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KARL KONRAD POLHEIM

In den Schluchten der Texte
Das Problem einer historisch-kritischen Karl-May-Ausgabe *



Im III. Band des "Winnetou" nimmt der Ich-Erzähler die Verfolgung von Banditen auf, die einen Eisenbahnzug überfallen haben. Bei der Spurensuche findet er vier Mähnenhaare von brauner Farbe und diese zwei schwarzen Schwanzhaare. Er schließt daraus, daß das eine Pferd ein Brauner, das andere ein Rappe sein müsse.(1)

   Diese Stelle las vor fast einem halben Jahrhundert ein kleiner Schüler, und da er nicht nur ein begeisterter Karl-May-Leser, sondern auch ein begeisterter Reiter war, schrieb er dem Karl-May-Verlag in Radebeul einen Brief, in dem er darauf hinwies, daß Old Shatterhand hier auf jeden Fall irre. Denn "Brauner" heißt in der deutschen Sprache ein Pferd mit braunen Deckhaaren, aber schwarzen Mähnen- und Schweifhaaren, während ein Pferd, dessen Mähne und Schweif ebenfalls braun sind, den Namen "Fuchs" trägt. Die Mähnenhaare von brauner Farbe, die der Ich-Erzähler findet, müssen also einem Fuchs, die schwarzen Schweifhaare einem Rappen oder einem Braunen gehören.

   Unser Schüler bekam einen freundlichen Brief des Karl-May-Verlages mit einem Buchgeschenk, und als ihm nach dem Zweiten Weltkrieg diese Geschichte wieder einfiel und er darauf neugierig die Bamberger Ausgabe nachschlug, da las er, daß Old Shatterhand aus den braunen Mähnenhaaren glasklar erkennt, daß das Pferd °ein Fuchs, aus den schwarzen Schweifhaaren, daß das andere Pferd °entweder ein Rappe oder ein Brauner sein müsse.(2)

   So gehört also jener Schüler (der jetzt vor Ihnen steht) mittelbar in die Gruppe der Bearbeiter, die den authentischen, d. h. originalen, Karl-May-Text verfälscht haben.

   Damit sind wir schon mitten in unserem Thema, mitten in den Schluchten der Texte. Unsere unbedeutende Stelle wirft sogleich die bedeutende Frage auf, ob eine Verbesserung des Textes gestattet sei. Bei dieser Frage ist speziell hier noch zu berücksichtigen, daß es sich nicht etwa um eine Unstimmigkeit handelt, die der Autor bewußt und zu bestimmten Zwecken einführte, wie etwa – damit wir bei den Haaren bleiben – Eichendorff in seinem "Taugenichts" die schöne gnädige

* Vortrag, gehalten am 20.11.1987 auf der 9. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Wien. Die Vortragsform wurde bewußt beibehalten.


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Frau einmal mit blonden und einmal mit schwarzen Haaren ausstattet. Bei May handelt es sich vielmehr um eine in der Tat sachlich falsche Aussage, deren Korrektur zudem weder für den Verlauf der Handlung, noch für die Wirkung einer gezielten Stimmung (wie bei Eichendorff), noch überhaupt für das Ganze des Werkes von Bedeutung ist.(3)

   Wir wissen, wie der Karl-May-Verlag reagierte. Aber wie müßte sich eine historisch-kritische Ausgabe in einer solchen Lage verhalten? Die Frage löst sich, wenn wir uns klarmachen, was eine historisch-kritische Ausgabe ist.

   Eine Ausgabe heißt  h i s t o r i s c h ,  weil sie die historische Entstehung und Weiterentwicklung jedes Werkes genau verfolgt und alle Textstufen, die dieses Werk durchgemacht hat, aufzeichnet: angefangen von einer Handschrift oder mehreren über den ersten Druck und weitere Drucke bis zum letzten, der noch zu Lebzeiten des Autors erschien oder um den er sich noch kümmerte. Veränderte der Autor sein Werk im Laufe der Zeit in größerem Ausmaß, so spricht man von Fassungen dieses Werkes, brachte er nur einzelne Änderungen an, so spricht man von Lesarten oder Varianten.

   Karl May hat zwar von sich behauptet: Ich verändere nie, und ich feile nie.(4) Aber dies stimmt nicht. Karl May änderte seine Texte sehr wohl, wie man in manchen Untersuchungen und Vergleichslesungen festgestellt hat, und er mußte frühe Erzählungen schon darum ändern, weil er sie in spätere Romane wie "Winnetou" oder "Old Surehand" einbaute.(5) Es ist dann die Entscheidung der Herausgeber einer historisch-kritischen Ausgabe, ob sie solche Vorstufen selbständig als eigene Fassungen oder aufgelöst, sozusagen zerstückelt, als Varianten wiedergeben.

   Wenn nun alle historischen Texte, Fassungen und Varianten zusammengetragen sind, so müssen sie auch  k r i t i s c h  geprüft werden. Denn nicht alles, was von einem Autor gedruckt ist, muß von ihm stammen. Zwischen ihn und den Leser haben sich mehrere große Unbekannte geschoben, die mit dem Text zu tun hatten und ihn verändern konnten: Verleger, Zensoren, Bearbeiter, Lektoren, Setzer und andere. Eine historisch-kritische Ausgabe versucht nun durch die sogenannte Textkritik, solche fremde Eingriffe auszumerzen und denjenigen Text darzubieten, den der Autor selbst gewollt hat; man spricht dann von einem authentischen oder autorisierten, d. h. vom Autor gebilligten, Text.(6)

   Wie schwierig, ja bisweilen unmöglich es ist, den authentischen Text aufzuspüren, zeigt sich an den Lieferungsromanen Karl Mays, und dies um so mehr, als Manuskripte, die natürlich einen verläßlichen Anhaltspunkt geliefert hätten, fehlen. Wir sind also allein auf die Erstdrucke, 1882–1887, angewiesen. Zwar gibt es noch eine zweite Ausgabe, 1901–1906, aber da Karl May ausdrücklich gegen diese protestierte, ja prozessierte und ein entsprechendes Gerichtsurteil erreichte,(7) kann sie


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nicht als autorisiert gelten und muß in unserer augenblicklichen Betrachtung wegfallen.

   Aber Karl May bestritt auch, Textpartikel aus den Erstdrucken verfaßt zu haben. Er behauptete, daß der damalige Verleger mit seiner eigenen Hand ganze Kapitel verändert habe, und er glaubte an das Kriterium der Stilkritik: Uebrigens stechen diese Aenderungen oft so scharf von meinem Urtexte ab, daß sehr zahlreiche Leser mir versichern, ganz genau sagen zu können, wo die Fälschung beginnt und wo sie endet.(8)

   Nun wissen wir ja, wie es um Mays Aussagen über sich bestellt ist, und besonders im vorliegenden Fall hatte er gute Gründe, seine Verfasserschaft abzuleugnen. Zu der Frage, ob ihm hier zu glauben sei, finden sich in der Literatur die unterschiedlichsten, ja gegensätzliche Antworten; nach der einen etwa sind diese Romane nicht einmal autorisiert, nach der anderen müssen sie dem übrigen Werk »ohne Bedenken als gleichermaßen authentisch an die Seite gestellt werden«. Dazwischen spannt sich ein reiches Meinungsfeld, in dem die Echtheit einzelner Romanstellen bezweifelt wird, wobei keineswegs nur die sogenannten unsittlichen, die dem Autor soviel Kummer eintrugen, angesprochen werden.(9)

   Der Textkritiker aber kann nur dann Textpartien ausscheiden, wenn ihm ein klarer Beweis vorliegt, daß diese nicht von Karl May stammen. Und ohne einen solchen Beweis würde ihm selbst das so überaus feine Stilempfinden nichts helfen, das die Leser Karl Mays nach dessen Zeugnis offenbar besaßen. Dazu tritt ein praktischer Umstand: alle Romanstellen, die von May selbst verleugnet oder von der Forschung angezweifelt werden, sind ja niemals fest ausgewiesen, sie bleiben offen und fließend, so daß der kritische Herausgeber, selbst wenn er sie ausscheiden wollte, ratlos vor den zu ziehenden Grenzen stünde. Es bleibt ihm – zumindest nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nichts übrig, als die gesamten Erstausgaben der Lieferungsromane als authentischen Text anzuerkennen und zu edieren. Sein unangenehmes Gefühl könnte er lediglich in einem Nachwort oder Kommentar zum Ausdruck bringen.

   Die Textkritik beschränkt sich nicht darauf, fremde Eingriffe wenn möglich auszuscheiden. Sie muß auch innerhalb der authentischen Texte Entscheidungen treffen, zunächst einmal die, welche von mehreren Fassungen der Ausgabe zugrunde gelegt werden solle: die erste oder – wenn es sie gibt – eine mittlere oder die letzte. Es ist hoffentlich bereits deutlich geworden, daß eine historisch-kritische Ausgabe stets alle Fassungen zu berücksichtigen und aufzunehmen hat. Aber in der Regel kann sie doch nur eine einzige zur Gänze und fortlaufend abdrucken. Auf dieser liegt naturgemäß das Hauptgewicht, denn alle anderen Fassungen und Lesearten werden in einem sogenannten kriti-


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schen [kritischen] Apparat wiedergegeben, der sich nach dem ganz abgedruckten Leittext richtet und oft als Anhang gebracht wird.

   In der Karl-May-Forschung findet man öfter die "Ausgabe letzter Hand" erwähnt.(10) Das ist die Bezeichnung für eine vom Autor selbst und zuletzt veranstaltete Ausgabe seiner Werke, wobei er manche Texte noch verändern konnte. Auch Karl May sammelte seine Werke – nämlich diejenigen, die er für würdig hielt – und gab sie von 1892 bis 1910 als "Gesammelte Reiseromane", ab 1896 als "Gesammelte Reiseerzählungen" in 33 Bänden bei Fehsenfeld in Freiburg heraus. Aber seine letzte Hand legte er daran nicht, weil er von 1907 bis 1912 die "IIlustrierten Reiseerzählungen" nachschickte, die jedoch mit ihren 30 Bänden unvollständig blieben. Da man sich also die von Karl May zuletzt gewollten Texte jeweils aus beiden Ausgaben zusammenstellen muß, sollte nicht von einer "Ausgabe letzter Hand" und schon gar nicht von "Ausgaben letzter Hand", sondern nur von "letzten Fassungen" gesprochen werden.

   Lange Zeit war es in der Literaturwissenschaft selbstverständlich, daß eine historisch-kritische Ausgabe die  l e t z t e  Fassung eines Werkes als Haupt- und Leittext wählen müsse, da sich nur in ihr der endgültige Wille des Dichters manifestiere. Von dieser unbedingten Forderung ist man aus guten Gründen längst abgekommen, gab aber dann, sozusagen im Gegenschlag des Pendels, der  e r s t e n  Fassung den Vorzug. Heute kann sich der Textkritiker und Editor in einem erfreulich vorurteilslosen Raum bewegen. Daher sollte er nach der  b e s t e n  Fassung suchen und diese einer historisch-kritischen Ausgabe zugrunde legen.(11)

   Wie das zu verstehen ist, will ich jetzt nicht an theoretischen Erörterungen darlegen, sondern an einem praktischen Beispiel, nämlich an der Gestalt der Marah Durimeh im Band "Durchs wilde Kurdistan". Dabei stütze ich mich zum Großteil auf Vergleichslesungen, die Annelotte Pielenz vorgenommen hat.(12)

   Der Text erschien zuerst 1881 im "Deutschen Hausschatz" (7. Jg. S. 758), dann 1892 als II. Band der "Reiseromane" (S. 207). Dort wird Marah Durimeh beschrieben als

eine alte Frau, deren Aeußeres mich schaudern machte. Sie schien ihre hundert Jahre zu zählen, ihre Gestalt war tief gebeugt und bestand wohl nur aus Haut und Knochen; ihr fürchterlich hageres Gesicht machte geradezu den Eindruck eines Totenkopfes . . .

   Diese so geschilderte Marah Durimeh fügt sich, wie Pielenz mit Recht ausführt, »nahtlos ein in die abenteuerliche Reise durch Kurdistan; sie ist zwar etwas unheimlich und ungewöhnlich, aber mit ihrem totenähnlichen Äußeren und ihrem Dasein als "Höhlengeist", der seinen Wohnsitz im Dunkel des Berges hat, paßt sie in die Handlung des


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noch in Ardistan spielenden Dramas von Verfolgung, Blut und Rache, trotz der Versöhnungsrolle, die ihr hier schon zugeteilt wird«.

   Mit dem 46.–50.Tausend, 1904 erschienen, änderte May die Stelle (S. 207),(13) also zu einem Zeitpunkt, als schon sein symbolisches, oder besser gesagt: allegorisches(14) Spätwerk eingesetzt hatte. Marah Durimeh wird nun beschrieben als

eine alte Frau, an der mein Auge mit Bewunderung hängen blieb. Sie war gewiß hundert Jahre alt, doch ihre Gestalt stand gerade und hoch aufgerichtet; ihre Augen hatten jugendlichen Glanz; ihre Züge waren seltsam schön und weich . . .

Pielenz hat darauf hingewiesen, wie »das mumienhaft gezeichnete Bild Marah Durimeh's [ . . . ] vorerst nur äußerlich« verändert wird: »Das Totenkopfähnliche verschwindet, die gebeugte Gestalt richtet sich auf, aber sie bleibt noch dem Irdischen verhaftet; sie bleibt noch die Alte (S. 219), deren Stimme dumpf und hohl, wie wirklich aus dem Grabe heraus ertönt (S. 630).«

   In den "Illustrierten Reiseerzählungen", deren II. Band 1907 herauskam, also im selben Jahr, als "Der 'Mir von Dschinnistan" im "Deutschen Hausschatz" zu erscheinen begann, lautet die Stelle (S. 172) so:

eine ganz eigenartig schöne Frau, deren Alter so hoch war, daß es, wie ich später erfuhr, gar nicht mehr bestimmt werden konnte. Dennoch trug sie ihre imposante Gestalt hoch, gerad und aufrecht, und in ihrem hochedel geformten Gesicht war fast keine Spur einer Falte zu sehen.

Pielenz greift bei ihrer Erläuterung zu dem treffenden Bilde: »Marah Durimeh hat den Boden Ardistans verlassen und ist emporgestiegen zu den "Lichten Höhen" der Berge Dschinnistans! Körperlich ist sie nun imposant, mit hochedel geformten, faltenlosen Zügen, trotz des nicht mehr meßbaren Alters (S. 172). Die "Alte" wird zur "Greisin" (S. 182); sie "kauert" nicht mehr, sondern kniet (S. 182); ihr hochehrwürdiges Gesicht wird wundersam; die aus dem Grabe kommende hohle Stimme tönt nun geheimnisvoll, wie aus ferner Vergangenheit (S. 521).«

   Gegen Ende des Bandes wird Marah Durimeh noch einmal beschrieben, sie steht eingehüllt in einen weiten Mantel vor dem Ich-Erzähler. In der ersten Fassung, also im "Hausschatz" (1882, 8. Jg. S. 381) und in der 1. Freiburger Auflage (S. 594), heißt es weiter:

Mantel, aus dem ihr hageres Gesicht wie dasjenige eines Totenkopfs mir entgegengrinste.

In der zweiten Fassung, ab dem 46. Tausend, lautet die Stelle (S.594):

Mantel, aus dem ihr hochehrwürdiges, orientalisch schönes Angesicht mir entgegenschaute.


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Und in der letzten Fassung in den "Illustrierten Reiseerzählungen" (S. 492) lesen wir:

Mantel, aus dem ihr wundersames Gesicht mir freundlich ernst entgegenblickte.

Annelotte Pielenz faßte ihre aussagekräftigen Beobachtungen überzeugend so zusammen: »Der Schritt von Ardistan nach Dschinnistan ist vollzogen; die unheimliche Alte wurde zur "Menschheitsseele".« Das ist unzweifelhaft richtig, so sehr, daß wir in der letzten Fassung fast vergessen haben, daß wir uns ja noch immer bei den wilden Kurden, mitten im tiefsten Ardistan, befinden. Es ist verständlich, daß der Autor jene Frauengestalt, die er im Alter als Allegorie schuf, auch auf den früheren Roman übertrug, den er vor 26 Jahren geschrieben hatte und jetzt gerade durchsah. Aber ist er damit diesem Roman gerecht geworden? Er hat ja nur eine einzige Gestalt derart unrealistisch-allegorisch erhöht, aber keineswegs die anderen Gestalten des Bandes, was etwa bei Scheik Mohammed Emin durchaus denkbar hätte sein können. Während die Gestalt der Marah Durimeh in der ersten Fassung mit ihrem grinsenden Totenkopf eindrucksvoll zum Kontext stimmt, wirkt sie in der mittleren und letzten Fassung fremd und störend. Sie sprengt nun den einheitlichen Erzählstil, und zwar nicht nur in diesem einen Band, sondern im ganzen Orientzyklus.

   Mit diesem Beispiel ist hoffentlich klar geworden, wie schwierig die Beurteilung von Fassungen sein kann. Der heutige Herausgeber kann für seinen Haupttext jede Fassung frei wählen, die erste oder die letzte oder eine mittlere, je nachdem, welche er für die beste hält. Aber er muß seine Entscheidung dann historisch und interpretatorisch begründen, wie ja Textkritik und Interpretation stets unauflöslich verbunden sind. In unserem Fall muß er außerdem wissen, daß diejenige Fassung, die er sich für den "Kurdistan"-Band ausgesucht hat, dann für alle sechs Orient-Bände zu gelten hat. Denn eines ist nach wie vor aus zwingenden Gründen streng verboten: die Fassungen zu vermischen.

   Greifen wir nun unser Anfangsbeispiel von den braunen und schwarzen Pferdehaaren wieder auf, um es textkritisch einzuschätzen. Textgeschichtlich gesehen, zeigt es stets den gleichen Wortlaut von der ersten uns bekannten Fassung in der Zeitschrift "Feierstunden im häuslichen Kreise", 1883, bis zur letzten, dem "Winnetou III" in den "Illustrierten Reiseerzählungen", 1.–7.Tausend 1909 (und darüber hinaus in der Radebeuler Ausgabe). Niemals hat der Autor seinen Willen nach einer Änderung bekundet oder diese durchgeführt, was ihm um so leichter hätte fallen können, als er unsere Stelle 1893 in den "Winnetou" aufnahm und diesen dann für die "Illustrierte" Ausgabe neuerlich durcharbeitete.(15) So muß die sachlich falsche Aussage als echter Text in der historisch-kritischen Ausgabe bewahrt bleiben. Und so wird sie auch zu


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einem nicht unwichtigen Erkennungsmittel für Mays Biographie: sie macht nämlich offenbar, daß Karl May nichts von Pferden verstand.(16)

   Unser kleiner, eher humoristischer Fall mag als Paradigma für weit wichtigere, ähnlich gelagerte Textsituationen dienen, nämlich für alle diejenigen, in denen der Autor May etwas geschrieben, aufgebaut oder zusammengefügt hat, das jeder Einsichtige unschwer als mißglückt, brüchig oder widersprüchlich erkennen muß. So hat etwa May im III. Band des "Silbernen Löwen" unbekümmert darum, daß er sich bereits entschieden der allegorischen Darstellungsart zugewendet hatte, als I. Kapitel einen völlig belanglosen Resttext aus dem vorhergehenden Teil verwendet, nur weil er ihm erst jetzt wieder zugänglich war. Hans Wollschläger forderte daher: »Eine textkritische Ausgabe sollte dieses Kapitel fortlassen; Mays Sorglosigkeit in der Komposition rechtfertigt eine solche Nachhilfe.«(17) So verständlich eine solche Verärgerung ist, der Herausgeber einer historisch-kritischen Ausgabe darf ihr leider nicht nachgeben.

   Es müssen also, sofern vom Autor her nichts dagegen spricht, auch alle Unstimmigkeiten, ja Widersinnigkeiten in seinem Text unangetastet bleiben, so wie umgekehrt alle Eingriffe von fremder Hand auszuscheiden sind und natürlich erst recht alle Veränderungen nach dem Tode des Autors.

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Jedoch – und damit gelange ich zum zweiten Teil meines Vortrages – jedoch bei Karl May ist dies nicht genug. Bei Karl May ist alles anders. Da fängt auch das eigentliche Problem einer historisch-kritischen Ausgabe erst an, wo es für andere abgeschlossen ist. Mit der Maxime vom Willen des Autors vermögen wir das Phänomen Karl May textkritisch noch lange nicht auszuloten.

   Das Wort vom »Phänomen Karl May« hat Heinz Stolte geprägt, und sein Buch über den "Volksschriftsteller Karl May" ist jetzt heranzuziehen,(18) bevor die weiteren textkritischen Probleme einer Karl-May-Ausgabe zu überlegen sind. Stoltes Untersuchung war grundlegend und ist bis heute nicht eingeholt, denn die Karl-May-Forschung hat unterdessen zwar eine Fülle neuer Erkenntnisse gewonnen und dabei vielfache Methoden angewendet, aber die volkskundliche Betrachtungsweise Stoltes wurde nicht fortgeführt. Wenn hier vom »Volksschriftsteller« die Rede ist, steht das Wort "Volk" nicht im Sinne von Gesamtvolk, Nation, sondern es bedeutet dasselbe wie in den Zusammensetzungen "Volkslied, Volksmärchen, Volksschauspiel", nämlich eine gewisse sozial-kulturelle Unterschicht, die sich von einer Oberschicht durch ihre Denkformen, ihre Traditionen, ihr ganzes Geistesleben unterscheidet. Ich brauche nicht zu betonen, daß die Begriffe


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"unten" und "oben" wertfrei zu verstehen sind. So wählte man für diese Unterschicht auch andere Bezeichnungen, etwa »volgus in populo« (Eduard Hoffmann-Krayer) oder »primitive Gemeinschaftskultur« (Hans Naumann), wobei man später das Wort "primitiv" durch das glücklichere "primär" ersetzte (Viktor v. Geramb). Die Theorie von den zwei Schichten und ihrer wechselseitigen Befruchtung ließ vor allem das Gesetz des »gesunkenen Kulturgutes« erkennen, wonach viele Erscheinungen des Volkslebens, insbesondere der Volksdichtung, aus der Oberschicht stammen, an die Unterschicht abgegeben und dort verwandelt wurden. (19)

   Stolte hat nun gezeigt, wie Karl Mays Wirkung darin besteht, daß er – und hier darf ich den Worten meines Lehrers Viktor von Geramb folgen – daß May aus der Unterschicht, »aus dem vulgus ins individualisiert oberschichtliche Geistesleben emporstoßen will, aber im Tiefsten immer wieder seiner Herkunft verhaftet bleibt; so daß sich ihm aus vulgushaften, mystischen und oberschichtlichen heroischen Wesenheiten alles zu der ihm eigentümlichen Form der "heroischen Legende" gestaltet.«(20)

   Als »heroische Legenden«, als eine Mischung aus Heldensage und Legende, hatte Stolte aus seiner Sicht die Erzählungen Karl Mays charakterisiert, und vierzig Jahre später gelangte Gunter Sehm zu einem ähnlichen Ergebnis, indem er das Gefüge der mittelalterlichen Heiligenlegende bei May nachwies.(21) Aber auch die Parallelität, ja Identität mit dem Märchen wurde herausgearbeitet, so wie May sich selbst und mit Nachdruck als Märchenerzähler bezeichnete.(22) Wie immer er dies meinte, deutlich ist, was Claus Roxin wiederholt betonte, das »fast unerschöpfliche Arsenal mythologischer Grundmuster«, das »reiche archetypische Material« in Mays Werk,(23) so wie dieses ja auch auf Schritt und Tritt seine Nähe zum sogenannten mündlichen Epos kundtut.(24) Wenn nun für das Werk Karl Mays inhaltlich und strukturell die Verwandtschaft mit Gattungen der Volksdichtung wie Legende, Heldensage und Märchen deutlich gemacht wurde, so kann man auf dem Gebiet der Textgeschichte an eine weitere Erscheinungsform der Volksdichtung, oder hier besser gesagt: der volkstümlichen Literatur, anknüpfen – an das Volksbuch.

   Ich meine hier den Begriff "Volksbuch" nicht in einem übertragenen, ausgedehnten Sinn, sondern als bestimmten wissenschaftlichen Terminus. Als Volksbücher bezeichnet man die im 15., 16. und bis ins 18. Jahrhundert massenhaft verbreiteten anonymen Prosaromane ganz verschiedener, oft oberschichtlicher Herkunft mit sehr variablen Inhalten, zu denen durchaus Legendenstoffe wie die "Genovefa", Heldensagen wie der "Hürnen Seyfried" (Siegfried mit der Hornhaut) oder realistisch getönte Märchenerzählungen wie der "Fortunatus" gehören.(25)

   Wichtig ist die Art, wie die Volksbücher tradiert wurden. Jeder Verleger konnte damals drucken, was er wollte, und mit dem Werk verfah-


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ren [verfahren], wie er wollte. Da wurden die Texte spektakulär umgeformt und erweitert oder auch verkürzt, sie wurden für ein ständisch wie literarisch anspruchsvolleres oder auch anspruchsloseres Publikum eingerichtet, sie wurden in ihren didaktischen Ansprüchen eingeschränkt oder erweitert, und sie wurden in größerem oder kleinerem Ausmaß an veränderte Verstehensmöglichkeiten oder Gebrauchsinteressen angepaßt.(26)

   Und nun wird schon deutlich, worauf ich hinaus will: Genau das gleiche ist mit den Texten Karl Mays nach seinem Tode geschehen. Sie wurden umgeformt und bearbeitet, und alles, was soeben über die Änderungen der Volksbücher zu sagen war, könnte großteils wörtlich auf die Karl-May-Texte übertragen werden.

   Ein solcher Vorgang ist im 20. Jahrhundert einzigartig. Im Vergleich mit den Volksbüchern gewinnt er seine historische Dimension. Zudem wirft er ein neues Licht auf Karl May als Volksschriftsteller und erweitert die inhaltliche und strukturelle Verwandtschaft mit der Volksdichtung um die überlieferungsmäßige und textgeschichtliche. Unter diesem Aspekt kann man Karl Mays Werke mit Fug als die Volksbücher des 20. Jahrhunderts bezeichnen.

   Karl Mays Werke können um so mehr die Volksbücher des 20. Jahrhunderts genannt werden, wenn man die Auflagenhöhe berücksichtigt. Ein Jahr nach dem Tode Mays, 1913, betrug die Auflagenhöhe 1.610.000 Bände. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war sie auf 9.380.000 Bände angewachsen. Zehn Jahre später waren es 12.363.000, 1963 bereits 25.156.000 Bände. Nach dem Ende der Schutzfrist erfolgte ein neuerlicher, sprunghafter Anstieg auf ca. 40 Millionen, die bis 1978 auf ca. 56 Millionen wuchsen. Heute dürften es ca. 70 Millionen Bände sein. Das sind aber nur die Auflagenhöhen des Karl-May-Verlages, zu denen die anderen Ausgaben treten, die es seit 1963 gibt. Die Zahl der Leser liegt aber zweifellos noch über der Auflagenhöhe. Man hat beim Bestseller einen Lesefaktor von 3,5 errechnet, so daß wir zu wahrhaft schwindelerregenden Summen gelangen.(27)

   Aber bleiben wir bei den gesicherten Zahlen des Karl-May-Verlages, zu denen für Karl Mays Lebzeiten noch die Auflagen der Lieferungsromane kommen, die ca. 1 Million betragen haben sollen. Wir können also annäherungsweise annehmen, daß etwa 2,5 Millionen Bände bis zum Tode Mays erschienen waren, die den autorisierten (und teilweise auch nicht autorisierten) Text enthalten, aber etwa 68,5 Millionen mit einem Text, der nach dem Tode des Autors mannigfachen und umfänglichen Veränderungen unterworfen war.(28) Es bedarf keiner Frage, von welchen Texten mehr an Wirkung ausging, von den authentischen oder den postumen. Denken wir doch an uns selbst: wer von uns hat schon seine Karl-May-Lektüre mit oder nur mit den authentischen Texten begonnen? Wir haben doch alle erst sehr viel später darauf zurückgegriffen.


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   Hier spielt die Rezeption mit ihren postumen, bearbeiteten Texten mindestens eine solche Rolle wie der Wille des Autors mit seinen authentischen Texten, ja es ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher, daß die Originale auf die Dauer keineswegs einen so großen und so lange anhaltenden Zuspruch gefunden hätten wie die Bearbeitungen.

   An diesem Sachverhalt, der die authentischen und die postumen Texte im ungefähren Verhältnis von 1:30 zeigt, kann aber eine historisch-kritische Ausgabe nicht vorbeigehen. Sie muß, so oder so, auch den Textveränderungen nach Mays Tod ihre Aufmerksamkeit widmen.(29)

   Man nahm gegen die Bearbeitungen der authentischen Texte Mays scharf Stellung und hat natürlich vom philologischen Standpunkt aus vollkommen recht.(30) Aber der ganze, in der Tat unerhörte Hergang muß auch literatursoziologisch betrachtet werden.

   Als Euchar Albrecht Schmid gemeinsam mit Klara May 1913 den Karl-May-Verlag gründete, war es sein erklärtes Bestreben, dem Menschen und Autor Karl May wieder Ansehen und Ruhm zu verschaffen. Er plante »die Angliederung des umfangreichen literarischen Nachlasses Karl Mays an die [Freiburger] Gesammelten Werke«, was er in die Tat umsetzte, indem er die Rechte an den bei der Union Stuttgart erschienenen May-Bänden sowie an den Münchmeyer-Romanen zurückerwarb und sofort deren »Durchsiebung und Umarbeitung« in Angriff nahm. Wie Schmid ausdrücklich betont, war »von Anfang an vorgesehen, daß sämtliche Werke Karl Mays allmählich kritisch durchgesehen, durchgefeilt und von unleugbaren Schwächen, wie Weitschweifigkeit und Wiederholungen im Wechselgespräch, Fremdwörtern und anderen stilistischen Mängeln sowie gelegentlichen Entgleisungen in der Handlung befreit werden.«(31)

   Indem Schmid sich mit Karl Mays Werk und Wirken sozusagen identifizierte, gewann er zu den May-Texten ein eigentümliches Verhältnis, von dem man nicht weiß, ob man es naiv oder selbstherrlich nennen soll. Er behandelte die Texte Mays in der Tat mit derselben Freiheit, mit der die Renaissance- und Barockverleger die Texte der Volksbücher behandelt hatten. Freilich waren bei gleichem Vorgehen die Umstände andere. Die Volksbuchverleger wußten nichts von den Autoren der ihnen vorliegenden Texte und folgten mit ihren Eingriffen dem rechtlosen Brauch der Jahrhunderte. Schmid war seinem Autor persönlich verbunden gewesen und urheberrechtlich durch Klara May abgesichert.

   Schmid war von seiner Aufgabe so durchdrungen, daß er auch um eine ideelle Rechtfertigung nicht besorgt gewesen zu sein scheint. In der Tat konnte er sich in vielem auf Karl May selbst berufen. Einmal hat er dies unmittelbar getan. In einem erst nach Schmids Tod veröffentlichten Aufsatz äußert er sich darüber, daß die Lieferungsromane in der


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Form ihrer Erstdrucke keine Aufnahme in die Gesammelten Werke hätten finden können, und fährt dann fort: »sie bedurften einer sorgfältigen Durchfeilung, Bearbeitung und Verbesserung durch mich und meine Mitarbeiter, wobei ich mich oft auf meine sich von Fall zu Fall sogar bis in kleine Einzelheiten erstreckenden Unterredungen mit Karl May stützen konnte.«(32)

   Aber selbst im Allgemeinen durfte Schmid eine Rechtfertigung bei May finden, vor allem in den Aussagen des späten May über die Einheit seines Gesamtwerkes. May hatte ja in der Autobiographie sein ganzes "Leben und Streben" unter das Motto "Ardistan und Dschinnistan" gestellt und behauptet, von Anfang an seine Reiseerzählungen als symbolische Märchen geplant zu haben.(33) In der Forschung ist man geteilter Meinung, ob ihm im Grunde zuzustimmen sei oder nicht. Hier würde diese Frage zu weit ab führen.(34) Sicher ist, daß der späte May in diesem Sinne stark stilisierte, so etwa in der Feststellung der Autobiographie:

Darum beginnen diese Erzählungen mit dem ersten Bande in der "Wüste". In der Wüste d. i. in dem Nichts, in der völligen Unwissenheit über Alles, was die Anima, die Seele und den Geist betrifft. Indem mein Kara Ben Nemsi, das "Ich", die Menschheitsfrage, in diese Wüste tritt und die Augen öffnet, ist das Erste, was sich sehen läßt, ein sonderbarer kleiner Kerl . . . (35)

Dieser Band aber hieß erst ab 1895 "Durch die Wüste", er hatte zuvor den Titel "Durch Wüste und Harem" getragen, was ja nicht gerade auf die Menschheitsfrage deutet und eher an die Kolportage-Zeit erinnert. Das kleine Beispiel zeigt, wie May der Einheit seines Gesamtwerkes nachhalf. Das tat er ja auch mit der Veränderung der Marah Durimeh im II. Band, die wir besprochen haben, und das tat er, wenn er frühere Erzählungen veränderte, um sie in spätere Romane einzupassen.

   Wenn E. A. Schmid nun bestrebt war, Mays Werke zu vereinheitlichen, so konnte er sich also durchaus als Vollstrecker dessen fühlen, was May erklärt und begonnen hatte. Dem widerspricht übrigens auch nicht – was öfter als Gegenargument herangezogen wird –, daß May behauptet hatte, er habe Korrekturen und Kürzungen nie geduldet.(36) Den Gegenbeweis liefert unter anderem die bekannte Tatsache, daß, als ein Redakteur Keiter 440 Seiten aus dem Manuskript von "Satan und Ischariot" auf eigene Faust ausschied, May sie nicht mehr einfügte, obwohl er bei der Herausgabe des Romans in den "Gesammelten Reiseerzählungen" leicht die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Es ist übrigens bezeichnend, daß Schmid, der über diese Begebenheit einen Aufsatz schrieb, stolz berichtet, Franz Kandolf habe auf seine Bitte »jene von Keiter gestrichenen 440 Seiten derart neu verwendet, daß er daraus zwei in sich abgeschlossene Novellen schmiedete.«(37)

   Jedenfalls griff E. A. Schmid offenbar mit dem reinsten Gewissen in


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die Texte Mays ein und gestaltete die neue Ausgabe, die Radebeuler beharrlich und unbeirrbar so, wie er es sich vorgenommen hatte. Es ist wohl als sicher anzunehmen, daß er damit den Autor May rettete, vielleicht auch vor dem halben oder ganzen Vergessen bewahrte, das Autoren wie Gerstäcker oder Möllhausen traf, und jedenfalls die Grundlage für die weitere und um so viel größere Ausstrahlung der Werke Mays schuf.

   Über die Bearbeitungen in der Radebeuler und Bamberger Ausgabe referierten Walther Ilmer, Helmut Schmiedt, Jürgen Wehnert und andere, und in den Publikationen der Karl-May-Gesellschaft wurden aufschlußreiche Vergleichslesungen veröffentlicht.(38) Ich selbst habe für mich die Bände "»Weihnacht!«" und "Am Jenseits" in der Freiburger Radebeuler und Bamberger Ausgabe und zusätzlich in der Ueberreuter-Taschenbuchausgabe kollationiert und von den Lieferungsromanen "Das Waldröschen" und "Deutsche Herzen – Deutsche Helden" mit der Radebeuler Bearbeitung verglichen.

   Es ist nicht der Sinn dieses Vortrages, jetzt Listen von Varianten aufzuzählen. Nur soviel sei in Erinnerung gerufen, daß die Eingriffe alle Möglichkeiten ausschöpfen. Sie reichen von einzelnen Korrekturen, Aktualisierungen, Ersetzung von Fremdwörtern – was Claus Roxin angeprangert hat(39) – über stilistische Glättungen, Kürzungen, Umstellungen, Neuformulierungen, Um- und Neubenennungen bis zur Schaffung neuer Gesamtfassungen – so etwa im Band "Und Friede auf Erden" – und zur Umschichtung ganzer Bände, so des mittleren "Old Surehand"-Bandes, bei dem die Einzelerzählungen, die den Gesamtverlauf der Fabel tatsächlich stören, in den Band "Kapitän Kaiman" gepackt wurden.(40) Ja, die Eingriffe konnten sich verselbständigen und zur Neuschöpfung des ganzen Bandes ,In Mekka" führen, der immerhin noch den Namen seines Verfassers, Franz Kandolf, trägt. In den alten Karl-May-Jahrbüchern lieferte Otto Eicke überdies detaillierte Fortsetzungen der Spätwerke Mays, so zuletzt die nicht weniger als 60 Seiten umfassende Inhaltsangabe einer Fortsetzung von "Winnetou IV", genannt "Winnetous Testament". Diese Pläne gelangten allerdings – Allah und Manitu seien gepriesen! – nicht zur Ausführung und in die Ausgaben.(41)

   Die Bearbeitungen beschränkten sich andererseits nicht auf die Werke fiktiven Inhalts, also auf die Romane und Erzählungen, sondern sie griffen auch in die Autobiographie ein. So ist in der Radebeuler Ausgabe, 11. Auflage (1931) bis 20. Auflage (1942), und noch in den ersten Auflagen der Bamberger Ausgabe der Satz eingeschoben:  » V o l k s schriftsteller wollte ich sein!«, wobei »Volks-« gesperrt gedruckt ist und anderes meint als Stolte mit seinem Titel.(42)

   Im ganzen sind die Bearbeitungen unterschiedlich. Sie bringen von Inhalt und Form her gesehen, teils echte Verbesserungen, teils


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"Verböserungen", und teilweise sind sie so überflüssig, daß der Eindruck entsteht, man habe verändert nur um des Veränderns willen.

   Daß die Bearbeiter selber Fehler begehen, Inkonsequenzen in den Texten nicht ausmerzen und sogar neue hineinbringen, hat Walther Ilmer aufgezeigt.(43) Davon greife ich einen Hinweis als Beispiel heraus, denn er bezieht sich auf die vorhin besprochenen Änderungen Mays im Band "Durchs wilde Kurdistan". In der Radebeuler Ausgabe (in allen Auflagen bis zur letzten, 233.–262. Tausend, 1940 [*)]) ist nämlich Marah Durimeh zuerst als totenähnlich geschildert; Sie erinnern sich: ihr fürchterlich hageres Gesicht machte geradezu den Eindruck eines Totenkopfes (S. 207) [**)]; gegen Ende des Bandes aber wird ihr hochehrwürdiges, orientalisch schönes Angesicht (S. 594) beschrieben.[***)]

   Nun eine kleine textkritische Denksportaufgabe. Die Radebeuler Ausgabe schließt sich zum Teil, jedenfalls auch im "Kurdistan"-Band, noch eng an die autorisierte Freiburger an. Aus dieser wissen wir, daß die geänderte Beschreibung der Marah Durimeh von May selbst stammt, ebenso natürlich die ursprüngliche Beschreibung mit dem Totenkopf. Radebeul kann hier nichts erfunden haben und muß also auf eine Freiburger Auflage zurückgehen, in der tatsächlich die beiden gegensätzlichen Schilderungen nebeneinander bestanden haben. Da nach den Kollationierungen von Ilmer und Pielenz bis zum 40. Tausend, 1900, beide Stellen einheitlich die Aussage über den Totenkopf enthielten, ab dem 46. Tausend, 1904, beide Stellen einheitlich geändert waren, so wäre logisch, wenn auch nur hypothetisch zu erschließen, daß im 41.–45.Tausend zwischen 1900 und 1904 Karl May zunächst nur die eine Stelle, nämlich die spätere (S. 594), geändert habe, also schrittweise vorgegangen sei.(44)

   Eine solche philologische Schlußfolgerung stimmt freilich nur dann, wenn auf den Titelblättern die Verlagsangaben über die Auflagen (bzw. Tausend) verläßlich sind. Aber das scheint hier nicht zuzutreffen. Ich selbst habe – übrigens erst während des Kongresses in Wien ein Freiburger Exemplar des II. Bandes in die Hand bekommen, das zwar auf dem Titelblatt die Angabe »46.–50.Tausend« trägt, jedoch beide in Frage kommenden Textstellen (S. 207 und 594) noch in der ursprünglichen Fassung, also mit der Beschreibung des Totenkopfes, enthält. Das heißt, daß in einigen oder mehreren Exemplaren des 46.–50. Tausend alte Druckbogen mit dem neuen Titelblatt versehen wurden, daß diese also als Titelauflage zu bewerten sind. Wenn jedoch so etwas überhaupt geschah, könnten auch alte und neue Druckbogen zusammengebunden worden sein, so daß Mischexemplare entstanden, welche an der einen Stelle die ursprüngliche, an der andern die geänderte Leseart enthielten; damit wäre die oben vorgebrachte Schlußfolgerung ausgeschaltet.

   Wie dem auch sei, wie immer Fehsenfeld in seiner Freiburger Aus-


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gabe [Ausgabe] vorging, sicher ist, daß Radebeul unglücklicherweise als Druckvorlage für den II. Band gerade ein uneinheitliches Freiburger Exemplar benützt haben muß, sei es (sofern unsere erstere Argumentation zutrifft) ein einheitliches Exemplar aus der Auflage 41.–45. Tausend, sei es ein Mischexemplar, das ja dann mit einem Titelblatt aus irgendeiner Auflage versehen sein konnte.(45)

   Werfen wir noch einen Blick auf die Umarbeitung der Kolportageromane in der Radebeuler Ausgabe. Bereits in seiner Zeugenaussage vom 12. Dezember 1912 hatte E. A. Schmid erklärt, er vermesse sich, »die ganzen "unsittlichen" Bände in kurzer Zeit von allen Schlacken zu säubern«, und falls man die Kürzungen auch auf die »Weitschweifigkeiten ausdehnen würde, so entständen tadellose, hochinteressante Bücher, die man gut und gern in Mays Gesammelte Werke aufnehmen könnte«. Genau das führte Schmid alsbald durch, so daß er schon 1919 sagen konnte: »Bei uns aber unterliegen die Werke nunmehr einer eingehenden, sorgfältigen Bearbeitung; sie werden von Fremdkörpern und Weitschweifigkeiten befreit, in ihren Schwächen verbessert, und was ich damals in meinem Gutachten über den in ihnen liegenden guten Kern sagen konnte, gewinnt jetzt an tatsächlicher Bedeutung.« 1926 schließlich berichtete Schmid vom Erscheinen des ehemaligen "Waldröschens", das nun »von allem fremden und überflüssigen Beiwerk befreit« sei.(46)

   Unter den Kolportageromanen Mays wurde das "Waldröschen" von der Forschung am häufigsten behandelt, nach vielen Richtungen hin untersucht und teilweise einigermaßen überschätzt. Mit Recht jedoch hat man, so Gert Ueding, den Roman als Prototyp der Kolportage gesehen und seine zeitgenössische Wirkung auf »das Verlangen breiter Schichten der Bevölkerung nach einem Gegenbild zur Auswegslosigkeit und Stagnation der gesellschaftlichen Verhältnisse« zurückgeführt.(47) Aber gattungsmäßige und literatursoziologische Erkenntnisse aus der ursprünglichen Fassung zu gewinnen, ist ein anderes, als diese um ihre späteren rezeptions-ästhetischen Möglichkeiten zu befragen. Das 20. Jahrhundert, schon gar dessen zweite Hälfte, weist eine andere soziale und zivilisatorische Struktur auf, so daß die Frage berechtigt erscheint, ob der Roman in seiner originalen Gestalt für einen unvoreingenommenen modernen Leser überhaupt noch erträglich sei. Zwar weht streckenweise bereits der Atem des echten Karl May darin, aber daneben geht das naive Erzählertalent ausgedehnte und diffuse Umwege: wie etwa in der umständlichen Geschichte des Herzogs von Olsunna, die zur Geburt des Helden Sternau führt, oder in der um Zarba spielenden Zigeunerhandlung, die blind, das heißt ohne Zweck und Wirkung neben der Haupthandlung herläuft und auch keinerlei Auflösung erfährt. Oder der Erzähler erlaubt sich so seltsame, ja groteske Eskapaden wie diejenigen Szenen, in denen die Schurken gekitzelt


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werden, bis ihnen unter entsetzlichen Qualen der Schaum vor dem Mund steht, der dann das Gegengift für die von ihnen wahnsinnig Gemachten bildet.(48) Solche Struktur- und Handlungselemente sind für den Literaturwissenschaftler oder den Volkskundler oder den Karl-May-Spezialisten überhaupt gewiß aufschlußreich; das normale Lesepublikum von heute wird damit so wenig anfangen können, daß eine positive oder gar massenhafte Rezeption der Originalfassung nicht mehr denkbar wäre.

   Die Radebeuler Ausgabe hat dieses »Beiwerk«, wie Schmid es nannte, eliminiert; sie hat darüber hinaus auch sonst eingegriffen, etwa durch Umstellungen, die den Roman mit der Verfolgung durch die Komanchen signifikant beginnen lassen, oder die jene Handlungen, die in Deutschland um den Leutnant Kurt spielen und im Original durch eintausend Seiten getrennt sind, zusammenfassen und hintereinander bringen.(49)

   Man mag diese starke Bearbeitung philologisch ablehnen oder sozialkritisch bedauern. Sicher ist, daß das "Waldröschen" erst in dieser gestrafften Form, die ja noch immer fünf Bände ausmacht, vor der Vergessenheit bewahrt blieb und wieder weite Verbreitung fand. Walther Ilmer hat völlig recht, wenn er das geradezu klassische Urteil abgibt: »Seit ich die Originale kenne, weiß ich die Bearbeitungen zu schätzen.«(50)

   Dasselbe gilt für den Roman "Deutsche Herzen – Deutsche Helden", den ich als letztes Beispiel bringe. Über die Schwächen der Originalfassung hat wiederum Walther Ilmer ausführlich gehandelt. Er hat aufgezeigt, wie der Autor dem Leser alle, aber auch alle Gründe für das schreckliche Schicksal der Familie Adlerhorst, für das rätselhafte beharrliche Schweigen sämtlicher Familienmitglieder sowie für manche geheimnisvolle Andeutungen schuldig bleibt, und er hat diesen Roman, der von seiner Anlage her ein »Meisterstück der Spannungsliteratur« hätte werden können, überzeugend als »den absoluten Tiefpunkt« in Karl Mays erzählerischem Schaffen charakterisiert.(51)

   Wiederum grotesk erscheint der Schluß, der die bereits auf allen Linien siegreichen "deutschen Helden" eine Komödie vor den beiden Hauptschurken aufführen läßt – sie täuschen nämlich durch ein scheinbares Abstürzen in einen Brunnenschacht den eigenen Tod vor –, nur um diese Schurken noch einmal nach Herzenslust recht erschrecken zu können. Der Forscher wird hier vielleicht wieder Anklänge an die Volksbücher oder Einflüsse einer anderen volkstümlichen Literaturgattung feststellen, die auf May zugegebenermaßen stark einwirkte: nämlich des Puppenspiels und Kasperltheaters.(52) Auf den normalen heutigen Leser muß ein solcher Schluß einfach läppisch wirken.

   Euchar Albrecht Schmid bemerkte, daß in diesem Roman bereits Formen, Fabeln und Figuren der späteren Reiseerzählungen angelegt,


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ja vorweggenommen seien, und so richtete er seine Bearbeitung danach aus, wie er selbst bekundet: »Im Fall der Erzählung "Deutsche Herzen – Deutsche Helden" erkannten wir, daß große Teile des früheren zweiten Kapitels ("Die Königin der Wüste") mit der Haupthandlung wenig zu tun hatten. Wir schälten den betreffenden Text deshalb heraus und verwandelten den Haupthelden (Oskar Steinbach, das ist, äußerlich betrachtet, ein Kara Ben Nemsi in wenig veränderter Gestalt) in den "richtigen" Kara Ben Nemsi. Es lag nahe, nunmehr dieses Buch (heute: Bd. 60 "Allah il Allah", 1930) von der Er-Form in die Ich-Form überzuführen [ . . . ] Folglich mußten wir dem Helden auch den unvermeidlichen Hadschi Halef Omar hinzufügen, was nicht leicht war. Nunmehr liegt in der Erzählung "Allah il Allah" eine in sich abgeschlossene Geschichte vor, die sich sinngemäß in die Lücke von Band I "Durch die Wüste" eingliedert.«(53)

   Die Radebeuler Bearbeitung beschritt hier also besonders eigene, aber auch typische Wege, wobei sie in der Tat mit nicht geringen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Denn die verschiedenen Erzählperspektiven, die es in der ursprünglichen Er-Form gab, mußten nun alle auf eine, die Ich-Perspektive, vereinigt werden, so daß manche (übrigens stets geschickt durchgeführte) Umdrehungen von Begebenheiten nötig waren.

   Auch die christlich-humane Gesinnung der Reiseerzählungen wurde angestrebt und erreicht. So etwa  i s t  Steinbach ein politischer Abgesandter, der einem arabischen Stamm Gewehre bringt; Kara Ben Nemsi dagegen  f i n d e t  die Gewehre, die für den gegnerischen Stamm bestimmt sind, er bringt sie nun auch, aber nicht aus politischen, sondern aus humanen Gründen. In der neuen Fassung ist auffällig, wie häufig Mays Weltanschauung auseinandergesetzt und der Leser in diesem Sinne vom Ich-Erzähler angesprochen wird. Die Bearbeiter Schmid und Kandolf wollten wohl die Verbindungen zu den anderen Erzählungen noch enger knüpfen, vielleicht auch eine Annäherung an den A1tersstil Mays erreichen.(54) Jedenfalls erscheinen auf diese Weise der Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi mit Halef plötzlich noch einmal am Ende der Radebeuler Ausgabe, und dies – wie ich mich erinnere – sehr zur Freude des Lesers.

   Auch die übrigen Teile der "Deutschen Herzen" wurden, wenn auch nicht so ausschließlich an das Gesamtwerk herangebracht. E. A. Schmid berichtet, wie die Gestalt Steinbachs in den drei weiteren, nun zusammenhängenden Bänden (61–63) völlig ausgeschaltet und seine Taten und Gespräche verteilt wurden, einerseits an die Brüder Adlerhorst, andererseits an »den allbekannten und bei zahlreichen Karl-May-Freunden besonders beliebten Old Firehand.« Weiter: »Der spleenige Engländer Lord Eaglenest ließ sich verhältnismäßig leicht in Sir David Lindsay umwandeln« (weshalb der Lindsay aus dem "Wald-


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röschen [Waldröschen]" in Dryden umgetauft wird) und: »Aus dem Trapper-Kleeblatt Sam Barth, Jim Snaker und Tim Snaker ergab sich naturgemäß das gleichartige Kleeblatt Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker, und den Apatschen "Starke Hand" gestalteten wir in Winnetou um.« Schmid faßt zusammen: »Alle diese Umbenennungen erwiesen sich als notwendig, denn die Personen ähnelten ihren berühmten Vorbildern [besser wohl: Nachfolgern] aus den Reiseerzählungen Mays gar zu deutlich; jeder vernünftige Leser unserer Ausgaben hätte andernfalls mit Recht gefragt: "Warum tragen die bekannten Helden sämtlich falsche Namen?"«(55)

   Klarer als mit dieser angenommenen Leserfrage kann die Tendenz der Bearbeitungen des Karl-May-Verlages nicht ausgedrückt werden. Am Schluß stellt Schmid noch fest: »Ungeklärte Probleme bleiben bei unserer Buchfassung nicht mehr übrig.« Damit hatte er recht. Schmid und Kandolf haben nicht nur die Ursachen für das Unglück der Familie Adlerhorst neu eingefügt, sondern auch einen wirklich eindrucksvollen, packenden Schluß geschaffen. Sie haben jedoch die Neufassung noch zusätzlich mit den "Gesammelten Werken" in Verbindung gebracht, indem sie in einem Schlußabschnitt das berühmte Kleeblatt nach Radebeul versetzten, wo es die ganze Fabel dem dort schreibenden Old Shatterhand erzählt.(56)

   Gerade unser letztes Beispiel läßt erkennen, wie bruchlos die Einbindung in das übrige Werk Mays gelang. Die so gestalteten und umgestalteten, allmählich auf 65 Bände angewachsenen "Gesammelten Werke" der Radebeuler Ausgabe wurden nun, wie die Auflagenhöhen beweisen, weit stärker rezipiert als die authentischen Texte.

   Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Bamberger Ausgabe die Bearbeitung mit der Tendenz zur Vereinheitlichung verstärkt fort und dehnte sie auf alle Bände aus, so daß immer mehr ein in sich geschlossenes und verzahntes Gesamtwerk entstand, das eine neue, wesentlich gesteigerte Auflagenhöhe erreichte. Über diese Bearbeitungen hat Roland Schmid verschiedentlich berichtet, der zudem in der Fehsenfeld-Reprintausgabe vorzüglich, gediegene und ergebnisreiche Nachworte vorlegte.(57)

   Daß die Bearbeitungen allerdings ihre oft so starken Eingriffe verharmlosen oder gar verleugnen, ist freilich wieder eine Sache für sich. Im 74. Band wird sogar eine Erklärung Klara Mays vom 21. August 1930 abgedruckt, wonach sie, die Witwe, bestimmt: »Ich erkläre mich ausdrücklich damit einverstanden, daß der Mitarbeiter und verantwortliche Geschäftsführer Dr. jur. Euchar Albrecht Schmid, unterstützt von den Mitarbeitern seiner Wahl, an den Werken meines verstorbenen Mannes, des Schriftstellers Karl May, alle nötigen Verbesserungen und Überfeilungen bewirkt. Die von Dr. Schmid und seinen Mitarbeitern vorgenommenen Bearbeitungen, die Karl May selber


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nicht mehr vornehmen konnte, haben als einzig giltige Ausgabe letzter Hand, als editio ne varietur zu gelten.«(58) Daß eine solche wunderliche Erklärung weder philologisch noch juristisch noch auch ideell sinnvoll und bindend ist, liegt auf der Hand. Und selbst wenn man sie ernst nehmen wollte, hat sich der Karl-May-Verlag mit der Veröffentlichung keinen guten Dienst getan, denn eine solche Erklärung müßte sich auf die Zeit ihrer Abgabe, also 1930, beziehen, so wie sie ja auch nur von »vorgenommenen«, aber nicht von vorzunehmenden Bearbeitungen spricht; sie könnte höchstens bis zum Tode E. A. Schmids ausgedehnt werden. Alle späteren Bearbeitungen würden also nicht einmal mehr unter diese Pseudo-Autorisation fallen.

   Aber darum geht es hier nicht. Es geht hier darum, daß Karl May, aus welchen Gründen immer, mit den so stark veränderten Texten der Radebeuler und Bamberger Ausgabe noch weitaus mehr Leser anzog als zuvor mit seinen authentischen Texten. Es geht darum – wie es Martin Lowsky formuliert – daß Mays Werke »mittlerweile ein Eigenleben als mythischer Kosmos angenommen haben und dieses noch in den banalsten Vermarktungen bewahren.«(59) Diese erstaunliche Tatsache, die in der Literaturgeschichte einmalig dasteht, gehört ebenfalls und vor allem zum »Phänomen Karl May«, und muß daher wissenschaftlich untersucht werden. Hier hat die Rezeptionsforschung ihren Platz. Aber sie bedarf einer Grundlage, und eine solche könnte nur durch eine historisch-kritische Ausgabe auch der bearbeiteten Texte geboten werden.

   Verstehen Sie mich recht: ich kämpfte und kämpfe stets gegen eine Überbewertung der Rezeption, so wenn einige moderne Editionswissenschaftler die Einwirkungen der Rezeption über den Willen des Autors stellen wollen.(60) Aber hier handelt es sich um etwas anderes. Natürlich soll und muß das Bestreben einer historisch-kritischen Ausgabe zunächst dahin gehen, einen Text zu edieren, der dem Willen des Autors entspricht und die authentischen Fassungen und Varianten bietet, – was übrigens niemals durch den Abdruck von Reprints zu ersetzen ist.

   Aber jeder Autor – und das gilt allgemein – braucht eine historisch-kritische Ausgabe, die für ihn zugeschnitten ist. Das Phänomen Karl May braucht deren zwei. In einer zweiten Abteilung müßten die bearbeiteten Texte historisch-kritisch ediert werden, angefangen schon zu Lebzeiten Mays(61) bei den Bearbeitungen der Lieferungsromane durch Paul Staberow(62) über die Radebeuler Ausgabe mit ihren verschiedenen Fassungen bis zur heutigen Bamberger Version. Das ist eine theoretische Forderung. Wie weit sie durchführbar ist, muß überlegt werden. Daß die zweite, die historisch-kritische Ausgabe der Bearbeitungen, ein Mammutwerk sein würde, ist klar. Man könnte sie unabhängig von der ersten als zweite Reihe oder überhaupt als eigene, getrennte


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Ausgabe veranstalten, oder man könnte die Bearbeitungen in einer Auswahl, modellhaft, vorstellen, wobei allerdings diese Auswahlausgabe in sich wiederum streng historisch-kritisch vorzugehen hätte.

   Wie immer die praktische Durchführung auch aussehen mag, sicher ist, daß nur auf einer solchen Ausgabe die literaturwissenschaftliche, psychologische, soziologische und volkskundliche Erforschung der ungeheuren Wirkung des Phänomens Karl May aufbauen kann.

*

Für großzügige Hilfe bei der Beschaffung von Primär- und Sekundärliteratur darf ich Walther Ilmer auch an dieser Stelle herzlich danken.



1 Karl May's Gesammelte Werke Bd. 9: Winnetou III. Radebeul S. 374 – Vorher schon werden vom Erzähler ein brauner Mustanghengst sowie ein Rapphengst genannt (S. 371), und später wird der Schluß auf einen braunen Hengst noch einmal aufgegriffen (S. 381). Derselbe Text in Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IX: Winnetou der Rote Gentleman III. Freiburg 1893 S. 374, 371, 381 – vgl. auch Anm. 15

2 Karl May: Gesammelte Werke Bd. 9: Winnetou III. Bamberg S. 347 – Dazu vorher der Schluß des Erzählers auf einen °Fuchshengst sowie auf °entweder einen Rapphengst oder einen Braunen (S. 344), und später die entsprechende Anspielung auf den °Fuchs (S. 353) (°May-Zitate aus bearbeiteten Texten). [*)]

3 Die ganze Schlußfolgerung des Ich-Erzählers bleibt ein blindes Motiv, da die Pferdefarben keine Rolle mehr spielen. Der Leser erfährt also keine Bestätigung; die Szene ist nur da, um den Begleiter Old Shatterhands, der ihn für ein Greenhorn hält, zu beeindrucken.

   Entsprechend der Arbeitsweise Mays, der dieselben Motive öfter einzusetzen pflegt, findet sich auch dieses anderswo, nämlich im "Waldröschen", zwar undeutlicher, aber folgenreicher. Sternau erkennt aus einem Schweifhaar, dessen Farbe gar nicht ausdrücklich genannt wird, ein schwarzes Pferd, und aus dem Rothbraun eines Büschels aus unteren Kammhaaren (ein schiefer Ausdruck, der schlicht die Mähne meint) ein Pferd, das rothbraun sei. Der daraus gezogene Schluß auf den Jäger Grandeprise stimmt, denn dieser sagt später zu seinen beiden Pferden: »Immer toll, Rappe! Laß doch den Braunen gehen!« (Karl May: Das Waldröschen oder Die Verfolgung rund um die Erde. Dresden 1882. (Zit. nach dem Repr. einer späteren Ausgabe. Hildesheim–New York 1968ff. S. 1901 u. 1903))

   Die Radebeuler Ausgabe verändert diese Stelle geringfügig, folgt aber in bezug auf die Pferdehaare genau der ursprünglichen Fassung (Karl May's Gesammelte Werke Bd. 54: Trapper Geierschnabel. Radebeul S. 64 und 103). Die Bamberger Ausgabe greift ein, vielleicht in Erinnerung an die Korrektur im "Winnetou III", jedoch inkonsequent, so daß die Angaben über die Pferdehaare, die bisher sachlich falsch, aber in sich stimmig waren, nun gänzlich durcheinander geraten. Das unbezeichnete Schweifhaar, aus dem Sternau bisher ein schwarzes Pferd erkannte, läßt ihn in Bamberg ganz richtig auf ein °braunes oder ein schwarzes Pferd schließen. Da aber der Folgetext nicht geändert ist, führt ihn das Rotbraun der Kammhaare zu demselben Ergebnis wie bisher: °Das eine Pferd ist also schwarz und das andere rotbraun gewesen, was nun mit dem soeben vorgebrachten Schluß über das erste Pferd (ein °braunes oder ein schwarzes) in offenkundigem Widerspruch steht. Die später erwähnten Pferde des Jägers blieben auch in Bamberg wie bisher ein Rappe mit einem Braunen (Karl May's Gesammelte Werke Bd. 54: Trapper Geierschnabel. Bamberg S. 60 und 96) (°May-Zitate aus bearbeiteten Werken). [**)]


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4 Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910) S. 228 (Repr. Hildesheim–New York 1975, hrsg. von Hainer Plaul) – Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde. Reprint der Erstausgabe von 1936. Bamberg 1979 S.109, versteht diese Äußerung Mays und deren Kontext als Offenbarung des naiven Epikers (Vgl. dazu unten Anm. 18ff.). – Roland Schmid: Anhang (zu "Satan und Ischariot II"). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XXI. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1983, A22, vertritt die Meinung, daß sich die Äußerung Mays »im Grunde genommen nur auf seine persönliche Arbeitsweise bezieht und darum auch nur für die Handschriften Gültigkeit hat, nicht jedoch für die gedruckten Texte.«

5 Vgl. etwa Franz Kandolf: Der werdende Winnetou. In: Karl-May-Jahrbuch (KMJB) 1921. Radebeul 1920 S. 336–360. Bearbeitete Zusammenstellung aller einschlägigen Aufsätze Kandolfs durch Roland Schmid in: Anhang (zu "Old Surehand III"). In: Freiburger Erstausgaben Bd. XIX. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1983, A9–A63 – Hansotto Hatzig: Et in terra pax – Und Friede auf Erden. Karl Mays Textvarianten. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1972/73. Hamburg 1972 S. 144–170 – Heinz Neumann: Karl Mays frühe Buchausgaben und ihre Verwandlungen. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 15/1973 S. 14–19; M-KMG 16/1973 S. 11–14; M-KMG 17/1973 S. 9–14 – Roland Schmid: Zur Werksgeschichte. In: Karl May: Der Schatz im Silbersee. Stuttgart (1894). Repr. Bamberg/Braunschweig 1973, nach S. 521 – Gerhard Klußmeier: Karl May und Deutscher Hausschatz VII, VIII, IX. In: M-KMG 22/1974 S. 19f.; M-KMG 23/1975 S. 17–20; M-KMG 24/1975 S. 19–22 – Ekkehard Koch: Der Kanada-Bill. Variationen eines Motivs bei Karl May. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976 S. 29–46 (bes. S. 39ff.) – Hansotto Hatzig: Der "Mir von Dschinnistan". Karl Mays Textvarianten. In: M-KMG 30/1976 S. 23–32 – Walther Ilmer: Der Professor, Martha Vogel, Heinrich Keiter und Mays Ich. In: M-KMG 47/1981 S. 3–12, M-KMG 48/1981 S. 3–10 (bes. S. 7ff.) – Anton Haider: Vom "Deutschen Hausschatz" zur Buchausgabe. Vergleichslesungen. Sonderheft Nr. 50 der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1985 – Ulrich Schmid: Textkritik des Abenteuers – Abenteuer der Textkritik. Ein Versuch über Leben und Schreiben, über Kleben und Streichen (im vorliegenden Jahrbuch).

6 Eine historisch-kritische Ausgabe muß also die Gesamtheit der vom Autor gebilligten Texte umfassen, d. h. auch solche, die er nur in gewissen Zeitstufen seines Lebens gebilligt, dann aber verworfen hat, mit anderen Worten: sämtliche Textveränderungen, die er jemals vornahm. Aber der Herausgeber muß andererseits auch nachweisen, ob diese Änderungen wirklich vom Autor selbst stammen oder von ihm gebilligt wurden, und er muß sich vor selbstgewissen Behauptungen und autoritären Entscheidungen hüten. Denn in einer historisch-kritischen Ausgabe muß jede Textveränderung, jeder Druckvorgang, jede editorische Bemerkung belegt und nachprüfbar sein.

7 Vgl. das Gerichtsurteil vom 8. Oktober 1907, wonach diese Romane »durch Einschiebungen und Abänderungen von dritter Hand eine derartige Veränderung erlitten haben, daß sie in ihrer jetzigen Form nicht mehr als von Karl May verfaßt gelten können.« Zitiert von May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 255 – dazu zusammenfassend Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987 S. 62–123 (bes. S. 116f.), vgl. auch unten Anm. 8 und 62.

8 May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 315 – dazu Karl May: Ein Schundverlag. Ein Schundverlag und seine Helfershelfer. Prozeßschriften Bd. 2. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982 S. 352ff., 374ff. u. ö.

9 Vgl. einerseits etwa Euchar Albrecht Schmid: Die Münchmeyer-Romane. In: KMJB 1919. Breslau 1918 S.146–194: »Nicht autorisiert sind die bei Münchmeyer–Niedersedlitz erschienenen Buchwerke Mays« (S. 154) – ebenso Euchar Albrecht Schmid: Die Lieferungsromane Karl Mays. Radebeul bei Dresden o. J. (Sonderdruck aus KMJB 1926) S. 6. Indem Schmid diese Romane, wenn auch bearbeitet, in die Radebeuler Ausgabe aufnahm (vgl. unten Anm. 46 und 53ff.), widerlegte er selbst seine Aussage über die Nichtautorisation. – Andererseits Jürgen Wehnert: Zur abenteuerlichen Textgeschichte Karl Mays. In: Karl May. Hrsg. von Helmut Schmiedt. Frank-


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furt [Frankfurt] a. M. 1983 S. 310–336 (suhrkamp taschenbuch 2025): »ohne Bedenken als gleichermaßen authentisch« (S. 315) – Zu den Überlegungen, ob einzelne Romanstellen echt seien, vgl. etwa Klaus Hoffmann: Nachwort. In: May: Waldröschen wie Anm. 3 S.2619–2686 (bes. S. 2657ff.). – Walther Ilmer: Werkartikel "Deutsche Herzen – Deutsche Helden". In: Karl-May-Handbuch wie Anm. 7 S. 404–410 (bes. S. 404)

10 Vgl. etwa Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 21976 S. 213 (Diogenes Taschenbuch 20253) – Annelotte Pielenz: Karl Mays IIlustrierte Reiseerzählungen Band I–IX "Ausgaben letzter Hand"? Ergebnis einer Vergleichslesung. Sonderheft Nr. 9 der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1977 – Ekkehard Bartsch: Auswahlbibliographie der Karl-May-Gesamtausgaben und der Sekundärliteratur. In: Karl May, der sächsische Phantast. Studien zu Leben und Werk. Hrsg. von Harald Eggebrecht. Frankfurt a. M. 1987 S. 298–310 (bes. S. 299) (Fischer Taschenbuch 6873) – Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987 S. 4 (Sammlung Metzler 231) – Jürgen Wehnert: Bibliographie der Werke Karl Mays. In: Karl May. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1987 S. 279–288 (bes. S. 286) (Sonderband Text + Kritik) – Roland Schmid: Anhang Satan II wie Anm. 4, behauptet mit Recht, daß es eine Ausgabe letzter Hand »in Wirklichkeit nicht gibt« (A26).

11 Vgl. Karl Konrad Polheim: Textkritik und Interpretation. Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar in wissenschaftlichen Einzelausgaben. In: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft, Jg. VII (1976) S.127–135. Abgedruckt auch in: Ferdinand von Saar: Kritische Texte und Deutungen. Hrsg. von Karl Konrad Polheim. I. Bd: Marianne. Hrsg. von Regine Kopp. Bonn 1980 S. V–XVI – Karl Konrad Polheim: Ist die Textkritik noch kritisch? In: Germanistik – Forschungsstand und Perspektiven. Vorträge des Deutschen Germanistentages 1984. II. Teil. Berlin–New York 1985 S. 324–336

12 Pielenz: Mays Illustrierte Reiseerzählungen wie Anm. 10, die folgenden Zitate auf S. 5f., 16, 18

13 Die Textgeschichte ist jedoch schwierig zu verfolgen, da die Angaben des Verlages über die Auflagen (bzw. Tausend) nicht ganz verläßlich zu sein scheinen. Vgl. unten Text zu Anm. 45.

14 Das Allegorische betont mit Recht Heinz Stolte: Werkartikel "Ardistan und Dschinnistan I–II". In: Karl-May-Handbuch wie Anm. 7 S. 308–320 (bes. S. 311). – Es ist übrigens bemerkenswert, daß um dieselbe Zeit auch ein anderer Autor bewußt die Allegorie (und nicht Symbole) einsetzte: Hugo von Hofmannsthal im "Jedermann", 1911. Vgl. dazu Karl Konrad Polheim: Hofmannsthal und Richard Wagner. In: Drama und Theater im 20. Jahrhundert. Festschrift für Walter Hinck. Hrsg. von Hans Dietrich Irmscher und Werner Keller. Göttingen 1983 S.11–23 (bes. S. 22f.).

15 Karl May: Im "wilden Westen" Nordamerika's. In: Feierstunden im häuslichen Kreise, 9. Jg. (1883) S. 59, 31, 61. Faksimileausgabe unter dem Titel: Winnetou's Tod. Bamberg 1976 S. 62, 60, 64 – Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IX: Winnetou der Rote Gentleman III. Freiburg 1893 S. 374, 371, 381 – Karl May: Illustrierte Reiseerzählungen Bd. IX: Winnetou III. Freiburg 1909 S. 318f., 316, 325 – Zur Umarbeitung des "Winnetou" vgl. Pielenz: Mays Illustrierte Reiseerzählungen wie Anm. 10 S. 32–44.

16 Daß Karl May von Pferd und Reiter keine Ahnung hatte, zeigt übrigens auch jene Roßbändigerszene, die er wiederholt in seinen Werken verwendet und schon früh entworfen hat; erstmalig in der Erzählung "Unter den Werbern", in: Deutsches Familienblatt, 2. Jg. (1876) S. 12ff. (Repr. in: Karl May: Unter den Werbern. Seltene Originaltexte. Bd. 2. Hrsg. von Herbert Meier. Gelsenkirchen 1986 (KMG) S. 121–159). Im Kapitel "Die Reitprobe" heißt es über ein wildes Pferd: Aber wie eingemauert stak sein Leib zwischen den Schenkeln des Reiters, deren gewaltiger Druck ihm trotz der Anstrengung aller Muskeln und Fibern den Athem und die Bewegung raubte. Es war ein Anblick zum Angstwerden. Hier kämpfte nur Körperkraft gegen Körperkraft, und die geistige Ueberlegenheit des Menschen war für den Augenblick suspendirt. Die Stirnadern des muskelstarken Mannes traten blau und angeschwollen hervor; blutroth lag die Anstrengung auf seinem Gesichte . . . Der Odem des Rappen drang


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pfeifend durch die Nüstern; die Beißkette knirrschte unter den vor Angst zusammengepreßten Zähnen; die Hufe hoben sich unter den krampfhaft zuckenden Beinen und suchten doch sofort wieder den Boden. So hielten Roß und Reiter eine ganze kleine Ewigkeit an derselben Stelle, bis endlich das Erstere lautlos zusammenbrach (Familienblatt S. 31, Reprint S. 136). Die Szene ist ausführlicher zitiert, weil sie typisch für Mays märchenhafte Heldenepik (vgl. unten Anm. 20ff.) und fern von jeder Realität ist. Abgesehen von den Kleinigkeiten, daß ein Pferd nicht wie ein Mensch vor Angst die Zähne zusammenpreßt und im Maul keine Beißkette, sondern eine Kandarenstange (mit einer Kinnkette) trägt, schildert May hier anatomische Unmöglichkeiten. Der Reiter kann zwar mit seinen Schenkeln auf das Pferd einwirken, jedoch nur mit seinen Unterschenkeln, mit denen er die sogenannten "Schenkelhilfen" gibt. Die Oberschenkel samt den Knien dagegen liegen auf dem Rippenbogen des Pferdes, und selbst wenn damit vom Reiter ein (relativ) gewaltiger Druck ausginge, würde ihn das Pferd nicht einmal spüren. Daher gibt es auch keine "Hilfen" mit Oberschenkel und Knie. Der feste Knieschluß dient dem Sitz des Reiters, nicht der Einwirkung auf das Pferd. – Schon im "Waldröschen" wird diese Szene wiederholt: der eisenfeste Reiter gab nicht nach; mit stählernem Schenkeldruck preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Athem auszugehen drohte . . . (May: Waldröschen wie Anm. 3 S. 407).

17 Hans Wollschläger: Erste Annäherung an den "Silbernen Löwen". Zur Symbolik und Entstehung. In: Jb-KMG 1979. Hamburg 1979 S. 99–136 (Zitat S. 133, Anm. 72) der Vorgang um das Manuskript ebd. S. 120f.; mehrfach gedruckt, zuletzt in: Schmiedt wie Anm. 9 (Zitat S. 224, Anm. 72)

18 Heinz Stolte: Das Phänomen Karl May. Bamberg 1969 – Stolte: Volksschriftsteller wie Anm. 4

19 Vgl. u. a. Hans Naumann: Grundzüge der deutschen Volkskunde. Leipzig 1922. Viktor von Geramb: Zur Frage nach den Grenzen, Aufgaben und Methoden der deutschen Volkskunde. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin, Jg. 1928 S. 163–181 – Viktor von Geramb: Urverbundenheit. Gießen 1937 (Sonderdruck aus Hessische Blätter für Volkskunde, Bd. 36 (1937)) – Zur Gültigkeit des Gesetzes vom »gesunkenen Kulturgut« (Hans Naumann) vgl. auch Karl Konrad Polheim: Das verkannte Volksschauspiel. Eine mißachtete Erkenntnisquelle des mittelalterlichen Dramas. In: Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses. Göttingen 1985. Bd. 7: Bildungsexklusivität und volkssprachliche Literatur. Tübingen 1986 S. 82–104.

20 Stolte: Volksschriftsteller wie Anm. 4 S. 81, 83, 155 u. ö. – Viktor von Geramb: Zu den volkskundlichen Grundfragen. In: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde Jg. 14 (1936) S. 155–164 (Zitat S. 161); in Auszügen abgedruckt in: Jb-KMG 1987 Husum 1987 S. 256f.

21 Gunter G. Sehm: Der Erwählte. Die Erzählstrukturen in Karl Mays "Winnetou"-Trilogie. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976 S. 9–28

22 May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 137, 141, 211 u. ö. – Karl May: Empor ins Reich der Edelmenschen. Dokumentiert von Ekkehard Bartsch: Karl Mays Wiener Rede. In: Jb-KMG 1970. Hamburg 1970 S. 47–80 (bes. S. 66) – Zu May als Märchenerzähler vgl. auch Stolte: Volksschriftsteller wie Anm. 4 S. 76ff. u. ö. – Heinz Stolte: Karl May literarisch. In: Karl May: Der Große Traum. München 1974 S.7–23 (bes. S. 16ff.) (dtv 1034) – Lowsky wie Anm. 10 S. 71ff.

23 Claus Roxin: »Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand«. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: Jb-KMG 1974. Hamburg 1973 S. 15–73 (bes. S. 51 u. ö.) – Claus Roxin: Karl May, das Strafrecht und die Literatur. In: Jb-KMG 1978 S. 9–36 (bes. S. 32), wieder abgedruckt in: Schmiedt wie Anm. 9 S. 130– 159 (bes. S. 153)

24 Vgl. in Auswahl etwa nur: Albert B. Lord: Der Sänger erzählt. Wie ein Epos entsteht. München 1968 (Literatur als Kunst) [Original: The Singer of Tales. 1960] Otto Holzapfel: Homer – Nibelungenlied – Novalis. Zur Diskussion um die Formelhaftigkeit epischer Dichtung. In: Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung, 15. Bd. (1974) S. 34–46 – Edward R. Haymes: Das mündliche Epos. Stuttgart 1977 (Sammlung Metzler Bd. 151) – Joachim Heinzle: Rezension über R. Hartzell Firestone. In:


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Anzeiger für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur, Bd. 88 (1977) S. 16–22 – Gert Ueding: Einleitung. In: Karl-May-Handbuch wie Anm. 7 S. XV–XX, hat durchaus recht, wenn er formuliert: »Denn fast alle Bücher Mays sind nur flüchtig korrigierte Stenogramme seiner lebendigen Rede, einer wirklichen, mündlichen Erzählung« (S. XIX).

25 Vgl. die Überblicke von Walter Eckehart Spengler: Volksbuch. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. IV. Bd. Berlin–New York 21984 S.734–742 (wo übrigens S. 738 nebenbei auch Karl May genannt ist) – Jan-Dirk Müller: Volksbuch/Prosaroman im 15./16. Jahrhundert – Perspektiven der Forschung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. 1. Sonderheft. Forschungsreferate. Tübingen 1985 S. 1–128. – Der wissenschaftliche Terminus Volksbuch wurde einige Zeit aus ideologischen Gründen angegriffen, drückt aber, richtig verstanden, den Tatbestand noch immer am besten aus, so wie auch die oben genannten Überblicke ihn verwenden. – Stolte: Volksschriftsteller wie Anm. 4 S. 31, bringt May zwar in Verbindung mit dem Volksbuch, versteht dieses aber ausdrücklich nicht im Sinne des Fachterminus, sondern in allgemeinerer, ausgedehnter Bedeutung.

26 So Müller wie Anm. 25 S. 38; Müller stellt fest, daß »die "verfälschenden" Varianten späterer Ausgaben für die Überlieferungsgeschichte noch kaum ausgewertet« sind (S. 38). Die Parallele zu den May-Texten ist, gerade auch in dieser Formulierung, frappierend.

27 Auflagenhöhe gemäß den Angaben in: 50 Jahre Karl-May-Verlag, 1913–1963. Bamberg 1963 S. 28f. – Friedhelm Munzel: Karl Mays Erfolgsroman "Das Waldröschen". Hildesheim–New York 1979 S. 54ff. (Germanistische Texte und Studien. Bd. 6) – Jürgen Wehnert: Der Karl-May-Verlag. In: Karl-May-Handbuch wie Anm. 7 S. 680–685 (bes. S. 684)

28 Eine Verlagsanzeige von Fischer/Münchmeyer vom 23. März 1901 nennt »ca. eine Million Exemplare«. Abgedruckt bei Hoffmann wie Anm. 9 S. 2634 – In die oben für 1913 angegebene Auflagenhöhe von 1.610.000 sind nicht nur die Bände bei Fehsenfeld, sondern auch die bei der Union erschienenen Bände einbezogen; vgl. 50 Jahre Karl-May-Verlag wie Anm. 27 S. 28.

– Die nach dem Tode Mays erschienenen Texte waren zunächst, in Radebeul, nicht alle bearbeitet (vgl. die in Anm. 38 genannten Untersuchungen Walther Ilmers), so daß sich das oben genannte Verhältnis der authentischen zu den bearbeiteten Texten zugunsten der ersteren etwas verschiebt, ohne daß genauere Zahlen genannt werden könnten. Aber es ist auch zu bedenken, daß die bearbeiteten Texte durch ihre thematische und ideelle Eingliederung in das Gesamtwerk (vgl. unten Anm. 46ff.) ihrerseits fördernd auf die Verbreitung der ganzen Radebeuler Ausgabe wirkten.

29 Es sei daran erinnert, daß es Bearbeitungen natürlich auch bei anderen Autoren gibt, und zwar nicht nur solche "für die Jugend", wie etwa bei Defoe, Cooper und (von May selbst) Ferry, sondern etwa auch bei Kafka, Broch oder Musil. Die Forschungsliteratur und die Ausgaben dürften daran nicht vorbeigehen; vgl. dazu die Ausführungen von Joseph P. Strelka: Edition und Interpretation. Grundsätzliche Überlegungen zu ihrer gegenseitigen Abhängigkeit am Beispiel von Werkausgaben neuerer deutscher Literatur. In: Textkritik und Interpretation. Festschrift für Karl Konrad Polheim zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Heimo Reinitzer. Bern–Frankfurt a. M.–New York–Paris 1987 S. 21–37 (bes. S. 26ff.)

30 Vgl. Jürgen Wehnert: Textgeschichte wie Anm. 9 S. 310ff. – Bekanntlich hat schon Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays. Karlsruhe 1963 § 2, die Bearbeitungen angegriffen, aber er hat sich durch seine eigene verfälschende Zitierweise selbst desavouiert; vgl. Heinz Stolte und Gerhard Klußmeier: Arno Schmidt & Karl May. Eine notwendige Klarstellung. Hamburg 1973.

31 Euchar Albrecht Schmid: Das vierte Jahr. In: KMJB 1921. Radebeul 1920 S. 5–15 (Zitate S. 12f.) – Ebenso E. A. Schmid: Mein Leben und Streben. In: 50 Jahre Karl-May-Verlag wie Anm. 27 S.13–22 (Zitate S. 22)

32 Euchar Albrecht Schmid: Deutsche Herzen – Deutsche Helden. Ein Blick in die lite-


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rarische Werkstatt des Karl-May-Verlages. In: Karl May: Deutsche Herzen – Deutsche Helden. Dresden 1885–87. Repr. Bamberg 1976 S. IX–XI (Zitat S. IX)

33 May: Leben und Streben wie Anm. 4, bes. S. 135ff., 209ff. – Auch in seinen Briefen an Fehsenfeld äußert sich May in diesem Sinne, etwa am 10.9.1900: Alle meine bisherigen Bände sind  n u r  Einleitung, nur Vorbereitung. Am 24.12.1902: Merken nun auch endlich Sie, wie Karl May gelesen werden muß? Schreibt er nur für dumme Jungens? Bitte, lesen Sie ihn ja noch einmal! Von vorn, von ganz vorn! Aber geistig! Sie werden dann finden, daß Sie etwas ganz Anderes drucken ließen, als Sie glaubten! Unsere Bücher sind für Jahrhunderte bestimmt. Am 11.3.1904: Es kommt die Zeit, und sie ist gar nicht fern, wo unsere bisherigen Bände plötzlich so gelesen werden, wie sie noch gar nicht gelesen worden sind. Es ist nichts, weiter gar nichts dazu erforderlich, als daß wir sie an unserer Metamorphose theilnehmen lassen. Diese Bücher werden genau das sein und bleiben, was sie gewesen sind, und doch den Anschein haben, als ob sie sich innerlich gewandelt hätten (May-Briefe in: Karl May und seine Verleger. In: Anhang (zu "Satan und Ischariot I"). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XX. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1983, A19–A21). – Allerdings gibt es von May auch widersprüchliche Äußerungen, etwa in seinem Brief an Fehsenfeld vom 13.3.1899: Die bisherigen Bände waren nur dazu geschrieben mir eine möglichst große Zahl von Lesern als Arbeitsfeld zu schaffen (May-Brief in: Anhang (zu "Am Jenseits"). In: Freiburger Erstausgaben Bd. XXV. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, N18).

34 Vgl. Walther Ilmer: Sichere Hand auf wackligen Füßen: Old Surehand. In: M-KMG 29/1976 S. 4–19: »Insofern hatte May gar nicht so unrecht, wenn er behauptete, schon immer "symbolisch" geschrieben zu haben. Sogar viele seiner Frühwerke, darunter besonders die Erzgebirgischen Dorfgeschichten, sind Miniaturausgaben ungemein reizvoller Symbolik – nur eben vom Stil, vom Ausdruck, von den künstlerischen Mitteln her zu krude, zu platt zu schroff, zu knallig.« (S. 18, Anm. 4). Ueding wie Anm. 24 will »Mays Selbstinterpretationen«  n i c h t  »als späte Rechtfertigungsversuche« verstehen (S. XVII), sondern weist darauf hin, daß sie »ernst zu nehmen« seien (S. XVIII) und daß die »Kontinuität von Mays so unterschiedlichem Werk« (S. XIX) beachtet werden müsse. – Auch Stolte: Ardistan wie Anm. 14, sieht Mays »Weltbild [ . . . ] von den Kolportageromanen seiner Frühzeit an in ihm ausgebildet«, so daß man nicht von einem »Bruch im Werk« sprechen könne (S. 310). – Dagegen ist nach Wollschläger: May wie Anm. 10, »den in der Altersdistanz gebastelten Selbstbeschreibungen immer zu mißtrauen« (S. 15; analog S. 45, 55 u. ö.).

35 May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 209. Auch vorher heißt es schon: Darum beginnt mein erster Band mit dem Titel »Durch die Wüste«. Die Hauptperson aller dieser Erzählungen sollte der Einheit wegen eine und dieselbe sein, ein beginnender Edelmensch, der sich nach und nach von allen Schlacken des Animamenschentumes reinigt. (S. 144) – Vgl. dazu auch Walther Ilmer: Durch die sächsische Wüste zum erzgebirgischen Balkan. Karl Mays erster großer literarischer Streifzug durch seine Verfehlungen. In: Jb-KMG 1982. Husum 1982 S. 97–130. Ilmer deutet den ursprünglichen Titel "Giölgeda padishanün – Im Schatten des Großherrn" als »im Schutze des Allmächtigen, auf dessen Erbarmen der Bußfertige seine Hoffnung setzt« (S. 109).

36 May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 234 – Vgl. auch May: Ein Schundverlag wie Anm. 8, etwa: Es darf kein Wort, keine Zeile daran geändert werden. Jede kleinere Aenderung, sogar die allerkleinste, bedeutet eine Wunde; jede grössere macht ihn aber gar zum Krüppel (S. 372). – Vgl. weiters auch Karl May an Richard Plöhn, dem er schreibt, er gestatte Korrekturen aber auf keinen Fall; denn jedes meiner Worte ist mein unangreifbares geistiges Eigentum (Jb-KMG 1974 S. 134). – Trotz solch starker Worte wußte May natürlich nur zu gut, daß die Zeitschriften-Redaktionen in die Texte einzugreifen pflegten, vgl. Anm. 37.

37 E. A. Schmid: Lieferungsromane wie Anm. 9 S. 21ff.: Die verfälschte Handschrift. (Zitat S. 27) – Dazu Klußmeier wie Anm. 5 M-KMG 23/1975 S. 19f. M-KMG 24/1975 S. 19–22 – Ilmer wie Anm. 5 – Wilhelm Vinzenz: Karl Mays Reichspost-Briefe. Zur Beziehung Karl Mays zum "Deutschen Hausschatz". In: Jb-KMG 1982. Husum 1982 S. 211–233 (bes. S. 232), wo zudem betont wird, daß die Redaktionen von


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Massenblättern durchaus legitim Korrekturen durchführen konnten. – Roland Schmid: Nachwort (zu "Satan und Ischariot III"). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XXII. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1983, N1–N8 – Roland Schmid: Anhang Satan II wie Anm. 4: auch die Redaktion des "Guten Kameraden" habe Mays Texte »durchgesehen und hier und da gekürzt, berichtigt usw., wie es den Erfordernissen entsprach« (A 28).

38 Vgl. Walther Ilmer: »Nicht brauchbar« und »Von Unstimmigkeiten befreit« oder Eine Lanze für mancherlei May. Heterogene Betrachtungen zu verschiedenen May-Ausgaben. Als Beilage zu den M-KMG 20/1974 – Walther Ilmer: In memoriam »Nicht brauchbar« usw. Nachlese eines Ketzers – Aussaat eines Optimisten. Als Beilage zu den M-KMG 21/1974 – Helmut Schmiedt: Waldkönig und Buschgespenst. In: M-KMG 23/1975 S. 3–6 – Walther Ilmer und Annelotte Pielenz: »Kaum merklich geändert« oder Wie »original« sind Radebeuler Ausgaben? Sonderheft Nr. 4 der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1976 – Gerhard Klußmeier: »Einblick in die Werkstatt des Dichters?« In: M-KMG 30/1976 S. 16f. – Wehnert: Textgeschichte wie Anm. 9 S. 318ff. – Helmut Schmiedt: Karl May. Studien zu Leben, Werk und Wirkung eines Erfolgsschriftstellers. Frankfurt a. M. 21987 S. 254ff. – Reinhold Frigge: Das erwartbare Abenteuer. Massenrezeption und literarisches Interesse am Beispiel der Reiseerzählungen von Karl May. Bonn 1984 S. 167ff., bleibt unklar und fehlerhaft. Vgl. dazu auch Helmut Schmiedt: Literaturbericht. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987 S. 296ff.

39 Claus Roxin: Aktuelle Probleme der Karl-May-Forschung 11. Die Fremdwörter bei Karl May. In: M-KMG 45/1980 S. 3–12

40 Ekkehard Bartsch: "Und Friede auf Erden!". Entstehung und Geschichte. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972 S. 93–122 (bes. S. 112ff.) – Ilmer: Sichere Hand wie Anm. 34 (bes. S. 12f.)

41 Otto Eickes fast unglaublich anmutende Aufsatzreihe über die symbolischen Werke Mays und deren Fortsetzung in den alten Karl-May-Jahrbüchern unter den Titeln: Wenn sie geschwiegen hätten! (KMJB 1928 S.115–125); Der verschüttete Quell (KMJB 1930 S. 65–76) Der Bruch im Bau (KMJB 1930 S. 77–126); Des Baues Vollendung, Gedanken über den Abschluß der Orient-Romane (KMJB 1931 S. 307–381), Des Baues Krönung, Gedanken über den Abschluß der Nordamerika-Romane (KMJB 1932 S. 384–439); Des Baues Kuppel, Gedanken über die endgültige Abfassung von "Winnetous Testament" (KMJB 1933 S. 205–261)

42 May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 147 – Karl May's Gesammelte Werke Bd. 34: »Ich«. 11. Auflage (51.–55. Tausend) bis 20. Auflage (96.–100. Tausend) Radebeul 1931–1942 S. 370 – Karl May's Gesammelte Werke Bd. 34: »Ich«. Bamberg 211958 S. 160 – Der Einschub ist wieder eliminiert ab der 27. Auflage, Bamberg 1968 S. 165.

43 Ilmer: »Nicht brauchbar« wie Anm. 38 S. 6ff. – Ilmer: Sichere Hand wie Anm. 34 S. 4ff. – Vgl. auch Anm. 3.

44 Vgl. die Angaben bei Ilmer: In memoriam »Nicht brauchbar« wie Anm. 38 S. 2 – Ilmer und Pielenz: »Kaum merklich geändert« wie Anm. 38 S. 8 (Es wären bei einer anderen Textlage hier in der Kollationierung entweder beide Stellen oder keine verzeichnet worden) – Pielenz: Mays Illustrierte Reiseerzählungen wie Anm. 10 S. 16 u. 18 – Ein Exemplar des 41. –45. Tausend stand mir nicht zur Verfügung. Nach Abschluß meines Beitrages teilte mir Herr Rüdeger Lorenz freundlich mit, daß in seinem Exemplar des 41.–45. Tausend an beiden Stellen (S. 207 u. 594) die Totenkopf-Version zu finden sei. Damit scheint bewiesen, erstens, daß Karl May selbst die Gestalt der Marah Durimeh einheitlich und konsequent in den verschiedenen Auflagen änderte, zweitens aber, daß im Verlag Fehsenfeld tatsächlich – wie oben weiter ausgeführt – ein Mischexemplar mit Bogen aus verschiedenen Auflagen hergestellt worden war, das dann für Radebeul als Druckvorlage diente.

45 Daß es in der Freiburger Ausgabe solche Mischexemplare mit Bogen aus verschiedenen Auflagen gab, behauptet der editorische Bericht der historisch-kritischen Ausgabe: Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. IV Bd. 21: »Weihnacht!«. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987,


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S. 527. Dort heißt es zum Reprintdruck der Freiburger Erstausgaben, hrsg. von Roland Schmid: »(hier recte Mischung aus 1.–15. und 31.–35. Tsd.)«. Aber diese Behauptung, die an sich richtig ist, hätte genau begründet werden müssen, ihre Nachprüfbarkeit ist nicht gewährleistet; die Herausgeber bleiben einen Beweis schuldig (vgl. Anm. 6). Der kurze Variantenhinweis über die Auswechslung des Wortes Gymnasium- auf S. 530 ist kein Ersatz, denn welcher Leser wird von sich aus solche Zusammenhänge erkennen und herstellen können? Wenn der Autor nun diese Varianten in B5 »veranlaßte«, so daß die Editoren B5 als »den mithin wichtigsten Textzeugen der Reihe« bezeichnen (S. 530), dagegen die letzte Auflage B7 schon im Titel gravierende Fehler zeigt, die »eine bekundete Absicht des Autors« unwahrscheinlich machen (S. 531): warum ist dann nicht B5 als Druckvorlage für die historisch-kritische Ausgabe gewählt worden?

Hier zeigen sich auch die Nachteile der ungeschickt gewählten Siglen: die Sigle B für Buchausgaben ist zu grobmaschig, die Siglen müßten unterscheiden zwischen Einzelausgaben (Sigle etwa E, die es jedoch für "»Weihnacht!«" nicht gibt) und zwischen Gesamtausgaben (üblicherweise mit C bezeichnet) die hier in "Gesammelte Reiseerzählungen" (Sigle C 1 mit hochgestellter Auflagenziffer, also C 11–6; oder auch sprechende Sigle GR = Gesammelte Reiseerzählungen oder nur G) und "Illustrierte Reiseerzählungen" (Sigle C 2 oder IR = Illustrierte Reiseerzählungen oder nur I) zu scheiden sind. Dadurch wären nicht nur die Auflagen (bzw. Tausend) innerhalb der ersten Gesamtausgabe deutlicher festgelegt, sondern auch die zweite, illustrierte Ausgabe einprägsam abgehoben. Die letzte Fassung zu Lebzeiten Mays hieße also nicht B7, sondern C 2 (oder IR oder I) und würde schon dadurch ihre Einzelstellung (sie ist ja auch neu gezählt: 1.–4. Tausend) bekunden.

Schließlich: der »wenig sinnvolle Untertitel« "Reiseerzählungen" im Plural ist keine spezielle »Nachlässigkeit des Verlegers bzw. Druckers« (S. 532) in diesem Band, sondern er findet sich in allen Bänden von C 2. [*)]

46 E. A. Schmid: Münchmeyer-Romane wie Anm. 9. S. 155f. u. 163 – E. A. Schmid: Lieferungsromane wie Anm. 9 S. 17

47 Gert Ueding: Werkartikel "Das Waldröschen". In: Karl-May-Handbuch wie Anm. 7 S. 380–389 (Zitat S. 385) – Was die Bearbeitung betrifft, kann man aber keineswegs wie Ueding sagen, daß sie »kaum noch ursprünglichen Text« enthalte (S. 381). – Vgl. auch zusammenfassend Schmiedt: May wie Anm. 38 S. 71ff. – Lowsky wie Anm. 10 S. 43ff.

48 Vgl. einerseits May: Waldröschen wie Anm. 3 – andererseits Karl May's Gesammelte Werke Bd. 51: Schloß Rodriganda; Bd. 52: Die Pyramide des Sonnengottes (früher: Vom Rhein zur Mapimi). Radebeul. – Im "Waldröschen" gibt es das Rezept für die Erzielung des Wahnsinns und dessen Heilung, die bewirkt wird durch Speichel von eyn Menschen, welchem man zu Totte gekietzelt hat (S. 117). Dies übernimmt zwar Radebeul, jedoch gemildert: °welchen man bis zum Schäumen gekietzelt hat (Rodriganda, S. 385). Das "Waldröschen" macht mit diesem Rezept konsequent ernst: zuerst wird Pablo Cortejo gekitzelt (S. 217) und mit dessen Schaum Rosa geheilt (S. 276ff.), dann wird Landola gekitzelt (S. 2591) und mit dessen Schaum der Graf Emanuel geheilt (S. 2601ff.). Die Radebeuler Bearbeiter verfahren menschenfreundlicher, indem nicht nur auf das Kitzeln der Schurken verzichtet (Rodriganda, S. 519f.) und das Medikament zur Heilung des Wahnsinns °unter Beiziehung zweier Chemiker hergestellt wird (Pyramide, S. 48f.), sondern mit Rosa (Pyramide, S. 49) gleichzeitig auch der Graf (Pyramide, S. 51) die Heilung erfährt, so daß er nicht wie im "Waldröschen" Jahrzehnte lang bis zum Schluß des Romans auf seine Erlösung warten muß. Mit dem Schluß des "Waldröschens", dem merk- und denkwürdigen Maskenball, zeigt der Roman übrigens deutliche Wirkungen des gesunkenen Kulturgutes: man denke nur an manche Opernschlüsse. (°May-Zitate aus bearbeiteten Werken.)

49 Zur Handlung in Deutschland vgl. einerseits May: Waldröschen wie Anm. 3 S. 1167ff. und S. 2063ff. – Andererseits Karl May's Gesammelte Werke Bd. 54: Trapper Geierschnabel. Radebeul S. 199ff.

50 Ilmer: »Nicht brauchbar« wie Anm. 38 S. 11 – Frigge wie Anm. 38 S. 176, zitiert die-


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sen [diesen] Ausspruch (ohne den Verfasser zu nennen) und polemisiert dagegen, obwohl seine ganze Untersuchung ihn bestätigt und nur von den Bearbeitungen lebt.

51 Walther Ilmer: »Mißratene« Deutsche Helden. In: Karl Mays Deutsche Herzen und Helden. Sonderheft Nr. 6 der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1977 S. 4–40 – Ilmer: Das Adlerhorst-Rätsel – ein Tabu? In: M-KMG 34/1977 S. 25–37 – Ilmer: Deutsche Herzen wie Anm. 9

52 Über den Einfluß des Puppentheaters vgl. May: Leben und Streben wie Anm. 4 S. 55ff., 75f., dazu S. 353f. – Züge des Hanswurst sind ja auch im Wurzelsepp ("Weg zum Glück") deutlich ausgeprägt.

53 E. A. Schmid: Deutsche Herzen wie Anm. 32 S. X

54 Karl May's Gesammelte Werke Bd. 60: Allah il Allah. Bearbeitet von Euchar Albrecht Schmid und Franz Kandolf. Radebeul 1930. Einige herausgegriffene Beispiele: Bibelzitat und Betrachtung (S. 67f.); °heute, wo ich dies schreibe (S. 73); °Der Leser meiner Reisebeschreibungen weiß zur Genüge, daß . . . (S. 227), °War das ein "Zufall"? Meine Leser wissen, daß ich nicht an den Zufall glaube . . . (S. 268); °Immer und überall habe ich versucht, Blutvergießen und Gewalttaten zu vermeiden . . . Man hat mir aus dieser Nachsicht manchen Vorwurf geschmiedet; aber durfte ich als Christ anders handeln? . . . Wie oft hat man mir daheim und auf meinen Reisen entgegengehalten, daß . . . (S. 288ff.); °Dem Leser mag mein Verhalten gegen die beiden Gefangenen vielleicht als unedel erscheinen . . . Ich gebe dem Leser vollständig recht . . . (S. 353); °Natürlich hatte ich während der ganzen Zeit meines Aufenthalts bei den Beni Sallah nichts getan, was man als Bekehrungsversuch bezeichnen könnte . . . Aber ich hatte trotzdem etwas erreicht, was . . . (S. 357) (°May-Zitate aus bearbeiteten Werken)

55 E. A. Schmid: Deutsche Herzen wie Anm., 32 S. X – Was Schmid hier sozusagen rückwirkend tut, hat Stolte: Volksschriftsteller wie Anm. 4, für die Erzähltechnik Mays selbst festgestellt: daß »die in der Erzählung einmal geschaffenen Personen und Persönlichkeiten stets wieder in neue Romane übernommen« und damit »in gewisser Weise wieder zur Formel« werden (S. 115f.). Stolte bezieht sich auf den Einfluß des Puppenspiels auf May und gebraucht das schöne Bild: »seine Figuren sind Puppen. Wie aus Holz geschnitzt, tragen sie die einmaligen, unveränderlichen Züge des Typischen. Sie spielen ihr Stück zu Ende, treten ab, um beim nächsten Spiel abgestaubt und von neuem hervorgeholt zu werden.« (S.116)

56 E. A. Schmid: Deutsche Herzen wie Anm. 32 S. XI – Karl May's Gesammelte Werke Bd. 63: Zobeljäger und Kosak. Radebeul 1934. Der neue Schluß: 20. und 21. Kapitel S. 484ff.; das Kleeblatt in Radebeul S. 533ff. – Dazu Ilmer: »Nicht brauchbar« wie Anm. 38: »einen erstklassigen neuen Schluß«, »gekonnte Kabinettstücke« (S. 11) – Ilmer: Adlerhorst-Rätsel wie Anm. 51 S. 36, Anm. 1 – Ilmer: Deutsche Herzen wie Anm. 9: »gelungene Leseausgabe« (S. 405). Hier sind auch die übriggebliebenen Fehler verzeichnet.

57 Vgl. Euchar Albrecht und Roland Schmid: Die Gesammelten Werke. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 34: »Ich«. 216. Tausend. Bamberg 1975 S. 366–375 – Roland Schmid: Anhang Surehand III wie Anm. 5 – Roland Schmid: Anhänge und Nachworte in Karl May: Freiburger Erstausgaben. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982ff. – Roland Schmid: Nachwort. In: Karl May: Der Karawanenwürger. Berlin 1894 (Repr. Bamberg 1987), verfolgt auch die fremden Bearbeitungen in dieser Buchausgabe (N22ff.) gegenüber den authentischen Fassungen in der Zeitschrift "Frohe Stunden", die ja ihrerseits zum Teil wiederum von May selbst zu den Fassungen im "Deutschen Hausschatz" ausgebaut wurden (N16ff.).

58 Klara May. In: Karl May's Gesammelte Werke Bd. 74: Der Verlorene Sohn. Bamberg 1985 S. 5

59 Lowsky wie Anm. 10 S. XI

60 Polheim: Textkritik und Interpretation wie Anm. 11 (bes. S. 131) (Wiederabdruck S. X) – Polheim: Textkritik noch kritisch wie Anm. 11 (bes. S. 326 und 335f.)

61 Zu den Bearbeitungen müssen auch die Textveränderungen durch Zeitschriften-Redaktionen und Buch-Verlage zählen, wenn zu erkennen ist, daß es sich um fremde Eingriffe handelt, die von May nicht gebilligt oder zumindest nicht kontrolliert wurden. Dann gilt der textkritische, von Konrad Górski formulierte Grundsatz, »daß ein


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Ausbleiben von Widerständen seitens des Autors nicht als dessen Wille [ . . . ] zu verstehen ist«. Vgl. Polheim: Textkritik noch kritisch wie Anm. 11 S. 335.

Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 4: Der Schatz im Silbersee. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987 ist daher – und man möchte sagen: erfreulicherweise – inkonsequent und nähert sich bereits einer oben skizzierten zweiten Abteilung, wenn sie Lesearten der Union-Buchausgaben bringt (S. 653ff.), obwohl sie diese als »Lektoratsbearbeitungen des Verlags« bezeichnet und mit Nachdruck behauptet: »Die Gewißheit, daß eine Mitwirkung des Autors selber an der Textredaktion ausgeschlossen werden kann, läßt sich zweifelsfrei gewinnen.« (S. 652) In dieselbe Richtung, wenn auch in sich widersprüchlich, geht die Zusammenfassung, wonach sich »von allen B-Ausgaben« (besser wäre Sigle E = Einzelausgaben, oder sprechende Sigle U = Unionbände) sagen lasse »daß ihre Autorität sich auf die Duldung durch den Autor beschränkt, der ihnen vermutlich [!] aber nie eine Kontrolle gewidmet hat, als Textzeugen müssen sie hinter Z [Zeitschriftendruck im "Guten Kameraden"] mithin zurücktreten, für die Textkritik gänzlich [!] ausscheiden.« (S. 653)

62 Von den Kolportageromanen, die 1901–1906 unter dem Titel "Karl May's illustrierte Werke" in 25 Bänden von Adalbert Fischer, dem Nachfolger Münchmeyers, unrechtmäßig neuerlich herausgegeben wurden (vgl. oben Anm. 7), waren von Paul Staberow das "Waldröschen" und "Deutsche Herzen – Deutsche Helden" bearbeitet, jetzt neu ediert: Karl May: Deutsche Herzen – Deutsche Helden. Dresden 1901/1902. Repr. Hildesheim–New York 1976, mit einem Vorwort von Ekkehard Bartsch. – Zu diesen Bearbeitungen vgl. May: Schundverlag wie Anm. 8 S. 393f. – Hoffmann: Nachwort wie Anm. 3 S. 2653ff. – Bartsch wie oben S. 3ff. – Ilmer: »Mißratene«. Deutsche Helden wie Anm. 51 S. 38.


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