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JOACHIM BIERMANN / INGMAR WINTER

Die Roman-Welt als Bühne · Szenen, Szenerien und Szenisches bei Karl May



P r o l o g

Wenn sich im Augenblick die Szenen wandeln,
So sind wir's alle, die als Spieler handeln.
Spanische Gedichtzeile

Der Reisende, auf den höchsten Stufen des Amphitheaters sitzend, überblickt die Gebirgslandschaft in Epidauros, die von der untergehenden Sonne zur Kulisse staffiert wird. Das Halboval der Zuschauerränge, durch das deutliche Flüstertöne aus einem tiefen Rund hinaufdringen, liegt im Zwielicht. Er erhebt sich und steigt die vielen Stufen zur Orchestra hinab. Beim Nähern kommen von zwei Seiten ein Dutzend Mädchen, deren flackernde Fackeln den ehemals runden Tanzplatz beleuchten, in dessen Mitte einst der Altar des Dionysos gestanden hat. Jetzt ist die Fläche, auf der sich die Mädchen in ihren weißen Chitonen aufstellen, zum Halbkreis reduziert und läßt im Hintergrund, vor der schwarzen Landschaft der eckigen Gebirgsgrate, den einstigen Aktionsraum der Schauspieler erahnen. Der Reisende ist unten angekommen, setzt sich auf den Steinsitz der ersten Reihe und erwartet im Fackelschein die Aufführung des Mythos Mensch. Ihm gegenüber, am anderen Bogen der Orchestra, stand vor dreitausend Jahren das Bühnenhaus, die Skené. Großzügige Spielaufbauten mit den anliegenden Umkleideräumen und ein hölzernes Podest davor, das Proskenion, bildeten einst die Spielfläche der Schauspieler. Vor dem geistigen Auge des Reisenden werden die weißgekleideten Koren mit den Fackeln zum Chor, die Skené bevölkert sich mit sophokleischen Spielern. Das Flackerlicht erlaubt einen kurzen erinnernden Blick in den Kulturführer: »Skené« ist das Zelt, das Hauptquartier und schließlich das hölzerne Gerüst, auf dem die Schauspieler agierten. Dieser Begriff wird bald für das dargestellte Ganze genommen und heißt als Skené tragiké wohl Bühne; er meint bis heute »die Bretter, die die Welt bedeuten«.(1) Begünstigt durch den Fackelschein, entstehen Schemen, formen sich Situationen und Aktionen zur darstellenden Szene.


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   Das Feuer loderte hell empor und beleuchtete die ganze Scene ...(2) Doch halt: – Der Reisende wird aus seiner Träumerei gerissen. Unser Vorspiel im antiken Amphitheater war Imagination, Trugspiel, Illusion. Welche Szene ist hier wirklich gemeint? Diese, vom hellen Feuerschein beleuchtete, ist die rachlüstern grausame Szene, die einen Übeltäter an den Armen hängend über einem Krokodilteich zeigt. Damit ist die antike Situation durch ein Bild aus dem Werk Karl Mays auf unser Anliegen umgebogen.

   Überblicken wir hier das Programm dieser Abhandlung. Der Erzähler Karl May entpuppt sich bei genauem Hinsehen als ein in seiner Grundstruktur dramatischer Autor. Das ist keine neue Erkenntnis; es wird hier darzustellen sein, was May jeweils »in Szene« setzt. Da wird zuerst die epische Struktur seiner »Reiseromane« als szenische zu entlarven und auf wesentliche Bühnensprache aufmerksam zu machen sein. Das Wort Szene zeigt sich nämlich in mehrfacher Bedeutung. Einmal steht es für »Bühne«. Daneben wird May es im Sinne von »Ereignis«, »Geschehnis«, d. h. personell als »Sichtbarmachen«, »Anblick« benutzen. Von hier geht es als Metapher in die Alltagssprache. Szene bedeutet aber auch Staffage, Szenerie, Schauplatz: Landschaften werden von May nicht nur interpoliert, sondern im Roman inszeniert, wie zu zeigen sein wird. Letztlich wird dargestellt, wie May sich selbst als Ich-Held in Szene gesetzt hat, aber scheitern mußte, da auch er nur Akteur eines höheren Regisseurs war. Er konnte im Leben nicht aus der Rolle fallen, er blieb der Mime auf der Weltbühne.

   Jetzt wird das Glockenzeichen gegeben und die Gardine steigt empor. Natürlich sind Aller Augen nach der Scene gerichtet.(3)

I.  T h e a t e r

1. Bühne

Die Szene, von der hier in konkretem Wortsinn gesprochen werden soll, meint seit dem 18. Jahrhundert die »Bühne«. Hier findet das Spiel statt; in der Literatur: das Spiel im Spiel. Das daraus entstehende Ineinander zweier Wirklichkeiten nutzt May in seinem Roman »Der Weg zum Glück«. Das Theater, auf der fiktiven Romanebene durch die echten Künstler Wagner und Liszt legitimiert, bringt zumindest für die zwei Hauptgestalten Leni und Fex das Glück; ihr Bühnendebüt und ihre Erfolge bilden den Rahmen dieses Mammutromans. Uns soll zuerst die Bühne, die für Leni und Fex die Welt bedeutet, interessieren.


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Diese Bühne muß ein rundum abgeschlossener, nur dem Zuschauer Einblick gewährender Raum gewesen sein. Hinter der Bühne (vgl. WzG 446) konnten Theaterfachleute ihre Organisation betreiben. Die Zuschauer sahen einen Vorhang, der zur Eröffnung der Szene aufgerollt (WzG 476) werden konnte. Dieser trennte das »Proscenium« (WzG 2544) von der eigentlichen Szene (WzG 484). Der Orchesterraum (WzG 1334, 1338) war all diesem vorgelagert. Die offene Szene zeigte seitliche Coulissen (WzG 458) und einen »Prospekt«, d. h. eine wechselnde Rückwanddekoration (WzG 459f.). Der Typ dieser »Guckkastenbühne«(4) war der verbreitetste zur damaligen Zeit. Aus Rängen und Logen (WzG 2544) konnte der Zuschauer das Bühnengeschehen wie in einem Kästchen erleben.

   Die Bühne im Mayschen Kolportageroman wird noch nicht zum Welttheater; dem glücklichen Paar aber bringt sie den Aufstieg in die große Welt. Der Autor, der sich in den Folgejahren den Reiseromanen zuwendet, benutzt weiter Technik und Sprache der Bühnenwelt. Betrachten wir nun gemeinsam das Schauspiel »Reiseerlebnisse, erdacht von Karl May«.

   Zur Reisewelt öffnet sich der Vorhang. Zum Verständnisse der nun folgenden Szene habe ich zu bemerken, daß ich, wenn ich vom »Oeffnen der Räume« sprach, nicht habe sagen wollen, daß wirkliche, hölzerne, verschließbare Türen vorhanden gewesen seien.(5) Türvorhänge werden aufgeschlagen wie Bühnenvorhänge. Im Wilden Westen werden Zweige wie Vorhangteile auseinandergeschoben, und im Orient öffnen sich Teppiche, um den Blick auf die Szene freizugeben.(6) Der Bühneneffekt wird erreicht, wenn der Held des Romans die Feinde belauscht. Ob hinter Zweigen die Sicht auf das Lagerfeuer gewährt wird oder vom sicheren Dach in das Verschwörerzimmer, ob von logenähnlichen Kanzeln oder durch das Fernrohr: immer wird der Wissende zum Regisseur des bevorstehenden Schauspiels. Das Spiel der Spannung ist bekannt, das aus der Dramaturgie von Belauschen und Gefangennahme, Gefesseltsein und Befreiung gebaut ist.

   Diese Kette wird durch Intermezzi unterbrochen, die szenischen Gehalt bekommen. Bei May sind sie als komische oder auflockernde Zwischenspiele in das große Schauspiel eingeordnet, das sich aus Abenteuern zusammensetzt.(7) Die so gekettete Ereignisfolge bildet das große Abenteuer. Oft ist das geschilderte Ereignis außerhalb der Hauptlinie des Romans: Ist das dann neben dem Helden oder für ihn in Szene gesetzt, nennt May es Schauspiel.(8) Nur selten ist der Ich-Held daran beteiligt, wie z. B. in »Winnetou III« (S. 553): dann wird das Schauspiel, hier der angedrohte Martertod, für andere inszeniert.


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   Der oftmals bühnenwirksame Einsatz eines Deus ex machina, für den bereits das antike Theater bauliche Voraussetzungen schuf, damit er aus dem naturgegebenen Nicht-weiter-Wissen helfen konnte, wirkt sich auf die Form der Mayschen Kolportageromane aus. Das Nebeneinanderführen der Handlungsstränge stößt nämlich beim Zusammentreffen auf Unwahrscheinlichkeiten, die oft nur durch Zufälligkeiten oder den Deus ex machina persönlich gelöst werden. In dieser übermächtigen Funktion handeln wohl auch der aus der Fremde heimkehrende Held (»Der verlorene Sohn«) oder König Ludwig (»Der Weg zum Glück«).

   In den Ich-Romanen, die Selbsterlebtes fingieren, kann das Geschehen, für das der Held den Zufall vehement leugnet, nicht mehr dem Deus ex machina in die Hand gegeben sein (vgl. Ulan 1324). Der Ich-Held muß daher die Folge der »erlebten« Szene selbst inszenieren; als Allwissender kann er zukünftiges Geschehen antizipieren. Die meisten der Anwesenden schrieen vor Entsetzen auf. Ich hatte so eine Wendung der Scene mit in die Berechnung gezogen und mich sprungfertig gehalten.(9) Ähnliche Beispiele kennen wir zur Genüge.(10) Nur einmal wird der Theatergott mißbraucht, wenn May alias Kara Ben Nemsi im 2. Band des »Silberlöwen« beteuert: Ich lasse nämlich den General nicht etwa als schriftstellerischen Deus ex machina an dieser Stelle erscheinen ...(11) Gemeint ist Adolf Farkas, ein ungarischer Offizier, der als Osman Pascha zu geschichtlichen Ehren kam. Dieser General, der dem Ich-Helden aus bedrohlicher Situation hilft, wird, damit er nicht als Deus erscheint, in eine historische Gestalt gekleidet. Mit diesem Kunstgriff enthebt May aber keineswegs den General als Figur eines göttlichen Eingreifens, er will vielmehr seine Reiseabenteuer in den geschichtlichen Kontext und damit ins Erlebte eingliedern; und hier ist Osman Pascha dann doch der Deus ex machina!

   Wir haben bislang aufgezeigt, wie sehr Mays Werk dem beliebten Typ der Guckkastenbühne verpflichtet ist. Das Bild bliebe unvollkommen, wenn wir nicht einen weiteren Theatertyp wenigstens kurz erwähnten.

   In Anknüpfung an das höfische Naturtheater des 17. Jahrhunderts liebte und belebte das ausgehende 19. Jahrhundert die Freilichtbühne, eingerichtet vor der Kulisse der Natur oder dem Hintergrund historischer Bauwerke. Rathen, Bad Segeberg und Elspe stehen in dieser Tradition. Natürlich finden sich im Kolportagewerk und in den Jugend- und Reiseromanen Naturszenerien, die Kulissen eines Freilichttheaters abgäben (vgl. etwa die Arena in »Das Vermächtnis des Inka«), deutliche Hinweise auf Naturtheater gibt es aber erst in Mays Spätwerk.


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   Das bekannte Pferderennen im 4. »Silberlöwen«-Band erfolgt vor einer Tribüne, wie ein Drama in einer Naturkulisse (Silberlöwe IV 508ff.). Die Stufen der Pyramide, wie sie in »Und Friede auf Erden« beschrieben wird,(12) werden mit Rängen verglichen, von deren höchsten das Naturtheater betrachtet werden kann. Und in »Ardistan und Dschinnistan II« wird die Naturlandschaft mit einem antiken Kolossalzirkus (Ardistan II 336) verglichen. In »Winnetou IV« häufen sich die Vergleiche mit der Freilichtbühne. Richard Wagner hatte, um die eigentliche Szene auf das Ziel auszurichten, für den Bayreuther Theaterbau eine amphitheatralische Sitzreihenkonstruktion verwirklichen wollen. Die literarische Spiegelung zeigt sich bei May deutlich (Winnetou IV 365). Die durch Wagner angestrebte Zentrierung zur feierlichen Sammlung, auch hinsichtlich der Akustik, überträgt May in seinen Spätroman (vgl. die Schallexperimente, Winnetou IV 489).

   Die angesprochene Zentrierung gelang auch durch Lichteffekte. Diese brachte der berühmte Max Reinhardt (1873–1943), der 1894 zu Otto Brahm kam, zur Vollendung. Hinweise auf das zur damaligen Zeit aufkommende Lichttheater und seine Verarbeitung in »Winnetou IV« (S. 539f.) brauchen nicht weiter erläutert zu werden.(13)

   Wie bestimmend Mays dramatischer Wille ist, zeigt sich auch in der sprachlichen Einschätzung, im Vokabular seiner Romane. Denn schon im 18. Jahrhundert geht die Bühnensprache (besonders: »Szene«) als Metapher in die Alltagssprache über. Auch ohne daß May seine Bühnenkenntnisse beteuert,(14) bemerkt der Leser den Bühnenjargon im Roman. In einer Textstelle des Romans »Der Weg zum Glück« wird der Leser mit dem Wortdoppelsinn konfrontiert; konkreter Sinn und Metapher: Indessen hatte sich eine Scene hinter der Scene abgespielt (WzG 479). Auch sprachlich fällt May in dieser Beziehung nicht »aus der Rolle«.(15) Die Bühnensprache, oft intensiv benutzt (z. B. Ulan 289), ermöglicht die Kennzeichnung alltäglichen Lebens als »Geschehnis«(16) auf der Bühne Welt.(17)

2. Szenisches Gestalten

Es ist bekannt, daß Karl May beim Niederschreiben seiner Werke das Erzählte häufig sehr intensiv miterlebte. So soll er, wie Klara May berichtet, in seinem Arbeitszimmer sogar mit seinen Figuren gesprochen, gelacht und geweint haben.(18) Diese Intensität des Miterlebens, des Durchlebens der doch nur in der Fiktion stattfindenden Abenteuer liegt wohl nicht zuletzt in den psychologischen Triebkräften von Mays Schreiben begründet.(19) Die bunte Welt seiner Erzählungen war für ihn


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eine imaginäre Bühne, die die Welt – seine Welt – darstellte, auf der er seine Helden und Schurken als großer Regisseur agieren ließ.

   So nimmt es nicht wunder, daß Mays Erzählen eher dynamischer als statischer Natur ist.(20) Es ist ein dramaturgisch geformtes Spiel auf der vom Autor jeweils gewählten Bühne und in der von ihm imaginierten Szenerie. Hans-Otto Hügel hat dafür das sehr treffende Wort vom »inszenierten Abenteuer« geprägt.(21) Man muß daher die Romane Mays, wenn vorerst vom Spätwerk abgesehen wird, als das Beschreiben einer spannungsreichen Ereignisfolge kennzeichnen.(22) Die Gipfel dieser Ereignisse werden – um mich des Bühnenjargon zu bedienen (Silberlöwe III 564) – Szenen genannt. Die Szene, im Werk Mays hundertfach belegt, bezeichnet als »Auftritt« (scène) eine kleine dramatische Einheit.(23)

   Die Maysche Szene ist so ereignisumfassend, daß sie sich schnell verändert, daß der Held sie beeinflussen kann, daß neu hinzukommende Personen eine kurze Pause in die Szene werfen oder den Charakter einer Szene gänzlich umwandeln. Der literarische Wille bleibt, die Ereignisse, zur aventiure gereiht, als lebhafte Szenenfolgen zu verketten. Damit aber setzt sich die »Szene« vom »Bild« ab, obwohl beide Begriffe in der Dramensprache Ähnliches bezeichnen.(24) Es sieht sogar so aus, daß May zu Beginn beide Begriffe deutlich kontrastieren will. Szenen sind gefährlich und wild bewegt, Bilder als Kontrast friedlich oder idyllisch (vgl. Silberlöwe II 216). Nur Bilder des Grauens geben ein Schauspiel und erhalten so szenischen Charakter.(25) Aber erst im Spätwerk nähern sich Bild und Szene wirklich an, jedoch durch eine besondere Erscheinung. Szenen sind hier kaum mehr wild, sondern ruhig, sie werden weniger erlebt, mehr erinnert (Friede 406), nicht mehr die Wildheit des Geschehens, sondern viel häufiger der überwältigende Eindruck begeistert (Friede 576); die Szenen werden nicht äußerlich, sondern nur innerlich.(26) Im Spätwerk steht die Szene nicht mehr im Mittelpunkt, sondern eher das Eingreifen in die Szene zugunsten der ruhigen Wendung; damit wird sie beruhigt zum »Bild«.

   Doch kehren wir zurück zu den klassischen Reiseerzählungen Mays. Der »Auftritt« kann hier extrem bühnenwirksam sein, wie es besonders bei Winnetou in »Old Surehand I« gelingt. Über dreihundert Druckseiten wird er expositionell angekündigt, bis er dann(27) auftritt,(28) dargestellt in theatralischer Pose und Kleidung, wobei erst am Ende dieses Abschnitts der Name nachgeholt wird. Ebenso der »Abgang« einer Person: Kein Theaterheld hätte mit größerem Aplomb hinter den Coulissen verschwinden können, als Selim jetzt durch die Thüre verschwand, um Murad Nassyr zu rufen.(29)


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   Wer sich an den geschilderten Auftritt Winnetous erinnert, wird Welch eine Scene!(30) gedacht haben. Diese Theatralik ist auf den Apachen besonders sorgfältig angewandt worden, aber so oder so ähnlich werden alle bekannten Gestalten (Sam Hawkens, Old Shatterhand, David Lindsay, Halef usw.) eingeführt; unbekannte, d. h. neu auftretende Figuren werden meist dialogisch vorgestellt. »Die bei May so exzessiv verwendete Form des Dialogs ist ein Hinweis darauf, daß es weniger um Personen für sich als um Beziehungen zwischen Personen geht, und auch die Bezüglichkeiten der Namen und Szenen weisen auf die Wichtigkeit der interpersonellen Relationen hin«.(31)

   Wir wollen diese Aussage an einem Beispiel erhärten und danach erweitern. Vor dem Senitza-Abenteuer (»Durch Wüste und Harem«) will der Diener des Abrahim-Mamur Halef überreden, zu Kara Ben Nemsi durchgelassen zu werden. Der Dialog, der sich zwischen Halef und dem Diener entwickelt,(32) wirft Licht auf jede einzelne Person und die Beziehungen zwischen ihnen. Hier der bramarbasierende, wichtigtuerische liebenswerte Halef, dort der untertänige, hilflose Diener seines erhabenen, berühmten Herrn: Wie auf der Bühne zeigen beide Personen dem Leser Züge ihres Wesens.

   Dieser Dialog ist nur die Vorbereitung zur eigentlichen Szene zwischen Abrahim-Mamur und dem Helden. Ihre Unterhaltung ist dramatisch, ist szenisch ein Meisterwerk geworden. Nach den üblichen orientalischen Höflichkeiten wird Expositorisches, das zum Verständnis des Dialogs notwendig ist, vorweg erwähnt. Dann steigert sich das Gespräch. Sprachliches Zeichen der Spannung ist das Wenn-So-Satzgefüge (Wüste 98f.), eingerahmt von Regieanweisungen wie Er blickte mir kalt in die Augen (Wüste 97) oder Er saß erst ..., dann aber sprang er auf und stand hochaufgerichtet vor mir. (Wüste 99f.) Den Gesprächshöhepunkt bildet anakoluthisches Reden (Wüste 107), das beider Wesen decouvriert: Kara Ben Nemsi ruhig, gelassen, herrscherlich – Abrahim-Mamur vermeintlich stark, unterlegen.

   Beide Dialogszenen (wenn dieses Wort auch hier nicht fällt) sind aufeinander bezogen: die erste präludiert buffoartig die zweite.(33) Und May hat die Nähe zum Theaterauftritt gewollt, denn der Dialog endet wie auf der Bühne: Er trat hinaus, und ich war allein. (Wüste 109) Das ist das deutlich sichtbare Ende eines Bühnenauftritts.

   Das gewählte Beispiel ist noch nicht erschöpft. Vergegenwärtigen wir uns: Am Ende des 19. Jahrhunderts wollte der Naturalismus die Vermischung des mittel- und unmittelbaren, d. h. epischen und dramatischen Redens erreichen. Er hatte sich vorgenommen, in möglichster Objektivität »ein Stück Natur« (tranche de vie) auf die Bühne zu brin-


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gen [bringen].(34) Die natürliche, vollendete, unentrinnbare Illusion wurde das Ideal.(35) Der szenische Dialog sollte der Beleg der »natürlichen Diktion« werden. Er vermittelt Erlebnisse statt Kenntnisse, er versetzt den Leser in eine Handlung statt in ein Gegenüber, er suggeriert, aber argumentiert nicht, er stellt die Szene in die Funktion der Folge und nicht in Eigenständigkeit: er zeigt die seiende Welt und nicht die werdende. Und jetzt kehren wir zum Beispiel zurück: May gelingt es, durch verschiedene Sprachstile die Echtheit der Personen zu suggerieren. Diese Typen, die so ausgefallene, aber individuelle Sprachgebungen haben wie Halef oder Lindsay, Doktor Morgenstern oder Krüger Bei, Sam Hawkens oder Hobble-Frank, kann nur »das Leben selbst« erfinden!

   Zweierlei ist damit gesagt: einmal Mays Wille, seine Prosa zu dramatisieren, in Szene zu setzen. Der Burgschauspieler Amand von Ozoróczy hat 1907 erkannt: »Der alte Erzähler [May], der in seiner oft entzückend treffsicheren Dialogführung schon dramatisches Blut verriet, würde auch auf der Bühne bestehen«.(36) Das wird dem Erreichen einer Spannung zugesprochen.(37) Zum zweiten dient die Handlungsführung durch Dialogisierung der Natürlichkeit und Echtheit, die May bis zur Jahrhundertwende zur Legitimation der angeblich selbsterlebten Reiseabenteuer pflegte.

   Mays Romane sind die Verkettung von Szenen, eine Folge von »Ereignissen«.(38) Sind sie anfangs durch Lebhaftigkeit und kurzen Wechsel gekennzeichnet, werden sie im Spätwerk länger, oft monologisch und, wie bereits bemerkt, zum Bild beruhigt.(39) Dabei ist der Held einmal Urheber und Akteur einer Szene, so daß dies besonders die Identifikation des Lesers mit ihm begünstigt; zum andern steht er außerhalb der Szene, die sich ihm bietet, die er überblickt.(40) Dieser Perspektivenwechsel, der die Fülle der Ereignisse auch der Nebenhandlung einbezieht, ermöglicht im zweiten Fall das bereits erwähnte Eingreifen des Helden zugunsten der eigenen Handlungsgestaltung. So wird die Vorstellung eine Szene imaginieren (Silberlöwe III 444), Assoziationen entstehen;(41) da wendet sich der Held (und damit der Leser) bestimmten Szenen zu (Winnetou IV 127) oder bewußt von ihnen ab (Old Surehand III 478); da kann er Szenen antizipierend spannend gestalten (Old Surehand III 216) oder durch Verweisungscharakter auslassen (In den Schluchten des Balkan 277). Immer aber ist es der Held, der als handelnder Regisseur Beginn und Ende, Länge und Beleuchtung, Parallelen und Emotionen der Szenen bestimmt.


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3. Inszenierung

Die Vorliebe und Begabung Mays, seine Werke zu inszenieren, zeigt sich nicht nur in der kleinen Einheit der Szene, sondern auch auf umfassenderer Ebene. Ganze Handlungsstränge, auch recht komplizierte Arrangements, sind publikumswirksam angelegt und zeugen von »Mays technischem Können«.(42) Ein gelungenes Beispiel Mayscher Regiekunst findet sich in seinem Roman »Der verlorene Sohn«. In diesem Werk spielen Verkleidungen und Maskeraden eine herausragende Rolle, ebenso wie spannende Verfolgungsjagden. Beides kommt in einer Episode zu Beginn des Romanteils »Die Sklaven der Arbeit« zusammen. May inszeniert eine Verfolgungsjagd, bei der der als »Vetter Arndt« verkleidete Fürst des Elends alias Gustav Brandt sowohl die Rolle des Verfolgers als auch die des Verfolgten in seiner Person vereinigt.(43) In der Gaststube des »Löwen« tritt Arndt abwechselnd als Verbindungsmann der Pascher und als ein diesen jagender Polizist auf und verwirrt so den Wirt immer mehr. Während dieser sich nicht erklären kann, wieso die beiden sich beim Betreten bzw. Verlassen seines Wirtshauses nicht begegnen, kann sich Arndt mit Hilfe der eingeweihten Familie des Wirts in der Küche – seiner Theatergarderobe – jeweils in sein Alter ego verwandeln. Die immer kürzer werdenden Auftritte Arndts lassen die Verfolgungsjagden in gelungener Weise immer rasanter erscheinen und wirken wie die immer kürzer werdende Abfolge von Schnitten in einem Film. Schließlich beschränken sich die Szenen darauf, daß die beiden vermeintlichen Kontrahenten nur noch den Kopf in die Gaststube stecken. Doch die bereits bis hierher atemberaubende Szenenfolge treibt May einem weiteren Höhepunkt zu. Die Jagd ist scheinbar zum Ende gekommen; Arndt will seinen vermeintlichen Gegner nunmehr in der Gaststube erwarten. Hinter dem Rücken des Wirts aber verwandelt er sich nun wie auf offener Bühne in seinen Gegner, um dann schließlich dem völlig entgeisterten Wirt Aufschluß über seine Maskerade zu geben.(44) Selbst kleine Details sind stimmig in das Geschehen integriert, wie ein bestelltes, aber zunächst nicht ausgetrunkenes Glas Grog. Welchen Sinn hat nun das Ganze? Arndt erklärt dazu: Die drollige Umwechslung unternahm ich nur, um mich zu überzeugen, ob meine Verkleidung sich bewährt oder nicht. Das ist nicht gerade überzeugend. Alles war letztlich nur ein Spaß, inszeniert vom Autor aus reiner Freude am komödiantischen Verkleidungsspiel.(45)

   Das Vergnügen an solchen Verkleidungs- und Verstellungsspielen überträgt sich auch auf den Ich-Helden der Mayschen Abenteuerromane. Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand lieben es, sich unter Verber-


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gung [Verbergung] ihrer wahren Identität in Szene zu setzen und damit manchen Überraschungseffekt zu erzielen.(46)

   Old Shatterhand spielt mit Vorliebe die Rolle des (vermeintlichen) Greenhorns. Hier sei nur an die Begegnung mit Sans-ear erinnert, den der Held mit seiner gespielten Naivität so in die Irre führt, daß er, selbst als Old Shatterhand sich zu erkennen gibt, an dessen Identität zweifelt (Winnetou III 5ff.). Erst eine Schießprobe und das Vorweisen der ihm einst von Winnetou beigebrachten Wunde können den Helden legitimieren. Auch Kara Ben Nemsi übt sich im Verkleidungsspiel. Vor den beiden Aladschy spielt er in perfekter Manier die Rolle eines weltfremden Scherifs. Detailliert beschreibt er zunächst seine Verwandlung in den hinkenden und mit einer Brille ausgestatteten Gelehrten, so daß Halef erstaunt ausruft: »Wunder Gottes! ... Sihdi, du bist ganz und gar ein anderer geworden!«(47)

   Die großen Auftritte liebt May zu inszenieren; wir wiesen bereits darauf hin. Hier sei am Beispiel des »Waldröschen«-Finales geschildert, wie May das große Finale zelebriert, wie es eigentlich allen seinen Kolportageromanen eigen ist. In unserem Fall hat der Großherzog von Hessen die Helden des Romans und ihre Frauen nach Schloß Rodenstein zusammengerufen. Kein alltägliches Treffen soll es sein: Nachdenkend über die Art und Weise, wie dieser Feier am besten eine äußere Gestaltung zu geben sei, ist Uns der Gedanke gekommen, eine kleine Maskerade zu veranstalten. ... Was nun die Maskirung der Bewohner Rheinswaldens betrifft, so haben Wir Unserem Ceremonienmeister das Arrangement überlassen. Oberförster Rodenstein ist begeistert: »Ja, ein Maskenball mit dem Großherzoge und der Großherzogin, mit dem ganzen anderen großherzoglichen Menageriegerümpel! Juchheirassassa!« (Waldröschen 2599) Und so erscheinen sie denn alle, um an einem geradezu absurd-surrealistisch anmutenden Maskentreiben teilzunehmen. Als dann aber Karl Sternau und seine Frau Rosa sich endlich finden und demaskieren, läßt der Autor den Vorhang fallen: Die folgenden Minuten gehören hinter den Vorhang des Allerheiligsten. Kein profanes Auge darf bis zum Throne der göttlichen Liebe dringen, welche sich in der menschlichen offenbart. (Waldröschen 2607)(48)

   Überdeutlich wird in diesem trivialen Beispiel aus der Kolportage, daß der Autor sich tatsächlich als Regisseur eines imaginären Theaterstücks versteht. Doch ist alles ohne tiefere Bedeutung, die Freude am Spiel ist entscheidend. Setzen wir gegen dieses Beispiel nun ein letztes aus dem Spätwerk. Auch hier wird der inszenierende Autor deutlich, doch nun ist die Inszenierung logisch in den Handlungsrahmen eingebettet und wird vom erzählenden Ich zur Entlarvung der Gegner instru-


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mentalisiert [instrumentalisiert]. Aber auch hier, im Schlußband des »Silberlöwen«, gelingt May ein beeindruckendes Arrangement: das große, entscheidende Pferderennen. Tribünen werden aufgestellt, und mittels Holzstößen wird eine Höhenbeleuchtung eingerichtet (Silberlöwe IV 508). Es ist wie im Theater bzw. auf der Freilichtbühne. Das Zeichen zum Beginn des Rennens erfolgt, wie weiland in Shakespeares Theater, durch ein Trompetensignal (Silberlöwe IV 571). Beobachtet Kara Ben Nemsi die sich in der Arena begebenden Ereignisse zunächst als Zuschauer von der Tribüne aus, so greift er später, die Fäden in die Hand nehmend, selbst in das Geschehen ein und führt es zum guten Ende.

   Nur ein kleiner Schritt ist es nun noch bis zur tatsächlichen Inszenierung als Sujet, zur »Szene auf der Szene«. Den Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel hat es bekanntlich in den Wilden Westen getrieben, weil er dort die Schauplätze seiner geplanten Heldenoper realiter zu studieren gedenkt. Dabei unternimmt er allerhand, um die in seiner Phantasie existierenden Szenen auch tatsächlich zu erleben. Es fängt ganz harmlos an. Die Mitglieder der Finders-Bande liegen gefesselt am Boden. Der Kantor denkt sofort an seine Oper: »Eine Scene dazu, eine ganz vortreffliche Scene, habe ich hier gefunden, nämlich den "Chor der Mörder". Sie liegen am Boden und singen ein doppeltes Sextett.« Hampel beginnt nun zum Erstaunen der Gefährten, die Gefangenen von ihren Plätzen zu zerren und umzugruppieren. Auf Sam Hawkens' verwunderte Frage entgegnet er: »Ihre Gruppierung macht nicht den richtigen Effekt.« Erst das passende Arrangement verschafft der Szene ihre ganze Bühnenwirksamkeit.(49)

   Auch die Helden Old Shatterhand und Winnetou sollen den ihnen gebührenden Platz in der Oper finden. Dazu gehört natürlich eine große Arie. So bittet der Kantor den Hobble-Frank, Old Shatterhand zum Singen zu bewegen, damit er dessen Stimmlage kennenlerne. Alles soll ja – wir wiesen bereits auf Mays Nähe zum Naturalismus hin – so wirklichkeitsnah wie möglich sein. So auch zu Beginn der Oper, wie er dem Hobble-Frank anschaulich beschreibt: »Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen.« Auf Franks Einwand, daß dieser dabei doch unmöglich laut singen könne, schränkt Hampel als Theaterpraktiker sofort ein: »Ja, hier im wilden Westen. Aber wir reden doch von der Bühne.« (Oelprinz 377)

   Aber es bleibt nicht bei solch harmlos-drolligen Unternehmungen. Um die für seine Oper benötigte Kampfszene auch in der Realität mitzuerleben, plant der Kantor entgegen den Plänen der Helden, eine


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Auseinandersetzung zwischen Navajos und Nijoras herbeizuführen. Er will die Navajos auf den vorbereiteten Hinterhalt aufmerksam machen. Die lustige Episode droht in eine Katastrophe umzuschlagen. Doch Old Shatterhand, der große Regisseur, kann des Kantors Pläne durchkreuzen und läßt ihn an einen Baum binden, so daß er keinen weiteren Schaden anrichten kann. (Oelprinz 532ff.)

II.  S z e n e n

1. Die Brückenfunktion der Szene

Als Begriff der Bühnensprache bezeichnet Szene, wie bereits erwähnt, die kleinste dramatische Einheit, sie umfaßt im eigentlichen Sinne die Zeitspanne zwischen Auf- und Abtritt einer oder mehrerer Personen. Im weiteren Sinne wird der Begriff – oder das synonym verwendete »Auftritt« – auch zur Bezeichnung einer inhaltlich geschlossenen dramatischen Einheit benutzt.

   Auch Karl May verwendet diesen Begriff, insofern er auf Ereignisse verweist, in dem soeben geschilderten Sinn in seinen Werken. Wir wollen im folgenden Abschnitt der Frage nachgehen, an welchen Stellen und in welchen Zusammenhängen May von ihm geschilderte Episoden ausdrücklich mit dem Wort Szene bezeichnet, wann er sich also des dramatischen Aufbaus seiner Erzählungen und Romane in besonderer Weise erinnert.

   Umfaßt die Szene in der Bühnensprache eine kleine dramatische Einheit, so sind es in der Mayschen Prosa die Gelenkstellen zwischen den Episoden, wo wir diesen Begriff zu suchen haben. Ihm kommt dort die Funktion einer Brücke zu, die von einem Ereignis der Abenteuerkette zum nächsten überleitet und dabei entweder die folgende Szene einführt oder die vorhergehende beendet, wie beim Personenzu- oder -abgang auf der Bühne. Das einfache Wort, so gesetzt, wird zur »liaison des scènes«.(50)

   May bevorzugt das Wort in seiner vorausweisenden Bedeutung, um also den Beginn einer Szene, den Auftritt einer oder mehrerer Personen anzukündigen. In »Von Bagdad nach Stambul« kehrt Kara Ben Nemsi, begleitet unter anderem von Sir David Lindsay, überraschend bei seinem Freund, dem Händler Maflei, und dessen Sohn Isla in Stambul ein. Nach der Schilderung der überschwenglichen Begrüßung fährt May fort: Jetzt gab es eine Scene, bei welcher selbst das Auge des Engländers leuchtete. Diener mußten springen, um Pfeifen und Kaffee zu


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holen. Maflei und Isla schlossen sofort ihr Geschäft, um sich nur uns zu widmen, und bald saßen wir erzählend auf den Polstern. (Bagdad 455) Dies Beispiel zeigt augenfällig, wie mit dem Wort Szene Situation und Personenkonstellation wechseln, wie es also einen regelrechten Szenenwechsel ankündigt. Es bildet die Brücke zwischen der Schilderung einer freudigen Begrüßung inmitten der Geschäftigkeit eines orientalischen Ladens und dem intimeren, abgeschlossenen Bild der im Gespräch zusammensitzenden kleinen Freundesrunde.(51)

   In ähnlicher Weise greift May im folgenden Beispiel zum Begriff Szene, der nun aber bei gleichbleibender Personenkonstellation lediglich eine Veränderung der Umgebung – des »Bühnenbildes« – bezeichnet: Nach einiger Zeit änderte sich die Scene abermals. Der Steinboden wurde uneben. Er schlug zunächst flache und dann höhere Wellen, deren Zwischenräume, je weiter wir kamen und je tiefer sie waren, sich um so mehr mit Sand gefüllt zeigten, den der Wind hineingeweht hatte.(52) Auch die Rückkehr zur gegenüber früher veränderten Situation evoziert bei May die Vorstellung eines Szenenwechsels: Die Scene hatte sich verändert. Die beiden Offiziere saßen wieder an ihrem Tische; aber sie hatten sich jetzt mit Revolvern versehen; der General ebenso.(53) Beide Beispiele beziehen sich auf Situationen, in denen sich die Verwendung des Wortes Szene nicht mehr unmittelbar auf die Theaterkonvention zurückführen läßt. Vielmehr lassen sie eher an die Sequenzen eines Films denken, an den Schnitt zwischen zwei unterschiedlichen Einstellungen. Deutlich wird aber auch hier der vorausweisende Gebrauch des Begriffs.

   Noch weiter vom ursprünglichen Verwendungszusammenhang entfernt sich May, wenn er rückverweisend von einer Szene spricht. Auch in dieser Verwendung findet sich das Wort häufig am Absatzanfang, wobei May des öfteren die vorausgehenden Ereignisse zurückblickend noch einmal kommentiert, wodurch der Zäsurcharakter einer solchen Erwähnung besonders klar zum Ausdruck kommt. So heißt es etwa im Roman »"Weihnacht!"«: Man wird später erkennen, warum ich diese freundliche Scene von ihm [d. i. dem Kantor] erzählt und dabei keinen Namen genannt habe.(54) Auch in der späten Erzählung »Schamah« finden wir einen Rückverweis auf eine zum Abschluß kommende Szene. Der Erzähler ist in ein Gespräch mit dem Jungen Thar verwickelt. Dann heißt es: ... die Szene wurde von dem Manne aus Ain Kahrim unterbrochen, der in diesem Augenblicke nach dem Laden zurückgelaufen kam ...(55) Die Gesprächsszene kommt zu einem abrupten Ende, ein neuer Auftritt kann beginnen.

   Auch ein Perspektivenwechsel bei der Schilderung ein und desselben


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Geschehens wird von May häufig unter Verwendung des Wortes Szene überbrückt, das in einem solchen Fall dazu dient, die Kontinuität des Erzählens zu sichern. Wiederum entsteht dann der Eindruck eines Filmschnitts. Im Kolportageroman »Die Liebe des Ulanen« schildert May zunächst, wie eine Kutsche die Straße zwischen Thionville und Ortry befährt. Ein Fremder taucht auf, die Pferde scheuen und bleiben stehen. Nach einem Wortwechsel zwischen dem Capitän Richemonte, einem der Kutscheninsassen, und dem Fremden fährt der Erzähler fort: Der Graf hatte bis jetzt die Scene ruhig beobachtet. Jetzt wandte er sich nach dem hinteren Wagen ... (Ulan 139). Nach der Totalen fährt die imaginäre Kamera nunmehr auf den Grafen zu, der in einer Großaufnahme erscheint.(56)

   Nicht nur die Perspektive kann wechseln, sondern auch die Stimmung, in der eine Episode stattfindet. Oft bringt ein unerwarteter Zwischenfall den Stimmungsumschwung zustande: Diese eigenthümliche oder vielmehr komische Scene hatte den drei Personen eine ganz andere Stimmung ertheilt. (Ulan 1114) An anderer Stelle heißt es noch deutlicher: »Was hast? Sprich doch weitern!« sagte Walther, welcher ahnte, daß die Scene jetzt eine ganz andere Wendung bekommen werde. (WzG 1114)(57)

2. Szenische Situationen

Die Brückenfunktion, die das Wort Szene bei May einnimmt, wurde im vorigen Abschnitt verdeutlicht. Doch nicht jeder Szenenwechsel in einer Abenteuerkette wird so charakterisiert. Welche Arten von Szenen also lassen May zu diesem Begriff greifen? Recht schnell werden, betrachtet man die von May als Szene bezeichneten Episoden, zwei Grundsituationen recht unterschiedlicher Natur erkennbar.

   Die Verwendung des Wortes Szene in der Bühnensprache zur Bezeichnung der Zeitspanne zwischen Auf- und Abtritt einer Bühnenfigur kennzeichnet zunächst eine sich zeitlich ausdehnende Handlung. In seiner in der Allgemeinsprache üblichen Bedeutung kann es aber durchaus auch die Gesamtschau des sich im Moment, im »Augen-Blick«, vor den Augen des Betrachters Abspielenden bezeichnen. In einer Art Momentaufnahme, einem Standbild, wird ein bestimmter Anblick festgehalten. May greift recht häufig darauf zurück: Jetzt erschien der Melek auf seinem Falben, den er sich wieder eingefangen hatte. Er überblickte die Scene und riß sein Pistol heraus. (Kurdistan 483) Derartige sich dem Auge eines Betrachters bietende Szenen haben meist einen eher malerischen Charakter.(58) May unterstreicht und intensiviert


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diese Wirkung häufig noch, indem er eine solche Szene in einer entsprechenden Beleuchtung erscheinen läßt. Gelegentlich ist es die Sonne, die das Geschehen in ein helles, gleißendes Licht taucht,(59) noch öfter aber ist es ein Lagerfeuer, das mit seinem flackernden Schein für eine wild-romantische Atmosphäre sorgt. In der ursprünglich unter dem Titel »Auf der See gefangen« publizierten und später in »Old Surehand II« übernommenen Erzählung um Sam Fire-gun kommt es zu einem blutigen Kampf zwischen den Weißen und den Ogellallah, die einen Eisenbahnzug überfallen wollen: Die Feuer leuchteten über den Damm herüber und erhellten eine Scene, welche mit dem Untergange der Weißen zu endigen schien.(60)

   Die Bildhaftigkeit dieser Verwendung des Wortes Szene, die eher etwas Statisches als bewegte Ereignisse bezeichnet – im gerade zitierten Beispiel scheinen die Kämpfer im Schein des Feuers für einen Augenblick zu erstarren –, wird dann besonders deutlich, wenn May bei der Beschreibung unmittelbar auf die Malerei Bezug nimmt: Das helle Licht des Tages brach herein und beleuchtete eine Scene, welche selbst der Pinsel des berühmtesten Meisters nicht wiederzugeben vermocht hätte.(61) Die Beleuchtung durch Sonne oder Feuer übernimmt in solchen Kontexten geradezu die bühnentechnische Funktion von Scheinwerfern, die das Geschilderte in ein passendes und die Wirkung intensivierendes Licht tauchen.

   Gelegentlich wechselt May bei der Verwendung des Begriffs Szene auch ganz in den Bereich der Malerei hinüber und bezeichnet damit nur noch das vom Maler Dargestellte. In »Der Weg zum Glück« besucht der Lehrer Walther seinen Zeichenschüler Johannes. Johannes schob dem Lehrer, als dieser sich gesetzt hatte, ein Blatt zu, auf welchem er eine Scene aus jenen Ländern entworfen hatte (WzG 697). Jene Länder – damit sind die von dem Forschungsreisenden Vogel geschilderten Gegenden Zentralafrikas gemeint, von denen Johannes in einem Buch gelesen hat. Noch einmal wird der wild-romantische, »malerische« Charakter des so Bezeichneten deutlich. Walther schildert, im Anschluß an obige Episode, seinem Schüler ein neues Sujet: »Sie haben das Buch durchgelesen; der Inhalt ist Ihnen bekannt. Ein Capitel handelt von dem Tsad-See, jenem großen Wasserbecken im Sudan, an dessen Ufer sowohl die Vegetation als auch die Thierwelt in ihren riesigsten Formen vertreten ist. Krokodile, die riesigsten unter den Amphibien, bewohnen das Wasser; Löwen, Elephanten, Nashörner, Flußpferde trinken am Ufer. Gigantische Schlangen winden sich durch das hohe Gestrüpp. Und diese Ufer werden in Schatten gehüllt von Bäumen, deren Spitzen höher ragen als die Wetterfahnen unserer Kirchthürme. Palmen, Affenbrotbäume,


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Talha's und andere Riesen verbieten den Sonnenstrahlen den Zutritt zu der Fläche des Sees. Es ist Alles groß, erhaben, gigantisch, riesig. Eine Scene am Ufer dieses See's, das wäre ein Sujet für Sie.« (WzG 698)

   Eine solche Szene ist auch ein Sujet für den Autor May. Wie sehr solche Bilder Mays Phantasie bewegten, zeigt sich auch darin, daß Walther und Johannes, von obiger Beschreibung angeregt, auf jene geheimnisvolle Pflanze zu sprechen kommen, die May auch in einem seiner frühen Gedichte fasziniert hat, die heimathlose Fanna (WzG 698).(62) Mit der hier soeben vorgestellten Verwendung des Wortes Szene entbehrt das damit Bezeichnete nun vollends jeder Dynamik, die Szene ist zum Bild erstarrt und bezeichnet nurmehr den Schauplatz einer Handlung, sie ist eher identisch mit dem Begriff Szenerie, dem wir uns im Abschnitt III dieses Aufsatzes widmen wollen. Wir wollen hier zur bewegten Szene zurückkehren.

   Recht häufig findet sich das Wort Szene auch in Situationen, in denen mit den Augen einer der handelnden Personen ein Geschehen betrachtet wird. Die Figur nimmt hier die Haltung des Zuschauers im Theater ein, der beobachtet, wie sich eine Szene auf der Guckkastenbühne abspielt. Wir haben diesen Aspekt bereits weiter oben angesprochen. Die Passivität des Zuschauers ist dabei meist offensichtlich. Im »Oelprinz« schauen deutsche Aussiedler einer Auseinandersetzung zwischen Sam Hawkens und dem Anführer der Finders-Bande zu: Frau Ebersbach war während der ganzen Scene stille Zuschauerin gewesen. Sie verstand nicht, was gesprochen wurde, konnte sich aber dennoch alles leicht erklären. Und noch einen andern stummen Zuschauer gab es – Mary, das Maultier Sams, welches ... alle Bewegungen seines Herrn mit großer Aufmerksamkeit verfolgte. (Oelprinz 76)(63) Ähnlich geht es im »Waldröschen« zu. Bei der Befreiung Emma Arbellez' aus den Händen des Sultans von Härrär wird letzterer überwältigt: Er war nicht ohnmächtig geworden, sondern betrachtete die Szene mit einem Blicke, in welchem sich die höchste Wuth aussprach. (Waldröschen 1341)(64) Die Verwandtschaft solcher Szenen zur Zuschauersituation im Theater ist so naheliegend, daß May sie gelegentlich sogar direkt verbalisiert: »Ich muß dabei sein, ich will die Kerls verenden sehen. Es muß werden wie bei einem Schauspiel auf der Bühne.« (Waldröschen 973)(65)

   Die bisher dargestellten Episoden verwenden das Wort Szene in Zusammenhängen, die eher von statischer Bildhaftigkeit und Passivität gekennzeichnet sind. Wenden wir uns nun der zweiten szenischen Grundsituation zu, die sich in Mays Werken findet, so treffen wir hier scheinbar das genaue Gegenteil an. Es sind Szenen von großer, gefühlsbewegter Dynamik, die hier vorherrschen, Szenen, die einen zu-


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tiefst [zutiefst] bewegenden oder erschütternden Eindruck hinterlassen. Als Omar Ben Sadek sich anschickt, dem Mörder seines Vaters die Augen auszudrücken, bemerkt der Erzähler Kara Ben Nemsi: Die Scene, welche nun folgen mußte, war zu entsetzlich; ich wendete mich und ging zur Thüre hinaus. Meine ganze Seele wollte sich gegen dieses Geschehnis aufbäumen.(66) Solche unangenehmen und oft grausamen Geschehnisse lassen May bevorzugt zum Begriff Szene greifen. Das dargestellte Geschehen erscheint in einer oft sehr drastischen Theatralik, die leider meist nicht frei von trivialer Übertreibung ist.

   Der emotionale Gehalt solcher Szenen wird meist noch verstärkt durch die Hinzufügung charakteristischer Attribute und attributiver Fügungen, die sich steigern können von harmlosen Bezeichnungen wie unangenehm (Silberlöwe III 535) oder heftig (Waldröschen 2390) bis hin zu solch drastischen Beiwörtern wie grauenhaft (Waldröschen 444), scheußlich(67) oder, wie soeben aus dem »Schut« zitiert, entsetzlich.

   Auch Freude und Leid können Gefühlsaufwallungen verursachen, die den soeben geschilderten ähnlich sind. Bezüglich einer leidvollen Erfahrung findet sich das Wort Szene bei May jedoch kaum verwendet. Lediglich bei der Erinnerung an das vielleicht ergreifendste von ihm erzählte Geschehen, den Tod des Hengstes Rih, benutzt er es: Mir selbst werden noch heut die Augen naß, wenn ich an diese traurige, ergreifende Scene denke.(68)

   Freudenszenen finden sich demgegenüber recht häufig bei May. So spricht er von einer Scene der Freude und der Rührung, an welcher auch die andern alle herzlichen Anteil nahmen (Oelprinz 454), ebenso gibt es auch eine wirre, überlaute Freudenscene (Winnetou II 385). Und wenn gar König Ludwig II. einem seiner Untertanen, dem bereits erwähnten begabten Maler Johannes, ein Stipendium gewährt, bringt dieser seine Freude in einer Jubelscene zum Ausdruck (WzG 889).

   Auch Freudenszenen werden bei May häufig, wenn auch nicht so oft wie negativ empfundene Episoden, durch entsprechende Attribute sprachlich intensiviert. Solche Szenen können dann zärtlich (Waldröschen 1510) oder ergreifend (WzG 1586), ja überwältigend (Friede 576) und »wunderbar« (Friede 449) sein.(69)

   Griff May in den bisher dargestellten Fällen zum erzählerischen Mittel der charakterisierenden Beschreibung, so weicht er bei Szenen von höchster emotionaler Intensität häufig wieder in das Feld der aus der Dramatik stammenden Techniken aus. So wie ein auf der Bühne nicht darzustellendes Geschehen hinter die Bühne verlegt wird, berichtet May zunächst: Es gab eine Scene ganz unbeschreiblicher Verwirrung (Silbersee 135); doch hindert ihn dies nicht daran, nun doch eine Be-


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schreibung [Beschreibung] der besagten »unbeschreiblichen« Szene folgen zu lassen. Der Einleitungssatz demonstriert nur die triviale Emphase des Erzählers und lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die folgende Schilderung. Damit sind solche Stellen, die sich bei May recht häufig finden,(70) mit der auf der Bühne üblichen Teichoskopie vergleichbar: Ein Beobachter berichtet das Unbeschreibliche, das sich außerhalb des von der Bühne gebildeten Sichtfeldes ereignet. Gegenüber dem Dramatiker bietet sich dem Erzähler ein weiteres Mittel an, die Intensität des Empfindens in solchen Fällen noch zu steigern: Er kann tatsächlich auf die Beschreibung verzichten und sie der Phantasie seines Lesers überlassen. Die Kampfszene, die sich nach einem Indianerüberfall bietet, ist ein Beispiel für solch unbeschreibliche Grauenhaftigkeit: Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir eine Scene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. (Winnetou II 495)(71) Wendet sich der Erzähler bereits auf der Handlungsebene vom Geschehen ab, so macht dieser Erzähltrick es dem erzählenden Ich möglich, noch glaubhafter zu kommentieren: Wir schilderten bereits oben eine solche Szene aus dem »Schut«, in der Kara Ben Nemsi den Raum verläßt, um nicht Augenzeuge der Blendung Hamd el Amasats zu werden.(72)

   Auch Freude und Rührung können dem Erzähler die Sprache verschlagen. Als Ferdinando de Rodriganda und Emma Arbellez von Kapitän Wagner aus der Hand des Sultans von Härrär gerettet werden, heißt es bereits: Es war eine Scene, welche auch das Auge des Seemannes befeuchtete. Der der endgültigen Rettung folgende Dankeserweis der Geretteten gegenüber Wagner läßt den wohl ebenfalls zu Tränen gerührten Erzähler vollends verstummen: Es folgte eine Scene, die nicht zu beschreiben ist. (Waldröschen 1391)(73)

   Versuchen wir nun eine Gesamtschau der Situationen zu geben, auf die May den Begriff Szene anwendet, so finden wir eine so große Bandbreite verschiedener Episodenformen, daß eine gemeinsame Charakterisierung nur schwer möglich erscheint. Sowohl die von Dynamik und Gefühlsbewegung gekennzeichneten Ereignisse als auch die scheinbar dem entgegengesetzten statischen Szenen zeugen jedoch von sehr intensiven Auswirkungen des jeweils Geschilderten auf die Gefühle der beteiligten Figuren bzw. des Erzählers. Die Untersuchung erlaubt daher die Schlußfolgerung, daß May den Begriff Szene vorwiegend sehr emotional verwendet, daß er seinen Lesern an den betreffenden Stellen die gefühlsmäßige Gestimmtheit vermitteln will, die er bzw. seine Gestalten jeweils empfinden. Dasjenige, was bei der szenischen Darstellung auf der Bühne die Schauspieler den Zuschauern durch ihre Darstellungskunst vermitteln, versucht May durch das Heraufbe-


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schwören [Heraufbeschwören] szenischer Vorstellungen mit sprachlichen Mitteln ebenfalls zu erreichen. Daß ihm dabei auch gelegentlich die Feder den Dienst versagt, mag sicherlich zum Teil damit zusammenhängen, daß seine sprachlichen Fähigkeiten an ihre Grenzen stoßen. Er ist ein Meister des Dialogs, doch »Charakterentwicklung, seelische Nuancen, geistige Prozesse, all das, was da Innenleben heißen mag, ist seine Sache nicht.«(74)

III.   S z e n e r i e n

1. Außenwelt

Dieser Abschnitt soll nicht die Abhandlungen über Maysche Landschaften um eine weitere anreichern: Hier geht es um einen besonderen Aspekt. Die Vielzahl der Landschaftsbeschreibungen wird durch diesen doppelt eingeengt: einmal interessieren nur die, die May als »Szenerien« ausweist, zum zweiten sollen sie deutliche Affinität zur Bühnenkunst haben.

   Die Szenerie, das Ineinanderschieben von Kulissen zur äußeren Veranschaulichung einer Bühnenszene, ist, aus der Malerei entlehnt, die »Staffage«.(75) Das Staffieren, ursprünglich wohl das Ausstatten eines Gemäldes mit Nebenfiguren, ordnet die Landschaft zur »Szenerie«.(76) In diesem Sinne wird das Wort von May häufig verwandt, gelegentlich ausgetauscht gegen das synonym benutzte Wort Szene.

   Bereits die pompejanische Theaterszene (50 n. Chr.) kannte bemalte drehbare Kulissen, die die griechische Mythosdarstellung zugunsten unterhaltender Ausstaffierungen verdrängten. Im Italien des 16. Jahrhunderts erinnerte man sich der Terenzbühne, die zwar antikes Theater nachbilden wollte, aber eine intensivere Illusion hervorrufen wollte, besonders unterstützt durch die reichhaltigen Kulissen, die, wegen des wechselnden Umbaus, ein Nacheinander der Szenen verlangten. So sorgten Kulissen für die ansprechende Szenerie.

   Wir haben Beispiele aus der Theaterwelt in »Der Weg zum Glück«: Leni, die auf der Bühne vor dem Kennerblick des Altmeisters Liszt agiert, steht bei jeder Szene vor einer entsprechenden Kulisse. Der Regisseur ist für den Eindruck verantwortlich. Die Scene [hier für Szenerie gesetzt] wurde in eine Alpenlandschaft verändert (WzG 459f.); so sorgt der Regisseur und mit ihm der Autor für die Echtheit der Szenen.

   May transportiert diese Bühnenkunst in seinem Erzählwerk vom Theater in die Außenwelt. Dadurch entstehen Bilder, die den Kitsch


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nicht immer abweisen können. Unerträglich süß erscheint uns heute, wie Paula zwischen spielenden Eichhörnchen sitzt. Dieses Bild jugendlicher Anmuth und Schönheit wurde belebt durch eine wunderhübsche und seltene Staffage (WzG 142). Diese Überreizung, sprachlich unterstützt durch trivial wirkende Doppelungen, findet man in Mays Romanen häufig. Letztlich soll wohl eine dem dargestellten Ereignis entsprechende »Szenerie« gewählt werden. Die Kulisse darf nicht stören, sie wird sogar gefordert, damit die Illusion gelingt. Man denke nur an die Fotografien, die May in seiner Amerika- und Orientmaske vor entsprechender Staffage zeigen.(77) Solche Staffagen stehen im Dienste des Geschehnisses und dienen als Hintergrundbild zur Illusionierung (WzG 239), als reine Dekoration zur stimmungsvollen Versenkung. Dadurch wirkt die Staffage, wenn eigens darauf hingewiesen wird, in Mays Kolportageromanen papieren, eindimensional, prospektiv flach. Aus dieser Inszenierung der Landschaft entspringen die kitschigen Bilder, weil der Eindruck von Ereignis und Bühnenort lediglich verdoppelt wird. In diesem Sinne ist die Landschaft trivial verfügbar, wie z. B. ein Sofa, das bei vorkommendem Bedürfnisse auf die Scene gestellt (WzG 458) werden muß.

   Nur selten gelingen May zu dieser frühen Zeit Genrebilder.(78) Diese stammen dann nicht aus der Imagination des Autors, sondern aus der erlebten Anschauung (WzG 643, 2307). Aus der »Reiseliteratur«, in der Aktionen und Dialoge mit eingestreuten Landschaftsbeschreibungen(79) vorherrschen, werden Szenerien allzugern psychologisch gedeutet.(80) Aber sie werden auch in bühnenwirksamer Manier, wie aus dem frühen Werk bekannt, weitergeführt.

   Da werden Landschaften kulissenartig den bevorstehenden Abenteuern zugeordnet, um die Stimmung zu gewährleisten und die Authentizität der »Reisen« zu evozieren. Auch hier sind Szenen trivial verfügbar: Ebenen sind vorhanden, um Fluchten zu garantieren; Gebirge zum Einkesseln der Feinde; Gebüschszenerien zum Belauschen; Inseln zum Isolieren und ähnliches mehr. Und mit jeder Szene ergibt sich die Notwendigkeit, eine ewig wechselnde Scenerie (Am Stillen Ocean 77) anzupassen, eine neue Kulisse zu malen. Das Kommen und Gehen, das Weiterreiten oder das Wenden des Kopfes erfordert die neue Abwechslung des Prospekts. Dieser Rundumblick eines Kulissenpanoramas läßt sich mit dem Thespiskarren(81) vergleichen; auf der Wagenbühne zogen aufeinanderfolgende Karren je Szene vorbei. Bei jeder Wendung ging ein neuer Vorhang auf und bot ein andres, schönes Bild (Old Surehand III 341), heißt es bei May, und gemeint ist die Szenerie einer Landschaft.(82)


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   Kulissen fördern den »Eindruck« einer Szene; aber sie verhindern auch den Zuschauerblick in die Regie. Was auf der Szene verdeckt bleiben soll (WzG 458, 466, 2122), engt den Blick des Ich-Helden ein: Rechts und links schoben sich Baum- und Strauchpartien heran, die ganz wie Kulissen wirkten, indem sie unsern Blick verhinderten, zur Seite abzuweichen, und ihn zwangen, sich auf die Perspektive zu richten, die sich vor ihm entwickelte. (Ardistan I 371) Szenerien sind im Spätwerk nicht mehr trivial verfügbar, sondern stützen die Perspektive des Ich-Helden zur authentischen Gebundenheit.(83) Die Romankulissen verlieren hier ihre Flachheit und Prospektivität zugunsten der illusionistischen Tiefenwirkung. Das Landschaftsbild wird »ausstaffiert«. Diese Scenerie war hochromantisch, und doch beschäftigte sie mich weniger als die Staffage, welche ich im Vordergrunde links des Bildes bemerkte. (In den Cordilleren 485) Die beschriebene Schlucht – hier als ein seltenes frühes Beispiel zitiert – bekommt einen Vordergrund, der Leserblick eine aufgezwungene Perspektive, die Bühne ein Arrangement der Requisiten.(84) Es entsteht eine »Bühnenoptik«,(85) die die Kulissen szenisch einbezieht.

   Viele Landschaftsbilder, die May literarisch malt, sind vom Standpunkt der Bühnenkunst ausgewählt. Die Szenerie ist in der Kolportage trivial zuhanden, eröffnet und bietet sich den gerade notwendigen Aktionen an. In den Reiseromanen erlebt der Leser durch den Blick des Helden die Guckkastenkulisse mit (z. B. Silberlöwe II 355, 362). Die Verfügbarkeit, die für bestimmte Situationen vorhanden bleibt,(86) weicht allmählich den Bildern, die May ]Scenen nennt, einer Perspektivengebundenheit, die den Helden als Regisseur kennzeichnet. Seinem Blick und seiner Charakterisierung des Landschaftsbildes muß sich der Leser anschließen: Es entsteht die Welt nach Mayschem Geschmack. Die Szenerie (Staffage) bekommt zusätzlich Tiefenwirkung, kann das Auftreten und Abgehen von Personen regeln(87) und wird szenisch genutzt. Vergleichbar ist diese Entwicklung mit den frühen naturalistischen Dramen, deren detailliert vorgeschriebenes Bühnenbild interpretierend aufgefaßt werden muß; jedoch wird die Deutung in Mays Romanen durch die Einschätzung, den Eindruck bzw. die Empfindung des Helden auf die Leser transponiert.

   Ich hatte die Pässe des nordamerikanischen Felsengebirges und diejenigen der Cordilleren kennen gelernt; der Kleipaß konnte sich ihnen an Wildheit der Scenerie vollständig zur Seite stellen. (Auf fremden Pfaden 187) Das Werk Mays ist, wie wir gesehen haben, überreich an »wilden Szenen«; aber auch an »wilder Szenerie«? Wie ist ein solches Landschaftsattribut möglich oder denkbar, wenn doch die Natur, ungeach-


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tet [ungeachtet] der menschlichen Erkenntnis, eben dieses schweigende, gleichgültige, unendlich unbekümmerte Wesen zeigt?

2. Innenwelt

Die Landschaftsbilder sind nicht wild, romantisch, erhaben oder freundlich, aber der Mensch kennt die wilde, romantische, erhabene und freundliche Stimmung, die er als Vorstellung in seine Natursichtweise hineinbringt. Als literarisch bekanntestes Beispiel ist die verschiedene Perspektive, wie die Natur je nach der Vorstellung erkannt wird, in zwei Briefen des jungen Werther dargelegt.(88) Auch bei May wird vor allem im Spätwerk das innere Seelenbild in die Natur projiziert. Das soll hier gezeigt werden. Und dazu nehmen wir als Belegstelle wiederum nur die Landschaftsbilder, die May als Scenerien ausweist, d. h. als Kulissen seiner Romanaktionen.

   Waren in der Kolportage die Landschaftszonen in erster Linie literarisch bemalte Flächen, die den Eindruck einer Szene unterstützten, wurden sie in den Reiseerzählungen intensiver in die Aktion einbezogen. Hier waren Landschaften zwar eingestreut, das erlogen Selbsterlebte legitimierend, bekamen aber als benannte Scenerien jenen szenischen Charakter, der Regie, d. h. Zusammenwirken von Aktion und Naturbild, aufwies. Erst im weiteren Verlauf der schriftstellerischen Tätigkeit legen die Szenerien das kulissenhaft Dekorative ab und spiegeln die Verfassung dessen wider, der die Staffage der Natur bewußt wahrnimmt. Dieses Bewußtsein wird von Vorstellungen, die spontan, rück- oder vorwärtsgewandt sind, geprägt.

   Die Vergangenheit holt den Weltreisenden ein, trifft ihn mit ihren sprechenden Zeugnissen an. Als der Held die baufälligen Trümmer der Musallah sieht, waren sie für die Jetztzeit unbrauchbar; trotzdem wirkten ihre Ueberreste noch jetzt auf uns, weil sie den Mittelpunkt einer unvergleichlichen Gebirgsscenerie bildeten (Im Lande des Mahdi III 287). Die Naturstaffage zeugt von der Historie, die Wirkung des geschichtlichen Bewußtseins erhöht die des Gebirges.

   Auch das Rückerinnern reaktiviert die damalige Vorstellung. Als Beispiel diene hier die Szene, als May seinen eigenen Roman »Am Jenseits« auf einem Tisch liegen sieht: Ich las mich nach und nach vollständig in die Stimmung hinein, aus welcher heraus ich dieses Buch geschrieben hatte. Auch die damalige Szenerie tauchte in meinem Innern auf. (Friede 406)

   Der Mythos einer zurückliegenden Zeit, einer Menschheitsgeschichte überhaupt, wie sie in »Ardistan und Dschinnistan« dargestellt ist,


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zeigt eine hochinteressante, unendlich wilde Scene [Szenerie]. Diese mächtigen Urwaldbäume! (Ardistan I 115) Die Landschaft zeigt nicht die exotische Entrücktheit, sondern die Staffage als Vorstellung des Autors.(89) Die Urzeit menschlicher und moralischer Entwicklung evoziert die Szenerie des Überreichen, der übermächtigen Natur, von der der Mensch nur vorerst ein Teil ist.

   So wie die Landschaftsbilder, die zu einer Szene gehören, Vergangenes imaginieren oder reaktivieren, so können sie auch Zukünftiges antizipieren. Szenerien können als ruhiges, friedliches Bild erscheinen: wo war da die Spur von einer Gefahr für mich zu sehen! (Silberlöwe II 216) Die selbsterzwungene Ruhe wird ins Naturbild transportiert, damit sie wiederum von dort ins Bewußtsein zurückkehren soll. Nur der Fragecharakter dieser Selbstermunterung und das procedere der Szenenfolgen lassen Vorstellung und Staffage als trügerisch erscheinen. So entsteht diese Korrelation: das Naturbild prägt die Stimmung des Beschauers als ruhig oder aufgewühlt, als unirdisch oder lieblich, während doch das Bewußtsein erst diese Anschauung der Szenerie ermöglicht. Im Kreuzungspunkt des Erkenntnisvorgangs können Vergangenheit und Zukunft,(90) aber auch die spontane Anschauung liegen.

   ... die Scenerie des Gebirges entfaltete sich in ihrer ganzen imponierenden Herrlichkeit um uns. (Old Surehand III 372) Das Gebirge affiziert den menschlichen Willen durch seine Größe, wie es die Wüste tut durch ihre Weite. Beide Landschaftszonen werden von May in dieser Weise genutzt. Besonders die Szenerie des Gebirges wird zum Topos ausgebaut; der Weg »empor« wird zur Allegorie, zur Metaphysik. In den Reiseerzählungen bleibt dieses Naturbild auf den Willen des Helden bezogen.(91)

   Unter andern Verhältnissen hätte die imposante Scenerie des Hochgebirges einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, so aber ging sie für mich ganz verloren. (Weihnacht 432) Der Betrachter, der hier gefangen über einen Gebirgspaß geführt wird, kann sich von seinem Schicksal nicht befreien; das Naturbild bleibt im Konjunktiv gefangen. Wieder wird deutlich, wie einzig der Charakter der Szenerie besonders in den späteren Werken vom Bewußtsein des Betrachters bestimmt ist. Die Natur bleibt in ihrer unendlich gleichgültigen Ruhe des Geschaffenseins. Erst durch den Betrachter bekommt die Szenerie den Ausdruck z. B. der Erhabenheit. Hatten Kant(92) und Schopenhauer(93) das Erhabene als den Sieg der reinen Betrachtungsart erklärt, so wird es bei May zum Ausdruck göttlichen Willens. Der Gebirgsweg zum Gipfel ist steil und erhaben, die Metapher ist geschaffen. Unsere innere Stimmung und die äußere Szenerie, das was hinter uns lag und das, was wir vor uns zu


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erwarten hatten ...: das alles wirkte derart auf uns ein, daß es uns fast niedergezogen hätte, um knieend zuzuhören. (Schamah 72f.)

IV.  W e l t t h e a t e r

1. Die Welt als Bühne

Karl Mays Liebe zum Theater ist bekannt. In seiner Autobiographie berichtet er, daß sie sich schon in seiner frühen Kindheit zeigte, und beschreibt den prägenden Eindruck, den der Besuch eines Puppentheaters auf ihn machte.(94) Eine erste Erfüllung findet die damals entfachte Liebe zum Theater nach Mays Angaben in dem Augenblick, als der Knabe Karl von einer in seinem Heimatort gastierenden Theatertruppe als Trommler engagiert wird. Er soll eine Zigeunertruppe über die Bühne führen, bringt aber in seiner Begeisterung nicht nur das gesamte Stück durcheinander, sondern nimmt auch den weiteren Verlauf der Ereignisse in seine Hand. Zunächst betritt er zu früh die Bühne, da er glaubt, das Auftrittssignal wahrgenommen zu haben. Durch die Zurechtweisungen der übrigen Beteiligten läßt er sich nicht irritieren: Aus allen Kulissen winkte man mir, doch aufzuhalten und hineinzukommen; ich aber bestand auf dem, was ausgemacht worden war, nämlich dreimal rund um die Bühne herum. Als der Direktor höchstpersönlich ihn von der Bühne holen will, widersetzt sich der kleine Karl unter dem Beifall der Zuschauer: »Ja, weiter, immer weiter! « antwortete auch ich, indem ich mich von ihm losriß. »Die Zigeuner haben zu kommen! Raus mit der Bande, raus mit der Bande!« Dem Direktor bleibt nichts anderes übrig, als dem Verlangen des kleinen Regisseurs und des johlenden Publikums zu folgen, und so wird unter Mays Einfluß kurzerhand die Handlung des Stücks umgestoßen und zu einem großen, publikumswirksamen Finale geführt.

   Die soeben geschilderte Episode aus Mays Autobiographie ist nur eine aus der Reihe derer, bei denen der Autor zum Mittel der Dramatisierung greift. Hans Wollschläger, der sich mit der ebenfalls dort geschilderten »Urszene« beschäftigt,(95) geht davon aus, daß May »nur an ganz raren, meist hochbrisanten Stellen«(96) des Buches zum Dialog greift und weist darauf hin, daß man solchen Stellen mit gebotenem Mißtrauen begegnen müsse, da es sich in einem solchen Fall um eine »Deckerinnerung« handle, deren innere Wahrheit »ganz anderswo zu suchen« sei.(97) Es handelt sich, so kann man in dem uns interessierenden Zusammenhang wohl darstellen, um Versuche Mays, die Vergangen-


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heit [Vergangenheit] neu und anders zu inszenieren, ihr eine seinem psychischen und auch schriftstellerischen Bedürfnis zur Zeit der Abfassung von »Mein Leben und Streben« angepaßte neue, »wahre« Realität zu geben.

   Haben wir es in Mays Autobiographie mit einer nachträglichen Inszenierung entscheidender Augenblicke seines Lebens zu tun, so unterscheidet sie sich darin kaum von Mays bis zur Jahrhundertwende geschriebenen Reiseerzählungen: Auch hier wird Vergangenheit neu inszeniert, wird der Anspruch erhoben, es handle sich um Selbsterlebtes. Die Ereignisse um den Ich-Helden, mit dem der Autor sich identifiziert, werden tagträumerisch einem Ende entgegengeführt, wie es der Autor sich wünscht. Die Defizite der tatsächlichen Realität werden kompensiert im strahlenden Erfolg des weltreisenden Abenteurers und Überhelden.

   Aber May geht noch weiter. Das »überdimensionale Rollenspiel«(98) bleibt nicht auf das literarische Werk beschränkt; es wird auf das Leben selbst übertragen. Dies gilt nun aber nicht nur für die Zeit, in der May – parallel zu den größten Erfolgen als Reiseschriftsteller – seine Old-Shatterhand-Legende entwickelt, sondern »dem Rollenspiel hat er sein Leben lang wie ein Süchtiger gefrönt«.(99) Nur da, wo ihn die Verhältnisse unwiderstehlich auf den Boden der Tatsachen zurückzerrten, finden sich Perioden in seinem Leben, wo dieses Rollenspiel in den Hintergrund tritt.

   Alles begann, wie wir oben gesehen haben, bereits auf der Bretterbühne der ambulanten Schauspielertruppe in Ernstthal. Als Jugendlicher will May dann zum ersten Mal den Helden spielen. Nach Spanien bricht er auf, um Hilfe für die armen Eltern herbeizuholen. Doch sehr schnell holt ihn die Wirklichkeit ein. Er selbst spricht in diesem – und nur in diesem! – Zusammenhang von seiner überreiche(n) Phantasie, die ihn Roman und Leben verwechseln ließ.(100) Auch die bekannte Uhrenepisode gehört in unseren Zusammenhang: Indem May mit der von seinem Zimmergenossen entliehenen Uhr zur Ferienzeit nach Hause kommt, will er dort mehr scheinen, als er ist, will er auch hier der Realität, die so rosig für einen Fabrikschullehrer nicht ist, ein wenig nachhelfen.(101)

   Mit der nun folgenden Verurteilung sind Mays Zukunftsträume endgültig verflogen. Er flüchtet sich in eine von allerhand abenteuerlichen Hochstapeleien geprägte Phantasiewelt. Klingende Namen legt er sich zu – Hermes, Dr. Heilig, Polizeileutnant von Wolframsdorf.(102) Den Höhepunkt erreichen diese Eulenspiegeleien auf der Bühne Welt in der Wadenbach-Episode, in der May ein wahrhaft romanhaftes Phantasiegebilde entwirft. Um so schmerzlicher erfährt er die Wirklichkeit, als dieses Kartenhaus erdachter Realität zusammenbricht.(103)


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Nach Mays Entlassung aus dem Zuchthaus findet sich eine erste Periode, in der er ernsthaft versucht, sich der Realität zu stellen und als Redakteur und Schriftsteller eine neue Existenz zu begründen. Trotzdem will er gelegentlich der Realität etwas nachhelfen. Mag die Anrede »Herr Doktor«, mit der man ihm im Hause Münchmeyer schmeichelt, noch harmlos klingen. Die Affäre Stollberg stellt noch einen Rückfall ernsterer Art dar, dem die Strafe in Form einer kurzen, aber schmerzlichen Haft auf dem Fuße folgt.(104)

   Nach allgemeiner Leseart ist May nun endgültig »geheilt«. »Er treibt das, was in der ersten Phase seines Lebens  k r i m i n e l l  gewesen ist, in der zweiten Phase, der der Reiseerzählungen,  l i t e r a r i s c h .«(105) Aber Heinz Stolte, der dies schreibt, schränkt seine Aussage gleich wieder ein und verweist auf Mays letztes großes Rollenspiel, die Old-Shatterhand-Pose, die May bis zur Jahrhundertwende immer weiter ausbaut und seinen Anhängern als Realität vorgaukelt. Wir möchten hier sogar noch weiter gehen: Mays Versuche, die Realität neu und anders zu gestalten, erreichen nun erst ihren Höhepunkt. In unzähligen öffentlichen Auftritten vermag May sein Publikum von der Identität von Held und Autor zu überzeugen, zeigt die Narben an seinem Körper vor, beweist seine Kraft durch Hochstemmen eines Tisches, bricht bei der Erinnerung an Winnetous Tod in Tränen aus und kann stundenlang überzeugend von noch unbekannten Abenteuern erzählen.(106) Die Welt wird ihm zur Bühne, auf der er den Old Shatterhand darstellt. Im Unterschied zur ersten Phase der Hochstapeleien nötigt ihn aber jetzt kein äußerer Umstand mehr, seine Identität ständig zu wechseln. Er hat seine Idealrolle gefunden, und ohne die Eingriffe der Umwelt steigert er sich mehr und mehr in sie hinein, verliert allmählich auch den Bezug zur Realität. Und erneut kommt es zur Katastrophe, muß es dazu kommen. Auf der großen Orientreise begegnet May erstmals den wirklichen Schauplätzen seiner Erzählungen, treffen ihn die ersten Presseanschuldigungen. Er wird aus seinen Träumen gerissen. In einem Brief läßt er erahnen, was geschah: Es haben mich viele auf dem Schiff lieb gewonnen, obgleich ich jetzt das gerade Gegentheil vom früheren Karl bin. Der ist mit großer Ceremonie von mir in das rothe Meer versenkt worden, mit Schiffssteinkohlen, die ihn auf den Grund gezogen haben...(107)

   Die nun folgende Zeit der Pressefehden und Prozesse scheint es ihm unmöglich zu machen, der Realität ein weiteres Mal zu entfliehen. Oder soll man nicht eher feststellen, daß er erst nun zu seiner eigentlichen Rolle fand? Hier liegt der Punkt, an dem meine Aufgabe anzusetzen hat. ... Hier genügt es nicht, kleine Menschengeschicke zu zeigen,


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sondern schwere, gewichtige Menschenschicksale, die, auch im klassischen Sinne, wirkliche Schicksale sind.  U n d  d a s  m e i n i g e  i s t  e i n  s o l c h e s .  Ich fühle mich verpflichtet, und meine Aufgabe ist, es in den Dienst der Humanität zu stellen.(108) Karl May entdeckt Karl May, die Menschheitsfrage, das exemplarische Menschheitsschicksal. In der traurigen, quälenden Realität seines Altersjahrzehnts findet er zu seiner eigentlichen Rolle, zur Rolle seines Lebens. Die erlebte Wirklichkeit ist nun der Stoff, den es dichterisch zu gestalten gilt. Aber nun ist nicht mehr die reale Welt seine Bühne, sondern die fiktive Welt seiner Romane bietet ihm dazu die adäquate Möglichkeit. Und erst dies ermöglicht den Höhenflug des Spätwerks.

2. Das Leben als Drama

Wir haben gesehen, wie Karl May sich als Old Shatterhand selbst inszeniert und wie er, bis 1900 mit pathologischer Leidenschaft, diese Rolle als sein eigenes Ich spielen wollte. Dieses Maskenspiel endete tragisch. Doch aus der Katastrophe entspringt die Katharsis, oder, um Mays Metaphorik zu gebrauchen, die Geisterschmiede wird zum Läuterungsort. Der Umschwung ist seine »eigentliche« Literatur; in bezug auf den ersten Satz dieses Abschnitts kann man sagen, daß May erkannt hat, daß er sich selbst nicht inszenieren kann, sondern daß auch er nur die Rolle aus der Hand eines größeren Regisseurs hat. Der Gerichtskampf um Karl May setzte sich in seinem Innern um die eigentliche Bestimmung des Ichs fort. May erfuhr die Seele als Schauplatz, daß der Mensch nicht Einzelwesen sondern Drama sei.(109)

   Die Erkenntnis, daß das wahre Daseinsdrama im Innern stattfinden muß, war eine altbekannte Weisheit. Besonders in der Kolportage galt das Bühnenleben als nur theatralisch verlogener Abglanz der Realität. Das klingt sehr dramatisch, liebe Mama, sagt die Tochter, die verstoßen werden soll. Das ist ein ganz hübscher Theatercoup. Nur schade, daß wir uns nicht auf der Bühne befinden. (Ulan 587f.) Das Theater war komödiantisches Spielzeug(110) des wahren Lebens, das Spiel im Leben Betrug und Schwindel (Ardistan II 560). Die Bühnenwelt war der Traum, das Menschenleben die wahre Wirklichkeit. Erst die Frage, ob das Leben nicht auch ein Traum sei, ließ beide Welten zu einer Doppelmetapher zusammenschmelzen. Es war mir zumute wie einem unbefangenen, gläubigen Kinde, welches zum erstenmal in seinem Leben in das Theater kommt und nicht im geringsten daran zweifelt, daß die Zauberwelt, die sich vor seinen Augen entrollt, in Wirklichkeit vorhanden ist. (Ardistan I 9f.)


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Die Bühne wurde – und dafür war entscheidend die naturalistische Bewegung verantwortlich – zum Fenster des Lebens, das Leben dramatisches Sujet für die Bühne.(111) Den Stoff, aus dem das Drama ist, liefert das eigene Ich. Wollschläger beruft sich auf den Begriff der »Urszene«,(112) die über den Ausgang des menschlichen Schauspiels entscheidet. Bevor hier Mays Vita bemüht wird, ein Blick in »Winnetou II«, wo Old Deaths Rauschgiftvergangenheit erzählt wird. Was waren alle Abenteuer, die er erlebt hatte, alle Anstrengungen und Entbehrungen des Lebens in der Wildnis gegen die Scenen, die sich in seinem Innern abgespielt haben mußten. (Winnetou II 129) Death: der Tod in der Rolle seines Lebens, das Einzelschicksal als »Fall« auf der Weltbühne. Sein Leben ist exemplarisch tragisch, da es im Grenzland der Existenz angesiedelt ist.(113)

   May liebte, besonders ab 1902, das Theater.(114) In einem Interview, am Ende seines Lebens gegeben, soll er erklärt haben, daß »sein ganzes bisheriges Streben nur eine Vorarbeit, eine Vorbereitung für den Beruf des Bühnenschriftstellers gewesen« sei.(115) Das mag für einen Siebzigjährigen vermessen klingen; aber die bislang aufgeführten Aspekte bezeugen seine Nähe zur Dramatik, wenn auch nur ein einziges Drama Mays existiert. Wer unter dem Aspekt der Bühnendarstellung Mays Autobiographie betrachtet, wird hier eine dramaturgische Linie, d. h. eine Vergrößerung des Bühnenraumes, erkennen: zuerst die Begegnung mit dem Puppentheater, dann das eigene Theatermitwirken unter selbständiger Regie – wir erwähnten diese Passagen – und schließlich die Erkenntnis, daß die echte Bühne unsere Welt selbst ist: Die Welt als Bühne kennen lernen ...(116)

   Wie im bekannten Höhlengleichnis Platons, wenn wir es hier einmal ästhetisch nehmen, ziehen auf der Bühne nur Schatten des eigentlichen Lebens vorbei. Erinnern wir uns jetzt an unseren Prolog, als das Wort Szene erklärt wurde, Skené als das Zelt, der schattige Raum. Das etymologisch ursprüngliche Wort ist Skia, das Schatten und Schattenraum bedeutet. Und hier fällt die Überleitung zu Karl May leicht: Mays Drama »Babel und Bibel« stellt im ersten Akt im Schattenspiel dar, was zuvor auf der Bühne geschehen ist, d. h. das Spiel im Spiel.(117)

   Das Drama bleibt Mays großer Wurf;(118) es baut sich aus Gott, Teufel und Mensch auf, aufzuführen auf der Bühne Welt.(119) Dieses Spannungsgefüge erfordert »Typen«, die May in seinem Drama agieren läßt. Die literarische Nähe zu Hugo von Hofmannsthal ist gelegentlich erwähnt worden. (120)

   Aber das Leben, dargestellt auf der Weltbühne, und das Bühnenspiel, das das Leben als Trauerspiel abbildet, stellen die Frage nach


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dem Schluß. Die Bühne zeige, so sagte May in einer Zeitungsäußerung, Ernstes und Heiteres. Aber dieser Ernst soll nicht krankhaft sein, soll nicht an den ewigen Gesetzen rütteln, die uns von Anfang an gegeben sind, soll nicht das Häckel'sche Welträtsel über die Bibel und einen Dreyer'schen Probekandidaten über den Herrgott setzen.(121) Deutlich setzt er sich von der gerade zurückliegenden Theatertendenz der Naturalisten ab, die vornehmlich das positivistische Weltbild als oberstes Gesetz dramatisierten. Hier wird der Mensch nicht mehr vom Ziel, sondern von seiner Vergangenheit her bestimmt. Der Mensch ist aber dem ewigen Gesetz unterworfen und deswegen in seiner Bestimmung untragisch. May orientiert sich in seiner Dramenvorstellung hier weniger an der griechischen Klassik als am mittelalterlichen Mysterienspiel. Sein Drama ist wesentlich untragisch!

   Aber diese Meinung darf nicht mißverstanden werden, als sei das menschliche Leben die »göttliche Komödie«,(122) in der Gott die Marionettenmenschen tanzen läßt, um sich an ihren tragikomischen Entgleisungen zu erfreuen. Das Leben bietet die Tragik. Es muß als Mays Urteil gewertet werden, wenn er gegen den Rassenhaß Raffley in bekannter Bühnensprache ausrufen läßt: »Es war das Gegenteil [einer Posse], nämlich eine verschwindend kleine aber sehr deutlich sprechende Szene aus der großen Menschheitstragödie "Das Vorurteil". ... Und dieses Trauerspiel ist keinesweges zu Ende. Vielleicht fällt der Vorhang erst mit dem letzten Menschen.« (Friede 338f.) Tragische Züge bekommt das menschliche Leben immer dann, wenn es sich in den Aktionen gegen die Idee des Edelmenschentums richtet. Daneben zeigt das Leben auch die Komödie. Als wahllos herausgegriffenes Beispiel sei die gottesdienstliche Komödie der Derwische erwähnt (Bagdad 468, 528), deren religiöse Riten sich dem, der der »wahren« Gotteserkenntnis anhängt, als Komödie der Irrungen offenbaren.(123) Falsche Sicht der Menschen, Nicht-Erkennen des wahren Weltgrundes und Verletzungen oder Mißachtungen des Menschheitszieles führen die Komödie oder Tragödie der Welt auf.

   Aber insgesamt kann das Schaupiel »Welt und Leben« keine Tragik kennen. Die äußere Notwendigkeit verhindert, da sie einem göttlichen Drehbuch folgt, die Katastrophe. Der Mensch, der glaubt, eigenmächtig seine Rolle zu gestalten, wird, wie May es mit sich als Old Shatterhand versuchte, eine Komödie aufführen. So ist auch das, was der befangene Mensch für ein Lustspiel, einen Schwank oder gar für eine Farce hält, nichts weiter, als eine vom Schauspieler eigenmächtig extemporierte Scene, welche der unbestechliche Regisseur sehr bald zu rügen weiß. (Silberlöwe III 564) Daher fehlt die irdische Tragik, denn: Wer in dem


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einen Akt am Boden zu liegen scheint, darf sich im nächsten zum neuen Kampf erheben. Und wenn für ihn nach endlich errungenem Siege die letzte Erdenscene kommt, so hält der Dichter selbst den Kranz für ihn bereit. (Ebd.) Diese Textstelle aus dem Jahre 1902 dürfte wohl mehr Mays Hoffnung als Erkenntnis sein.

   Und die Bösen in diesem Spiel? Ihre letzte entscheidende Szene auf der Bühne ist didaktisch: ob sie bestraft oder mit ihrer Schuld allein gelassen sind, ihr Ende wirkt gerecht. May zeigt den Abgang dieser Figuren theatralisch; ihre letzte Erdenscene bekommt den Charakter des Gottesgerichts.(124) Dieses wird zum Vorverweis des Letzten Gerichts, in ihr wird der Wille des göttlichen Richters schon auf der Erdenbühne sichtbar.

   Das ist die letzte Szene des Dramas aus Teufel, Gott und Mensch. Der Vorhang fällt. –



1   Friedrich Schiller: An die Freunde. In: Sämmtliche Werke Bd. 1. Tübingen 1838, S. 246. Die Beschäftigung mit dem so häufig benutzten Wort Scene bei Karl May geht auf eine Anregung von Hansotto Hatzig zurück, dem wir zu Dank verpflichtet sind.

2   Karl May: Das Waldröschen oder die Verfolgung rund um die Erde. Dresden 1882; zit. nach dem Reprint einer späteren Ausgabe; Hildesheim-New York 1969ff. , S. 455 (künftig: Waldröschen)

3   Karl May: Der Weg zum Glück. Dresden 1886/87, S. 461. Reprint Hildesheim-New York (künftig: WzG). Dieses Zitat wurde von uns mit theatralischer Pose ins Präsens geändert.

4   Zur Geschichte der Guckkastenbühne vgl. Herbert Janssen/Engelbert Opgenoorth: Kulissenbau und Bühnenbild. München 1959, S. 21–23.

5   Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXII: Ardistan und Dschinnistan II. Freiburg 1909, S. 99 (künftig: Ardistan II)

6   Man mag an einige Bilder denken, die orientalische Situationen wie auf eine Szene gestellt bieten.

7   Vgl. May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 327, 1394, 1516, 2244; Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896, S. 243; Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIV: »Weihnacht!«. Freiburg 1897, S. 37; Karl May: Die Liebe des Ulanen. Dresden 1901/02; Reprint Hildesheim-New York, S. 1114, 1232 (künftig: Ulan).

8   Vgl. Karl May: Unter den Werbern. In: Deutsches Familienblatt. 2 Jg. (1876), S. 31; Reprint in: Karl May: Unter den Werbern. Seltene Originaltexte Bd. 2. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg/Gelsenkirchen 1986; Karl May: Der Schatz im Silbersee. Stuttgart 1894, S. 3, 19, 24 (künftig: Silbersee), Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 355, 404; Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IX: Winnetou der Rote Gentleman III. Freiburg 1893, S. 553; May: Old Surehand III, wie Anm. 7, S. 357; Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIX: Im Reiche des silbernen Löwen IV. Freiburg 1903, S. 423 (künftig Silberlöwe IV), Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII: Winnetou IV. Freiburg 1910, S. 547, sowie viele weitere Stellen im Werk Mays.

9   Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXI: Satan und Ischariot II. Freiburg 1897, S. 130

10   Die Inszenierung des Geschehens im Geschehen (z. B. durch den Kantor Hampel im »Oelprinz«) wird uns in Abschnitt I.3 ausführlich unter anderem Gesichtspunkt beschäftigen.


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11   Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVII: Im Reiche des silbernen Löwen II. Freiburg 1898, S. 272 (künftig: Silberlöwe II)

12   Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXX: Und Friede auf Erden! Freiburg 1904, S. 66 (künftig: Friede)

13   Schon im frühen Werk Mays werden Szenen »beleuchtet«. Vgl. dazu unten Abschnitt II.2.

14   Eine solche Beteuerung findet sich in Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVIII: Im Reiche des silbernen Löwen III. Freiburg 1902, S. 564 (künftig: Silberlöwe III).

15   Vgl. Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXVI: Im Reiche des silbernen Löwen I. Freiburg 1898, S. 16.

16   Das Wort »Geschehnis«, zugunsten des »Ereignisses« von May weniger geliebt, gilt ebenfalls als Wechselbegriff für »Szene«. Vgl. Franz Dornseiff: Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen. Berlin 1959, S. 209.

17   Vgl. Lutz Röhnch: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten Bd. 2. Freiburg, Basel, Wien 1973, S. 1053. Aus May-Texten sollen nur wenige Beispiele hier genannt werden: ... mit dem ich ihretwegen eine kleine Scene hatte (Waldröschen 309), Welch eine Scene hätte das gegeben! (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. V: Durch das Land der Skipetaren. Freiburg 1892, S. 346); Es verging kein Gelage, ohne daß sie einen Raufhandel in Scene setzten... (Karl May: Ein Blizzard. In: Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIII: Auf fremden Pfaden. Freiburg 1897, S 570) weitere Scenen ... vermeiden (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IV: In den Schluchten des Balkan. Freiburg 1892, S. 583), Während sich diese Scene abspielte ... (Waldröschen 1945); Es genügte ein Blick, die Szene zu erfassen (Friede 79) und ähnliches mehr.

18   Vgl. dazu Claus Roxin: Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand. Zum Bild Karl Mays in der Epoche seiner späten Reiseerzählungen. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1974. Hamburg 1973, S. 44.

19   Vgl. dazu ebd., S. 38f.; vgl. auch Heinz Stolte: Mein Name sei Wadenbach. Zum Identitätsproblem bei Karl May. In: Jb-KMG 1978. Hamburg 1978, S. 46f., Gert Ueding: Glanzvolles Elend. Versuch über Kitsch und Kolportage. Frankfurt a. M. 1973, S. 161.

20   Vgl. Heinz Stolte: Ein Literaturpädagoge. Untersuchungen zur didaktischen Struktur in Karl Mays Jugendbuch »Die Sklavenkarawane«, 3. Teil. In: Jb-KMG 1975. Hamburg 1974, S. 100.

21   Hans-Otto Hügel: Das inszenierte Abenteuer. In: Marbacher Magazin 21 (1982)

22   Vgl. Volker Klotz: Durch die Wüste und so weiter. In: Karl May. Hrsg. von Helmut Schmiedt. Frankfurt a. M. 1983, S. 75–100. Klotz spricht vom »Aventiureprinzip der Mayschen Reiseromane«; es handle sich bei May um »Ereignisfolge und Bewegung im Raum, die von Spontaneität, nicht von Plan und festgestellten Richtlinien geleitet sind. (...) Das Ziel wird erst im Laufe des Prozesses geboren.« (S. 77) Ähnlich weist Hans-Otto Hügel, wie Anm. 21, S. 20, auf den »Nummern-Charakter« von Mays Handlungen hin.

23   Vgl. dazu ausführlicher Abschnitt II.

24   Vgl. Ingmar Winter: Bilder im Werk Karl Mays. Husum 1988.

25   Zum Beispiel Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. III: Von Bagdad nach Stambul. Freiburg 1892, S. 286 (künftig: Bagdad)

26   Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXI: Ardistan und Dschinnistan I. Freiburg 1909, S. 230 (künftig: Ardistan I)

27   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XIV: Old Surehand I. Freiburg 1894,

28   Vgl. diese Technik auch in den Jugendromanen Mays, dargestellt bei Joachim Biermann: Der rote Schulmeister. Die literaturpädagogische Bedeutung der Winnetou-Gestalt in Karl Mays Jugenderzählungen. In: Karl Mays »Winnetou«. Hrsg. von Dieter Sudhoff und Hartmut Vollmer. Frankfurt a. M. 1989, S. 413ff

29   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XVI: Im Lande des Mahdi I. Freiburg 1896, S. 90


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30   Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 2: Kong-Kheou, das Ehrenwort. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1988, S. 476

31   Wolf-Dieter Bach: Sich einen Namen machen. In: Jb-KMG 1975. Hamburg 1974, S. 44. Zum Dialog und seiner Funktion im Werk Mays vgl. auch Ekkehard Koch: Anmerkungen zu Mays Stil: Der Dialog. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 8/1971 S. 6–10, sowie Harald Eggebrecht: Abenteuer-Konzeptionen. In: Karl May – der sächsische Phantast. Studien zu Leben und Werk. Hrsg. von Harald Eggebrecht. Frankfurt a. M. 1987, der May bescheinigt, mittels des Dialogs gelinge ihm der »Ausbau einer reich angelegten Szene, in der sich die Spannung stufenweise verdichtet und verschärft« (S. 229).

32   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I: Durch Wüste und Harem. Freiburg 1892, S. 84–90 (künftig: Wüste)

33   Diese Technik ist sehr theaterwirksam. Dramatisch genutzt hat sie wohl besonders Shakespeare, der durch die Vor- und Nachspiegelung der lustigen Person die tragische Haltung seiner Helden hervorheben wollte. Heinrich von Kleist bediente sich ebenfalls dieser Technik, besonders im »Amphitryon«; die Nähe Mays zu Kleist ist schon oft hervorgehoben worden. Eine Spielart dazu ist vor allem der Kontrast zweier Szenen, wie z. B. in May: Old Surehand III, wie Anm. 7, S. 487.

34   Arno Holz: Die neue Wortkunst. In: Das Werk Bd. 10. Berlin 1925, S. 221. Das Geschehen der Bühne sollte »wie durch ein Fenster« (S. 222) angeboten werden. Dazu verehrte man Henrik Ibsens analytische Technik (vgl. Mays »Old Surehand«-Roman) die Arno Holz und Johannes Schlaf in ihren Dramen verwirklichen wollten. Verpönt war jedes Pathos; Schauspieler mit natürlicher Art waren berühmt, wie z. B. Rudolf Rittner, Oskar Sauer und später Else Lehmann, die die Mutter Wolffen in Hauptmanns »Biberpelz« verkörperte.

35   Diese Forderung kam May besonders entgegen, ohne daß er sich dem Naturalismus verschrieb. Die Vorspiegelung einer Natürlichkeit durch Dialoge erhöhte den Anspruch des Selbsterlebten. So erinnert sich Kara Ben Nemsi gern der Scene, ... welche ich für unmöglich halten würde, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte (Silberlöwe II 129), vgl. auch May: »Weihnacht!«, wie Anm. 7, S. 16f.

36   Amand von Ozoróczy: Karl Mays Erstling. Augsburger Postzeitung, 28.7.1907. Wieder in: M-KMG 21/1974, S. 24–27. Vgl. auch Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May-Forschung Bd. 2. Bamberg 1967, S. 151. Untersuchte man Mays Bearbeitung des »Waldläufer« unter diesem Aspekt, würde man zu der Erkenntnis gelangen, daß sie durch ihn »inszeniert« wurde.

37   Helmut Schmiedt: Handlungsführung und Prosastil. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 167

38   Der Begriff »Szene« kann durch den gleichwertigen des »Sichtbarwerdens« im Sinne des Auftritts oder des Ereignisses ersetzt werden.

39   Vgl. Ingmar Winter: Bin doch ein dummer Kerl. Vom Spurenlesen beim Spurenlesen. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987, S. 47–68.

40   Vgl. May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 1496, 1630, 1650; May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 8, S. 191, Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. II: Durchs wilde Kurdistan. Freiburg 1892, S. 483 (künftig: Kurdistan); May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 25, S. 47, 49, 455; May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 14, S. 451.

41   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XVII: Im Lande des Mahdi II. Freiburg 1896, S. 138

42   Hügel, wie Anm. 21, S. 16

43   Auch Monika Evers: Karl Mays Kolportageroman »Der verlorene Sohn«. In: Jb-KMG 1981. Hamburg 1981, spricht diese Episode an (S. 125). Der häufige Identitätswechsel Gustav Brandts dient ihr als Beleg für die Vorliebe Mays in seinen Romanen – wie auch in seinem Leben – für das Rollenspiel, das sie psychologisch deutet: »Der Traum, ein anderer zu sein, bedeutete für Karl May Entlastung und Befreiung wie wahrscheinlich für jeden anderen Menschen auch.« (S. 126). Vgl. dazu auch Ueding,


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wie Anm. 19, S. 161. Auf Mays Rollenspiele auf der Ebene der Realität kommen wir in Abschnitt IV.1 zu sprechen.

44   Karl May: Der verlorene Sohn oder Der Fürst des Elends. Dresden 1883–85, S. 591–602. Reprint Hildesheim-New York; das folgende Zitat S. 602

45   Vgl. Ueding, wie Anm. 19, S. 161: »Da der Tagtraum überhaupt keine Zensur mehr kennt, spielen der vorträumende Autor und der nachträumende Leser mit den Mustern, als fehle ihnen jegliche Alltagsschwere. Und das Ergebnis dieses Spiels ist die Verwandlung des Schemas in ein Traumsujet, in dem es sich menschlich leben läßt. Durch ihren spielerischen Charakter fördert so die Kolportage die Fähigkeit des Lesers, das ihm überraschend Fremde sogleich in konkrete, persönliche und affektgetragene Vorstellungen zu übersetzen.«

46   Vgl. Hügel, wie Anm. 21, S. 16: »Seine [Mays] Helden vollbringen ihre Abenteuer gewöhnlich vor Zuschauern. Als nicht ganz gleichberechtigter Gefährte, als unbeteiligte Statistin, als massenhaft auftretende Krieger sind Zuschauer nicht nur gegenwärtig, wenn Außergewöhnliches vollbracht wird. Sie benehmen sich auch als Zuschauer, denn nach der Vorführung wird gestaunt und geklatscht: "Uff, Uff!"«

47   May: Durch das Land der Skipetaren, wie Anm. 17, S. 119. Wieder hat, wie im »Verlorenen Sohn«, der Rollenwechsel bzw. das Rollenspiel eine entscheidende Bedeutung. Vgl. Stolte: Wadenbach, wie Anm. 19, S. 56.

48   Giuseppe Verdis Oper »Ein Maskenball« fällt dem Leser hier nicht ohne Grund ein. Es ist tatsächlich alles Große Oper: pompös und unrealistisch. Auch Beethovens »Fidelio« hat ein Finale, das in vielem vom »Waldröschen« imitiert wird. Hier ist es der Minister, der – als Deus ex machine erschienen – alles zum guten Ende führt und die Liebenden wieder vereint.

49   Karl May: Der Oelprinz. Stuttgart 1897, S. 133 (künftig: Oelprinz)

50   Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie. In: Werke Bd. 4. Köln 1965, S. 64 (10. Stück; 2.6.1767)

51   Ähnliche Verwendungen zur Kennzeichnung einer neu beginnenden Szene finden sich unter anderem in Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. VIII: Winnetou der Rote Gentleman II. Freiburg 1893, S. 72 (künftig: Winnetou II) (Die nun folgende Scene war einzig in ihrer Art); Karl May: Der Sohn des Bärenjägers. In: Der Gute Kamerad. 1. Jg. (1887), S. 586. Reprint in: Karl May: Der Sohn des Bärenjägers – Der Geist der Llano estakata. Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1983 (Jetzt nun folgte eine Szene, welche jeder Beschreibung spottet); May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 8, S. 135, May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 2390 (Es folgte nun eine sehr heftige Scene); May: Der Weg zum Glück, wie Anm. 3, S. 2573; May: Durch Wüste und Harem, wie Anm. 32, S. 284; May: Ein Blizzard, wie Anm. 17, S. 586; May: Im Reiche des silbernen Löwen II, wie Anm. 11, S. 129.

52   Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXV: Am Jenseits. Freiburg 1899, S. 181. Vgl. ähnlich: ... da that es plötzlich einen ähnlichen Donnerschlag wie vorhin und augenblicklich änderte sich die Scene (May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 51, S. 569).

53   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XII: Am Rio de la Plata. Freiburg 1894, S. 470

54   May: »Weihnacht!«, wie Anm. 7, S. 17. Vgl. ähnlich: Es mußte eine sehr aufregende Scene stattgefunden haben, ein Kampf, in welchem der Herzog besiegt worden war (Waldröschen 374, vgl. auch ebd. 518); Nun, nachdem diese kleine, unerwartete Scene vorüber war, begann Ahriman Mirza zu sprechen (Silberlöwe III 590); außerdem: May, Old Surehand III, wie Anm. 7, S. 243; May: Ardistan und Dschinnistan II, wie Anm. 5, S. 270, 489.

55   Karl May: Schamah. Stuttgart 1910, S. 13 (Bibliothek Saturn Bd. 7). Reprint in: Karl May: Abdahn Effendi – Schamah. Hrsg. von Thomas Ostwald. Bamberg/Braunschweig 1977

56   Vgl. ähnliche Szenen: Mijnheer von Aardappelenbosch war der Szene mit großem Interesse gefolgt (May: Kong-Kheou, das Ehrenwort, wie Anm. 30, S. 84); Während dieser kurzen Scene bemerkte ich, daß die Jüdin mit Jonathan Blicke des Einverständnisses wechselte. (Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXII: Satan und


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Ischariot III. Freiburg 1897, S. 600); außerdem: May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 1650; May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 25, S. 49; May: Im Reiche des silbernen Löwen III, wie Anm. 14, S. 444.

57   Vgl. ähnlich: Aber in diese Lustigkeit hinein fiel eine Szene, welche den Scherz sofort in strengen Ernst verwandelte. (Ardistan I 400), außerdem: May: Die Liebe des Ulanen wie Anm. 7, S. 1579; May: Der Weg zum Glück, wie Anm. 3, S. 239; May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 51, S. 569; May: Satan und Ischariot II, wie Anm. 9, S. 130.

58   Ähnliche Stellen: Karl May: Ein Fürst-Marschall als Bäcker. In: Deutsche Gewerbeschau. 4. Jg. Beilage Für den Feierabend (1881/82), S. 234. Reprint in: May: Unter den Werbern, wie Anm. 8; Karl May: Der Geist der Llano estakata. In: Der Gute Kamerad. 2. Jg. (1888), S. 778. Reprint in: May: Der Sohn des Bärenjägers – Der Geist der Llano estakata, wie Anm. 51; May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 25, S. 49, May: Winnetou II, wie Anm. 51, S. 495, Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XVIII: Im Lande des Mahdi III. Freiburg 1896, S. 316.

59   Vgl. May: Ein Fürst-Marschall als Bäcker, wie Anm. 58, sowie May: Old Surehand I wie Anm. 27: hier beschreibt May den Untergang der Sonne und fährt fort: Welche Scene werden seine [d. i. des leuchtenden Sonnenballs] Strahlen wohl morgen um dieselbe Zeit bescheinen? (S. 329).

60   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XV: Old Surehand II. Freiburg 1895, S. 165; vgl. S. 375; May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 455 (Das Feuer loderte hell empor und beleuchtete die ganze Scene – Wir verwendeten dieses eindrucksvolle Zitat bereits zur Einstimmung im Prolog).

61   May: Ein Fürst-Marschall als Bäcker, wie Anm. 58, S. 234. Vgl. auch May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 7, S. 472.

62   Ein Zitat des Gedichts findet sich in diesem Roman auf S. 700 und ebenfalls auf S. 839f. Die früheste Fundstelle ist Karl May: Die Juweleninsel. In: Für alle Welt! 5. Jg. (1880–82), S. 338; in: Karl May: Scepter und Hammer/Die Juweleninsel. Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Gelsenkirchen 1978. Auch in May: Im Lande des Mahdi II, wie Anm. 41, S. 372 findet es sich. Vgl. dazu auch Hedwig Pauler: Deutscher Herzen Liederkranz I. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft (S-KMG) Nr. 41/1983, S. 20f. Das Gedicht scheint die Keimzelle aller dieser Mayschen Urwaldidyllen zu sein.

63   Vgl. auch May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 25, S. 286, wo Kara Ben Nemsi dem Vorüberzug der Todeskarawane zuschaut.

64   Vgl. auch: Der rote Cornel war so schlau gewesen, sich sofort im Gebüsch zu verstecken und von demselben aus die Scene zu beobachten. (Silbersee 191; vgl. auch ebd. 3, 453); weitere Parallelstellen: May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 444, 518; May: Kong-kheou, das Ehrenwort, wie Anm. 30, S. 47, 84, 403; May: Und Friede auf Erden, wie Anm. 12, S. 444 u. v. a. m.

65   Vgl. auch Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XI: Am Stillen Ocean. Freiburg 1894, S. 77.

66   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VI: Der Schut. Freiburg 1892, S. 524

67   Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XIII: In den Cordilleren. Freiburg 1894, S. 48. – Die Beispielsammlung ließe sich beliebig vermehren.

68   May: Am Jenseits, wie Anm. 52, S. 23. Vgl. aber auch die in May: Winnetou I, wie Anm. 8, S. 138, geschilderte Erinnerung Winnetous an Klekih–petras Ermordung, die den gefühlsmäßigen Schwerpunkt allerdings auf die Grausamkeit des Mordes legt.

69   Auch diese Beispielsammlung ließe sich beliebig vermehren, doch wollen wir es bei diesen wenigen Zitierungen bewenden lassen. Erwähnt sei jedoch noch, daß in den Zusammenhang der positiv empfundenen Szenen nicht nur die Freudenszenen der dargestellten Art, sondern durchaus auch komische und lustige Szenen gehören.

70   Vgl. etwa May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 158, 1873; May: Von Bagdad nach Stambul, wie Anm. 25, S. 49; May: Old Surehand III, wie Anm. 7, S. 478; May: Auf fremden Pfaden, wie Anm. 17, S. 312.

71   Vgl. ähnliche Szenen in May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 1570; May: Der Weg zum


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Glück, wie Anm. 3, S. 1665; May: Winnetou III, wie Anm. 8, S. 449; May: Satan und Ischariot III, wie Anm. 56, S. 481; May: Ein Blizzard, wie Anm. 17, S. 586.

72   Vgl. auch May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 8, S. 321; May: Im Reiche des silbernen Löwen I, wie Anm. 15, S. 323.

73   Parallelstellen: May: Waldröschen, wie Anm. 2 S. 1409, May: Der Weg zum Glück wieAnm. 3, S. 957, 2573; May: Old Surehand III, wie Anm. 7, S. 563; May: Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 51, S. 586.

74   Klotz, wie Anm. 22, S. 96

75   Vgl. Hannsferdinand Döbler: Kultur- und Sittengeschichte der Welt. Sport, Spiel Kunst. München 1978, S. 105.

76   Vgl. Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch. Tübingen 51966, S. 626.

77   Einige dieser Fotografien sind abgebildet bei Roxin, wie Anm. 18, zwischen S. 48 und S. 49.

78   Diese sollen hier nicht weiter dargelegt werden, da sie bereits ausführlich in einem Kapitel erörtert worden sind bei Winter: Bilder, wie Anm. 24.

79   Vgl. Stolte: Ein Literaturpädagoge, wie Anm. 20, S. 100.

80   Vgl. Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. In. Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 39–73.

81   Horaz erwähnt den Tragödiendichter Thespis, der seine Bühnenbilder auf Wagen umhergefahren haben soll: Ars poetica, Vers 276: »Dicitur et plaustris vexisse poemata Thespis«. Ein dramatischer Szenenwechsel bei May findet sich z. B. in Der Sohn des Bärenjägers, wie Anm. 51, S. 569.

82   Vgl. May: Am Stillen Ocean, wie Anm. 65, S. 386, 420, May: Im Lande des Mahdi II wie Anm. 41, S. 518; May: Am Jenseits, wie Anm. 52, S. 181; May: Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 26, S. 371. Interessant ist die Szenerie, die sich beim Abstieg wiederholt, nur in umgekehrter Reihenfolge, in May: Kong-Kheou, das Ehrenwort wie Anm. 30, S. 479.

83   In diesem Sinne »Szenerie« bei Emin Pascha: Entdeckungsreisen in Zentralafrika 1876–1892. Stuttgart 1983, S. 23, 30, 314

84   Im Gegensatz dazu »prospektive« Bilder in May: Kong-kheou, das Ehrenwort, wie Anm. 30, S. 404, und Im Lande des Mahdi II, wie Anm. 41, S. 138, die noch aus früherer schriftstellerischer Zeit stammen dürften.

85   Janssen/Opgenoorth, wie Anm. 4, S. 23

86   Eine der häufigen Scenerien ist bei May die des Flusses. In Kong-kheou, das Ehrenwort, wie Anm. 30, S. 404, bleibt die Szenerie Ausmalung, der Kulissenwirkung dienstbar. Als Vergleich diene die veränderte Scenerie der Ufer des Nils, auf dem die Fahrt außerordentlich, ja fast unausstehlich langweilig wirkte (Im Lande des Mahdi II 518). Hier ist die Landschaft in die menschliche Empfindung einbezogen und hat die bloß eingestreute Szenerie als Dekoration überwunden.

87   Vgl. u. a. May: Der Schut, wie Anm. 66, S. 524; May: Winnetou II, wie Anm. 51, S. 72, May: Auf fremden Pfaden, wie Anm. 17, S. 187.

88   Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. In: Gesamtausgabe Bd. 13. München 1962 (Briefe vom 10.5. und vom 18.8.). Zeitlich wesentlich näher an Karl May ist Thomas Manns Novelle »Der kleine Herr Friedemann«. Hier wird der Garten der Gerda von Rinnlingen jeweils durch die Stimmung des Johannes Friedemann beschrieben: Thomas Mann: Der kleine Herr Friedemann. Berlin o. J. , S. 7–41.

89   Vgl. hier noch einmal die bereits in Abschnitt I.4 erwähnten exotischen Szenen, die als Sujet für den Maler Johannes im »Weg zum Glück« dienen. Viel vordergründiger als im Spätwerk Mays dienen sie lediglich zur Bestätigung der außerordentliche(n) Inclination für das Exotische (WzG 698), die der Lehrer Walther bei Johannes entdeckt, der der seine Phantasie anregenden Exotik lediglich in seiner häuslichen Lektüre begegnet.

90   Ein recht frühes Beispiel: Als die Helden ins Tal der Bären hinabsteigen, war es eine außerordentlich phantastische Scene. Wir kamen an die Stelle, wo Winnetou die Bärenspur entdeckt hatte (Old Surehand III 396). Die Vergangenheit taucht in dieser Szenerie wieder auf, »phantastisch« wird sie aber erst, weil sich hier eine zukünftige Entscheidung in bezug auf Old Surehand anbahnt.


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91   Vgl. May: Winnetou IV, wie Anm. 8, S. 45, 489f.

92   Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. In: Werke in sechs Bänden Bd. V. Wiesbaden 1960, §§ 23–29, S. 328–355.

93   Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung I. In: Sämtliche Werke Bd. 2. Wiesbaden 1965, § 39, S. 236–244. Von der Ästhetik Schopenhauers ist noch nichts im Werk Karl Mays nachgewiesen worden. Auf die Nähe beider bezüglich der Grundlagen einer Moral vgl. Ingmar Winter: Das dualistische Weltprinzip. In: M-KMG 80/1989, S. 24–30.

94   Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 55f. ; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul. (Die folgenden Zitate S. 61f.)

95   Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 11–92

96   Ebd., S. 22

97   Ebd., S. 23

98   Stolte: Wadenbach, wie Anm. 19, S. 56

99   Ebd., S. 48

100   May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 94, S. 92

101   Vgl. Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 29ff.

102   Vgl. ebd., S. 33ff.

103   Vgl. dazu Stolte: Wadenbach, wie Anm. 19.

104   Vgl. dazu Heinz Stolte: Die Affäre Stollberg. Ein denkwürdiges Ereignis im Leben Karl Mays. In: Jb-KMG 1976. Hamburg 1976, S. 171ff.

105   Stolte: Wadenbach, wie Anm. 19, S. 56

106   Im einzelnen vgl. dazu Roxin, wie Anm. 18.

107   Zitiert nach Hans Wollschläger/Ekkehard Bartsch: Karl Mays Orientreise 1899/1900. Dokumentation. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 181

108   May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 94, S. 309

109   Ebd., S. 74. Vgl. auch Karl May: Babel und Bibel. Freiburg 1906, II. Akt, 20. Auftritt.

110   Vgl. May: Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 7, S. 1307; May: Der Weg zum Glück, wie Anm. 3, S. 201f. , 978, 2049; May: Waldröschen, wie Anm. 2, S. 573, 973; vgl. auch May: Der Schatz im Silbersee, wie Anm. 8, S. 287.

111   Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Bühne ein wichtiger Faktor. Jetzt wurden besonders Tänzerinnen bekannt wie z. B. Loïe Fuller durch Jules Chéret (vgl. Th. Th. Heine und Toulouse-Lautrec) oder Sarah Bernhardt durch Mucha. Das Kabarett begann seinen Siegeszug. Auch die bildende Kunst suchte die Verbindung zur Bühne, z. B. Honoré Daumiers Gemälde »Das Drama« oder was May sicher bekannt gewesen ist, »Das Drama« von Arnold Böcklin (1882), eine monumentale Verwirklichung der Allegorie. Im Jugendbuch »Die Räuberbande« von Leonhard Frank (München o. J.), der Karl-May-Gestalten enthusiastisch aufleben lassen will, wird einer namens Oldshatterhand als Malerschüler vorgestellt; sein letztes Werk wird in den Zeitungen mit Daumier verglichen (S. 274). Beliebte Maler wie Böcklin, Feuerbach, Schwindt (S. 221), Lenbach (S. 220) und Murillo (S. 260) tauchen auf. Über die Beziehung zwischen May und Frank vgl. Ingmar Winter: Karl May in der Deutschen Literaturgeschichte. Eine Bestandsaufnahme, Teil I. In: M-KMG 73/ 1987, S. 40.

112   Wollschläger: Die sogenannte Spaltung, wie Anm. 95

113   Old Death gehört in die Familie der »Seiltänzer«. Damit nimmt May einen Topos der damaligen Zeit auf. Von Nietzsche bis Buber reicht die literarische Verarbeitung, von Seurat bis Picasso die bildnerische. Bei May vgl. Die Liebe des Ulanen, wie Anm. 7, S. 212–218, Der Weg zum Glück, wie Anm. 3, S. 44, 468, Der verlorene Sohn, wie Anm. 44, S. 2047, Durch Wüste und Harem, wie Anm. 32, S. 43f., 251, Durchs wilde Kurdistan, wie Anm. 40, S. 486, In den Schluchten des Balkan, wie Anm. 17, S. 281, Satan und Ischariot II, wie Anm. 9, S. 176f., Am Jenseits, wie Anm. 52, S. 299f., 470, Ardistan und Dschinnistan I, wie Anm. 26, S. 355, um nur


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einige wenige zu nennen. Ausführliche Darstellung bei Ingmar Winter: Seiltanz als Motiv. In: M-KMG 79/1989, S. 40–42.

114   Vgl. Ekkehard Bartsch: »Die liebenswürdigste aller Musen«. Karl May und das Theater. In: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 369.

115   Adolf Gerber/Wilhelm Nhil/Paul Wilhelm: Karl May in Wien. Letzte Interviews (1912). In: Jb-KMG 1970. Hamburg 1970, S. 91

116   May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 94, S. 110f., vgl. schon S. 58.

117   Unter dramaturgischem Aspekt vgl. Hansotto Hatzig, wie Anm. 36 S. 142–151. Das Schattenspiel ist auch die Verdunklung der verbotenen Wirklichkeit. Diese meist in Asien geförderte Darbietung verbotener Erotik war May verdorben, vgl. May: In den Schluchten des Balkan, wie Anm. 17, S. 352ff.

118   May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 94, S. 150

119   Ebd., S. 63

120   Vgl. Hatzig, wie Anm. 36, S. 135f. Eine Nähe zu Hofmannsthals »Jedermann« (1911) scheint bewußt: auf einer dreistufigen Bühne muß Jedermann den eigenen Willen der höheren Ordnung unterwerfen. Das Auftreten allegorischer Figuren bei May (Phantasie, Bibel) dürfte in Hofmannsthals lyrischem Einakter »Das kleine Welttheater« (1897) vorgeprägt sein. »Das Salzburger große Welttheater« erschien zehn Jahre nach Mays Tod, May hätte sich hier in der Intention wiedergefunden, daß die Ordnung eine gottgegebene ist, der Mensch aber in der Ausgestaltung seiner empfangenen Rolle frei ist. Vgl. Ueding, wie Anm. 19, S. 594.

121   Karl May: Theater. In: Salzbrunner Zeitung Nr. 69 vom 15. Juni 1907. Zitiert nach dem Abdruck in: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 365

122   Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. In: Werke Bd. 2. Leipzig 1931, S. 21

123   Vgl. May: Im Reiche des silbernen Löwen IV, wie Anm. 8, S. 266, 380.

124   Weiteres dazu bei Ingmar Winter: Gottesurteil – Gottesgericht. Die Wiederbelebung des Ordals durch Karl May. In: M-KMG 81/1989, S. 19–26


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