recht die May-Verehrer vor dieser illustrirten Ausgabe, die in Dresden erscheint, gewarnt werden müssen. Was den Abbruch der Beziehungen des Reise-Schriftstellers zu der Redaction des »Deutschen Hausschatzes« betrifft, so hat die Redaction deshalb die Verbindung lösen müssen, weil May auf ein viel zu hohes Zeilenhonorar Anspruch erhob. - So viel wir wissen, war dies aber nicht der einzige Grund.


Reichspost, 17. April 1901

Ein Brief von Carl May.

Wir brachten kürzlich eine Notiz über Carl May, den berühmten Reise-Romancier, welche mit Bedauern davon Kenntniß gab, daß jetzt May's Jugend-Romane zur Neuausgabe gelangen, die sittenwidrigen Colportage-Romanen ähnlicher sind als die späteren, in ethischer Beziehung vollkommen tadelfreien Reise-Romane des berühmten und in der katholischen Lesewelt beliebten Schriftstellers. Gleichzeitig constatirten wir, daß der »Deutsche Hausschatz«, in welchem die May-Romane zumeist erschienen, ehe sie in Buchform herauskamen, alle Beziehungen zu May gelöst habe, angeblich wegen zu hoher Zeilen-Honorar-Forderung May's, thatsächlich auch aus anderen Gründen. Wir schrieben diese Notiz absichtlich, um Carl May selbst zu einer Entgegnung Anlaß zu geben, welche Klärung in eine Sache bringen sollte, um die sich ein großer Theil unserer Leser sehr interessirt, und trugen Sorge, daß ihm diese unsere Notiz mit Angabe dieses ihres Zweckes von Freundeshand übermittelt werde. Heute erhalten wir nun von Carl May selbst folgendes ausführliche Schreiben, welches wir wörtlich mittheilen, und dem verschiedene weitere in Blättern erschienenen Belege angeschlossen waren. Obschon dasselbe nicht über alle sich an den Namen Carl May neuerdings knüpfende Erörterungen in der katholischen Presse Aufklärung gibt, wird sein Inhalt doch wesentlich zur Klärung beitragen, und zwar in erwünschtem Sinne. Der interessante Brief lautet:

R a d e b e u l, Dresden, Villa »Shatterhand«, 15. April 1901.

Hochgeehrter Herr Redacteur!

Soeben geht mir die Nr. 77 Ihrer »Reichspost« vom 3. April c. zu. Mein Vertrauen zu Ihrer


//214//

Gerechtigkeitsliebe gibt mir die Überzeugung, daß ich mich mit gegenwärtiger Berichtigung nicht erfolglos an Sie wenden werde.

   Ich habe nun über ein Vierteljahrhundert lang an der schriftstellerischen Aufgabe gearbeitet, die deutsche Volksseele hinaus zu fremden Völkern zu führen, damit sie die Seelen dieser Völker kennen und lieben lerne, und sich für den Gedanken begeistere, daß diese Seelen ebenso wie sie Gott dem Herrn gehören, welcher der Urquell alles Hohen, Edlen und Schönen ist. Diese Missionsarbeit ist nicht ohne Erfolg gewesen. Ich wurde und werde noch heute von mehr als Hunderttausenden gelesen, was neben anderen Gründen vorzüglich auch dem Umstande zuzuschreiben ist, daß ich niemals ein ethisch anfechtbares Wort geschrieben habe, schreibe oder auch noch schreiben werde.

   Jetzt nun tritt ein mir vollständig fremder Verleger mit  s o g e n a n n t e n  Werken von mir auf. Er hat einen Verlag gekauft, für welchen ich früher einmal geschrieben habe,  g a n z  e b e n s o  s i t t l i c h  r e i n  wie stets. Er hat diesen Verlag eingestandenermaßen nur zu dem Zwecke gekauft, meine alten Werke, welche dem Verlage  l ä n g s t  n i c h t  m e h r  g e h ö r e n  und zum Theil auch schon in meine Reisebände aufgenommen worden sind, ohne daß selbst der strengste Sittenrichter an ihnen auch nur das Geringste auszusetzen gefunden hätte, in einer seinen Zwecken entsprechenden  U m a r b e i t u n g  herauszugeben. Welche Zwecke das sind, sieht man den beigegebenen Illustrationen sofort an, ohne daß man zu wissen braucht, daß ihm in kurzer Zeit schon zwei unsittliche Romane confiscirt worden sind und er am vergangenen 5. April wegen unzüchtiger Schriften wieder zu einer Strafe von 900 Mark oder 80 Tagen Gefängniß verurtheilt worden ist.

   Er hat trotz aller meiner Warnungen meine 1 ½jährige Abwesenheit in Asien und Afrika dazu benutzt, diese Ausgabe vorzubereiten, und zwar in der Überzeugung: wenn er auf meinem Namen reise, werde er bis zur Beendigung des Processes, so viel Geld zusammenbringen, daß ihm eine Strafzahlung von einigen tausend Mark gar nicht geniren könne.

   Die Presse hat diese angeblichen »Carl May's illustrirte Werke« streng verurtheilt: ich  t h u e  d a s  n o c h  v i e l  s t r e n g e r  a l s  s i e  und habe es also wohl nicht verdient, daß man es nicht bei der Sache bewenden läßt, sondern in einer Weise persönlich wird, welche nur bei solchen Personen zu begreifen ist, welche meine Werke entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben und mich für nichts als einen Indianer- oder Beduinen-Schriftstellerhalten, in dessen Büchern das Reiten, Hauen, Schießen, Stechen ec. die Hauptsache ist. Nur Derjenige, dem die in meinen Werken lebende Seele  v o l l s t ä n d i g  f r e m d  g e b l i e b e n  ist kann es für möglich halten, daß ich die Verrücktheit begehe, durch ein Einvernehmen mit jener Verlagsbuchhandlung an mir selbst, an meinem Namen und meinen Erfolgen zum gewissenlosen Mörder zu werden!

   Es handelt sich nicht, wie Sie irrthümlich sagen, um meine früheren Verleger, sondern um einen fremden Käufer der Firma, welcher kein Wort von den damaligen Abmachungen kennt - -auch nicht um Erzeugnisse einer Sturmperiode, die ich niemals gehabt habe, sondern um Bearbeitungen vollständig sittenreiner Originalarbeiten von mir. Dieser Proceß wird endlich einmal klar und deutlich zeigen, was es für Verleger gibt, und wie verderblich die unanfechtbare Uebertragbarkeit des Verlagsrechtes wirken kann.

   Sie erwähnen meine früheren Beziehungen zu dem »Hausschatze«. Ich habe als anständiger Mann über diese Angelegenheit bisher geschwiegen und wollte sie auch ferner als intern betrachten, aber da die Zeitungen diese Unwahrheiten so lustig von einander abdrucken und in allerlei Zusätzen ihr Urtheil über mich fällen, ohne es für der Mühe werth zu halten vorher auch mich gehört zu haben, so sehe ich mich gezwungen, aus meiner bisherigen Reserve heraustreten. Die Wahrheit ist:

   Nicht der »Hausschatz« hat mit mir, sondern ich habe mit ihm gebrochen,  u n d  z w a r  n i c h t  z u m  e r s t e n  M a l e!

   Schon unter der Redaction von Vincenz Müller zog ich einmal meine Mitarbeiterschaft zurück und nur meine persönliche Sympathie für diesen Herrn, vermochte mich, weiterzu schreiben. Später wurde mir von Heinrich Keiter eine Arbeit, um sie im Jahrgang unterzubringen, in solcher Weise gekürzt, daß ich erklärte, nichts mehr zu schreiben. Da kam Herr Commerzienrath Pustet persönlich zu mir gereist, um mich zur Zurücknahme dieses Entschlusses zu bewegen. Er sandte mir in gleicher Absicht seinen Neffen und endlich gar


//215//

Herrn Keiter selbst. Jeder dieser drei Herren versicherte mir wörtlich und mit voller Ueberzeugung: »D e r  " H a u s s c h a t z "  s t e h t  u n d  f ä l l t  m i t  K a r l  M a y !« Diese Versicherung, welche mich zur Fortsetzung meiner Mitarbeiterschaft bewegen sollte, wurde während meines zweimaligen Besuches in Regensburg öfters wiederholt und da Herr Pustet seine Bitte durch die  s o f o r t i g e  V e r d o p p l u n g  d e s  H o n o r a r s  unterstützte, so ließ ich mich bewegen, wieder zu der Feder zu greifen.

   Wenn man Ihnen, Herr Redacteur, gesagt habe, ich habe ein viel zu hohes Zeilenhonorar erhoben, so ist das nicht wahr. Man hat mir das Honorar  f r e i w i l l i g  v e r d o p p e l t, um mich beim Hausschatze festzuhalten. Und wenn Sie hinzufügen: »So viel wir wissen, war dies aber nicht der einzige Grund«, so steht zu erwarten, daß auch die anderen Ihnen angegebenen Gründe,  d i e  W a h r h e i t  n i c h t  e r r e i c h e n  w e r d e n .  D e r  e i n z i g e  u n d  w i r k l i c h e  G r u n d  ist vielmehr Folgender:

   Ich befand mich mitten in der vierbändigen Arbeit »Im Reiche des silbernen Löwen«, als mir von verschiedenen ehrlichen, wohlmeinenden Redactionen Waschzettel gesandt wurden, welche sie vom »Hausschatze« zur Aufnahme in ihre Spalten erhalten hatten. Diese Zettel enthielten einen Passus über mich, welcher mit d en persönlichen Versicherungen der Besitzer und des Redacteurs dieses Blattes in solchem Widerspruch stand, daß ich, - bitte, ich betone das Wort»ich«, -  H e r r n  C o m m e r z i e n r a t h  P u s t e t  a u g e n b l i c k l i c h  m e i n e n  n u n m e h r  f e s t e n  E n t s c h l u ß  k u n d g a b,  v o n  n u n a n  k e i n  W o r t  m e h r  f ü r  d e n  » H a u s s c h a t z «  z u  s c h r e i b e n, obwohl diese Arbeit für vier Bände berechnet war.

   Dabei ist es geblieben und wird es auch ferner bleiben! Also ich bin es, der mit dem »Hausschatz« gebrochen hat, nicht er mit mir!

   Es sind seit diesem Zurückziehen meiner Mitarbeiterschaft Jahre vergangen. Wenn nun heute Jemand sagen sollte, daß er wegen der Münchmeyer'schen Veröffentlichungen nicht mehr mit mir verkehren könne, so illustrirt das wohl die Fabel von dem Fuchs und den Trauben, ändert aber das Factum nicht, daß ich es bin, der das Verhältniß abgebrochen hat. So eine Ausrede ist unendlich billig und wohl auch etwas gewagt, weil Herr Pustet in zwei mir nach Afrika gesandten Briefen auf meine weitere Mitarbeiterschaft bestanden und sogar erst kürzlich noch in der »Neisser Zeitung« erklärt hat, daß er mich  g e r i c h t l i c h  z w i n g e n  könne, für ihn fortzuarbeiten.

   So, verehrter Herr Redacteur, lautet  d i e  W a h r h e i t. Ich habe mein Schweigen nur darum aufgegeben, weil ich durch persönliche Angriffe dazu gezwungen worden bin.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst
C a r l  M a y.


Reichspost, 9. Mai 1901

In Sachen Karl May's

erhalten wir vom Verlag des » Deutschen Hausschatzes« (Friedrich Pustet, Regensburg) folgende

Erklärung.

Wie unsere verehrlichen Leser wissen, hat der »Deutsche Hausschatz« seit Beginn des XXV. Jahrganges aufgehört, Beiträge von  D r .  K a r l  M a y  zu bringen. Bis dahin schätzten wir seine Mitarbeiterschaft sehr hoch und gerne haben wir ihm jeden Wunsch erfüllt, eine Honorardifferenz gab es zwischen uns nicht. Ob zuerst er mit uns oder wir mit ihm gebrochen haben, ist völlig gleichgiltig. Wir sind der Meinung, daß  w i r  die ersten gewesen sind, indem wir veranlaßten, daß er bei der Abonnements-Einladung für den XXV. Jahrgang nicht mehr als Mitarbeiter am »Hausschatz« genannt worden ist. Seine Briefe beweisen, daß er uns richtig verstanden hat.

   Die Fortsetzung seiner Erzählung »Im Reiche des silbernen Löwen« strebten wir aber aus Rücksicht für unsere Abonnenten an, dazu hatten wir um so mehr ein Recht, als Herr Dr. Carl May den Anfang zu dieser Fortsetzung thatsächlich geliefert und das dafür treffende Honorar auch in Empfang genommen hat.


//216//

   Nachdem aber Dr. Carl May auf unsere wiederholte bezügliche Aufforderung erklärte: »Diese Fortsetzung sei eine derartige, daß sie für den Hausschatz  g a n z  ungeeignet sei,« gedenken wir von unserem Rechte keinen Gebrauch mehr zu machen.

   Gründe  s e h r  e r n s t e r  N a t u r  zwangen uns, auf die fernere Mitarbeiterschaft des genannten Herrn zu verzichten. Wir waren nämlich von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht worden, daß Carl May  i n  d e n  J a h r e n  1 8 8 3  b i s 1 8 8 7  bei einer den Verlag von Colportage-Romanen pflegenden Dresdener Firma (H. G. Münchmeyer) Hintertreppen-Romane der allerbedenklichsten Sorte herausgegeben habe. Nachdem wir uns durch Autopsie von dem über alle Maßen unsittlichen Inhalt jener theils anonym, theils pseudonym erschienenen Romane, von denen jeder an 2600 Seiten 8ø zählt, überzeugt und uns die  w i e d e r h o l t e  Erklärung des Verlegers gesichert hatten, » d a ß  d e r  V e r f a s s e r  d e r  R o m a n e  i d e n t i s c h  s e i  m i t  D r .  K a r l  M a y ,  d e r  f ü r  F e h s e n f e l d  i n  F r e i b u r g  s c h r e i b e, und die Romane selbst thatsächlich in den 80er Jahren erschienen seien,« wurde May von uns befragt, ob die Angaben Münchmeyer's der Wahrheit entsprächen. May antwortete am 16. Juli 1897 hierauf: »Ich werde die Münchmeyer'sche Verlagshandlung  g e r i c h t l i c h  b e l a n g e n  und Ihnen das Resultat mittheilen.«

   Dr. Karl May hat aber weder den Rechtsweg beschritten, noch auch sonst den allermindesten Versuch gemacht, sich von der schweren Anschuldigung zu entlasten. Damit war für uns die Sache entschieden.

   Unterm 26. März heurigen Jahres hat Carl May allerdings die öffentliche Erklärung abgegeben, er habe Klage gegen die Firma Münchmeyer, bezw. gegen deren jetzigen Inhaber Fischer gestellt; doch richtet sich dieselbe nicht gegen die Behauptung, er habe jene pornographischen Romane geschrieben, sondern gegen die vom Münchmeyer'schem Verlage veranstaltete illustrirte Neuausgabe derselben.

   Dr. Carl May's Schreiben vom 16. Juli 1897  a n  u n s  liefert den Beweis, daß wir  n i c h t  e r s t  j e t z t  Gründe suchen, um den Abbruch unserer Beziehungen zu ihm unseren Lesern gegenüber zu rechtfertigen.

Regensburg, den 29. April 1901.

Der Verlag des »Deutschen Hausschatz«.

   Bekanntlich erklärte aber Carl May in seinem Briefe an uns, auch früher nur  s i t t l i c h e  Romane geschrieben zu haben, die Firma Münchmeyer bezw. deren Nachfolger Fischer aber beschuldigte er, dieselben durch  u n s i t t l i c h e  Z u s ä t z e  in der ohne und gegen seinen Willen, widerrechtlich veranstalteten Neuausgabe gefälscht zu haben. Diese Frage wird ja doch gewiß auch in dem bevorstehenden Proceße zur Sprache kommen.


Reichspost, 18. Mai 1901

In Sachen des Reiseschriftstellers Dr. Carl May.

Wir haben in der unseren Lesern sattsam bekannten Affaire des beliebten Reiseerzählers Dr. Carl May in der »Reichspost« einer Erwiderung Raum gegeben, welche der Verlag des »Deutschen Hausschatzes« an uns richtete. Wir sind loyal genug, das Wort und zwar das Schlußwort, dem beschuldigten Schriftsteller einzuräumen und betrachten dann die Sache, so weit sie uns betrifft, als endgiltig erledigt.

   Dr. Carl May schreibt unter dem 12. l. M. einem seiner hiesigen Freunde mit der Bitte uns von seiner Entgegnung Mittheilung zu machen:

   »Ich brach zum  e r s t e n  M a l e  mit dem »Hausschatze«, als mir unter der Redaction von Venanz Müller ein Manuscript verändert worden war. Man versprach mir, dies nie wieder zu thun, und bat mich, weiter zu schreiben. Ich that es Venanz Müller zu Liebe.

   Ich brach zum  z w e i t e n  M a l e  mit dem »Hausschatze«, als mir trotz dieses Versprechens meine vierbändige Arbeit »Satan und Ischariot« unter unerlaubtem Titel so verstümmelt wurde, daß sie nur drei Bände ergeben hat und mir in der Buchausgabe bisher ein Schaden von über 10 000 Mark erwachsen ist. Herr Commercienrath Pustet, sein Neffe und Redacteur Keiter kamen einer nach dem andern zu mirgereist, gaben mir gute Wor-


//217//

te und, da sie einstimmig und wiederholt behaupteten, » d e r  " D e u t s c h e  H a u s s c h a t z "  s t e h t  u n d  f ä l l t  m i t  C a r l  M a y «, so ließ ich mich bereden und schrieb die auch auf vier Bände berechnete Reiseerzählung »Im Reiche des silbernen Löwen«.

   Und ich brach zum  d r i t t e n  M a l e  u n d  f ü r  i m m e r  mit dem »Hausschatze«, als ich diese Erzählung gerade bis zur Hälfte gebracht hatte. Herr Commercienrath Pustet hatte Waschzettel verschickt, welche einen Verrath an der mir vorgegebenen geschäftlichen und persönlichen Freundschaft enthielten. Ich erklärte, daß ich nun wirklich, und obgleich das Werk noch nicht vollendet sei, kein Wort mehr für den » Deutschen Hausschatz« schreiben wurde, und  e r s t  i n  F o l g e  d i e s e r  meiner  E r k l ä r u n g  bin ich für den Jahrgang 25 nicht mehr als Mitarbeiter genannt, für den gleichjährigen »Marienkalender« aber wohlweislich  f e t t  h e r v o r g e h o b e n  worden.

   Da Herr Commercienrath Pustet mir drohte, er werde mich zur Fortsetzung der begonnenen Erzählung gerichtlich zwingen, schrieb ich ihm nach meiner Orientreise, diese Fortsetzung werde nun so ausfallen, daß sie für den »Hausschatz« ungeeignet sei. Ganz natürlich! Sie paßt nur für den Verleger, dem ich sie liefern werde. Damit ist natürlich nicht gemeint, daß sie in irgend einer Weise minderwerthig ausfallen werde. Auch schrieb ich ihm dies zu seinem eigenen Vortheile, um ihn dadurch von dem Gedanken an einen Proceß abzubringen, den er unbedingt verlieren mußte.

   Wenn mir Herr Comm. Rath Pustet vorwirft, nicht schon im Jahre 1897den Rechtsweg gegen Münchmeyer beschritten zu haben, so kann ich nur sagen, daß ich meine Interessen zu wahren pflege, wann und wie es  m i r  paßt, nicht aber einem Anderen. Ich kämpfe nicht für mich allein, sondern ich nehme mich in diesem Processe der ganzen, ähnlich wie ich geschädigten Schriftstellerwelt an. Es gilt einmal nachzuweisen, wie weit der Verleger gehen darf. Dieser Fall soll typisch werden und Bahn brechen für kommende Processe gegen Verleger, die unsere Arbeiten gegen unsern Willen moralisch oder sonst irgendwie verstümmeln, wie die meinigen von Münchmeyer und Pustet verstümmelt worden sind. Dazu sind Conferenzen, Recherchen und Vorarbeiten nöthig, die selbst ein Jurist nicht binnen 1 Jahres bewältigen könnte. Hiezu kam meine Reise nach Asien und Afrika, welche mit den Vor- und Nachtouren über 2 Jahre in Anspruch genommen hat. Wenn ich trotzdem bis Beginn des jetzigen Jahres das Material zusammengebracht habe, so ist das eine Leistung, von welcher Herr Comm. Rath Pustet keine Ahnung hat. Sein Vorwurf ist aus gewissen diplomatischen Gründen der volligen Unkenntniß der Verhältnisse entsprungen.

   Es ist geradezu ein Elend, immer und immer wiederholen zu müssen, was man schon in X, Y, Z-Zeitungen veröffentlicht hat. Ich thue es noch einmal, nun aber zum letztenmale:  I c h  h a b e  n i e  e t w a s  s i t t l i c h  U n r e i n e s  g e s c h r i e b e n  u n d  w e r d e  e s  a u c h  n i e  t h u n. Meine Originale sind schon früher und jetzt zum zweitenmal verstümmelt worden, ich bin nicht schuld daran und wehre mich nun dagegen.

   Aber - und das ist mein Schlußwort in dieser Angelegenheit -  s e l b s t  w e n n  ich in vergangenen Zeiten in der mir nachgelogenen Weise  g e s ü n d i g t  h ä t t e, so würde ich das mit meinem Herrgott, nicht aber mit irgendeinem Verlagsbuchhändler abzumachen haben. Der »Hausschatz« würde nicht mein Beichtstuhl und Herr Pustet nicht mein Beichtvater sein. Man nennt dieses Blatt ein christliches Blatt. Nun wohlan, so handle Herr Pustet christlich! Das Christenthum aber ist die Religion der Liebe, der Vergebung. Worin aber wurzeln seine, des Gerechten, Anklagen gegen mich, den angeblichen Sünder? Er schlage Luc. 15, 7. auf! Da wird er finden, was jedem zu wissen nöthig ist, der Tausenden von Lesern in seinem Blatte das wahre Christenthum zu vergegenwärtigen hat. Ich, als Christ, habe Herrn Pustet seinen Waschzettel längst vergeben und würde nie wieder von diesem Herrn gesprochen haben, wenn er nicht an verschiedenen Stellen mit seiner unrichtigen Behauptung, er sei es, der mit mir gebrochen habe, gegen mich aufgetreten wäre.

Radebeul-Dresden, 12. Mai 1901.

Carl May.

Damit schließen wir vorläufig die Acten pro und contra May bis zum Ausgang des Processes.

Das Thema Schundromane wird sowohl bei May als auch in der Se-


//218//

kundärliteratur ausführlich behandelt.(9) Hier sei nur daran erinnert, daß May die seit Jahren angekündigten gerichtlichen Klagen gegen Fischer erst am 10.12.1901 und gegen Pauline Münchmeyer am 12.3.1902 eingereicht hat. Den in der Presse verbreiteten Irrtum, erst Fischer habe die sittliche Reinheit der alten Werke angetastet, korrigiert er andeutungsweise: Meine Originale sind schon früher und jetzt zum zweitenmal verstümmelt worden. (Reichspost 18.5.1901)

*

Beim Verlag Friedrich Pustet in Regensburg sind im Vorabdruck Erzählungen erschienen, die zum Besten gehören, was Karl May geschrieben hat, etwa die Bände "Durch die Wüste" bis "Der Schut" und "Ardistan und Dschinnistan". Über seine Beziehungen zur Firma Pustet hat der Schriftsteller vergleichsweise spärlich berichtet. Leider besitzt der Verlag über den ersten Zeitraum von Mays Mitarbeit - von 1879 bis zum Streit über die Fortsetzung des "Silberlöwen" um 1900 keinerlei Unterlagen. Auch die Briefe aus Regensburg an May sind nur unvollständig erhalten geblieben. Deshalb lassen sich viele Fragen heute nicht mehr beantworten.

   May schätzte am Verlag Pustet am meisten die Pünktlichkeit der Honorarzahlungen. Ein förmlicher Vertrag scheint nie geschlossen worden zu sein. Venanz Müller (»Vincenz« in der Reichspost vom 17.4.1901 ist ein Lesefehler des Setzers) und später Heinrich Keiter müssen immer wieder um Manuskript betteln. Für den "Girl-Robber" erhielt May 100 Mark, für "Der Boer van het Roer" 150 Mark. Am 14.10.1879 schreibt Müller: »Ich bitte Sie freundlichst, mir  a l l e  Ihre Geistesprodukte nach deren Vollendung  s o f o r t  senden zu wollen . . . « Am 13.11.1884 bietet Friedrich Pustet (1831 - 1902) eine Buchausgabe der bisher im Hausschatz erschienenen Reiseerlebnisse an. Für die Startauflage von 2000 Exemplaren soll der Verfasser sofort 1000 Mark Honorar erhalten. Doch May schreibt weiter für Münchmeyer. In den Nrn. 26 und 32 (März bzw. Mai 1885) des 11. Hausschatzjahrgangs teilt die Redaktion auf Leseranfragen mit, daß die Reiseerzählungen nicht bei Pustet in Buchform erscheinen werden. Doch das ist noch nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit. Auch die Einladung Kürschners (6.10.1886), für einen Roman in der Revue "Vom Fels zum Meer" bis zu tausend Mark pro Bogen zu kassieren, nimmt May nicht an. (Zum Vergleich: Für "Die Sklavenkarawane" im Guten Kameraden IV 1889/90 erhält May 2620 Mark, für die erste Buchausgabe, Auflage 3000, 680 Mark. Eine Marienkalenderge-


//219//

schichte für Benziger oder Pustet bringt 300 Mark. Für "Die Umm ed Dschamahl" im Regensburger Marienkalender für 1899 zahlt Pustet sogar 500 Mark.)

   Bitter beklagt sich Venanz Müller (9.6.1886): »Gewiß werden Sie zugeben, daß Verleger und Redacteur des "Hausschatzes" Ihnen so entgegenkommend waren, wie dies schwerlich anders wo noch der Fall sein dürfte; aber gleichwohl haben Sie nicht Wort gehalten und seit Monaten kein Lebenszeichen von sich gegeben . . . . die Leser verlangen ungestüm den Schluß des "letzten Rittes"; . . . sie beschuldigen uns des Schwindels . . . « Als May sich von Münchmeyer zurückzieht, folgt der Dürre eine Überschwemmung. Von Januar bis September 1888 muß Müller May-Text im Umfang von 1315 Fehsenfeldseiten unterbringen, d. h. mehr als die Hälfte des Inhalts der betreffenden Hefte stammt von May. »Es ist danach vollkommen verständlich, wenn die Hausschatz-Redaktion im August 1888 meinte, Mays Roman nehme mehr Raum ein, "als es im Interesse der Mannigfaltigkeit des gesamten Heft-Inhaltes zuträglich" sei.«(10)

   Am 23.4.1888 teilt Friedrich Pustet mit, Mays Konto sei mit 692 Mark belastet (Vorschuß?). Er akzeptiere die Erzählungen "Der Scout" und "El Sendador". Das Honorar von 1 Mark pro Manuskriptseite werde je nach Manuskripteinlauf per Postanweisung zugeschickt. Der Verleger sieht »mit Vergnügen den betreffenden Einsendungen entgegen«.

   Schon am 29.5.1888 stellt sich Heinrich Keiter schriftlich als Redakteur des im Oktober beginnenden 15. Hausschatzjahrgangs vor. Er redigierte das Blatt bis zu seinem Tod am 30. August 1898. Keiter starb nach jahrelanger Krankheit an Lungentuberkulose.(11)

   Die Abmachung »1 Mark pro Manuskriptseite« ist für May so wertvoll wie ein Goldesel. Die Druck- und Schreibgewohnheit, bei Dialogen die Sprecher jeweils mit einer neuen Zeile beginnen zu lassen, nutzte May schon bei Münchmeyer zum raschen Füllen der Hefte aus. Leider widersteht er auch bei den Arbeiten für Pustet nicht immer der Versuchung, durch Zeilenschinden leichter ans Geld zu kommen. Dem Redakteur bleibt dann keine Wahl, er muß für den Druck das Manuskript zurechtstutzen.

   May schreibt und schreibt . . . Am 17. November 1888 sind schon 1980 Seiten "Sendador" in Regensburg, aber zum Leidwesen des Verlegers ist noch längst kein Ende der Erzählung in Sicht. Nun sollte aber grundsätzlich jeder Roman im laufenden Jahrgang abgeschlossen werden. Was tun? »Es ist nicht unmöglich, daß ich mich bei der sehr getheilten Anschauung der Hausschatzleser über diese Art romantischen


//220//

Lesestoffes entschließen muß, den Sendador als eine Art Supplement erscheinen zu lassen, dessen Abnahme jedem Abonnenten freigestellt ist.« (Der Handschrift nach schrieb den Brief nicht Heinrich Keiter. Die Unterschrift ist weggeschnitten.)

   Noch einmal meldet sich Exredakteur Venanz Müller bei Karl May:

Regensburg, 26. November 1888

Hochgeehrter Herr!

Mit Befriedigung konstatire ich, daß Ihr Brief vom 25.Nov.d.Js. den gütlichen Ausgleich verbürgt.

   Damit nun die Angelegenheit meinerseits mit derselben Discretion abgeschlossen werde, mit welcher ich sie von Anfang an behandelt habe, wird sich am Mittwoch den 28.November d.Js., Vormittags 10 Uhr, der Kassadiener der Herren »Wiener und Boscowitz« in Ihrem Kassazimmer einfinden und Ihnen gegen Empfangnahme der Abfindungssumme von 12 000 Mark die von mir eigenhändig geschriebene und unterzeichnete genau formulirte Quittung über die genannte Summe behändigen.

Hochachtungsvoll
Venanz Müller

   Wofür dieser hohe Betrag gezahlt wurde, ist unbekannt. Vielleicht als Entschädigung für den Nachdruck vergriffener Hausschatzjahrgänge, denn es war jeweils einmaliger Abdruck vereinbart mit einer Sperrfrist von vermutlich 2 Jahren bis zur Wiederverwendung durch den Autor.

   Mit Datum 17. März 1889 ist man in Regensburg notgedrungen bereit, weitere 1000 Seiten "Sendador" abzunehmen. Noch gibt es Bedenken, eine so umfangreiche Erzählung in den Hausschatz aufzunehmen. Sollten sie nicht überwunden werden können, »müßte ich (Friedrich Pustet) für die Veröffentlichung des "El Sendador" die Buchform wählen«. Am 29.8.1889 ist El Sendador noch immer unvollendet. Am 13.11.1889 bittet Keiter dringend um den Schluß von etwa 40 Seiten. Doch er muß am 11.12.1889 die letzten 100 Seiten zurücksenden: May hat offenbar den Anschluß verloren. Schon am 18.12.1889 bestätigt Keiter den Eingang des Restmanuskripts und erkundigt sich nach einem neuen Roman für Mitte 1891. Am 18.1.1890 hat Keiter die ersten 100 Seiten des neuen Romans in Händen. Er soll 1500 Seiten nicht überschreiten, »damit ich nicht in Verlegenheit gerathe, wie ich es unterbringen soll«.

   Dann schreibt wieder Friedrich Pustet (26.4.1890). May scheint ihn durch eine Art Exklusiwertrag mit Spemann erschreckt zu haben. »Die großen Aktiengesellschaften werden auch nicht immer dominirend bleiben, jetzt freilich kann ein einzelner Verleger mit den von solcher Seite gebotenen Honoraren nicht in Konkurenz treten. Den


//221//

"Mahdi" werden Sie für den Hausschatz aber doch gewiß noch in Ruhe und mit Hingabe fertig machen . . . Auf eine Buchausgabe Ihrer Reise- Erzählungen werde ich verzichten müssen . . . «

   Auch Heinrich Keiter meldet sich (9.5.1890): »Zunächst spreche auch ich mein Bedauern aus, daß wir Sie verlieren sollen.« "Unterm Sclavenjoch" dürfe 2000 bis 2500 Seiten umfassen, sofern May den Text so einrichten könne, daß neu eintretende Abonnenten den zweiten Teil verstehen, ohne den ersten gelesen zu haben. »Ich habe es bei El Sendador durch kleine Wiederholungen im zweiten Teil so gemacht. «

   Auch Keiter ändert also am Manuskript, daran besteht kein Zweifel. Doch damals scheint May das wenig gestört zu haben. Er war ja selber einmal Redakteur gewesen, kannte die Praxis und hatte z. B. die "Fundgrube Vater Abraham" von Elfried v. Taura ein wenig redigiert.(12)

   Kurz vor dem 6.12.1890 war May mit Emma wahrscheinlich in Regensburg und hat die Verlagsinhaber und Heinrich Keiter persönlich kennengelernt. Der Ton der wenigen überlieferten Briefe aus der Zeit danach ist freundschaftlich und herzlich.

   Für die Textänderungen, die May Venanz Müller vorwirft, gibt es keinen konkreten Beweis. Daß auch Müller gezwungen war, vom Manuskript abzuweichen, ergibt sich indirekt aus einer Hausschatznotiz vom August 1888 (Heft 15 des 14. Jgs.): » . . . diese Erzählung (Durch das Land der Skipetaren) muß im laufenden Jahrgang unserer Zeitschrift zu Ende geführt werden, und deßhalb bleibt uns nichts Anderes übrig, als redactionelle Abkürzungen darin vorzunehmen, wo sie eben thunlich sind . . . «(13)

*

Der zeitliche Ablauf des Zwistes mit dem Hausschatz wegen der Kürzungen am Roman "Satan und Ischariot" - wir gehen am Schluß näher darauf ein - läßt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Den ersten Hinweis gibt ein Brief Keiters.

Regensburg 30/XI 1895

Sehr geehrter Herr Doctor

Besten Dank für das gütigst gesandte vortreffliche Porträt. Dem anderen sehe ich mit Vergnügen entgegen.

   Die Postkarte, welche Sie von Nürnberg aus an mich richteten, habe ich sofort nach Oberlößnitz aus beantwortet. Wahrscheinlich haben Sie meine Karte in dem Stoß von Postsachen, die Sie nach Ihrer Rückkehr vorfanden, übersehen.

   An der »Felsenburg«, sehr verehrter Herr Doctor, habe ich nur wenige Blätter, dage-


//222//

gen in »Krüger-Bei« die ersten 300 Seiten mit Ihrer gütigen Erlaubnis ausgelassen, ich habe alles zurückgelegt, um es Ihnen gelegentlich wieder zugehen zu lassen.

   Durch baldige Zusendung der Fortsetzung des neuen Romans würden Sie mich sehr verbinden. Es ist für einen Redacteur immerhin ein beruhigendes Gefühl, wenn er sich für einen neuen Jahrgang schon Monate vorher gesichert weiß.

   Der Anfang des Romans ist vielversprechend. Wie groß wird er werden?

   Ihre frdl. Anfrage nach meinem Befinden kann ich mit »leidlich« beantworten. Im Winter geht es mir niemals gut.

   Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin geht es hoffentlich gut.

   Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus

Ihr
H. Keiter.

   May hat nicht das ganze "Krüger-Bei"-Manuskript zurückbekommen, sondern nur den im Hausschatz nicht gedruckten Teil. Bei dem neuen Roman handelt es sich um "Im Reiche des silbernen Löwen".

   Ein halbes Jahr später (13.7.1896) schreibt Karl Pustet (1839 - 1910), Bruder des oben erwähnten Friedrich:

   » . . . Mein guter Herr Keiter ist ganz unglücklich und sieht sehr schwarz; er schreibt mir eben aus Berchtesgaden, daß er sich in seinen Nerven absolut nicht erholen könne, bevor sein Gemüth bezüglich Karl May nicht beruhigt ist.

    . . . Ich bitte Sie um das Mittel, das unserm Freunde Keiter helfen kann; . . . das Publikum müßte an uns irre werden, wenn Heft 1 ohne Sie erscheint . . . 

   Nach diesem Ausbruche eines gequälten Verlegerherzens eröffne ich Ihnen mein anderes Herz und schüttle Ihnen in lebhafter Erinnerung an unsere persönliche Begegnung treu und dankbar die Hand. Das waren doch wirklich liebe Stunden, die wir miteinander leider nur kurz verlebten . . . «

   Bald darauf muß der lungenkranke Keiter nach Radebeul gefahren sein. Er hatte noch zwei Jahre zu leben. Ob der sehr verehrte Herr Doctor es ihm anmerkte, als er »hat Kotau vor Karl May machen müssen«?(14)

   Diese Angelegenheit ist dann anscheinend beigelegt, das Honorar pro Manuskriptseite auf 2,50 Mark gestiegen, gezahlt werden später dann doch nur 2 Mark. Aber May bockt schon wieder. Karl Pustet (3.9.1896):

» . . . Ihrem freundlichen Schreiben von gestern scheint ein Mißverständnis zu Grunde zu liegen. Daß der Roman circa 5000 Seiten umfassen, also circa 12500 Mark kosten werde ist uns wohlbekannt und sehr erwünscht, doch hatten Sie ja mit Herrn Keiter vereinbart, daß der jetzt begonnene Jahrgang des Hausschatzes hiervon 1800 Seiten Manuskript erhalten solle. Auf diese 1800 Seiten bezog sich Herrn Keiters Bemerkung, daß es sich nur um den Aufschub von einigen Wochen handeln könne und er mit Beginn des Abdruckes so lange warten wolle.

   Auch frühere Romane liefen durch mehrere Jahrgänge und Sie gaben jedem Jahrgang einen gewissen Abschluß. Weßhalb wollen Sie denn, sehr geehrter Herr Doctor von dieser Praxis abgehen? . . . Denken Sie sich doch gütigst unsere Situation und Verlegenheit . . . Ich bitte deßhalb recht sehr . . . 


//223//

   Ich weiß, daß Sie, einmal im Zuge, rasch arbeiten, und riskire ich dann den Anfang des Abdruckes. Die 448 Seiten behalte ich noch hier, da ich mich der angenehmen Hoffnung hingebe, daß nach heutiger Klärung der Sache jedes Hindernis für eine flotte Entwicklung des Romans: Im Reiche des silbernen Löwen beseitiget ist . . . «

Heinrich Keiter (4.10.1896):

»Geehrtester Herr Doctor,

Wenn Sie diese Zeilen erhalten, wird auch wohl die Antwort des Herrn Commerzienrats Pustet in Ihren Händen sein. Es handelt sich ja doch nur um ein Mißverständnis. Noch auf dem Bahnhof in Radebeul, als Sie mir die Freude machten, mich zu begleiten, wiederholten wir, daß der Jahrgang 1897 etwas 1800 Ihrer Msc.-Seiten enthalten solle und Sie waren ganz damit einverstanden. Darauf bezog sich meine Aeußerung, es käme doch nur auf einen Aufschub von einigen Wochen an, denn ich weiß ja aus Erfahrung, daß Sie, wenn Sie einmal im Zuge sind, 1350 Seiten rasch zu liefern vermögen.

Ich bitte sehr herzlich, sehr geehrter Herr Doctor, . . . «

   Im Hausschatz erscheint zu gleicher Zeit, Oktober 1896, "Freuden und Leiden eines Vielgelesenen" mit 9 Fotografien.

   Am 26.1.1897 schreibt Friedrich Pustet junior (1867 - 1947), ein Neffe von Karl und Sohn von Friedrich Pustet:

»Hochverehrter Herr Doktor!

Noch unter dem Eindrucke der in Ihrem gastlichen Hause genossenen liebenswürdigen Gastfreundschaft und in angenehmster Erinnerung an die in Ihrer und Ihrer hochverehrten Frau Gemahlin reizenden Gesellschaft verbrachten Stunden möchte ich Ihnen und verehrter gnädigen Frau nochmals herzlichsten Dank für all Ihre Güte aussprechen und freue mich sehr, bei Ihrem in Aussicht gestellten Besuch hier Gelegenheit zu haben, mich einigermaßen zu revanchieren.

   Die Familie meines Onkels Carl, sowie Herr Keiter & Meissner erwidern Ihre freundliche(n) Grüße bestens.

   Herr Keiter, der sich für die Folge jedes literarischen Eingriffs in Ihre Manuskripte enthalten wird, beginnt im 8ten Heft des »Hausschatz« mit . . . »Im Reiche des silbernen Löwen« . . . Hoffentlich erfreuen Sie uns recht bald mit der Fortsetzung des hochinteressanten Manuskripts . . . «

   Doch May erfreut nicht. Außer Keiters Kürzungen scheint ein anderes »Mißverständnis« die Weiterarbeit Mays blockiert zu haben. Auch die Reihenfolge der Besuche: Kommerzienrat Karl Pustet, Heinrich Keiter, dann Neffe Friedrich, wie sie hier angedeutet wird, weicht von Mays Schilderung ab.(15)

   Von Februar bis Juli 1897 läuft der Abdruck der Einleitung zum Silberlöwen. Am 23.5. und 4.6.1897 bittet Keiter dringend um Manuskript und um Nachricht. May befindet sich jedoch seit 10. Mai auf einer ausgedehnten Reise durch Deutschland und Österreich. Erst am 15. Juli ist das Ehepaar May wieder zuhause in Radebeul.(16) Von München aus war May für zwei Tage nach Regensburg gefahren (zwischen 8. und 12. Juli 1897). Bei dieser Gelegenheit müssen die Münchmeyerromane angesprochen worden sein. May schreibt am 16. Juli 1897 den


//224//

(verschollenen) Brief, der in der Reichspost vom 18.5.1901 zitiert wird. Keiter antwortet:

Regensburg, 17/7.1897

Sehr geehrter Herr Doctor,

Es freut mich sehr, daß Sie in der leidigen Angelegenheit so energisch vorgehen; ich halte das für unbedingt nötig, denn wenn solche Dinge in der Öffentlichkeit erst einmal erörtert werden, so bleibt es gewöhnlich nicht dabei.

   Aus Ihrem gefl. Schreiben ersehe ich, daß Sie mich in zwei Punkten mißverstanden haben, was bei der Kürze der Unterredung nicht zu verwundern ist.

   Der geistliche Herr würde nicht im Hausschatz hervortreten wollen, sondern irgendwo anders; der DH. wird und kann doch keinen Angriff gegen Sie aufnehmen, ohne sich vorher mit Ihnen ins Einvernehmen gesetzt zu haben.

   Um einen Mißbrauch Ihres Namens seitens eines anderen Schriftstellers handelt es sich nicht, sondern um Colportageromane, die unter Pseudonymen erschienen sind. Herr Münchmeyer hat Sie auf zwei Postkarten, von denen eine nach dem Wohnort des Geistlichen, die andere nach Oesterreich adressiert war, ausdrücklich als Verfasser folgender Romane genannt:

Das Waldröschen - Der verlorene Sohn - Deutsche Herzen - Der Weg zum Glück - Deutsche Wanderer.

   Diese Romane sind derart, daß sie mit Ihrem Namen nicht in Verbindung gebracht werden dürfen, und deshalb freue ich mich, daß sie so energisch vorgehen wollen.

   Der Name des Geistlichen thut nichts zur Sache; die Lauterkeit seiner Gesinnung ist über allen Zweifel erhaben. Ich werde ihm mitteilen, was Sie mir gesagt und geschrieben haben.

   Aber wie steht es denn mit weiterem Msc., sehr geehrter Herr Doctor? Ich wäre sehr froh, wenn ich mit etwa 1000 Seiten in den neuen Jahrgang gehen könnte. Bitte recht sehr, haben sie doch die Freundlichkeit, meine Bitte zu erfüllen. Hätte ich nicht glücklicherweise mit dem Schluß der Einleitung eine Pause eintreten lassen können, so säße ich nun auf dem Trocknen.

   Das Msc., das Sie von hier mitnahmen, wollen Sie gefl.  m i t  zurücksenden, es ist noch nicht ganz abgesetzt.

Mit freundlichem Gruß
Ihr ergebener
H. Keiter.

   Deutlicher konnte die Warnung nicht sein! Karl May schlug sie in den Wind. Es war ihm offenbar gelungen, die Hausschatzleute zu beruhigen.

   Im Januar 1894 (20.Jg. Nr. 16) veröffentlichte der Hausschatz im »Frage- und Antwortkasten« eine Anfrage nach dem Verfasser von Deutsche Herzen, deutsche Helden, Waldröschen und Fürst des Elends. Keiter konnte damals wegen einer ernsten Erkrankung für einige Wochen die Redaktionsgeschäfte nicht wahrnehmen (Mitteilung an die Leser in Nr. 15). Zu einem Wink mit dem Zaunpfahl, wie Ilmer vermutet(17), bestand kein Anlaß. Der Verdruß mit May kam erst zwei Jahre später.

   Am 28.7.1897 drängt Keiter wieder auf Textlieferung: »Anbei sende ich Ihnen das abgesetzte Material des Romans, damit Sie sehen, wie gering es ist. Daraufhin kann ich doch kaum wagen, anzufangen. Das


//225//

noch nicht gesetzte Msc. giebt vielleicht 6 Spalten . . . « Auf der Rückseite des Schreibens rechnet May herum und notiert: Fertiges Manuscript macht / 48 Spalten. / Krümmung hinter Jehultijeh / Mann aus Mansurileh(18)

   Am 29.9.1897 dankt Keiter für neues Manuskript und hofft, die in Aussicht gestellte Fortsetzung recht bald zu bekommen. Mit weiteren 500 bis 800 Seiten wäre der jetzt beginnende 24. Jahrgang abgedeckt. Vom November 1897 (Nr. 7) bis September 1898 (Nr. 52) erscheint dann "Im Reiche des silbernen Löwen".

   Am 20.11.1897 bittet Ludwig Pustet (1870 - 1933, Sohn von Karl Pustet, also Neffe von Friedrich Pustet sen.), der Kalendermacher, dringend um den Beitrag für den Regensburger Marienkalender 1899.

*

Die Korrespondenz der Jahre 1898 - 1900 ist restlos verloren gegangen. Pustet erhält noch die Kalendergeschichte "Die Umm ed Dschamahl" und etwa 220 und 100 Seiten Manuskript(19) für die Fortsetzung des Silberlöwen - zu wenig, um den Abdruck im 25. Jahrgang beginnen zu können. May hat den Text dann in der Buchausgabe für die Kapitel "Ein Rätsel" und "In Basra" verwendet.

   Daß May wieder einmal mit den Manuskriptlieferungen im Rückstand war, konnte die Redaktion nicht hindern, die Fortsetzung am Schluß des 24. Jahrgangs anzukündigen. Die Weigerung Mays, weiter für Pustet zu schreiben, muß später erfolgt sein. Der Vorgang könnte sich so abgespielt haben: Anfang August 1898 erscheint die massive Kritik am Hausschatz und an May in der Veremundus-Broschüre. Auf dem Katholikentag in Crefeld (21. August) wird darüber diskutiert. Wie schon beim Katholikentag in Landshut 1897, dürften auch hier die Kolportageromane Gesprächsstoff geliefert haben. Am 30. August stirbt Heinrich Keiter. Der Hausschatz stand somit in mehrfacher Hinsicht vor einem neuen Anfang. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß der zur Werbung neuer Abonnenten außerhalb des bisherigen Leserkreises bestimmte, bis heute nicht aufgefundene Waschzettel May nicht erwähnte oder Vorbehalte erkennen ließ und man bei Pustet die Zusammenarbeit mit May nach Abschluß des "Silberlöwen" beenden wollte. Karl May wiederum hatte längst weder Zeit noch Lust, sich ständig durch Zeitschriftentermine bedrängen zu lassen. Das Theater um die Kürzungen Keiters war vielleicht in der Hauptsache deshalb inszeniert, sich die Erfüllung voreilig gegebener Zusagen möglichst lange vom Hals zu halten. Mit dem Silberlöwen-Manuskript war May


//226//

nun wieder in Verzug. Keiter war tot, ihm persönlich gegebene Versprechen zählten nicht mehr viel. Die kritischen Töne von Veremundus verhießen nichts Gutes. Vielleicht gab es auch peinliche Gerüchte.(20) Da mochte denn der Waschzettel ein willkommener Anlaß sein, sich frei zu machen. Der genaue zeitliche Ablauf der Auseinandersetzung bleibt dunkel, so lange nicht neue Dokumente aufgefunden werden.

   Daß May als Mitarbeiter des Kalenders für 1899 fett hervorgehoben war (wie andere Autoren auch?), erklärt sich einfach dadurch, daß das fertige Heft in einigen hunderttausend Exemplaren schon zum Verkauf bereitlag.

   Vermutlich spielten im Herbst 1898 für die Firma Pustet die Kolportageromane noch keine so entscheidende Rolle, wie das die »Erklärung« in der Reichspost nahelegt. Doch boten sie 1901 zweifellos das wirksamste Argument, die den May-Anhängern unter den Lesern des 25. Jahrgangs widerfahrene Enttäuschung wenigstens im Nachhinein plausibel zu machen. Mays aufgebrachtes Schlußwort in dieser Angelegenheit läßt ahnen, wie tief ihn diese Begründung kränkte. Sah er nicht, daß die Trennung von Pustet unvermeidlich war und erst nachträglich so gezielt als Akt der Staatsraison hingestellt wurde, um sich selbst vor dem Geschrei der öffentlichen Meinungen in Sicherheit zu bringen?

*

Der Vorabdruck des dreibändigen Reiseromans "Satan und Ischariot" erschien im Deutschen Hausschatz unter den Titeln "Die Felsenburg" (20. Jg. Nr. 1-52, Oktober 1893 - September 1894), "Krüger-Bei" (21. Jg. Nr. 1-33, Oktober 1894 - Mai 1895) und "Die Jagd auf den Millionendieb" (22. Jg. Nr. 1-46, Oktober 1895 - August 1896). Im August und September 1894 wurde als Mittelteil "Krüger-Bey, der Herr der Heerscharen" angekündigt. Dies dürfte der von May geplante Titel gewesen sein, der aus praktischen oder religiösen Gründen (»Herr der Heerscharen« ist eine Bezeichnung für Gott) zu "Krüger- Bei" verkürzt wurde.(21)

   Die Gesamthandschrift umfaßte 4270 Seiten: Die Felsenburg 1 - 1678 (M I), Krüger-Bei 1679 - 2888 (M II), Die Jagd auf den Millionendieb 2889 - 4270 (M III). Im Bamberger Karl-May-Archiv werden aufbewahrt von M II die Seiten 1679 - 2040, 2101 - 2182 sowie M III (die Seiten 3303/4, 3419/20 und 3637/38 fehlen). Alle erhalten gebliebenen Seiten von M II und M III haben das Format 16,5 x 21


//227//

(cm) und tragen jeweils 21 Zeilen, genau wie z. B. S. 1777 aus M II, die im KMJB 1926 auf S. 249 abgebildet ist. Das Format dürfte für die Gesamthandschrift einheitlich gewesen sein. Der von der Hausschatz- Redaktion gestrichene Teil von M II ist für die beiden Erzählungen am Anfang von Bd. 47 der Gesammelten Werke "Professor Vitzliputzli" verwendet worden. Die Handschrift beginnt mit »Erstes Capitel./ In der Heimath.« Am Schluß des Krüger-Bei-Abdrucks im Mai 1895 kann Keiter die Leser auf die Fortsetzung hinweisen: »Die Handschrift (=M III) dieses neuen höchst spannenden Romans . . . liegt uns bereits vollständig vor . . . «(22) Die erste Seite 2889 von M III trägt die Überschrift »Cap. 3./Schluss.« Dieses »Cap. 3.« läuft ohne weitere Unterteilung durch bis zum Ende auf S. 4270! Selbstverständlich brauchte Keiter für den Abdruck im Hausschatz einen Titel. Vielleicht hat er May deshalb angeschrieben, aber keine Antwort erhalten. Es existieren Briefe des Benziger- und des Union-Verlags, in denen May eindringlichst und wiederholt um notwendige Textänderungen ersucht wird. Selbst die Ankündigung, die Eingriffe eben dann selbst vorzunehmen, scheint May ignoriert zu haben. Wenn es zu einem unerlaubten Titel kam (May dachte dabei wohl an "Die Jagd auf den Millionendieb", nicht an die Streichung von »Herr der Heerscharen«), so ist May daran nicht ganz unschuldig. Eine mögliche Erklärung für Keiters Titelproblem bietet ein weiter unten wiedergegebener Brief Mays an Fehsenfeld.

   Die Hausschatzfassung "Die Jagd auf den Millionendieb" ist gegenüber M III gekürzt: dabei handelt es sich allerdings weit überwiegend um Dialogstraffungen, stilistische Korrekturen (welcher - der, diese - die, derselbe - der), Eindeutschung von Fremdwörtern (Solidität, perplex, partout, smart), Abschwächung von »Sinnlichem« (Geliebte - Verlobte, Braut; in dem verführerischen Negligé - getilgt) und Anpassung bzw. Streichung von Hinweisen auf den nicht gedruckten Anfangsteil von "Krüger-Bei".(23) Weggelassen oder stark gekürzt wurden einige Nebenszenen, die für den Gang der Haupthandlung ohne Bedeutung sind. (So wurden beispielsweise nach dem Satz Und das gelang ihm (Winnetou) auch(24) 6 Seiten Handschrift über Ungeziefer gestrichen.) Gewisse Szenen mit Judith Silberstein erinnern stark an die Münchmeyer-Romane. Offenbar erschienen sie der Redaktion für den Hausschatz nicht tragbar. Der Handlungsablauf blieb unangetastet, auch wurde nichts hinzugeschrieben. Ein Hauptgrund für die Eingriffe in den Text liegt sicher darin, daß schon damals May überwiegend von Jugendlichen gelesen wurde, die Abenteuer in fernen Ländern erwarteten, nicht aber "In der Heimath".


//228//

   Den Gesamtumfang der Streichungen kann man gut abschätzen. Eine Fehsenfeldseite hat 33 Zeilen, eine Manuskriptseite 21. Daraus folgt für einen kurzatmigen, aus lauter Einzelzeilen bestehenden Ja- Nein-Wieso-Dialog: 1 Fehsenfeldseite = 1,57 Manuskriptseiten. Bei durchlaufendem Text, der unverkürzt (!) in die Buchausgabe gelangt ist, findet man: 1 Fehsenfeldseite = 1,95 Manuskriptseiten. Berücksichtigt man die ausgiebige Verwendung von Dialogen, dann darf ein mittlerer Umrechnungsfaktor von 1,8 vorausgesetzt werden.(25) Unter dieser Annahme erhält man aus 4270 Seiten Handschrift 4 Fehsenfeldbände zu je 593 Seiten. Nun entsprechen den 1678 Seiten der Felsenburg-Handschrift aber statt 932 Seiten nur 750 Buchseiten, den 1382 Millionendieb-Seiten statt 768 nur 615 Buchseiten. Das bedeutet somit in beiden Fällen drucktechnisch (!) gesehen ziemlich genau eine Verkürzung um jeweils 20 %, bezogen auf den ursprünglichen Umfang an Manuskript z e i l e n. Der Prozentsatz der gestrichenen  B u c h s t a b e n, bezogen auf die Gesamtzahl der in Mays Manuskript ursprünglich enthaltenen, liegt selbstverständlich wesentlich niedriger. Die Streichungen beziehen sich ja zumeist auf Dialoge - und man kann im Extremfall mit 33 Wörtern Dialog eine Fehsenfeldseite füllen.(26)

   Ein Argument für die Richtigkeit der vorstehenden Abschätzung liefert die Urschrift von "Am Jenseits".(27) Dieses Werk wurde unmittelbar für die Gesammelten Reiseerzählungen geschrieben, das Manuskript kam nahezu unverändert zum Abdruck. Die Buchausgabe umfaßt 594 Druckseiten, denen 714 Seiten Manuskript entsprechen. Auf gleichem Format wie M III bringt May hier 25 statt 21 Zeilen unter. Er schreibt kleiner und gedrängter als in M III - der Unterschied hängt wohl mit der Honorarformel »1 Seite Handschrift = 1 Mark« zusammen. Hätte May "Am Jenseits" in der gleichen lockeren Manier niedergeschrieben wie "Satan und Ischariot", dann hätte er für den Text einer "Jenseits"-Manuskriptseite schätzungsweise 1,5 M III-Seiten verbraucht, also für 4 Bände zu je 594 Druckseiten 4 x 714 x 1,5 = 4284 Seiten Manuskript erhalten. Die Berechnungen zu "Satan und Ischariot" führten zu 4 Bänden von je 593 Seiten aus 4270 Manuskriptseiten! Beide Abschätzungen stimmen erstaunlich gut überein. Doch ist festzuhalten, daß die Werte 1,8 und 1,5 zwar auf sorgfältig ausgewählten Stichproben beruhen, aber wegen des enormen Zeitaufwands nicht anhand der Gesamtmanuskripte exakt ermittelt werden konnten.

   Wenn Karl May 1901 in der "Reichspost" "Satan und Ischariot" als vierbändige Arbeit bezeichnet und 1911 gegenüber Dr. E. A. Schmid äußert: »Das Werk sollte vier Bände umfassen; es ergab aber nur


//229//

drei!«(28), so stimmt die Zahl vier höchstens rein rechnerisch als Aussage über den Umfang. Die Erzählung war aber ursprünglich sicher nicht als Roman in vier Teilen konzipiert. Das ergibt sich aus dem folgenden Auszug aus Aufzeichnungen  R o l a n d  S c h m i d s  zu "Satan und Ischariot":

1. Als May mit der Niederschrift seiner Reiseerzählung "Die Felsenburg" begann, hatte er noch gar keine Vorstellung vom Norm-Umfang eines seiner (Fehsenfeld-)»Bände«, - er konnte auch gar keine Vorstellung davon haben. Denn als 1892 aufgrund der im Hausschatz früher abgedruckten Texte die ersten sechs Bände in Freiburg erschienen, gab es für Karl May keine Vergleichsmöglichkeit mehr zwischen dem Handschrift-Umfang und dem Seitenverlauf bei Fehsenfeld. Die Niederschrift des Anhangs zum 6. Band war für ihn eine Art Voraus-Test, wirkliche Vergleiche bot ihm etwas später Band 7 "Winnetou" I, aber dieses Buch erschien erst 1893, also parallel zur Entstehungszeit der "Felsenburg".

2. Wenn man bei den "Satan"-Romanen von einer auf vier Bände geplanten Buchausgabe ausgeht, so müßten sich entsprechende Zäsuren nahe den Manuskriptseiten 1068,2135 und 3203 befunden haben, also am Ende des ersten, zweiten und dritten Viertels; die letzte dieser Stellen ist anhand des Manuskripts überprüfbar. Tatsächlich befindet sich in dieser Gegend ein Kapitel- Anfang der späteren Buchausgabe: Manuskriptseite 3197 entspricht in der Fehsenfeld-Buchausgabe "Satan und Ischariot" Bd.3, S. 138. Aber Karl May hätte bei der Planung von vier Bänden sicherlich diese Stelle schon im Manuskript hervorgehoben, außerdem ist der Anschluß mit der vorangehenden Handlung allzu eng verzahnt. Dennoch wäre theoretisch die Möglichkeit vorstellbar, an diesem Punkt einen vierten, letzten Band zu beginnen. - Ganz anders freilich sieht die Sache aus, wenn man in den Buchausgaben durch Rekonstruktion jene Textstellen sucht, die dem Ende des ersten und des zweiten Viertels entsprechen. Vom nicht mehr erhalten gebliebenen Manuskript müßte S. 1068 ungefähr der Seite 474 von "Satan und Ischariot" Bd.1 entsprechen, während Manuskriptseite 2135 mitten in den zweiten vom Hausschatz gestrichenen Teil des "Krüger-Bei"-Textes führt (bei dieser Stelle handelt es sich um den Konzertauftritt von Martha Vogel). In beiden Fällen ist weit und breit keinerlei Zäsur erkennbar. - Eine Buchausgabe in vier Bänden erweist sich aufgrund dieser Tatsache als real nicht durchführbar, abgesehen davon, daß May - unbeschadet der Hausschatz-Kürzungen - ungleich langen Stoff für  d r e i  Jahrgänge lieferte. Und daß er kompositorische Gesichtspunkte zumindest wichtigzunehmen vorgab, zeigt folgender Brief an Fehsenfeld, der auch erkennen läßt, daß May damals noch mit einem Buchumfang von 640 Seiten rechnete. Der Brief handelt von "Old Surehand".

Oberlössnitz, d. 6./12. 94.

Lieber Freund.

Soeben erhalte ich die 1500 Mrk., deren Empfang ich Ihnen herzlichst dankend quittire, und zugleich Ihren Brief.

   Es ist mir außerordentlich unangenehm, daß Bd. I nur 33 Bogen enthalten soll. Das Manuscript für 40 Bogen ist fort, und es ist gradezu unmöglich, an der Stelle, wo es 33 Bogen


//230//

füllt, einen Schluß anzubringen; der Inhalt läßt das nicht zu, und außerdem hat ganz kurz vorher ein neues Kapitel begonnen. Dazu arbeite ich jetzt schon tüchtig am 2ten Bande und müßte Alles fortwerfen, was davon fertig ist; das sind über 200 Seiten. Wie wenig erwünscht mir das sein kann, brauche ich Ihnen nicht zu sagen

   Und was hier am Meisten zu berücksicht(ig)en ist, das ist der Werth des Werkes. »Old Surehand« soll wo möglich noch besser sein als »Winnetou«. Grad darum habe ich nicht leichtsinnig drauflos geschrieben und mir infolge dessen Ihren Zorn zugezogen. Und nun soll das umsonst sein?

   Der erste Band mit  v o l l e n  4 0  B o g e n  wird jeden Leser hoch befriedigen. Wird er aber bei Bogen 33 abgebrochen, so taugt er gar nichts; er ist ein Champagner ohne Mousseux, ein Calummet ohne Pfeifenkopf, und das ganze Werk wird verdorben.

   Ich habe auf Ihren Wunsch einen vorläufigen Abschluß gemacht, den der Band nun nicht bekommen soll. Ich habe von Bd II schon über 200 Seiten fertig, und es ist wirklich nicht möglich, Bogen 34 - 40 von Bd I und diesen Anfang von Bd. II zu vereinigen, da sie ganz andere Personen und Verhältnisse bringen und in den entgegengesetztesten Gegenden spielen.

   Ich denke, wenn Herr Krais alle seine Setzerkräfte zusammennimmt, so ist die Sache in wenigen Tagen gemacht. Und wenn Sie sparen wollen, so können Sie es ja von Bd. II an thun. Es genügt eine Bemerkung von Ihnen, so richte ich mich darauf ein, aber dies müßte sehr bald geschehen, denn der Inhalt ist auch schon auf 40 Bogen angelegt. Ich versichere Ihnen, daß dieser Bd. I mir noch weit mehr Sorge gemacht hat als Ihnen. Herr Krais hat in der 2ten Hälfte nicht zu warten brauchen, und ich habe vom November an 20 Bogen geschrieben, trotzdem mir die Krankheit noch schwer in den Gliedern liegt. Gut bekommen ist mir das nicht. Mein Arzt raisonnirt sehr darüher!

   Ich habe von Lieferungsabonnenten über »Surehand « Bd. I schon über sechzig Briefe bekommen. Die Hefte sprechen außerordentlich an, und es sollte mir leid thun wenn infolge der Fermate, die Sie bei Bogen 33 anbringen wollen, die Begeisterung der Leser einen Eisguß erleidet. Das wäre nicht wieder gut zu machen. Es handelt sich nicht blos um jetzt sondern noch viel mehr um später!

Unter herzlichen Grüßen an Sie und
die lieben Ihrigen, auch von meiner Frau,
bin ich
Ihr
um meinen schönen 1 ten Band
höchst besorgter
May.

3. Auch in den nachstehenden Briefen an Fehsenfeld ist keine Rede von vier Bänden "Satan und Ischariot". Man muß im Gegenteil sogar annehmen, daß May den Abdruck des (vierbändigen!?) Gesamtromans in nur  z w e i  Hausschatzjahrgängen erwartet hatte! Das würde auch erklären, warum das im 22. Jahrgang veröffentlichte Manuskript Cap. 3. Schluss. schon im Mai 1895 Keiter vollständig vorlag und keinen neuen Obertitel trug.

Radebeul, den 6./10. 96.

Lieber Freund!

Indem ich Ihnen für die freundliche Zusendung von Rider- Haggard herzlichen Dank sage, theile ich Ihnen mit, daß das Anfangs-Manuscript zu »Old Surehand« III morgen zu Herrn Krais abgeht. Das wird der 19te Band, den ich auf das Schnellste vollenden werde.

   Hierauf sollte »Marah Durimeh« kommen, 3 Bände,  m e i n  H a u p t w e r k, welches meine ganze Lebens- und Sterbensphilosophie enthalten wird. Ich habe aber eingesehen, daß es ein großer Fehler wäre und schädlich für uns beide, dies schon jetzt zu bringen, denn es würde möglicher Weise die folgenden Bände in Schatten stellen, und ein Autor soll doch nicht zurückgehen sondern sich steigern. Deshalb bitte ich Sie um die gütige Erlaubniß, diese 3 Bände  s p ä t e r  bringen zu dürfen!


//231//

   Dafür werden wir jetzt »S a t a n  u n d  I s c h a r i o t h« in Angriff nehmen, 3 Bände, also Band 20-22. Sie glaubten, das könne noch nicht geschehen; aber der Anfang ist schon vor 3 Jahren erschienen, und der Redacteur des »Hausschatz« hat die Herausgabe ganz eigenmächtig so verzögert, daß Pustet mir bei seinem letzten Besuche erklärte, gegen die schon jetzige Buchausgabe weder Etwas haben zu können noch zu wollen, zumal Keiter mir Bd. Ill so verdorben hat, daß ich ihn umarbeiten muß

   Ich sende Ihnen hiermit Bd. 1. Der zweite Band wird in einigen Tagen folgen, und den dritten können Sie, wenn Sie wollen, bis zum 20ten d. M. haben. Ist Ihnen das so recht? Das würde vor Weihnacht mit »Surehand« III vier Bände ergeben, welche alle rechtzeitig auf dem Weihnachtstische erscheinen werden.

   In meinem nächsten Briefe werde ich Ihre Vorschläge in Beziehung auf die illustrirte Ausgabe beantworten; muß erst den Brief eines Zeichners finden, der sich im vorigen Jahre (gratis) unter Beilegung einer Probe dazu angetragen hat.

   Herzlichsten Dank für die so pünktliche Zusendung der10,000 Mark, mit denen ich am 1ten Octbr. gleich die Villa abbezahlt habe! Nehmen Sie die freundlichsten Grüße von Haus zu Haus!

Ihr
stets treu ergebener
May.


Radebeul, d. 22./1. 97.

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für die 4000 Mrk! Quittung liegt bei. Wollte schon am 20ten »Satan« III schicken, da kam Pustet. Er ist erst jetzt fort darum erst heut der Band. »Auf fernen Pfaden« folgt binnen einer Woche. Die freundlichsten Grüße v. Haus zu Haus!

Ihr
May.

4. Aus diesen Briefen Mays an Fehsenfeld wird deutlich, daß die spätere Behauptung von vier geplanten "Satan"-Bänden auf sehr wackligen Füßen steht. Umgekehrt ergab übrigens der gewissermaßen »auf zwei Bände angelegte« Mahdi-Roman schließlich doch deren drei, obwohl die Werbeseite am Ende der Erstausgabe von Bd. 15 "Old Surehand" II lautet:

XIV., XV., XVI., Old Surehand. 3 Bde.

In Vorbereitung: XVII. XVIII., Der Mahdi. 2 Bde.

   May wollte also ursprünglich gar nicht den umfangreichen neuen Text ("Thut wohl Denen, die Euch hassen!" und "Die letzte Sklavenjagd") für den späteren Bd. 18 "Im Lande des Mahdi" III verfassen.

*

Als Redakteur trägt Keiter die Verantwortung für die Textänderungen. In welchem Umfang er sie selbst vorgenommen hat, bleibt offen: Die Einträge in M II zeigen nicht seine Handschrift(29) (er schrieb in lateinischer Schrift, nach rechts geneigt) und in M III sind die Korrekturen ausradiert (von der Hausschatz-Redaktion? Von May?) und nur noch als Aufhellungen erkennbar. Die Frage, inwieweit während Keiters Redakteurzeit auch andere Texte Mays verändert wurden (Kürzungen, Kapiteleinteilung und -überschriften), ist bisher nicht untersucht worden. Der durch seine Krankheit behinderte Keiter hatte Woche für Woche je eine Hausschatznummer zu redigieren. Dazu kam die


//232//

Aufgabe, eine eilig heruntergeschriebene Story von kolportagehafter Geschwätzigkeit in eine gegenüber der May-Opposition innerhalb der Hausschatz-Leser vertretbare druckfähige Form zu bringen.

   Obwohl May für die Buchausgabe des dritten Bandes von "Satan und Ischariot" das Manuskript zur Verfügung stand, ließ er fast unverändert die Hausschatzbearbeitung von Fehsenfeld drucken.(30) Von Umarbeitung für die Buchausgabe kann keine Rede sein. Sehr wahrscheinlich haben Karl Pustet und Heinrich Keiter bei ihren Besuchen in Radebeul May ihre Gründe für die Textänderungen auseinandergesetzt. Wohl nicht vergeblich: Man vergleiche die »Einleitung« zum Silberlöwen - sie lag schon im August 1896 in Regensburg - mit der Fortsetzung im 24. Jahrgang.

   Pustet hat von May die Rechte für einen einmaligen Abdruck erworben, nicht aber die Pflicht, jedes Wort in den Hausschatz zu bringen. Noch heute verfahren die Redaktionen von Massenblättern nicht anders als zu Mays Zeiten: sie bestimmen und verantworten Inhalt und Form dessen, was den Lesern geboten wird. May beklagte, Keiter habe sich an seinen Rechten vergriffen. Doch er selbst verfuhr im Fall dieser oder jener »Anleihe« bei anderen Autoren oder bei der Einhaltung von Sperrfristen und Zusagen mit den Rechten anderer recht großzügig. Was wäre ihm und seinen Freunden erspart geblieben, wenn er sorgfältiger gearbeitet, stets die Rückgabe seiner Manuskripte vereinbart, die ihm übersandten Korrekturen wirklich gelesen und gelegentlich auch einmal Lukas 6,41 nachgeschlagen hätte!



0 Bei der Beschaffung der Reichspost-Artikel waren mir Anton Haider und Dr. Hainer Plaul behilflich. Die Informationen über die Angehörigen der Regensburger Verlegerfamilie stammen von Dr. Friedrich Pustet. Roland Schmid hat mir die Durchsicht der Satan III-Handschrift ermöglicht und u. a. die zitierten Briefe an May sowie Mays Briefe an Fehsenfeld zur Verfügung gestellt. Die meisten Einzelheiten beruhen auf seinen Auskünften und Hinweisen. Allen Helfern sei herzlich gedankt!

1 Deutscher Hausschatz 23. Jg. Nr. 2

2 Bayerischer Kurier vom 10.7.1897 - Zu diesem Lebensabschnitt vgl. Claus Roxin: Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand. In: Jb-KMG 1974

3 Bayerischer Kurier vom 5.10.1899

4 Veremundus(=Karl Muth): Steht die Katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Verlag von Franz Kirchheim. Mainz 1898 - Vgl. auch Hainer Plaul: Literatur und Politik. In: Jb-KMG 1978

5 Franz Cornaro: Karl Muth, Karl May und dessen Schlüsselpolemik. In: Jb-KMG 1975. Taxiliaden: Leo Taxil (1854-1907) war zunächst Freimaurer und kehrte dann zum Schein zur Katholischen Kirche zurück. Mit sensationellen Schauermärchen (Satanskult) über die Freimaurer betrog er die Öffentlichkeit und hohe Amtsträger der Kirche.

6 Die Artikel sind abgedruckt bei Hansotto Hatzig: Mamroth gegen May. In: Jb KMG 1974


//233//

7 Hermann Cardauns: Herr Karl May von der anderen Seite, Histor. Polit. Blätter 129, H.7 (1902) München

8 Ferdinand Schönwälder: Karl May und der Deutsche Hausschatz, ungedr. Typoskript, etwa 1954, Archiv KMV - Mays Brief vom 17.4.1901 veröffentlichte auch die Schlesische Volkszeitung, Breslau, 33.Jg. Nr. 185 vom 24.4.1901 (Mitteilung von Dr. Hainer Plaul). Das Original scheint noch zu existieren. Schönwälder bringt den Text mit der Bemerkung, daß »der Brief anscheinend noch keine Veröffentlichung gefunden hatte . . . « Die Abschrift Schönwälders weicht mehrfach vom Reichspost- Text ab, so z. B. am Schluß: » . . . lautet die Antwort und die Wahrheit . . . « Leider zitiert Schönwälder, zum Teil aus stilistischen Gründen, durchweg sehr ungenau.

9 Vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg (1910) (Reprint: Verlag Olms Presse, Hildesheim 1975; Neuausgabe Verlag Pawlak, Herrsching o.J. (1978)) - Dr. E. A. Schmid: Die Vorgeschichte der Münchmeyer-Romane, Karl-May-Jahrbuch 1926 (Radebeul)

10 Claus Roxin: Einführung zum Reprint Karl May: Durch das Land der Skipetaren. Regensburg o.J. S. 2

11 Für eine Feindschaft zwischen May und Keiter, wie sie Wollschläger berichtet (Karl May. Zürich 1976, S. 76), gibt es bis jetzt kein Zeugnis. Auch die Behauptung, Keiter habe im 15. Hausschatzjahrgang May zurückgestellt, um stattdessen Erzählungen seiner Frau (= M. Herbert) und Hermann Cardauns' (= H. Kerner) zu bringen, ist irreführend: im ganzen Jahrgang steht keine Erzählung von Cardauns, von M. Herbert stammen nur vier »Novellen« von 4, 4, 1 und 5 Seiten, davon steht nur die erste vor Mays "Scout".

12 Hartmut Kühne: Karl May und E. v. T. In: Jb-KMG 1970

13 Roxin, wie Anm. 10, S. 5, weist darauf hin, daß das Wort »darin« sich nicht auf die May-Erzählung beziehen muß, sondern vielleicht den übrigen Heftinhalt meint.

14 wie Anm.9 S. 235

15 wie Anm. 9 S. 235

16 Fritz Maschke: Karl May und Emma Pollmer. Bamberg 1972 S. 76

17 Walther Ilmer: Der Professor, Martha Vogel, Heinrich Keiter und Mays Ich, 2. Teil, M-KMG Nr. 48, S. 3

18 Vgl. "Im Reiche des silbernen Löwen" I, S. 451 bzw. Deutscher Hausschatz 24. Jg. S. 283

19 Diese Handschrift wird zum größten Teil im Karl-May-Archiv Bamberg aufbewahrt.

20 wie Anm. 6 S. 139f.

21 Mitteilung von Roland Schmid

22 Deutscher Hausschatz 21. Jg. S. 520 (Reprint KMG/Pustet, S. 110)

23 Eine reizvolle Freizeitaufgabe für Philologen: Man rekonstruiere aus dem Hausschatz den Mayschen Urtext und prüfe das Ergebnis anhand des Manuskripts!

24 Deutscher Hausschatz 22. Jg. S. 187 (Reprint KMG/Pustet, S. 152) = Bd. XXII, S. 167

25 Den Wert 1,80 erhält man z. B., wenn man die im 1. Bogen, S. 1 - 16, von "Satan und Ischariot" III gedruckten (!) Manuskriptzeilen nachzählt und mit der Anzahl der Buchzeilen vergleicht. Der Dialoganteil ist im Drucktext infolge der redaktionellen Kürzungen geringer als im Manuskript.

26 Die Berechnungen von Ilmer, Anm. 17, stützen sich nur auf verkürzte Texte, nicht auf die Handschrift. Sie führen daher zu falschen Ergebnissen.

27 Jb-KMG 1974 S. 171 ist zu berichtigen: Die Handschrift liegt im Karl-May-Archiv Bamberg.

28 E. A. Schmid: Die verfälschte Handschrift, Karl-May-Jahrbuch 1926, S. 248

29 Die nochmalige Überprüfung durch Roland Schmid hat ergeben, daß die Korrekturen in M II auch nicht etwa von Kandolf stammen, der die Fragmente in den 20er Jahren für die beiden ersten Erzählungen in Bd. 47 der Gesammelten Werke überarbeitete und druckfertig machte.

30 Die Erklärung Ilmers, Anm. 17, ist plausibel für das Kapitel "In der Heimath", aber nicht für "Die Jagd auf den Millionendieb".


Inhaltsverzeichnis


Alle Jahrbücher


Titelseite

Impressum Datenschutz