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HEINZ STOLTE

Narren, Clowns und Harlekine

Komik und Humor bei Karl May *



Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wie ich höre, sind Sie doch nich ohne alle Anlage zur Wissenschaft. Und Senfindianer? Das wissen sie nich? Nich? Da hört doch alles off! Es gibt nich nur eenen, sondern sogar zwee Senfindianer. Und da kennen Sie wirklich keenen davon? Also diese beeden Indianer waren von ihrem Schtamme nach Washington gesandt worden, um dem großen, weißen Vater eenige Wünsche des Schtammes vorzutragen. Als Gesandtschaft mußten sie nobel und rücksichtsvoll behandelt werden, und darum wurden sie des Abends zum Supper beim Präsidenten eingeladen. Da gab's Speisen, die sie im Leben noch nich gesehen, noch viel weniger aber gegessen hatten; dabei lagen die Messer, Gabeln und Löffel, und sie mußten achtgeben, wie sie sich dabei zu benehmen hatten. Da raunte der Alte dem Jungen listig zu: »Mein junger Bruder mag mit mir offpassen, wovon die weißen Gäste am wenigsten nehmen; das ist die teuerste und köstlichste Schpeise; da langen wir tüchtig zu.« Sie gaben also acht und bemerkten, daß am allerwenigsten genommen wurde von einer braunen Schpeise, die auf silbernen Untersetzern in kleenen, feinen Gläsern schteckte. In jedem Gläschen gab es eenen kleenen Löffel, der aus Schildkrötenschale gemacht war. Da meente der Alte wieder zu dem Jungen: »In diesen Gläsern befindet sich das teuerste und köstlichste Gericht. Mein junger Bruder kann een solches Glas mit seiner Hand erreichen; er mag sich zuerst von der Schpeise nehmen.« Der junge Indianer zog sich das Glas herbei, nahm eenen gehäuften Löffel voll und rasch darauf noch eenen zweeten. Dabei blickte er sich um, ob man wohl bemerkt habe, daß er gleich zwee Löffel voll genommen hatte. Keen Mensch guckte her. Erscht nun begann er, die köstliche Speise mit der Zunge zu zerdrücken, und der Alte sah ihm dabei voller Spannung in das Gesicht. Dieses Gesicht wurde nach und nach gelb, rot und blau, sogar grün, aber es blieb schtarr und unbewegt, denn een Indianer darf selbst bei den ärgsten Schmerzen nich mit der Wimper zucken. Die Oo-

* Festvortrag, gehalten auf der Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Berlin am 3. Oktober 1981.


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gen wurden schtarr und immer schtarrer und fingen an zu thränen, bis das Wasser schtromweise über die Backen runterlief. Da machte der junge Indsman eenen fürchterlichen, todesmutigen Schluck, und - hinunter war der Senf und es wurde ihm wieder besser, nur daß das Wasser noch immer in Schtrömen aus den Oogen lief. Darum fragte der alte Indsman neugierig: »Warum weint denn mein junger roter Bruder?« Dieser hätte um alles in der Welt nich eingestanden, daß ihm die köstliche Schpeise so off die Nerven und an das Leben gegangen sei, und darum antwortete er: »Ich dachte eben daran, daß mein Vater vor fünf Jahren im Mississippi ertrunken is; darum weine ich.«

   Bei diesen Worten schob er dem Alten das Glas hin. Dieser hatte gesehen, wie schlau sein junger Bruder gewesen war, und machte es ebenso: er schob schnell hintereenander zwee volle Löffel in den Mund und klappte ihn dann rasch zu. Aber dann gingen mit eenem Male die Lippen wieder auseenander und klappten auf und zu wie bei eenem Karpfen . . . Dann zog es dem Alten die Schtirnhaut in die Höhe, und in der Gurgel quirlte es höchst verdächtig. Die Farbe seines Gesichtes veränderte sich wie bei eenem Chamäleon; der Schweeß sickerte aus allen Poren; die Oogen wurden rot und füllten sich mit eenem See von Thränen, welcher bald überlief und seine Fluten über die Backen herniedergoß. Das sah der Junge und fragte ihn: » Warum weint mein alter roter Bruder?« Da schluckte dieser mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft den Senf hinunter und antwortete: »Ich weine darüber, daß du damals vor fünf Jahren nich ooch gleich mit ersoffen bist!« - So, das is die berühmte Geschichte von den zwee Senfindianern . . . (1)

   Und die genaueren Kenner der Werke Karl Mays unter Ihnen, meine Damen und Herren, entsinnen sich, daß es der Hobble-Frank, Besitzer der "Villa Bärenfett", gewesen ist, der diese Anekdote erzählt hat, und zwar in Karl Mays Jugendbuch "Der Ölprinz". Das hübsche, kleine, artistisch durchgefeilte Erzählstückchen steht in diesem Buch fast beiläufig da, man liest wohl leicht darüber hinweg, und doch wäre Gelegenheit, daran aufzuzeigen, wieviel kunsthandwerkliche Präzision der Erzähler daran gewendet hat: Wie z. B. die Komik auf der straffen und zugleich variierenden Doppelung eines humoresken Motivs beruht, die Form also den Inhalt und der Inhalt die Form bedingt. Und damit sei er also sogleich einmal exemplarisch vorgestellt, von dem nun die Rede sein soll: der Humorist Karl May.

   Mancherlei Hypothesen sind schon im Laufe der Zeit aufgestellt worden, um den außerordentlichen Erfolg beim Lesepublikum zu erklären, durch den sich der Schriftsteller Karl May zu seiner Zeit, aber auch heute noch, siebzig Jahre nach seinem Tode, vor so manchen sei-


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ner dichtenden Zeitgenossen ausgezeichnet hat. Da kam allerdings vielerlei und Verschiedenes zusammen, was ich hier nicht von neuem aufzuzählen beabsichtige.(2) Ich möchte vielmehr heute einmal auf jenen besonderen Umstand hinweisen, den ich für eine kardinale Tugend eines Erzählers halte, ohne welche ein episches Werk sich nicht auf Dauer in der Gunst des lesenden Publikums erhalten kann: den  H u m o r.

   Alle großen Erzähler der Weltliteratur waren in der einen oder anderen Weise Humoristen. Wohl ist es kein dogmatisiertes »Gesetz« der Poetik, ist auch sonst kaum je als Regel einer gültigen Kunstlehre aufgestellt worden, ist aber meine feste Überzeugung, wenn ich sage:  J e d e r  Erzähler sollte ein Humorist sein.

   Das bedeutet nicht, daß er unentwegt Faxen machen sollte, nicht, daß es in seinen Geschichten albern oder grotesk zugehen müßte nein, Humor ist hier in dem ganz ursprünglichen Sinne des Wortes gemeint, das seiner Etymologie nach zunächst »Feuchtigkeit« bedeutet, gemäß der antiken »Säftetheorie«, wonach die seelische Gestimmtheit (wie auch die Gesundheit) des Menschen von der Art der Mischung in ihm wirkender Lebenssäfte bedingt sei. Daß insbesondere die epische Dichtung die häufigste Erscheinungsform des Humors darstellt, ist von der Literaturtheorie schon des öfteren bemerkt worden.(3)

   Humor in diesem Sinne ist also eine im Seelenbereich des Erzählers herrschende Grundstimmung, die man vielleicht am einfachsten als »Gelassenheit«, »Behagen« und »gute Laune« beschreiben könnte. Gut gelaunt sollte er sein, der begnadete Erzähler, behaglich sollte er sich fühlen, und er sollte also nicht allzuviel Galle und Haß in seinem Herzen tragen, aber etwas wie Sympathie, Menschenliebe und Weltliebe darin verfügbar haben, wenn er seine Fabeln spinnt, seine Erzählungen schreibt. Und der Leser wird es ihm danken, er wird, wenn er liest, an solcher guten Laune und solchem Lebensbehagen teilhaben. Dergleichen überträgt sich, und in einer Welt, in der es nun einmal so vielfach unbehaglich zugeht, kann niemand zuviel von diesem Elixier bekommen.

   »Ich entdecke die deutsche Humorlosigkeit«, so schrieb Heinrich Böll, »in fast allem, was bei uns öffentlich passiert, manchmal sogar bei mir selbst.« Recht hat er, auch in dem, was er über sich selbst sagt. Es gibt in unserer Literatur diese ewigen Bitterlinge, deren Bücher Unbehagen und schlechte Laune ausströmen. Humanes Engagement ist gut, aber moralisches Sodbrennen stößt ab. Der zähnefletschenden Avantgardisten und Nonkonformisten wird man allmählich überdrüssig, hingegen sind es die Humoristen unter den Erzählern der Weltliteratur,


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denen die langlebige, zeitlose Liebe ihrer Leser gehört, ob sie nun Homer oder Cervantes, Boccaccio oder Goethe, Gottfried Keller oder Karl May heißen. So verschieden nach Rang und Herkunft sie sein mögen, sie haben gemeinsam das breitbrüstige Wohlbehagen, den weltoffenen Humor des echten Epikers. Das haben sie ihren Erzählwerken mitgegeben und ihren Lesern geschenkt.

   Ja, auch Karl May.

   Was aber nun ihn betrifft, so stehen wir da sogleich vor einem Phänomen, das ganz dazu angetan ist, unser Erstaunen hervorzurufen. Wie nannte doch Hans Wollschläger seine Karl-May-Biographie im Untertitel "Grundriß eines gebrochenen Lebens".(4) Und gewiß: ein gebrochenes Leben war es, was diesem seltsamen Menschen sein Schicksal auferlegt hatte. Aus einem gebrochenen Leben mußte er sein literarisches Werk gewinnen, und vergegenwärtigt man sich das Ausmaß der Misere, des Mißgeschicks und der Katastrophen, die dieses Leben angefüllt haben, so wird man wohl alles andere eher erwarten, als daß dieser Mensch so etwas wie Behagen und gute Laune, etwas wie Humor als Grundstimmung seines erzählerischen Werkes hätte bewahren und bewähren können. Und doch war es so. Er besaß seiner Natur nach ein eher fröhliches Gemüt, einen ursprünglichen Hang zu Späßen und Schelmereien, und der Schalk, der in ihm steckte, suchte sich geltend zu machen, wann immer der schreckliche Druck, der auf seinem Leben lastete, sich einmal verringerte oder ganz von ihm wich. Daß dies vor allem natürlich dann der Fall war, wenn sich der Phantast und Tagträumer aus seiner Alltagsmisere ins Zauberreich seines literarischen Schaffens rettete, wo er seine eigene, andere, bessere Welt erzeugte, das ist uns ja in seinen Werken an unzähligen Beispielen vor Augen.

   Dennoch scheint mir, daß diese Seite seines Wesens und seines Schaffens bei aller intensiven Bemühung um die Deutung des Mayschen Werkes noch keineswegs gebührend gewürdigt worden ist. Da hat - um ein kleines Beispiel anzuführen - Helmut Schmiedt in seinem Aufsatz "Die Thränen Richard Wagners oder Der Sinn des Unsinns"(5) eine Episode aus dem "Weg zum Glück" interpretiert, in der man das Folgende liest:

   Die Worte waren verklungen, und die Musik schwieg. Still wie in einem leeren Tempel war es für einen Augenblick - da schallte ein lautes, lautes herzbrechendes Weinen durch den Raum; der Sepp war es. Der Fex konnte sich auch nicht halten und fiel ein. Leni, bis jetzt still stehend, schlug die beiden Hände vor das Gesicht und eilte schluchzend hinter die Coulissen und - - -

War es möglich! War so Etwas bereits einmal dagewesen? Auch draußen im


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Zuschauerraume, rechts und links, oben und unten, brach die Rührung hervor, welche nicht mehr zurück zu halten war: Man weinte allgemein.

   Auch der König saß still und bewegungslos, den Arm, welcher das Taschentuch hielt, auf die Brüstung gestützt und das Gesicht in die Hand gelegt - - - er weinte!

   Wagner und Liszt, die beiden Meister der Tonkunst, auch ihre Kraft war zu gering: Sie hatten Thränen.

   Nur Einer saß unten, dessen Auge nicht naß wurde - der Krikelanton.

   Diese herrliche Heul-Orgie und Tränenflut, die der Autor uns hier geschildert hat - , wer könnte sie lesen, ohne zu schmunzeln oder in Gelächter auszubrechen. Gleichwohl glaube ich, daß der scharfsinnige Interpret diesem Glanzstück Mayscher Volksschriftstellerei nicht gerecht geworden ist, wenn er dazu schreibt, daß hier die »aberwitzige Eskalation des Konzerts« umgeschlagen sei »in unfreiwillige Komik«, was er denn also für eine Kitsch-Entgleisung eines seiner Sache wohl nicht gewachsenen, unbedarften Kolportageproduzenten hält. Aber da hat der Interpret nicht mit der schalkhaften, schelmischen Schlitzohrigkeit des Spaßmachers Karl May gerechnet.  K o m i k  gewiß, aber  u n f r e i w i l l i g e?  Das keineswegs, da lese ich eine Textstelle wie diese anders. Nicht weniger als sein Interpret, glaube ich, hat sich der Autor selbst delektiert an der grotesken Vorstellung von den Tränenbächen, die da den Saal durchfluten. Und daß er die Rührseligkeit, nachdem er sie so überdimensional aufgeblasen hat, dann in dem einen banalen Satz vom Krikelanton gewissermaßen platzen läßt, bezeugt ja die spielerische Souveränität, mit der er seine Motive zu behandeln weiß. »Einen Jux will er sich machen«, und warum sollte er nicht, da er weiß, welchen dankbaren »Kindern« er seine Märchen erzählt.

   Mays Hang zur Spaßmacherei ist uns ja auch sonst aus seinem Leben mannigfaltig bezeugt. Seine kleinen lustigen Gelegenheitsgedichte zeigen es uns, wie sehr er, wenn nur die Verhältnisse danach waren, der guten Laune und drolliger Lebenseuphorie fähig war.

Im lieben, schönen Lößnitzgrund,
da saßen zwei selbander;
die schlossen einen Freundschaftsbund,
gehn niemals auseinander.

Der Eine schickt Romane ein,
der Andre läßt sie drucken,
und's Ende wird vom Liede sein:
's wird Beiden herrlich glucken.
(6)

   So kommentierte er das wohl wichtigste Ereignis seines Lebens, den Vertrag, den er mit seinem Buchverleger Fehsenfeld schloß. Vieles


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aber auch von dem, was wir an Nachrichten vernommen haben von seinen unglaublichen Flunkereien noch in seinen späteren Lebensjahren, wird man auf das Konto solcher ihn immer wieder juckenden triebhaften Neigung zu münchhausenhafter Lustbarkeit schreiben müssen. Zu Späßen solcher Art war er immer aufgelegt, nicht nur beim Schreiben.

   Und nicht nur in den hellen, von Erfolgen des Schriftstellers besonnten Perioden seiner Biographie zeigte er sich als die zu Clownerien aufgelegte Frohnatur, sondern selbst in jener Zeitspanne, die Wulffen als sein »Inferno« bezeichnet und er selbst in seiner Autobiographie mit Im Abgrunde(7) überschrieben hat, muß er sich schon durch diese seine Wesensart auffällig gemacht haben. In seiner Lebensbeschreibung hat Karl May beispielsweise auch über den Kriminalprozeß zu Mittweida berichtet, durch den er am 13. April 1870 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Während er erstaunlicherweise seinen Richter trotz der Strenge des Urteils nicht tadelt, sondern ausdrücklich erklärt, daß er ihn »vollständig begreife«, hat er den ihm vom Gericht beigegebenen Pflichtverteidiger heftig getadelt: Er hat mich nicht verteidigt, sondern belastet, und zwar in der schlimmsten Weise.(8)

   Nun hat uns ein guter Zufall einen Teil des Wortlauts überliefert, mit dem der Rechtsanwalt Karl Hugo Haase, um den es sich da handelte, in der von ihm eingelegten Berufung für May plädiert hat. In diesem Schreiben heißt es:

   Die dem Angeklagten in erstinstanzlicher Erkenntnis zuerkannte Strafe halte ich nur deßwillen für zu hoch, weil nicht sowohl Schlechtigkeit und Böswilligkeit den Angeklagten zu den Verbrechen getrieben zu haben scheinen, als vielmehr grenzenloser Leichtsinn und die angeborene Kunst, den Leuten etwas vorzumachen und daraus Gewinn zu ziehen. Die ganze Persönlichkeit des Angeklagten machte in der Hauptversammlung den Eindruck eines  k o m i s c h e n  M e n s c h e n, der gewissermaßen aus Übermuth auf der Anklagebank zu sitzen schien. Und auch in den Acten kennzeichnen sich die meisten seiner Verbrechen in ihrer Ausführung mehr als leichtsinnige  S t r e i c h e  wie als böswillige Verbrechen, wennschon ich anerkenne, daß der Angeklagte ein gemeinschädliches Individuum ist. Hiermit glaube ich das Wenige, was für den Angeklagten spricht, herangezogen zu haben . . . (9)

   Ich halte dieses Plädoyer, obgleich es wohl, wie Karl May nicht zu Unrecht meinte, kaum die beste Art sein mochte, vor einem Gericht mitleidige Stimmung für einen Angeklagten zu erwecken, gleichwohl für ein höchst erstaunliches Dokument. Ein Dümmling war er nicht, der diese Sätze formuliert hat. Der Eindruck eines »komischen Menschen, der gewissermaßen aus Übermuth auf der Anklagebank zu sitzen schien«, und die Kennzeichnung seiner »Untaten« als »leichtsinnige


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Streiche«, ebenso wie die Bemerkung von der »angeborenen Kunst, den Leuten etwas vorzumachen« -, das alles trifft so haargenau jene Eigentümlichkeit dieses Menschen Karl May, daß wir den Advokaten Karl Hugo Haase dafür loben müssen, zumal sein Urteil auch der fortgeschrittenen »Karl-May-Forschung« unserer Tage standhält.

   Was uns an der Beobachtung des Menschenkenners Haase aber im besonderen auffallen muß, ist die Tatsache, daß er ja den Delinquenten May nur aus der Zeit seiner schlimmsten Nöte, auf dem tiefsten Tiefpunkt seiner Entwicklung gekannt hat. Wer unter solchen bedrückenden Verhältnissen nicht das totale Opfer dieser Verhältnisse, nicht das Produkt seines unglückseligen Milieus wird, vielmehr immer noch den ihm an- und eingeborenen Humor erahnen läßt, der bewährt damit eine erstaunliche Lebenskraft, eine Charakterprägung, die auch unter den Stürmen und Widerwärtigkeiten unglücklichen Schicksals nicht zerbricht. Ein »gebrochenes Leben« -, das wohl, aber kein zerbrochener Charakter war es, der sich da zeigte.

   Man kann es sich sehr wohl vorstellen, mit welchen Empfindungen der Advokat Haase die Kriminalakten des Falles May studiert hat. Kein Zweifel: er hat sich dabei amüsiert. Ist doch immer das Treiben dieser besonderen Species der Gesetzesübertreter, der Hochstapler, mit einer guten Portion Komik gewürzt, und der Pfiffikus, der es versteht, »den Leuten etwas vorzumachen«, hat stets die geheime Sympathie des Publikums auf seiner Seite, während der übertölpelte Dummkopf mit dem Schaden auch den Spott erntet. Das war es, was den Verteidiger anrührte und was er zur Diskussion stellte, obgleich er besser getan hätte, seinen Klienten als das erbarmungswürdige Opfer einer zum Himmel schreienden Notlage zu schildern. Aber recht hatte er gewiß, wenn er geltend machte, daß der »komische Mensch« nicht aus »Schlechtigkeit oder Böswilligkeit« gefehlt hatte. Genau so sehen auch wir den Menschen und den Schriftsteller Karl May. Und daß er seinen Humor durch sein Inferno hindurch zu retten vermochte, das offenbart eine psychische Elastizität von bewundernswerter Lebenskraft.

   Die Entdeckung des Karl Hugo Haase im Mittweidaer Strafprozeß, daß nämlich in dem »gemeinschädlichen Individuum« auf der Anklagebank, diesem bejammernswerten Delinquenten, ein heimlicher Komiker, etwas von einem Clown und Harlekin steckte, ist ja auch dazu angetan, uns ahnen zu lassen, in welch heftiger psychischer Spannung dieser Mensch gelebt haben muß. Da kann es uns nicht wundern, daß sich im späteren Erzählwerk des Autors May die gleiche Spannung wiederfindet. Während er die Katastrophen und das Versagen, das Leid und die Bedrückungen des wirklichen Lebens seiner Jugendjahre


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einerseits in der erhabenen Großartigkeit seines Wunsch-Ichs überkompensiert, stellt er daneben zugleich alles das, was falsch gewesen war in seinem Dasein und Sosein, als Narrenfiguren personifiziert, ins entlarvende Licht des Komischen und gibt es dem Gelächter preis. Die Struktur seiner Erzählungen ähnelt in dieser Eigentümlichkeit durchaus jener anderen volkstümlichen Lustbarkeit, dem Zirkus, der ja auch in seinen Clownsnummern die Gipfelleistungen der Artistik komisch kontrapunktiert.

   Vier Jahrzehnte nach dem Strafprozeß zu Mittweida, und der Autor Karl May hatte sein schriftstellerisches Werk bereits in allem Wesentlichen abgeschlossen, hat er sich in seiner Autobiographie zusammenhängend darüber geäußert, wie er dieses sein Erzählwerk gedeutet wissen wollte. Das Netz von Symbolik und Hintersinn, das er nunmehr darüber zu spannen suchte, wird man wohl nicht so ganz überzeugend finden. Aber eine dieser Äußerungen ist doch sehr bemerkenswert. Es ist die, in der er sich mit der Bedeutung seiner Halef-Figur auseinandersetzt.(10) Und da heißt es:

   Indem mein Kara Ben Nemsi, das »Ich«, die Menschheitsfrage, in diese Wüste tritt und die Augen öffnet, ist das Erste, was sich sehen läßt, ein sonderbarer kleiner Kerl, der ihm auf einem großen Pferde entgegengeritten kommt, sich einen langen berühmten Namen beilegt und gar noch behauptet, daß er Hadschi sei, obgleich er schließlich zugeben muß, daß er noch niemals in einer der heiligen Städte des Islam war, wo man sich den Ehrentitel eines Hadschi erwirbt . . . . Dieser Hadschi, der sich Hadschi Halef Omar nennt und auch seinen Vater und Großvater noch als Hadschis hinten anfügt, bedeutet die menschliche Anima . . . Und dieser Hadschi ist meine eigene Anima, jawohl, die Anima von Karl May! Indem ich alle Fehler des Hadschi beschreibe, schildere ich meine eigenen und lege also eine Beichte ab, wie sie so umfassend und so aufrichtig wohl noch von keinem Schriftsteller abgelegt worden ist. Ich darf also wohl behaupten, daß ich gewisse Vorwürfe, die mir von meinen Gegnern gemacht werden, keineswegs verdiene. Würden diese Gegner es einmal wagen, so offen über sich selbst zu sprechen wie ich über mich, so würde das sogenannte Karl-May-Problem schon längst in jenes Stadium getreten sein, in welches es zu treten hat, mag man wollen oder nicht.

   Ich sage, das ist eine bemerkenswerte, eine erstaunliche Stelle. Erstaunlich deshalb, weil Karl May hier ein Maß an Selbstreflexion aufweist, das man von ihm, der sich in seinen Reisegeschichten als ein so ausschweifend naiver Phantast bezeugt, kaum hätte erwarten können. Es stimmt ja, was er über den kleinen Hadschi aussagt, und ein mit allen Finessen der Literaturpsychologie vertrauter Interpret könnte es nicht genauer formulieren. Ich lasse beiseite, daß dem komischen kleinen Mann hier von seinem Urheber eine Bedeutung übergestülpt wird


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wie ein viel zu großer Hut, nämlich daß er nichts weniger als die Anima der ganzen Menschheit darstellen soll. Aber daß Halef Omar mit seinem Schöpfer in gewisser Weise identisch ist, daß er, wie es heißt, die Anima von Karl May darstellt, das ist gewißlich wahr.

   Die Harlekinaden des kleinen Hadschis sind die ins Komische transponierten Eskapaden jenes Karl May, den Karl Hugo Haase als einen komischen Menschen durchschaut hatte. Das Komische in Karl May, das Unzulängliche, Großmäulige, Hochstapelnde seiner Anima, das wird, gleichsam als eine Emanation seines Wesens, in Halef literarische Gestalt. Der kleine Mann, der sich einen Titel anmaßt und damit durch die Welt stolziert, er ist gewiß eine Metamorphose jenes amtsenthobenen sächsischen Schulmeisters, der als Dr. med. Heilig einst seine Streiche vollführte oder als Kriminalkommissar nach Falschgeld fahndete. Und noch im späteren Lebensalter schmückte sich der schon berühmte Schriftsteller mit einem Doktorgrad, der ebenso obskurer Herkunft war wie die Hadschi-Würde seines Halef.

   Aber Halef ist nicht allein Träger und Verkörperung der »Anima von Karl May«. Er hat ja, das epische Riesenwerk auf und ab, fast unzählige seinesgleichen, bizarrer noch und clownhafter, ins Bild gesetzt als Halef, aber uns immer noch, in all ihren Schwächen und Wunderlichkeiten, soviel herzliche Sympathie abgewinnend. Einige werden auch gnadenloser der Lächerlichkeit preisgegeben. Ein Mayleser kann sie ja aus der Erinnerung an längst Gelesenes vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen, so scharf und einprägsam sind sie gezeichnet, die ganze lange Reihe grotesker Figuren: Sam Hawkens mit Liddy und Mary, Dick Stone und Will Parker, Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden, Kantor emeritus, Tante Droll und der Hobble- Frank, Humply-Bill und Gunstick-Uncle, der Vogel-Naz Pfotenhauer, der Hadschi Ali und der Slowake Uszkar, der Blaurote Methusalem und der Kapitän Turnerstick, Lord Lindsay mit der Aleppo-Nase und der unergründlichen Geldtasche, der Trapper Geierschnabel und der Alte Dessauer, der Selim Agha und Mijnheer Willem van Aardappelenbosch, Masser Bob und die Senfindianer, der Sänger Albani und der Doktor Marterstein, Selim, der Beschützer, der es mit allen Helden des Weltalls aufnimmt, und der Reigen ließe sich um zahlreiche Exemplare verlängern.

   Ich habe meinem Vortrag den Titel gegeben: »Narren, Clowns und Harlekine«. Damit wollte ich andeuten, daß sich die lustigen Figuren in Mays Werk typologisch nach diesen Kategorien ordnen ließen, Kategorien des Komischen, wie sie auch sonst in der Literatur zu finden sind.


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   Der  N a r r  ist der Dümmling, der unbeabsichtigt Unsinn treibt und alles verkehrt macht; der  C l o w n  ist der sich in bewußter Absicht als solcher darstellende Spaßmacher mit dem ernsten oder tragischen menschlichen Kern; der  H a r l e k i n, wie er in der alten italienischen Commedia dell'arte auftrat, ist die grotesk-komische Figur, die aber dennoch als der Tüchtige, Kluge und Überlegene die Schwierigkeiten meistert und eine wichtige Aufgabe erfüllt.

   Von Narren wimmelt es in Mays Erzählwerk, ohne daß ich sie hier im einzelnen nennen will; aber der Kantor Hampel ist einer davon. Das Clownhafte überwiegt in Figuren wie dem Hobble-Frank. Harlekine sind etwa Halef und der Trapper Geierschnabel. Aber nicht diese Typologie soll hier weiter verfolgt werden, vielmehr die gewiß menschlich ergiebigere literarpsychologische Frage, inwiefern wir solche Figuren als Emanationen dessen auffassen können, was ihr Autor selber die »Anima von Karl May« genannt hat.

   Schon bei einer anderen Gelegenheit(11) habe ich aufgewiesen, wie beispielsweise unter all diesen Groteskfiguren der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden durchaus als eine Selbstpersiflage des Autors Karl May aufzufassen ist, Hampel, der als Komponist in den wilden Westen gekommen ist, um allda den heroischen Stoff zu einer Art Wagner-Oper zu finden. Durch das ganze Buch vom Ölprinzen, in dem sich sein Verfasser ja ganz besonders als Spaßmacher betätigt hat, bietet nun das musikalische Projekt May weiteren Anlaß zu komischer Parodie auch seines eigenen Heroenkults. Sogar die hehre Gestalt Winnetous hat, meines Wissens, noch niemals jemand so trefflich parodiert, so »durch den Kakao gezogen« wie sein Erfinder selbst. Da unterhält sich der Komponist mit dem Hobble-Frank, wie denn Winnetou in seiner Oper auftreten soll:

   »Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf, man erblickt einen großen Urwald, in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?«

   »Singen? Gar nischt natürlich!«

   »Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!«

   »Da wäre dieses Publikum schön dumm! Winnetou - eenen Feind beschleichen - und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?«

   » Ja, hier im wilden Westen. Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!«

   »Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt notwendig is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er meinetwegen singen.«


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   »Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.«

   »Schön. Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:

Ich bin der große Winnetou,
In Amerika geboren,
Habe Oogen, aber nu!
Rechts und links zwee scharfe Ohren,
Krieche auf dem Bauch im Grase,
Rieche alles mit der Nase

 . . . Na, was sagen Sie dazu? Sind sie erschtaunt oder nich?«(12)

   Hier freilich stellt sich uns ein Problem besonderer Art. Wenn nämlich Karl May in der letzten Periode seines Lebens eine Gestalt wie die Halefs gewissermaßen als eine Selbstkritik an eigenen Schwächen aufgefaßt wissen wollte, so ist das denn doch ganz im Nachhinein interpretiert, und immer bleibt zweifelhaft, ob er sich, als er die Gestalt in seiner Phantasie erschuf, dessen wohl schon bewußt gewesen war, daß sie Züge seiner eigenen Anima tragen und als solche der Kritik, das heißt der komischen Persiflage preisgegeben werden sollte. Es gibt da einiges sehr Merkwürdige in dieser Beziehung. Da haben wir beispielsweise den Kapitän Turnerstick, von dem es im "Blauroten Methusalem"(13) so schön heißt:

   Aufrichtig gestanden, war der gute Heimdall Turnerstick ein ganz klein wenig eitel . . . Seine Sprachkenntnisse reichten für seine Bedürfnisse vollständig aus. Mehr konnte nicht von ihm verlangt werden. Und dennoch gab es einen, welcher in ihm ein wahres Sprachgenie erblickte, und dieser eine war - er selbst.

   Er hatte alle möglichen Küstenländer angesegelt und überall einige Worte der betreffenden Sprache mit davon genommen. Diese Reiseergebnisse lagen in seinem Kopfe so wirr durcheinander wie ungefähr die Trümmer eines verunglückten Eisenbahnzuges. Dennoch war er vollständig überzeugt, so einige Dutzend Sprachen und Dialekte zu beherrschen, und brachte bei jeder passenden Gelegenheit diese unglückseligen philologischen Trümmer herbeigeschleppt. Wehe demjenigen, der es wagte, darüber zu lächeln!

   Man weiß ja wohl, wie durch das ganze Buch vom Methusalem hindurch der Kapitän Turningsticking mit seinem Tsching-tschingTschin-Chinesisch einen Hauptteil der Komik zu bestreiten hat. Aber wie? Unser Dichter dichtete Turningsticking, das Sprachgenie, im Jahre 1888. Und da werfen wir nun einen Blick in die verschiedensten Bände von Kürschners Deutschem Literaturkalender und finden in den einzelnen Jahrgängen bis zum Jahre 1903 unseren Karl May angepriesen als Übersetzer aus fremden Sprachen, nämlich Arabisch, Türkisch, Persisch, Kurdisch, Indianerdialekte und Chinesisch. In einer


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Pressereportage aus dem Jahre 1897 hören wir gar von einem Reporter, der May interviewt hatte, das folgende Resümee: »Mir . . . und wohl allen, die in diesen Tagen mit Dr. Karl May zusammentrafen, war es eine große Freude und wird es eine bleibende Erinnerung sein, den Mann, der die ganze Welt bereist hat, der über 1200 Sprachen und Dialekte versteht, den letzten Vertreter der Romantik des Wilden Westens von Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben.«(14)

   Höher ging es ja wohl nicht mit den gepriesenen Sprachkenntnissen, und daß - in dieser Beziehung - der Autor sich ebenfalls als identisch erweist mit seiner eigenen Clownsfigur, das ist nur allzu deutlich zu konstatieren. Ein psychologisches Rätsel, möchte man da mit Mays eigenem Vokabular bemerken, wie einer als Erzähler das eingebildete Sprachgenie zur Narrenfigur macht, seinen Lesern vor Augen führt, wie lächerlich die Angeberei mit Sprachkenntnissen ist, und sich dennoch selber zur gleichen Zeit und darüber hinaus vor aller Öffentlichkeit noch schlimmer gebärdet als sein Kapitän Turnerstick. Und nicht nur im Kürschner und in gelegentlichen Interviews, sondern durch alle Bände seiner Reiseerzählungen erweist sich Old Shatterhand/ Kara Ben Nemsi als so polyglott, daß es für ihn in keinem Winkel der Welt Schwierigkeiten der Kommunikation geben kann. Liest man einmal nach, wie er im "Wilden Kurdistan" das Kurdische gelernt haben will, im Ruck-Zuck-Verfahren in einigen Mußestunden, so wird das Groteske der eigenen Vorstellung vom Sprachenlernen ganz deutlich. In Wirklichkeit, so wissen wir, verstand er nur ein wenig Englisch und Französisch, alles andere war aus Wörterbüchern zusammengesucht, um seinen exotischen Geschichten das Flair der Echtheit mitzugeben. Wie denn also: der einzige, der ihn für ein Sprachgenie hielt, das war er selber, May-Turnerstick, und wehe, wer darüber lachte, wie etwa der Dr. Schumann, der ihn später insbesondere wegen seiner Sprachangeberei publizistisch der Lächerlichkeit preisgab.

   Mir scheint, daß sich am Beispiel dieses Phänomens besonders die ins Pathologische streifende Eigentümlichkeit seines Charakters ausdrückt, die als Überkompensation erfahrener Minderwertigkeit in eine nicht zu bändigende Sucht nach Geltung ausartete. Wie ein Süchtiger mit seinem rationalen Verstand sehr wohl um die Gefährlichkeit und Lebensbedrohung seiner Sucht, sei es nach Drogen, sei es nach Alkohol, weiß und darüber klug zu reden und schreiben vermag, (wie etwa Jack London und Hans Fallada in ihren Büchern "König Alkohol" und "Der Trinker"), und dennoch dem so klar erkannten Verhängnis verfallen bleibt, so scheint es sich hier auch bei den angeberischen Narreteien unseres Karl May zu verhalten.


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   Man könnte noch manches andere Beispiel dieser Art heranziehen. Eines findet sich etwa gelegentlich der Abenteuer "Im Lande des Mahdi". Da finden wir Kara Ben Nemsi mit einer Figur von anderer Art kontrastiert, dem großmäuligen Selim, der sich zu seinem Beschützer aufwirft und unentwegt (wie der Boxer Muhammed Ali) erklärt, daß er der Größte sei. Er gehört zu der Gattung der Narren, dieser Selim, und ist gerade in seiner Narrheit ein so echtes Stück seines Schöpfers Karl May wie Halef, Hampel und Turnerstick. Man muß ihn nur schwadronieren hören:

    »Ich war der berühmteste Krieger meines Stammes und nehme es, wie du weißt, mit allen Helden des Weltalls auf . . . Sende mir nur einmal leibhaftige, lebendige Feinde, etwa fünfzig oder hundert oder meinetwegen auch tausend! Du sollst sehen, wie mein Heldenarm unter ihnen aufräumt! Mein Mut ist wie der Sturm der Wüste, der alles niederreißt, und vor meiner Tapferkeit erbeben selbst die Felsen. Wenn ich im Kampfe meine Stimme und meinen Arm erhebe, so rennen selbst die Tapfersten davon, und vor dem Brüllen meines Gewehres hält kein Verwegener stand.«(15)

   Seinen alten, feigen und doch so gutmütigen Schlagotodro nennt ihn Kara Ben Nemsi bei dieser Gelegenheit, und an anderer Stelle: Der Kerl war wirklich unbezahlbar, ein Aufschneider sondergleichen!(16)

   Ein Aufschneider sondergleichen! Ja, als solcher geht er in der Rolle des Narren auf weite Strecken neben Kara Ben Nemsi, dem Erhabenen, durch das Land des Mahdi, stets dafür eingesetzt, dem Leser vor Augen zu führen, wie lächerlich es doch sei, sich mit Heldentaten zu brüsten, die man niemals begangen hat. Man möchte es ja kaum für möglich halten, daß auch hier eine menschliche Schwäche, eine Fehlhaltung verulkt wird, deren sich der Autor Karl May mit jeder Seite seines Abenteuerbuches, die er schreibt, notwendigerweise selber schuldig macht. Jawohl, darin war er wirklich »unbezahlbar«! So erweist sich denn auch diese Narrenfigur als eine Emanation der »Anima von Karl May«, ja, eigentlich noch mehr: als das im Spiegel der Komik erscheinende Ebenbild seines Schöpfers. Soll man es also, um mit Goethe zu sprechen, als Bruchstück einer Konfession nehmen? Oder ist es vielmehr ein Erzähler-Trick, die Echtheit seines »Wunsch-Ichs« herauszustreichen? Denn wer sich über närrische Sprachenprotzerei und falsches Maulheldentum lustig macht, dem wird man es sicherlich abnehmen, was er über die eigenen Sprachkenntnisse und Heldentaten erzählt. So wie ein Prothesenträger, der sich laut genug über falsche Zähne bei anderen lustig macht, den Glauben erweckt, daß die seinigen jedenfalls echt seien.


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   Besonders eindringlich möchte ich jetzt aber noch auf einen Umstand hinweisen, den vielleicht mancher Leser übersieht oder in seiner literaturpsychologischen Bedeutung nicht würdigt. Es ist der bei vielen dieser Figuren erkennbare traumatische Ursprung des Grotesken und Komischen. Wie ja doch auch im Zirkus jene lustigen Hampelmänner manchmal von einem Hauch von Melancholie, von Traurigkeit begleitet sind, so verhält es sich, blicken wir genauer hin, auch mit manchen Gestalten bei Karl May. Ich will es, im vollen Zitat, an einem zentralen Beispiel hier aufzeigen, an Sam Hawkens, wie er im ersten Band des "Winnetou" uns zuerst vorgeführt wird.

   Man denke sich folgendes Aeußere: Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würden, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzen Barthaaren eine Nase hervor, welche von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge dieses gewaltigen Bartwuchses waren außer dem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen Gesichtsteilen nur d e zwei kleinen, klugen Aeuglein zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List auf mir ruhten . . . 

   Diese Oberpartie ruhte auf einem Körper, welcher bis auf die Kniee herab unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, der augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Manne das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins steckten, die so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor zwei Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in denen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platzfinden können.

   In der Hand trug dieser "berühmte Westmann" eine Flinte, welche ich wohl nur mit der äußersten Vorsicht angefaßt hätte; sie war einem Knüppel viel ähnlicher als einem Gewehre. Ich konnte mir in diesem Augenblicke keine größere Karikatur eines Prairiejägers denken . . . (17)

   Bis hierher also ist dieser Sam Hawkens die Karikatur eines Prairiejägers, der typische Clown, wie er etwa in der Zirkusmanege steht, lächerlich von Kopf bis Fuß, und nicht nur die groteske Verkleidung, die lange Clownsnase und der monströse Riesenbart, auch die ganze liliputhafte Körperlichkeit eignen sich zu den Faxen eines Dummen August, die wir nun wohl von ihm erwarten. Aber mit einem Male nimmt, was diese lustige Figur betrifft, die Erzählung eine jähe Wendung, die uns plötzlich und erschreckend die Kehrseite des Komischen, das Tragische sichtbar macht:


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   Dann laden sie uns ein, in das Speisezimmer zu treten. Wir folgten dieser Aufforderung, wobei Sam Hawkens zu meinem Erstaunen gar nicht vorher ablegte. Erst als wir unsere Plätze an der Tafel angewiesen erhielten, sagte er, indem er auf seinen alten Schießprügel deutete:

   »Ein richtiger Westmann läßt sein Gewehr niemals aus den Augen und ich meine brave Liddy erst recht nicht. Werde sie dort an die Gardinenrosette hängen.«

   Also Liddy nannte er sein Gewehr! . . . Er hing es an die genannte Stelle und wollte den famosen Hut hinzufügen; als er ihn abnahm, blieb zu meinem Entsetzen sein ganzes Kopfhaar an demselben hängen. Es war wirklich zum Erschrecken, welchen Anblick nun sein hautloser, blutigroter Schädel bot. Die Lady schrie laut auf, und die Kinder kreischten, was sie konnten. Er aber wandte sich zu uns um und sagte ruhig:

   »Erschreckt nicht, Myladies und Mesch'schurs; es ist ja weiter nichts! Hatte meine eigenen Haare mit vollem Rechte und ehrlich von Kindesbeinen an getragen, und kein Advokat wagte es, sie mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees über mich kamen und mir die Haare samt der Haut vom Kopfe rissen. War ein verteufelt störendes Gefühl für mich, habe es aber glücklich überstanden, hihihihi! Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir einen neuen Skalp gekauft, wenn ich mich nicht irre; wurde Perücke genannt und kostet mich drei dicke Bündel Biberfelle. Schadet aber nichts, denn die neue Haut ist viel praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt, hihihihi.«

   Geradezu exemplarisch, man möchte sagen mit unübertrefflicher Eindringlichkeit führt uns der Erzähler in dieser kleinen Episode das - hier im wörtlichsten Sinne - Traumatische vor Augen, das sich hinter der Maske des Clownhaften verstecken mag. Die Szene ist ja dramatisch pointiert: das Erschrecken, ja Entsetzen des jungen Greenhorns, der Aufschrei der Dame, das laute Kreischen der Kinder. Da ist, so unverhofft, der Blick auf die blutige Brutalität des Daseins frei geworden. Der vermeintlich bloß »komische Mensch« erweist sich als eine vom Schicksal grausam geschundene Kreatur. Aber er ist, dieser Sam Hawkens, ein seiner eingeborenen Natur nach humorbegabtes Menschenkind, und so kommt er auch mit dem blutigen Schädel und den kleinen krummen, dünnen Beinchen noch auf seine Kosten im Leben, indem er seinen Kummer in Späße zu verwandeln weiß: Die neue Haut ist viel praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt, hihihihi.

   Dies ist Humor: die seelische Kraft und Elastizität, Tragisches in Komisches zu verwandeln. Eine bekannte Formel lautet ja auch: »Humor ist, wenn man  t r o t z d e m  lacht.« Und genau dieses ist es, was Karl May uns an der Figur seines Hawkens zeigen will. Sein »Hihihihi«, das gewissermaßen als Leitmotiv durch das ganze Winnetou-Buch hindurchgeht, ist keine idiotische Attitüde, sondern der Autor Karl


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May hat es uns ausdrücklich genauer charakterisiert als dieses feine, ganz eigenartige Lachen, und es ist so fein und eigenartig, weil es gewissermaßen nach innen gelacht wird, als  d a s  besondere Lachen, das man  t r o t z d e m  lacht.

   Ich habe einmal vor Jahren in meiner Dissertation geschrieben: »Auch Sam Hawkens ist Karl May«, ohne diese Feststellung weiter zu differenzieren. Hier haben wir, was gemeint ist: Wie der »komische Mensch« im Mittweidaer Prozeß zugleich das vom Leben geschundene Menschenkind war, so dieser Sam Hawkens im Winnetou-Roman. Zu den Narren zählen wir ihn nicht, ein Clown ist er, indem er das Traurige seiner Existenz bewußt in eine Spaßmacherrolle einbringt, und - nach unserer Definition - als ein Harlekin erweist er sich auch, indem er als der Tüchtige, Listenreiche und Tapfere in vielen Abenteuern seinen Mann steht.

   Das Traumatische im Komischen: Karl May hat es uns auch sonst vor Augen geführt. Da ist Turnerstick, von dem es heißt:

   Er besaß trotz seiner bedeutenden seemännischen Kenntnisse kein sehr geistreiches Angesicht. Mitten in demselben saß das, was der Seemann eine Vorlukennase nennt. Sie war höchst vorwitzig nach oben gerichtet und durch einen Faustschlag, den der gute Kapitän in seiner Jugend erhalten hatte, ansehnlich weit zur Seite getrieben worden, was seiner Physiognomie ein höchst ordnungswidriges Aussehen gab. . . . In einem Kampfe mit malayischen Seeräubern hatte er das rechte Auge eingebüßt und trug an dessen Stelle ein künstliches.(18)

   Da ist weiter der Humply-Bill, der durch einen Buckel entstellt ist, und sein Partner und gewissermaßen Gegenbeispiel, der Gunstick Uncle, der an einer Rückgratversteifung leidet und stets kerzengerade wie ein Ladestock, von dem er seinen Spitznamen hat, einherstakst, zugleich behaftet mit der Marotte, immerfort gereimte Verse zu produzieren. Da ist Tante Droll, ein so tüchtiger Westmann und gar Polizeidetektiv, bei dem es - würden wir heute diagnostizieren - mit dem Hormonhaushalt seines Organismus nicht stimmt, da er mit rundem Frauengesicht und langem Frauenrock eine Groteskfigur abgibt. Der lustige, sächselnde und voller Spaßgeschichten steckende Hobble-Frank ist, wie sein Spitzname besagt, ein Hinkender, und vom närrischen Kantor Hampel läßt sich erahnen, daß es in seinem Leben eine ähnliche Amtsenthebung und Katastrophe wie in Karl Mays Lehrerlaufbahn gegeben hat, was ihn zum Kantor  e m e r i t u s  gemacht und sozial entwurzelt hat.

   Die Beispiele ließen sich vermehren, besonders wenn man auch die Kolportageromane Mays danach sichtete, und eines dieser Beispiele


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werden wir vielleicht noch heute abend von Hansotto Hatzig vorgetragen hören: die Geschichte vom Schimmel in der Oper.

   Max Finke, einer der verdienstvollen frühen Karl-May-Forscher, hat in einem Aufsatz im Karl-May-Jahrbuch 1921 einmal geschrieben: »Wenn wir der scharfen Trennung von Humor und Komik eingedenk sind, so werden wir vergebens nach Humor im eigentlichen Sinne bei May suchen.«(19) Ich habe schon 1936 in meiner Abhandlung über den "Volksschriftsteller Karl May" diese Behauptung kritisiert und zu differenzieren gesucht. Die neuerliche Beschäftigung mit dem Problem hat mich vollends davon überzeugt, daß die These Finkes falsch war. Eine »scharfe Trennung« von Humor und Komik gibt es überhaupt nicht. Komik ist nur die sichtbare Form, in der Humor als eine Grundstimmung und Grundlage eines Erzählers sich manifestieren kann. Ist Komik nur eine alberne Klamotte, dann freilich hätte sie mit Humor nicht viel zu tun. Was aber Karl May betrifft, so bezeugen gerade die komischen Figuren in seiner Erzählwelt, wie sehr auch bei ihm das Groteske, Komische, Lustige aus den Schmerzen und Verhängnissen der Existenz entspringt, und eben deshalb (was Max Finke vom echten Humor forderte) »die Träne im Wappen führt«. Das sieht bei May anders aus als bei seinem Zeitgenossen Wilhelm Raabe, denn gewiß liegt seine Erzählkunst auf einer anderen intellektuellen Ebene als die Raabes. Aber daß er, Karl May, unter den deutschen Erzählern einer der humorvollsten ist, das ist gewißlich wahr.

   Wir kommen zum Schluß. Die polarische Spannung, der eigentlich recht unauflösbare Widerspruch, der diesen Menschen, dieses Leben, dieses literarische Werk bestimmt und beherrscht hat, der hier sichtbar geworden sein mag als ein sich gegenseitig bedingender Gegensatz zwischen Leidenserfahrung und Humor, Tragik und Komik, Selbstprüfung und Clownerie als Spott über die eigenen Schwächen - , das alles zeigt uns auch von dieser Seite der Betrachtung her, daß dieser Mann und Schriftsteller May eine höchst schwierige und differenzierte Persönlichkeit gewesen ist. Ein von seiner Grundnatur her als ein so fröhliches, heiterbeschwingtes, aufs Lustige, Spaßhafte gestimmtes Temperament ward konfrontiert mit einem so umdüsterten, leidbeschwerten Leben, daß sich der echte, der eigentliche Karl May, dieser - wie der Advokat Haase sich ausdrückte -  k o m i s c h e  Mensch so ausschweifend aus seinem Leben in die hermetische und doch uferlos weiträumige Welt seines Erzählwerkes flüchtete, wo er mit Inbrunst all seine lustigen Puppen tanzen lassen konnte, aber auch natürlich dem ihm vorschwebenden Idealbild des Edelmenschen nachstreben, als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi dieser Edelmensch schon  s e i n  durfte.


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   Wie das, was Karl May sein »Elend« nannte, das an ihm hing wie um seine eigenen Worte zu benutzen - die Kanonenkugel am Bein eines Bagnosträflings, geradezu die ins Ungeheuerliche ausschweifende Produktivität seiner literarischen Phantasiewelt bedingte und provozierte, das muß nicht erst aus der späten Analyse des Literaturpsychologen belegt werden. Er hat es uns selber schwarz auf weiß dokumentiert. Am deutlichsten und schärfsten in seinem berühmt-berüchtigten Stück Selbstbiographie, das unter dem Titel "Frau Pollmer, eine psychologische Studie" demnächst im Karl-May-Verlag Bamberg publiziert werden wird, und aus dem ich hier eine der interessantesten Stellen zitieren will:

   Ich habe in jener Zeit des elendesten Innenlebens unendlich fleißig gearbeitet und meinen Lesern nur Glauben und Gottvertrauen, Liebe, Glück und Sonnenschein gegeben. Es giebt einzelne Jahre, in denen ich 6 - 8 neue Bände schrieb. Das hat vorher noch Niemand fertig gebracht, und auch nachher wird wohl Keiner kommen! Es gab Wochen, in denen ich drei und auch vier Nächte durcharbeitete. Solche Anstrengungen und solche Erfolge hatte ich theils meiner eisernen Gesundheit zu verdanken, theils und noch viel mehr aber auch der Willenskraft, meine glückliche, selige Arbeitswelt und die armselig häßliche, traurige Welt der Pollmerschen Dämonen vollständig auseinander zu halten. Die Zeit, die ich nun in der Lößnitz verlebte, hat mir unendlich schöne, heilige Tage und Nächte gebracht, in denen ich mit meinen Idealen am einsamen Schreibtische saß, um die herrliche Menschheitsseele kennen zu lernen, die Menschheitsfrage zu ergründen und die Millionen meiner Leser den Weg empor zur Edelmenschlichkeit zu führen.(20)

   Literatur als Überwindung, ja, als Ersatz des Lebens, hier haben wir es von ihm selber ausgesprochen, wie denn ja auch jenes Schriftwerk, aus dem ich zitiert habe, eine psychologische Studie weniger über Emma Pollmer als - unbeabsichtigt - über ihren Verfasser selbst ist. Die »glückliche, selige Arbeitswelt« und die »armselig häßliche, traurige Welt« seiner Lebenswirklichkeit, wie sie einander kontrastieren und doch auch gegenseitig bedingen, hier wird es uns ganz deutlich gesagt, und auch daß literarisches Schaffen in seinem Falle gleich einem Narkotikum genossen wird von einem nach solchen Euphorien seiner Tagträumerei Süchtigen. In solcher euphorischen Spielwelt tauchen sie vor ihm auf, erscheinen sie ihm, all die Narren, Clowns und Harlekine.

   Ein Spaßvogel war er nun einmal, ungeachtet dessen, daß er - andererseits - ein solcher Pechvogel gewesen ist. Und wenn ich vorab das Zeugnis des Advokaten Haase zitiert habe, der selbst im Armen Sünder den »komischen Menschen« erkannt hatte, so steht, ganz schon am Ende seines Lebens, bei Gelegenheit seines letzten öffentlichen Auf-


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tretens, bei seinem Vortrag in Wien, ein ganz ähnliches Dokument. Es stammt von Robert Müller, jenem jungen Schriftsteller, der bekanntlich May zu der Wiener Unternehmung eingeladen hatte. Der hatte eigentlich ursprünglich keine allzu gute Meinung von dem, wie er meinte, »einfältigen« und »versimpelten« »moralischen Parvenue«, aber dann, als er Karl May nur wenige Tage in Wien erlebt hatte, schrieb er anerkennend über ihn:

   »May selbst kenne ich nun. Eindruck: sehr sehr sympathisch, Größe nebst Einfalt und Kindereien, ohne Zweifel etwas Genialisches und vor allem: ein Humor, der auch vor dem eigenen Selbst nicht kehrt macht. Alles in allem eine angenehme Enttäuschung. Ganz Temperament bei 70 Jahren. Haltung: Papa, Weltweiser, Witzbold, jovialer alter Herr etc. etc. in dieser Richtung . . . «(21)

   »Weltweiser und Witzbold«, ein »Humor, der auch vor dem eigenen Selbst nicht kehrt macht«, so zeichnet ihn Robert Müller, diesen Karl May also noch, den wir doch andererseits aus jenen Tagen auf einem Foto sehen können, als einen ehrwürdigen Greis, gezeichnet schon von den Schatten der Krankheit, die ihn nur zehn Tage später dahinraffle.

   Aber nein, meine verehrten Zuhörer, wenn schon geendet werden muß, so ziemt es sich nicht, in der gewiß naheliegenden Pietät eines solchen Endes weihevoll zu gedenken - , es ziemt sich nicht am Schluß einer Betrachtung, die wir dem Humoristen und Komiker, dem »komischen Menschen« Karl May haben angedeihen lassen. Nein, nein -, wenn schon die Rede sein soll von der Vergänglichkeit und Sterblichkeit alles Irdischen, dann geben wir hier das Schlußwort dem Humoristen Karl May mit einem seiner Gedichte, das Scherz und tiefere Bedeutung auf die ihm eigene Art vereinigt; er widmete es dem toten Sperling, den er in seinem Garten gefunden und begraben hatte:

Hier liegt ein junger Spatz, in Frieden
am zwanzigsten August verschieden.
Weil er den Magen sich verdorben,
hat er sich daran totgestorben.

Nun liegt er hier auf diesem Beet,
wo links von ihm die Pflaume steht.
Und du, o Wandrer, laß dir sagen:
Verdirb dir niemals nicht den Magen!
(22)


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1 Karl May: Der Ölprinz (Union Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, Berlin, Leipzig o. J.) Reprint. Bamberg und Braunschweig 1974, 466-468. Der Text ist hier leicht gekürzt wiedergegeben.

2 Vgl. H. Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May (Diss. Jena). Radebeul 1936, 2. Aufl. (Reprint). Bamberg 1979; Ders.: Ein Literaturpädagoge, Jb-KMG 1972 - 1976; V. Böhm: Karl May und das Geheimnis seines Erfolges (Diss. Wien). Wien 1955, 2. Aufl. Gütersloh 1979

3 z. B. G. v. Wilpert: Humor, in: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart 1964. »Seine häufigste Erscheinungsform in der Dichtung ist die Epik.«

4 H. Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976

5 Jb-KMG 1980, 63 - 77, vgl. Karl May: Der Weg zum Glück, Dresden (1887), 488

6 Karl May: Lichte Höhen, Bamberger Ausg. Bd. 49, 465

7 Karl May: Mein Leben und Streben, hsg. v. H. Plaul. Hildesheim-New York 1975 (Reprint der Ausgabe des Verlages Fehsenfeld, Freiburg i. Br. 1910), 109-177

8 Ebd. 168

9 Ebd. 385, Anm. 145

10 Ebd. 209-212

11 Die Affäre Stollberg, Jb-KMG 1976 171ff.

12 Karl May: Der Ölprinz (wie Anm. 1), 377f.

13 Karl May: Der blau-rote Methusalem (Union Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart Berlin, Leipzig o. J.) Reprint. Bamberg und Braunschweig 1975, 22

14 Zitiert nach C. Roxin: Dr. Karl May genannt Old Shatterhand. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1974, 25

15 Karl May: Im Lande des Mahdi, Bd. I, Freiburger Ausg. Bd. XVI,21 lf.; Bamberger Ausg. Bd. 16, 183; Pawlak 27, 147

16 Ebd. Freiburger Ausg. XVI, 267; Bamberger Ausg. 16, 231f.; Pawlak 27, 184

17 Karl May: Winnetou I. Freiburger Ausg. VII, 29ff., Bamberger Ausg. 7, 29-32. Pawlak 1, 26f., ebenso das folgende Zitat

18 Der blau-rote Methusalem, a. a. O. 21

19 Max Finke: Aus Karl Mays literarischem Nachlaß. In: Karl-May-Jahrbuch 1921 (Radebeul), 16-40 (36)

20 S. 849 des mit S. 801-946 paginierten Manuskripts

21 Vgl. F. Cornaro: Robert Müllers Stellung zu Karl May, Jb-KMG 1971, 240. Cornaros Aufsatz wurde neuerdings nachgedruckt in: Expressionismus, Aktivismus, Exotismus. Studien zum lit. Werk R. Müllers, hrsg. v. Kreuzer u. Helmes. Göttingen 1981.

22 Karl May: Lichte Höhen, Bamberger Ausg. Bd. 49, 465f.


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