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KARL MAY


Briefe an das bayerische Königshaus*




A 1 · Karl May an Hauptmann Freiherrn von Laßberg, 15. 4. 1897

Radebeul-Dresden, Villa »Shatterhand« d. 15. 4. 97

Hochgeehrter Herr Hauptmann!
   Entschuldigung, daß ich erst heut antworten kann! Ich kam erst Sonnabend von einer weiten Reise zurück, und nun liegen über 5000 Leserbriefe da, welche alle nach der Reihenfolge ihres Einganges zu beantworten sind. Das würde für Ihr Schreiben erst nach Monaten sein, aber so lange darf ich die lieben Kleinen doch unmöglich warten lassen. Die Zuschrift vom 27. II. ist mir noch gar nicht in die Hände gekommen.
Also:
1)Ich bin wirklich Old Shatterhand.
2)Alle Westmänner, von denen ich erzähle, haben gelebt oder leben noch, wenn auch nicht mehr in dieser Eigenschaft.
3)Ich war 21 mal in Amerika und werde nächstens zum 22ten Male hinübergehen, um mir noch einige Grizzlies zu schießen und die Apatschen zu besuchen.
4)Die III Bände »Winnetou« bilden ein Denkmal für meinen herrlichen Freund; da mußte ich auch den Tod bringen. Warum sollte ich nicht noch vieles erzählen, was vor seinem Tode geschehen ist? Hätte ich z. B. einen Band über »Napoleons I. letzten Feldzug« geschrieben, würde es mir da verboten sein, auch noch über »Napoleon I in Egypten« zu schreiben?

   Höchst wahrscheinlich sind Ihnen, verehrter Herr Hauptmann, nur wenige Bände meiner gesammelten Werke bekannt. Ihre lieben Kinder würden sich gewiß sehr freuen, wenn sie Heft I des »Deutschen Hausschatz« neuer Jahrgang, sehen könnten; da ist viel (mit Abbildungen) über Old Shatterhand zu lesen. Preis 40 Pfennige.
   Schließlich gestatte ich mir, Ihnen für Ihre freundliche Zuschrift herzlich Dank zu sagen, und bin

Herr Hauptmann,mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr Dr. Karl May.


*Die Briefe werden ebenfalls ohne Korrektur von Verschreibungen wiedergegeben. Das gilt auch für die Briefe und Briefzitate im anschließenden Beitrag von Ulrich Schmid. Eingefügte Satz- und Anführungszeichen sind in eckige Klammern gestellt.



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A 2 · Antworten Karl Mays auf einem Brief Baron Hans von Laßbergs

1)Wie geht es, und wo sind jetzt:
Sam Hawkens todt
Old Shurehand todt
Old Firehand todt
Dick Hammerdull todt
Pitt Holbers todt
Bloody Fox todt
Kolma Puschi lebt in Colorado
Tibo-wate-elen   todt
Entschar-Ko
Til-Lata
Nitschas-Inị     todt
Apanatschka
Schibir-begk

Über den Tod dieser Personen gebe ich in späteren Romanen Aufschluß.
2)Ist Schiba-beghk Christ geworden?Ja.
3)Gibt es Bilder von Winnetou und den oben Genannten?Nein.
4)Weshalb hat Nitschas-Ini eine Weiße geheirathet?Wird später erzählt; ich mag nicht vorgreifen.
5)Wie alt ist Winnetou geworden und wann (Datum) starb er?Geboren 1840, erschossen den 2ten Sept. 1874.
6)Warum ist er nicht von Karl May getauft worden?Ich habe ihn, da kein Wasser da war, mit seinem eigenen Blute getauft, ehe er starb, erzählte das aber nicht, da unter den geistlichen Herren die Meinung über diese Art von Nothtaufe eine verschiedene ist.
7)Wer ist der jetzige Häuptling der Apachen?Oberster ich noch, siehe »Winnetou« Band I. Dann hat jeder Stamm unter mir seinen besonderen Häuptling.
8)In welche Zeitschriften schreibt Karl May? und welche seiner Geschichten handeln von Indianern?»Deutscher Hausschatz«, Regensburg, herausgegeben von Pustet.
9)Gibt es ein »Indianisches Wörterbuch« von Karl May?Nein.



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10)Gibt es noch Indianer, welche nicht in Reservationen sind /: u. zw. Wilde:/?Ja, besonders folgende Apatschenstämme: Mescaleros, Llaneros, Jicarillas, Taracones, Chiriguais, Mimbreños, Coyoteros und Pinaleños.
11)Gibt es noch Büffel?Nein, nur noch einige bei uns in zoologischen Gärten (z. B. in Dresden). 120 Stück wurden zur Schonung nach Wyoming gebracht, aber auch von Aasjägern weggewildert.
12)Wie alt ist Hatschi-Halef?49 Jahre, jetzt oberster Scheik der Haddedihn. Werde ihn nächstens besuchen.
13)Leben Miridit und Schuhd noch?Nein.


Uebrigens komme ich anfangs März nach München, Hotel Treffler, bei welcher Gelegenheit ich bereit bin, ausführlicher zu antworten.
Wegen Arbeitsüberhäufung und Abreise nach Wien in großer Eile.
Dr. Karl May


Unsignierte Anlage: Preisliste Adolf Nunwarz' für seine Karl-May-Bilder.


B 1 Klara Plöhn an Baronin Bertha von Wulffen, undatiert (1902)
(Mit der Unterschrift »Emma May«; von Karl May diktiert)

Hochgeehrte Frau Baronin!
   Da ich während der gegenwärtigen Reise meines Mannes mich bei ihm befinde, ist erst hier in der Hafenstadt Ihr gütiges Schreiben in meine Hand gekommen. Ich beeile mich, es zu beantworten.
   Wie aber fange ich es an, um grad Ihnen das sagen zu können und zu dürfen, was mein Herz bewegt, während ich schreibe! Und doch habe ich das Gefühl, daß ich hier sagen müsse, was ich Anderen gegenüber tief in mein Glück und Leid zu verschließen pflege! Ich will es thun, als säße ich bei Ihnen und schaute in liebe, gute Augen, aus denen eine milde, verständnißvolle Seele blickt.
   Auch Ihnen sind Menschenkinder anvertraut - hohe, edle. Sie wissen, was das zu bedeuten hat. Sie kennen die Verantwortlichkeit in ihrer ganzen Größe! So auch ich! In meinem Manne wurde mir nicht nur das Glück eines innerlich unglaublich reichen Menschenlebens an das Herz


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gelegt, sondern auch die Sorge um eine Arbeitskraft, die ich ihm unbedingt zu erhalten habe, weil er durch sie und seinen unausgesetzten Fleiß ein Ziel zu erreichen hofft, welches sich gewiß nur selten ein Anderer zu stecken wagen wird. Es ist kein litterarisches, sondern es steht viel, viel höher als der lächerliche Schriftstellerruhm, nach welchem er nicht trachtet. Die Bücher, welche er geschrieben hat, sind etwas ganz Anderes als das, wofür man sie zu halten pflegt. Man wird ihren Inhalt erst durch das, was noch kommen wird, verstehen und begreifen lernen.

   Er hat noch so viel zu schaffen, daß mir angst werden möchte, wenn ich daran denke. Glücklicher Weise besitzt er trotz seiner sechzig Jahre in körperlicher und geistiger Beziehung noch die volle jugendliche Rüstigkeit und Spannkraft; aber da man niemals weiß, wann der letzte Ruf erklingt, so gilt es, mit diesen Gaben hauszuhalten und sie auf keinen Fall mehr zu Nebensächlichem zu verwenden. Er liest keine Zeitung mehr, keine einzige. Die Abertausende von Briefen, welche eingehen, habe ich zu sichten. Er raubt sich Zeit nur für diejenigen, welche von rein seelischem Inhalte sind, und das sind viele hunderte. Jene entsetzlichen, geisttödtenden und doch in ungezählter Menge wiederkehrenden Fragen nach Äußerlichkeiten, welche in späteren Büchern für die Gesammtheit erledigt werden, hat er abgeben müssen. Hätte er dies nicht gethan, so würde er derart mit ihnen beschäftigt sein, daß er kein einziges neues Werk mehr schreiben könnte. Es war das ein Akt der Nothwehr, zu welcher ihn die liebenswürdige Naivität seiner Leser geradezu gezwungen hat. Er lebt als Einsiedler, auch wenn er reist. Er will sich sein liebes, schönes Ideal, welches er vom Menschen und der Menschheit besitzt, nicht dadurch trüben, daß er sich mit beiden in unideale Berührung bringt. Er hat seine ganze materielle Welt auf unser kleines, freundliches Heim in Radebeul beschränkt. Es ist für Jedermann verschlossen, nur nicht für die, welche der Liebe bedürfen. Seine geistige Welt liegt hoch und still im lichten Seelenfrieden, vor dessen Thore die Schritte aller seiner Gegner umzukehren haben. Daß dieser Friede zum »Et in terra pax« werden möge, daran arbeitet er in frommer Einsamkeit. Das ist sein Lebenswerk.
        »Wenn sich Dein Lebenstag zur Rüste neigt
           Und gegen Abend goldue Flummen sprühen,
        So wirf von Dir, was nicht mit aufwärts steigt,
           Um himmlisch rein im Aether auszuglahen.«

So schreibt er vom Tode. So und nicht anders will er sterben. Sich loslösen von allem Niederen und Gewöhnlichen. In diesem Sinne liegt er schon längst im Sterben. Es ist ein herrlicher, wunderbar schöner Tod.


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Er aber hat ein ganz anderes Wort dafür. Er beschreibt diesen seinen eigenen Tod im dritten Band von »Im Reiche des silbernen Löwen«, welcher soeben erscheinen wird.
        »Will dann der letzte Ton in Dir verklingen,
           Mit dem die Erde sich vom Himmel trennt,
        So schlägt um Dich der Abend seine Schwingen
           Und trägt Dich auf zu Gottes Firmament.«

Begreifen Frau Baronin das? Es ist etwas so Eigenartiges um das Leben, Denken, Fühlen und Ringen dieses Mannes. Wer versteht ihn? Kaum ich! Einst aber wird und muß man doch begreifen, was er geschrieben hat! Dann wird man endlich wissen, was eigentlich seine Indianer und seine Beduinen bedeuten und nicht mehr nur nach Namen fragen, die für den schärfer denkenden doch nichts als Zufall sind.
   Was solche äußeren Fragen betrifft, so will ich mich den Königlichen Hoheiten ja unendlich gern und dankbar zur Verfügung stellen. Wie herzlich aber würde er selbst sich freuen, wenn er einmal aus einer tiefergehenden Erkundigung ersehen dürfte, daß er nicht mehr allein der Erzählende ist, sondern daß nun auch die Seele seiner Bücher zu sprechen begonnen hat. Denn sie ist es, die reden soll, nicht er!
   Indem ich wegen der Verzögerung der Antwort nochmals um gütige Verzeihung bitte, kann ich versprechen, jede nach Radebeul kommende Sendung umgehend zu erledigen, obgleich wir von hieraus nicht direct dorthin gehen, uns aber doch in Deutschland befinden.
   Mein Mann hat den Brief Ew. Hochgeboren gelesen und aus ihm ersehen, daß Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Wiltrud die Güte hatte, ein Schreiben an ihn zu richten. Er wird sich gestatten, eine Antwort zu senden, leider aber, ohne den Brief vorliegen zu haben.

   Indem ich gnädigste Frau Baronin meiner herzlichsten und aufrichtigsten Dankbarkeit versichere, bin ich in ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Hochgeboren



Mit Bleistift Nachbemerkung Prinzessin Wiltruds:
Als Frau Dr. Plöhn, Karl Mays Freund [,] schrieb Clara Plöhn für Karl May die Antworten an die Leser - u K May ließ Clara Plöhn »Emma« unterschreiben, der Name der 1 Frau, die v K. M geschieden war. Nach dem Tode Dr. Plöhns heiratete K.M dessen Witwe. Plöhns waren 1900 mit K M auf der gr.Orientreise.


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A 3 · Karl May an Prinzessin Wiltrud von Bayern, 9. 8. 1902

Hamburg, den 9ten August 1902.

Königliche Hoheit!
Meine hochgeehrte, gütige Prinzessin!
   Wie ich soeben aus dem Briefe der Frau Baronin von Wulffen ersehe, haben Ew. Königliche Hoheit vor einigen Monaten einen Brief an mich geschrieben. Ich bin nicht daheim. Er liegt mir nicht vor. Dennoch bitte ich um allergütigste Erlaubniß zur vorliegenden Erwiederung, welche wahrscheinlich länger wird, als die Beantwortung dieses Briefes geworden wäre.
   Warum so lang?
   Weil ich Ew. Königliche Hoheit und ebenso auch Prinzessin Helmtrud so recht, recht herzlich lieb habe!
   Bitte, über diese ganz entsetzliche, formlose Aufrichtigkeit nicht zu erschrecken! Diese meine Liebe ist nicht das Gefühl, welche man gewöhnlich und so ganz fälschlicher Weise als Liebe bezeichnet. Sie ist rein. Sie will nichts für sich! Gott liebt wie im Sonnenstrahl, welcher niedersteigt. Der Mensch soll lieben wie die Rose, deren Duft aufwärts steigt, wenn dieser Strahl sie öffinet. Wessen Liebe ist wie Rosenduft, der will nur erfreuen, denn er kennt keine Selbstgedanken.
   So will ich heut in diesem Briefe wie eine Blüthe vor meiner gütigen Leserin stehen. Wie eine Blüthe, welche ihre Blumenblätter öffnet, weil ein lieber Sonnenstrahl gekommen ist, der ihr zu duften gebietet. Ich will reden, wie ich sonst zu Niemand rede, weil ich heut zu einer Seele spreche, von welcher ich so recht von ganzem, ganzem Herzen wünsche, daß sie mich verstehen möge. Seelen aber verkehren nicht nach ceremoniemeisterlichen Regeln. Ich bitte also um freundliche Verzeihung, wenn vielleicht auch einmal ein kurzes »Sie« mit unterlaufen sollte!
   Ich sehe uns noch an der Volière stehen - damals, im Münchener Palais. Ich werde das nie vergessen! Wie lagen Ihre Herzen da so lieb und gut, so offen vor mir ausgebreitet - - auch Rosen, mit dufterschlossenen Kelchen! »Gott segne sie!« so betete ich im Stillen. Es war für mich ein Tag des Sonnenscheines, der letzte schöne Tag, den mir die Erde gab. Ich habe mit ihr abgerechnet.
   Den letzten Tag des einen Lebens nimmt man mit hinüber in das andere. So auch ich den damaligen Tag. Er ist mir wie eine Abendröthe, welche für mich zum Morgenroth geworden ist. Darum stehen seine Gestalten für mich verklärt in der Erinnerung.

Was aber meine ich, wenn ich von »diesem« und dem »andern« Le-



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ben spreche? Das eben ist es ja, wovon ich hier in diesem Briefe schreiben will. Wer das nicht kennt, wird meine Bücher nie verstehen lernen. In ihnen pulsirt das irdische Leben, in welchem auch mehrere ganz verschiedene Leben eng ineinanderfließen, ohne daß die meisten Menschen eine Ahnung davon haben. Andere Schriftsteller bringen nur kurze, selbstgefärbte Episoden aus ihren eigenen, eng begrenzten Gedankenwelten. Sie entfremden den Leser seiner eigenen Welt und verhindern dadurch, daß er sich selbst kennen und begreifen lerne. Ich aber fahre ihn nicht in meine persönlich engen Grenzen, sondern ich führe ihn mit mir hinaus und hinein in die Fülle der irdischen Scenerie und breite dort alle Lebens- und alle Daseinsformen vor seinen Augen aus. Ich lehre ihn, in dieser unendlichen Fülle nach sich selbst zu suchen. Indem er dieses thnt, veredelt er sich selbst, und wenn er sich dann endlich in dem scheinbar Fremden findet, so macht er die beglückende Entdeckung, daß er viel schönere und bessere Fähigkeiten in sich trage, als er vorher wohl dachte. - - Das ist der eigentliche, der wahre Grund, daß meine Bücher nicht nur von Tausenden, sondern von Millionen so gern gelesen werden. Der Leser lernt kennen, was Gutes und Edles in ihm ist. Er freut sich darüber. Er beginnt, es zu pflegen, und nicht lange dauert es, so ist er ein besserer Mensch geworden, als er vorher war. Wie mich das innig freut und glücklich macht!
   Diese Leser ahnen gar nicht, daß sie aus dem »einen« Leben in das »andere« hinabgestiegen sind und sich an den köstlichen Perlen desselben bereichert haben. Da unten liegt der Segen, während auf der Oberfläche nur die Unterhaltung fließt und die leeren Schalen an das Ufer wirft, die werthlosen Namen und Daten, welche nur Diejenigen sammeln, die an niedlichen Muscheln und glänzenden Steinchen ihre Freude haben.
   Damals in München stand ich am Beginne meiner fast zweijährigen Reise nach dem Morgenlande. Die Karl May-Begeisterung schlug die höchsten Wogen. Ich blieb dabei der ruhige Mann, der ich stets gewesen bin. Während meiner Wanderung bis nach Hinterindien hat man mich dann daheim gestäubt, gegeißelt, geprangert und öffentlich an das Kreuz geschlagen. Meine Frau kam mir nach, um in Egypten mit mir zusammenzutreffen. Ich führte sie sodann durch das gelobte Land und auch hinauf nach Golgatha. Dort oben hing der Herr einst bis zur sechsten Abendstunde. Ich aber hänge heut, nach Jahren, noch an meinem Kreuze, und unten steht mein Weib, mit dem Schwerte in der Seele, nicht jammernd und klagend, sondern schmerzensstill und voller Zuversicht, daß ich es überwinden werde, wie ich vorher das Hosiannah überwunden habe.



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Heut muß ich büßen, was ich damals nicht verschuldete!!!
   Im stillen, bescheidenen Karl May-Klub war das »Et in terra pax« erklungen. Warum that man mir und ihm das Herzeleid an, es mit meinem Namen hinaus in alle Welt tragen zu wollen! Was kein Zaar erreichen konnte und keine Suttner erreichen wird, wenn man es an den Namen eines Menschen kettet, das mußte in Verbindung mit demjenigen eines obscuren Schriftstellers, wie ich es war, der Lächerlichkeit verfallen. Selbstverständlich haben die, welche den Frieden nicht wollen, leichtes Spiel gehabt und glänzend obgesiegt. May hängt nun schon drei Jahre lang am Kreuze und wird gewiß auch länger als noch drei Jahre hängen müssen. Aber das Kreuzesholz ist das fruchtbarste aller Hölzer, und was am meinigen grünt und blüht, das wird die Zukunft zeigen. Einst war nur das Schwert zweischneidig. Heut hat auch das Kreuz zwei Seiten. Erst die Nachwelt wird es sehen, wer auf der Rückseite hängt. Früher führte das Kreuz nur zum Tode. Heut wird am Kreuze schon auferstanden.
   Wollen Königliche Hoheit diese Auferstehung kennen lernen? Im jetzt erscheinenden IIIten Band von »Im Reiche des silbernen Löwen« steht von ihr geschrieben. Auch wird in diesem Bande am deutlichsten markirt, was ich das »eine« und das »andere« Leben nenne. Dort ist auch von jener einzig wahren, einzig wirklichen Liebe die Rede, welche ich meinte, als ich zu sagen wagte, daß ich Sie, meine hochgeehrte Prinzessin, liebgewonnen habe. Es ist die von allem Menschlichen losgetrennte Liebe eines Gemarterten, der statt der Qual nur Segen fühlt und giebt.
   Es ist mir ein beglückendes Bewußtsein, daß Ew. Königliche Hoheit mich noch lesen. Wohl auch den Gedichtsband »Himmelsgedanken«? Bitte, diesen Büchern treu zu bleiben! Was ich bisher geschrieben habe, war nur die Einleitung. Meine eigentlichen Werke beginnen erst nun, und ich versichere, daß sie nicht enttäuschen werden! Es kann sogar sein, daß sie mehr erfüllen, als die Einleitung versprochen hat.

In aufrichtigster Hochachtung und Ehrerbietung
Ew. Königlichen Hoheit
dankbarst ergebener   
May.



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A 4 · Karl May an Prinzessin Ludwig von Bayern, 26. 9. 1906

Ew. Königliche Hoheit! Hochverehrteste, Durchlauchtigste, Allergnädigste Frau Prinzessin!
   Ew. Königliche Hoheit wolle in allbekannter Güte gnädigst verzeihen, daß ich es wage, mich mit den vorliegenden Zeilen zu nahen, deren Inhalt und ungewöhnlicher Umfang ein Beweis des aufrichtigen, kindlich muthigen Vertrauens sein mögen, welches die deutsche Volksseele Ihnen ganz ebenso wie Seiner Königlichen Hoheit, Ihrem allverehrten und allgeliebten Herrn Gemahl entgegenbringt.
   Als Verfasser einer Reihe von »Reiseerzählungen« habe ich die Ehre und das Glück, die Königlichen Prinzessinnen Wiltrud und Helmtrud zu meinen Leserinnen zählen zu dürfen. Ja, es wurde mir sogar die Gnade zu theil, im Hohen Familienkreise von ihnen empfangen zu werden. Ich, der einfache, vollständig verdienstlose Sohn sehr armer Bürgersleute, gewann damals einen tiefen Einblick in die wahrhaft edlen und menschenfreundlichen Gesinnungen der allerhöchsten Herrschaften und fühlte mich besonders von dem schönen, reinen Familienglück ergriffen, dessen tiefste Quelle wohl im Herzen der Mutter liegt. Einer solchen Mutter ist es auch gegeben, die Mutter eines ganzen Volkes zu sein!
   Jene Audienz hat für mich eine nachhaltigere und tiefere Bedeutung gewannen, als damals zu denken war. Nicht äußerlich, o nein! Ich bin Einsiedler. Ich habe mit dem Leben abgeschlossen und trachte nicht über die innige Zufriedenheit meiner kleinen, häuslichen Welt hinaus. Sondern innerlich! Denn Alles, was ich schreibe und veröffentliche, ist meinem Idealgedanken gewidmet,

daß sich der  G e w a l t m e n s c h  in den  E d e l m e n s c h e n  zu verwandeln habe und daß dies  n u r  auf dem Wege, den uns Christus zeigt, geschehen könne.


Und bei diesem Thema, auf welches sich alle meine Arbeit richtet, war es für mich unendlich fördernd und begeisternd, mit meinen eigenen Augen zu sehen, daß sich das, was wir uns in der Tiefe des Volkes ersehnen, auf der Höhe schon vorgebildet und bestätigt hat. Ich weiß nun, daß unser Hoffen sich nicht auf Unerfüllbares richtet; ja, ich kann diese »Edelmenschen« sogar zeichnen, denn ich durfte ihnen begegnen, ich habe mit ihnen gesprochen.
   Während dieses mir so unvergeßlichen Empfanges war es mir vergönnt, einige Andeutungen darüber zu machen, daß meine »Reiseerzählungen« nicht etwa nur zur ethnographischen Belehrung und Unterhaltung, sondern darüber hinaus zu einem noch ganz andern Zweck ge-



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schrieben worden seien. Ueber der konkreten Welt, in der sich meine Gestalten und Ereignisse bewegen und entwickeln, liegt eine höhere, für den gewöhnlichen Leser unsichtbare Sphäre, in welcher diese Gestalten und diese Begebenheiten in einem ganz andern Lichte erscheinen und eine ganz andere Bedeutung erhalten. Da wird meine alte  M a r a h  D u r i m e h  dann zur herrlichen  » M e n s c h h e i t s s e e l e « ,  mein  W i n n e t o u  zum  » E d e l m e n s c h e n « ,  der noch kommen soll, und der kleine, prahlerische  H a l e f  O m a r ,  der sich so stolz als Hadschi geberdet, ohne es aber zu sein, verwandelt sich in die menschliche Anima, die sich für den Geist resp. die Seele ausgiebt und es doch nicht ist. So gebe ich  p s y c h o l o g i s c h e n  A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t ,  indem ich im ersten Bande mit der Anima Halef beginne, in Schakara die wirkliche Seele entdecke und im letzten Bande von Marah Durimeh die Menschheitsseele beschreibe. Denn unsere Wissenschaft weiß heut noch nicht, was Geist, was Seele ist. Sie kann diese Beiden noch nicht einmal unterscheiden. Und es wird die höchste Zeit, uns endlich von dem Wahnsinn zu erlösen, daß der gewaltige  M e n s c h e n g e i s t ,  der zu den herrlichsten Thaten befähigt ist, als ärmlichster aller Zellengefangenen im Nervenbrei des Gehirnes stecke und nur dann, wenn wir es ihm gestatten, einmal aus dem Auge herausschauen, aus dem Ohre heraushorchen und aus der Nase herausriechen dürfe! Dieses entsetzliche, vollständig geistlose Resultat der  N a t u r w i s s e n s c h a f t  treibt uns förmlich und mit aller Gewalt zur Offenbarung hinüber,  a u ß e r  d e r  e s  k e i n e  Q u e l l e  f ü r  d i e  W i s s e n s c h a f t  v o m  G e i s t e  g e b e n  k a n n .
   Aber man schreibe hundert und tausend gelehrte Bücher über diesen so unendlich wichtigen Gegenstand, sie werden nicht so wirken wie ein einziger Band, der ganz dasselbe in populärer Weise auf dem Wege der Anschauung zeigt. Wenn mein Verlagsbuchhändler behauptet, daß ich Millionen von Lesern habe, so verdanke ich dies keinesweges irgend einem Vorzuge, auf den ich mir irgend etwas einzubilden hätte. Ich bin gar nichts Anderes und gar nichts Besseres als jeder andere gewöhnliche Mensch, aber daß ich in allen Büchern, die ich veröffentlicht habe, mit verlangender Sehnsucht nach meinem  G e i s t e  und nach meiner  S e e l e  suche, das fühlt der Leser sehr schnell heraus, wenn er es auch nicht klar erkennt, und darum fliegt mir, um sich finden zu lassen, seine Seele zu. Das ist das ganze Geheimniß eines Erfolges, dessen mich zu rühmen ich keine Ursache habe.
   Und ferner: Ich mag zehn und hundert solcher populärer Anschauungsbücher schreiben, so werden sie trotz alledem nicht in der Weise wirken, wie ein gut geschriebenes und gut gespieltes  D r a m a  wirken würde. Denn  d a s  ist Anschauungsunterricht im allerhöchsten und wir-



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kungsvollsten Sinne, den es giebt. Darum ist es von jeher meine Absicht gewesen, die hervorragendsten Gestalten meiner »Reiseerzählungen« auf die Bühne zu bringen, doch nicht etwa sofort, sondern erst dann, wenn ich die hierzu nöthige innere Reife erlangt haben würde. Denn die  s u b a l t e r n e  Kunst mag sich mit Mittelgut begnügen; die  ä c h t e ,  w a h r e ,  a r i s t o k r a t i s c h  e d l e  und  h e i l i g e  Kunst aber verlangt eine Vertiefung und Abklärung, nach der ich nur erst strebte, weil ich sie noch nicht besaß.
   Dennoch gestattete ich mir während der Unterredung mit den Allerhöchsten Herrschaften, von dieser meiner Absicht zu sprechen, und da waren Prinzessin Wiltrud und Prinzessin Helmtrud so gütig, diesen Gedanken mit größtem Interesse aufzufassen und mir zu sagen, daß sie sich freuen würden, die liebgewordenen Gestalten Winnetou's, Hadschi Halefs, Marah Durimeh's u.s.w. dann auch in solcher persönlicher Darstellung kennen zu lernen. Ich durfte versprechen, ihnen gleich das erste dieser Dramen einzusenden, damit die Premiere, wenn möglich, in München vor sich gehe, und sagte dieses aber ganz selbstverständlich nur unter dem stillen Vorbehalte zu, dessen Darlegung ich heut nun für geboten halte.
   Es machte mich unendlich glücklich, meine einfachen, kunstlosen Erzählungen an so hoher Stelle gelesen und gütig besprochen zu wissen. Und es rührte mich ebenso tief, daß diese Güte sich damit noch nicht genuggethan zu haben glaubte, sondern mir auch noch versprach, meine zukünftigen Dramatisirungen in Schutz zu nehmen. Aber ich habe einzugestehen, daß ich das durchaus nicht im Sinne eines Versprechens genommen habe und es auch nie als ein solches betrachten werde. Diese schöne, vertrauensvolle und wohl auch noch halb kindliche Begeisterung war und ist mir an sich tausendmal kostbarer und werthvoller, als jeder sogenannte »Nutzen«, der irgendwie aus ihr erwachsen könnte. Und wenn ich heut dennoch um die gnädige Erlaubniß bitte, das Drama, da es nun erschienen ist, einsenden zu dürfen, so wage ich das nur unter Betonung meines damaligen und auch noch jetzigen Vorbehaltes, daß ich damit nicht die geringste eigennützige Absicht verfolge und vor allen Dingen nicht daran denke, die hochverehrten Damen zu veranlassen sich um das äußere Schicksal von »Babel und Bibel« irgendwie zu bemühen. Aus diesem Grunde richte ich die vollständig anspruchslose Sendung nicht an ihre eigentliche, direkte Adresse, sondern an eine höhere, weil ich weiß, daß sie an dieser Stelle einer strengeren Prüfung unterworfen wird. Der Mutter steht die Entscheidung zu, ob das Buch überhaupt geöffnet werden darf oder nicht.
Indem ich es somit wage, mich derjenigen Allerhöchsten Dame zu na-



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hen, welche von Gott berufen ist, die fahrende Seele des bayrischen Volkes zu sein, werde ich auch noch von andern Gründen geleitet, die nicht von persönlichen Wünschen beeinflußt sind. Der Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zeichnet sich durch ein Sehnen und Drängen nach Veredelung und Vervollkommnung aus, welches zwar durch alle Länder geht, am deutlichsten und intensivsten aber in unserm deutschen Volke zu Tage tritt. Wird dieses Streben nicht in die rechten Pfade geleitet, so geräth es sehr leicht auf Abwege, die in die Irre fahren. Die  W i s s e n s c h a f t  trachtet nicht mehr zu Gott hin, sondern von ihm ab. Sie reißt den heilgen  G l a u b e n  mit sich fort, indem sie sich für berufen erklärt, Gott ein- oder absetzen zu können, ganz wie es ihr beliebt. Und der  K u n s t ,  der wahren Kunst, wird zugemuthet, dem Mammonismus, dem Unglauben, der Vergnügungssucht und Unsittlichkeit zu dienen, anstatt ihrer herrlichen Aufgabe gerecht zu werden,  d a s  i r d i s c h e  W i s s e n  z u m  h i m m l i s c h e n  G l a u b e n  z u  f a h r e n .
   Diese betrübenden Erscheinungen treten jetzt so allgemein und so brutal zu Tage, daß es wahrlich und wahrlich die Pflicht eines jeden ernst und loyal denkenden Mannes ist, in seinem Kreise und in seinem Berufe dahin zu wirken, daß dies anders und also besser werde. Es ist mein innigstes Bestreben, mich an der Lösung dieser Aufgabe zu betheiligen, und zwar weder in Beziehung auf die Religion, denn ich bin ein Laie, noch in Beziehung auf die Wissenschaft an sich, weil ich kein Fachgelehrter bin, sondern allein nur in Beziehung auf die Kunst, besonders der dramatischen, der ich mich gegenwärtig zuzuwenden habe.
   Mit der soeben in Druck erschienenen arabischen Fantasia »Babel und Bibel« beginne ich eine Reihe von Dramen, welche zeigen sollen, in welcher Weise die Kunst zwischen Religion und Wissenschaft zu vermitteln hat. Ich will in diesen Dramen  d i e  h e i l i g e  M a c h t  d e s  G l a u b e n s ,  d i e  U n w i d e r s t e h l i c h k e i t  d e s  w a h r e n  G o t t v e r t r a u e n s ,  d i e  F o r d e r u n g e n  d e r  e d l e n  M e n s c h l i c h k e i t  und  d i e  M ö g l i c h k e i t  e i n e s  v e r n u n f t g e m ä ß e n  V ö l k e r f r i e d e n s  zur lebenden Gestaltung bringen. Und in Hinblick auf die höchste Aktuellität des gegenwärtigen Augenblickes soll veranschaulicht werden, auf welche Weise  d i e  f r i e d l i c h e  V e r s ö h n u n g  d e s  M o r g e n l a n d e s  m i t  d e m  A b e n d l a n d e  und also die Lösung dieser brennendsten Frage unserer Zeit zu ermöglichen ist. Dieses Alles gehört auf die Bühne, wenn sie wirklich die Bezeichnung »der Bretter« verdienen soll, »welche die Welt bedeuten«. Sie aber hat den Sinn hierfür verloren. Sie ist aus der Höhe in die Niedrigkeit, aus dem Sonnenlande in die Sümpfe unserer Laster hinabgestiegen. Sie zeigt uns mit Vorliebe das Böse, das Häßliche, das Gemeine und giebt dabei nur vor, das Gute, das Schöne, das Hohe zu wollen. Wenn man das Schöne,



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das Gute, das Edle aber wirklich will, warum zeigt man es nicht gleich? Hat das Hohe etwa weniger Macht und weniger erzieherischen Werth als das Niedrige? Welche Mutter giebt ihrem Kinde Galle, damit es sich nach Honig sehnen lerne? Und der Kunst ist doch gewiß ebenso viel Einsicht und Ueberlegung zuzutrauen, wie einer einfachen Frau, deren Instinct ihr schon sagt, daß das Schädliche unter allen Umständen zu vermeiden sei. Lehrt man unsern Frauen etwa dadurch, ihren Männern treu zu sein, daß man ihnen von der Bühne herab zeigt, auf wieviel hunderterlei Weise sie ihnen untreu werden können? Gewißlich nicht! Und der Herr wolle uns in Gnaden vor den ferneren Einflüssen solcher »Kunst«, die aber keine ist, bewahren!
   Das gegenwärtige Leben verlangt nach neuen Idealen, und ebenso die gegenwärtige Bühne. Aber diese neuen Ideale sind die ewigen, die alten, die uns neu geboren werden müssen, damit sie unter uns erscheinen und uns als Führer dienen können. Noch sind wir nicht so sehr verdorben, daß uns nur das  b ö s e  Beispiel bessern und erheben kann! Wir verzichten darauf, uns von der  S ü n d e  und von dem  L a s t e r  öffentlich belehren zu lassen.  G e b t  u n s  a n d e r e  S t ü c k e ,  u n d  g e b t  u n s  a n d e r e  V o r b i l d e r !  Wir Menschen und Christen des zwanzigsten Jahrhunderts wollen endlich einmal aufhören, uns auch noch in Beziehung auf die Kunst minderwertiger als das heidnische Alterthum fühlen zu müssen! Wir können unmöglich länger zusehen, daß man die Religiosität und die gute Sitte von der Bühne verdrängt, um den Unglauben und die Sinnlichkeit an ihre Statt zu setzen! Haben wir etwa keine Dichter, die gute Stücke schreiben können? Sind unsere Theater nur zur Darstellung von Ehebruchs- und Degenerationsdramen geeignet? Giebt es kein Publikum mehr für das religiös, sittlich und ästhetisch Reine? Oder mangelt es der edeln Kunst an großmüthigen Beschützern, an hochdenkenden Intendanten und Directoren? Gewiß nicht! Aber alle diese Einflüsse sind nur dann, wenn sie ihre Kräfte voll vereinigen, im Stande, sich dem Uebel entgegen zu stellen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Dichter hiermit zu beginnen hat. Gönner und Beschützer wird er dann sicher finden!
   In dieser wie auch in noch so manch anderer Beziehung setzt das bayerische Volk mit vollem Recht seinen Stolz darauf, stets von Fürsten regiert worden zu sein, welche als hochherzige Förderer der wahren Kunst sich Ruhm und Liebe erwarben. Die Pflege, welche diese Kunst auch heute noch in Bayern findet, ist mustergültig, und besonders hinsichtlich der dramatischen Kunst steht es unerreicht von allen andern Ländern da. So ist es wohl kein Wunder, daß ich grad an Bayern und sein kunstsinniges Königshaus denke, wenn mir, wie so vielen andern



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gleichgesinnten Schriftstellern, die Aufgabe vorschwebt, der deutschen Dramatik resp. dem deutschen Theater einen Impuls zu verleihen, der dahin zielt, die kindlich gläubige Frömmigkeit, die von den Vätern ererbte gute Sitte, die Nächstenliebe und die Unterthanentreue wieder bühnenfähig zu machen und das Laster wenigstens als Unterhaltungsgegenstand von ihr auszuschließen.
   Ich stehe hierbei keinesweges allein. Wir sind unserer Viele, die nach diesem Ziele streben. Der Einzige bin ich nur darin, daß ich den Muth fasse, den Wunsch der Volksseele dorthin zu tragen, wo er - - des bin ich überzeugt - - das beste und hülfsbereiteste Verständniß finden wird.  U n d  e s  i s t  n i c h t  v i e l ,  u m  w a s  w i r  b i t t e n .  Wir wissen gar wohl, daß unsere Arbeit nur im Verlaufe von längerer Zeit den Erfolg finden kann, den wir erstreben. Solche Dinge müssen sich langsam und naturgemäß entwickeln. Wir beabsichtigen also nicht, zu stürmen. Und vor allen Dingen, wir wollen nach keiner Richtung hin belästigen. Wir wollen schaffen; wir wollen arbeiten, und wir wollen hoffen - - ohne Lärm, in aller Gottesstille. Aber  d a ß  wir arbeiten und  d a ß  wir hoffen,  d i e s  s a g e n  z u  d ü r f e n ,  d a s  i s t  u n s e r  W u n s c h .
   Und so sagen wir es denn, hier, in den vorliegenden Zeilen! Die Volksseele ist zur Erkenntniß dessen gekommen, was ihr fehlt. Sie hat ihren größten Feind, den Geist der Unbotmäßigkeit gegen Pflicht und Recht, durchschaut. Sie sehnt sich, aus den Fesseln eines allen höheren Gefühles baren Materialismus befreit zu werden. Sie hat begonnen, zu dieser Befreiung ihre eigenen Hände zu regen, anstatt die Erlösung von sozialistischen Heilanden und sonstigen Erdgeruchsaposteln zu erwarten. Sie hat sich hierbei auch an die Hülfe der Kunst im Allgemeinen und der dramatischen Kunst im Besonderen gewendet. Das Alles soll zum Throne emporgetragen und dort niedergelegt werden, ohne jede andere Absicht, ohne irgend welches Ansinnen dabei zu verfolgen. Es wird hierbei nur der eine Zweck verfolgt, in der Höhe, wo alles Emporstrebende zusammenzufließen hat, pflichtschuldigst wissen zu lassen, daß es hier unten eine gute Anzahl muthiger Männer giebt, die sich entschlossen haben, dem Kunstverfall entgegen zu arbeiten - - - aus eigener Kraft und ohne die leider so oft beliebte Unterstützungsbettelei, energisch zwar, doch jeden Zwiespalt, besonders jede Aggression vermeidend.
   In welcher Weise und in welchem Tone wir nach diesem Ziele streben werden, soll »Babel und Bibel« zeigen. Wir verzichten auf jeden niedrigen Stoff und jeden niedrigen Klang. Unser Streben ist ein rein menschliches. Wir fühlen uns in religiöser Beziehung als Laien und hüten uns also, überhaupt in kirchliche Fragen einzugreifen. Aber grad dieser rein



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menschliche Standpunkt ermöglicht es uns, die Nothwendigkeit wahrer und inniger Religiosität entschieden betonen zu können, ohne dem Verdachte dunkler Gründe zu verfallen. Denn die Religiosität liegt eben im tiefsten, innersten Wesen des Menschen. Wir fußen vor allen Dingen auf der unumstößlichen Wahrheit,  d a ß  m a n  e i n  g u t e r  M e n s c h  s e i n  m u ß ,  u m  d e n k e n  z u  d ü r f e n ,  m a n  s e i  e i n  g u t e r  C h r i s t .  Indem wir auf diese Weise das »rein Menschliche« zu veredeln suchen, bereiten wir die Wege vor, auf denen dann der christliche Priester  d i e  h ö h e r e  F ü h r u n g  zu übernehmen hat. Nicht uns, sondern ihm allein steht es zu, sich mit den innern Fragen der Kirche zu befassen.
   Die Kunst, nach der wir streben, ist also eine  e n t s c h i e d e n  c h r i s t l i c h e  Kunst, die ihre Zwecke nur auf dem Wege des Gesetzes, der Gerechtigkeit und der Humanität zu verfolgen trachtet. Sie ist nicht so kurzsichtig, hierbei nur auf die engen, heimischen Verhältnisse zu schauen. Sie richtet ihr Augenmerk auch auf die internationalen Interessen, welche uns beherrschen, und da vor allen Dingen hat sie zu betonen, daß der  G e w a l t mensch sich zum  E d e l menschen gestalten und der unchristliche Rassenkampf einer menschenwürdigeren Ordnung entgegengeführt werden möge. Vor allen Dingen handelt es sich hierbei um die bereits erwähnte  A u s s ö h n u n g  d e s  M o r g e n l a n d e s  m i t  d e m  A b e n d l a n d e ,  welche die größte, glücklicher Weise aber nicht die schwierigste Aufgabe des begonnenen Jahrhunderts ist. Wenn in »Babel und Bibel« grad dieses letztere Thema behandelt wird, so geschied dies nur, weil es eben jetzt das wichtigste ist, nicht aber weil der Verfasser sich etwa anmaßt, ein Mann zu sein, der Winke geben kann. Er liebt das Morgenland. Er hat es studirt. Und er ist ihm dankbar für Alles, was der Occident im Laufe der Zeit vom Orient bekommen hat. Aber er drückt in diesem Drama nicht individuell gefärbte Ansichten aus, sondern er läßt die deutsche Volksseele sprechen, und er wünscht, daß Jedermann sie hören möge.
   Wäre ein Anderes der Fall, so würde ich es  n i e m a l s  w a g e n ,  Ew. Königliche Hoheit mit der Einsendung dieses Stückes zu behelligen. Aber ich glaube, mein deutsches Volk zu kennen, und ich hatte Gelegenheit, auch die Völker des Ostens sprechen zu hören. Ich möchte darum behaupten, daß in »Babel und Bibel« die deutsche Volksseele zu Worte kommen will, und wenn hierauf Marah Durimeh, die Menschheitsseele, ihre leidenschaftslose, wohlbedachte und klare Antwort giebt, so kann ich wirklich nicht umhin, von ganzem Herzen zu wünschen, daß diese beiden Seelen zunächst und besonders von der edelsten Frau gehört werden möchten, die ich in Deutschland kennen lernen durfte. Dem deutschen Manne liegt der Friedensgedanke leider nicht so nahe, wie der deutschen Frau, die nur durch Liebe, nicht aber durch Kampf ge-



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winnt. Und wenn diese Edelfrau hierzu auch noch die Mutter, die allverehrte, eines ganzen Volkes ist, so erscheint es mir sogar als meine Pflicht, sie wissen zu lassen, wie dieses ihr Volk über die innere und äußere Menschheitsfrage denkt.
   Ich war in Afrika, als sich der Burenkrieg, und dann auch in Ostasien, als sich der gewaltige Kampf zwischen Rußland und Japan vorbereitete. Weil Rußland nicht auf die Stimme der »Menschheitsseele« achtete, war leicht vorauszusehen, was dann auch wirklich kam. Möchte man doch allüberall, besonders aber hier bei uns, auf diese Stimme hören! Denn nicht alle Deutschen wissen, was der Orient grad von Deutschland erwartet. Und die es zu wissen meinen, die glauben meist, daß diese Erwartung eine kriegerische sei. Könnten sie ahnen, wie sie sich irren! Ja, der Orient liebt den Deutschen, erstens um seiner selbst willen und zweitens, weil er Einen von den Andern doch unmöglich lieben kann. Aber wir haben einzusehen, wozu uns das verpflichtet! Oder wollen wir uns diese seine Liebe, sein Vertrauen, seine Hochachtung dadurch verscherzen, daß wir in die Fußstapfen dieser Andern treten? Soll er auch uns als  M e n s c h e n  d e r  G e w a l t  kennen lernen? Oder doch lieber als  E d e l m e n s c h e n ,  das heißt, als  w a h r e  C h r i s t e n ?  Die einzig richtige Antwort auf diese Frage steht in »Babel und Bibel«. Indem wir uns den An'allah als Edelmenschen nahen, erlösen wir zugleich das heilige, das wahre Christenthum aus den Fäusten der Gewalt, und unser Wunsch nach Erfüllung des himmlischen »Et in terra pax!« wird nicht mehr in das Land der Utopie zu verweisen sein, sondern in das Gebiet der wohlerfüllbaren, weil vernunftgemäßen Hoffnungen.
   Damals, zur Zeit jener Audienz in München, erfuhr ich, wie sehr, und wie gern Ew. Königliche Hoheit nebst andern hochgestellten Damen für die Sache »des Friedens« thätig seien. Ich versprach einer dieser Damen, nach der Rückkehr von meiner zweijahrigen Orientreise über dieses Friedensthema in München öffentliche Vorträge zu halten. Nachdem ich die Verhältnisse aber besser angeschaut und gründlicher kennen gelernt hatte, zog ich es vor, an Stelle dieser Vorträge eben jene Dramen zu setzen, die, wenn Gott seinen Segen dazu giebt, dieser Sache noch ganz anders dienen können als einige schnell verfliegende Worte in einer beschränkten Räumlichkeit. Als Kind der Armuth und des Menschenleides kann ich für solche Ideale wohl meine  g a n z e  S e e l e  einsetzen, nicht aber jene  ä u ß e r e n  F o r m e n ,  mit denen man öffentliche Siege gewinnt, die mir aber leider entgehen

Radebeul- Dresden,
den 26ten September
        1906.
In unterthänigster Hochachtung
Und ganz besonderer Verehrung
bin ich Ew. Königlichen Hoheit
allerehrerbietigster und
ergebenster Karl May.



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A 5 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 29. 11. 1906

Ew. Königliche Hoheit
   seien für die gütige Zuschrift vom 22ten November auf das Herzlichste bedankt. Sie brachte eine Freudenstunde in meine stille, nach außen abgeschlossene Einsamkeit. Ich bitte um die Erlaubniß, so offen und zwanglos antworten zu dürfen, wie die wirkliche, die unverfälschte Ehrerbietung redet, die nicht auf der Zunge, sondern im Herzen wohnt. Aus dem vor mir liegenden Briefe spricht zwar zunächst eine hohe, königliche Prinzessin von Bayern, zugleich aber auch eine herzliebe, gütige, zur wahren, innern Höhe strebende Menschenseele, und diese Seele hat für mich einen so großen Werth, daß ich es als eine heilige Pflicht empfinde, den mir gebotenen, wichtigen Augenblick zu benutzen und meine Auskunft etwas tiefer zu gestalten, als ich eigentlich wohl sollte.
   Ich suche nach dem  M e n s c h e n g e i s t e  und nach der  M e n s c h e n s e e l e  und gebe über das, was ich da finde, in meinen »Reiseerzählungen«  A n s c h a u u n g s u n t e r r i c h t .  Die Ungläubigen behaupten, es gebe weder Gott noch Geist noch Seele, und das, was wir als Geist oder Seele bezeichnen, das stecke im grauen Brei des menschlichen Gehirnes. Diesen Unsinn wissenschaftlich zu widerlegen, ist den Gläubigen noch nicht gelungen,  w e i l  u n s e r e  b i s h e r i g e  P s y c h o l o g i e  a u s  d e m  H e i d e n t h u m e  s t a m m t  und darum weit mehr auf der Seite des Unglaubens als auf der des Glaubens steht. Es ist die wichtigste Aufgabe der Gegenwart, vor allen Dingen hier Wandel zu schaffen, und es war mein Bestreben von Jugend an, diesen Wandel mit zu ermöglichen. Ich setze mein Heil  n i c h t  auf die Wissenschaft, sondern auf die  O f f e n b a r u n g ,  und wer den guten Willen hat, sein Auge hierin zu üben, dem spendet die Offenbarung ganze Ströme der Erkenntniß, wo die Wissenschaft nur einzelne, arme Tropfen giebt. Ich glaube, solche Augen zu besitzen. Doch, was ich sehe, kann ich nur dem zeigen, der dieselben Augen hat. Den Andern kann ich es nur beschreiben, nur im Bilde vorfahren, damit sie ihre Augen üben und nach und nach sehen lernen. Diese Bilder sind meine »Reiseerzählungen«. Sie enthalten die innern und äußern Thatsachen, von denen ich die Ueberzeugung habe, daß in ihnen der feste Grund zu einer völlig neuen, christlich siegreichen Psychologie gegeben ist.
   In diesen Erzählungen kommt es mir weniger auf den Körper der Personen an, von denen ich erzähle, als vielmehr auf ihren Geist und ihre Seele. Was sie körperlich thun, ist entweder Nebensache oder nur der bildliche Ausdruck dessen, was sich in ihrem Innern vollzieht. Der äußerliche Schauplatz liegt im Oriente und in Amerika, der seelische aber in unserm tiefsten Innern. Auch kann ich nicht über jede beliebige Per-



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son schreiben, sondern nur über solche, die geistig oder seelisch hervorragend sind und innerlich das enthalten, was ich suche. Dieser innerliche Gehalt wird selten rein gefunden. Er tritt meist in Verbindung mit andern Eigenschaften auf, die ausgeschieden werden müssen, wenn sie nicht stören sollen. Es geht mir also genau so wie dem bildenden Künstler, der für eine Figur mehrere Modelle braucht oder ganz im Gegentheile bei Portraits gewisse Züge weglassen muß, die nicht als identisch zu betrachten sind. Das heißt: Ich setze mir aus drei bis vier interessanten Menschen, die ich auf meinen Reisen treffe, einen einzelnen zusammen, der nun drei- bis viermal interessanter wird als jeder von ihnen allen. Auf diese Weise sind Lindsay und Andere entstanden. Oder ich scheide aus einer Person, die sich für mich eignet, Alles aus, was mir nicht paßt und verleihe ihr dadurch einen größern ethischen Werth. So ist Raffley entstanden, Old Firehand u.s.w. u.s.w.
   Auch kommt es vor, daß ich idealisire, um meinen Lesern hohe Vorbilder zu geben, an denen sie sich veredeln sollen. Um Königlicher Hoheit dies deutlicher zu machen, ziehe ich das bayrische Königshaus als Beispiel herbei, und zwar folgendermaßen: Ich habe mir die Doppelaufgabe gestellt, meinen Lesern den Geist und die Seele des erlauchten Hauses Wittelsbach zu zeigen, in Wahrheit und Wirklichkeit, genau so, wie beide waren und heut noch sind. Ich werde also erstens die Geschichte dieses Hauses studiren, so eingehend wie nur möglich, von Markgraf Liutpold bis auf den heutigen Tag. Und ich werde zweitens Bayern und seine Grenzlande bereisen, um nachzuforschen, wie tief die Eigenschaften und die Thaten dieses Geschlechtes in das Herz des Volkes eingedrungen sind. Während ich das thue, wird sich vor meinem innern Auge sowohl der Geist als auch die Seele der Wittelsbacher entwickeln, erst leise angedeutet, dann aber immer deutlicher und bestimmter, bis sie zu wirklichen, festen Gestalten werden, denen ich nur noch einen Namen zu geben habe, um sie meinen Lesern zeigen zu können. Ich verfolge vom Jahre 900 an jede geistige That, jedes edle Wollen und Können. Ich sehe das innere Wesen der Wittelsbacher wachsen, durch die Jahrhunderte hindurch; ich sehe es kämpfen und siegen. Ich sehe es arbeiten, ringen und sorgen, auf allen Gebieten menschlicher und nationaler Bethätigung. Ich lerne es achten und verehren. Ich gewinne es endlich lieb, und in dem Augenblicke, in dem ich dies thue, ist es in mir zur Gestalt geworden, der ich nur den Namen Ihres Herrn Großvaters, des Königlichen Regenten, oder Ihres Herrn Vaters, des Lieblings aller Bayern und Deutschen, zu geben brauche, um sie meinen Lesern sichtbar machen und sagen zu können: Das ist er, der edle, tapfere, unverzagte und menschenfreundliche »Geist der Wittelsbacher!« - - -  A u f  d i e s e  W e i s e 



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i s t  m e i n  W i n n e t o u  e n t s t a n d e n .  - - - Und ich verfolge von demselben Jahre 900 an das öffentliche und das stille Wirken und Walten der Wittelsbacher Frauen, ihre Bescheidenheit im Glück, ihre Wachsamkeit in der Sorge, ihre Stärke in der Noth, ihre Treue im Berufe, ihre Güte, ihre Aufopferungsfähigkeit, ihre Frömmigkeit. Da fängt es an, sich in mir zu bilden, lieb, rein, licht und klar, heiter und doch ernst, weich im Gemüth und doch so groß im Dulden und im Tragen. Es kommt näher und näher. Es nimmt für mich die Züge Ihrer erlauchten Mama, der Frau Prinzessin Ludwig an, und ich sage und schreibe in demselben Augenblick: Das ist die milde, lautere, hochherzige, unwandelbartreue und tief religiöse »Seele der Wittelsbacher«! - - -  A u f  d i e s e  W e i s e  i s t  m e i n e  M a r a h  D u r i m e h  e n t s t a n d e n ,  d i e  M e n s c h h e i t s s e e l e .  - - - Fühlen sie nun, was ich sagen will, verehrteste Prinzessin?
   Diese meine Gestalten haben alle gelebt, oder sie leben noch; sie sind Wirklichkeit. Aber es giebt Sammelwesen und es giebt getheilte Wesen unter ihnen, deren körperliche Umrisse nicht nach den Ansprüchen unpsychologischer Pedanten oder böswilliger Ignoranten verlaufen. Darum setzen diese Pedanten und Ignoranten  g r a d  h i e r  ein, um mich der Unwahrheit zu zeihen, an die doch nicht zu denken ist.  W e r  I d e a l e  g e b e n  w i l l ,  d e r  m u ß  d o c h  e b e n  i d e a l i s i r e n ,  und wer hiermit nicht einverstanden ist, der hat keine Spur von Geist und auch keine nach oben strebende Seele, sondern er gehört zu Denen, die unten bleiben werden, so lange es überhaupt ein Unten giebt.
   Natürlich ist es mir unmöglich, über diese zusammengesetzten oder getheilten oder idealisirten Personen eine so kurze und prägnante Auskunft zu ertheilen, wie man sie aus statistischen Registranden zieht. Ich könnte da nur mit psychologischen Darlegungen antworten, die viel zu weit führen würden. Zum alten Governor in »Friede auf Erden [«] z. B. haben mir mehrere englische Kolonial- Oberbeamte gesessen, und wenn ich nach ihm gefragt würde, müßte ich da eigentlich vier verschiedene Namen nennen, die alle richtig sind, von denen aber keiner die Persönlichkeit vollständig deckt. Hierzu kommen nun schließlich diejenigen Personen meiner Bücher, die ich genau so beschreibe, wie sie wirklich waren oder wirklich noch sind. Ueber diese muß ich doch unbedingt Auskunft ertheilen; das verlangen meine Leser. Und doch wird es mir von der Menschlichkeit, von der Ehre und von der Dankbarkeit auf das Allerstrengste verboten. Es versteht sich ja schon das ganz von selbst, daß ich niemals den richtigen Namen schreibe. Ja noch weiter: Je treffender ich schildere und je tiefer ich auf meine Leser wirken will, desto mehr bin ich verpflichtet, etwaigen Nachforschungen entgegenzutreten. Ich ändere da auch noch den Stand, das Alter, den Wohnort. Ich wäre



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gradezu ein Schurke, wenn ich die wirklichen Verhältnisse des Schut, Old Wabble's u.s.w. verriethe. Unzählige fragen nach Lindsay, Raffley, Frau Werner, nach den Rentier Kummer und Adolf Horn, um sie mit Bettelbriefen zu überschütten. Ich kann jederzeit nachweisen, daß ich monatlich wenigstens um 20,000 Mark gebeten werde. Oft ist es aber das Doppelte oder gar noch mehr. Es ist meine Pflicht, Diejenigen, über die ich schreibe, vor derartigen Belästigungen zu bewahren. Es ist überhaupt schon mehr als genug, daß sie sich gefallen lassen müssen, in meinen Büchern Spießruthen zu laufen. Denn selbst wenn ich sie da ganz sympathisch behandle, läuft doch so viel Persönliches und Genantes dazwischen, daß sie aus dem Erröthen gar nicht herauskämen, wenn sie in concreto dabei wären. Darum werde ich von einem Jeden, der vermuthet, daß ich über ihn schreiben werde, um die strengste Discretion gebeten, und das Wort, welches ich da gebe, muß ich halten!
   Der Verfasser gewöhnlicher Reisebeschreibungen braucht diese Rücksichten nicht zu üben, weil seine Aufgabe eine rein sachliche ist. Ich aber ziehe die Personen herbei. Ich öffne ihnen den Kopf und die Brust, daß man alle ihre Gedanken und alle ihre Gefühle durchschauen kann. Ich zeige Alles, was sie denken, reden und thun, in der schonungslosesten Weise, und das kann ich einzig und allein nur dann, wenn ich sie vor der Scham bewahre, von einem meiner Leser jemals erkannt zu werden, und sei es auch nur aus der Ferne. Das glückt mir leider nicht immer. So z. B. sagte mir Graf Schwerin während eines Besuches bei mir, daß er in Kairo beim Vizekönig von Egypten den Reïs Effendina entdeckt habe, obgleich ich so sehr bemüht gewesen sei, diesen Offizier unkenntlich zu machen; es habe Alles gestimmt. Wie peinlich das für den Reïs gewesen ist, kann man sich wohl denken, nach dem, was ich von ihm erzählt habe! Und derselbe Graf, den ich übrigens sehr hochschätze, schrieb mir erst kürzlich aus Egypten, daß er nun auch meinen Diener Sejjid Omar aus »Friede auf Erden« gefunden habe. Der Diener hatte seine arabische Unterschrift unter die gräfliche des Briefes gesetzt. Wie leid mir das that! Denn nun kann ich unmöglich weiter über ihn schreiben. Der Herr Graf hat mich und meine Leser um eine werthrolle, köstliche Figur gebracht!
   So ist es auch mit Ben Nil. Wenigstens ein Drittel von allen Denen, die mit Cook, Stangen u.s.w. nach dem Orient gehen, bitten mich, ihnen zu verrathen, wo er ist. Ich darf das nicht thun, sowohl seinetwegen als auch meinetwegen. So gut man es meint, er würde es mir nie verzeihen, ihn zum Gegenstande öffentlicher Blicke gemacht zu haben, und ich dürfte ihn nie wieder in einem meiner Werke erwähnen. Und die Herren Touristen, die so eifrig nach meinen dortigen Bekannten forschen, betragen


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sich leider oft wie die Besucher einer Jahrmarktsbude, die da glauben, sich für ihre 10 Pfennige jede Rücksichtslosigkeit erlauben zu dürfen. Es ist vorgekommen, daß ich meine eigene Dienerschaft mit Gewalt aus den Händen solcher Reisenden befreien mußte, die alles Mögliche und Unmögliche über mich herausbekommen wollten. Der ächte Araber ist ein geborener Ehrenmann; er verachtet nichts so sehr wie die Plauderhaftigkeit, und Alle, die mich da drüben kennen, wissen, daß ich zwar Bücher schreibe, aber  n i e  etwas verrathe. Es kommt da sogar vor, daß ich Fragen nach meinen Reisen überhaupt ausweiche und mich lieber in den Verdacht begebe, gar nicht gereist zu sein. Meist aber verweise ich auf die noch kommenden Bände, in denen ich Alles, was zu beantworten ist, beantworten  w e r d e .  Uebrigens hat in neuester Zeit Herr Heinrich Wagner, der Chefredacteur der gut katholischen »Donauzeitung« in Passau, einen Vortrag über mich gehalten, in dem er alle derartigen Fragen, soweit dies heut möglich ist, beantwortet zu haben scheint. Er berichtet in seinem Blatte über diesen Vortrag, und ich habe mir erlaubt, Ew. Königlichen Hoheit diese Berichte in allerdiscretester Weise übermitteln zu lassen. Kein Mensch weiß davon, als nur ich und der Chefredacteur selbst, und ich hoffe, daß diese Blätter Alles enthalten, was gnädigste Prinzessin über mich zu wissen wünschen. Gelesen freilich, habe ich sie noch nicht.
   Indem ich an die »Donauzeitung« denke, muß ich Ew. Königliche Hoheit sagen:  S i e  h a b e n  e i n  R e c h t ,  e i n  g r o ß e s ,  o f f e n b a r e s  R e c h t ,  a u f  B a y e r n  u n d  a u f  M ü n c h e n  s t o l z  z u  s e i n !  Es zeigt sich wieder einmal, daß man nach Bayern gehen muß, wenn man die ächte, deutsche Volksseele finden will und mit ihr das Verständniß für die hohen, beglückenden Ziele, die unsrer Nation von Gott, dem Herrn, gesteckt worden sind. Es ist dies zwar nur eine ganz persöuliche Angelegenheit für mich, aber sie bezieht sich derart auch auf die allgemeinsten geistigen Interessen, daß ich keinen Fehler zu begehen glaube, wenn ich sie auch hier in diesem Briefe erwähne.
   Königliche Hoheit kennen die Zwecke, die ich mit den von mir geplanten Dramen verfolge. Ihr Grundgedanke ist:  » W i r  w o l l e n  E d e l m e n s c h e n  b i l d e n ,  d a m i t  w i r  b e w e i s e n ,  d a ß  w i r  d e r  e d e l s t e n  d e r  R e l i g i o n e n  w ü r d i g  s i n d ! «  Kaum ist das erste dieser Dramen erschienen, nämlich »Babel und Bibel«, so beginnt die deutsche Volksseele, sich zu rühren und nach diesem Gedanken zu greifen, und zwar zunächst in Bayern. Erst regte sie sich in der Augsburger »Postzeitung«, dann in der bereits erwähnten Passauer »Donauzeitung« und nun auch in der Beilage zum »Bayerischen Kurier« in München. Es ist sehr vielsagend, daß grad diese drei Zeitungen strenggläubige Blätter sind, denen von der



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andern Seite so oft der Vorwurf der Verständnißlosigkeit für höhere Ideale gemacht wird. Auch ein lieberales Blatt, die »Münchener Neuesten Nachrichten«, hat sich angeschlossen, und ich höre, daß in diesen Tagen noch zwei andere, bedeutende Münchener Blätter folgen werden. Damit ist der Beweis erbracht, daß die Wittelsbacher es denn doch verstanden haben, ihren Unterthanen die Wege offen zu halten, die zu unsern Zielen führen, in andern Gegenden aber mehr und mehr ungangbar zu werden drohen. Gott segne sie, die stets so offenen und klaren Auges sind!
   Ich habe mich um so mehr hierüber gefreut, weil ich »körperlich« zwar in Sachsen geboren bin, was aber gar nichts zu bedeuten hat, denn die Hauptsache am Menschen ist der Geist und die Seele, und meine geistige Heimath, also mein höheres und eigentliches Vaterland ist Bayern. In dieser meiner Freude wage ich es, Ew. Königlicher Hoheit die Berichte der beiden Münchener Zeitungen beizulegen und auch noch etwas Anderes beizufügen. Keinesweges, um mich etwa zu brüsten! O nein! Das Leben hat mich auf die Demuth hinverwiesen, und ich übe sie gern, unendlich gern, denn Niemand hat größere Veranlassung, bescheiden zu sein, als ich! Sondern ich lege diese Drucksachen bei, weil die Verfasser bedeutende und hochedle Menschen sind, deren Worte in eine nahe, schöne Zukunft deuten, die Sie, verehrteste Prinzessin, gewiß erleben werden. Diese Druckzeilen handeln zwar scheinbar von mir; aber es sind in ihnen köstliche Winke enthalten, die sich nicht auf mich armen, einfachen Menschen sondern auf unendlich Werthvolleres und Ewiges beziehen. Wer solche Gedanken in sich bewegt, der gehört nicht mehr zum Stamm der An'allah, sondern zu den Stämmen der Kiram, die ich in »Babel und Bibel« einander gegenaberstelle.
   In Beziehung auf dieses mein »Babel und Bibel« nehme ich mir den Muth, Ew. Königlichen Hoheit ein Geheimniß anzuvertrauen, von welchem jetzt noch Niemand wissen darf. Ich wünsche nämlich herzlich, daß dieses Stück zuerst in München gegeben werde. Alle bisherigen Kritiken und Zuschriften stimmen darin überein, daß diese Erstaufführung eine sogenannte »dramatische That«, also ein Erfolg sein werde, den ich meinem München am allerliebsten gönne. Darum verschweige ich diese fachmännischen Zuschriften und Gutachten noch und biete das Stück noch nirgends an, weise auch alle anderen Offerten zurück und wünsche nur, diesem Drama in München den Weg zu ebnen. Aber dieser Weg soll nicht ein persönlicher, sondern ein rein sachlicher sein. Ich habe dort sehr liebe Freunde, die ihn mir gewiß gern ebenen würden, doch das will ich nicht! Die wahre Kunst darf nicht von der Bitte leben, sondern sie muß darben und hungern können, um grad hierdurch am sichersten ihr



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Ziel zu erreichen. »Babel und Bibel« hat für sich selbst zu wirken. Taugt es nichts, so mag es verschwinden. Taugt es aber etwas, so wird es, ob früher oder später, gewiß gegeben werden, und dann-wenn mir das gelingt, so danke ich Gott, meinem Herrn, von ganzem Herzen und freue mich unendlich darauf, daß Sie, verehrteste Prinzessin, die Sie mein ganz besonderer psychologischer Liebling sind, meine herrliche Marah Durimeh auf der Bühne sehen werden, die Menschheitsseele, im Strahlenpanzer von Krystall, d. h. im Schatze Gottes, der sie gegen Alles feit, was es auf der Erde Böses giebt. Wenn Sie diese Gestalt sehen, an deren Seite unter Harfenklang die heilige Schrift erscheint, dann, ja dann wird Ihr Auge groß, offen und klar für Alles werden, was ich in meinen Büchern heimlich und leise niederlegte, damit man einst, nach meinem Tode, daraus schöpfen möge!
   Und nun zu einigen Fragen, deren Beantwortung, wie ich vermuthe, die »Donauzeitung« wohl nicht bringen wird:
   Das Buch »Marah Durimeh« wird wahrscheinlich aus drei Bänden bestehen, in denen ich Alles erzähle, was die »Menschheitsseele« bisher auf Erden erlebte. Das wird so interessant, wie noch keines meiner Bücher bisher gewesen ist.
   Ebenso erscheint noch ein vierter Band von »Winnetou.« Ich werde also nächstens nach dem »Dunkeln Wasser« gehen, an dem ich mit dem dritten Band geschlossen habe. Es hat sich seit damals dort so viel verändert, daß ich neue Studien machen muß, um die geographische Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu wahren.
   Old Firehand und Old Surehand waren bedeutend. Ich komme am richtigen Ort auf sie zurück. Die Andern aber sind für die Zwecke, die ich verfolge, so unbedeutend, daß ich mich wohl kaum jemals wieder mit ihnen beschäftigen werde. Meine Dschamikun wollen nur noch Wichtiges lesen und erfahren.
   Der Name Dschamikun führt mich auf die Frage nach Hadschi Halef und den Haddedihn. Meine Antwort lautet: Ja! Für meine psychologischen Zwecke haben diese Namen und Personen eine noch höher liegende Bedeutung. Unter den Haddedihn verstehe ich alle meine Leser, die mich noch nicht begreifen und sich nur für äußere Dinge interessiren. Ihr Scheik ist Halef, das auch geistig kleine, zwar außerordentlich liebe aber sehr oberflächliche Kerlchen. Seine Hanneh ist seelisch viel ernster als er. Die Dschamikun aber sind diejenigen meiner Leser, die das, was ich erzähle, verstehen und begreifen. Sie suchen mit mir nach dem Geist und nach der Seele, und weil sie im Finden glücklich gewesen sind, betrachten sie Alles, was äußerlich ist, vollständig als Nebensache. Diese sind es, über die ich mich freue. Und nur mit ihnen, nicht aber mit



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den Haddedihn, kann ich in den drei Bänden »Marah Durimeh« an mein Ziel und zum glücklichen Schluß gelangen. Wann aber diese Bände erscheinen werden, das weiß ich leider noch nicht.
   Ich werde nachsuchen, ob das Weihnachtsgedicht noch vorhanden ist. Solche alte Blätter verschwinden nur allzugern.
   Bei der Art und Weise, in der ich in der Fremde reise und lebe, ist es mir unmöglich, mich mit einem photographischen Apparat zu befassen. Aber als meine Frau nach dem Oriente kam, um mich nach einer zweijährigen Studienreise, auf der allerdings auch »Und Friede auf Erden« entstanden ist, von dort abzuholen, hatte sie einen mit, und da haben wir allerdings weidlich photographirt, oft mit und oft auch ohne Glück, des grellen Lichtes wegen. Gestatten Königliche Hoheit vielleicht, sowohl Ihnen als auch Prinzessin Helmtrud und Prinzessin Gundelinde, für deren Grüße ich herzlichen Dank sage, eine kleine, bescheidene Probe zu senden?
   Hoheit können so etwas ganz ruhig von mir annehmen. Ich verfolge nicht die geringste Absicht dabei, und es wird von solchen Zuschriften niemals gesprochen. Ich habe mit dem Leben und seinen materiellen Wünschen vollständig abgeschlossen. Ich wurde in der Geisterschmiede gehämmert, vom Haß, vom Neid, vom Schmerz, genau so, wie ich es in meinem Drama beschreibe. Die Erde kann mir nichts mehr bieten. Ich bin ein Abgeschiedener, der nichts empfangen, sondern nur noch geben kann, nämlich Liebe - - Liebe - - - nur noch Nächstenliebe - - - für alles Leid, das ich zu tragen hatte. Ich muß für dieses Leid ja dankbar sein, denn es hat mich gereinigt und geläutert, und ich halte heut noch still, wenn der Hammer schlägt und rings die Schlacken fliegen.
   Und wenn mir hier oder da eine ungewohnte Formlosigkeit aus der Feder lief, so bitte ich um gütige Verzeihung! Ich sehe die Menschen nur noch als Seelen; das Körperliche ist mir gleichgültig; und von Seele zu Seele giebt es ganz andere Complimente als jene Höflichkeitsformen, in denen ich leider keine Uebung habe.

In aufrichtigster Ehrerbietung und Hochachtung
Ew. Königlicher Hoheit
ganz ergebenster
Radebeul-Dresden,
den 29ten Novbr. 1906.
Karl May.



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A 6 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 18. 12. 1906

d. 18ten Dezember 1906

Ew. Königliche Hoheit
   haben mir mit der gütigen Zuschrift vom 4. Dezember eine wirklich große Freude bereitet. Worüber? Sie ahnen gewiß nicht, was für einen großen, schweren, aber herrlichen und hochwichtigen Schritt Ihre Seele in diesen wenigen Tagen gethan hat! Dieses ganz selten schnelle, innere Emporsteigen macht mich außerordentlich glücklich. Sie haben seelische Fesseln abgeworfen, substanzielle, innerliche Ketten, welche den Menschen hindern, die irdischen Dinge so zu schauen, wie der Himmel es will, nämlich nicht nur mit dem leiblichen, sondern vor allen Dingen auch mit dem geistigen Auge. Dieses Auge, verehrteste Prinzessin, hat sich in Ihnen aufgethan, vielleicht schon früher, aber ich sehe es erst jetzt, und wenn Sie es pflegen und üben, werden Sie alle Antworten, die Sie von mir oder von dem Leben wünschen, ganz von selbst erkennen, ohne fragen zu müssen. Darum schweige ich jetzt auch über Winnetou, denn ich möchte Ihnen nicht die Freude rauben, ihn selbst zu entdecken.
   Meine Frau, die liebe, gute, ernste Schakara, die aber auch oft das »Herzle« heißt, ist ganz entzückt von der Erlaubniß, einige unserer Aufnahmen senden zu dürfen. Sie sind für die vielen Leser und Besucher gemacht, die fast immer um so ein Andenken bitten. Darum sind sie leider beschrieben, und ich bitte, dies gnädigst zu entschuldigen! Das Herzle hat auch mich mit hinein geschmuggelt, und ich thue so, als ob ich es nicht sehe; sie meint es immer so gut!
   In Beziehung auf die »Donauzeitung« bin ich nicht mit Allem einverstanden. Wie und was der Chefredacteur über mich schreiben würde, das wußte ich nicht. lch erfuhr nur, daß er es gut mit mir meine, und das genügte mir. Es hat sich einiges aus dem Lager der Ungläubigen und Demokraten eingeschlichen, was man nicht zu dementiren wagt. Und über meine Religion spricht er so unklar, daß es besser gewesen wäre, er hätte darüber geschwiegen. Ich habe ihn nachträglich aufgeklärt und gestatte mir auch hier eine kurze Bemerkung, weil ich meine, daß Königliche Hoheit genau wissen müssen, was der glaubt, der es wagt, an Sie zu schreiben. Nach dem großen Schritt, den Sie soeben gethan haben, bin ich überzeugt, aufrichtig sein zu dürfen. Ich bin Psycholog. Folglich ist meine Religion eine hervorragend seelische. Äußere Gebräuche dienen nur zu Erklärung des inneren Wesens. Ich bekenne Folgendes:
   I c h  g l a u b e  a n  G o t t ! 
I c h  g l a u b e  a n  d i e  e w i g e  L i e b e ,  d i e  z u  u n s  n i e d e r g e s t i e g e n  i s t ,  u m  i n  u n s  d e n  G o t t e s g e d a n k e n  z u  g e b ä r e n .  S i e ,  d i e  G o t - 



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t e s g e b ä r e r i n ,  i s t  d i e  M u t t e r  G o t t e s ,  d i e  H e i l i g e  u n d  R e i n e ,  d i e  M a d o n n a !
   I c h  g l a u b e  a n  d e n  v o n  i h r  G e b o r e n e n ,  a n  d e n  v o n  u n s  a l s  G o t t  E r k a n n t e n ,  d e r  f ü r  u n s  g e b o r e n  w u r d e ,  u m  u n s  e m p o r z u f ü h r e n ,  w o h e r  e r  g e k o m m e n  i s t .  E r  i s t  d e r  G o t t e s s o h n ,  d e r  H e i l a n d ,  d e r  E r l ö s e r !
   I c h  g l a u b e  a n  d i e  g ö t t l i c h e  E r l e u c h t u n g ,  d i e  d e n  H e i l a n d  d a n n  a u c h  i n  u n s e r m  I n n e r n  g e b o r e n  w e r d e n  l ä f  t ,  d a m i t  e r  u n s  d u r c h  d a s  L e i d  d e r  E r d e  l ä u t e r e  u n d  d u r c h  d e n  T o d  z u r  A u f e r s t e h u n g  f a h r e .  D a s  i s t  d e r  H e i l i g e  G e i s t !
   U n d  i c h  g l a u b e  a n  e i n e  e i n z i g e ,  g r o ß e ,  k a t h o l i s c h e  G e m e i n d e ,  z u  d e r  e i n  J e d e r  g e h ö r t ,  d e r  i n  d i e s e m  G e i s t e  G o t t e s  n a c h  E r l ö s u n g  v o n  d e m  S c h m u t z e  d e r  E r d e  s t r e b t .  S i e  g l e i c h t  d e r  M u t t e r ,  d i e  m a n  w o h l  v e r l a s s e n ,  n i c h t  a b e r  v e r l e u g n e n  k a n n !  D a s  i s t  d i e  c h r i s t l i c h e  K i r c h e !
   So, das ist mein Glaubensbekenntniß. Niemand kann dafür, wie, wo und als was er geboren und getauft worden ist. Die Kirche, in die man mich trug, ohne daß ich davon wußte, war eine lutherische. Die richtige und klare Erkenntniß kam mir erst, als ich Mann geworden war. In diesem Glauben lebe ich; für diesem Glauben leide ich, und in diesem Glauben sterbe ich. Ueber die äußeren Formen habe nicht ich zu bestimmen. Das überlasse ich den hierzu berufenen Priestern und Theologen. Ob diese meinen Glauben als katholisch oder als protestantisch bezeichnen, kann unmöglich von Äußerlichkeiten abhängig sein, die nebensächlich sind.  F ü r  m i c h  i s t  u n d  b l e i b t  e r  k a t h o l i s c h !

*


   Ich habe das Heiligthum meines innersten Lebens noch niemals einem Menschen in dieser Weise dargelegt. Warum thne ich das grad vor Ihnen, verehrteste Prinzessin?
   Ihre Seele ist mir köstlich. Für diese Seele habe ich die tiefsten Gedanken des einzig wahren Christenthums und der einzig wahren katholischen Kirche in so kurze Zeilen zusammengefußt, weil ich in diesem Glauben unendlich glücklich bin und dasselbe Glück am allerliebsten auch Ihnen, Königliche Hoheit, gönne - - - - - Weihnachtsgedanken!

   Für die Portraitkarte sage ich tiefsten, aufrichtigsten Dank! Sie ist das Werthvollste, was ich seit Jahren empfangen habe. Es geht ein großer Segen von solcher Güte aus!
   Mit hochachtungsvollstem Gruß an die beiden verehrten Prinzessinnen Schwestern bin ich          in wahrer Dankbarkeit

Ew. Königlichen Hoheit
ergebenster     Karl May.



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A 7 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 16. 2. 1907

VILLA SHATTERHAND
   RADEBEUL-DRESDEN.d. 16ten Februar 1907


Königliche Hoheit!
Meine hochverehrte, einzige Prinzessin!
   Jeder Brief von Ihnen ist mir wie eine Gabe aus einer Welt, die hoch über der jetzigen steht. Wie kommt dies wohl? In jedem dieser Briefe ist ein großes, unendlich liebes Geschenk für mich enthalten. Aber was für Geschenke, das kann ich in Worten nicht sagen, denn auf seelischem Gebiete haben wir uns die richtigen Begriffe und Worte erst neu zu bilden. Ich will folgendermaßen versuchen, mich klar und verständlich zu machen:
   Im »Silbernen Löwen« erwähne ich das »Thal der Sternenblumen«, zu dem die Menschenseelen emporsteigen, um neue, heimische Kraft zu holen, während der Körper des Nachts im Schlafe liegt. Es ist wunderselten, daß der geistige Duft dieser Blumen eine Seele mit herab in den Körper begleitet, aber wenn es geschieht, so ist das etwas innerlich so Werthvolles, daß kein äußerlicher Vorzug heranzureichen vermag. Und - - - Sie haben diesen Duft! Sie und Ihre herzguten Schwestern, Ihre hohe, edle Frau Mama, alle Glieder Ihrer Familie. Diesen wundersamen Hauch habe ich damals gleich gespürt. Er heiligt, ohne daß Sie es ahnen, alle Räume, in denen Sie wohnen, und er umgiebt Jeden, der zu Ihnen kommt, als höhere und reinere Atmosphäre.
   Nicht wahr, ich alter Mann, der ich mit dem Leben vollständig fertig bin und weder an einen Thron noch an eine Hütte irgend welche Wünsche habe, darf Ihnen das ehrlich sagen, ohne befürchten zu müssen, für byzantin gehalten zu werden?!!!
   Dieser köstliche Sternenblumenduft weht mir auch aus Ihrem letzten Briefe, vom 31ten Dezember entgegen. Wenn eine königliche Prinzessin an einem solchen Tage sich die Zeit zu solchen Zeilen an einen so einfachen Sohn des Volkes erübrigt, so ist es mir, als ob ich alle Engel, an die ich glaube, vor Freude jubiliren und für Sie beten hörte. Ich danke Ihnen aus vollem, aufrichtigem Herzen!
   Ich bin so froh über die Worte Ew. Königlichen Hoheit, daß Sie Winnetou nicht äußerlich sondern innerlich zu finden suchen. Ihre Seele beginnt, sich zur Persönlichkeit zu entwickeln. Wenn Gott will, wird es eine Schakara, also ein Liebling der Menschheitsseele. Ich schreibe jetzt an zwei neuen Bänden Reiseerzählung und denke dabei sehr viel an die Prinzessinnen Wiltrud, Helmtrud und Gundelinde, denen ich den Inhalt



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ganz besonders widme. Die Bildnißkarte steht dabei, im besondern Heiligthume. Kein Mensch als nur ich und mein »Herzle« bekommt sie zu sehen. Für sie sage ich nochmals ganz besonderen Dank!
In schuldigster Ehrerbietung
und wahrhaftiger Ergebenheit
Ew. Königlichen Hoheit
unterthänigster
Karl May.


B 2 · Klara May an Prinzessin Wiltrud, 19. 6. 1907

Salzbrunn, Villa Belvedere
d. 19 Juni 1907

Ew. königlicher Hoheit
   innigen Dank, daß königliche Hoheit mir so lieb schreiben, und ebensolchen Dank für die gütige Antheilnahme für meinen Herzensmann. Alles, was gegen ihn ausgesponnen wurde, war Lüge und kam aus trüben Quellen. Auf dieser Welt kennt ihn wohl kein Mensch besser als ich. Durfte ich doch in all der Zeit der Qual ihn still beobachten, sein liebes, vom Leid verklärtes Gesicht sehen. Wie weh war mir so oft!
   Nun ist der Haupttheil jenes furchtbaren Prozesses vorüber, und selbst der bitterste Haß und Neid darf nicht mehr wagen, den Namen Karl May zu besudeln. Aber die Aufregung und Qual war zu groß; mein guter, lieber Herzensmann hat zu viel und zu lange still gelitten. Der Körper hat seine Widerstandskraft verloren. Er war nicht so stark wie der Geist und wie die Seele. Er brach endlich zusammen, grad als die Reise nach Amerika angetreten werden sollte. Sie mußte abermals verschoben werden. Und nun sind wir seit Monat Mai hier, um bei den Quellen Salzbrunns Hülfe zu suchen.
   Die Vorschriften des Arztes sind streng. Mein Herzensmann muß absolute Ruhe haben, innerlich und äußerlich. Er hat sich jeder Arbeit und Sorge fern zu halten. Er darf nicht viel sprechen. Es ist nicht so leicht, einem so regen Geist wie ihm Fesseln aufzulegen. Er trägt sich immer mit seinen reichen Gedanken und Plänen. Er möchte der Welt noch so viel sagen, Gutes, Hohes und Liebes. Jetzt beschäftigt ihn sein Abu Kital, den er in »Babel & Bibel« so knapp gezeichnet hat. Er will ihn in einer Reiseerzählung klarer und faßlicher vor die Augen der Leser stellen, damit man sein »Babel und Bibel« begreift und damit eine große Bühne dieser heiligen Kunst die Pforten öffne. Ich gebe es zu, es kann nur von der Bühne herunter verstanden werden, und nur Kräfte


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allerersten Ranges können dem Publikum diese seine Gedanken vorführen. Es ist ja eine andere Welt, in der er lebt. Da ist Gott das Höchste und der in Maria verkörperte Gedanke der Liebe durchweht Alles. Wer mag solche Gedanken heute im Tempel der Kunst? Sie sind fremd geworden. Er möchte sie wieder heimisch machen. Für meinen Mann giebt es ohne himmlische Liebe keine Kunst. Sie muß Alles durchwehen und beseelen; dann erst ist es nach seiner Ansicht Kunst. Mit den meisten Theaterstücken ist er sehr unzufrieden. Er möchte sie herausschreiben; er möchte in Worten sagen, was Wagner durch seine Musik gab. Gedanken an die eine, große, heilige Heimat, die uns dunkle Mächte hier verhüllen. Gott gebe, daß ihm die Kraft werde, noch das Morgenrot dieser neuen, beseligenden Zeit heraufziehen zu sehen.
   Und nun, Königliche Hoheit, nicht Königliche Hoheit und Ihre liebe Königliche Schwester sollen mir danken, o nein, zu danken habe hier nur ich, das einfache Kind aus dem Volke, den lieben, lieben, hohen Damen, die nicht zu gering achten mit königlicher Huld innig zu erfreuen
Königlicher Hoheit tief dankbare
Klara May


B 3 · Klara May an Prinzessin Wiltrud, 1. 9. 1907

VILLA SHATTERHAND
   RADEBEUL-DRESDEN.1 September 1907

Hochverehrteste Königliche Hoheit!
   Innigen Dank für die lieben Zeilen aus Leutstetten! Sie sind ein Trost in all dem Leid, das neuerdings wieder über meinen armen, lieben, engelsguten Mann hereingebrochen ist, durch den Schutzpatron unserer Gegner, durch Cardauns, der die ungeheure Macht, die er sich anmaßt, dazu benützt, Karl May zu vernichten, damit er nicht einzugestehen braucht, daß er sich geirrt habe und daß er ungerecht und grundfalsch über Karl May geurtheilt hat, als er seinen Feldzug gegen ihn unternahm.
   Dieser Cardauns benützt die große Macht der »Historisch politischen Blätter«, im Besitze des Gorres-Vereines, dazu, seinem Haß gegen meinen Mann Ausdruck zu geben. Mein Mann hat sich trotz seiner Schwäche sofort hingesetzt und die anbei folgenden Berichtigungen geschrieben. Leider weigern sich die »Historisch politischen Blätter«,


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die Entgegnung aufzunehmen. Cardauns hat es ihnen offenbar verboten. Jedenfalls muß mein Mann deshalb in den nächsten Tagen nach München, um die Leute gerichtlich zur Berichtigung zwingen zu lassen. Es ist eine traurige Thatsache, daß sich die Redacteure vor Cardauns fürchten, denn handeln sie nicht nach seinem Willen, geht es ihnen grad wie Karl May.
   Königliche Hoheit fragen, wie es meinem Manne geht. Leider nicht gut. Der liebe, alte Mann soll mit Gewalt vernichtet werden von seinen Gegnern. Sein felsenfestes Gottvertrauen hält ihn zwar aufrecht, aber der Körper vermag kaum noch zu widerstehen. Es war zu viel Leid, was sich über ihn ergossen hat.
   Königliche Hoheit fragen, ob er sich an seinen Schreibtisch sehnt? Er saß an ihm, als der neue Schlag hinterrüks, wie von feiger Meuchelmörderhand, ihn traf. Traurig mußte er die Feder fortlegen, aus der Friede und Liebe quoll für die Menschheit, die er so liebt.
   Königliche Hoheit haben sehr Recht, man versteht oder kennt May nicht. Wer ihn kennt und versteht, kann nicht sein Feind sein. Leider haben aber die meisten Menschen kein eigenes Urtheil. Sie flüchten sich unter den Schutz der Meinung eines Cardauns und sind dann der Mühe überhoben, selbst nachdenken zu müssen.
   Wenn der jetzt befehdete und dennoch tausend, tausend mal mehr geliebte Karl May nicht mehr unter den Lebenden weilen wird, wird man ihn in den Himmel heben und bedauern ob seiner vielen, unschuldigen Leiden. Doch jetzt raubt man ihm noch die Lebensluft und duldet nicht, daß die Sonne still seinen Lebensabend durchwärme und mit goldigem Schimmer durchwebe. So ist aber die Art der Deutschen. Sie erwachen erst, wenn es zu spät ist. Wie viele Dichter und Künstler hatten dies Schiksal, und wie viele werden es noch haben. Bei uns herrscht die Presse auf diesem Gebiete, und deren Aufgabe ist zerstören, vernichten, einreißen, die eigene Meinung eines ihrer »Großen« durchdrücken.
   Wenn auch hie und da freundlichere, verständigere Meinungen auftauchen, es nützt nichts. Ein Cardauns zerstampft sie Alle.
   Vielleicht muß es so sein. Ist doch Alles nur Episode. Würde Karl May schon heute auch von diesen Leuten anerkannt, käme vielleicht zu viel Sonne zu ihm. Denn auch jetzt wieder zeigt sich von allen Seiten die unendliche Liebe die tief im Herzen des Volkes wurzelt zu meinem Manne. Könnten Königliche Hoheit einmal an einem Feiertage die Zeichen der Liebe sehen, die in unser bescheidenes, stilles Heim fliegen. Da giebt die Armuth schlichte Wald- und Bergblumen, da kommen Handarbeiten aller Art, Früchte, Kuchen und kostbare Blumen. Depeschen


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und liebe, liebe Briefe. Nach hunderten zählen die, die da sagen: »Durch Ihre Bücher fand ich den Weg zu Gott zurück, innig danke ich Ihnen.« Oder: »ich war auf Abwege gerathen, an Ihrer Hand kehrte ich um.«
   Solche Erfolge und solche Beweise von unendlicher Liebe ermöglichen es, den Haß und Neid zu ertragen. Es wird wenig Schriftsteller geben, welche auf ein zwar tief vom Leid durchfurchtes, aber auch auf ein Leben zurückblicken, in welchem es ungezählte Male erklang: »Gott segne Dich, denn Du gabst mir durch Deine Werke Licht und Leben, Du führtest mich zu Gott!«
   Die Grüße Ew. Königlichen Hoheit habe ich übermittelt und soll sie mit innigem Dank erwiedern, auf das Herzlichste!
   Darf auch ich mir erlauben, die Grüße Ew. Königlichen Hoheit untertänigst zu erwiedern als Königlicher Hoheit
tief ergebene
Klara May


B 4 · Klara May an Prinzessin Wiltrud, 14. 9. 1907
(Briefbogen des »Grand Hotel Leinfelder München«; von Karl May diktiert)

München den 14 September
1907

Königliche Hoheit
   sind immer so gütig gegen uns gewesen, daß ich es für meine Pflicht halte, folgende Mitteilung zu machen:
   Herr Commerzienrath Pustet, der Herausgeber des »Deutschen Hausschatz«, erfuhr, daß wir hier in München seien. Er schikte seinen Chefredakteur, Herrn Wirklichen Rath Dr. Denk, mit folgender Bitte von Regensburg nach hier: die Herren des »Hausschatz« haben eingesehen, daß man Karl May falsch angeschuldigt und bitter Unrecht gethan hat. Sie bedauern ihren Irrthum und kehren zu ihm zurück, und zwar mit dem Wunsche, daß er nun auch zu ihnen wiederkehre. Mein Mann, der zum Verzeihen stets Geneigte, ließ sich erbitten, und nun werden seine Erzählungen wieder wie vorher im »Deutschen Hausschatz« erscheinen. Somit ist dieses häßliche Affaire für immer erle-


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digt, und die Leser des genannten Blattes werden bald erkennen, nach welchen hohen, edlen Zielen sie geleitet werden.
Mit aufrichtiger Hochachtung
Ew. Königlicher Hoheit
dankbarst ergebene   
Klara May



A 4 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 7. 3. 1908

VILLA SHATTERHAND
   RADEBEUL-DRESDEN.d. 7./3. 3.


Ew. Königliche Hoheit
   wollen gütigst glauben, daß es mir eine köstliche Freude ist, wieder einmal eine Zuschrift Ihrer eigenen Hand vor mir liegen zu sehen. Ebenso groß ist die Genugthuung, die mir der Inhalt bereitet. Wie sind Ew. Hoheit innerlich gewachsen! Ihre Seele verschmäht es, an der Oberfläche zu verweilen. Sie steigt in die Tiefe, um nach Perlen zu forschen, und es macht mich so glücklich, zu erfahren, daß sie auch versteht, sie zu finden. Darob ist heut in meiner weltfernen, einsamen Klause Sonnenschein, zumal auch für Sie das Alpha und das Omega aller menschlichen Forschung ist, Jesum Christum zu verstehen!
   Es ist nicht meine Aufgabe, den Heiland theologisch zubetrachten. Das ist des Priesters Sache, der höher steht als ich. Ich bin nur Ethnograph. Ich kann auf Jesum Christum nicht das Auge der dogmatischen Kritik, sondern nur meinen unerschütterlichen Glauben und den zuversichtlichen Blick der  » M e n s c h h e i t s f r a g e «  richten. Diese Menschheitsfrage stammt aus Gottes eigenem Munde. »Mensch, wo bist du?« lautet sie. Er sprach sie aus, als er durch das Paradies ging, um nach dem Menschen zu suchen.  D e n n  w o  a u c h  i m m e r  d i e  M e n s c h h e i t  s i c h  v o r  G o t t  v e r s t e c k t ,  i s t  e s  m i t  d e m  P a r a d i e s e  a u s !
   Von jenem Paradiesestage an ist die Menschheitsfrage den Sterblichen durch Raum und Zeit gefolgt. Durch alle Länder der Erde ist sie geschritten, Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch. Sie saß im hintersten Winkel der Noah-Arche. Sie schaute dem Bau des babylonischen Thurmes, der hinterindischen Tempel, der egyptischen Pyramiden, der amerikanischen Teocalli zu. »Mensch, wo bist Du?« fragte sie, so oft hunderttausende von Seelen an einem einzigen dieser versteinerten Gedanken zu Grunde gehen mußten. Sie stand von fern, als die blutigen Schlachten des Alterthums, des Mittelolters, der neuen Zeit geschlagen



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wurden. »Mensch, wo bist du?« stöhnte es aus ihrer Brust zum Himmel auf! Sie sah die Babylonier, die Assyrer, die Aegypter, die Perser, die Makedonier, die Griechen, die Römer kommen und verschwinden. »Mensch, wo bist du?« jammerte sie, als sie die millionen und abermillionen Opfer zählte, die dann am Boden lagen! Sie war zugegen, als Tao, Ré, Jehova, Buddha, Moses, Con-fu-tse, Zeus und Mohammed erschienen. »Wo bist Du, Mensch?« wehklagte sie, als sich die Folgen zeigten. Sie sah den Ackerbau, den Handel, das Gewerbe, die Sitte, Zivilisation, Kultur entstehen. »Mensch, wo bist Du?« forschte sie, als ihr dabei das Freudengeheul der Habgier in die Ohren klang. So geht sie auch jetzt noch hin und her, so weit die Erde reicht, doch Keiner sieht sie, Keiner will sie hören. Bei dem Ausdrucke »Menschheitsfrage« denkt Jedermann nur an Phantasterei, an Uebersinnlichkeit und kranke Visionen, und Niemand ahnt, daß ihre Beantwortung die Erlösung der ganzen Menschheit bedeutet. So ist sie, die Herrin, aus Gottes Mund geboren, damit sie uns das Paradies erhalte, zur Bettlerin geworden, der man die Erde zur teuflischen Hölle macht. Sie geht von Thür zu Thür. Sie bittet um nichts, als um abgelegte, ärmliche, irdische Lumpen, um sich sichtbar machen zu können und dann gehört zu werden. Aber der Mensch birgt grad unnütze Lumpen im heiligsten Schrein und läßt dafür die Schätze aller Himmel im Staube liegen.
   So kam sie auch an meine arme, kleine Thür. Ich nahm sie bei mir auf. Ich hatte nichts, nicht einmal Lumpen. Ich besaß nichts als nur mich selbst, und das, das gab ich ihr: mein »Ich«. Durch dieses »Ich« bekam sie menschliche Gestalt. Zwar keine fürstliche, keine glänzende, keine reiche, keine bedeutende, sondern nur die eines kleinen, unbekannten Poeten, dessen Ideal es war, die Menschheit ernst zu nehmen. Aber es war doch immerhin eine Gestalt, durch welche die Menschheitsfrage die Fähigkeit gewann, sich sichtbar und hörbar zu machen und nach langen, langen, nutzlos durchlittenen Jahrtausenden dem Volke der Erde zu zeigen, was es ist und was es soll.
   Seit jenem Tage schreibe ich im »Ich«, in der ersten Person. Aber dieses »Ich« ist nicht Karl May, sondern die Menschheitsfrage. Und was da aus meiner Feder fließt, sind nicht Erzählungen, die nur Unterhaltung geben sollen, sondern entwickelungsgeschichtliche Anschauungsbilder, durch welche wir die culturiellen Fehler der Vergangenheit kennen lernen, um sie in Zukunft zu vermeiden. Das »Ich«, also die Menschheitsfrage, bewegt sich in diesen Erzählungen in zwei verschiedenen Reichen zu gleicher Zeit, von denen das eine hoch über dem andern liegt. Das untere Reich ist die gewöhnliche, concrete Geographie und Weltgeschichte. Darüber liegt das Reich meiner Marah Durimeh, der »Menschheits-



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seele«. Indem scheinbar nur das erzählt wird, was in dem unteren geschieht, ragen die Gestalten und Ereignisse auch hoch in das obere hinein, und während unten der Ruf »Mensch, wo bist Du?« in Haß und Neid und Zank vollständig ungehört verhallt, hört man oben die Antwort erklingen: »Der Mensch ist hier, denn hier oben bei uns ist Friede auf Erden!« Ich möchte so gern, daß Königliche Hoheit mich verstehen, denn Sie leben zwar, wie wir alle, auch in der niedern Welt, doch Ihre eigentliche, ich will getrost sagen, königliche Aufgabe liegt in der höheren, wohin Ihr gütiges Denken und liebes, menschenfreundliches Sinnen ja stets und gern gerichtig ist, und ich stehe nicht an, in aller Ehrlichkeit meine Ueberzeugung auszusprechen, daß da oben, im Reiche der Edelmenschlichkeit, für hochverehrte Prinzessin noch große, höchst werthvolle Erfolge liegen.
   Die erste Lehre, die mir die »Menschheitsfrage« gab, nachdem ich ihr mein »Ich« gegeben und sie also personificirt hatte, war, nun auch der hoch über uns stehenden und Alles in sich vereinigenden »Menschheitsseele« Form und Gestalt zu verleihen. Ich that das in Marah Durimeh, der kurdischen Königstochter. Ihr Land kennt keine Nationalität, keine Sonderinteressen; es ist die ganze Erde. Was hier unten sich klein, eng und feindselig vollzieht, das geschieht da oben in großen, weiten, liebevollen Zügen. Alles wächst über den Schmutz und Staub da unten hinaus, um sich da oben zu verklären. Meine Gestalten gehören alle dem wirklichen Leben an, sogar dem niederen Leben da unten. Aber indem ich sie dieser Niedrigkeit entziehe, gewinnen sie Bedeutung für das Reich da oben. Ich weiß, meine Combinationen scheinen oft ungewöhnlich; aber sie sind wahr und werden sich erfüllen, denn nicht ich bin es, der schreibt, sondern die Menschheitsfrage fahrt mir die Feder.
   Um zu erklären, was ich da meine, genügt das Beispiel meines Winnetou, mit dem sich die Zeilen Ew. Königlichen Hoheit beschäftigen:
   Im untern Reiche, also bei gewöhnlichen Geographen und Weltgeschichtsmenschen, scheint es beschlossen, daß die Indianer untergehen. Aber im obern Reiche, in welchem die weitblickende Menschheitsseele herrscht, ist es bekannt, daß die Indianer siegen werden. Es ist Gottes Gesetz, daß der durch die Blutthat Unterjochte durch die darauffolgende Kulturthat den Sieger besiegt. So will es der gerechte Vater im Himmel. Auch der Massenmord am rothen Manne wird bestraft. Der Mörder muß sterben: Der Rassenmischmasch, den man Yankee nennt, wird verschwinden. Alle die vielen Menschen, die aus lateinischen, sarmatischen und tschechischen Ländern nach Amerika gingen, konnten nur als Völkerdünger dienen. Sie sind unfähig, neue Nationen zu bilden. Die sogenannten »Staaten« [,] die sie im Süden errichteten, sind keine Staa-



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ten, sondern nur Experimente, um dem kommenden Herrn von All-Amerika die Stätte zu bereiten. Und der wird  g a n z  u n b e d i n g t  g e r m a n i s c h - i n d i a n i s c h e r  R a s s e  s e i n !
   Nur der Germane ist fähig, eine neue Rasse zu zeugen. Und nur der Indianer besitzt die vitale Kraft, ihm dabei zur Seite zu stehen. Der Germane kommt aus England, Holland, Deutschland und Skandinavien. Der Indianer ist autochthon. Er mußte den überlegenen Waffen und der Gewissenlosigkeit der Weißen weichen, aber es fällt ihm nicht ein, auszusterben. Er vermehrt sich schnell und kräftig; der Yankee aber geht zurück. Der Indianer hat begonnen, sich am staatlichen Leben, an der wirthschaftlichen Fortentwickelung sehr energisch zu betheiligen. Er gründet Schulen. Er ist Großgrundbesitzer. Viele Indianer sind Millionärs; ja, es giebt sogar schon rothe Milliardärs. Nur der Germane hat Gemüth, und nur der Indianer hat Gemüth. Diese Beiden werden einander verstehen. Aus ihrer Vereinigung wird sich mein Winnetou ergeben, der als Einzelwesen sterben mußte, um als große, siegeskräftige Nation vom Tode aufzuerstehen. Er ist der Geist der zukünftigen Amerikaner, der germanisch-indianischen Rasse. Darum mußte er von Klekih-petra, einem Deutschen erzogen werden, und darum verstand es sich ganz von selbst, daß der einzige, wahre Freund, den er besaß, Old Shatterhand, nur ein Deutscher sein konnte.
   So ist der edle, kühne, schweigsame und treue Mescalero-Apatsche, den ich da unten im Reiche der gewöhnlichen Verhältnisse traf, dort oben im hohen Reiche der Menschheitsseele zum zukunftsnationalen Ideal geworden, welches die größte völkergeschichtliche Aufgabe zu lösen hat, die es auf Erden giebt. Ich habe noch zu erzählen, daß es mir gelungen ist, sein Testament zu finden und zu lesen. Ich werde dafür sorgen, daß es ausgeführt wird, selbst nach meinem Tode!
   Nicht wahr, meine gütige, hochgeehrte Prinzessin, das sind fremdartige Gedanken? Aber sie scheinen es nur. In Wirklichkeit. In Wahrheit sollte ein jeder denkende Mensch in Allem, was er that, sich zu der Menschheitsfrage erheben können: »Was sage nicht ich, sondern was sagt die Menschheitsseele dazu?« Mit Winnetou sind wir Beide noch nicht fertig, weder ich noch meine Leser. Es giebt da noch Ueberraschungen ganz seltener Art, auf die ich mich unendlich freue. Freude finde ich überhaupt nicht mehr da unten, wo ich für dieses Leben ade gesagt habe, sondern nur noch hier oben, wo Körperliches und Individuelles schweigt und nur noch Menschheitsseelisches redet. Darum sage ich Herzensdank für die Betrachtungen Ew. Königlichen Hoheit über das psychologische Verhältniß zwischen Winnetou und mir. Ich sehe da Ihre Seele. Mild und ernst. Sich in eine Frage versenken, die nicht bereits



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nach Jahresfrist beantwortet werden kann. Doch, was sie aus der Tiefe fördert, ist psychisches Gold, auf welches Sie stolz sein dürfen; Sie haben es selbst erworben; es stammt aus eigenem Schacht. Und wenn Sie nicht Prinzessin wären, würde ich mich über diese ganz ungewöhnliche psychische Leistung des Näheren aussprechen dürfen.
   Nun muß ich schließen. Ich bin im Eifer, der Gestalt meines Winnetou ihre festen, kulturgeschichtlichen Konturen zu geben, schon viel zu lang geworden und muß um gütige Verzeihung bitten. Jeder Brief aus dem mir unvergeßlichen Wittelsbacher Palais verwandelt mir meine Eremitage in ein Märchenreich, in dem es dem Einsiedel erlaubt ist, mit Königskindern zu reden, ja, vielleicht sogar einen Wunsch auszusprechen. Auch ich bin nicht ohne Bitte. Nämlich, es würde mir außerordentliche Freude machen, denken zu dürfen, daß auch mein Königstöchterlein die Erzählung »Der Mir von Dschinnistan« im »Deutschen Hausschatz« liest. Grad diese Erzählung ist ganz besonders für Königskinder geschrieben. Die »Menschheitsfrage« kommt da so deutlich wie nie vorher zum Worte. Der Grundgedanke ist der »Völkerfriede «. Nicht als leere Utopie, über welche sowohl Offizier als Diplomat die Köpfe schütteln müssen, sondern als greifbare Wirklichkeit, nach der wir alle zu streben haben und die wir sofort und ganz von selbst erreichen werden, sobald wir »Edelmenschen« geworden sind.
   Meine Lebensaufgabe, die auf das Wohl der ganzen Menschheit gerichtet ist, verhindert mich, ein unsinniger Knallpatriot zu sein. Aber ich liebe mein Vaterland unsagbar, und es macht mich stolz, aus der Entwickelung zu ersehen, daß vor allen Dingen das deutsche Volk berufen ist, nach dieser Edelmenschlichkeit voran- und emporzustreben. Es sind ernste und wichtige und heilige Schritte, die wir da zu thun haben, nicht geräuschvoll, sondern still und selbstverständlich. Und wenn wir dabei fürstliche Vorbilder brauchen, so zeigt der »Mir von Dschinnistan«, daß wir sie haben, sobald wir die Augen öffnen.

In tiefer Ehrerbietung und aufrichtiger Dankbarkeit
Ew. Königlichen Hoheit
ganz ergebener
Karl May.



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A 9 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 4. 10. 1908

The Clifton Hotel
Niagara Falls, Canadaden 4. October 1908

Ew. Königliche Hoheit
   wollen gütigst verzeihen, daß meine Antwort erst jetzt ermöglicht ist. Der mir so werthvolle Brief hat eine lange Irrfahrt hinter sich. Er folgte mir nach Amerika, suchte mich in verschiedenen der Vereinigten Staaten, wo ich aber stets schon wieder abgereist war, und traf mich endlich gestern in Buffalo, und zwar in Statlers Hotel, von dem ich des Interesses wegen eine Karte beilege. Heut schreibe ich die Antwort im Clifton Hotel, auf der kanadischen Seite der Nigara Falls. Sie wird nur kurz, weil ich morgen nach Toronto u.s.w. muß, von wo aus ich beabsichtige, über die »tausend Inseln« nach Montreal und von da nach Boston zu gehen.
   Ich bin hier in Amerika, um die Vorstudien zum wichtigen Band IV von »Winnetou« zu machen. Die Zeilen Ew. Königlichen Hoheit kommen also grad zur rechten Zeit und an den richtigen Ort. Ich habe mich unendlich über sie gefreut und werde mir, sobald ich hier einige Tage hier seßhaft werde, eine Antwort gestatten, die mir jetzt, wo ich ununterbrochen von Indianern, Quäkern, Shakers u.s.w. beschlagnahmt bin, nicht möglich ist. Ich bin glücklich, zu sehen, daß gnädigste Prinzessin den richtigen Weg zum großen Thore gefunden haben, hinter dem sich der köstlichste Blick auf das unendliche Gebiet der Güte Gottes öffnet, und bitte um die Erlaubniß, in meinem nächsten Schreiben von diesem Blicke und von dieser Güte sprechen zu dürfen.
< div align=right>In wahrer Ergebenheit
Ew. Hoheit   
ergebener   
Karl May.


Die Schrift läuft auf dem Papier, denn die Luft ist hier sogar im Zimmer mit Wasserdunst überfüllt, in folge der beiden wahrhaft gewaltigen Katarakte.
Dem Brief beigefügt war eine Postkarte: Hotel Statler, Buffalo, N.Y. Auf dem Bild von Mays Hand:
Mein Hotel in Buffalo.


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A 10 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 18. 4. 1909
VILLA SHATTERHAND
   RADEBEUL-DRESDEN.d. 18 April 1909.


Euer Königliche Hoheit
   wollen die große Verspätung gütigst verzeihen! Nein, ich kann die Schuld nicht darauf schieben, daß mein Brief verlorengegangen sei. Ich sage wissentlich nie eine Unwahrheit und bin also gezwungen, einzugestehen, daß ich überhaupt  n i c h t  geschrieben habe. Aber ich bitte um die Erlaubniß, mich entschuldigen zu dürfen!
   Meine Frau, das »Herzle«, die ich »im Reiche des silbernen Löwen« als Schakara geschildert habe, machte auf meiner letzten Amerikareise Alles, was ich erlebte, mit. Nach unserer kurzen Rast am Niagara wurden wir derart von den äußeren und inneren Ereignissen gepackt und fortgerissen, daß vom Briefschreiben keine Rede mehr war, bis wir uns wieder auf dem Schiffe befanden und überreich an Erfolgen heimwärts zogen. Nun hätte ich den Euer Königlichen Hoheit versprochenen Brief wohl schreiben sollen, doch war ich während der hochinteressanten Erlebnisse an der Brust verletzt worden, und zwar nicht leicht, und hatte keine Zeit gefunden, der Wunde die nöthige Pflege und Ruhe zu widmen. Nun hinderte sie mich am Schreiben und wurde so gefährlich, daß ich mich nach unserer Heimkehr sofort einer Operation unterwerfen mußte, bei der ein ziemlich ansehnliches Stück des »Reiseschriftstellers« Karl May durch das Messer entfernt und weggeworfen werden mußte. Doch schadete das nichts, denn es war nicht aus dem Kopfe, sondern unmittelbar aus der Gegend des Herzens, und ich bin ja seit Jahren daran gewöhnt, daß die Herren von der Scheere und vom Messer es vorziehen, ihre Angriffe nicht gegen meinen Kopf, sondern nur gegen mein Herz zu richten; es wird ihnen dann leichter verziehen. So wurde auch diese körperliche Operation trotz meiner 67 Jahre glücklich überstanden, doch steckte ich noch lange Zeit derart unter Binden und Bandagen, daß es mir unmöglich war, mich mit der Feder zu befassen. Dann kam die Hochfluth der Geburtstagsbriefe, die von Jahr zu Jahr immer höher schwillt und dieses Mal zwei Monate zur Beantwortung heischt. Dabei die Fortfahrung des »Mir von Dschinnistan«, der mir von der Redaction des »Hausschatz« hinter meinem Rücken leider so verballhornisirt worden ist, daß ich ihn kaum wieder erkenne! Darum freue ich mich herzlich darüber, daß Königliche Hoheit ihn jetzt noch nicht lesen, sondern erst dann, wenn er in Buchform erscheint.
   So komme ich erst jetzt dazu, an Briefe, welche mehr als nur meine



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Unterschrift erfordern, denken zu dürfen, und vor Allem an den, welchen verehrte Prinzessin so gütig sind, zu erwarten. Inzwischen hat sich Vieles neu entwickelt, und das Milieu, in dem ich mich befinde, ist ein ganz anderes geworden. Darum wird auch der vorliegende Brief ein ganz anderer sein, als er geworden wäre, wenn ich ihn noch während meiner Reise und drüben in den Vereinigten-Staaten geschrieben hätte. Vor allen Dingen bitte ich, Ew. Königlichen Hoheitf olgende Anschauungen unterbreiten zu dürfen:
   Es steht der nächstfolgenden Zeit ein Riesenkampf bevor, in welchem vier Giganten um die Weltherrschaft ringen werden. Diese Giganten sind 1.) die kaum erst aus dem Schlaf erwachte gelbe Rasse 2.) der noch im Schlafe liegende Islam 3.) der jetzt in der Entwickelung befindliche germanisch-indianische Amerikaner 4.) der im Völkerringen erfahrene, geübte Europäer. Dieser Kampf wird der gewaltigste sein, den es je gegeben hat, und ein jeder weitschauende und wohldenkende Mensch muß wünschen, daß er verhütet werden könne. Und er kann verhütet werden, aber einzig und allein nur durch  d a s  w a h r e ,  ä c h t  h u m a n e  C h r i s t e n t h u m !
   Denn es ist Gottes Rathschluß, daß in den Kämpfen der Zukunft nicht die rohe Macht, sondern die edle Menschlichkeit zu siegen habe. Darum habe ich mir in allen meinen Büchern als erste und höchste Aufgabe  d i e  E n t w i c k e l u n g  d e s  G e w a l t m e n s c h e n  z u m  E d e l m e n s c h e n  g e s t e l l t .  Derjenige der vier Riesen, welcher dann, wenn der große Kampf beginnt, der Träger der Humanität ist, wird siegen. Bisher ist es der Europäer gewesen. Um es bleiben zu können, darf er keine einzige, auch nicht die allerkleinste humane oder humanitäre Völkeraufgabe fallen lassen, denn irgend einer der drei Andern würde sie sofort aufheben und in die Hand nehmen, um sich selbst in diese Bresche zu stellen. Ganz besonders ist da auf den Amerikaner zu achten, der sich mit Aufbietung aller Mittel bemüht, der Humanitätserbe des Europäers zu sein. Seine Erfolge in dieser »Vorbereitung zum Kampfe« sind schon fast bedeutend.
   Wer da glaubt, über den gelben und über den muhammedanischen Riesen lächeln zu können, der irrt sich. Die gelbe Rasse wird in sechzig Jahren ebenso stark und ebenso gut bewaffnet sein wie der Europäer. Und der Islamit braucht nur aufzuwachen, aufzustehen und die Hände auszubreiten, um das Morgenland von Denen, die es eroberten, zu befreien. Der »Gelbe« leistet ihm dabei mit Wonne guten Dienst!
   Man soll, um das große, kommende Unglück zu verhüten, dahin wirken, daß die vier gewaltigen Recken der Zukunft sich nicht hassen, sondern einander achten und lieben. Ein Jeder kann dabei mitwirken, sei er



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Kaiser oder König, Gelehrter oder Künstler, Priester oder Laie, Diplomat oder Nichtdiplomat. So habe auch ich die Achtung und die Liebe gesäet, durch welche die Rassen und Nationen einander genähert und brüderlich mit einander verbunden werden sollen. Meine Bücher sind geschrieben, um zunächst und im Allgemeinen ein lebhafteres Interesse und eine tiefere und innigere Theilnahme für die Völker zu erwecken, welche dem Untergange entgegenzugehen scheinen. Ich meine da besonders die muhammedanischen Orientalen und die Indianerstämme von Nordamerika. Nun ich sehe, daß man sie herzlich liebgewonnen hat und über ihre menschlichen und nationalen Rechte anders denkt als früher, beginne ich, nachzuweisen, daß sie keinesweges dem Untergange geweiht, sondern ganz im Gegentheile berufen sind, sich zu herkulischen Entscheidern der Menschheitsschicksale zu entwickeln.
   Um meinen Lesern das Verständniß und den Blick für die kommenden Ereignisse zu erleichtern und zu schärfen, habe ich mir die Aufgabe gestellt, die vier Rassen, welche jenen Gigantenkampf unter einander zu entscheiden haben, so deutlich zu personificiren, daß man mich verstehen muß, man mag wollen oder nicht. Old Shatterhand stellt den sich im Besitze aller jetzigen Vortheile befindenden Europäer dar. An ihm zeige ich, wie wir selbst uns zu verhalten haben, wenn der große Conflict des nächsten Jahrhunderts in Frieden gelöst werden soll. Thun wir das nicht, so wird Europa seine bisherige erste Stelle an Amerika abzutreten haben. Der Typus der neu sich bildenden germanisch-indianischen Rasse ist mein Winnetou, welcher als Einzelwesen sterben mußte, um als Nation auferstehen zu können. Das Modell des einstigen Morgenländers, der sich zum großen Vierkampf stellen wird, ist Kara Ben Halef, der jetzige Scheik der Haddedihn. Denn Halef ist todt. Sein Sohn, der tapfere, der groß, ernst und edel denkende, wird ausführen, was sein Vater ganz unmöglich ausführen konnte. Ueber meinen Typ der gelben Rasse habe ich nur erst in »Friede auf Erden« eine kleine Andeutung gegeben. Ich werde ihn erst später herauswachsen lassen können. Denn bis jetzt habe ich erst Skizzen, Entwürfe und Vorübungen geschrieben. Das, was ich eigentlich will, beginnt erst nun.
   Ueber Old Shatterhand, den zukünftigen Europäer, kann ich hier schweigen. Es war kühn von mir, dieser Personification unserer abendländischen Kultursumme mein eigenes Ich zu leihen, damit man mich schneller begreifen möge. Die Verständnißlosen und weltgeschichtlich Blinden mögen sich über mich moquiren; die Folgezeit wird mir Recht geben.
   Unter allen meinen Personificationen ist mir Winnetou die liebste. Nach Band IV kommt die Veröffentlichung seines Testamentes. Als Einleitung hierzu werden die Aufzeichnungen Klekih-petra's erschei-



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nen, welche erzählen, wie die Eltern Winnetous sich gefunden und liebgewonnen haben. Dieser Band wird erklären, woher der wohlthuende, leise, deutsche Hauch in der Atmosphäre des Apatschen kommt. Er hat, meinem Beispiele folgend, seinem Testamente die Gestalt von Reiseerzählungen gegeben. Es ist an die ganze Menschheit gerichtet und wurde an den heiligsten und einsamsten Orten und Stunden der Präirie, des Urwaldes und des Felsengebirges verfaßt. Es ist eine Reihe von Bänden stark und wird wahrscheinlich unter dem Titel »Mein Testament, von Winnetou, dem Häuptling der Apatschen«, gedruckt werden.
   Von Kara Ben Halef erwarten uns ähnliche Ueberraschungen, doch kann ich jetzt noch nichts Bestimmtes hierüber sagen.
   Ew. Königliche Hoheit sehen, daß ich mich genauso geberde, als ob ich erst dreißig Jahre zählte. Ich will erst anfangen, jetzt, in diesem Alter! Aber ich weiß, daß ich vollenden werde, was ich soll! lch glaube es; ich hoffe es zu Gott, und so wird es auch geschehen! Die Vorstudien und Vorarbeiten waren nicht leicht. Das schwerste aber war der Abstieg in die Menschenqual und Herzensmarter hinunter. Wer aus Gewaltmenschen Edelmenschen bilden will, der hat, wie ich, mit der Gewalt auf Leben und Tod zu kämpfen. Ich möchte der Menschheit meinen Glauben geben, meine Liebe, meine Zuversicht, mein Licht, meine Wärme, meinen - - - Gott! Darum schlägt jeder Uebergläubige, jeder Ungläubige, jeder Pessimist und jeder Demokrat auf mich ein. Ich wurde schon längst erschlagen; ich bin schon seit Jahren todt. Mein braves »Herzle« mit. Wir leben als Selige in unserm abgeschlossenen Himmelreiche. Wir haben abgeschlossen. Wir haben keine Wünsche mehr für uns, sondern nur noch Liebe für die armen, thörichten Menschen. Ich bitte auch Ew. Königliche Hoheit, uns als todt, als gestorben, als abgeschieden und wunschlos zu betrachten. Einer der wenigen Sonnenstrahlen, die uns aus der Welt, auf die wir verzichtet haben, geblieben sind, heißt - - - Wiltrud. Er ist uns heilig und soll uns heilig bleiben. Nicht das kleinste Sonnenstäubchen soll in diesem stillen, ruhigen, warmen Lichte schwimmen. Wenn ich Ihnen einmal schreibe, verehrte Prinzessin, so sei lhnen geschrieben wie einer fern in Sitara lebenden Fee, von der man nichts wünscht als nur allein die Erlaubniß, in morgenrothen und abendrothen Stunden, wenn man seiner Ideale und seiner Schatzengel gedenkt, auch mit an sie denken zu dürfen.
   Und wenn eines meiner bisherigen Werke nicht gut, nicht klar, nicht erwünscht zu sein scheint, so bitte ich, darauf hinweisen zu dürfen, daß alle diese Arbeiten nur Fühlfäden waren, um genau zu erfahren, was und wie ich schreiben soll und was nicht. Ich bin so gern bereit, meine Fehler abzulegen, denn wenn es mir gelänge, mich von ihnen allen zu befreien, so wäre ich endlich erlöst und ganz von hier geschieden.



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   Mit aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit, auch im Namen meiner tief gerührten, grußbeglückten Frau,
Ew. Königlicher Hoheit
ganz ergebener
Karl May.


A 11 · Karl May an Prinzessin Wiltrud, 7. 10. 1909
VILLA SHATTERHAND
   RADEBEUL-DRESDEN.den 7ten October 1909


Ew. Königlichen Hoheit
   gestatte ich mir die als pflichtschuldig erscheinende Mittheilung, daß »Winnetou Band IV« soeben in der »Augsburger Postzeitung« erscheint.

In hochachtungsvoller Verehrung
Ew. Königlichen Hoheit
ergebener
Karl May.


B 5 · Klara May an Prinzessin Wiltrud, 5. 12. 1909
Radebeul, den 5ten December 1909

Eurer Königlichen Hoheit
   Wunsch ist uns Befehl. Wir wollten von Augsburg über Weimar, wo wir erwartet werden, sofort wieder heimfahren, werden aber nun, da Königliche Hoheit uns die Ehre zu teil werden lassen, uns nach München zu rufen, am Donnerstag Abend dahin abreisen und im Hotel Leinfelder Wohnung nehmen. Königliche Hoheit können am Freitag über uns verfügen, eventuell auch am Sonnabend; nur bitten wir, uns gütigst Bescheid darüber, wann wir erscheinen dürfen, nach Augsburg, Hotel Kaiserhof, zu geben.
   Ganz besonders erlaube ich mir noch, dafür zu danken, daß Königliche Hoheit mir, dem einfachen Kinde aus dem Volke, gestatten, meinen Herzensmann zu begleiten.
In tiefgefühlter Hochachtung
Eurer Königlichen Hoheit
ergebenste
Klara May



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B 6 · Klara May an Baronin von Wulffen, undatiert (1910)
(von Karl May diktiert)

Hochgeehrte Frau Baronin!
   An Stelle meines Mannes sende ich Ihnen die gewünschten Bücher zurück. Er hatte sich so sehr über sie gefreut und mir den Fleiß der hohen Verfasserin gerühmt. Er wollte die Bücher mit einer Beilage zurücksenden. Da kamen aber die neuen Angriffe seiner Gegner, die entsetzlichen Beschuldigungen, und er war der Ansicht, daß er unmöglich an die Königlichen Hoheiten schreiben könne, bevor er sich von diesen Anschuldigungen gereinigt habe. Leider gehen derartige Prozesse immer sehr langsam.
   Mein Mann ist daheim. Er möchte die Rücksendung gern selbst übernehmen, unterließ es aber, aus den angeführten Gründen. Darf ich Frau Baronin bitten, Königliche Hoheit Prinzessin Wiltrud um Verzeihung zu bitten, daß die Rücksendung nicht früher erfolgte und nicht in einer Weise, wie mein Mann es wünschte.
   Ich danke Ihnen für Ihre gütige Anteilnahme an unserem außergewöhnlich harten Geschick. Auch ich bin überzeugt, daß Karl May siegen muß, nur wird der Sieg ein schmerzlicher sein, da das falsche Christentum und vor allem die gegenwärtige Humanität unterliegen werden.
In aufrichtiger Hochachtung bin ich, Frau Baronin ganz ergebene
Klara May.


Nachbemerkung Prinzessin Wiltruds mit Bleistift:
wohl Anfang 1910 geschrieben. Die Bücher waren meine indianischen Worte, aus Staatsbibliothek-Buch herausgeschrieben u. ein Sioux Gebetbuch das ich zu übersetzen begann.

B 7 · Klara May an Baronin von Wulffen, 10. 1. 1912 (vermutlich von Karl May diktiert)

Radebeul, d. 10 Januar 1912

Hochgeehrte Frau Baronin!
   Es schien so kalt und dunkel um unsere Seelen, da kam Ihr Brief wie Gottes Sonnenschein und brachte Licht und Wärme. Vieltausend Dank!
   Verzeihung, daß ich nicht sofort antwortete! Es lag Böses hinter uns und noch Schlimmeres vor uns. Ob wir auch das Letztere überwinden würden, wußten wir nicht, und doch wollte ich Ihnen erst dann schrei-


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ben, wenn Alles klar geworden war. Und Gott sei Dank, das ist nun der Fall. Darum gestatte ich mir heute, Sie, Frau Baronin, um fünf Minuten zu bitten.
   Ich weiß nicht, ob Frau Baronin »Mein Leben und Streben«, das letzte Buch meines Mannes, kennen. Er erzählt da aufrichtig, daß und in welcher Weise er in seiner Jugend mit dem Strafgesetz in Conflict geraten ist. Heute würde man den jungen Menschen mit seiner Überfülle geistiger und seelischer Potenzen zum Arzt bringen; damals überantwortete man ihn dem Staatsanwalt, einen persönlich grausamen Menschen, der vollständig unfähig war, sich Psycholog zu nennen. Karl May macht diese entsetzlichen Qualen im ersten Bande von Winnetou Seite 9 mit den kurzen Worten ab: »Unerquickliche Verhältnisse in der Heimat . . . hatten mich über den Ozean getrieben.« Er spricht in seinen Büchern dann später wiederholt davon, besonders im III Bd. »Im Reiche des silbernen Löwen«, wo er das Vergangene dem Pedehr d. h. der Menschheit beichtet, S. 623 bis 627. Er hat, was er einst zu tun gezwungen wurde, äußerlich zehnfach und innerlich hundertfach abgebüßt und sich mit fast übermenschlicher Kraft aus dem tiefsten Ardistan durch die Geisterschmiede nach Dschinnistans Höhen hinaufgearbeitet. Von dort aus schreibt er seine Bücher.
   Er will noch höher steigen, trotz seiner 70 Jahre, aber Ardistan giebt keinen freiwillig her, und entkommt ihm Einer, so rächt es sich, indem es Alles versucht, ihn wieder hinabzuziehen. Mein Mann wurde von einem Dresdener Kolportageverlag um alle Früchte seines Fleißes betrogen. Es handelte sich um hohe Summen, um Hunderttausende. Dennoch hätte er diese Verluste ruhig hingenommen, aber man hatte dabei seine einwandfreien Arbeiten in Schundromane umgewandelt, und so war er gezwungen, zu prozessiren. Der Kolportageverlag drohte ihm: »Wenn May uns verklagt, so machen wir ihn mit seinen Vorstrafen vor ganz Deutschland in allen Zeitungen kaput!« Er antwortete, indem er trotzdem verklagte. Das »Kaputmachen« begann sofort. Karl May behandelte diese Niedertracht im III u. IV Bd. »Im Reiche des silb. Löwen« und sagt da das Ende voraus: Der Henker wird auf dem Pferde Kiss-y-Darr (Schundroman) um den See gepeitscht. Diese Weissagung geht nun hier in Deutschland in Erfüllung.
   Ehe dieser Henker seine Arbeit begann, kam er erst zu uns. Er wollte sehen, auf welcher Seite ihm mehr geboten wurde. Er verlangte »zunächst« 3,000 Mk. 6,000 Mk. ja 10,000 Mk. Für dieses Geld wollte er die Bücher Karl May's in allen Zeitungen rühmen und preisen. Er wurde abgewiesen und begann sofort das böse Werk, Karl May öffentlich als einen eidesunwürdigen Mann hinzustellen, damit kein Richter ihn


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zum Schwur kommen lasse und er den Prozeß, bei dem es auf den Eid ankam, also verlieren müsse. Für einen gewissenlosen Menschen war es gar nicht schwer, unter dem Schutze des § 193 die Romantik der »Reiseerzählungen« gegen ihren Verfasser auszunutzen. Aber die Richter durchschauten den Plan und ließen sich nicht täuschen. Karl May gewann den großen, 7 Jahre spielenden Prozeß in allen Instanzen, mußte diesen Sieg aber teuer genug bezahlen. Seine letzten 2 glücklichen Tage erlebte er in Augsburg und München, nach dem Vortrage über Sitara, dann brach er zusammen. Nicht etwa geistig oder seelisch, o nein, doch die Nerven waren nicht mehr fähig, das Ungeheure, was ihm zugemuted wurde, auszuhalten. Er brach zusammen und kämpfte monatelang mit dem Tode. Es war fürchterlich! Über ein Jahr lang keine Stunde natürlichen Schlaf. Er, der Starke, schrie vor Schmerzen, er konnte sie nicht verschweigen. Noch mehr als das aber schmerzten mich die trotzdem immer lieben, klaren Augen, das unerschütterliche Gottvertrauen und die Festigkeit, mit der er seiner Menschenliebe trotz alles Hasses, den er erfuhr, die innigste Treue bewahrte. Er dankte Gott für dieses schwere Leiden. Er behauptete, daß die Qualen der letzten Jahre notwendig gewesen seien, weil er nur durch dieses Selbsterleben des allertiefsten Menschenleides die Befähigung erlange, nun jetzt mit seinen eigentlichen Werken zu beginnen. Ich durfte Vorausblicke in diese Werke werfen, und je weiter ich da schaute, desto inniger betete ich, daß Gott ihn erhalten möge, mir und vielen Andern.
   Dieses lange Krankenlager wurde von seinen Gegnern gradezu leidenschaftlich ausgenützt. Man begann einen zweiten großen Prozeß, um den gewonnenen umzuwerfen. Und jener Henker ersann immer neue, ganz unmögliche, geradezu wahnsinnige Anschuldigungen gegen meinen Mann, der sich nicht verteidigen durfte, weil die Aerzte es ihm verboten. Der Skandalprozeß war der Skandalpresse eben recht; sie verbreitete das Gift mit Vergnügen. Ebenso die ungläubige Presse, die ihn wegen seiner Gottestreue haßt.
   Als er endlich das Lager verließ, konnte er nicht gehen. Jeder Schritt schmerzte ihn. Da suchte er Hülfe beim Radium. Die Aerzte riethen von Joachimsthal ab. Wir gingen aber doch dorthin, und da geschah ein Wunder. Er stieg schon nach einigen Wochen auf die Berge und schlief ausgezeichnet. Dann gingen wir nach dem herrlichen »Hotel Penegal« auf der Mendel und nach Madonna di Campiglio, wohin er eines seiner liebsten Sujets verlegen will. Als wir dann nachhause kamen, war er soweit hergestellt, daß er den Kampf wieder aufnehmen konnte, obgleich die Aerzte abrieten. Ich half ihm. Wir wateten da lange Zeit im schrecklichsten Schmutz. Es ekelte uns, aber wir mußten durch!


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   Da kam Ihr gütiger Brief. Wie war er so glücklich darüber! Seine Augen wurden feucht! Es war wirklich eine Botschaft des Himmels für ihn! Solange er nicht Sieger auf der ganzen Linie ist, verbietet er sich jedes Wort an Sie und an die Königlichen Hoheiten, die er geradezu anbetet - wenn mir erlaubt ist [,] so menschlich einfach zu sprechen. Er bat mich, nicht gleich zu antworten, sondern erst den Prozeß abzuwarten. Nun ist er vorüber, er wurde gewonnen, ebenso der große Prozeß gegen die Kolportagefirma. Der »Henker« erlitt in der 10 stündigen Verhandlung in Berlin die ihn verblüffende Niederlage, von der er sich kaum wieder erholen wird. Denn dies war nur die Einleitung; die eigentlichen Schlachten liegen noch vor uns. Es werden zwei. Dann, so hoffen wir, ist Karl May frei von den Dämonen, die seine letzten 12 Jahre vollständig vergifteten, und kann beginnen, jene großen Symphonieen der Gottes- und Menschenliebe zu schreiben, zu denen Alles, was er bisher veröffentlicht hat, nur Vorübung war. Er, der Fest- und Starkgläubige, ist vollständig überzeugt, daß er nicht eher sterben kann, als bis er seine Aufgabe vollendet hat!
   Wenn er jetzt, noch lange nicht ganz genesen, so still und glücklich lächelnd bei seiner Arbeit sitzt, so ist dieses Lächeln der dankbare Widerschein von all der Liebe, die während dieser schweren Zeit in unser Heim zusammen strömt. Niemals wurde diese Liebe in solcher Fülle und solcher Herzlichkeit über uns ausgeschüttet wie grade dann, wenn Alles auf uns loszuschlagen schien. Ja, die Spreu hat sich verflogen, denn die Tenne wurde gefegt. Aber die wertvollen Leser sind nicht nur geblieben, sondern es sind deren noch dazu gekommen.
   Ich darf es nicht wagen, die Grüße Ihrer Königlichen Hoheiten zu erwidern, dazu stecken wir noch zu tief im Schmutz von Ardistan. Aber ich bitte dringend den hohen Damen zu versichern, daß es für uns eine unendliche Freude gewesen ist, zu lesen, was Sie uns schrieben. Wir hoffen, daß die Zeit unterwegs ist, in der man anders über uns sprechen wird, als durch das schmutzige Sprachrohr böser Menschen.
   In allergrößter Hochachtung bin ich, meine hochgeehrte Frau Baronin, Ihre
ganz ergebene
Klara May.



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B 10 · Klara May an Baronin von Wulffen, 31. 3. 1912

Radebeul, d. 31. 3. 1912


Hochgeehrte Frau Baronin!
   Mein Alles auf der Welt unser Karl May ist am 30. d. M. abends 8 1/2 Uhr von uns gegangen, noch ganz umfangen von der unendlichen Liebe, die ihm jetzt vor 8 Tagen in Wien zu teil wurde.
   Leider mußte er dieses große Glück mit dem Leben bezahlen. Er erkältete sich. Wir hatten 2 Tage keine Dampfheizung in unserem Hotel.
   Frau Baronin machen sich keine Vorstellung von dem Jubel mit dem er begrüßt wurde und von der Liebe, mit der er noch nachher überschüttet wurde.
   Bitte, melden Sie den lieben Königlichen Hoheiten seinen Heimgang. Er hat die Damen ja so lieb gehabt.
Ihre hochachtungsvoll
ergebene   
Klara May.


Beigelegt sind zwei Zeitungsausschnitte:
a)›Karl May in Wien‹ Nachdruck aus dem ›Wiener Volksblatt‹ in der ›Bayerischen Landeszeitung", Würzburg, vom 26. 3. 1912:
»Im Sophiensaale in Wien fand ein von über 3000 Personen guter und bester Gesellschaft besuchter Karl May-Vortragsabend statt. Das »Wiener Volksblatt« berichtet hierüber: Lautlos still war es in der Zuhörerschaft, als der kleine graue Greis [. . .]«
Vgl. den Neudruck des Texts im ›Deutschen Volksblatt", Wien, 23. 3. 1912, in: Jb-KMG 1970, S. 76f.
b)Indianerartikel aus einer amerikanischen Zeitung, wohl von Prinzessin Wiltrud ausgeschnitten.





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