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PAUL RENTSCHKA


Karl Mays Selbstenthüllung
Mit Einleitung und Anmerkungen von Ernst Seybold


Die ›May-Gemeinde‹1 war und ist eine bunte Schar verschiedenster Menschen. Immer haben zu ihr auch Geistliche und Theologen katholischer und evangelischer Herkunft gehört.2

   Ebenso zählten zu den Gegnern Mays unterschiedlichste Leute, mithin auch Vertreter der Theologie und der Geistlichkeit. Diesen Geistlichen dürfte es wohl zu verdanken sein, daß May, übertreibend, meinte: Da wurde ich von den Protestanten gestäupt und hinausgeworfen und von den Katholiken gestäupt und hinausgeworfen . . .3

   Die Suche nach Namen evangelisch-theologischer May-Gegner hat allerdings gewisse Schwierigkeiten.4 Dagegen lassen sich die Namen einiger katholisch-theologischer May-Gegner schnell finden; wenigstens für eine gewisse Partie seines Lebens muß hier auch Paul Rentschka genannt werden.

   Er war, als er gegen May schrieb, Kaplan an der Hofkirche zu Dresden,5a also in Mays Nachbarschaft wohnhaft und tätig. Sein Beitrag zur May-Hetze jener Zeit erschien in den Nummern 282, 283 und 284 der ›Germania‹, Berliner Blatt des Zentrums, am 5., 6. und 8. Dezember 1908.5b Da gerade zu Anfang des Dezember 1908 das Ehepaar May aus den USA zurückgekommmen war,6 ist man versucht zu sagen: Ein ›schöner‹ Willkommensgruß der Heimat! Bedenkt man zudem, daß das Weihnachtsfest für May immer von besonderer Bedeutung war, könnte man auch der genannten Erscheinungstage wegen nachdenklich werden: In manchen Gegenden Deutschlands beschert St. Nikolaus am Vorabend seines Gedenktages, also am 5. 12., in anderen Landschaften unseres Vaterlandes kommt er am 6. 12., und auch der 8. 12. ist als Tag der Empfängnis Mariens ein vorweihnachtlicher Gedenktag.

   Die Karl-May-Gesellschaft hat mit dem überaus dankenswerten Band 10 der ›Materialien zur Karl-May-Forschung‹, der den Titel ›Im Zentrum der May-Hetze. Die Kölnische Volkszeitung‹ trägt und von Bernhard Kosciuszko vorbildlich ediert worden ist, Paul Rentschkas Anti-May-Aufsatz bereits einer begrenzten Öffentlichkeit vorgelegt.7



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Im Gedanken an den Ausgang der ›Rentschka-Affäre‹ möchte man sich auch gerne damit begnügen, daß ihr Anlaß nur teilweise bekannt ist. Doch für später in diesem Jahrbuch noch folgende Darlegungen bildet die Kenntnis von ›Karl Mays Selbstenthüllung‹ die Voraussetzung. So ist es richtig, daß dieser Aufsatz hier einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.


Karl Mays Selbstenthüllung

Von Dr. P. Rentschka


In den letzten Tagen wurde in katholischen Zeitungen viel von der Rechtfertigung Karl Mays geschrieben.8 Man pries ihn laut allen als einwandfreien, guten Schriftsteller an. Allein hat man sich dabei genau umgesehen nach den wahren Absichten dieses Mannes, die er mit seinen Reiseerzählungen verfolgt? Karl May enthüllt sich und seine Absichten nun selbst in der Reiseerzählung »Et in terra pax!«, die 1901 in dem Buche von Joseph Kürschner: China, Schilderungen aus Leben und Geschichte und Krieg und Sieg; Leipzig, Verlag von Hermann Zieger, Teil III, Seite 1-284 erschien.

   Dort läßt May auf Seite 275 den Missionar Waller sagen: »Ich habe Euch (May) verkannt, weil ich nicht wußte, daß Eure Reiseerzählungen vor allen Dingen symbolisch zu nehmen sind.«9 Und auf Seite 281 spricht Mays Freund, Sir John Raffley: »Weltreisender Volksseelenforscher! Alles personifizierender oder symbolisierender Bücherschreiber! Jede Eurer Gestalten, die edelste wie die gewöhnlichste, ist ja die Individualisierung und also die Lösung irgend eines menschen- oder völkerpsychologischen Problems!«10 Ueber die merkwürdige Ausdrucksweise will ich nicht viel Worte verlieren, jedenfalls aber will May sehr ernst genommen werden, wann immer er schreibt. Was die verschiedenen Personen seiner Erzählungen reden, sind die Ansichten Mays, wenn und soweit er sie nicht etwa zurückweist oder sonst irgendwie zu erkennen gibt, daß seine Meinung eine andere ist.11

   In dem Roman Et in terra pax hat sich nun May die Aufgabe gestellt zu zeigen, wie alle Nationen der Erde friedlich mit einander verkehren könnten, wie sie alle eine glückliche Familie bilden könnten. Das Zaubermittel, alle in Frieden zu einen, soll die Liebe sein, und zwar in etwa die Liebe, wie sie das Christentum lehrt, wie sie aber andrerseits ja schon auch jedes Menschenherz, auch das jedes Heiden kennt und gibt.12


Zum Vertreter der falschen Art, die Völker zu einen, macht nun



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May gerade einen Missionar, einen anglikanischen13 Fanatiker, der zugleich ein Vertreter des Hochmuts der christlichen Kaukasier ist, mit welchem sie auf alle übrigen Völker herabblicken. Dieser Missionar Waller will durch den Verstand wirken, will seine christlichen Wahrheiten allen aufzwingen und so die Welt verbessern, wobei er die gröblichsten Verstöße gegen die Liebe begeht. Die rechte Art, den christlichen, d. h. allgemein menschlichen Anschauungen zum Siege zu verhelfen, stellt May selbst dar. Auf irgendwelche dogmatischen Wahrheiten kommt es ihm gar nicht an, er wirkt nicht durch den Verstand, sondern durch Rechthandeln und Liebe auf das Herz der Mitmenschen, und es gelingt ihm z. B. im Handumdrehen, aus einem Muhamedaner, einem Verwandten des Propheten, einen Menschen zu machen, der seinen Feind liebt. Waller wird nun durch ein Gedicht Karl Mays bekehrt zur rechten Art der Missionierung. Daneben spielen noch einige Liebesgeschichten zwischen Engländern und Chinesen, um zu zeigen, wie auch die innigste Lebensgemeinschaft zwischen den verschiedenen Rassen möglich ist. Die Menge der sonstigen feinen Beziehungen, die die Hauptidee interessant und anziehend machen, übergehe ich.

   Die Hauptsache ist nun aber die Beantwortung der Frage: »Was meint May, und wie meint er es, wenn er den Missionaren, geistlichen und weltlichen Pionieren der europäischen Kultur zuruft in seinem Gedichte: Doch bringt nur Liebe mit; das Andre alles sei daheim geblieben . . . Gebt Liebe nur, gebt Liebe nur allein!«

   Mays Standpunkt ist nun dieser: Eine wirkliche absolute Wahrheit in religiösen Dingen und Lehren gibt es nicht. Die Religion entwickelt sich allmählich, wie sich alles auf Erden entwickelt. Man kann darum nicht sagen, diese Religion sei wahr, jene falsch, sondern höchstens dies, die eine Religion ist weiter entwickelt und entsprechend vollkommener, als eine andere. Diese Entwickelung zum Vollkommenen ist aber mehr auf Seite der Ethik als der Dogmatik. Die dogmatischen Lehren hängen mehr von der Individualität eines Volkes, seines Charakters, seiner Lebenslage und Umgebung ab. Auf die Dogmatik kommt also nicht viel an, sie ist nur eine mehr nebensächliche Verbrämung des eigentlichen Kernes: der Sittenlehre. Darum ist es Hochmut, wenn ein Missionar meint, sein Glaube sei allein der wahre und Hochmut treibe ihn nur an, das von ihm für einzig wahr Gehaltene allen anderen Menschen aufzuzwingen.14

   Man sieht, May ist in das ganze Problem der Missionierung und Toleranz nur oberflächlich eingedrungen. Ganz abgesehen von der Offenbarung Gottes, die ja eine absolut wahre sein muß, erkennt May garnicht, daß der Menschengeist für die Wahrheit erschaffen ist. Meine



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ganze Person kann ich doch nur für etwas einsetzen, was ich als wahr eingesehen habe. Wenn ich aber selbst das hohe Gut der Wahrheit in seiner wunderbaren Herrlichkeit eingesehen habe und besitze, dann wird es mich - gerade wenn ich edel denke - antreiben, auch andern dieses hohe Gut zu bringen, um sie zu beglücken. Das ist durchaus kein Hochmut, sondern liegt in der Natur des Menschengeistes. Daß ich der Wahrheit nicht mit schlechten Mitteln dienen darf, daß ich andere nicht gewaltsam bekehren darf, ist selbstverständlich. Die Schönheit der katholischen Lehre von der Toleranz brauche ich hier ja nicht zu entwickeln. May kennt sie nicht, sonst hätte er sich seinen Roman, den man mit Recht eine Predigt nennen kann, sparen können.15 Niemand leugnet, daß Fehler vorgekommen sind; diese sind aber nicht dem Christentum oder der Allgemeinheit zuzuschreiben, sondern dem einzelnen Menschen und der menschlichen Schwäche, die sich nicht auf einmal und in jedem zur vollen Höhe des christlichen Ideals emporheben kann,16 das ja nicht einmal dem Heiden den Himmel verschließt nach Christi Worten: »Aber ich sage euch, daß viele von Aufgang und Niedergang kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tische sitzen werden; die Kinder des Reiches aber werden in die äußerste Finsternis geworfen werden.«17

   Natürlich ist es nun auch notwendig, May selbst reden zu lassen. So sagt er auf Seite 17: »So kann auch kein Mensch, kein Stand, kein Volk sich rühmen, von Gott mit irgend einer speziellen Auszeichnung begnadet worden zu sein. Eine hervorragende Periode ist nur das Produkt vorangegangener Zeiten, und es gibt in der Entwicklung des Menschengeschlechts keine Geistesrichtung oder Geistestat, welche aus sich selbst heraus entstanden wäre und der Vergangenheit nicht Dank zu zollen hätte.«18 Damit ist die jüdische und christliche Auffassung vom auserwählten Volke, von den Propheten und Aposteln, von dem Priestertum vollständig verworfen.19 Zugleich sei hier noch bemerkt, daß May Virtuos ist in der Kunst, Wahres und Falsches so zu verquicken, daß der unaufmerksame Leser mit einem Körnchen Wahrheit ganze Berge von Irrtümern mit verschluckt, daß es erst einem scharfen Nachdenken gelingt, sich vom Banne des Gelesenen zur Klarheit und Wahrheit durchzuringen, daß eben deswegen die Bücher Karl Mays ganz besonders gefährlich sind.20

   Aber auch sonst redet May davon, daß man von einem auserwählten Volk Gottes nicht sprechen könne, und man wird sich nun nicht mehr wundern, daß er in einer allerneuesten Geschichte, die in einer katholischen Jugendzeitschrift erscheint, die Worte »auserwähltes Volk Gottes« in Anführungsstriche setzt.21 Gleich im Anfang der Erzählung



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kommt nun der Missionar Waller mit zwei vornehmen Chinesen Fu und Tsi in Berührung, die er sofort zum Christentum bekehren will. Fu nimmt, wie May schildert, den Versuch von der heiteren Seite auf; es ist ihm aber sehr ernst mit folgender Entgegnung, die ganz im Sinne Mays erfolgt, wie der Verlauf der Geschichte zeigt. Fu sagt (Seite 24): »Christus gibt uns die Summe (des christlichen Glaubens) im Evangelium Johannes, wo er sagt, daß das ganze Gesetz und die Propheten in dem Gebote enthalten seien: Liebe Gott, und liebe deinen Nächsten . . . Die Summe unseres (Confucianismus) Glaubens aber lautet: »Die wahre Glückseligkeit kommt uns vom Himmel hernieder, und die Menschen sollen sie neidlos und friedlich unter sich teilen.« Das ist doch genau dasselbe. Ihr Glaube und unser Glaube sind einander also gleich. Wenn ich dem meinigen gehorche, handle ich, wie ein Christ zu handeln hat, und wenn Sie tun, was der Ihrige gebietet, so sind Sie das, was Sie vorhin einen Confucianer genannt haben.«22 Fu verkennt nicht, daß Verschiedenheiten zwischen Christentum und Confucianismus obwalten, das sind aber nur Nebensachen, deswegen darf keine Religion die andere falsch nennen. Er sagt dann wörtlich weiter (S. 25): »Indem Ihr Glaube ganz dieselben Früchte bringt, wie der unsere, beweisen Sie uns, daß er auf keinem Irrtum beruht, und wir würden ebenso unhöflich wie unklug handeln, wenn wir behaupteten, daß es für Sie notwendig sei, ihm zu entsagen und sich zu dem unsern zu bekehren.«23 Man kommt dann auf den chinesischen Ahnenkultus zu sprechen. Dabei entwickelt Mary, die Tochter Wallers, ganz spiritistische Gedanken auch im Sinne Mays, der eine starke Neigung zum Mystischen und Spiritistischen in der Erzählung offenbart. Mary spricht (S. 26) von ihrer toten Mutter und sagt: »Ich kann sie mir nicht tot denken. Ich weiß, sie ist noch heute bei mir, wie sie stets bei mir gewesen ist. Der Unterschied ist nur, daß ich sie früher sah, jetzt aber nicht mehr sehen kann. Aber ich fühle sie. Seit ihrem Scheiden wohnt und wirkt in mir etwas, was vorher nicht vorhanden war. Die, welche der Sprachgebrauch so fälschlich Tote nennt, haben vielleicht größere Macht über uns, als wir uns denken können.«24 Nach Beendigung des Gespräches sagt May, der Erzähler, ausdrücklich (S. 28): »Er (Fu) hatte jene seltene Art, zu sprechen, welche bei dem Zuhörer die Ueberzeugung erweckt, daß es gar nicht anders und besser gesagt werden kann, als es gesagt worden ist.«25 Nun wird es niemand mehr wundern, wenn May der Tochter Wallers folgende Worte in den Mund legt (S. 38): »Du sagst (sie redet ihren Vater an), daß alles, was an eine andere (hier: die heidnische) Verehrung als unseres christlichen Gottes erinnere, fallen müsse, und magst vielleicht recht haben. Mir ist, wie Du weißt, dieser Gedanke als



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zu streng erschienen, denn ich halte diesen Dienst für das ganz natürliche und noch unbewußte Lallen der Menschheit in ihrem frühesten Kindesalter.«26 Seite 77 kommt May auf die äußere Gottesverehrung zu sprechen, besonders auf das Gebet. Er wertet das Gebet nicht sehr hoch, die wahre, echte Religiösität besteht in der inneren Frömmigkeit des Herzens.27 Nach all dem Gesagten mutet die Anbahnung einer Bekehrung des Muhamedaners Sejjid Omar zum Christentum durch May (S. 91) nur wie ein Zugeständnis an einen empfindsamen christlichen Leser an.28

   Nach gewissen einleitenden Betrachtungen (besonders Seite 100)29 versteigt sich nun May zu folgenden Behauptungen, die er dem chinesischen Gelehrten Fang in den Mund legt (S. 12f.): »Fallen Sie mir nicht mit »Kulturaufgaben«, »civilisatorischen Pflichten« und »Sendboten des Christentums« in die Rede! Das sind Fiktionen, mit denen ein Kenner der Verhältnisse nicht  i r r e  zu machen ist! Wer von seiner Religion und von seiner Kulturform  b e h a u p t e t ,  d a ß  s i e  d i e  a l l e i n  s e l i g m a c h e n d e  u n d  e r  a l s o  e i n  A u s e r w ä h l t e r  G o t t e s  s e i ,  d e r  i s t  e b e n  e i n  E g o i s t  i n  d e r  h ö c h s t e n  P o t e n z ,  und Religion und Politik sind für ihn nur die Mittel, seine Selbstzwecke zu erreichen. Als Christ will er den ganzen Himmel und als Kaukasier die ganze Erde nur für sich allein haben.«30 May merkt gar nicht, daß er gegen einen selbstgefertigten Popanz ankämpft. Wenn man aber einen ganzen Roman gegen den Toleranzbegriff und die Seligkeitslehre einer Kirche schreibt, möchte man sich doch erst genau erkundigen, wie denn die Lehren dieser Kirche in Wirklichkeit sind.31 May hätte sich ruhig folgende Worte schenken können, die er den chinesischen Arzt Tsi sprechen läßt (S. 227ff.): »Und wenn Sie mir eine Religion bringen können, welche den Ausdruck »alleinseligmachend« gar  n i c h t  kennt, so bin ich überzeugt, daß  g e r a d e  s i e  und nur sie die allein seligmachende ist! Wallers Glaube konnte um so weniger der wahre, der richtige sein, je entschiedener und unausgesetzter er ihn als den  e i n z i g  e c h t e n  hinstellte.«32 Logik ist die schwächste Seite bei May.

   Natürlich sind das nicht alle Vorwürfe, die da gegen das Christentum vorgebracht werden; May mischt eine Menge wahre und falsche so durcheinander, daß es einer langen Auseinandersetzung bedürfte, um alles klar zu legen.33 Weil nun die Vorwürfe aber nicht so sehr die von Fang und von Tsi als vielmehr die von May selbst sind, so weiß May gar nichts darauf zu erwidern, ja er fühlt sie als nur zu sehr berechtigte (S. 131 u. S. 232).34 Der Humor bei der Sache ist natürlich auch da; denn aus der ganzen Erzählung geht hervor, daß Karl May sein Rezept für den Völkerfrieden als das allein richtige und allein seligmachende hält.



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Dabei leidet May durchaus nicht an zu großer Bescheidenheit. Was er sich an Selbstverhimmelung leistet, wie er sich und sein Gedicht und seine Werke von anderen loben läßt, das muß man selbst lesen. (S. 229 bis S. 236).35 Doch eines ist daraus hervorzuheben. May läßt sich von Tsi, der soeben das Gedicht gelesen hat, das Mays Evangelium predigt, huldigen und beschreibt dann die Wirkung, die das Gedicht auf Tsi schon äußerlich hervorgebracht hatte, folgendermaßen (S. 234): »Es war eine Klarheit, eine Innigkeit, ein Enthusiasmus, eine Glückessehnsucht (auf seinem Antlitz); es war - - er selbst, sein ganzes Wesen, Fühlen und Denken, aber verklärt, verschönt, vergeistigt durch die ihn erhebende Erkenntnis, in dem Verfasser dieser Verse einen Menschen entdeckt zu haben, der, obgleich ein Christ, doch in nicht mißzuverstehenden Worten alles das auszusprechen wagte, was  v o n  d e m  g e g e n w ä r t i g e n  C h r i s t e n t u m e  n o c h  n i c h t  a u s g e s p r o c h e n  w o r d e n  i s t ,  o b g l e i c h  d i e  M e n s c h h e i t  s c h o n  s e i t  u n g e m e s s e n e r  Z e i t  d a r a u f  g e w a r t e t   h a t.«  Und Tsi sagt dann begeistert: »Könnte es (das Evangelium Mays) doch von jedem Munde zu jedem Ohre klingen.«36 Tsi sagt dann auch von dem kranken Missionar Waller, der natürlich nur das Abbild der gesamten Christenheit ist (S. 248): »Er beschäftigt sich jetzt noch mit der letzten Zeile der ersten Strophe, also mit dem Gedanken, daß Christus nicht gestorben ist, sondern in jedem wahren Christen weiterlebt und weiterliebt.  D a s  h a t  e r ,  w i e  j a  a u c h  I h r e  ( M a y s ) g a n z e  C h r i s t e n h e i t ,  b i s  j e t z t  n o c h  n i c h t  b e g r i f f e n .«37 In allerdings merkwürdiger Verbindung und Art, aber doch sehr deutlich, läßt sich dann Karl May in der Vision des kranken Waller als den Propheten und Messias schildern, der das wahre Evangelium und Licht vom Himmel der Erde, die in Dämmerung liegt, endlich bringt.38

   Mehr kann man nicht verlangen. May will durchaus das Wahrheitsbedürfnis, den Wahrheitsdrang der Menschenseele opfern, ja tilgen, um eine Weltverbrüderung zu stande zu bringen. Er sieht nicht, daß es im Wesen der Wahrheit liegt, eine einzige zu sein, daß die wahre echte Sittlichkeit sich nur auf der Wahrheit aufbauen kann, daß der Wahrheitsdrang im Menschen, wenn künstlich erstickt, sich doch immer wieder mit elementarer Kraft freimacht, daß er sich nicht tilgen läßt,39 daß es doch eine viel einfachere Lösung gibt, in Liebe das Unwahre so lange zu dulden, bis es durch Geduld und Liebe und Beispiel gelingt, die Wahrheit so siegreich darzustellen, daß sie das Unwahre besiegt. Freilich übersieht er dann auch ganz, daß es doch heidnische Sitten gibt, die so sehr der Menschlichkeit Hohn sprechen, daß ein christlicher Machthaber sie unterdrücken muß.40 May übersieht vollständig, daß die



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Schwierigkeiten der Völkerverbrüderung nicht aus der wahren Lehre kommen, sondern aus den Leidenschaften der Menschen, daß hier erst eine lange Erziehung der Völker vorangehen muß, daß das Christentum einen großen Teil der Erziehung geleistet und die Idee der Liebe zu einem Machtfaktor in der Welt gemacht hat.41 May übersieht, daß wir das Beispiel des liebenden Gottes dazu unbedingt brauchen und seine Gnade, und daß wir damit gezwungen sind, die Lehre von der Gottheit Christi anzunehmen, wovon er in der ganzen Erzählung nicht einen leisen Ton bringt, daß also doch die Sittlichkeit der Liebe sich auf der religiösen Wahrheit aufbaut.42 Was soll man noch weiter sagen. Genug! In das mehr als hochmütige Phrasengeklingel Mays43 hör ich einen Ton klingen. Das ist das Lied von einem christlichen, katholischen Missionar, der sich zu den armen heidnischen Aussätzigen begibt, sich mit ihnen auf einer Insel gleichsam begraben läßt, um ihnen ganz ein zweiter Christus, ein zweiter Erlöser zu werden, der sie leiblich und geistig und geistlich erlöst und zur Glückseligkeit führt, der von einem dieser Aussätzigen in schrecklicher Undankbarkeit mit Aussatz vergiftet wird und doch alles verzeiht und in Mühseligkeit und Schmerz, in allen Leiden des Aussatzes seine Erlösertätigkeit fortsetzt bis an sein Ende. Das ist das geschmähte Christentum der allein seligmachenden Kirche.44 Und steht ein Pater Damian allein?! Nein, tausende und tausende hehrer Lichtgestalten haben im Sinne des allein seligmachenden Glaubens gehandelt, wie Damian45 und handeln so und werden es so lange tun, bis das Licht der Wahrheit allen aufgegangen, bis alle erlöst sind. Diese Kraft gibt kein anderer, als der Gottmensch Christus.46

   Seite 196 läßt May noch einen heidnischen Priester sprechen, der am Schlusse seiner Strafrede gegen die Christen meint: »Unser Glaube rächt die Sünde nicht an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Ein Gott, der den Unschuldigen straft, kann man sich den wohl denken?«47 Wenn man etwas nicht versteht, soll man doch die Finger davon lassen. Moses sagte damals in seiner Weise dasselbe, was die heutige Wissenschaft in ihrer Weise mit den Worten schildert: Die Eltern vererben Gutes und Böses den Kindern. Die Eltern, die die Gebote Gottes übertreten, schädigen sich nicht nur an Leib und Seele, sondern auch ihre Kinder belasten sie erblich. Eine eindringliche Mahnung an die Eltern, die Folgen ihrer Sünden wohl zu bedenken, Gott nicht zu versuchen, kein Wunder ihrer Sünden wegen von Gott zu verlangen, daß Gott den Lauf der Natur durch Wunder unterbrechen soll, damit der Eltern Sünde nicht an den Kindern sichtbar und fühlbar werde, damit sie, die Eltern, umso ungescheuter sündigen können. Nach welchem Maßstab aber Gott einst solche erblich belastete Kinder richten



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wird, ist ganz Gottes Sache. Wo hat da nun ein Vorwurf gegen die christliche Religion Platz!48

   Was nun May sonst noch alles an Phantastereien hat, das muß man selbst lesen.49 Unter anderem glaubt er auch an die Präexistenz der Seelen. (S. 247.).50 Das ganze Buch steckt voll der Irrtümer, ganz besonders auch voll der Irrtümer des Modernismus.51

   Es wäre nun mehr als verwunderlich, wenn diese Gedanken Mays nicht auch in den übrigen Reiseromanen zur Geltung kämen. Wenn es bloß auf die Erfüllung des Liebesgebotes ankommt und alles andere Nebensache ist, dann kann natürlich Mai52sich ganz ruhig mit den Muhamedanern auf seinem Gebetsteppich niederknieen und die muhamedanischen Riten beobachten und die Suren des Kuran beten, um so als Muhamedaner angesehen zu werden und etwas zu erreichen, was ihm als Christ nicht erreichbar wäre. Der Zweck heiligt die Mittel. Auch kann May einmal seinen Anschauungen entgegen handeln, wenn es ihm paßt. Nach seiner eignen Meinung soll man die Gefühle Andersgläubiger schonen; er weiß, daß es die Muhamedaner tief verletzen muß, wenn sie sehen, daß ein Christ die heiligen Stätten Mekkas betritt. Doch May will Mekka sehen und beschreiben. Der Zweck heiligt das Mittel. Um sein Leben zu schonen, macht er alle Riten der Muhamedaner mit, wird aber doch entdeckt und flieht mit größter Mühe. Es kommt ihm auch gar nicht darauf an, andere mit Wasser vom Brunnen Zem-Zem zu besprengen. Man lese Winnetou! Gewiß bringt ihn May zu christlichem Fühlen, zu christlicher Liebe. Das ist aber auch genug; alles andere ist Nebensache. Winnetou stirbt in Gegenwart Mays. Es genügt, daß der Heide Winnetou christlich liebt, eines anderen bedarf es für ihn nicht, auch nicht in der Todesstunde, das andere ist ja Nebensache.53 Wie überschwänglich May beim Tode seines Pferdes Rih wird, ist wohl allen aufgefallen.

   Der Indifferentismus und Modernismus Mays drängt sich nun nirgends in Karl Mays Erzählungen sehr auf (bis eben auf die Erzählung Et in terra pax.). May hütet sich sorgfältig, den Leser irgendwie zur Klarheit kommen zu lassen. Es könnte ja ein Konflikt in der Seele des Lesers entstehen, der Leser könnte stutzig werden, nachdenken und das Verkehrte finden. Nein, es wird alles so geschildert, daß der Leser meint, es muß so sein, es geht nicht anders, May muß so handeln; ja so sorgfältig werden alle Ecken und Kanten poliert, daß dem Leser durch die ganze Erzählung der Gedanke oder besser die Stimmung bleibt, May handelt schön und gut, und nur ein kleinlicher Mensch könnte hier nörgeln. So wird für den Indifferentismus und Modernismus die allergefährlichste Propaganda gemacht. May ist also durchaus kein ein-



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wandsfreier Schriftsteller. Nochmals betone ich, daß er es wie kaum einer versteht, Wahres und Falsches so zu mischen und in einem so schönen Gewande54 darzustellen, daß man schon aufmerksam sein muß, um nicht das Falsche unbesehen mitzuverschlucken.

   Zum Schluß noch eines. May läßt sich in der Erzählung Et in terra pax folgendermaßen von Waller (Seite 275) anloben, nachdem er ihm eröffnet, daß er über die beiderseitigen Erlebnisse eben auch eine Erzählung schreiben wolle: »So ahnt mir, das Ihr hier noch tiefer als sonst steigen werdet.«55 Das ist unserm May nun vollständig daneben gelungen. Wenige und sehr edle Naturen zu vereinigen in der günstigen Lage des Geldüberflusses, ist wahrhaftig kein Kunststück. May ahnt nicht einmal die Schwierigkeiten des Problems. Wäre er doch tiefer hinabgestiegen, dann hätte er etwas anderes zu Tage gefördert, freilich auch nicht so wohlfeilen Beifall einer nicht zum Nachdenken geneigten Menge gefunden. Gerade waren diese Worte geschrieben, da wurde ich aufmerksam gemacht, daß derselbe Roman nun erweitert und in der von May eigentlich gewollten Gestalt bei Friedrich Ernst Fehsenfeld in Freiburg i. Br. erschienen ist. Vor mir liegt der Druck des 11. bis 15. Tausend. Ich habe kein Wort zurückzunehmen, denn hier findet sich ganz dieselbe Tendenz, nur schärfer und schlimmer.56 Man begreift wirklich nicht, wie die Wochenbeilage zum Bayerischen Kurier, Die Literarische Rundschau vom 27. Dezember 1906 von dem Roman »Und Friede auf Erden« sagen kann: »Grad solche Bücher sind uns heutigen Tages nötig!« Schon vom rein menschlichen Standpunkte aus muß man es bedauern, daß ein Buch, voll von verschwommenen Begriffen über Religion und Seelenlehre, in über zehntausend Exemplaren verbreitet wird, ein Buch, das die Unklarheit auf diesem Gebiete geradezu züchtet. Denn May ist sich selbst nicht klar, ist ein so großer Phantast, daß er auch nie zur Klarheit kommen wird, aber trotzdem will er Lehrer und Führer der Menschen sein und sie zu seiner eigenen Seligkeit in verschwommenen (unrichtigen) Begriffen über Gott und Welt und Mensch bekehren. Man lese nur sein Glaubensbekenntnis (Donauzeitung Nr. 3 Jahrg. 1907) So heißt beispielsweise der zweite Artikel: »Ich glaube an die himmlische Liebe, die zu uns niederkam, für die Sterblichen den Gottesgedanken zu gebären. Indem sie dieses tat, wurde sie für uns zur Gottesmutter Sie lebt und wirkt, gleichviel, ob wir sie verehren oder nicht. Sie ist die Reine, die Unbefleckte, die Jungfrau, die Madonna!« Das genügt schon.57

   So nennt denn Karl Küchler in seinem Aufsatz »In Sachen Carl May« in der Germania vom 3. und 4. Mai 1907 mit Recht die beiden Romane



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»Am Jenseits« und »Friede auf Erden« arge Entgleisungen* und spricht von dem »alternden May.« Er sagt: »Wie Karl May hier aus den großen Weltreligionen von Buddah, Christus und Muhammed eine neue Menschheitsreligion zusammenbaut, das ist ein Schauspiel, aber ein langweiliges . . . Dabei werden die weißen Kulturträger gegenüber den exotischen so stiefmütterlich behandelt, daß es peinlich wirkt. Ein Weltreisender hat viel gesehen und erlebt. Aber darum braucht er sich am Lebensabend nicht als Religionsstifter aufzutun.« Dabei will ich May die gute Absicht nicht absprechen. Denn die Liebe, die er uns Priestern abspricht,58 besitzen wir, auch die Liebe zu ihm, unserem Gegner. Allein wir lieben auch unsere anvertrauten Seelen und müssen sie vor dem Irrtum warnen. Zudem legt May einen ganzen Feldzugsplan in dem Roman »Und Friede auf Erden« bloß, wie er die Jugend Europas für seine Ideen gewinnen will. (Ausgabe Fehsenfeld Seite 549 und 645.)59 Wer je einmal diesen Roman gelesen hat, der wird mir recht geben, daß hier eine ernste Warnung am Platze ist. In vielen Fällen ist schon wirklich das Resultat zu verzeichnen, daß man alles unbesehen von May annimmt und für gut hält und glaubt, weil ja dieser Schriftsteller gerade von katholischen Zeitschriften sehr gelobt und empfohlen wird, und gerade in der neuesten Zeit und ohne einen Unterschied bei seinen Werken zu machen. May kann sich nicht beschweren, hier hat er den Kampf begonnen, wir verteidigen uns nur gegen seine schweren, sehr schweren Vorwürfe.

   Mit Nachdruck richten wir die Frage an ihn: »Warum spricht May ein solches Verdammungsurteil gegen das gesamte kirchliche Christentum, insbesondere gegen die katholische Kirche, ohne gründliches Studium ihrer Lehren und ihrer Geschichte?«60 Wie kann ich etwas verurteilen, ohne es zu kennen! Niemals würde er auf das gesamte Missionswesen Vorwurf auf Vorwurf gehäuft haben, hätte er auch nur einen Blick in die Annalen des Kindheit Jesu-Vereins getan. Da würde er ein so anziehendes, liebliches Wirken von geradezu himmlischer Liebe in Millionen von Herzen von christlichen Kindern und Missionaren erblickt haben, daß er verstummt wäre. Es ist nicht fein, die ganze Welt in Dunkel zu hüllen, um auf diesem Hintergrunde als die einzige Lichtgestalt zu erscheinen.

   Wollte man alle Irrtümer Mays widerlegen, dann müßte man ein ganzes Buch schreiben. Eins aber ist zu betonen.

   Nach May ist das Christentum keine geoffenbarte Religion, keine übernatürliche Lehre. Das Christentum ist im Laufe der Menschheitsgeschichte von selbst entstanden dadurch, daß die Menschen über sich


* Der Zweck dieser Zeilen ist der, gerade vor diesen beiden Romanen zu warnen.



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und die Welt nachdachten und so allmählich sozusagen sich selbst, das rein Menschliche, die Humanität entdeckten. Das Christentum ist weiter nichts als Humanität, die nicht einmal rein bei den Christen vorhanden ist, sondern die noch der Ergänzung bedarf aus dem Schatze der menschlichen Errungenschaften des Heidentums, des Buddhismus, des Muhamedanismus.61

   Weil also die menschliche Seele sich in ihrem natürlichen guten Empfinden so sehr mit dem Christentum begegnet, deswegen ist das Christentum nur Ergebnis des natürlichen Empfindens der Seele, deswegen ist das Christentum nichts als reine Menschlichkeit. So ungefähr ist der Schluß, aber der Schluß ist falsch.

   Schon die ersten Christen wußten: anima humana natura christiana - die menschliche Seele ist von Natur aus christlich. Es kannn nicht anders sein. Gott ist der Schöpfer des Menschen, seiner Seele, Gott ist der Urheber, der Gründer, der Bringer des Christentums. Wo ist da Platz für einen Zwiespalt im Wesen beider? Das Wesen beider muß ja harmonieren. Darf man aber übersehen, daß das Wesen der Seele herabgedrückt und verdunkelt und verwirrt ist durch die Sünde!62 Die Geschichte der Menschheit, die innere Erfahrung eines jeden sagt uns das immer wieder mit erschreckender Deutlichkeit, und auch das, daß die Menschheit nicht allein den Weg zurück zum reinen, sündenlosen Leben ohne Gottes Eingreifen gefunden hätte, daß schon die Erkenntnis des wahren Wesens unserer Seele und ihrer Bestimmung eine übernatürliche Offenbarung Gottes notwendig machte. Die Menschheit mußte und muß nach katholischer Auffassung mitwirken an ihrer Erlösung, aber nie war sie im stande, sich selbst zu erlösen, nie wird sie dazu allein fähig sein.

   May meint, bis jetzt sei den Menschen das wahre Christentum nie richtig gepredigt worden, deshalb seien sie böse geblieben, nun aber er die Wahrheit glorreich rede, nun werde alles gut werden.63

   May täuscht sich. Es bedarf einer höheren Autorität als einer menschlichen, um die Menschen zur Haltung der Gebote, zur Heiligung zu bringen.64 Da muß der Mensch die Autorität Gottes und seine Gnade haben, in unserem altchristlichen Sinne eine übernatürliche Hilfe. Darum ist das Bestreben der Neuchristen oder besser Modernisten und Neuheiden, dem Christentum den Charakter als geoffenbarte christliche Religion zu nehmen, nichts anderes, als ein Aufhalten der Erlösung.65 Darüber werden uns auch die schönsten Worte Mays über das Kreuz nicht täuschen. Wir lassen uns unsern Glauben nicht unvermerkt in einen andern verwandeln, wo zwar die Worte dieselben sind, aber die Begriffe ganz entgegengesetzte, wir bleiben beim alten Glauben.66



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1Ein Anonymus spricht von der ›Maygemeinde‹ in einer frühen Besprechung von Mays Friede-Roman im Feuilleton der Augsburger Postzeitung vom 18. 11. 1904 unter dem Titel ›Karl May als Religlonsphilosoph‹. ›Aus dem Lager der May-Gemeinde‹ ist ein Flugblatt Mays betitelt, das das Datum des 19. 8. 1907 trägt. (Abgedruckt im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1979. Hamburg 1979 [Jb-KMG]. S. 283ff., faksimiliert S. 284.)
2Die ›Frankfurter Zeitung‹ klagt: »Karl  M a y,  den der katholische Klerus länger als ein Jahrzehnt mit gutem Bedacht gefördert hat, wo er nur konnte, wahrend der protestantische Klerus ihn ungehindert schalten und walten ließ . . .« (46. Jg. Nr. 311 Zweites Morgenblatt vom 9. 11. 1901 S. 1; zitiert bei Hainer Plaul: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: Jb-KMG 1978 S. 195). Vgl. auch Karl May: Noch einmal: an den Anzeiger; dort bringt er die Stimmen dreier erfahrener, hochehrwürdiger, geistlicher Herren. (Mit ›Anzeiger‹ ist gemeint der Dresdner Anzeiger; Mays Text tragt das Datum des 21. 11. 1904, abgedruckt Jb-KMG 1972/73 S. 128ff., das Zitat S. 133. Dieser May-Beitrag gehört auch in das Umfeld des Friede-Romans.)
3Aus dem Brief Mays vom 21. 12. 1906, mit dem er ›Mein Glaubensbekenntnis‹ an die Passauer Donau-Zeitung sandte (in: Schriften zu Karl May. Band 2 der ›Materialien zur Karl-May-Forschung. Ubstadt 1975 S. 244, innerhalb des Nachwortes von Hansotto Hatzig abgedruckt).
4Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, nennt meiner Erinnerung nach keinen Namen eines evangelischen Theologen bzw. Geistlichen, der als Gegner Mays für die Biographie des Radebeuler Schriftstellers wichtig geworden wäre. Das sollte man, so weit man evangelisch ist, allerdings keinesfalls konfessionalistisch für die eigene Konfession ausschlachten; es waren einfach die Umstände nicht so, daß May im evangelischen Bereich in ähnlicher Weise zum Zankapfel hatte werden können wie im katholischen. Indirekt hat übrigens Karl May selbst vor falschem Konfessionalismus der May-Frage wegen gewarnt. In ›Auch »über den Wassern«‹ schrieb er unter dem Datum des 24. 5. 1910: Der Nichtkatholik wird die hier gemachten großen Fehler nicht dem allein, aus dessen Feder sie kommen, sondern der katholischen Kirche überhaupt und dem katholischen Klerus besonders zuschieben, und das ist es, was ich als Ärgernis bezeichne. (Abgedruckt in Jb-KMG 1976 S. 258) Erregen wir also das Ärgernis nicht, katholische May-Gegnerschaft der katholischen Kirche - bei gleichzeitigem Vergessen stetiger katholischer May-Freundschaft! - zuzuschieben, und erregen wir also auch nicht das spiegelbildliche Ärgernis, evangelische May-Freundschaft oder -Schweigsamkeit im Falle May der evangelischen Kirche gutzuschreiben. Es gab ja auch evangelische Theologen, die gegen May eingestellt waren. So überschrieb z. B. Paul Schumann, Redakteur des ›Dresdner Anzeigers‹, in einem Beitrag für seine Zeitung vom 27.11. 1904 einen Abschnitt mit ›Protestanten gegen May‹ und referierte in ihm den Inhalt eines Vortrags eines Pastors Dr. Heber, den dieser vor der Hauptversammlung des sächsischen protestantischen Landesvereins für Innere Mission gegen May gehalten hat. (Schumanns Aufsatz ist faksimiliert in dem auf S. 138 Anm. 7 vorgestellten Materialien-Band von Bernhard Kosciuszko, vgl. dort S. 139.) Wenn schließlich May am 11. 1. 1909 an Karl Pustet schreibt: Ich begann, zu forschen. Ich erfuhr von Conferenzen von Pastoren aller Gegenden, in denen »May als religionsfeindlich« behandelt wurde . . ., dann denkt man bei ›Pastoren‹ zuerst, mindestens aber auch an evangelische Geistliche. (Briefzitat nach Jb-KMG 1985 S. 55)
5a»Dr.  P a u l  Johannes Rentschka war Priester der Diözese Meißen. Er wurde am 18. 1. 1870 in Bautzen geboren. Nach dem Besuch der Volksschule und Gymnasialpräparande in Bautzen wurde er Zögling des Wendischen Seminars St. Petri in Prag, wo er das Kleinseitner Gymnasium besuchte und anschließend Philosophie und Theologie an der Karl-Ferdinand-Universität studierte. Seine theologischen Studien schloß er in Breslau ab. Er wurde am 8. 12. 1895 in Bautzen zum Priester geweiht. Er war Katechet und Domvikar in Bautzen von 1895-96, dann Katechet und Kaplan an der Dresdner Hofkirche von 1896-1901, anschließend 1901/02 Expositus in Dresden-Johannstadt. Von 1902-1906 war er beurlaubt zum Studium in Leipzig. 1905 promo-



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vierte er zum Dr. theol. mit der Arbeit ›Die Dekalogkatechese des hl. Augustinus‹. 1906 war er Kaplan im damaligen Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), von 1907-1911 wieder Kaplan an der Dresdner Hofkirche, von 1912- 1925 Pfarrer in Dresden-Pieschen, von 1925-1936 Pfarrer in Riesa, 1936 trat er in den Ruhestand und starb am 8. 6. 1956.« - Diese Kurzbiographie verdankt Verf. einem Brief von Ordinariatsrat Dr. S. Seifert vom Bischöflichen Ordinariat der Diözese Dresden-Meißen vom 14. 11.1986. Einem weiteren Schreiben - vom 12.1.1987 - des gleichen Absenders ist zu entnehmen, daß Rentschka 1902-1906 an der philosophischen Fakultät in Leipzig immatrikuliert war, wahrend die Promotion an der kathol.-theol. Fakultät in Breslau vollzogen wurde. Man vgl. zusätzlich Anm.104 des instruktiven Aufsatzes von Ekkehard Bartsch: ›Und Friede auf Erden!‹ - Entstehung und Geschichte, Jb-KMG 1972/73 S.120, der zu entnehmen ist, daß Rentschka noch einen dritten Vornamen hatte (Peter, die dortige Reihenfolge: Joh. Paul Peter), daß die Kirche in Dresden-Pieschen St. Josef hieß und die in Riesa St. Barbara, daß der Ruheständler Rentschka ab 1937 Seelsorge-Dienste in Struppen, Kreis Pirna, ausübte und daß er dort gestorben ist.
5bBartsch ebd. Anm. 105
6Wollschläger wie Anm. 4 S. 161: »In der ersten Dezember-Woche sind sie wieder daheim.«
7Ubstadt 1985 S. 205ff.
8Eine umfassenden Ansprüchen genügende Arbeit mußte die von Rentschka erwähnten Zeitungen nennen. Sie können aber hier - der Unkenntnis des Autors dieser Zeilen wegen - nicht benannt werden. Immerhin aber sei der Verdacht geäußert, daß die Zeitangabe »In den letzten Tagen« nicht in dem Sinne stimmt, in dem wir sie gebrauchen würden. Dazu vergleiche man, daß Rentschka nur auf schon länger erschienene Veröffentlichungen verweist. Auch Plaul im bereits in Anm. 2 erwähnten großen Aufsatz bringt nichts, was auf eine Pressekampagne zugunsten Mays Ende November 1908 verwiese.
9Auf jeder Seite von ›Et in terra pax‹ finden sich zwei Spalten; diese sind gezählt. Wenn Rentschka von ›Seite‹ schreibt - hier und später -, muß es immer ›Spalte‹ heißen. - Die hier von Rentschka zitierte Stelle findet sich in ›Und Friede auf Erden!‹ nicht mehr. Vgl. Hansotto Hatzig: Et in terra pax - Und Friede auf Erden. Karl Mays Textvarianten. In: Jb-KMG 1972/73 S. 166. - Hinweise auf Spalten der Pax-Erzählung hinfort mit ›P‹, auf Seiten des Friede-Romans mit ›F‹. Zitiert wird nach: Et in terra pax. Reprint Karl-May-Verlag/Graff-Verlag. Bamberg/Braunschweig 1976 bzw. nach: Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXX. Freiburg 1904. Wenn P- und F-Fassung voneinander abweichen, ist die F-Fassung zitiert.
10Auch diese Stelle fehlt im Friede-Roman, vgl. Hatzig in Jb-KMG 1972/73 S. 168. - Rentschkas Zitieren erfolgt nicht zeichengenau; May schrieb personificierender. Ähnliche Abweichungen werden hinfort nicht mehr notiert.
11So darf und muß man sagen. Aber dann muß man auch ›versteckte‹ Sätze zur Kenntnis nehmen oder den Duktus des ganzen Werkes beachten. Rentschka geht später auf ein Gespräch des Chinesen Fu mit dem Missionar Waller ein. In diesem Gespräch sagt Waller: »Diese ›Summe‹ der Religionen kommt mir ungemein verdächtig vor. Man hat darüber nachzudenken!« (P 25, F 35) Dies ist m. E. ein ›versteckter‹ Satz, mit dem sich May zu einem gewissen Teil zurücknimmt aus dem, was - freilich mit Mays Billigung - Fu doziert. Und wegen des Duktus des Werkes: Am Ende zeigt sich Fu weithin als Christ. (Beispiele dieser Art gibt es in P und auch in F.)
12Warum so unfreundlich »Zaubermittel«? Gibt es ein anderes? Freilich: »Gibt« diese Liebe auch schon jedes Heidenherz? Rentschka sagt, mit jedem Christen, hier ›nein‹. Aber sagt May, was Rentschka meint, er sage das? Aus späteren Anmerkungen wird deutlich werden, daß May nicht sagt, was Rentschka ihm unterstellt. May ist mit Rentschka einer Meinung, was den hier angesprochenen Tatbestand angeht.
13Man kann sich vorstellen, daß für einen binnendeutschen Katholiken das Wort ›anglikanisch‹ ›englischsprachig‹ bedeutet. Aber diese Vorstellung fällt schwer, May selbst hat die (konfessionskundlich) richtige Bedeutung von ›anglikanisch‹ gekannt: Ich habe katholische, protestantische, reformirte, lutherische, anglikanische, baptistische und andere Kirchen und Gebrauche beschrieben . . . (Brief an Pustet vom 11. 1. 1909,



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Jb-KMG 1985 S. 43) In der Pax-Erzählung gab er wegen Wallers Konfession an: »Und dabei gehört sein Christentum nicht einmal einem gewissen, kirchlich abgegrenzten Bekenntnisse an, sondern es beruht auf den Lehrsätzen, welche sich in seiner Familie nach und nach herausgebildet haben . . .« (P 103, F 142) Weiter: »Er ist ja Herr seiner selbst und Missionar aus eigener Machtvollkommenheit.« (P 104, F 143) Noch einmal: Der Missionar besaß nicht das wahre, echte, allgemeine, sondern ein ganz besonderes, persönliches Christentum . . . Waller hatte die Vokation zum Glaubensboten sich selbst erteilt, ohne dazu berufen und geeignet zu sein . . . (P 106, F 145) Und wieder: »Sein Christentum war ein selbst konstruiertes und bestand nur aus dieser leeren, öden Konstruktion, welcher Christi Geist und Christi Liebe fehlte. Er wurde nicht gesandt, sondern sendete sich selbst.« (P 231, F 434) - Rentschka gibt später zu erkennen, daß er auch mit dem Friede-Roman bekanntgeworden ist. In diesem Buch gibt es wegen Wallers Konfession noch weitere Auskünfte: »Es ist ihm gelungen, durch Verbreitung jener religiösen Traditionen so eine Art von Sekte um sich zu bilden, . . .« (F 142. Vgl. auch Pax-Reprint wie Anm. 9 S. 286, Anm. 19) Sodann: »lch denke, er bezieht, was er braucht, von der religiösen Sekte . . .« (F 336) Es dürfte den bisherigen Zitaten nicht widersprechen, wenn ziemlich am Ende des Friede-Romans Waller sagt: »Komm her zu mir, Ho-Schang! Ich sage dir, daß ich ein Priester bin. . . . Ich will dich segnen, ich, der Christ, den Heiden!« (F 638) Merkwürdig dabei ist nur, daß es vorher hieß: Der Ho-Schang . . . sah vor sich viele, viele seiner bisherigen Buddhisten . . . (F 628), war also zur Zeit des Segens Wallers eigentlich schon kein Heide mehr. Lösungsmöglichkeit: Der Ho-Schang war der Überzeugung nach schon Christ, aber, weil noch nicht getauft, auch noch Heide.
14Freilich erst im Friede-Roman spricht May von seiner Arbeit als einer altruistischen Studie (F 616). Aber auch ohne diese Versicherung läßt sich schon allein aus der Pax-Erzählung erheben, daß es May nicht um ein dogmatisches Buch geht mit dem Dogma, daß das Dogma überflüssig sei und es allein auf die Ethik ankomme. (Denn diese Überzeugung ist ja für den, der sie vertritt, auch ein Dogma.) Klopft man aber Mays Ausführungen auf Dogmatisches hin ab, dann kann man mit einem gewissen Recht sagen: »Logik ist die schwächste Seite bei May« und »Denn May ist sich selbst nicht klar, ist ein so großer Phantast, daß er auch nie zur Klarheit kommen wird . . .« - so später Rentschka, womit er m.E., freilich vergröbert und viel unfreundlicher, das sagt, was Wollschläger (wie Anm. 4 S. 140) so formuliert: »Der Typus Dichter, dem May zuzurechnen ist, ›denkt‹ ja im Grunde gar nicht oder kaum: er beschreibt die Gefühle, die ihn vor einem Begriff anfallen - und das dann allerdings mitunter in mächtig zelebrierten Bildern . . .« Dabei sollte man freilich nicht übersehen, daß auch May ohne ›Wahrheit‹ nicht auskommt. So spannt sich ein Bogen mit mehreren Pfeilern durch die Pax-Erzählung etwa von dem Satz, welchen großen Einfluß der Glaube auf den moralischen Wert des Menschen ausübt (P 8, F 10), in dem die Sittlichkeit durchaus dem Glauben nachgeordnet ist, hin zur Rede vom einzig wahren Glauben (P 244, F418), die den Christenglauben meint. Um im Bild vom Bogen zu bleiben: Unterhalb dieses Bogens in dem ihn durcheilenden Wasser gibt es mancherlei Verqueres - z. B. aus einem bereits nur noch »ehemaligen Buddhisten« wird plötzlich doch wieder ein Heide, wie in Anm. 13 aufgezeigt ist -, aber eine Systematik, die Rentschkas Erwägungen rechtfertigte, gibt es in ›Pax‹ und ›Friede‹ nicht.
15»Die Schönheit der katholischen Lehre von der Toleranz« kommt freilich bei May nicht vor, jedoch auch nicht in dem Sinn, daß ein Zerrbild von ihr abgelehnt würde, sehr wohl aber eine kaukasische Arroganz, die es tatsächlich gegeben hat und gibt. Überfordert man, als Zeitgenosse des Jahrhundertendes, einen deutschen Zeitgenossen des Jahrhundertanfangs, wenn man meint: Das müßte Rentschka doch wenigstens wie May gesehen haben!? Wahrscheinlich - ja, denkt man an die heutige Diskussion um die Ausländerfrage. Zudem: Der May des ›blauroten Methusalem‹ war auch noch nicht von kaukasischer Arroganz frei, auch wenn May in F meinte, bisher nur für die Liebe und den Frieden (F 491) geschrieben zu haben (eine Selbsteinschätzung, deren partielle Berechtigung hier freilich nicht geleugnet werden soll). Meine Überzeugung, ›Und Friede auf Erden!‹ sei das Buch einer Buße (Sonderheft Nr. 55 der KMG. Hamburg 1985 S. 32 Anm. 195), hat Erwin Koppen eindrücklich unter-



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mauert in ›Karl May und China‹, Jb-KMG 1986, z. B. S. 81: »Man hat den Eindruck, daß der Autor so etwas wie eine doppelte Wiedergutmachung an China und den Chinesen anstrebt: Wiedergutmachung für das imperialistische Abenteuer des Boxerkrieges. Wiedergutmachung aber auch für die eigenen literarischen Sünden der Vergangenheit.« - Zur ›Stimmung‹ in Deutschland im Jahre 1901 vgl. Bartsch wie Anm. 5a S . 96-102!
16Inwiefern ist dieser von Rentschka bejahte Gedanke der Menschheits-Entwicklung bzw. -Erziehung etwas anderes als das, was sich bei May findet und Rentschka gerade erst gerügt hat? Wie verdächtig auch »sich . . .emporheben«!
17Der noch ungewandelte Waller hält »doch sogar jeden Christen, der nur im Geringsten anders denkt oder glaubt als er, für ewig verdammt und verloren!« (P 103, F 141) Der gewandelte dann kann vom Himmel reden als vom »Christenland, wo auch die seligen Heiden Christen sind . . .« (P 240, F 404) Von ihm selbst heißt es im Blick auf seine Wandlung: »Er wird das, was man nicht hier, in dieser Welt der Irrsale, sondern dort in jenem Reiche klar gewordener Geister einen Christen nennt.« (P 270, F 474) Rentschka ist also hier mit May einig. Das läßt fragen: Glaubt er doch - seiner früheren Rede zuwider -, daß das Heidenherz die Liebe ›gibt‹, geben kann, und dann belohnt wird mit dem Himmel? Oder glaubt er an ein Gnadenwirken Gottes auch an den Heiden, so daß auch sie durch Gnade selig werden? Es ist schade, daß er die dogmatischen Implikationen seines Satzes vom Seligwerdenkönnen der Heiden nicht bedacht hat. Hätte er das getan, hätte sich ihm Mays Pax- und Friede-Werk in einem günstigeren Licht gezeigt. Es scheint aber, als ob der ›konservative Dogmatiker‹ (›Heidentum ist nichts‹) und der ›Modernist‹ in Rentschka 1908 noch unversöhnt nebeneinander gelebt hätten. - Die von Rentschka zitierte Bibelstelle: Matthäus 8, 11-12.
18May fängt noch verfänglicher an: Die Menschheit gleicht der Zeit. Beide schreiten unaufhaltsam vorwärts, und wie keiner einzelnen Stunde ein besonderer Vorzug gegeben worden ist, so kann auch . . .(F 24). Aber vielleicht empfindet man nur deswegen diesen Satz als verfänglich, weil Rentschka den Finger auf ihn legt. Möglicherweise würde man ohne Rentschka sofort begreifen, was May sagen will: Es gibt für den Menschen keinen Grund zum Eigenruhm. Denn May leugnet ja Besonderheiten nicht! Wie heißt es sogar im von Rentschka zitierten Abschnitt? Eine hervorragende Periode (und wieder verbietet hier May den Eigenruhm und mahnt zur Dankbarkeit). Und vorher schon: . . . muß dorthin gehen, wo einst Gott selbst zur Erde kam und seine Engel sich den Menschen zeigen durften . . . (P 7, F 9). Später wieder: da wird eine Kirche als dieser Gott geweihte Ort bezeichnet (P 220, F 399). Daß es May in der Pax-Erzählung gerade auch mit ungewöhnlichen Menschen zu tun hat, wird später Rentschka May zum Vorwurf machen. Im Friede-Roman jedenfalls kommen auch die entsprechenden Formulierungen. Der Segen eines malayischen Priesters »war nicht der Segen eines gewöhnlichen Menschen, sondern eines Auserwählten« (F 385). Später ist der Ich-Erzähler Gast bei Leuten, die ihre Ahnen alle aufgeschrieben hatten und ihre Millionen nach Hunderten zählen konnten. Dazu die höchsten Gottesgaben, die es auf Erden gibt: Talent und gar Genie! (F 577). Gleich darauf über die Chinesin Yin: Dieses wunderbare, gottbegnadete Wesen! (F 578).
19Wenn die Beobachtungen von Anm. 18 richtig sind, dann läßt sich dieser Schluß Rentschkas nicht ziehen, sondern dann muß man im Gegenteil behaupten, daß May und Rentschka wieder einmal einig sind. Man bedenke zudem, wie May Waller als nicht-berufen abtut (vgl. Anm. 13)!
20Man wirft gelegentlich May vor, daß er oftmals unpräzise rede, etwa auch in seiner Antwort auf den hier vorliegenden Rentschka-Artikel. Aber unpräzise Globalverurteilungen Rentschkas sind für ein sachliches Gespräch auch nicht hilfreich.
21Bei der erwähnten katholischen Jugendzeitschrift handelt es sich um die ›Efeuranken‹, in denen vom Oktober 1907 bis März 1908 Mays Erzählung ›Schamah‹ erschien. Gleich eingangs erklärt May was Judaraber sind: Araber. . ., welche im Zusammenleben mit den Juden den überlieferten Haß gegen die Hebräer nach und nach aufgegeben haben und sich den streng alttestamentlichen Ansichten des »auserwählten Volkes Gottes« mehr zuneigen als dem Christentum. (Karl May: Schamah. In: Der Krumir. Seltene Originaltexte. Band 1. Reprint der KMG, herausgegeben von Herbert



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Meier. Hamburg o.J. (1985) S. 218; S. 2 des Oktoberheftes der ›Efeuranken‹ [Jg. XVIII]) Der unbefangene Leser denkt sich bei den inkriminierten Anführungszeichen nichts, der befangen gemachte liest Mays Erzählung ganz durch und entdeckt, daß eine der Hauptpersonen der Geschichte, der Knabe Thar, sehr wohl ein Auserwählter war, May aber im Laufe der Erzählung u. a. dessen ordentliche Erziehung einklagt, eine Erziehung, die Thars Begabungen Rechnung trägt und doch Überheblichkeit unmöglich macht. Vgl. S. 34ff. bzw. 228ff. oder S. 44 bzw. 238. Zudem kann sich der Ich-Erzähler auch im Gelobten Lande ohne Anführungszeichen auflhalten. (S. 4 bzw. S 220) Im Reprintband ›Abdahn Effendi - Schamah‹, Bamberg und Braunschweig 1977, damit in der Schamah-Ausgabe innerhalb der Bibliothek Saturn, Stuttgart 1910, finden sich die angegebenen Stellen auf S. 5, S. 19ff., S. 32, S. 8. Rentschkas Formulierung »in einer allerneuesten Geschichte« ließ mich zunächst vermuten, daß er - im Dezember 1908 - von einem im Oktober 1908 erschienenen Erzählungsanfang spricht (und dann wäre ihm die Geschichte mit Thar noch weithin unbekannt gewesen). In der Tat aber war Mays Erzählung im Dezember 1908 schon längst vollständig erschienen. (Auch diese Zeitangabe Rentschkas bestätigt die Vermutung von Anm. 8. Aber auch schon die Behandlung einer im Dezember 1908 schon sieben Jahre alten Erzählung wie ein eben erschienenes Werk weist in die gleiche Richtung.)
22May schrieb »verteilen«. Die Klammerzusätze: (des christlichen Glaubens), (Confucianismus) fügte Rentschka ein. Die Parallelstelle: F 33f.
23F. 35. Der Konjunktiv behaupteten wohl in F, aber nicht in P (behaupten).
24F. 37. - Es sei erlaubt, hier nicht auf das Thema ›May und der Spiritismus‹ einzugehen; man müßte dabei auch sprechen über ›Christentum und Spiritismus‹. - Ich selbst verstehe schlechterdings nichts vom Spiritismus. Wahrscheinlich ist es diesem Nichtwissen zu verdanken, daß ich ›spiritismusverdächtige‹ Stellen bei May toleriere als freilich etwas zu ›poetisch‹ geratene Formulierungen des Sachverhalts, der sich in der Bibel, etwa Hebräer 12,1 - Wolke von Zeugen um uns - und Hebr. 12,22f. findet.
25F 40
26F 56f. Die Formulierung und magst vielleicht recht haben sollte man nicht einfach übersehen!
27F 107. Hier kombiniert May seine falsche philosophische Auffassung, die das Innere und das Äußere, das Geistige und das Leibliche unzulässig trennt, mit dem Gedanken ans Gebet, und daraus kommt tatsächlich eine Geringschätzung des ›leibhaftigen‹ Gebets. Dennoch ist Rentschka zu widersprechen: Es gibt bei May keine Geringschätzung des Gebetes selbst! Raffley z.B. fragt den Ich-Erzähler: »Nicht wahr, Charley, Ihr habt früher gebetet und betet auch heut noch?« Die bejahende Antwort führt zu der Frage nach der Fürbitte und zur Bitte um solche Fürbitte. (P 172 und F 244) Schließlich sind fast alle Äußerungen des genesenden Waller Gebete. Schon in P! - Zur sicherlich verunglückten Passage P 77, F 107 noch: Weder Sascha Schneider noch Hatzig nehmen May seine unzulässig trennende Auffassung ab, vgl. Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Bamberg 1967 S. 48, 83 und 158, wobei Mays Erwägung dort S. 123 auch wieder nicht in den Wind zu schlagen ist (vgl. auch Ernst Seybold: Aspekte christlichen Glaubens bei Karl May. Sonderheft Nr. 55 der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1985 S. 8).
28Hier endet der am 5. 12. 1908 gedruckte Teil. - P 91 entspricht F 122f. Erinnert sei an Omars Weg zum »einzig wahren Glauben« (P 244, F 418), ergänzt sei die Stelle: »Er gibt seinen Kuran und seinen Mohammed gewiß niemals her, aber wie er seinen »Jesus, Mariens Sohn«, verehrt, so weit hinauf reicht ihm sogar der Islam nicht.« (F 592)
29F 136ff.
30Beim Druck der Stellenangabe ist ein Fehler unterlaufen. Es muß heißen Spalte 127. Der gleiche Text F 174. Die Sperrung bei Rentschka findet sich nicht in P und F. - Positives zur Auserwählung ist hier Anm. 18 zusammengestellt!
31Was Mr. Fang sagt, ist der Formulierung wegen angreifbar. Aber das darf man nicht nur behaupten, sondern muß man, den Text sezierend, aufweisen. Dabei wird sich zeigen, daß Mr. Fang Richtiges zu erkennen gab. Außerdem ist nicht sicher, daß May



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mit Fang ganz einer Meinung war, auch wenn hier nicht steht, was zum von Rentschka mit dem Hinweis auf P 100 gemeinten Gespräch gehört: Seine Ansichten waren zwar nicht ganz die meinigen gewesen . . . (P 107, F 147) Zudem: In einem Gespräch sind die Gedanken niemals so geordnet wie in einer systematischen Abhandlung! (Auch Rentschkas Artikel ist eher ein Geplauder als eine solche systematische Abhandlung!) - Doch muß nun noch positiv angemerkt werden, daß sich Rentschka sachlich mit der Tendenz der May-Aussage identifiziert!
32Es muß heißen 227f., nicht 227ff. Sperrung durch Rentschka. In F fehlt diese Stelle (vgl. Hatzig in Jb-KMG 1972/73 S. 161).
33Wieder eine nicht hilfreiche Pauschalbehauptung. May dagegen differenziert: Gegen das wahre Christentum sagt er kein Wort, viele Worte aber dafür, alle seine Polemik gilt nur den Scheinchristen. So läßt er z.B. Mr. Fang sagen: »Ich habe die Religion und die Kultur der Christen studiert und glaube, daß ich sie nun kenne. Ich weiß also, daß Sie sich jetzt in der höchst fatalen Lage befinden, als wahrer Christ die Scheinchristen verteidigen zu sollen . . .« (P 127 und F 173 [mit leichter Kürzung] unmittelbar vor der Stelle, die Rentschka zitiert hat.) Dabei hatte Mr. Fang vorher schon zwischen wahrem Christentum und Scheinchristentum unterschieden. Beachten wir Fangs Vorwurf gegen die ›Christen‹, »deren angebetete Weltweisheit nicht weitergekommen ist, als nur zu der Behauptung, daß kein Gott die Welt regiere . . . « (P 126, F 172)! Diesen Vorwurf kann man ja nun wirklich nicht dem ›wahren Christentum‹ machen: May hat ihn auch nicht in diesem Sinne erhoben. Müßte das nicht jeder Leser bei der Lektüre von P und F merken und zwar so, daß er mit May differenziert und dann gegen May keine falschen Vorwürfe erhebt? Zumal Mr. Fang am Ende die Möglichkeit der Bekehrung Chinas zum Christentum erwägt: »Den Glauben und die Liebe eines Bruders weist man nicht zurück!« (P 130, F 178) Die hier für May aufgezeigte Differenzierung kennt zudem Rentschka selbst; er schreibt: »Niemand leugnet, daß Fehler vorgekommen sind; diese sind aber nicht dem Christentum oder der Allgemeinheit zuzuschreiben, sondern dem einzelnen Menschen . . .«
34Das Ende der Rede Fangs F 180, dort aber nicht mehr ein Hinweis auf das Schweigen des Ich-Erzählers. (Vgl. Hansotto Hatzig: Et in terra pax - Und Friede auf Erden. Karl Mays Textvarianten. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972 S. 152) Mit dem Hinweis auf P 232 meint Rentschka wohl die Stelle: Ich ging, und zwar sehr schnell. Was wollte ich anderes machen? In F 435 etwas anders.
35F 441ff. Aber in diesem Bereich hat May in F gegenüber P umgestellt.
36F 393 heißt die Stelle: Es war eine Klarheit, eine Innigkeit, ein Enthusiasmus, eine Glückessehnsucht und zugleich schon Glückesahnung, es war - - - wahrscheinlich doch er selbst, sein ganzes Wesen, sein Fühlen und sein Denken, aber verklärt, verschönt und vergeistigt durch etwas Anderes, was nicht zu ihm gehörte, sondern von außen her zu ihm gekommen war. Man beachte: etwas Anderes, was nicht zu ihm gehörte, sondern von außen her zu ihm gekommen war. Das ist ein Beitrag zur Frage, ob das Heidenherz selbst Liebe hat und ›gibt‹ oder ob es diese nicht doch von außen her, von Gott, der gnädig schenkt, bekommt. Ferner: Die bei Rentschka gesperrt gebrachte Passage (in P nicht gesperrt) findet sich nicht mehr in F.
37F 437. Sperrung nicht in P und F, also von Rentschka. Sicherlich kann man gegen Mays Formulierung auf Gottes ständige Gnade und Wahrheit bei seiner Kirche hinweisen. Aber gleichzeitig kann man immer auch auf Neuaufbrüche in der allzeit bleibenden Kirche (Augsburger Bekenntnis Art. VII) hinweisen - und deren Vertreter redeten und reden auch wie Dr. Tsi!
38Wo?
39Es stimmt, daß May zu konfessionalistischer Rechthaberei nur ein negatives Verhältnis hatte. Er läßt Mr. Fang reden von den ›Christen‹, »die sich daheim ihres Glaubens wegen selbst bitterlich hassen und bekämpfen; . . . « (P 126, F 172). Oder: »Wer derart gegen den Glauben, . . . seines christlichen Mitbruders spricht und agitiert, . . . « (F 615) Wobei dies letzte Zitat deutlich macht, daß May die dogmatischen Wahrheiten der christlichen Konfessionen als solche nicht schlecht gemacht haben möchte (und damit an ein modernes ökumenisches Konzept denken läßt, das auf Grundkonsens, Entdeckung der Einen Wahrheit in vielen unterschiedlichen Aussageformen und



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›versöhnte Verschiedenheit‹ aus ist). Wenn aber nun Rentschka an Hand solcher Äußerungen in P und F zur Erkenntnis kommt, daß May ein anderes Verhältnis zur Wahrheit hat als er selbst, dann wäre zweierlei angebracht: das Fragen, ob es denn so undifferenziert stimmt, daß ›Mensch und Wahrheit‹ zusammengehören, und das Fragen, ob sich nicht doch bei May auf seine Weise ein positives Verhältnis zur Wahrheit findet. Dieses Fragen führte zuerst zur Einsicht, daß natürlich kein Mensch leben kann ohne Wahrheit, daß aber nicht jede Persönlichkeitsstruktur das gleiche Verhältnis zur Wahrheit zuläßt; es gibt das ›dogmatisch-systematische Verhältnis zur Wahrheit‹ und das des »Typus Dichter« und Mensch überhaupt, der »im Grunde gar nicht oder kaum« denkt, denken kann, und zwar denken im Sinne von Dogmatik und Systematik. (Vgl. Wollschläger: wie Anm.4 S.140) Sodann führte dieses Fragen zur positiven Kenntnisnahme von Stellen wie dieser: »Ich sah der Wahrheit in das Angesicht und will der Herrlichen mich anvertrauen. Wem sie gelehrt, die Täuschung zu besiegen, der soll dem Schein nicht wieder unterliegen.« (P 269, F 472) Gesteigert dann: Vor allen Dingen sei zu verhüten, daß der alte, . . . starre, blutleere Geist der Wallerschen Familie, welche den Inhalt einer alten, bigotten Hauspostille hoch über das herrliche Gotteswort der Bibel setze . . . (F 600) Sodann: Es galt geistiges Leben und geistigen Tod! (F 640) Und: »Heute abend wird die alte Wallersche Hauspostille zugeschlagen und versiegelt, für immer und für ewig; darauf können Sie sich verlassen!« (F 648) In diesem Licht schmilzt auch einiges von dem »Humor« hinweg, den Rentschka feststellen zu können meinte.
40Mag sein, daß May von bösen heidnischen Sitten in P nicht sprach; die Bosheit der von Weißen verdorbenen Malayen gehört ja nicht hierher: »Die Bergmalayen stellten sich feindlich zu uns.« Erst ganz weit oben in den Bergen findet man ein Unterkommen in einem Dorf, »dessen Bewohner mit den Weißen noch so wenig in Berührung gekommen und also so friedlich gesinnt waren, daß sie uns gastfreundlich aufnahmen . . . « (P 193, F 272) Aber in F steht von Grausamkeiten . . ., die man allerdings nicht in Schutz nehmen dürfe. (F 372). Kommentar dazu: »Nur das richtige Maß, das richtige Maß bitte ich!« (F 373)
41Rentschka meint, May wolle ohne Dogma wirken, weil es die Wahrheit nicht brauche. Aus Rentschkas Ausführungen aber muß man schließen, daß er auch ohne Dogma missionieren wolle; nötig sei eine Erziehung der Völker mit dem Ziel der Eindämmung der Leidenschaften der Menschen. Allerdings: Am Zielpunkt dieser Erziehung angekommen, nehmen die Erzogenen dann die wahre Lehre sozusagen von selbst an. Aber das meint auch May, wenn er die seligen Heiden im Himmel Christen nennt (P 240, F 404)! Zudem stellt die ganze Waller-Geschichte oder auch die mit dem Onkel Governor genau den Erziehungsprozeß dar, den Rentschka seinerseits ebenfalls primär für nötig hält.
42Falsch! Vielmehr: May ist wieder mit Rentschka einig. Er kennt das Beispiel des liebenden Gottes: »Wo ist die Liebe, die am ersten Tag der Menschheit Christi arm geworden war, die ohne Dunkel in der Krippe lag . . ., die sich willig bot, als Opferlamm, trotz aller Qual und Pein, durch einen unerhörten Martertod für Freund und Feind ein ewges Heil zu sein?« (P 268, F 470) Er kennt Gottes Gnade: Christus ist für »Freund und Feind ein ewges Heil«. Und als Gebetstext: »Du hast sie uns gegeben, diese Liebe, . . . « (F 628) May reflektiert zwar nicht über die Logik, die uns zwingt, »die Lehre von der Gottheit Christi anzunehmen«, aber er bringt diese Lehre: »Wo ist die Liebe, die am ersten Tag der Menschheit Christi arm geworden war, . . .« Und zur Wiederholung: . . . dorthin . . . wo einst Gott selbst zur Erde kam . . . (P 7, F 9). Sodann wird Evang. Joh. 3, 16 zitiert und kommentiert (F 322f.), vom Gottmenschen gesprochen (F 554) und über die Gottmenschheit Christi nachgedacht (F 592), wobei vorher schon Jesus als der Einzig-Eine (F 587) bezeichnet worden war und später immer wieder neu als Erlöser gepriesen wird (F 629, F 632). Und noch einmal eine Wiederholung: May weiß, welchen großen Einfluß der Glaube auf den moralischen Wert des Menschen ausübt. (P 8, F 10) Umgekehrt wird auch Rentschka nicht leugnen können: »Aber ich klage die ganze sich »civilisiert« nennende Menschheit an, daß sie trotz aller Religionen . . . « (P 198, F 278) Darum noch einmal: May ist wieder mit Rentschka einig!



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43Da Geschmäcker verschieden sind, wird man hierzu wenig sagen können. Nur dies: Man sollte auch Mays Bemühungen um Demut nicht übersehen. Da ist z. B. die Rede von der Liebe . . ., die ohne Dünkel in der Krippe lag (siehe Anm. 42), oder die Kombination von »Christi Blut und Gerechtigkeit / lst mein Schmuck und Ehrenkleid« mit »Werft von Euch fort den falschen Heil'genschein« (F 590), und die Passage: »Verdienst, Verdienst! Bei diesem Worte lacht die ganze Hölle!« (F 583. - Übrigens auch ein Beitrag zur Frage nach der geschenkten Gnade im Unterschied zu der von selbst vorhandenen Liebe.) Zudem gilt, daß Mays Friede-Roman gegen das Phrasengeklingel weißer Überheblichkeit angeht.
44Von seinem Thema ›besessen‹ hat May freilich kaum positive Züge christlicher Mission aufgezeigt, aber er hat sie doch auch nicht in Abrede gestellt! Er hat sie nur in dem Sinne schweigend übergangen, in dem Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter auch nicht ausdrücklich erwähnt hat, daß es gewiß auch andere Priester und Leviten gab als die, die an dem, der unter die Räuber gefallen war, vorübergegangen sind. So haben denn auch viele christliche Leser in P und F keine Pauschalschmähungen Mays des Christentums der allein seligmachenden Kirche gefunden.
45Daß Boten wie Pater Damian wirken dürfen, sagt das Leit-Gedicht: »Tragt euer Evangelium hinaus . . . doch bringt nur Liebe mit . . . « (P 97f., F 133) Daß Boten wie Pater Damian wirkten, gibt May zu erkennen: »Der Priester trägt die Liebe wohl hinaus« (P 252, F 446). Daß sie ›Erfolg‹ (das Wort sei gewählt, obwohl ›Erfolg keiner der Namen Gottes‹ ist) haben, macht Pfarrer Heartman deutlich: »Je länger man mit diesem herrlichen Gottesmann spricht und verkehrt, desto mehr sieht man ein, daß Christus das wirklich war, als was er sich bezeichnete, nämlich der Weg, die Wahrheit und das Leben, Wir glauben hier alle an ihn!« (F 517) Zu fragen ist allerdings: Warum erwähnt Rentschka einen Pater und dessen caritativen Einsatz und erzählt nichts von einem großen ›Wahrheitsprediger‹? Zudem: Wer denkt bei P. Damian nicht an Mays kleine Erzählung ›Bei den Aussätzigen‹? (Grazer Volksblatt vom 20. Dez. 1907, im Reprintband ›Christus oder Muhammed. Marienkalender-Geschichten‹ S. 257ff.).
46Hier endet der am 6. 12. 1908 gedruckte Abschnitt.
47F 276
48Daß May 2. Mose/Exodus 20,5 bringt, ist in der Tat zunächst merkwürdig, weil er bekanntlich die Meinung vertritt, daß es einen Belastungszusammenhang der Generationen gibt. Beim genauen Zusehen zeigt sich freilich ein Unterschied zwischen dem, was nach May die Bibel sagt, und dem, was er meint: Die Bibel straft auch noch Nachgeborene, May entnimmt aus dem belastenden Generationenzusammenhang Schuldentlastung: »Freisprechung von seiner Schuld! Logisch klarer und deutlicher Hinweis auf den eigentlichen, wirklichen Täter!« (F 345) »Wie wahrhaft christlich, daß Sie diesen Einzelnen entlasten wollen, wenn auch nicht ganz!« (F411) Zum Rentschka-Text: Ich vermute, daß viele konservative Mitchristen seiner Zeit seine Worte als ›modernistisch‹ empfunden haben. Aber vielleicht macht man sich als Mensch unserer Tage auch zu ›schwarze‹ Vorstellungen von theologischen Ansichten anderer Leute früherer Zeiten.
49Welche noch?
50Wirklich gewiß? Der Text lautet: Man spricht von Seelen, welche sich, und seien sie räumlich noch so weitgetrennt, ganz unbedingt auf Erden finden müssen, von Wesen, welche einst vereinigt waren und sich wieder zu vereinigen haben. Wer kann wohl sagen, ob das ein Aberglaube sei? (F 422)
51Wieder ein Pauschalurteil. Aber zum ersten Male jetzt der Vorwurf des Modernismus!
52Daß Rentschka 1908 im Ich-Erzähler immer noch May sieht, ist erstaunlich. (Im Text Druckfehler: »Mai«; später: »Buddah« und »kannn«.)
53Gewiß reflektiert May nicht über den Zusammenhang von christlichem Leben, christlichem Fühlen, christlicher Liebe und dem, was nach Rentschka, und nicht nur nach Rentschka, noch sein muß. Aber müßte man wenn man solches moniert, nicht selbst darüber reflektieren? Warum ist die »Nebensache« doch keine? Aber freilich wäre es auch wieder zuviel verlangt, wenn man solche Reflexionen in einer Buchbesprechung verlangen würde.



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54Hier kommt wieder ein Stück Achtung Rentschkas für den Schriftsteller May zum Vorschein. Vorher schon hieß es einmal: »interessant und anziehend« oder »vom Banne des Gelesenen«.
55Fehlt in F (Vgl. Hatzig in Jb-KMG 1972/73 S. 166)
56Es gibt in der Tat in F noch mehr verquere Stellen in dem Sinne, wie sie hier Anm. 13 und 14 erwähnt sind, aber ebenso gleichzeitig ist die Tendenz auf das »herrliche, das ewig unvergleichliche Christentum« (F 591) hin noch unübersehbarer als in P.
57Dabei sind alle anderen Aussagen in diesem Glaubensbekenntnis, bei gewiß teilweiser verfremdeter Formulierung und Mayscher schwebender Diktion, gut orthodox! (Vgl. Ernst Seybold: Plädoyer für Karl Mays Christlichkeit. In: M-KMG 68/1986 S. 11ff., und M-KMG 69/1986 S. 31f.)
58»Der Priester trägt die Liebe wohl hinaus«, zitierten wir bereits (Anm. 45). Vorher schon hieß es: »Priester Gottes müssen sein, die Menschheit kann sie nimmermehr entbehren. Und je mehr sie in der Erkenntnis Gottes fortschreitet, desto größer wird die Zahl und auch der Einfluß dieser Priester werden. Heil und tausendmal Heil dem Volke, welches so viel wahre Gottespriester besitzt, wie es fromme Väter hat!« Und dann die Aussage, daß der hypergläubige »Laie glaubt, wenn er nur selbst recht salbungsvoll zu sprechen und zu blicken wisse, so könne er den Priester ganz entbehren. Das ist die Laienfrömmigkeit, die sich über jedes Gotteshaus und Gotteswort erhaben dünkt . . . « (P 228f., F 439f. ) Das heißt: Nicht nur ›Auserwählung‹ birgt die Gefahr der Arroganz in sich, sondern auch deren Leugnung zugunsten eines bloß ›allgemeinen Priestertums‹! Dies wissend, ist May am rechten Ort in rechter Weise sehr wohl für Auserwählung, wie wir ja auch schon aufgezeigt haben (Anm. 18). Noch eine Priesterstelle: »Der Priesterstand meint doch wohl, Gott am allernächsten zu stehen, und die Poesie ist göttlicher Natur. Die Kunst, die wahre, wirkliche Kunst, ist die edle Schwester des Glaubens. Aus welchem Grunde sollte diese Schwester grad die bevorzugten Jünger ihres Bruders mit Verachtung von sich stoßen?« (F 383f. ) Im Kontrast zu diesen Aussagen stehen die Polemiken gegen die mangelnde Vokation Wallers! - Schön übrigens, daß Rentschka konzediert: »Dabei will ich May die gute Absicht nicht absprechen.«
59Was der Hinweis auf F 645 soll, ist mir unklar. Wahrscheinlich liegt ein Druckfehler vor. Zur anderen Stelle: Der Schalk in meinem Nacken nickte zustimmend (F 363), als ich es las, dieses Stück Mayschen Humors. Hatte Rentschka echte Ängste vor Mayschen Strategien?
60Da sich Rentschka wiederholt, muß auch hier wiederholt werden: May hat sich in der Schilderung Wallers eindeutig abgesichert gegen den Vorwurf, er wolle das kirchliche Christentum treffen. Der gewandelte Waller aber formuliert: ». . . die Seligkeit für Jedermann. Was macht zum Himmelreich denn schon die Erde? Ein einz'ger Hirt und eine einz'ge Herde!« (P 270, F 473) Das klingt mindestens so, als ob auch hier May für das Papstamt werben wollte. Aber schon im Fu-Waller-Gespräch, aus dem Rentschka zitiert, heißt es: ». . . und Petrus wurde mir als derjenige Apostel bezeichnet, welchem die größte Macht des Christentums . . . übergeben wurde;« (P 24, F 33).
61Was Rentschka hier zusammenfassend noch einmal als Meinung Mays vorträgt, ist nicht Mays Meinung, wie gezeigt wurde; May ist mit Rentschka vielmehr einig. Allerdings: May hat ein ›offenes Verhältnis‹ zu anderen Religionen, erhofft sich aber gerade dadurch den Missions-›Erfolg‹: »Er findet an jedem Glauben so viel Verwandtschaft mit seiner eigenen Religion und weiß das in so außerordentlich gewinnender und überzeugender Weise zu sagen. Und es geht Jedermann genau so wie mir: Je länger man . . . « (F 517) Wenn nun Rentschka die Seligkeit von Gott abhängig macht und zu ihr auch Heiden kommen läßt, dann muß er Gott auch in den heidnischen Religionen wirksam sehen: Er könnte also auch ein ›offenes Verhältnis‹ zu ihnen haben. Dies übrigens hat sich inzwischen auch in der röm.-kath. Kirche eingestellt, sogar mehr als im evangelischen Kirchentum. - Für den gesamten Sachverhalt ist aber auch die Beobachtung wichtig, daß Karl Mays Heiden alle Monotheisten sind. Seine buddhistischen Pilger verehren in ihren Tempeln Gott in ihrer Weise, und einer der Pilger ruft aus: » Unser Gott ist auch Euer Gott.« (F 125 und 128) Dieser Satz steht aber auch schon in P: »Unser Gott ist auch der eurige!« (P 196, F 275) Diese ›monotheistische Aufforstung‹ mag religionsphänomenologisch verkehrt sein, nimmt aber von May bereits



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ein gewichtiges Stück des - letztlich fälschlich - erhobenen Vorwurfs des Synkretismus.
62Weil May das nicht übersieht, schreibt er ja P und F! Andererseits macht Rentschka hier deutlich, daß vom Theologischen her, das ihm bereits geläufig war, auch ein Stück Offenheit für Mays Humanität außerhalb des christlichen Raums möglich sein müßte.
63Vgl. Anm. 37 - wobei zu ergänzen ist, daß die erwähnte Rede auch bei Katholiken nachweisbar ist und nicht bloß am Anfang einer neuen Konfession oder Sekte! Freilich: Der Elan neuer geistlicher Bewegungen geht denen, die nicht von ihnen ergriffen sind, auf die Nerven. Erst im zeitlichen Abstand gibt es allseits wieder Gelassenheit. Man muß May  u n d  Rentschka verstehen.
64Als ob Gott nicht oft genug in P und F vorkäme! Zum Beispiel ist »Gottes Gericht« erwähnt (P 273, F 478), ist von »Christi Gebot« die Rede (F 590) und die höhere denn menschliche Autorität, die wir brauchen, verdeutlicht: in dem von Rentschka nicht geliebten Gespräch rund um die Pax-Spalte 100 wird erwähnt, »wie einst eine andere Mary zu den Füßen eines anderen und, wenn Sie gestatten, größeren Meisters saß . . . « (P 101, F 138)
65Richtig ist: Da Gott den Weg der Erwählung ging, wäre eine Leugnung von Erwählung eine Leugnung der Offenbarung und in der Folge auch eine Leugnung der Erlösung. Nur: Solche Leugnungen finden sich bei May nicht, wie wir sahen. Es ging ihm nicht um Dogmatik, sondern um die Darbietung einer altruistischen Studie (vgl. Anm. 14): Die christliche Theologie pflegt das, was mich beschäftigen wollte, den »Heilsweg« zu nennen (F 409). Es ging ihm gewiß um Ethik, jedoch ohne die Absicht, christliche Wahrheit zu leugnen. Es ist sicherlich merkwürdig, daß er dabei die Ausdrücke ›allein seligmachend‹ und ‹unfehlbar‹ abwertend verwendet und so oft von ›Auserwählung‹ negativ spricht. Aber es gibt auch Zusammenhänge, da man ihn unmittelbar versteht. Zum Beispiel: . . . er machte den Eindruck auf mich, als ob er sich für unfehlbar halte, und mit solchen Leuten ist schwer umzugehen. (P 10, F 13) Bei Verwendung von ›gut‹ und ›besser‹ ist jedoch alles klar: »Bilde dir ja nie ein, daß du besser seist als andere Leute!« (P 146, F 204) Auch die folgende Formulierung dürfte bei niemandem Anstoß erregen: »Bei uns wird schon dem Kinde dieser menschenfreundliche, erlösende Geist gezeigt, der Jedem sagt, daß keiner über dem Andern stehe, sondern alle Welt berufen sei zum Aller-, Allerhöchsten!« (F 322) Nun müßte man freilich die bei den Fakten - Gleichheit aller und Auserwählung einzelner - in Beziehung setzen . . .
66Rentschka spricht Christlich-Fundamentales, den orthodox gesonnenen Christen aller Konfessionen Gemeinsames an und legt es richtig dar. (Lassen wir hier eine Debatte über den Satz: »Die Menschheit mußte und muß nach katholischer Auffassung mitwirken an ihrer Erlösung . . .«) Diesem Richtigen gegenüber ist diejenige Auffassung, die Rentschka als ›neuheidnisch‹, ›modernistisch‹ und ›indifferent‹ abtut, falsch. Doch damit ist nicht gesagt, daß die als ›Modernisten‹ usw. gescholtenen Zeitgenossen tatsächlich das Falsche vertreten haben, auch diese Leute können ja das Schicksal Mays erlitten haben (und so wird das auch heute weithin gesehen): aus Abweichungen von der eigenen Schulmeinung, die immer engbrüstiger ist als der Toleranzraum des kirchlichen Dogmas, und aus Mißverständnissen werden Ketzereien fabriziert, die mit der Meinung der Kritisierten nichts mehr zu tun haben. Rentschkas Forderung, May sollte sich genau informieren, bevor er über ein Thema schreibt, fällt auf ihn zurück. Allerdings: Lesen wir alle nicht meist so oberflächlich wie Rentschka? Darum Joh. 8,7b! - Zusätzlich noch: Da sind Randphänomene wie Mays ›Spiritismus‹ und Formulierungen, die Mißverständnisse provozieren. Auch dies sei noch zur Entlastung Rentschkas gesagt. Wie formulierte May einmal? ». . . das richtige Maß, das richtige Maß bitte ich!« (F 373) Ich möchte es zugunsten Mays und Rentschkas, Rentschkas und Mays anwenden.





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