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HARTMUT VOLLMER

Die >eigentliche Aufgabe< des Künstlers
Karl May und der Symbolismus*

»Verständniß der Weit in >Symbolen< ist die
Voraussetzung einer großen Kunst.«(1)



Gestehen wir es uns offen ein: Trotz erfreulicher Entwicklungen und zahlreicher Erfolge bei den Bemühungen der letzten Jahrzehnte, Karl May literarisch zu etablieren, scheint es der neueren Literaturgeschichtsschreibung noch immer schwerzufallen, diesem mit allerlei Vorurteilen, Brüchen, Miß- und Vieldeutungen belasteten Schriftsteller einen gebührenden Platz zuzuweisen. Wie wäre das auch möglich, mag man sich fragen, angesichts eines derart gewaltigen, heterogenen Œuvres, das heimatliche Dorfgeschichten wie exotische Reiseerzählungen, Humoresken wie ernste Gedankenlyrik, grellste Kolportageromane wie hochartifizielle Symbolwerke umschließt? Benötigte dieser Schriftsteller nicht vier, fünf Kapitel in literarhistorischen Abrissen, die Teile verschiedenster Literaturbewegungen und -genres darstellen? Gewiß, es ist ja nicht so, daß May von der Literaturgeschichte völlig verschwiegen würde,(2) vor allem im Konnex der deutschen exotischen Abenteuererzählung (oder allgemeiner: der Trivialliteratur) des 19. Jahrhunderts findet er durchaus Beachtung, aber es fällt doch auf, daß - seltsam genug - gerade seinem, nicht nur von May selbst so verstandenen, sondern inzwischen auch von der Kritik erkannten literarästhetisch bedeutenden Spätwerk eine angemessene literarhistorische Würdigung bislang weitgehend verwehrt geblieben ist.(3) Wie darzulegen sein wird, ist dies jedoch nicht allein ein >Karl-May-Problem<; hier dokumentiert sich zugleich die weitergreifende Schwierigkeit, oder sagen wir ruhig: das Defizit einer literaturepochalen Klassifizierung.

   >Karl May und der Symbolismus< - der Untertitel meines Vortrags gibt die Richtung eines Vorhabens an, das manchem gewagt, ja vielleicht vermessen, zu hoch gegriffen anmuten mag und ihm wie eine Fortsetzung erscheint der in der Vergangenheit bereits häufig angestellten, mitunter jedoch arg bemühten Vergleichsuntersuchungen

* Vortrag, gehalten am 27.9.1991 auf der 11. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Wiesbaden.


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>May und ... < - es folgen dann gewöhnlich Autorennamen der Hochliteratur, die in einem Atemzug mit Karl May genannt höchst verblüffend wirken. Aber - dies sei betont, und eine Reihe von Ergebnissen hat es deutlich gemacht - gerade derartige Untersuchungen sind nicht unwesentliche Beiträge, May aus der literaturgeschichtlichen Isolation, dem Abseits zu befreien und ihn aus dem Blickwinkel geistesgeschichtlicher Beziehungen und Entwicklungen zu betrachten, wodurch diese Studien, wenn auch nicht immer >Wegweiser<, so doch zumindest >Anmerkungen< für die literarhistorische Orientierung und Bewertung liefern können.

   Meine folgenden Ausführungen verstehen sich als ein Versuch, das genannte literaturgeschichtliche Defizit aufzugreifen, indem ich Aspekte, Möglichkeiten und Notwendigkeiten zeigen will, das artifizielle Spätwerk Karl Mays literarhistorisch einzubinden.

   Die Karl-May-Forschung hat sich in den vergangenen Jahren keineswegs gescheut, ihren Schriftsteller in Zusammenhängen mit Bewegungen, Stilrichtungen und Stilformen, Motiven oder Themen neuzeitlicher Kunst und Literatur zu sehen; auf Mays Beziehungen zur Aufklärung, Klassik, Romantik, zum Vormärz, Poetischen Realismus bis hin zum Jugendstil und Expressionismus ist bereits mehrfach - und mit gutem Grund - aufmerksam gemacht worden. Erstaunlicherweise fehlt bis heute allerdings eine nähere, umfassende Untersuchung seiner Beziehung zu einer Kunst- und Literaturbewegung, die sich, betrachtet man das Maysche Spätwerk, geradezu aufdrängt und zudem von May selbst explizit heraufbeschworen worden ist: die zum Symbolismus.(4)

   Bevor wir uns dieses Forschungsdesiderats annehmen, muß freilich differenziert werden zwischen einem Symbolismus in engerem und einem Symbolismus in weiterem Sinne.(5) Beide Symbolismusverständnisse lassen sich, wie ich am Beispiel Karl Mays zeigen werde, jedoch wieder zusammenführen, wodurch gleichzeitig die bereits angedeutete literarhistorische Problematik einer präzisen Definition und Klassifizierung der symbolistischen Bewegung evident wird. Diese Problematik ändert indes nichts an der Notwendigkeit, Karl May in die Geistesentwicklungen seiner Zeit zu stellen, um seine literarische Individualität und Verbundenheit genauer zu erkennen.

   Unter >Symbolismus< in engerem Sinne verstehen wir eine Kunst- und Literaturbewegung, die im vorletzten Dezennium des 19. Jahrhunderts von Frankreich ausging und sich über weite Teile Europas bis nach Amerika erstreckte. Als Begriff für eine Gruppe oder Schule von Dichtern trat er 1886 erstmals auf, provoziert gewissermaßen von einem journalistischen Angriff gegen die sog. >décadents< um Stéphane


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Mallarmé. Der Dichter Jean Moréas, ebenfalls ein Opfer des Angriffs, schlug nach der heftigen Kritik, in Abgrenzung vom mißverstandenen und in Verruf geratenen >décadents<-Begriff, den Ausdruck >symbolistes< vor, der sich dann rasch in der Öffentlichkeit etablierte. Moréas gründete 1886 die Zeitschrift >Le Symboliste< (von der allerdings nur vier Hefte erschienen) und publizierte am 18. September 1886 im >Figaro< ein Manifest des >symbolisme<. Der Dichter Anatole Baju hatte freilich schon einige Monate zuvor, im April 1886, in der Zeitschrift >Décadent< Mallarmé als den »Meister, der als erster die symbolische Doktrin formulierte«, gerühmt.(6) Moréas' Manifest kann kaum als ein klar definiertes Programm bezeichnet werden, vieles darin bleibt vage, verhaftet im traditionellen Symbolikverständnis. Deutlich wird jedoch - und dies ist ein wesentliches Moment für die Entwicklung der Bewegung - die Distanzierung vom Naturalismus. Ganz symptomatisch für den zeittypischen Pluralismus und die Kurzlebigkeit literarischer Gruppen sowie für die Richtungslosigkeit vieler Künstler war die Tatsache, daß Moréas bereits im September 1891, wiederum im >Figaro<, den Tod des Symbolismus verkündete und eine neue Schule gründete, die >école romane<. Natürlich war mit Moréas' >Totenrede< der Symbolismus nicht wirklich zu Grabe getragen; immer wieder gab es in Frankreich nachfolgend >Neugeburten< oder >Wiederbelebungsversuche<, die bis in das frühe 20. Jahrhundert reichten.

   Die diskontinuierliche Entwicklung im französischen >Geburtsland< des Symbolismus läßt schon erkennen, daß die Bewegung als ein chronologisch präzise begrenztes Phänomen nur schwer zu fassen ist. Bereits Jahrzehnte vor der Begriffsfindung traten etwa in Frankreich Dichter auf, die >symbolistisch< schrieben und heute zu Recht der Bewegung des Symbolismus zugerechnet werden. Die französische Literaturwissenschaft geht denn auch von einer Vier-Phasen-Einteilung des Symbolismus aus, die allgemeine Anerkennung gefunden hat und in der Tat überzeugender scheint als eine enge Begrenzung auf die 1880er/90er Jahre: die erste Phase wird bestimmt von dem großen >Vorläufer< Charles Baudelaire (1821-67), der besonders mit seinem Hauptwerk >Les fleurs du mal< (1857) stilbildend wirkte; die zweite umfaßt die große Schaffenszeit Paul Verlaines (1844-96), Arthur Rimbauds (1854-91) und Stéphane Mallarmés (1842-98) vor der Begriffsfindung; die dritte markiert die Gruppenbildung unter dem neuen Namen und ihr Weiterwirken bis zur Jahrhundertwende; die vierte schließlich bezieht sich auf die symbolistische Dichtkunst im 20. Jahrhundert, mit ihren bedeutendsten Vertretern Paul Valéry (1871-1945) und Paul Claudel (1868-1955).


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   Die Entstehung und das Programm einer symbolistischen Bewegung in Deutschland nachzuzeichnen stellt sich noch problematischer dar als dies bei der Entwicklung in Frankreich zu sehen gewesen ist. Die deutsche Literaturgeschichte orientiert sich hierbei gewöhnlich an drei Dichtern: Stefan George, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke, die freilich die symbolistische Dichtung so individuell ausprägten, daß es schwerfällt, von einer >  g e m e i n s a m e n  Bewegung< zu sprechen. Überdies begegnen wir um 1900 einer Vielfalt sich berührender und überschneidender Kunststile, die klare und scharfe Abgrenzungen einzelner Bewegungen schwierig machen - neben dem Symbolismus sind es Impressionismus, Jugendstil und Neoromantik, zu denen auch noch die Begriffe der Décadence und des Fin de siècle treten. Richard Hamann und Jost Hermand haben angesichts dieses Stilpluralismus als »bewußt neutrale(n)«, die verschiedenen Phänomene umschließenden Begriff den Terminus »Stilkunst um 1900« vorgeschlagen, der »so weit gefaßt« sei, »daß man nicht auf die ungewöhnliche Variationsbreite« der künstlerischen Tendenzen »zu verzichten« brauche.(7) Allerdings scheint mir, daß eine derart umfassende Bezeichnung manches Eigenartige in einem mit vielen Stilphänomenen gefüllten Topf allzuleicht untergehen läßt.

   Der Beginn einer symbolistischen Bewegung in Deutschland - von der wir trotz aller gedenken reden wollen - ist verbunden mit einem Aufenthalt Stefan Georges 1889 in Frankreich, wo er mit Mallarmé und anderen symbolistischen Dichtern zusammentraf. Deren ästhetische Vorstellungen versuchte George in Deutschland bekannt zu machen, indem er u. a. Dichtungen von Baudelaire, Verlaine und Mallarmé übersetzte. George vertrat in Deutschland sicher am konsequentesten die für den Symbolismus konstitutive Maxime einer >poésie pure<, das >l'art pour l'art<-Prinzip, ein hermetisch-esoterisches Kunstverständnis, das in Leben und Werk des Dichters die entsprechende,  b e s o n d e r e  Gestaltung fand; denken wir an seinen kultischen Kreis auserlesener Jünger, an seine >formensprachliche< Lyrik der 90er Jahre, an seine 1892 gegründeten >Blätter für die Kunst<, die zum Forum des >neuen Geistes< wurden und die verkündeten: »Sinnbildliches [= Symbolisches] sehen ist die natürliche folge geistiger reife und tiefe.«(8)

   Einer der ersten deutschsprachigen Dichter, die von Georges Vermittlung symbolistischer Poesie für das eigene Schaffen zutiefst inspiriert wurden, war der junge Hugo von Hofmannsthal, der zunächst an den >Blättern für die Kunst< mitarbeitete, sich aber im Laufe der Zeit, kontroverse Kunstauffassungen erkennend (was sich auch auf ein differentes Verständnis symbolischer Gestaltung bezog), immer weiter von


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der Dichteraristokratie Georges entfernte. Unter dem Dichterpseudonym >Loris< hatte Hofmannsthal im Wien der Jahrhundertwende für großes Aufsehen gesorgt. Hermann Bahr, Wortführer einer neuen, modernen Literaturbewegung (des >Jungen Österreich<), der bereits 1891 die Überwindung des Naturalismus gefordert hatte, rühmte schon früh den  S y m b o l i s t e n  Hofmannsthal, wobei Bahr den Symbolismus allgemein als bedeutende, neukünstlerische Gegenbewegung zum Naturalismus proklamierte. Allerdings zeigen sich die Symbolismusverständnisse Bahrs und Hofmannsthals keineswegs identisch. Bahr definiert die neue Bewegung als eine Nervenkunst, deren »Technik« er in einem Aufsatz von 1894 exemplifiziert: »ein Gefühl, eine Stimmung, ein Zustand des Gemüthes soll ausgedrückt und mitgetheilt, soll suggerirt werden. Was kann der Künstler thun? Das nächste ist wohl, es zu verkünden, sein inneres Schicksal zu erzählen, zu beschreiben, was und wie er es empfindet, in recht nahen und ansteckenden Worten. Das ist die rhetorische Technik. Oder der Künstler kann die Ursache, das äussere Ereigniss seiner Stimmung, seines Gefühls, seines Zustandes suchen, um, indem er sie mittheilt, auch ihre Folge, seinen Zustand mitzutheilen. Das ist die realistische Technik. Und endlich, was früher noch Keiner versucht hat: der Künstler kann eine ganz andere Ursache, ein anderes äusseres Ereigniss finden, welche seinem Zustande ganz fremd sind, aber welche das nämliche Gefühl, die nämliche Stimmung erwecken und den nämlichen Erfolg im Gemüthe bewirken würden. Das ist die Technik der Symbolisten.«(9) - Der moderne Symbolist wolle zwar wie der »überlieferte« Symbolismus Goethes, Byrons, Richard Wagners oder Victor Hugos ebenfalls »ins Unsinnliche«, aber »durch ein anderes Mittel«, »durch sinnliche Mittel«.(10)

   Für Hofmannsthal ist dagegen die Symbolgestaltung - und hierin unterscheidet er sich auch von der formal-ästhetischen Symbolauffassung Georges - ein metaphysischer Prozeß. Orientiert an einer romantischen >unio mystica<, wonach im Symbol der Ursprung, das Element der Poesie überhaupt liege, bedeutet für ihn die Symbolschaffung einen mystischen Akt, der Innen- und Außenwelt in Einklang setzt. Hofmannsthals >Gespräch über Gedichte< (1903) bezeugt, wie nah er dem, obwohl unter anderen Voraussetzungen entstandenen, Symbol-Begriff Goethes steht, wenn er betont, daß das Symbol nichts als sich selber bedeute, daß es nicht in Sprache »aufzulösen« sei, sondern als ein Geheimnis unaussprechlicher Dinge nur sich selbst darstelle; darin liege »die Wurzel aller Poesie«. Die Poesie setze »niemals eine Sache für eine andere«: »sie spricht Worte aus, um der Worte willen, das ist ihre Zauberei. Um der magischen Kraft willen, welche


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die Worte haben, unseren Leib zu rühren, und uns unaufhörlich zu verwandeln.«(11)

   Mit diesem Symbolverständnis, das die idealistische Tradition fortführt, hat Hofmannsthal eine Symbolismus-  B e w e g u n g  ausgeweitet, die ihre Anfänge in romantischen Ideen und romantischer Philosophie findet (deren Wurzeln wiederum in die mittelalterliche Mystik zurückreichen), von Richard Wagner (Wiedererweckungen mystischer und mythologischer >Wirklichkeiten<) und Friedrich Nietzsche (Proklamierung der entgötterten >Endzeit<, der >Umwertung aller Werte<, Propagierung schöpferischer Individualität, eines neuen (Über-)Menschen) Impulse erhält, im letzten Dezennium des 19. Jahrhunderts sich als Begriff etabliert und ihr Primat einer >autonomen Kunst< bis ins 20. Jahrhundert trägt. Die Literaturgeschichtsschreibung muß vor einer derart breiten >Bewegung< zwangsläufig kapitulieren oder sie - wie gewöhnlich praktiziert - in einen engbegrenzten Zeitraum zu bannen versuchen. Diese (obgleich problematisch bleibende) chronologische Begrenzung bietet sich an und erleichtert die literarhistorische Kategorisierung, wenn man den Symbolismus als eine  G e g e n b e w e g u n g  zum Naturalismus begreift - ein Gedanke, der wie erwähnt schon für die Gründung der symbolistischen Schule 1886 in Frankreich prägend war. Wogegen der Symbolismus opponierte und wodurch er sich zugleich selbst definierte, war vor allem die vom Naturalismus verkündete Determinierung des Ich durch die alltägliche Realität, waren die Veräußerlichung des Lebens und der positivistische Materialismus. Der Symbolismus antwortete darauf mit einer Beschwörung der Verinnerlichung, um zu den ewigen Geheimnissen  w i r k l i c h e n  , allverbundenen Lebens zu gelangen; er antwortete mit einer Beschwörung der Kräfte des Irrationalen, des Mythischen und Mystischen, der Mächte des Unbewußten, was sich auch in einem wachsenden Interesse am >Unheimlichen<, am Okkulten dokumentierte. Das Symbol war für die Bewegung der adäquate Ausdruck ewiger, seelischer Geheimnisse, ein Sinnbild der Vereinigung innerer und äußerer Wirklichkeit, eine »lebendigaugenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen«, wie Goethe die Symbolik grundlegend in seinen >Maximen und Reflexionen< bestimmte:(12) »Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.«(13)

   Im Schaffensprozeß des symbolistischen Künstlers vollzieht sich also der Akt einer Artikulation eigentlich unaussprechlicher Geheimnisse, wobei das geheimnisvolle Wesen in der künstlerischen Erscheinung be-


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wahrt bleibt. Die symbolistische Kunstgestaltung stellt sich nicht als Mimesis empirischer Realität dar, sondern als eine unmittelbare schöpferische, kunstautonome Versinnbildlichung metaphysischer >Wirklichkeiten<.

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Karl Mays Spätwerk, beginnend mit dem 1899 erschienenen Roman >Am Jenseits<, entstand zu einer Zeit, als die symbolistische Bewegung die Richtung neuer, moderner Kunst vorgab, zu einer Zeit, in der sich May neben den ethischen Aspekten des Schreibens nun verstärkt ästhetischer Fragen annahm und sie reflektierte. Wissend um die literarische Neuorientierung, um den >Bruch< mit seinen früheren, bunten, wildbewegten Reiseabenteuererzählungen, scheint es May nachgerade dazu gedrängt zu haben, mit der unmittelbaren Dokumentation der literarischen Wandlung durch das Schreiben des polyphonen Spätwerks sein Kunstverständnis grundsätzlich zu  d e f i n i e r e n  und es in eine Theorie zu fassen, die alle Leser und Interpreten seines Werks als Voraussetzung des  r i c h t i g e n  Verstehens zu beachten hatten.

   Was ich eigentlich will, weiß außer mir kein Mensch... Ich trete erst jetzt an meine  e i g e n t l i c h e  Aufgabe..., notierte er nach der vieles verändernden Orientreise im September 1900.(14) Kein Zweifel: es geht um etwas >Geheimnisvolles<, >Eigentliches<, >Wahres<, das unbekannt ist und von dem nur der Schriftsteller weiß, der sich nun anschickt, zum Verkünder dieses >Geheimnisses< zu werden. Wir können und müssen Karl May beim Wort nehmen: Ich habe stets eine Hinneigung zum Symbolismus gehabt, und zwar nicht nur zum religiösen;(15) ... alle meine Reiseerzählungen, die ich zu schreiben beabsichtigte, sollten bildlich, sollten symbolisch sein. Sie sollten Etwas sagen, was nicht auf der Oberfläche lag.(16) So bekundete May 1910 in der Selbstbiographie, nachdem er mit seinen symbolisch-allegorischen Großwerken eindrucksvolle Beweise für die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe vorgelegt hatte. Der symbolische Anspruch, den er auch für sein früheres Werk geltend machen wollte, ist freilich als eine späte, erzwungene Verklärung zu betrachten, die die Kontinuität seines Schaffens bezeugen und mit der einstigen Legende der Identität von omnipotentem Ich-Held und Autor endgültig brechen sollte. - Aber die Frage stellt sich, was es denn nun eigentlich ist, dieses >Geheimnisvolle<, das nicht auf der Oberfläche liegt, das sich in der literarischen Verschlüsselung verbirgt und nur in dieser Verschlüsselung gesagt werden kann und darf. - Zum einen ist es, wie viele Werkinterpretationen belegt haben, unbewältigtes auto-


Sascha Schneider: Im Reiche des silbernen Löwen II

Titelzeichnung zu Karl Mays Reiseerzählung, 1904/05
ca. 51 x 81 cm (vgl. S. 318)


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biographisches Material, das im Prozeß literarischer Gestaltung unaufhörlich zur Kompensation drängte. Zum anderen sind es über die Auseinandersetzung mit dem Einzelschicksal hinausgehende Menschheitsfragen, denen May in und mit seinem Werk Antworten zu geben versuchte, die er in ein literarisches, wie er bemerkte,  s y m b o l i s c h e s  Gewand kleidete, um so bei den Lesern Aufmerksamkeit und Interesse für sie zu wecken. Mays Symbolik-Verständnis kann sicher nicht als sehr differenziert bezeichnet werden. Bildhaftigkeit, Gleichnis, Märchen, Sage, Allegorie, Verschlüsselung waren für ihn im Grunde gleichbedeutende Begriffe des Symbolischen, für Darstellungen der hinter der äußeren Realität verborgen liegenden  e w i g e n  W a h r h e i t e n  . In den Zeichnungen von Bildern des  w a h r e n ,  e i g e n t l i c h e n  Daseins sah May die große Bedeutung und Aufgabe  e c h t e r  Kunst, die sich damit philosophischen und religiösen Fragen verpflichtete.

   Mays Fixierung auf die  i n n e r e  Welt fand ihre Grundlage bereits im frühesten Lebensalter des Schriftstellers, als das blinde Kind von der geliebten, vorlesenden Großmutter in die beglückende Welt der Bibel, der Märchen, Gleichnisse und Legenden geführt wurde.

   Neben den >Erläuterungen< zu seinem Drama >Babel und Bibel< (1906) und dem letzten, aufsehenerregenden Wiener Vortrag >Empor ins Reich der Edelmenschen< (1912) waren es besonders die 1906/07 in der Innsbrucker Zeitschrift >Der Kunstfreund< erschienenen >Briefe über Kunst<, in denen May Wesen und Aufgabe der (wahren) Kunst formulierte und zugleich programmatisch die Motivation und Intention seines Alterswerks, des symbolischen Schreibens, nannte, auch wenn sich manche Gedanken hier in eine allzu bildhafte Diktion verwischen und verlieren. Dabei verweist das zentrale Theorem der >Kunstbriefe< sehr deutlich auf Maximen des Symbolismus, wenn May die Kunst als  d i e j e n i g e  B e t ä t i g u n g  d e s  m e n s c h l i c h e n  G e i s t e s  u n d  d e r  m e n s c h l i c h e n  S e e l e  versteht,  w e l c h e  i n  d a s  I n n e r e  d e s  G e g e n s t a n d e s  e i n d r i n g t ,  u m  d a s  W e s e n  d e s s e l b e n  z u  e r f a s s e n ,  u n d  d a n n  w i e d e r  n a c h  a u ß e n  z u r ü c k k e h r t ,  u m  d a s  A e u ß e r e  i m  E i n k l a n g e  m i t  d e m  I n n e r n  d a r z u s t e l l e n  .(17) Das künstlerische Schaffen wird dadurch - ganz im symbolistischen Sinne - zu einem göttlichen Schöpfungsakt: Wie Gott sich in sich selbst versenkte, als er beschloß, das All mit seiner Schöpfung zu erfüllen, so läßt sich der schaffende Künstler in sein eigenes Ich hinunter, während er im Geiste und in der Vollkraft seiner Werke auf die Höhe des sichtbaren Lebens steigt.(18) Der Künstler müsse die sinnlich wahrnehmbare, äußere Erscheinung irdischer Dinge mit der wirklichen Wahrheit ihres Wesens in sichtbare Harmonie bringen.(19) Die Aufgabe der Kunst sei es schließlich, zwi-


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schen Diesseits und Jenseits, zwischen Wissenschaft und Religion zu vermitteln; sie sei  b e r u f e n ,  u n s e r  i r d i s c h e s  W i s s e n  z u m  h i m m l i s c h e n  G l a u b e n  e m p o r z u f ü h r e n  (20) und die verlorene Erinnerung an Himmlisches, an Ewiges uns zurückzugeben.(21)

   Daß ein derart hehres Kunstverständnis ausschließlich irdisch orientierte Kunstrichtungen als >Verirrung< entschieden ablehnt - May nennt hier gegenwärtige Tendenzen einer »Kunst des Häßlichen« und einer »Kunst des Bösen«(22) -, verwundert nicht. Die symbolistische Kunst hat sich den Phänomenen des Häßlichen und Bösen freilich nicht verschlossen, denn als Abgründe des Seins, als komplementärer Kontrast zum Schönen und Guten bedeuteten sie (wie besonders die Romantiker demonstriert hatten) nur die Kehrseite eines Welt  g a n z e n  . Mays Ablehnung steht dem Symbolismus aber nicht unbedingt konträr gegenüber. Wogegen May sich wandte, war die Darstellung des Häßlichen und Bösen als  S e l b s t z w e c k  , für die das ideale, vollkommene göttliche Sein nicht mehr zu existieren schien.

   Das künstlerische Prinzip symbolischer Gestaltung hat May am Beispiel seines Gedichts >Der Dorf-Bildschnitzer< (>Der Herrgottsschnitzer<) veranschaulicht: Der arme, alte, einfache Herrgottsschnitzer wird zum wirklichen Künstler, indem er den Stoff, die Materie beseelt und so deren inneres Wesen erfaßt: Er läßt den Stoff, das Holz, weinen, und er läßt es jauchzen...  D a s  i s t  d a s  I n n e r e  . Aber noch tiefer als dieser Schmerz und diese Freude liegt etwas anderes, nämlich das psychische Erleben des äußerlich Geschauten. Denn nur aus diesem seelischen Miterleben heraus entwickelt sich jenes unwägbare, ich möchte sagen, himmlische Fluidum, welches das Werk des Meisters durchgeistigt und verklärt und als sicherstes Zeichen gelten darf, daß er ein wirklicher, ein wahrer Künstler ist.(23)

   Eine Lösung vom >äußeren Stoff<, die das innere all-gültige Wesen offenbart, zeigt auch Hermann Bahr an einem Beispiel »symbolistischer Technik«: »Einem Vater stirbt sein Kind. Dieser wilde Schmerz, die rathlose Verzweiflung sei das Thema.« Während der »rhetorische Dichter« »einen genauen und deutlichen Bericht seiner innern Thatsachen«, der »realistische Dichter« »einen genauen und deutlichen Bericht aller äusseren Thatsachen« gebe, werde der »symbolistische Dichter« »von einer kleinen Tanne erzählen, wie sie gerade und stolz im Walde wuchs (...): >Da kam ein hagerer, wilder Mann und hatte ein kaltes Beil und schnitt die kleine Tanne fort, weil es Weihnachten war<«. Der symbolistische Dichter werde also »ganz andere und entfernte Thatsachen berichten, aber welche fähig sind, das gleiche Gefühl, die nämliche Stimmung, den gleichen Zustand, wie in dem Vater


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der Tod des Kindes, zu wecken.« - »Das ist der Unterschied, das ist das Neue.«(24)

   Unverkennbar gilt auch für Bahrs Beispiel das von May genannte psychische Erleben des äußerlich Geschauten als eine Bedingung der symbolischen Gestaltung; die von Bahr betonten »sinnlichen Mittel«, die den Weg ins »Unsinnliche« öffnen sollen, umgehen ja nicht die Innenschau.(25)

   Wie beim Symbolismus überhaupt kann Mays Kunstbegriff ebenfalls in Abgrenzung zu anderen Stilrichtungen der Jahrhundertwende, und hier insbesondere zum Naturalismus, definiert werden. Zwar nennt er den Naturalismus in den >Kunstbriefen< nicht explizit, aber die Charakterisierungen gegensätzlicher Tendenzen zur wahren Kunst, wie May sie begreift, lassen kaum einen Zweifel daran, welcher Bewegung die Kritik gebührt: Man erlaubt sich, zu ketzern. Man wagt es, zu behaupten, daß der Natur des Göttlich-Menschlichen eine größere Autorität zukomme als den Konservatoren veralteter Anschauungen, die, selbst wenn sie aus Griechenland stammen, für unsere Zeit nicht mehr passen. Man behauptet, daß die von dieser Seite krampfhaft festgehaltene Kunst nicht mehr als  n a t ü r l i c h  , sondern als  e r k ü n s t e l t  erscheine. Die wahre und die einzige Quelle der Kunst sei das Leben, aber  g r a d  d i e s e s  L e b e n  h a n d l e  n a c h  k e i n e m  e i n z i g e n  d e r  g e g e n w ä r t i g e n  K u n s t g e s e t z e  .(26)

   Ihr wühlt mit Lust im Schlamm und nennt euch Dichter! heißt es in dem Gedichtfragment >Kunst<, das sich in Mays Nachlaß fand: Ihr zeigt den Schmutz, den wir doch alle sehen, / und nennt euch Künstler! Doch die wahre Kunst / arbeitet nicht mit minderwert'gem Stoff, / um wahrhaft Gottes Abbild darzustellen...(27)

   Es ist stets die  i d e a l i s t i s c h e  Kunst, die May postuliert, eine Kunst, die ewige, göttliche Ideale zurückrufen müsse, an denen die (äußere) Realität sich zu orientieren und zu messen habe. »Des Naturalismus sind wir satt; er hat seine Schuldigkeit gethan«, schrieb Arthur Eloesser 1900 in einer kritischen Betrachtung >neuer Dramen<; »nachdem wir den Gebrauch unserer Sinne wiedergefunden haben, wollen wir eine höhere Geistigkeit, eine neue Synthese des Lebens, die seine dunkle Vielfältigkeit, seine unendliche Gebrochenheit wieder zur lichtvollen Einheit bringt. Wir wollen große Linien, feste Formen, blühende Farben, Glanz und Pracht, mit  e i n e m  Worte: wir wollen Schönheit.«(28)

   Mays 1906 erschienenes, völlig verkanntes symbolträchtiges Drama >Babel und Bibel<, auf dessen zugrundeliegenden künstlerischen Gestaltungswillen er wie bei keinem anderen Werk aufmerksam gemacht


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hatte, verdankte seine Entstehung u. a. einer tief empfundenen Misere der zeitgenössischen dramatischen Literatur, die aus der Höhe in die Niedrigkeit, aus dem Sonnenlande in die Sümpfe unserer Laster hinabgestiegen sei. Sie zeigt uns mit Vorliebe das Böse, das Häßliche, das Gemeine und giebt dabei nur vor, das Gute, das Schöne, das Hohe zu wollen. Wenn man das Schöne, das Gute, das Edle aber wirklich will, warum zeigt man es nicht gleich? ... Das gegenwärtige Leben verlangt nach neuen Idealen, und ebenso die gegenwärtige Bühne. Aber diese neuen Ideale sind die  e w i g e n  , die  a l t e n  , die uns  n e u  g e b o r e n  werden müssen, damit sie unter uns erscheinen und uns als Führer dienen können.(29)

   Seine zweite Frau Klara hat uns überliefert, daß May, der unter den klassischen dramatischen Dichtern vor allem Lessing und Schiller schätzte, zutiefst beeindruckt war von zwei Hofmannsthal-Aufführungen 1904 im Dresdner Hoftheater: >Der Tor und der Tod< und >Elektra<: »Beide Werke haben uns erschüttert. Dieser Mann [gemeint ist Hofmannsthal] ist groß, edel und tief.«(30) Eine ähnliche Wirkung zeitgenössischer Bühnenwerke übte sechs Jahre später ein Stück Gerhart Hauptmanns aus, bezeichnenderweise aber keines seiner >klassisch< naturalistischen, sondern das traummystische >Hanneles Himmelfahrt<.(31)

   Bedeutsam für Mays Entwicklung symbolischer Gestaltung war zweifellos seine Begegnung und Freundschaft mit dem Maler Sascha Schneider, den er 1903 persönlich kennenlernte und in dessen zunächst unverkennbar von Max Klinger beeinflußten symbolisch-allegorischen Bildern May vermutlich bereits vor der Jahrhundertwende (besonders in Schneiders Kartons >Das Gefühl der Abhängigkeit< (1893) und >Um eine Seele< (1895), die als Zeitschriftenreproduktionen rasch große Popularität gewannen) Geistes- und Seelenverwandtschaft entdeckt haben dürfte.(32) Schneiders monumentales Tafelbild >Um die Wahrheit< (1901) beispielsweise, das 1902 im Dresdner Ausstellungssalon von Emil Richter zu sehen war, behandelte ein Thema, dem sich Karl May in seinem letzten Lebensjahrzehnt immer wieder widmete; der Titel des Kolossalgemäldes könnte geradezu als ein Leitgedanke über dem Mayschen Alterswerk stehen, welcher der Frage menschlichen Strebens und künstlerischen Schaffens die Richtung wies. Schneiders symbolisch-allegorische Titelbilder, die er für Mays Werke ab 1904 schuf, gaben der literarischen Wandlung des Schriftstellers denn auch die kongeniale Illustration.

   Betrachten wir nun dieses >verwandelte<, symbolische Schreiben Mays näher. Ein wesentliches formales Kennzeichen des Mayschen Spätwerks ist die vielschichtige Struktur. Dabei ist von drei >Grund-


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ebenen< auszugehen: der Handlungsebene, der autobiographischen Ebene und der philosophisch-religiösen Ebene, die sich wiederum in verschiedene Unterebenen differenzieren lassen. In künstlerischer Vollendung verschmelzen die Ebenen bewußter wie unbewußter Formung zu einer untrennbaren Einheit. Dies ist May vor allem in seinen Großwerken >Im Reiche des silbernen Löwen III/IV< (1902/03) und >Ardistan und Dschinnistan< (1907-09) beeindruckend gelungen. Die äußere Fabel erzählt immer zugleich eine verborgene, eigentliche, wahre Geschichte, die gewissermaßen auf einer metaphysischen Ebene (unter literaturpsychologischem Aspekt auf einer verschlüsselten autobiographischen Ebene) spielt. Ich will das am Beispiel des literarästhetisch wohl bedeutendsten Romans Mays, >Ardistan und Dschinnistam, kurz veranschaulichen:

   Ausgangspunkt des Romangeschehens ist eine paradiesische Residenz der ehrwürdigen alten Fürstin Marah Durimeh, das auf Sitara gelegene Ikbal, wo Kara Ben Nemsi als Gast weilt. Angesichts des bevorstehenden Krieges zwischen den Ländern Ardistan und Dschinnistan soll Kara Ben Nemsi im Auftrag Marah Durimehs Frieden bringen, dem Mir von Dschinnistan von den tiefgelegenen Sümpfen der Ussul aus entgegensteigen, um Ardistan und seinen Herrscher auf ihn vorzubereiten.(33) Die weitere Romanfabel schildert diese erlebnisreiche Missionsreise des >Ich<, deren einzelnen Stationen an dieser Stelle nicht nachgegangen werden kann, die ich aber als bekannt voraussetzen darf. Die Mission endet schließlich mit einem Sieg des Friedens und der Liebe. - Diese Reise entbehrt keinesfalls einer realistisch-konkreten, detailgenauen Beschreibung; insofern setzt die Fabel durchaus frühere Reiseerlebnisschilderungen fort, und auch die Protagonisten des Romans - Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar, Marah Durimeh - sind vertraute Figuren Mays. Schauen wir uns aber die Örtlichkeit genauer an, wo die Reise beginnt. Auch ihr liegt eine realistisch-konkrete Zeichnung zugrunde, die dem Leser eine anschauliche Vorstellung vermittelt und ihm ein >Zurechtfinden< ermöglicht, und dennoch wirkt sie gleichzeitig befremdlich, verleiht sie dem Geschehen einen märchenhaften Zauber und öffnet eine abstrakte Leseebene: Meine Erzählung beginnt in Sitara, dem in Europa fast gänzlich unbekannten »Land der Sternenblumen«.(34) - Da haben wir also wieder das >Unbekannte<, das >Geheimnisvolle<. May hat uns den Deutungsschlüssel für die auf Sitara stattfindende >Reise< indes selbst in die Hand gegeben. In Wahrheit handelt es sich bei der beschriebenen Örtlichkeit um eine innere, seelische Landschaft, auf die bereits einige Namen verweisen. >lkbal< steht demnach (in Übersetzung) für die >Schönheit<, die >Glücksbringende<;


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dieses Eden wird von dem Fluß >Ed Din< (= >der Glaube<) umschlossen. Mit der Außenwelt verbunden ist der kleine Hafen von Ikbal lediglich durch das Schiff >Wilahde< (= >Geburt<), mit dem das >Ich< nach Ardistan, dem Land der Gewaltmenschen, aufbricht - entschlüsselt heißt das: Der Mensch tritt aus dem Paradies ins Leben, dessen Geschichte - es ist die Entwicklungsgeschichte der ganzen Menschheit -, vom Urgebiet Ussulistan, dem ethisch-kulturellen Sumpfland, zum göttlichen, erlösenden Hochland, den Bergen Dschinnistans, der Roman erzählt. Der Auftrag der hehren Greisin Marah Durimeh, der die Fabel in Bewegung setzt, stellt sich dar als die philosophisch-religiöse Mission des von der >Menschheitsseele< (Marah Durimeh) ausgesandten >Ich< (der >Menschheitsfrage<), den Gewaltmenschen (den Mir von Ardistan) zum Edelmenschentum, zu Gott (dem Mir von Dschinnistan) zu führen. - Was May hier literarisch vollzieht, ist nichts anderes als die Harmonisierung der Außen- und Innenwelt, die er von der Kunst forderte. Es sind Zeichnungen erinnerter himmlischer Wahrheiten, Bilder der für die symbolistische Kunst konstitutiven Vorstellung eines hintergründigen Zusammenhangs allen Seins, des >Ur-Einen<. Die äußeren Erscheinungen, sei es eine Figur, ein Gegenstand, ein Ort, ein Motiv, eine Handlung, sind >verbildlichte< innere Phänomene. Äußere Erscheinung und inneres Wesen sind nicht voneinander zu trennen. Das sinnlich Erfahrene meint immer noch etwas anderes, oder vielmehr: etwas weiteres, das zugleich das Eigentliche, Wesentliche ist.

   In seiner Selbstbiographie hat May wiederum die Zeitbezogenheit der symbolischen Gestaltung, deren Bedeutung und Intention betont, die mit Gedanken der symbolistischen Bewegung kongruieren: Es ist die Aufgabe des begonnenen, gegenwärtigen Jahrhunderts, unsere ungeübten Augen für die große, erhabene Symbolik des alltäglichen Lebens zu schärfen und uns zu der beglückenden und erhebenden Erkenntnis zu bringen, daß es höhere und unbestreitbarere Wirklichkeiten gibt als diejenigen, mit denen der Werk- und Wochentag uns beschäftigt. Die Skizzen, die ich zeichnete und veröffentlichte, sollen der Vorbereitung zu dieser Erkenntnis dienen. Darum sind sie symbolisch geschrieben und, um verstanden zu werden, nur bildlich zu nehmen.(35)

   Als paradigmatische, in sich geschlossene Prosaform symbolischen Erzählens sah May - durchaus ähnlich den Romantikern - das Märchen, das für ihn dazu bestimmt war, göttliche Wahrheiten zu tragen und zu vermitteln. May meinte hierbei weniger das Volksmärchen als vielmehr die Form des biblischen Gleichnisses oder der allegorischen Lehrdichtung; trotz seines anspruchslosen, einfachen Kleides sei dieses


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Märchen die höchste und schwierigste aller Dichtungen, der in ihm wohnenden Seele gemäß.(36) Im >Märchen von Sitara<, das seiner Selbstbiographie voransteht, hat er die dem >Ardistan und Dschinnistan<-Roman zugrundeliegende Idee zusammengefaßt und erläutert, dabei den >Seelenplaneten< präziser lokalisiert und charakterisiert: Wenn man von der Erde aus drei Monate lang geraden Weges nach der Sonne geht und dann in derselben Richtung noch drei Monate lang über die Sonne hinaus, so kommt man an einen Stern, welcher Sitara heißt... Dieser Stern hat mit unserer Erde viel, sehr viel gemein.(37)

   Die Realistik der Beschreibung bleibt geheimnisvoll; sie führt in die Utopie, die die Wirklichkeit reflektiert und deren Hintergründe und Tiefen beleuchtet. Imaginär und doch wahr, so zeichnete May das große, weite Territorium des Spätwerks, das >Land der Sternenblumen<, die seelische Heimat, entworfen erstmals im genannten Drama >Babel und Bibel<, das er als wirklichen Beginn, als ersten Band des >eigentlichen Werks< apostrophierte.(38) In seinen >Erläuterungen< zu dieser >Arabischen Fantasia< interpretiert er Sitara als außerirdische Gedankenhöhe, von der aus alle irdischen Verhältnisse zu betrachten sind, wenn sie wahr, das heißt im Zusammenhang mit oben erscheinen sollen.(39) - Es ist kein Zufall, daß May diesen erdenfernen und der Erde zugleich so nahen >Stern< mit Blumen >schmückt<. Ich habe an anderer Stelle auf das zentrale Rosen-Motiv bei May hingewiesen und dort die Bedeutung der Blume aufgezeigt als Innen- und Außenwelt einendes Symbol, dem die symbolistische Kunst - in der deutschsprachigen Dichtung besonders Rainer Maria Rilke - denn auch immer wieder größtes Interesse geschenkt hat.(40)

   Wollte man die mysteriösen, real-irrealen Schauplätze des Mayschen Spätwerks visualisieren, etwa die Waage der Gerechtigkeit in >Am Jenseits<, den Ruinenbau mit dem >hohen Haus< des Ustad im >Silberlöwen<, Märdistan mit der Geisterschmiede von Kulub in >Babel und Bibel<, die Residenz Ikbal und die Stadt der Toten in >Ardistan und Dschinnistan< oder die Teufelskanzeln in >Winnetou IV<, so dürften die Bilder traumartigen, visionären Gemälden nahekommen, die uns von der symbolistischen (wohl auch der surrealistischen) Kunst vertraut sind, Gemälden, die einerseits den Naturerscheinungen verbunden sind, andererseits aber die Hintergründe der Erscheinungen projizieren, indem sie Augenschau und geistige Anschauung bzw. seelische Kontemplation vereinen. Max Deri hat für die bildende idealistische Kunst der Jahrhundertwende den Begriff der >naturalistischen Permutation< geprägt,(41) der eine künstlerische Gestaltung umfaßt, die Naturobjekte nicht zerstört, sie jedoch aus ihrem gewohnten Zusammenhang


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löst und in neue Vorstellungsbereiche setzt. Die Einzelheiten der Naturobjekte bleiben damit zwar bewahrt, aber in der neuen Zusammenstellung haben sich ihre Bedeutungsbereiche verändert und erweitert.

   Der Symbolismus ist eine Kunstbewegung der Visionen, der mit dem geistigen Auge erschauten Bilder, in denen die gesuchte Einheit alles Seienden vollendet erscheint. - Der Sinn für das Irrationale, der sich um die Jahrhundertwende als Antwort auf die durch den übermächtigen Materialismus und Positivismus empfundene Entmündigung des Ich (hinzu kam zweifellos ein breites Gefühl politischer Ohnmacht) zu einem Zeitphänomen entwickelte, erweckte zwangsläufig ein verstärktes Interesse für >Grenz-< oder >Geheimwissenschaften<. Spiritistische und okkultistische Lehren und Praktiken versuchten die Geheimnisse der seelischen Tiefen aufzuspüren, nicht selten freilich aus reiner Sensationslust und wohligem Schauer in Erwartung gespenstischer Erscheinungen. Auch Karl May, der allen seelischen Phänomenen größte Aufmerksamkeit schenkte, blieb von spiritistischen Gedanken und Experimenten nicht unbeeindruckt (wie Stellen in seinem Werk, biographische Zeugnisse und der umfangreiche Bestand an Literatur über >Geheimlehren< in seiner Bibliothek belegen), wenngleich er den Spiritismus öffentlich wiederholt entschieden ablehnte. Befürchtend, die symbolisch-allegorischen Seelenbilder seiner Spätwerke könnten in Unkenntnis seiner Kunstauffassung nicht  r i c h t i g  verstanden, sondern als Produkte einer >Geisterseherei< und >Wundergläubigkeit< abgetan werden, versäumte er es überdies nicht, sich dezidiert gegen einen in Verruf geratenen Mystizismus auszusprechen. So verkleide er im ersten Band seiner Reiseerzählungen, >Durch Wüste und Harem<, nur ein echt deutsches, also einheimisches, psychologisches Rätsel in ein fremdes orientalisches Gewand..., um es interessanter machen und anschaulicher lösen zu können. Das ist es, was ich meine, wenn ich behaupte, daß alle diese Reiseerzählungen als Gleichnisse, also bildlich resp. symbolisch zu nehmen sind. Von einem Mystizismus oder dergleichen kann dabei gar keine Rede sein.(42)

   Wie beschrieben, fand das in Mays Leben und Werk zentrale Interesse an seelischen Fragen in seiner Zeit einen überaus fruchtbaren >Nährboden<. Bedacht werden muß auch, daß 1899 die >Traumdeutung< Sigmund Freuds erschien, dessen psychoanalytische Theorien und Erkenntnisse rasch großes Aufsehen erregten. Dabei wurden den Symbolen, die sich in den Träumen als deren unbewußte >Sprache< darstellten, für die seelische Diagnose neue Bedeutungen geöffnet. Neben der Funktion einer >stummen Artikulation< individueller seelischer Befindlichkeit ist das Symbol von der Psychoanalyse in seiner archetypi-


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schen Eigenschaft erklärt worden, das auf ein kollektives Unterbewußtsein schließen lasse. - Daß die psychoanalytischen Erkenntnisse zur Deutung des Œuvres Karl Mays wesentlich beitragen können, haben Forschungsergebnisse der letzten Jahre evident gemacht. Mays Symbole, Allegorien, Gleichnisse, Märchen oder Verschlüsselungen scheinen sich hier als Studienobjekte geradezu anzubieten. Allerdings ist eine generelle Problematik bei einer derartigen Exegese nicht zu übersehen, gehen wir davon aus, daß die Symbolik (verstanden auch als ein Oberbegriff versinnbildlichter Darstellung) das eigentlich Unaussprechliche, das Geheimnis verlorener Einheit alles Seienden birgt und eine gewissermaßen sprachlose, archaische Verbindung zwischen Kunstschöpfer und Rezipient knüpft, berücksichtigen wir zudem, daß es sich bei vielen Symbolen um Manifestationen des Unbewußten handelt, deren Deutung eo ipso nur hypothetisch bleiben kann. Wilhelm Emrich hat am Beispiel von Goethes >Wanderjahren< grundsätzlich auf die Schwierigkeit einer Interpretation dichterischer Symbolik hingewiesen, denn »je bedeutender« Dichtung sei, »um so mehr« verschließe »sie ihr Geheimnis im Besonderen« und enthalte »sich generell begrifflicher Aussage«.(43) Darin liege eine Antinomie von Dichtung und Deutung, in einer der Erkenntnis dienenden  E n t h ü l l u n g  und einer gleichzeitigen, der Offenbarung dienenden  V e r h ü l l u n g  . So bedeute »jede Erschließung« eines Kunstwerks »nicht nur Gewinn, sondern auch Verlust«,(44) die Gefahr einer Zerstörung geheimnisvoller Wahrheiten, deren sprachlose Ausdrucksformen nicht ohne weiteres in Begriffe zu übersetzen seien. »Echte Dichtung gewinnt ihre Wahrheit, aber auch das Maß ihrer Harmonie, gerade aus dem >Inkommensurablen< ihrer Sinnbilder, aus dem unausmeßbaren Abstand zwischen Sinn und Bild, Erscheinung und Wesen.«(45)

   Karl May wußte um das Geheimnis des Unausgesprochenen und Unaussprechlichen himmlischer Wahrheiten. Dort, wo er sie bewußt literarisch einkleidete, um sie mitteilbar zu machen und zugleich ihr Geheimnis zu bewahren, sprach er in Allegorien, Gleichnissen, Märchen;  e i g e n t l i c h e  Symbolik - legen wir Goethes Unterscheidung von Symbolik und Allegorie zugrunde - manifestierte sich dagegen in der unbewußten, unmittelbaren Gestaltung archaischen Materials, in Ur-Bildern des Seins, die das Geheimnis der Wahrheit nicht in verweisender Form, sondern die dieses Geheimnis selbst trugen. Die Vielschichtigkeit des Symbolischen in Mays Spätwerk hat Hans Wollschläger am Beispiel des >Silberlöwen<-Romans musterhaft aufgezeigt, bei dem er eigentliche Symbolik, Allegorie und Verschlüsselung auf Stufen der Vergangenheit und Vorvergangenheit differenziert.(46) Mit gutem


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Grund spricht Wollschläger von einer »ersten Annäherung« an den >Silbernen Löwen<. Bei aller genannten Problematik einer Deutung der symbolischen Gestaltung, die für das Alterswerk konstitutiv ist, hat die Literaturwissenschaft bezüglich dieses Spätwerks noch immer vieles aufzuarbeiten, eines Werks, das sich gerade wegen seiner Polyphonie der Ein-deutigkeit entzieht und in dem letztlich das unerschöpfliche Geheimnis großer Kunstwerke bewahrt bleiben wird.

   Ich kann an dieser Stelle nicht auf weitere, ausführlichere Beispiele des symbolischen Schreibens Karl Mays eingehen, etwa auf zentrale, symbolismuscharakteristische Motive wie die - neben den Rosen - Engel- und Dämonenfiguren oder die geheimnisvollen Gewässer, Höhlen und Turmbauten. Das Ungesagte würde aber an dem hier dargestellten Wesentlichen nichts ändern, sondern nur das Gesagte verifizieren. Die Ausführungen dürften gezeigt haben, daß Mays Beziehungen zum Symbolismus sehr vielfältig sind, auch wenn er sich nicht explizit als Mitglied der Kunst- oder Literaturbewegung erklärt hat. - Dieses Resümee führt uns zur einleitenden Überlegung eines >literarhistorischen Defizits< zurück.

   In der literaturwissenschaftlichen und literaturgeschichtlichen Betrachtung der deutschsprachigen symbolistischen Dichtung gilt gemeinhin - und sicher nicht zu Unrecht - das Urteil, daß die vollendetsten und mustergültigsten Werke der Bewegung in der Lyrik und im lyrischen Drama geschaffen wurden. Dementsprechend marginal bleibt zumeist die Beachtung des erzählerischen Genres. Eine umfassende Geschichte des deutschsprachigen symbolistischen Romans, die neben den Behandlungen einzelner Werke auch geistesgeschichtlichen Beziehungen sowie komparatistischen Aspekten nachzugehen hätte, ist noch zu schreiben. Vor dem Hintergrund einer Differenzierung symbolistischer Erzählformen und -tendenzen (etwa eines religiösen, kosmischen, schauerlichen, satanischen, mystischen oder psychologischen Symbolismus) wären Werke von Autoren wie Gustav Meyrink, Alfred Kubin, Theodor Däubler, Victor Hadwiger, Alexander Moritz Frey, Herbert Eulenberg, Hanns Heinz Ewers, Karl Hans Strobl, Paul Scheerbart, Stanislaw Przybyszewski, Carl Spitteler, aber auch von Franz Kafka und Hermann Hesse zu berücksichtigen. Karl Mays Altersromanen käme in dieser Darstellung sicherlich keine unwesentliche Bedeutung zu. Und dennoch: Trotz der möglichen Zuordnung, trotz formaler und thematischer Parallelen stehen die symbolisch-allegorischen Romane Mays mit der Verflechtung von Reiseabenteuer, seelischen Projektionen, philosophisch-religiösen und autobiographischen Verschlüsselungen einzigartig in der deutschen Literatur. So sind auch


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Arno Schmidts bewundernde Worte über den »letzte(n) Großmystiker unserer Literatur«(47) die Reverenz an einen Schriftsteller, den die Rätselhaftigkeit, unter der Oberfläche des Verkennens, als Ausdruck tiefgründigen Schreibens auszeichnet.

   Karl May ist literarisch nichts »schuldig« geblieben, wie »die Dämmerungszüchter und Halbdunkelmänner, die sich Mystiker nennen« - so beklagte Arthur Eloesser zeittypische Dichtererscheinungen der Jahrhundertwende.(48) Mit Recht wird man behaupten dürfen, daß sich in May die genannte traditionelle geistesgeschichtliche Verwurzelung der symbolistischen Bewegung, von der christlichen Mystik des Mittelalters über die beschworene unio mystica der Romantik, und ihre Entwicklung bis hin zu dem ins 20. Jahrhundert weisenden Postulat eines allverbundenen Idealmenschen verdichtet und dabei im erzählerischen Genre - sagen wir es freimütig - wohl auch zu einem Höhepunkt gefunden haben.

   Nur ein bescheidener Märchenerzähler, ein >Hakawati<, eine (49) wollte May im Alter sein. Bis zuletzt war er erfüllt und beunruhigt zugleich von dem Gedanken, literarisch noch immer am Anfang zu stehen, noch immer das eigentliche,  d i c h t e r i s c h e  Werk schreiben zu müssen, in der Gewißheit eines ewigen >Nie-zu-Ende-Seins<. Oft ist in Mays Œuvre von >Grenzen< die Rede: inneren Grenzen, die er immer wieder zu überspringen gedachte, immer wieder auf der Suche nach den letzten Geheimnissen, die den Kreis zum Ursprung allen Seins schlossen.

   Man muß schon die dichterischen Größen herbeizitieren, um die Großartigkeit dieser Geheimnisse ins richtige Wort zu setzen: »Die Kunst ist der dunkle Wunsch aller Dinge. Sie wollen alle Bilder unserer Geheimnisse sein«, notierte Rainer Maria Rilke in einer kurzen, undatierten, vermutlich um 1900 entstandenen Aufzeichnung: »Verschwiegen und verratend zugleich. (...) Das ist das Rufen, das der Künstler vernimmt: der Wunsch der Dinge, seine Sprache zu sein. Er soll sie aus den schweren unsinnigen Beziehungen der Konvention in die großen Zusammenhänge seines Wesens heben.«(50)

   Es mag manchen überraschen: Karl May hat mit seinem Alterswerk unbestreitbar die »großen Zusammenhänge« erschrieben.



1 Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1869-1874. In: Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke Bd. 7. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München-Berlin-New York 1980, S. 308

2 Vgl. dazu Ingmar Winter: Karl May in der Deutschen Literaturgeschichte. Eine Bestandsaufnahme. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 73/1987, S. 35-42, und M-KMG 74/1987, S. 53-61.


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3 Eine der wenigen Ausnahmen stellen die (wenn auch kurzen) Hinweise Günter Waldmanns in Horst Albert Glasers >Sozialgeschichte< der deutschen Literatur dar: Günter Waldmann: Trivial- und Unterhaltungsromane. In: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Hrsg. von Horst Albert Glaser. Bd. 8: Jahrhundertwende: Vom Naturalismus zum Expressionismus. 1880-1918. Hrsg. von Frank Trommler. Reinbek b. Hamburg 1982, S. 131f.

4 Vielversprechend für unsere Thematik scheint zwar der Ansatz einer Untersuchung von Klaus Jeziorkowski, in der Karl May eine zentrale Rolle spielt (Empor ins Licht. Gnostizismus und Licht-Symbolik in Deutschland um 1900. In: The Turn of the Century. German Literature and Art, 1890-1915. Hrsg. von Gerald Chapple und Hans H. Schulte. Bonn 1981, S. 171-196); den dort veranstalteten Versuchen, May als populären Vertreter einer zeittypischen gnostischen Mystik zum Vordenker und Vorläufer des Nazismus zu vereinnahmen, liegt jedoch eine äußerst fragwürdige, ja manipulierende Methodik zugrunde. Durch fehlende Objektivität und undifferenzierte Argumentation gerät Jeziorkowskis großangelegte Betrachtung zum Zeugnis einer >ideologiegesteuerten< Abhandlung, die ihrem kulturkritischen Impetus schließlich selbst den Boden entzieht (ausführlicher dazu vgl. Helmut Schmiedts >Literaturbericht< in: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1983. Husum 1983, S. 252-257).

5 Darüber hinaus bedeutet der Begriff in einem  w e i t e s t e n  Sinne den urschöpferisehen Akt aller Dichtung.

6 Zit. nach: René Wellek: Das Wort und der Begriff »Symbolismus« in der Literaturgeschichte. In: Ren6 Wellek: Grenzziehungen. Beiträge zur Literaturkritik. Stuttgart u. a. 1972, S. 67

7 Richard Hamann/Jost Hermand: Epochen deutscher Kultur von 1870 bis zur Gegenwart Bd. 4: Stilkunst um 1900. Frankfurt a. M. 1977. S. 20

8 In: Blätter für die Kunst, 2. Folge, 2. Heft (1894), S. 33

9 Hermann Bahr: Symbolisten. In: Hermann Bahr: Studien zur Kritik der Moderne. Frankfurt a. M. 1894, S. 28f.

10 Ebd., S. 27f.

11 Hugo von Hofmannsthal: Das Gespräch über Gedichte. In: Hugo v. Hofmannsthal: Gesammelte Werke Bd. 7. Hrsg. von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch. Frankfurt a. M. 1979, S. 503

12 In: Goethes Werke Bd. 12: Schriften zur Kunst, Schriften zur Literatur, Maximen und Reflexionen. Hamburg 61967, S. 471 (752)

13 Ebd., S. 470 (749)

14 Brief an Friedrich Ernst Fehsenfeld vom 10.9.1900. In: Jb-KMG 1984. Husum 1984, S. 167f.

15 Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg (1910), S. 65; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul

16 Ebd., S. 141

17 Karl May: Briefe über Kunst I. In: Der Kunstfreund. 22. Jg. (1906), H. 8, S. 153. Nachdruck: Karl May. Leben - Werk - Wirkung. Eine Archiv-Edition. Hrsg. Ekkehard Bartsch. Abt. I a. Heft 3: Briefe über Kunst. Bad Segeberg 1988

18 Ebd.

19 Karl May: Briefe über Kunst V. In: Der Kunstfreund. 23. Jg. (1907), H. 5, S. 91

20 Karl May: Briefe über Kunst II. In: Der Kunstfreund. 22. Jg. (1906), H. 12, S. 197

21 May: Briefe über Kunst V, wie Anm. 19

22 Karl May: Briefe über Kunst III. In: Der Kunstfreund. 23. Jg. (1907), H. 1, S. 11

23 May: Briefe über Kunst II, wie Anm. 20, S. 198

24 Bahr: Symbolisten, wie Anm. 9, S. 29

25 In diesem Zusammenhang ist es zweifellos bemerkenswert, daß sich Hermann Bahr sehr positiv über May geäußert hat: »Wer so viel Haß, Neid, Verleumdung, Wut, Liebe, Bewunderung und Streit erntete wie Karl May, verdiente es schon um dieser Kraft willen, gehört zu werden (...).« In: Neue Freie Presse, Wien. 10.3.1912

26 Karl May: Briefe über Kunst VI; zu Lebzeiten Mays nicht mehr erschienen; veröffentlicht in: Karl-May-Jahrbuch (KMJB) 1920. Radebeul 1919, S. 65-71 (70)


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27 Karl May's Gesammelte Werke Bd. 49: Lichte Höhen. Bamberg 1956, S. 293; der Text ist möglicherweise bearbeitet.

28 Arthur Eloesser: Neue Dramen. In: Neue deutsche Rundschau. 11. Jg. (1900), S. 543

29 Brief an Prinzessin Wiltrud von Bayern, 26.9.1906. In: Jb-KMG 1983. Husum 1983, S. 87f. - Diese Gedanken finden sich wortgleich in den parallel entstandenen >Erläuterungen< zu >Babel und Bibel< wieder (vgl. Karl May: Der Dichter über sein Werk. Skizze zu Babel und Bibel. In: KMJB 1921. Radebeul 1920, S. 57f.).

30 Tagebuch Klara Mays; abgedr. bei Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Bamberg 1967, S. 136 - Beide Hofmannsthal-Werke, in den Auflagen von 1904, befanden sich auch in Mays Bibliothek.

31 Vgl. ebd.

32 Vgl. Rolf Günther/Klaus Hoffmann: Sascha Schneider & Karl May. Eine Künstlerfreundschaft. Radebeul 1989, S. 30ff.

33 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXI: Ardistan und Dschinnistan I. Freiburg 1909, S. 24

34 Ebd., S. 1

35 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 15, S. 316f.

36 Ebd., S. 141

37 Ebd., S. 1

38 Vgl. Karl May: An meine Gratulanten (25.2.1906); abgedr. bei Hatzig, wie Anm. 30,S. 233.

39 May: Der Dichter über sein Werk, wie Anm. 29, S. 64

40 Vgl. Hartmut Vollmer: Ins Rosenrote. Zur Rosensymbolik bei Karl May. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987, S. 20-46.

41 Vgl. Max Deri: Naturalismus, Idealismus, Expressionismus. Leipzig 1919.

42 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 15, S. 209

43 Wilhelm Emrich: Das Problem der Symbolinterpretation im Hinblick auf Goethes >Wanderjahre<. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. 26. Jg. (1952), S. 331

44 Ebd., S. 333

45 Ebd., S. 340

46 Vgl. Hans Wollschläger: Erste Annäherung an den >Silbernen Löwen<. Zur Symbolik und Entstehung. In: Jb-KMG 1979. Hamburg 1979, S. 99-136.

47 Arno Schmidt: Abu Kital / Vom neuen Großmystiker. In: Arno Schmidt: Dya Na Sore. Gespräche in einer Bibliothek. Karlsruhe 1958, S. 193 - Der besonderen literarhistorischen Stellung des späten May war sich auch Wolfgang Clauß in seinem >Kindlers-Literatur-Lexikon<-Artikel zu >Ardistan und Dschinnistan< bewußt, wo er einerseits bemerkt, daß die »Gedankenwelt des Romans« »kaum Anspruch auf Originalität erheben« könne: »sie entspricht etwa der Ideologie der um die Jahrhundertwende verbreiteten >ethischen Gesellschaften<«, andererseits aber feststellt, daß »sich in der deutschen Literatur eigentlich keine Parallele für das eigenartige und in mancher Hinsicht recht kuriose Werk« finde und »für dessen extreme Außenseiterstellung gegenüber allen zeitgenössischen Literaturströmungen nur die völlig isolierte Situation des Autors eine Erklärung« liefere (W[olfgang] CI[außl: Ardistan und Dschinnistan. In: Kindlers Literatur Lexikon Bd. 1. Zürich 1965, Sp. 893f.). Die letztgenannte Erklärung von Clauß ist nach den vorliegenden Ausführungen freilich zu revidieren.

48 Eloesser, wie Anm. 28

49 May: Der Dichter über sein Werk, wie Anm. 29, S. 66

50 Rainer Maria Rilke: Aufzeichnung über Kunst. In: Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke Bd. 12. Hrsg. vom Rilke-Archiv in Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke, besorgt durch Ernst Zinn. Frankfurt a. M. 1975, S. 1161f.


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