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RUDI SCHWEIKERT

Artistisches Erzählen bei Karl May:
»Felsenburg« einst und jetzt · Der erste Teil der
>Satan und Ischariot<-Trilogie vor dem Hintergrund
des ersten Teils der >Wunderlichen Fata< von
Johann Gottfried Schnabel - und ein Seitenblick
auf Ernst Willkomms >Die Europamüden<
*

Wie sehr überbietet das Werk seinen
Schöpfer; wie klein ist das Loch, wor-
aus man oft Quartanten spinnt!

Jean Paul, Grönländische Prozesse I



Wäre es denn möglich, daß Karl May, der einfache Webersohn, Texte schrieb, Wortgewebe, die zumindest stellenweise Züge tragen, die eigentlich nur von Werken anerkannt großer Autoren der Weltliteratur bekannt sind? Sollte es möglich sein, daß einem auch bei May gelehrte, hintergründige humoristische Spiele mit dem Leser begegnen? Sollten sich gar in seiner Prosa sublime innerliterarische Beziehungsgeflechte finden lassen, kompliziert gebaute Materiebrücken sozusagen zwischen Texten und nicht bloß relativ einfache Bezugnahmen auf geo- und ethnographische Quellenwerke oder auf jeweils thematisch verwandte belletristische Werke, die als Stütze und Stibitzvorlagen ebenso dienten wie als Anregungslieferanten für Figuren, Örtlichkeiten oder Handlungsteile?(1) Wäre es möglich, daß in Texten Mays auch noch ganz andere Erzähltricks enthalten sind als die relativ einfachen und handwerklich simplen, die an der Oberfläche erkennbar sind (wie etwa Leserlenkungsversuche in der Art von Vorausdeutungen(2))? Sollten im >Textuntergrund< mehr als nur autobiographische oder erotisch triebhafte Schichten enthalten sein?(3)

   Das klingt zunächst unwahrscheinlich, manchem vielleicht sogar abwegig. Doch würde man einen Erzähler wie Karl May, der von Kindes-

* Vortrag, gehalten am 27.9.1991 auf der 11. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Wiesbaden.


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beinen an in sowohl phantasiebefreienden wie -bedrückend-bedrängenden Wörterdschungeln unterschiedlichster Flora und Fauna, in stetem Wahrnehmungstaumel zwischen Bücherwelt und sogenannter wirklicher Welt unterwegs gewesen sein dürfte, von seiner Grundanlage her verkennen, wollte man von einem solchen Leben in und mit Literatur - denken Sie als markantes Beispiel nur an die Szene in >Mein Leben und Streben<, wie der kleine Karl, Literatur mit Leben gleichsetzend und verquickend, Hilfe in Spanien holen wollte(4) -, wollte man von einem solchen Literatur-Leben und -Erleiden annehmen, es hätte keinerlei sublim-untergründigen Niederschlag im Werk gefunden.

   Lesen wir also  v e r s u c h s w e i s e  May einmal so, wie wir gewohnt sind, unter dem Gesichtspunkt hermetischer Artistik beziehungsweise intertextueller Relation Cervantes oder Joyce zu lesen, Rabelais oder Raabe, Wieland oder Jean Paul, Thomas Mann oder Arno Schmidt, die in und mit und durch Literatur lebten, und nicht nur in rein poetischer Hinsicht, lesen wir May möglichst unvoreingenommen, ohne uns den Blick verstellen zu lassen von den äußeren Markt- und inneren Zwangs-Bedingungen, unter denen er arbeiten mußte, und ohne den Text mit den Indizien, die er uns liefert, zu überfordern und immer mit Blick auf den literarhistorischen Zeit- und Problemhorizont, der zur jeweiligen Forschungsfragestellung gehört.


1.  S t a r t  u n d  Z i e l

Oder anders ausgedrückt : wenn ein
bedeutender Dichter Ihnen ein Werk
empfiehlt - sei es durch offene Nen-
nung des Titels; (...) dann folgen Sie
getrost diesem gewichtigen Hinweis!

Arno Schmidt, Herrn Schnabels Spur


Als Beispiel wähle ich fürs Folgende >Die Felsenburg<. Warum ausgerechnet diese Reiseerzählung? Weil bereits mit dem Titel Karl May, wie bewußt auch immer, seine Leser auf eine Wissensprobe stellt und zu einem literarischen Spiel einlädt.

   Mit dem Leser zu spielen, ihm offen und zugleich doch versteckt eine Wissensprobe aufzuerlegen, das ist bei May kein Einzelfall. Andernorts habe ich bereits einmal ein solches artistisches Stücklein vorgestellt, das genau dort versteckt ist, wo man ein Spiel mit Bedeutungs  m e t a  ebenen am wenigsten vermutet, nämlich im gehetzt-hastig hinge-


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schriebenen Kolportage->Waldröschen<, das - vorausdeutend sei's gesagt - noch öfters im Bezug zur >Felsenburg< hier genannt werden wird. Dort examiniert der Forstgehilfe Ludewig den kleinen Tausendsassa Kurt Helmers durch Wissensfragen, die auf einer insgeheimen und unausdrücklichen Metaebene der >sagenhaften Vergangenheit< des Hauptmanns von Rodenstein als Wildem Jäger gelten. Ein doppelzüngiges Reden liegt hier vor, das sowohl inner- wie auch metafiktional verständlich ist, wenn man die im Text verschwiegenen Zusammenhänge kennt.(5) (Bedenkt man die Frager-Antworter-Situation genauer, sieht man als Ursprung dahinter den von May geschilderten Erziehungszwang seines Vaters, ihm fuderweise Wissensmischmasch einzuflößen: Es war eine Verfütterung und Ueberfütterung sondergleichen.(6) Wieder wirkt die Trostheimat des geschriebenen Worts bei weitem nicht frei von Beängstigungen und Bedrückungen, sondern schmerzhaft ambivalent.(7) Als humoristische Lösung dieser Angstlust(8) lassen sich die - weil vornehmlich an jugendliche Leser gerichtet - naturgemäß weniger hermetisch angelegten Wissensproben verstehen, die über die Figur des Hobble-Frank besonders im >Sohn des Bärenjägers< und im >Geist der Llano estakata< angezettelt sind.(9))

   Was aber ist nun mit Mays Titelwahl >Die Felsenburg< alles angezettelt? Er stellt mit ihr nolens volens eine Verbindung her zu einem der wirkungsmächtigsten spätbarock-aufklärerischen, auf der >Robinsonaden-Welle< schwimmenden Romane, der ab 1731 bis 1743 in vier voluminösen Bänden erschienen ist - Johann Gottfried Schnabels >Insel Felsenburg<, wie der geläufigere Buchname der >Wunderlichen Fata einiger See-Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines gebohrnen Sachsens< lautet. Wunderlicher als das Faktum, daß May sich mit dieser Titelwahl in Beziehung zu den Ursprüngen seines ureigenen Genres, der modernen deutschsprachigen Reise- und Abenteuerliteratur (mit utopischen Zügen), gesetzt hat, ist der Umstand, daß dies - bei solcher Offensichtlichkeit - so lange nicht zur eingehenden kritischen Prüfung herausforderte.(10)

   Wäre man der Spur der >alten< >Felsenburg< in derjenigen Mays nachgegangen, hätte man sich nicht wenig gewundert. Die Fährte der >Wunderlichen Fata< führt mitten in ein vielfädiges Beziehungsgeflecht, das, May betreffend, weit über diese Reiseerzählung hinausreicht.

   Um die Angelegenheit etwas spannender zu machen, gehe ich nun erst einmal scheinbar wie die Katze um den heißen Brei. Ich kläre zunächst, was alles allein bereits bloß durch die Nennung von »Felsenburg« gesagt ist. Danach gebe ich in einem ersten Exkurs eine kurze


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Darstellung vor allem der literarischen Wirkungsgeschichte von Schnabels >Insel Felsenburg<, insbesondere für den hier thematisch wichtigen Zeitraum zwischen 1880 und der Jahrhundertwende. Enthalten ist darin auch eine Konjektur, was bei May einen >Felsenburg<-Assoziationsraum eröffnet haben könnte. Es folgt eine Annäherung an Mays >Felsenburg< über eine bestimmte Sequenz des >Waldröschens<, die nebenbei wieder zeigt, wie eng vernetzt der May-Kosmos im Detail ist. Dann endlich mache ich mich direkt auf Fährtensuche im Text der Mayschen >Felsenburg<, an die sich ein zweiter Exkurs, diesmal über die Literarizität von Mays >Abschiedsbrief< aus dem Jahre 1869, anschließt, worauf ich abschließend Mays und Schnabels >Felsenburg< unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Gehalte der (archetypischen) >Insel<-Idee miteinander ansatzweise-gerafft vergleiche.

   Wir können jedoch bereits ein kleines Zwischenresümee der Punkte ziehen, die zur Fundierung und Plausibilisierung der hier vertretenen >Felsenburg<-Bezug-Hypothese dienen (und mehr als eine hypothesenplausibilisierende Indizienkette von einiger Erklärungsleistung läßt sich letztendlich und grundsätzlich nicht erbringen, wenn, wie hier, keine Daten über eine Schnabel-Lektüre Mays vorliegen):

   (1) Es gibt in den fast unüberschaubaren Quantitäten der Mayschen Textfluten auch leicht übersehbare kleine Inseln mit hermetischen Qualitäten.

   (2) Darunter befinden sich auktoriale Spielformen, die aus dem jeweiligen Fiktionskontinuum herausweisen auf eine Meta-Bedeutungsebene. Es wird bei May gelegentlich insgeheim in Literatur  ü b e r  Literatur (im weiten Sinne) gesprochen - ein durchaus moderner Erzählzug.


2. »  F e l s e n b u r g  «

There is something in names

Laurence Sterne, The Life and Opin-
ions of Tristram Shandy, Gentleman


Als Titel ist »Felsenburg« also vor May und durch Schnabel bereits >besetzt<. Aber wie nahe lag denn überhaupt die Assoziation von »Felsenburg« mit Schnabels Werk rund 150 Jahre nach dessen Erscheinen? War während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - der für May maßgebenden Zeitspanne - die alte >Insel Felsenburg< nicht schon längst unter dem Wissenshorizont verschwunden? Keinesfalls, wie ge-


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zielt-kurzes Nachschlagen in einschlägigen zeitgenössischen Wörterbüchern und Konversationslexika zeigt. Mehr noch: Schnabels >Wunderliche Fata< galten für das Stichwort »Felsenburg« als  b e g r i f f s p r ä g n d  . Und: Bei Begriffserläuterungen wurde ausschließlich auf die >Insel Felsenburg< verwiesen. So im >Ersch-Gruber<, im >Pierer<, im >Meyer<, in Grimms >Deutschem Wörterbuch<.(11) Schnabel hat - das ist entscheidend - gewissermaßen das Copyright für dieses Wort.

   Als Begriff ist »Felsenburg« also ebenfalls vor May und nach Schnabel bereits festgelegt. Lag nun aber überhaupt >Die Felsenburg< als Titel für Mays Reiseerzählung nahe? Eigentlich ganz und gar nicht.

   Erstens entspricht, näher betrachtet, diese Titelwahl nicht Mays sonstiger Gepflogenheit. Weder charakterisiert der Werkname - wie verbreitet - die Reiseroute (man denke an Fälle wie >Durch das Land der Skipetaren<) noch die Region des Geschehens (>Im »wilden Westen« Nordamerika's<, >Im Reiche des silbernen Löwen<), noch den Handlungs- und Spannungsbogen der Erzählung (>Die Jagd auf den Millionendieb<). Auch steht vor dem Ganzen weder - wie so häufig - der Name (>Wanda<) oder nom de guerre positiver oder negativer Zentralfiguren (>Old Surehand<, >Der Oelprinz<(12)) noch eine andere prägnante Kennzeichnung der entsprechenden Hauptfigur (>Der Sohn des Bärenjägers<), noch das auf den Begriff gebrachte Hauptereignis (>Ein Oelbrand<). Selbst die üblich-gewöhnliche Präsentation des (allzu) augenfälligen Ziels aller Erzählwege (>Der Schatz im Silbersee<) entfällt.

   Und zweitens bleibt der Titel >Die Felsenburg< für die ganze erste Hälfte der Reiseerzählung scheinbar völlig beziehungslos.(13) Vergegenwärtigt man sich ihren Inhalt, hätte man wohl, mit einigem und gutem Gewohnheitsrecht, eher eine Überschrift wie >Der Mormone<, >Die Söhne des Mimbrenjo<, >In der Sonora< oder >Durch das Innere Nordmexikos< erwarten können. Nicht jedoch den vielfach frappierenden >Wortzauber< >Die Felsenburg<.

   Er frappiert darüber hinaus noch vor allem aus zwei Gründen, die - mit den vorherigen zwei Punkten zusammengedacht - gleichzeitig auch etwas von der Amphibolie des »Felsenburg«-Begriffs in seiner titelspendenden Funktion reflektieren.

   Zum einen besitzt dieser Zauber in verbo et lapide - wieder auffallend ungewöhnlich für die Titelfabrikation des Hauses May - Metapherngestalt.(14) Sie ist, zweckbestimmt als Erzählungsname, schmeckt man sie mit Bedacht ab, so fein stilisiert, daß sie bei May ihresgleichen sucht. Damit überragt >Die Felsenburg< wie der Felsenquader im Text ihre zwar (zumindest zumeist) trefflich treffende, aber doch ästhetisch eher flache Überschriftenumgebung bei weitem und weithin sichtbar.


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   Zum anderen erweist sich aufgrund genauerer Lektüre Mays Titelwahl als ein für seine Verhältnisse exzellent pfiffiger und gewitzt-hermetischer Kunstgriff - und damit wiederum als nicht gerade naheliegend. Denn er hob mit dem Namen »Felsenburg« das >geheime Zentrum< auf den Titelthron, das au fond alle erzählten Umtriebe, sogar meist minder mittelbar, >regiert<. Die untergründige, gefährliche Anziehungskraft, gewissermaßen der Sog ins Unergründete, ins Geheimnis, den das Felsungetüm Almaden alto andauernd ausübt, ist bis ganz nach vorn, bis zur Exposition hin spürbar:(15) Die >Felsenburg< mit ihrem >giftigen<, dumpf-dunklen Inneren ist - von ihrer poetischen Funktion her - ein nicht mal so arg weit entfernter Verwandter des altbekannten und literarisch oft anverwandelt-abgewandelt herbeizitierten Magnetbergs.(16) Folgerichtig wird der vom erlebenden Ich hinsichtlich der Herkunft völlig unerkannte bedrohliche Sog ins Drohend-Unbekannte vor dem Umschlag im Augenblick des höchsten Schrecks und Schocks der Erkenntnis, als mit einem Schlag Ursprung und Ziel des Sogs klar werden (vgl. DH 470a/F 20, 396f.), fein subtil behandelt. Selbstverständlich allerdings ist dies für Mays Erzähltechnik bei seiner Vorliebe für rasche und deutliche, manchmal auch in ihrer Rätselhaftigkeit überdeutliche Erzählerwinke (erneut) nicht.(17)

   Als Titel von Mays Reiseerzählung ist >Die Felsenburg< also passend und unpassend, ungewöhnlich auf jeden Fall und merkwürdig hermetisch dazu. Wie nahe aber liegt denn überhaupt das, was man unter »Felsenburg« versteht oder mit dieser Bezeichnung verbindet, an dem, was May damit bezeichnet oder darunter verstanden wissen will? Nicht sehr, um es vorsichtig auszudrücken. Vernachlässigt man Bedeutungsvarianten der eigentlichen Redeweise von »Felsenburg« wie >Burg aus Felsgestein< oder >Burg auf einem Felsen< zugunsten der uneigentlichen, metaphorischen, sinnbildlichen, denkt man mithin an Bedeutungen der Art >Fels wie eine Burg<, >Burg wie ein Fels< und - sinnbildlich aufgefaßt - >Burg, so unerschütterlich fest und zuverlässig wie ein Fels<, >Fels, so schützend, Zuflucht gewährend und bergend wie eine Burg<: dann sieht man leicht den Unterschied gegenüber dem Wortverständnis, das May mit dem giftig-dunklen Ort nahelegt. Fast überflüssig, noch auf die historische Namensbedeutung, gemäß dem mehrfachen Lexikoneintrag >Felsenburg, siehe Schnabel<, gesondert hinzuweisen. Natürlich stellte »Felsenburg« für Schnabel den Inbegriff aller positiven Werte dar. Obwohl die fiktionalen Gegenstände, die May und Schnabel mit »Felsenburg« bezeichnen, in ihrer äußeren Form (mutatis mutandis) übereinstimmen - davon später mehr -, sind die Gegensätze hinsichtlich ihrer Eigenschaften als >ldeenträger< unüber-


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brück- und unübersehbar. May nahm für seine >Felsenburg< eine Umwertung aller positiven Werte vor. Auch davon später mehr.

   Als Sinnbild ist »Felsenburg« demnach bei May gegenüber der alten Vorlage und dem (bis dato verbindlichen) Wortgebrauch wertnegativ >aufgeladen< und der traditionellen Auffassung entfremdet. Läge dann aber nicht nahe, diesen semantischen Wandel konsequent poetisch >festzuschreiben(18) Darstellungsästhetisch durchgeführt und gänzlich geglückt ist somit die Neuwertung des Begriffs »Felsenburg« jedenfalls nicht.

   Was liegt aber dann nach all diesen Widersprüchen und Ungereimtheiten in Funktion und Bedeutung des Wortes »Felsenburg«, so wie May es gebraucht, überhaupt nahe?

   (1) Daß hinter der Titelwahl >Die Felsenburg< - aufgrund der nachgewiesenen sehr engen, quasi vaterschaftlichen Verbindung zwischen »Felsenburg« und Schnabel, der einmaligen Erwähnung des Wortes nur im Titel und niemals im Text und der genannten Niveaubesonderheiten - mehr stecken könnte als nur ein (zufälliger) Bezug zum großen Kontinuum der Literatur, ein metafiktionales Rätselspiel etwa.

   (2) Daß der skizzierten (auffälligen) Hermetik innerhalb der Handlungsschilderung - aufgrund von (1) zusätzlich bekräftigt - eine irgendwie geartete geheime innerliterarische Auseinandersetzung Mays mit Schnabel entsprechen könnte.

   Wie nahe lag aber eine solche binnenliterarische Auseinandersetzung überhaupt zu Mays Zeiten? Ziemlich.


1.  E x k u r s : Zur Wirkungsmächtigkeit von Schnabels >Insel Felsenburg<

Daß die >Insel Feisenburg< nicht
gefehlt habe, läßt sich denken.

Johann Wolfgang von Goethe,
Dichtung und Wahrheit

Rund ein Jahrzehnt vor Karl Mays >Felsenburg< war eine kleine Erzählung in Briefform erschienen, die dem Verfasser einen Preis einbrachte, zu einer gerade im Entstehen begriffenen literarischen Gattung gehörte, die man späte Science-fiction nennen wird, und die ebenso insgeheim, wie ich es hier bei May unterstelle, auf Schnabels >Insel Felsenburg< Bezug nimmt, freilich nicht im Titel. Der heißt >Apoikis<, was im Griechischen Pflanzstadt, Kolonie bedeutet, und der Autor Kurd


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Laßwitz, ein Zeitgenosse Karl Mays, sechs Jahre jünger als er, zwei Jahre vor ihm gestorben, aus gutbürgerlichem Hause, der mit seinem Œuvre - will man May in seiner Singularität wie in seiner Zeittypik genauer verstehen und differenzierter einschätzen lernen - zum komparatistischen Herauspräparieren von aufschlußreichen Kontrastharmonien bestens geeignet wäre:

   Beide, May wie Laßwitz, begannen mit (harmlosen) Humoresken, trafen sich gewissermaßen, von Anfang an ein breites Publikum im Blick, in >Trewendts Volkskalender<, fanden dann zum ihnen gemäßen Genre (Laßwitz zur von ihm entscheidend mitentwickelten Sparte >naturwissenschaftliches Märchen<, zu technisch-utopischen Abenteuerstoffen, Science-fiction: Hauptwerk >Auf zwei Planeten< (1897); May zur Reiseerzählung), entwickelten sich zu literarischen Trägern der Friedensidee - beide, Laßwitz länger als May, hatten Kontakt mit Bertha von Suttner und brachten es fertig, schön subversiv den martialischen wilhelminischen Zeitgeist poetisch zu unterlaufen, und beide schrieben sanfte Spätwerke mit radikal gegen die Zeitläufte gerichteten idealistisch-allversöhnenden Inhalten (von Laßwitz zu nennen vor allem >Sternentau< (1909)). Dies alles freilich bei beiden unter sehr verschiedenen Milieu-Voraussetzungen.(19) Doch davon vielleicht ein andermal mehr. Zurück zu >Apoikis<.

   Die Verbindung zu Schnabels >Insel Felsenburg< liegt auch hier nicht auf der Hand. Man muß schon suchen, um zu finden. Das habe ich vor Jahren einmal unternommen,(20) daher hier nur kurz der Hinweis, daß die Insel bei Laßwitz so gebaut ist und ihr Inneres so geschaut wird wie bei Schnabel beschrieben sowie der gleiche Problemhorizont (Flucht vor den lebensbedrohenden Mitmenschen, Rettung auf ferner atlantischer Südmeerinsel, Gründung eines utopisch-idealen Gemeinwesens) vorhanden ist, nur etwas anders eingefärbt, um nicht zu auffällig dem Vorbild nahe zu sein.

   Nach May finden sich ausgerechnet bei Robert Kraft Reminiszenzen an die >Insel Felsenburg<, so etwa im dritten Band von >Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer< (1904/05) mit ausdrücklichen archaisch-kindlichen Erinnerungen an Felsenhöhlen und Tunnelgänge, oder in >Novacasas Abenteuer< (1908/09), wo die >Insel Felsenburg< expressis verbis genannt wird.(21)

   In großem Stil wurde dann Arno Schmidt um 1940 von dem Werk gepackt und machte es - auch am alten Buch neu weiterfabulierend - zu einem Zentrum seiner Literatur-Welt-Betrachtung, nicht ohne publizistisch auf Schnabel und eine >Goldene Kette< von ihm angeregter Autoren gebührend häufig hinzuweisen, freilich und erstaunlicherweise


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mit keinem Wort eine Verbindung zwischen Schnabels und Mays >Felsenburg< erwähnend.(22)

   Und wie sah's vor May aus? Wie stark die >Insel Felsenburg< wirkte als Buch zum Sich-drin-Versenken, ja mit voller kindlicher Identifizierungsmacht als Buch zum Drin-Versinken, Sich-wohlig-Auflösen, das zeigt Heinrich Albert Oppermanns 1870 erschienenes neunteiliges Groß-Opus >Hundert Jahre. 1770-1870. Zeit- und Lebensbilder aus drei Generationen<, wo im dritten Buch, Handlungszeit um 1800, von der Beglückung durch alte Bücherfunde, darunter die >Insel Felsenburg<, berichtet wird und dem, was sich danach ereignet, nämlich dem Hinzuerfinden ganzer Episoden, das heißt dem daran, wie kindlich auch immer, poetisch Produktiv-Werden und sogar dem Lesenlernen anhand des Buchs.(23) Für May sind die von Deutschland aus den Orient und Okzident umspannenden >Hundert Jahre< insofern interessant, als er in dieser Letternmasse gut versteckt so manches für sich selber finden konnte, strukturell wie inhaltlich, etwa eine Anregung zur kleinen Geschichte >Die Kriegskasse<, an die sich bekanntlich der Großroman >Die Liebe des Ulanen< knüpfen läßt, ebenfalls eine Geschichte um drei Generationen. Im Siebenten Kapitel des Fünften Buchs sucht ein Lützower Ulan einen vergrabenen, aber bereits vom ursprünglichen Ort entfernten Goldschatz.(24) Doch das nur nebenbei.

   Durch zahlreiche Ausgaben, Bearbeitungen, Auszüge und ausführliche Inhaltsangaben(25) wurde Schnabels >Insel Felsenburg<, ab Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts verebbend, im Lesergedächtnis zu halten gesucht. Herausragend die Zeit zwischen 1800 und 1830: Da erschienen Auszüge in Achim von Arnims >Wintergarten< (1809), der erste Teil der >Insel Felsenburg<, von Karl Lappe bearbeitet (1823), sodann ein weiterer und vielleicht der umfänglichst-schönste erhaltene Beleg, wie die >Insel Felsenburg< unwiderstehlich faszinierend und anregend auf die Dichter wirken konnte, nämlich des auch deutsch schreibenden dänischen Adam Oehlenschläger >Inseln im Südmeere< (1824/26, neu aufgelegt noch zu Mays Lebzeiten während der weiter unten näher beschriebenen >Felsenburg<-Hochkonjunkturphase, 1911). »Wenn es wahr ist«, schreibt Oehlenschläger in seiner Vorrede,

»daß unsere Kindheit, mit ihren Gefühlen und Vorstellungen, das Thema aller künftigen Compositionen des Lebens giebt, so ist der Grund auch angegeben, warum der Verfasser dieses Werks einige Hauptzüge des alten Romans  F e l s e n b u r g  zum Stoffe gegenwärtiger Dichtung nahm. Dieses alte Buch hatte großen Eindruck auf meine jugendliche Phantasie gemacht; und durch wiederholtes Lesen hat sich so viel Eigenes entwickelt und angeknüpft, daß es mich wunderte, als ich in späteren Jahren die Geschichte wieder las, bei weitem nicht mehr das darin zu finden, was ich zu finden gehofft hatte. / Das bewog mich zu diesen


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lieben Jugendbildern zurück zu kehren, um selbst auszumalen und darzustellen, was ich früher dabei geahnet und geträumt hatte (...).«(26)

Kurz danach, 1828, erfolgte eine bearbeitete Neuausgabe mit einer Einleitung von Ludwig Tieck, und ein Jahr später erschien Chamissos Gedicht >Salas y Gomez<, das man auch als Reflex auf das alte Buch lesen kann.(27) Wiederholtes Lesen im Erwachsenenalter der als prägende Kindheitslektüre dankbar in >Dichtung und Wahrheit< erwähnten >Insel Felsenburg< ist von Goethe bezeugt (Tagebucheintragungen 1806 und 1829), der auch anderweitig gelegentlich auf das Buch zurückkam.(28)

   Noch in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts scheint das Buch »besonders auf Schulen allgelesen«, wie ein purifizierender Bearbeiter schrieb.(29) So nimmt es nicht wunder, daß man Reflexen auf die >Insel Felsenburg< bei Johann Heinrich Voß und seinem Sohn(30) ebenso begegnet wie bei Karl Philipp Moritz in dessen >Anton Reiser< (1785-90), wo die jugendlich »ausschweifende Einbildungskraft« Antons, ausgelöst durch die >Insel Felsenburg<, ihm »oft wonnevollere Stunden (machte), als er je nachher wieder genossen hat«(31) und bei Wieland (>Bonifaz Schleicher<, 1776) wird man ebenso fündig wie bei Thümmel.(32) Lassen wir's dabei bewenden und machen wir einen Zeitsprung nach vorn.

   Just in den für uns hier wichtigen achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts begannen literaturwissenschaftliche beziehungsweise -historische Arbeiten über Schnabel und die >Insel Felsenburg<, auch außerhalb der Fachorgane, zu erscheinen: Philipp Strauch schrieb 1888 in der >Deutschen Rundschau<, von Erich Schmidt erschien 1891 in der >Allgemeinen Deutschen Biographie< der Schnabel-Artikel, August Kippenberg veröffentlichte 1892 eine einschlägige Monographie, Selmar Kleemann ließ sich 1893 aus über den »Verfasser der Insel Felsenburg als Zeitungsschreiber«, und ebenfalls 1893 publizierte Adolf Stern einen Sammelband mit Aufsätzen, der auch eine Arbeit über Schnabel enthielt.(33) Besonders bemerkenswert ist ein Beitrag in der weitverbreiteten >Vossischen Zeitung< (Nr. 347f. von 1889), die den Titel trägt >Stolberg und die Insel Felsenburg von Schnabel<(34). Zwar ist ein anderes Stolberg gemeint als das für May mit so schmerzhaften Erinnerungen verbundene seiner sogenannten Affäre Stollberg,(35) aber dies, zusammen mit dem Faktum, daß die Fata des »gebohrnen Sachsens [!]« Albertus Julius im Zentrum der >Insel Felsenburg< stehen, könnte schon, bei unterstellter Kenntnisnahme dieses Artikels durch May, einen entsprechenden Assoziationsraum eröffnet haben,(36) zumal die


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>Felsenburg< bei May einen Gefängnisort darstellt (vgl. z. B. DH 684b/ F 21, 34 oder DH 702/F 21, 46f.(37)). Bedenkt man weiterhin, daß May, als alter Spieler mit Namen, Worten und Bedeutungen,(38) gerade im >Felsenburg<-Umfeld, in >Satan und Ischariot III< beziehungsweise der >Jagd auf den Millionendieb<, mit seinem Namen als Monatsnamen jongliert (März anstatt May; F 22, 35), und erkennt man in Juli-us ebenfalls den Monatsnamen und somit eine gemeinsame Erzählernameneigenschaft, hat man bereits ein paar weitere, jedoch nicht überzubewertende, Spuren-Elemente im >Beziehungszauber< May-Schnabel beisammen.

   Doch suchen wir sichereren Boden zu gewinnen.

   Festzuhalten bleibt aber nach diesem Exkurs:

   (1) Die >Insel Felsenburg< >rumort< in den für Mays >Felsenburg<-Niederschrift maßgebenden Jahren im deutschen Zeitschriften- und Bücherwald.

   (2) An der >Insel Felsenburg< sind immer wieder Autoren, mehr oder minder hermetisch, erzählerisch fruchtbar geworden, sei's durch Fortschreibung oder Umbildung, sei's durch mehr oder weniger offensichtliche Bezugnahmen - was eine immense, die Einbildungskraft in ihren Bann ziehende Kraft bezeugt, die von Schnabels Werk über die Zeiten hinweg ausgeht.

   Fragen wir uns also erneut und heuristisch, ob der alte Pfiffikus May nicht, bewußt oder unbewußt, in diesen Traditionsspuren gegangen ist und ob er nicht schon ein knappes Jahrzehnt vor Beginn seines eigentlichen Spätwerks literarisch höher gegriffen hat und auf andere artistisehe Weise als nach seiner kopernikanischen Wende seinen lieben >Hausschatz<-Lesern ein - auch im strengen Wortsinn - unerhörtes Schnippchen geschlagen hat und ihnen einen kleinen Schatz in litteris inklusive frech-verschmitzter plakativ im Titel versteckter Angabe des Fundorts, frei und schalkhaft wie nur je ein Hermes, ins Haus geliefert hat.

   Trauen wir's ihm doch einfach mal zu, konzedieren wir auch hier eine Wissensprobe für den Leser, ohne die müßige Frage nach dem möglichen Maß an Bewußtheit zu stellen, mit dem May seine Feder führte, und folgen >Herrn Schnabels Spur< in der >neuen< >Felsenburg<, ohne den ebenso müßigen externen Nachweis von Mays >Insel Felsenburg<-Lektüre führen zu wollen.(39) Gehen wir zum Text, führen wir den hinreichenden internen Spuren-Nachweis, setzen wir ein am Beginn der >Felsenburg< und landen wir an in Guaymas, Sonora.


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3.  > U m s c h l a g h a f e n <  G u a y m a s :  Z u r  » w ü s t e n  I n s e l «  -  z u r  » F e l s e n i n s e l  «

Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
schon seh' ich das Land!

Joh. Wolfg. von Goethe,
Glückliche Fahrt

Guaymas ist ein hübsches, freundliches Hafenstädtchen, welches zur mexikanischen Provinz Sonora gehört. Seine hübsche Umgebung wird von den Seeleuten fleißig auf Ausflügen genossen. So die Schilderung des Ortes in Mays >Waldröschen< (WR 1123). Audiatur et altera pars, und zwar Mays Auftakt zur >Felsenburg<: Sollte jemand mich fragen, welches wohl der traurigste, der langweiligste Ort der Erde sei, so würde ich, ohne mich lange zu besinnen, antworten: Guaymas in Sonora, dem nordwestlichsten Staate der Republik von Mexiko. (DH 11 a/F 20, 1) - >Dix ans après<: die Meinung über das freundliche Hafenstädtchen ist mit dem Wechsel der Erzählperspektive ganz >hübsch< umgeschlagen. Seit der >Verfolgung rund um die Erde< hat sich allerhand, und nicht nur niveaumäßig, verändert. Einiges bleibt aber auch gleich. Unter anderem der Stellenwert von Guaymas auf Mays fiktionaler Weltkarte als ziemlich zentralem Knotenpunkt für den Verlauf so mancher Geschichte. Ich erinnere nur noch an die enorme Leserkurzweil verschaffende Funktion des langweiligste(n) Ort(es) der Erde als >Umschlagplatz<, der - in >Der Waldläufer< - die spanische (Vorspann-)Handlung mit den eigentlichen Brennpunkten des Geschehens im Innern Nordmexikos verknüpft.(40) In den Blickpunkt rücken möchte ich jedoch kurz das, was mit dem Guaymas des >Waldröschens< verbunden ist.

   Dr. Karl Sternau, der >Fürst des Felsens<, reist mit seinem >Rachestab< vom Fels zum Meer, kommt nach Guaymas, wird dort wie seine Gefährten vom schurkischen Schiffer Landola übertölpelt und nach langer Seefahrt samt seiner Heldencrew auf einer reichlich unwirtlichen und völlig unbekannten Insel ausgesetzt. Dieses Eiland liegt weit von jedem Schifffahrtkurse entfernt unter dem vierzigsten Grade südlicher Breite und auf der Höhe der Osterinseln und ist ein sichereres Gefängniß, als eine von den stärksten Mauern umgebene Bastille. (WR 1126) Superheld und Subhelden müssen sechzehn Jahre ausharren, ehe die grenzenlose Abgeschlossenheit ein Ende hat und sie befreit werden. Nach dieser Zwangspause geht der Siegeszug der Rächer in gewohnt überhöhter Geschwindigkeit auf zerfusseltem Erzählteppich weiter: Man fährt gewissermaßen in den eigenen Spuren zurück nach


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Guaymas und reist von dort vom Meer zum Fels, woher man gekommen ist. Soweit die fiktionalen Fakten.(41)

   Wieder ist Guaymas >Umschlaghafen<. Der Weg zum Glück schlägt hier um ins Gegenteil. Der >Fürst des Felsens< wird zum >Fürst des Elends< (auch und gerade in ursprünglicher Wortbedeutung(42)), das freundliche Hafenstädtchen zum traurigste(n) Ort.

   Vergleicht man nun diese >Waldröschen<-Episode mit dem Beginn der >Felsenburg< und dem, was daran geknüpft ist, wird Guaymas unter verändertem Gesichtspunkt ein weiteres Mal zum >Umschlaghafen<.(43) Zwar steigt auch der Ich-Protagonist Old Shatterhand, wohl gewappnet mit Henrystutzen und Bärentöter, wie Matava-se, der wohl mit Henrystutzen und Bärentöter bewaffnete (vgl. WR 732 und 737), vom Fels zum Meer, von der Sierra nach Guaymas hinab, aber der anschließende Seeweg führt beide, den einen freiwillig aus Pflichtgefühl, den andern gezwungenermaßen aus Unvorsichtigkeit, in entgegengesetzte Richtung: Sternau nach Süden, Shatterhand nach Norden. Beide kennen das letztendliche Ziel ihrer Reise nicht. Beide gelangen an eine schreckliche Insel. Der eine an eine Felseninsel (DH 635b/F 20, 541 u. ö.) inmitten wüstenartigen Gebiets, der andere an ein Eiland, das aus der Rückschau immer häufiger als wüste Insel (WR 1332, 1724, 1725, 1748 u. ö.) bezeichnet wird, obwohl es durchaus fruchtbaren Boden besitzt und seine Leute über anderthalb Jahrzehnte hinweg ernährt (vgl. WR 1126, 1133 u. ö.). Und der Kreis des Beziehungsvollen schließt sich erst - A und 0 - mit den beiden Schlußsätzen, dem der Insel-Episode des >Waldröschens< und dem der >Felsenburg<: Die traurige Zeit (liegt) jetzt endlich hinter den Verbannten (WR 1412) - die traurige Vergangenheit (ist) für sie alle verschwunden (DH 820a/F 21, 200), und sie gehen einer neuen, hoffentlich besseren Zukunft entgegen (WR 1412) - können einer zwar einfachen, aber doch bessern und früchtereichen Zukunft entgegenblicken. (DH 820a/F 21, 200)

   Dies - wieder ein Zwischenresümee - zeigt also:

   (1) Daß bereits der Beginn der >Felsenburg< - gleichzeitig Anfang einer dreiteiligen Verfolgung um die halbe Erde - in das Beziehungsnetzwerk fest eingewoben ist, das Mays bunten Buchstabenteppich, seinen wahrhaften >Teppich des Lebens<, mehr oder weniger oberflächlich durchzieht, mustert und untergründig formgebend zusammenhält.

   (2) Daß mit der Insel-Episode des >Waldröschens< - Start in Guaymas und Ziel im Eiland-Exil - gleichzeitig auch Anfang und Ende des >Felsenburg<-Handlungskerns präformiert sind.

   (3) Daß durch diese Präformation der Zusammenhang zwischen


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>Insel im Wasser< und >Insel in der Wüste< bereits innerhalb von Mays literarischen Ländereien - unter gleichzeitiger Beibehaltung des Topos von der insula deserta - (verborgen) hervorgehoben wird.

   Der Weg von der wüstenumgebenen >Insel Felsenburg< Mays zur meerumschlungenen >Insel Felsenburg< Schnabels ist nach dem aufgezeigten werkinternen Umschlag von Wasser in Wüste weiter geebnet.(44) Die Suche nach Indizien, die die Annahme einer tieferen Beziehung zwischen den Felseninsel-Phantasien beider Autoren bestätigen, kann auf einigermaßen sicherem hermeneutischen Grund weitergehen.


4.  F ä h r t e n s u c h e 

Land und Wasser! Wie verschieden
sind beide einander, und doch giebt es
Aehnlichkeiten zwischen ihnen.

Karl May, Geographische Predigten

Die Spuren, die auf Herrn Schnabels >Wunderliche Fata< in Mays Reiseerzählung weisen, sind zahlreich und unterschiedlich deutlich. Es gibt eindeutige und mehrdeutige, fast verwischte und solche, die wie absichtlich gelegt erscheinen. Unterscheiden wir daher einzelne Phasen bei der philologischen Fährtensuche:

   Zuerst stelle ich die hervorstechendsten textlichen Beziehungsmerkmale zusammen. Anschließend gehe ich ein auf Verbindungen, die durchsichtig werden, sobald man Mays möglicherweise mit Methode hier angewandte Prinzipien poetischer Anverwandlung literarischen Fremdmaterials erkannt hat. Was nur vergleichsweise subtil und flüchtig und nur im legitimierenden Kontext kräftigerer >Abdrücke< und nur durch diese affiziert gewissermaßen eine >Insel Felsenburg<-Valenz in Mays Text offenbart, behandle ich zwischendurch.

   Wo jetzt die Fährte aufnehmen? Probieren wir's im Mittelpunkt der Erzählung, probieren wir's bei der Beschreibung des rätselhaften Ortes Hoch-Almaden.

   Erste genauere topographische Angaben darüber hört man von einem langen, starken Deutschen, Herkules genannt (DH 76b/F 20, 48), einem der deutschen Auswanderer, die als Gefangene, giftiges Quecksilber - wieder einma1(45) - abbauend, Bergarbeiterfron in Almaden alto leisten sollen:

»Wir kamen über ein wüstes, wellenförmiges Land, welches eine Tagreise breit ist. Hinter demselben senkt sich der Boden ziemlich schnell und bildet eine weite, fast kreisrunde Vertiefung, welche früher ein See gewesen zu sein scheint. In diesem


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See hat eine große Felseninsel gelegen, welche heute das eigentliche Almaden darstellt, und wie ein riesiger Felsenquader aussieht. ... Oben auf dem Plateau, fast auf der Mitte desselben, steht ein rohes Steinhaus, welches nur aus den vier Wänden und dem Dache besteht. ... Auf der ersteren Seite, also links, nördlich von dem Blocke [einem Felsblock, der fast genau in der Mitte der Westseite an der Bergwand von Almaden liegt], ist der Berg in der Weise aus- oder auch angewaschen, als ob früher ein Wasser von oben herabgeflossen wäre.« (DH 635b/F 20, 541f.)

Danach die Schilderung derselben Gegend aus der Sicht des erzählenderlebenden Ich:

Die Einöde begann. ... Es war ein Ritt, wie durch eine Wüste. Der Boden bildete lange, niedrige Wellen, zwischen denen seichte Vertiefungen lagen, und alles war Fels, war Stein, Geröll oder Sand. ... Dieses nackte Gestein saugte die Strahlen der glühenden Sonne auf, bis es von denselben gesättigt war; die nachfolgende Hitze konnte nicht mehr eindringen und lagerte nun wie eine vier oder fünf Fußhohe, flimmernde und zitternde Glutsee auf der Erde. (DH 652a/F 21, 2f.)

Nun schiebt sich der monumentale Felsklotz am Horizont herauf. (Und achten Sie dabei auch auf das doppelzüngige Reden über >Einst< und >Jetzt<, das metafiktionale Witz-Wirkung zeigt.(46))

Die vorhin erwähnten Bodenwellen hatten aufgehört. ... Da begann der Boden plötzlich sich abwärts zu senken. Wir [d. i. Old Shatterhand und der Numbrenjoknabe, der später den Namen >Yuma-Skalp< erhalten wird] standen am Rande der Vertiefung, in deren Mitte Almaden sich erhob, oder vielmehr, wir standen am Ufer des einstigen Sees, dessen Mitte die Felseninsel eingenommen hatte, welche jetzt Almaden genannt wurde. ... Das riesige Felsenbollwerk, welches sich da drüben in der Mitte des einstigen Seebeckens erhob, war oben platt und bildete einen beinahe regelmäßigen Kubus, dessen Seiten fast genau nach den vier Winden lagen [und ziemlich lotrecht in die Höhe stiegen]. (DH 663b/F 21, 4)

Wo Wasser war, ist Wüste. Die See wurde zu Sand. Fels ersetzte Flut. Wie nah aber May in dieser Textpassage ans Wasser gebaut hat, zeigt zusätzlich das verwendete Wortmaterial: Wellen schwappen häufig und regelmäßig hoch (wellenförmig, Wellen, Bodenwellen), und aus der semantischen Umgebung von >Wasser< tröpfelt's beständig: der See, die See (eine Glutsee), Ufer, Insel (Felseninsel), seicht, auswaschen, herabfließen, aufsaugen.

   Wo jetzt Wüste ist, war einst Wasser. Näherte man sich zu Schnabels Zeiten der »Felsen-Insul« (IF 156 u. ö.) auf dem Wasserwege, nahm man weit und breit nichts als »einen ungeheuern aufgethürmten Stein-Klumpen« wahr, der sich am Horizont heraufschob und, »je näher wir demselben kamen, desto fürchterlicher schien« (IF 91). Hatte man an dem äußerlich »gantz wüsten Orte« (IF 84) vor verborgenen Klippen


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und Sandbänken (Sand und seichten VertiefungenDa oben in Almaden gibt es weder Gras noch Baum (DH 586a/F 20, 493).

   Das schützende Felsenbollwerk (vgl. z. B. IF 389: mit »seinen von der Natur erbaueten Thürmern und Mauern«) konnte man auf zwei Seiten - wie bei May (vgl. DH 635b/F 20, 541) - überwinden. Der eine Zugang über den West-Fluß wurde allerdings durch ein »unbändig grosses Felsen-Stück (...) verschüttet, nachdem es zerborsten, und plötzlich herab geschossen wäre« (IF 160). Prompt markiert ein großer Felsblock, welcher sich vor Zeiten, wie man sieht - des unterstellten schelmischen metafiktionalen Spiels eingedenk, kann man sich an dieser Stelle eines gewissen Amüsements wohl kaum erwehren -, oben losgerissen hat und herabgestürzt ist (DH 635b/F 20, 541f.), den Anfang eines geheimen unterirdischen Ganges, der, wo sonst als auf der Westseite, ins Innere der >Felsenburg< führt (vgl. DH 650b f./F20, 545-548 und DH 682a-683a/F 21, 21-27). Den Anfang eines geheimen unterirdischen Ganges, der ins Innere der >Felsenburg< führt - der zweite Zugang -, markierte ein abstellbarer Wasserfall, dessen Fluten bei Bedarf umgeleitet wurden. Man steigt »die von dem klaren Wasser gewaschenen Felsen-Stuffen hinauff« (IF 99) - eine besonders und mit allen literarischen Wassern >ausgewaschene< Stelle, denn auch Old Shatterhand muß ein solches Wasserbett an jenem Felsblock hinaufsteigen, über das ganz hermeshaft harmlos und wie mit gespaltener Erzähler-Zunge gesprochen bemerkt wird, es sei so ausgewaschen, als ob früher ein Wasser von oben herabgeflossen wäre (DH 635b/F 20, 542). Dann marschierte man »in einer langen (...) Felsen-Höle immer aufwärts«, bis man das Tageslicht und die Innenseite der Felseninsel erblickte (IF 99). In der mexikanisch drapierten >Felsenburg<-Szenerie geht's jedoch abwärts und ins Dunkel (vgl. DH 682/F 21, 21ff.). Warum diese Umkehrung? Genaueres darüber im nächsten Kapitel. Auf jener Innenseite des Felsenwalls wurden die Sicherheits-und Verteidigungsmaßnahmen vervollständigt. Die »Felsenburger« (IF 476) hatten

»bey müßigen Zeiten, alle diejenigen Oerter an den auswendigen Klippen, wo (sie) nur vermerckten, daß jemand dieselben besteigen, und (sie) überfallen könte, durch fleißige Hand-Arbeit und Sprengung mit Pulver, dermassen zugerichtet, daß auch nicht einmahl eine Katze (...) die Höhe erreichen könne (...), hergegen arbeiteten (sie) zu (ihrer) eigenen Bequemlichkeit 4. ziemlich verborgene krumme Gänge (...) zwischen den Felsen-Klippen hinab, die niemand so leicht ausfinden konte, als wer Bescheid darum wuste (...).« (IF 418)


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Die Wegmündungen ins Inselinnere sicherten sie durch »tieffe (...) Abschnitte«, »solcher Gestalt, daß niemanden, ohne die herab gelassenen kleinen Zug-Brücken (...) weder herüber- noch hinüber zu kommen vermögend ist.« (IF 418f.) Wen wundert's noch, daß am Anfang des geheimen unterirdischen Ganges, dem Old Shatterhand folgt, ein tiefer Abschnitt, eine der von May habituell hochgeschätzten Felsspalten am Weitergehen hindert. Daß hier überdies Reste einer ehemaligen Brücke entdeckt werden (vgl. DH 667a/F 21, 9f.), macht diese Textstelle im thematischen Gesamtzusammenhang auch zwanglos deutbar - >einst und jetzt< - als kleines Rezeptionsrelikt, als literarische Reminiszenz an ein Schnabelsches Detail.(47)

   Doch bedarf es solcher, beim kritischen Belasten gegenwärtig unter Umständen noch schwankender >Überbrückungen< nicht, wie sich auf unserem ersten vergleichenden Erkundungsgang >über Land und Meer< zeigte und weiter zeigen wird. Beispielsweise, wenn wir zum Mittelpunkt auf beiden >Felsenburgen< und dessen jeweiligem Umkreis mit komparatistischem Späherblick vorstoßen. Inmitten der einen wie der anderen Felseninsel erhebt sich das auch von seiner Funktion her zentrale Gebäude. Bei Schnabel die »Albertus-Burg« (IF 103), bei May ein rohes Steinhaus (DH 635b/F 20, 541), das Schachthaus (DH 703a/17 21, 49). Verschieden nach Größe und Aussehen, stehen beide über und in Verbindung mit Höhlungen in der Tiefe, deren Rolle - im Sprachduktus von May und seinen Zeitgenossen formuliert - eine entscheidende ist. Der Erstkontakt mit dieser Unterwelt wird auf so verblüffend gleiche Weise hergestellt, daß von höherem Zufall weit weniger als von tieferer Notwendigkeit zu sprechen mittlerweile eher angebracht erscheint, obwohl - oder besser: gerade weil - zwei allzu wörtliche Zu-Fälle gewichtig mitspielen. Fast meint man selbst vor (durchaus freudigem) Schreck den Boden unter den Füßen zu verlieren, wenn man liest, daß sowohl der Herkules in Mays >Felsenburg< als auch Albertus Julius in Schnabels >Insel Felsenburg< unversehens durch den Erdboden brechen und in einem Gang landen, der zur entsprechenden Haupthöhle führt (vgl. DH 635a/F 20, 538 und IF 173).

   Wie ist nun diese Höhle beschaffen? War sie ehemals bewohnt? Wenn ja, von wem? Was findet man darin? - Fragen, die, mit Blick aufs Wesentliche, gleiche Antworten aus beiden Texten erhalten. Zu berücksichtigen bleibt freilich, daß das unterirdische Gang- und Höhlensystem der Mayschen >Felsenburg< ausgedehnter ist. Genauer gesagt: Es ist zweigeteilt in einen unteren und einen oberen Komplex, verbunden durch einen Schacht. Passender- und pfiffigerweise sind auch die Parallelbildungen zu Schnabel auf beide Komplexe verteilt.


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Erfolgte der >Einbruch< in den unteren, wirkt mit dem oberen das alte felsenburgische Gang- und Höhlensystem förmlich durchgepaust. Etwas unterhalb der Plateauoberfläche der mexikanischen Felseninsel verläuft von der Mitte zur Ostseite ein verdeckter Gang (DH 699a/F 21, 35) - Schnabel: ein »verdeckte(r) Graben« (IF 173) -, der hier wie dort zu einer Wohnhöhle führt, die - und darin ebenfalls frappante Übereinstimmung - vier Räume enthält, vier Stuben (DH 699a/F 21, 36) oder vier »Kammern« (IF 191). Bewohnt wurden sie vordem von: Spaniern - hie einem gewissen Eusebio Lopez (DH 699a/F 21, 35), da einem Don Cyrillo de Valaro (IF 181). Sie waren Gestalter der Wohnhöhlen und quasi Vorbesitzer der Felseninsel. Von deren Vorgeschichte zeugen beiderseits Inschriften - einmal im zinnoberhaltigen Gestein (vgl. DH 584b/F 20, 490 und DH 682b/F 21, 24), einmal auf »Zinnern Tafeln« (IF 181). Die von Don Cyrillo de Valaro verfaßte Inschrift enthält unter anderem die Information, daß unter dem Lager, auf dem seine Leiche ruht, einem steinernen Sessel, sich weitere »merckwürdige Schrifften« befinden (IF 183). »Und hoffentlich gibt es noch andere Schriftstücke, Briefe und dergleichen, welche Euch [d. i. dem Erzschurken Harry Melton] unangenehm werden müssen, falls sie in meine Hände geraten« (DH 714b f./F 21, 57), nimmt spekulierend der Doktor Allwissend alias Old Shatterhand das, was >natürlich< folgt, nämlich den Fund dieser unangenehmen Sachen in der Wohnhöhle der >Felsenburg<, vorweg. Überaus angenehm im Zuge der Plausibilisierung unserer Grundhypothese ist es selbstverständlich, wenn wir mit ebenso großem Erfolg wie der Ich-Erzähler unser naseweises Riechorgan unter das Lager Meltons stecken (DH 715a/F 21, 58) und dort wie im steinernen Sessel des robinsonierenden Don Urkunden, Papiere, Briefschaften und Geld vorfinden (vgl. DH 715b/F 21, 60f. und DH 728b f./F 21, 78 mit IF 188).

   Die Fährte ist gefunden. Das dürfte nach dieser, der einst so wild umbrandeten >Felsenburg< recht angemessenen wahren Flut von Kongruenzen und Korrespondenzen einigermaßen feststehen. Etwas zurück trat darüber der >Brückenschlag< innerhalb des Mayschen Œuvres von der wüsten Insel des >Waldröschens< zur Felseninsel der >Felsenburg<. Gefundene Fährten spornen den Spürsinn an: Ob nicht auch der Kreis des Beziehungsvollen um jene Inseln durch eine >Insel Felsenburg<-Aura erweitert werden könnte? Überprüfen wir's kurz.

   Das Aussehen der wüsten Insel scheint auf den ersten Blick dieser Vermutung zu widersprechen. Die höchste Erhebung des Eilands ist nur ein Hügel (vgl. WR 1411). Steile Felsen gibt es dort nirgendwo. Andererseits allerdings wird die >Felsenburg<-lnsel bei Schnabel ein-


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mal auch »wüste(r) Felsen« genannt, und zwar ausgerechnet, als eine Gefangenenaussetzung - wie im >Waldröschen< - an ihrem Ufer erfolgt (IF 84). Wie die Mannen um Sternau, die an Händen und Füßen gefesselt ganz unten auf dem...Boden der >Pendola< des Piraten Grandeprise liegen, lag auch just der später ausgesetzte Gefangene, der seines Kommandos von einem nach größerer Prise scharfen Piraten namens Jean le Grand enthobene Kapitän Leonhard Wolffgang, an Händen und Füßen gefesselt »auf dem untersten Schiffs-Boden« (wie's wohl Brauch war; vgl. WR 1128f. und IF 83). Macht man sich zudem frei von der Fixierung auf die zentrale >Felsenburg<-lnsel, sieht man nach einigem Suchen in Schnabels Buchstabenmeer Land und hat eine entsprechende »wüste ( ... ) Insul« aufgespürt (IF 377). Die ist (passend) klein und flach (vgl. IF 376), bietet Wasser und Nahrung, »Schild-Kröten und etliche Arten von Vögeln und Fischen« (IF 376) May: zwei frische Quellen und Früchte, Fische, Vögel (WR 1133) -, ist also im gleichen (Nicht-)Sinn >wüst< und wird auch mit der gleichen Beharrlichkeit wieder und wieder als »wüste Insul« und nicht anders bezeichnet (IF 377, 379, 388). Daran, daß auf beiden >wüsten Inseln< Hütten und keine Paläste gebaut werden, ist kaum etwas Besonderes, wohl aber daran, daß die näheren Umstände beim entscheidenden Rencontre zur Beförderung der Handlung merkwürdig innig verwandt erscheinen. Den zur Weiterentwicklung nötigen Drive gibt jeweils eine Befreiungsaktion. Aus physischer Gefangenschaft werden Sternau und Compagnie, aus psychischer Virgilia van Catmers mit Magd und Stieftochter erlöst. Einer der rettenden felsenburgischen Engel(48) trifft die ebenso gottvertrauende wie tugendhafte Virgilia »hinter einem dicken Gesträuche in der Einsamkeit höchst betrübt und weinend« an (IF 380, vgl. auch 381f.), und zwei der rettenden rodrigandischen Engel treffen den bestimmt nicht weniger tugendhaften >Fürsten des Felsens< an, alleine - die Thränen liefen ihm über die Wangen, aber das Gottvertrauen erhellte seine Züge - hinter kräftigen Sträuchern und Büschen (WR 1408, vgl. auch 1406f.).(49) - Eine ansehnliche Zahl gemeinsamer Erzählelemente, gemeinsamer Handlungsbausteine und Motivkerne, die freilich auch genregemäß sind, bestätigt also die gehegte Vermutung, deren Stellenwert für den thematischen Gesamtzusammenhang jedoch nicht höher und weiterreichender sein kann als der einer flankierenden Maßnahme.

   Läßt man nun bis hierher das >Einst und Jetzt<, das Verhältnis von alter, quasi ursprünglicher und neuer, gewissermaßen (kaiserlich) neu eingekleideter >Felsenburg< Revue passieren, verdient, zu einem Zwischenresümee nach erstem Ausspähen, festgehalten zu werden:


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   (1) Daß es in der Darstellung des zentralen Ortes, des geheimen Mittelpunkts von Mays Reiseerzählung nur so wimmelt von Parallelbildungen zur Schnabelschen Formung der Felseninsel.

   (2) Daß neben die besondere Qualität der Merkmale für eine Verbindung von Text zu Text die besondere Qualität ihrer Verarbeitung tritt, insofern die in der Reiseerzählung geschilderte erdgeschichtliche Entwicklung deutbar ist als witzig-spielerische Metapher für die (erneut) plakativ-versteckte innerliterarische Beziehungsgeschichte zwischen Mays Felsenburg auf dem Land und Schnabels Felsenburg im Wasser.

   (3) Daß auch die unter den genannten Aspekten als Vorform der Felseninsel geltende wüste Insel des >Waldröschens< bereits fast wie ein Echo aus Schnabels >Wunderlichen Fata< klingt und somit ihren Stellenwert innerhalb der Beziehungsgeschichte wie auch den der Beziehungsgeschichte selbst erhöht.

   Das Netzwerk May-Schnabel nimmt also Gestalt an. Die Fäden nicht mehr ungesehen fließen. Ein Muster in diesem Gewebe - >Felsenburg< einst und jetzt - liegt vor. Die Grundhypothese ist fundamentiert. Ihr Plausibilitätsgrad ist gestiegen.

   Gefundene Fährten spornen den Spürsinn an: Ob alle Linien dieses Musters erfaßt sind? Und wie steht es mit anderen Mustern? Bisher ging es vor allem um die äußere Erscheinung von Almaden alto. Ob die Dichte der Zusammenhänge noch zunimmt, wenn wir die Perspektive beim Fährtenverfolgen erweitern? Ob Parallelbildung die vorherrschende artistische Aneignungs- und Verarbeitungsweise bleibt?


5.  D a s  P r i n z i p  U m k e h r u n g 

Gonzalo:
Had I plantation of this isle, my lord, - -
(...)
I'the Commonwealth 1 would by contraries
Execute all things

William Shakespeare, The Tempest

Kehren wir an dieser Stelle um und zurück vom Mittelpunkt der >Felsenburg< zu deren Anfang. Denn unterdessen dürfte der Blick für die >Sphäre des Zugehörigen<, wie Thomas Mann es ausgedrückt hätte, geschärft sein: Bei einem zweiten Lesedurchgang von Mays Werk sollte daher auch nicht mehr allzuviel durch die Maschen des kritisch auf felsenburgisch Beziehungsvolles ausgerichteten Vorverständnisses schlüpfen. Folgen wir also noch einmal, auf höherer, metaliterarischer


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Ebene ausspähend, dem Spähmann Old Shatterhand vom Meer zum Fels.

   Noch einmal, folgt als erstes daraus, zum >Umschlaghafen< Guaymas in Sonora, der seine Funktion, leicht abgewandelt, aber erstaunlich ausdauernd, weiter beibehält, wenn man die Art und Kunst vergleicht, mit der May und Schnabel ihre Handlungsmaschinerie in Schwung halten. Da ist zunächst der Gang der Ich-Erzähler vom Hinterland zur Hafenstadt, von der Sierra Verde nach Guaymas bei May, von Leipzig nach Amsterdam bei Schnabel. Der eine, May-Old Shatterhand, kommt verspätet an, der andere, Eberhard Julius, zu früh (vgl. DH 11a/F 20, 2f. und IF 12). Beide steigen »auf recommendation« (IF 12) in einem Gasthof ab und vertreiben mit Müßiggängen die Zeit, bis einer kommt, der den >Helden< ein Rettungsseil (DH 43b/F 20, 29) zuwirft, damit sie sich aus imaginären (wie in der Mayschen >Felsenburg<) oder realen Nöten (wie in der >Insel Felsenburg<) ziehen können (vgl. DH 43/F 20, 29 und IF 19f.). Wieder muß beiderseits das beliebte oder, wenn man so will, triviale (Grund-)Motiv des rettenden Engels in Menschengestalt als ausschlaggebendes Rädchen des Erzählgetriebes herhalten - mit einem symptomatischen Unterschied freilich: Der eine >Engel<, Harry Melton,(50) entpuppt sich als wahrer Teufel, und das - um die Effekte ja zu kumulieren - justament im Gewande des Geistlichen.(51) Und justament (wie Effekte auch so manches Mal metaliterarisch spielend kumulieren können) »in Priester habite« tritt an der Seite des anderen >Engels<, Leonhard Wolffgangs, des Sendboten der nur und nur guten >Felsenburger<, ein Herr Schmeltzer auf den Amsterdamer Plan der >Wunderlichen Fata< (IF 26). Doch ganz schurkenfrei läßt sich's selbst auf der alten >Felsenburg<, zeitweise wenigstens, nicht leben: Alle denkbare Schlechtigkeit wird gesammelt und gebündelt in einer einzigen Figur, Capitain Lemelie.

   Melton, der böse Priester - Schmeltzer, der gute Priester: Einiges >Alt-Felsenburgische< scheint umgeschmolzen, und das sogar pointiert wortwörtlich, betrachtet man die gemeinsame semantische Basis der beiden Namen.(52)  M e l  ton - Sch  m e l  tzer - Le  m e l i  e: there is something in names. Melton, der Schuft schlecht-hin und hinterhältige >Reiseleiter< nach der Felseninsel Almaden alto - Lemelie, der Erzbösewicht und arglistige Schiffsführer nach dem (ungewollten) Ziel Felseninsel >Felsenburg<: Einiges >Neu-Felsenburgische< scheint mit Altem verschmolzen, und das sogar pointiert bis ins fatal Wunderliche, betrachtet man das gemeinsame (und sonst nicht gerade häufig anzutreffende) Motiv des Händedrückens mit Verletzungsfolge.(53)

   Vor der Abfahrt von Guaymas nach der schrecklichen Insel wird der


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Erzähler als Buchhalter angeheuert - vor der Abfahrt von Amsterdam nach der nur äußerlich abschreckenden Insel wird der Erzähler, der später zum Schreiber der Felsenburgischen Geschichte avanciert, angehalten, Bücher, Papier und Schreibzeug einzukaufen und zu verpacken, eben zu >halten< (vgl. DH 44f./F 20, 30-34, DH 58/F 20, 35 und IF 25-27).

   Sind die Anker gelichtet, geht es kurz über Meer und anschließend lang über Land zur >Felsenburg< Almaden alto - geht es, nach der kurzen Fahrt über Land, lang übers Meer zur Insel Felsenburg. Die Schiffspassagiere sind in beiden >Felsenburgen< Emigranten. Aber nur die Schnabelsche Gruppe kennt das wahre Ziel ihrer Reise, der anderen bleibt es verborgen. Erstere wird auf ihrer Felseninsel (endlich) frei leben können, letztere in ihrer >Felsenburg< versklavt.

   Was sich mit der anverwandelnden Umbettung der Felseninsel >Felsenburg< aus Schnabelschen Wassern auf Mays poetische Lande andeutete, bestätigt sich mehr und mehr: Neben das ästhetische Verarbeitungsprinzip paralleler Textbildung tritt das der Umkehrung, das der Ersetzung literarischer Gegebenheiten durch ihren konträren Gegensatz.

   Das kommt nicht von ungefähr. Als darstellungsästhetisches Mittel wie als produktionsästhetische Praktik setzte May das Prinzip Umkehrung immer wieder ein. Dem aufmerksamen Leser seines Gesamtwerks begegnet es auf Schritt und Tritt. Motto: Prinzip Umkehrung auf jeder Ebene. Der Text, das Wortgewebe, ist stets durchwirkt von Formen der Umkehrung. Ohne den >Motor< Umkehrung läuft so gut wie nichts. Umkehrung ist eines der wenigen grundlegenden Bauprinzipien der Erzählungen Mays.(54)

   Gleich zu Beginn auch der >Felsenburg< wird der Leser mit Nachdruck entsprechend eingestimmt: Der Erzähler steigt, nach dem Abstieg in den Talkessel von Guaymas, im ersten Hotel am einst hübschen, jetzt häßlichen Platze ab. Das kommt darüber hinaus einem Abstieg anderer Art gleich, denn das erste Haus ähnelt - in europäischzivilisierten Augen - eher der letzten Höhle. Mit dem Kontrast zwischen Hotel und Absteige nicht genug. Sogar die Situation Gast - Gastgeber wird in ihr Gegenteil verkehrt: Die Rollen sind vertauscht (vgl. DH 27b/F 20, 21). Nach dreifachem Abstieg(55) also einmal mehr Guaymas als >Umschlaghafen<.

   Wie handwerklich gewieft und leserlenkend suggestiv May Formen der Umkehrung von Anfang an scheinbar so ganz nebenbei einstreut, ist ein Vergnügen zu beobachten.(56) Zuerst auf syntaktischer Ebene: Freilich war der Eindruck, welchen ich auf oder in Guaymas machen


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mußte, kein besserer als derjenige, welchen die Stadt auf mich machte (DH 11a/ F 20, 3). Dann das >Einst und Jetzt<: Das hölzerne Firmenschild der nobelste(n) Bruchbude zeigte in einst weißen, nun verwitterten Buchstaben auf dunklem Grunde die verlockenden Worte »Meson de ---« das übrige war nicht mehr zu lesen. (DH 11b/F 20, 4) Darauf die >Temperamentsumkehrung< der - ihrem Gatten zufolge - außerordentlich resolute(n) Wirtin, die fortwährend und ausschließlich in ihrer Hängematte ruht (DH 12a/F 20, 6). Danach, mit Steigerungseffekt, eine ganze Reihe von Umkehrungen normaler Situationsabläufe: Anstatt die Frage nach Logiermöglichkeit zu beantworten, legt der guaymanische Wirt dem Erzähler ans Herz, sich erst einmal irgendwo hinzulegen und eine Runde zu schlafen. Weiter will der >Hotelier< und nicht sein präsumtiver Gast über dessen Bleiben entscheiden. Sodann: Ich wendete mich zum gehen, worauf - nach dieser Kehrtwendung - der Wirt seine, oder besser umgekehrt die Entscheidung seiner Frau umkehrt und den äußerlich Heruntergekommenen, innerlich aber selbstverständlich Integren doch in seinem Haus behält, freilich nicht ohne kehrtwenderische Konsultation seines Ehegespons. Und nicht der gelehrte deutsche Westmann (heiße Doktor gar), der im geliebten Mantel des so vieles umkehrenden Inkognito auftritt (das umgekehrt für den Leser das >Inkognito< Old Shatterhand lüftet), sondern der tumbe >Schriftgelehrte und Hotelier dazu< trägt ins Gästebuch ein, das - Umkehrung - entgegen der Beteuerung des Wirtes, sein Haus habe lebhaften Zuspruch, nicht sonderlich frequentiert worden zu sein scheint (siehe DH 12f./F 20, 7-11). Und so weiter und so fort bis zu höheren, weniger konkreten, und höchsten abstrakten Bezugsebenen: dem Umkehrungsverhältnis etwa von schöner äußerer Gestalt und innerlicher Verderbtheit der reinen Negativ-Figur, Harry Melton, des zweiten Gasts im ersten Haus des >Umschlaghafens< Guaymas (vgl. DH 28/F 20, 24f.).

   Doch zurück zu >Doppelt-Felsenburgischem<. Entsprechend (möchte man nun beinahe sagen) zur schandbaren Judith bei May gibt es eine durch und durch honette Judith bei Schnabel, und vom Player, dem Kumpan Meltons, zum guten Uhrmacher Plager, dem Kameraden Schmeltzers, ist es in einer bestimmten Hinsicht nur ein G.(57)

   Entsprechend (nähert man sich nun noch einmal der zentralen Felseninsel) hat Mays >Felsenburg< quadratische Form (ein riesiger Felsenquader, DH 635b/F 20, 541), während die Schnabels fast kreisrund ist.(58) Interessant dabei, daß May sonst als Gefangenen-Inseln fast kreisrunde beharrlich bevorzugt.(59) - Umkehrung um des Prinzips Umkehrung willen?


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   Entsprechend (fällt nun auch auf) nähert sich Old Shatterhand der Südwestecke des monströsen Felsenquaders und nicht der nordwestlichen, vor der die Schiffe, die zum äußerlich wüsten Felsen im Atlantik wollen, ankern (vgl. DH 663b/F 21, 4 und IF 91(60)).

   Entsprechend (betritt man das Innere beider Inseln) öffnet sich die mexikanisch maskierte Felsenburg nicht zum oberirdischen >Lichtland< wie die schalenförmige Schnabels, sondern bleibt ein geschlossener Kubus, durchzogen von nachtdunklen Gängen, ein Ort des Grauens - eine >Anti-Felsenburg<, verglichen mit den >Wunderlichen Fata<.

   Das »irrdische (...) Paradieß« (IF 88) erscheint verwandelt und verkehrt in eine irdische Hölle.

   Außerdem hat sich gezeigt:

   (1) Daß nicht nur der Mittelpunktsort, der Topos >Felsenburg<, sondern auch Figuren und Handlungsabläufe für das Beziehungsgeflecht zwischen beiden Texten Mays und Schnabels konstitutiv sind.

   (2) Daß erst durch den >Zweitakt< von textlichen Parallelbildungen  u n d  Umkehrungen die formale Struktur der (sich weiter verdichtenden) Zusammenhänge klar wird.


2.  E x k u r s  : Von Leipzig nach Amsterdam oder Willkomm und Abschied. Zur Literarizität von Karl Mays >Abschiedsbrief< aus dem Jahr 1869

Nun fortzugehn von alledem Verworrnen,
das unser ist und uns doch nicht gehört

Rainer Maria Rilke,
Der Auszug des verlorenen Sohnes

Schnabels >Wunderliche Fata< setzen ein mit dem Bericht des Haupt-Ich-Erzählers Eberhard Julius über seinen bisherigen Lebenslauf, insbesondere wie er, zwecks Studium, nach Leipzig »ohne Aufseher, oder wie es zuweilen heissen muß, Hofmeister« (IF 4) gelangt ist, dort einen Brief seines Vaters erhalten hat, dessen Geschäftskompagnon bankrott gemacht und ihn dadurch gezwungen hat, das Land zu verlassen: »ich aber gehe mit einem wenigen von hier ab, um in Ost- oder West[-]Indien, entweder mein verlohrnes Glück, oder den todt zu finden.« (IF 6) Eberhard Julius bekommt noch einen weiteren, wie sich herausstellen wird, lebensentscheidenden Brief am »21. May 1725«, der ihn mit den »allerprofitablesten Zeitungen von der Welt« (IF 9), Reisekosten werden übernommen, von Leipzig nach Amsterdam ruft und von dort ins rettende irdische Paradies der Insel Felsenburg (vgl. IF 9-11).


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   Nun gibt es in Mays Brief, datiert Leipzig, den 20./4.1869,(61) in dem er eine Bekanntschaft mit zwei nordamerikanischen Herren, Burton Vater und Sohn, gemacht haben will und mit diesen als Hofmeister von Leipzig nach Amsterdam und von dort aus über den Großen Teich nach Pittsburg zu fahren beabsichtigt, einige Ungereimtheiten. Weder ist der Brief postalisch befördert worden (daß May also tatsächlich zum angegebenen Zeitpunkt in Leipzig war, bleibt unbestätigt), noch sind - wie Klaus Hoffmann gezeigt hat - diverse Angaben, etwa über den Abfahrtshafen Amsterdam oder die Reisezeitspannen, stichhaltig(62) - heute sind wir in Leipzig, bis Sonnabend in Amsterdam und dann in 9-10 Tagen in Pittsburg; »es war gethan fast eh' gedacht«, möchte man Goethes Gedicht >Willkommen und Abschied< bemühen,(63) der Wunsch war merklich Vater des Gedankens. »Warum Karl May in seinem Brief«, meint Klaus Hoffmann, »eine gänzlich andere als diese [von Hoffmann diskutierte] optimale Reiseroute anführt, dafür sind zwei Erklärungen möglich: Entweder sollte die sächsische Polizei über die wahre Route getäuscht werden, oder aber die Reise nach Amsterdam erfolgte ausdrücklich auf Wunsch der Burtons.«(64) Doch noch mindestens eine weitere Erklärung ist darüber hinaus möglich: May mischte hier in seinem Brief Fakt und Fiktion, ja sogar literarisch vorgegebene Fiktion. Die Tonlage des Briefs gemahnt eh eher an die seiner späteren Reiseerzählungen als an eine Privatmitteilung für die Eltern - oder würden Sie mit folgendem Stilgestus an die Ihnen am nächsten Stehenden schreiben: (65)?

   An dieser Stelle, vor dem Hintergrund des wie auch immer gearteten Auszugs des verlorenen Sohnes, bietet sich Gelegenheit zu einem Exkurs im Exkurs, denn ist es Zufall, daß in der Exposition zu Mays >Verlorenem Sohn< ein Brief des Haupthelden Gustav Brandt, des gewandten Polizeibeamten und nachmaligen grandios demiurgischen Fürsten von Befour, eine wichtige Rolle spielt, der an wen gerichtet ist? »Meine lieben Eltern!«(66) Alles hat sich umgekehrt: Der Schreiber des Briefs steht nicht mehr on the wrong side of the street, nun ist er der Polizist, der Jäger und nicht mehr der Gejagte; jetzt kündigt er seine Ankunft und nicht mehr seine Abfahrt an - und dennoch wird auch er durch des Schicksals und vor allem der Menschen (Intrigen-)Mächte für zwei Jahrzehnte zum verlorenen Sohn. So gestaltet sich Mays Roman um den >Fürst des Elends< von Anbeginn zu seiner, bei allen im Buch betriebenen Maskeraden, unmaskiertesten Rechtfertigungs-Saga eigenen Versagens.(67)

   Geht man von einem Wahrnehmungs-Schwindel Mays gerade in so


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bedrängenden, beängstigenden Situationen wie im April 1869 aus, einem pseudologischen Perzeptions-Pendeln seines Bewußtseins zwischen Außenwirklichkeit, phantastischen Projektionen wie der, er habe einen mit Geld flüchtigen Bankier in Amerika aufgesucht und für dessen Verhaftung eine Belohnung erhalten,(68) und literarischen Identifikationsmustern, in deren Spuren es sich so heimelig-geborgen laufen läßt im Gegengang zur feindlich-fremden >wirklichen Welt<, die einem nur bös will, dann sollte man, skeptisch, besser auch bei dem Burton-Brief nicht zuviel Realitätsgehalt unterstellen, eingedenk der in >Mein Leben und Streben< geschilderten Situation, daß der kleine Karl einen Zettel geschrieben haben will mit der Notiz ich geh nach Spanien; ich hole Hilfe! als unmittelbarer Konsequenz aus dem Zusammentreffen von wirklicher und imaginärer, erlesener, literarischer Welt in seinem armen und ach so phantasienreichen Kopf.(69)

   Zumal nicht nur für die Hofmeister-Idee und die Route Leipzig-Amsterdam mit dem Glücksland-Ziel ein mögliches literarisches Orientierungsmuster - Schnabels >Insel Felsenburg< eben - vorliegt, sondern auch für die Gestalt des reichen Amerikaners Burton, der als rettender Engel aus aller äußeren Bedrängnis und inneren Zerrissenheit zu führen beabsichtigt.

   Sie tritt einem entgegen in Ernst Willkomms >Moderne(m) Lebensbild<, so der Untertitel, aus dem Jahre 1838, dem Briefroman >Die Europamüden<, einem erfolgreichen und folgenreichen Buch - man denke etwa an Ferdinand Kürnbergers literarische Antwort darauf, das >Amerikanische Kulturbild<, so der Untertitel, >Der Amerikamüde< von 1855 -, das Generationen mitprägte in ihren Fluchtgedanken weg aus dem zerrissenen Deutschland, weg auch aus der inneren Zerrissenheit, die besonders zur Zeit des >Jungen Deutschland< intellektuellzeittypisch war.(70)

   Retter ist in Willkomms Briefroman der reiche Amerikaner Burton, der gerade Deutschland bereist.(71) Eine Gruppe Europamüder schifft sich am Ende, nachdem man den Rhein hinabgefahren ist, wohl in Amsterdam auf der Brigg >Die Hoffnung< gen Amerika, dem »glücklichen Land«,(72) ein, »geführt von Burtons erfahrener Hand«,(73) um in dessen Heimat - nicht Pittsburg am Ohio, sondern »Cincinati am Ohio«(74) - eine schönere, bessere Zukunft zu finden.

   Bezeichnend für Mays poetische Praxis der Umkehrung ist es, daß die Figur des Führers Burton als Pseudo-Burton und teuflischer Fehlführer deutscher Auswanderer auftaucht (im >Geist der Llano estakata< von 1888)(75) - wie um Rache zu nehmen an den literarischen Orientierungsmustern, deren Scheinhaftigkeit May zu spüren bekam, als


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sein Weltbild-Gemix aus Phantasie und Literatur ihn hinter Gittern landen ließ.(76)

   Ein >Burton-Echo< sozusagen hallt in der >Felsenburg< dann wider in Harry Melton, dem falschen Führer der deutschen Auswanderer und Pseudo-Mormonen wie Tobias Preisegott Burton aus dem >Geist<, dessen weiteres Alias Weller war, das in nunmehr zwei Aufspaltungen, Weller Vater und Sohn, Kumpanen Meltons, wiederauflebt - womit wir auch das Ausfalten in Vater und Sohn Burton vor dem Hintergrund der einen Burton-Gestalt aus Willkomms >Europamüden< im Brief vom 20. April 1869 als Zug von Mays poetischer Praxis des Umsetzens bestimmter Elemente aus eigener oder fremder literarischer Vorlage erkennbar gemacht hätten.

   Eine späte Versöhnung Mays mit der Burton-Figur erfolgte dann bekanntlich innerhalb von >Winnetou IV< durch die Alias-Identifizierung des europamüden alten Old-Shatterhand-Ichs.(77) Karl May hatte, 1908, die durchaus auch fragwürdige Schönheit >seines< Amerika endlich anzuschaun mit Leibesaugen, durch das zugrunderichtende Dauerfeuer der Querelen und Prozesse wahrhaftig europamüde, im sogenannten wirklichen Leben nun das vollzogen, was sich in Willkomms Burton verkörperte, Freiheit des Individuums, souveränes Reisen von Kontinent zu Kontinent. Und was wäre ein schönerer Tribut an die so viel Lust und, im Zusammenprall mit der ungefügen Außenwelt, so viel Leid in einem erzeugende Literaturwelt, als sich, wiederum in der Fiktion, so zu nennen wie der, dessen imaginärem Weg man nun real gefolgt war?(78)


6.  A s y l  u n d  E x i l 

The beauteous hateful isle

Alfred Lord Tennyson,
Enoch Arden

Das irdische Paradies der >Wunderlichen Fata<, so endete das 5. Kapitel, erscheint in Mays Reiseerzählung verwandelt in eine irdische Hölle. Mit dieser Einsicht wandelt sich auch die Aussicht auf Mays >Felsenburg< und den Weg dorthin. Herrn Schnabels Spur führt nun aus den Niederungen rein inhaltlicher Zusammenhänge auf die höherliegende gehaltliche Ebene von Mays voyage imaginaire.

   Ziel aller Erzählwege in Schnabels >Insel Felsenburg< ist nachdrücklich die existentielle Ruhe und Geborgenheit, Friede und Freiheit, die für die handelnden Personen nur auf der Insel zu finden sind. Überall anderswo ist man andauernd lebensbedrohender Not und Plage ausge-


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setzt. Die Sehnsucht nach der Insel als Asyl(79) wird tausendseitenfach beschrieben. Umgekehrt bei May: Zwar beherrscht auch sein Werk der Instinkt, daß Bedrohung von Leib und Leben ubiquitär sei, doch schrieb er mit seiner >Felsenburg<, ob mit oder ohne Absicht, eine grundsätzliche Absage an Schnabels Utopie vom Paradies auf Erden. Nicht die Sehnsucht nach der Insel als Asyl gestaltete er, sondern die Angst vor ihr als Exil und Ort lebensbedrohender Unfreiheit. War Schnabels Felsenburg Ort der Rettung, an dem man bleibt und der gegen böswillige Eindringlinge verteidigt werden muß, ist diejenige Mays Ort der Verderbnis, vom Bösen beherrscht, an dem man nicht bleiben darf und der vom guten Prinzip erobert werden muß.

   Mays Lebens- und Strebenserfahrung vor Augen, kann diese Konstellation (locus terribilis versus traditionellem locus amoenus) nicht überraschen. Die Vorstellung von der glückseligen Insel, vom uneinnehmbaren ständigen Refugium, Sitz der Un-Schuld, Tugend und des Ideals, die sich durch die Literaturen schier aller Zeiten und Zonen zieht, mußte, bei allem, was aus seinem Werk spricht, vehemente Abwehr bei ihm auslösen. Mays Werk steht hierin gegen die Hauptströmung einer poetischen Tradition. (Aus dem Konflikt zwischen Aufnahme literarischer Konvention (Insel als gängigem Motiv gerade auf dem Sektor der Unterhaltungsschreiberei) und innerer Verweigerung läßt sich bei May auch kompositorisches Versagen wie im Falle der >Juweleninsel< verstehen.(80))

   Mays maßgeblich haftgeprägtes inneres Lebensuhrwerk dürfte bestimmt gewesen sein von einer großen Unruhe.(81) Ein >Verweile doch< spricht selbst kaum aus den >Inseln des (reflektierenden) Verharrens< im Spätwerk. Bleiben ist nirgends. Der allgewaltge Bewegungsdrang - nur fort, fort, fort!(82) -, der sich im ständigen Reisen, Reiten, in der Reihung von Aktionen, im ewigen, schwindelerregenden Reigen gleicher oder leicht variierter Situationen und Personen ausdrückt, hat vermutlich als Ur-Grund die Angst vor Abgeschiedenheit, vor grausenhafter Isolation, eben vor der Isola-Insel, gesteigert durch die absolute Bewegungshemmung während seiner Haftzeiten.(83)


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7.  Z u s a m m e n f a s s u n g 

Walter:
Wohin die Spur Euch führte, will ich
wissen!

(H. v. Kleist, Der zerbrochene Krug)

In einem Satze nur: Ich hoffe hauptsächlich gezeigt zu haben - aufgrund der philologischen Tugend des genauen Lesens und der Ausfaltung großer Zusammenhänge aus kleinen Textelementen, gemäß (nicht ohne Augenzwinkern gesagt) dem Ausruf des Players zu Old Shatterhand, »Master, jetzt glaube ich, daß Ihr, wenn man Euch nur ein A zeigt, das ganze Alphabet aus diesem einen Buchstaben holt!« (DH 651a/F 20, 546) -,

   (1) daß und wie Mays >Felsenburg< in einer bestimmten Traditionslinie der auf Dichter immer wieder merkwürdig und eminent nachhaltig anregend wirkenden >Insel Felsenburg< Johann Gottfried Schnabels steht,

   (2) daß artistisches Erzählen, zumindest bei Karl May, nicht unbedingt gebunden ist an besondere sprachliche Durchformung beziehungsweise Stilisierung oder Wortmächtigkeit,

   (3) daß die literarisch-metafiktionale Spielform der Wissensprobe bei May, läßt man sich auf sie ein, in Mays grasiger [Text-]Ebene - hier der >Felsenburg< - Spuren sichtbar macht, so deutlich wie die Worte in einem großgedruckten A-b-c-buche (DH 615b/F 20, 522), kennt man nur den >Schlüssel<.



Stellennachweise aus häufig zitierten Werken erfolgen fortlaufend im Text. Mays >Felsenburg< wird nach dem Abdruck im >Deutschen Hausschatz< wiedergegeben, da nur hier der Titel so lautet; den Seitenzahlen folgen zum rascheren Auffinden die Zusätze >a< für linke Spalte und >b< für rechte Spalte. Außerdem wird hinter einem Schrägstrich die Seitenangabe für die Fehsenfeld-Ausgabe genannt, ohne allerdings eventuell auftretende kleinere Wortlautvarianten zu berücksichtigen. Folgende Kürzel werden verwendet:

DH = Karl May: Die Felsenburg. Deutscher Hausschatz. XX. Jg. (1893/94); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1980

F 20 = Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XX: Satan und Ischariot I. Freiburg 1897

F 21 = Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXI: Satan und Ischariot II. Freiburg 1897

F 22 = Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXII: Satan und Ischariot III. Freiburg 1897

IF = Gisander [d. i. Johann Gottfried Schnabel]: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii. Nordhausen 1731-1743.4 Bände. Reprint Hildesheim-New York 1973 (zitiert wird nur aus Bd. 1)

WR = Capitain Ramon Diaz de la Escosura [d. i. Karl May]: Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde. Dresden 1882-1884; Reprint Leipzig 1988/89


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1 Siehe die einschlägigen Arbeiten der Karl-May-Forschung; einen knapp gefaßten Überblick, mit weiterführender Bibliographie, bietet Martin Lowsky: Karl May. Stuttgart 1987, S. 57-67 (Sammlung Metzler 231).

2 Vgl. dazu speziell Helmut Schmiedt: Karl May. Leben, Werk und Wirkung. Frankfurt a. M. 31992, S. 212-216.

3 Vgl. auch hierzu den Überblick mit weiterführender Bibliographie in Lowsky, wie Anm. 1, S. 78-86.

4 Siehe Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 79; Reprint Hildesheim-New York 21982. Hrsg. von Hainer Plaul. - Zu einigen Folgen dieses weitgehend phantasiedeterminierten Weltzugriffs siehe weiter unten, besonders Anm. 7 und 8.

5 Vgl. Rudi Schweikert: Rodensteiner redivivus oder Die Wissensprobe. Artistisches Erzählen in Karl Mays >Waldröschen<. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 82/1989, S. 17-20.

6 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 53

7 Siehe auch die vereindeutigende, schmerzend-regressive (selbststrafende) Stilisierung der Wissens- und Fiktionsstoff akkumulierenden Lektüre ins reine Erleiden bei May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, zum Beispiel S. 67 (Dieser Abgrund heißt ... Lektüre) oder S. 97: Ich wußte viel mehr als meine Mitschüler. ... Denn was ich wußte, das war eben nichts weiter als nur Wust, eine regellose, ungeordnete Anhäufung von Wissensstoff, der mir nicht den geringsten Nutzen brachte, sondern mich nur beschwerte. Wenn ich mir ja einmal von dieser meiner unfruchtbaren Vielwisserei etwas merken ließ, sah man mich staunend an und lächelte darüber.

8 Angstlust in der Verschränkung von philobatischen und oknophilen Triebtendenzen, sichtbar im Schwanken zwischen freiem Schweifen durch die die Real- und Bücher-Sphäre mischenden Phantasie-Erlebniszonen und der Sehnsucht nach dem klar kategorisierenden, Halt gebenden Schubladenwissen. Auf selbststrafend-vereindeutigender Stufe von May formuliert in >Mein Leben und Streben<, wie Anm. 4, S. 97: Die Andern, meist Lehrersöhne, hatten zwar nicht so viel gelernt, aber das, was sie gelernt hatten, lag wohlaufgespeichert und wohlgeordnet in den Kammern ihres Gedächtnisses, stets bereit, benutzt zu werden. Ich fühlte, daß ich gegen sie sehr im Nachteil stand, und sträubte mich doch, dies mir und ihnen einzugestehen. - Diese Triebambivalenz läßt sich, weiter gedacht (ich erlaube mir hier den Luxus einer in spekulative Tiefen vordringenden Fußnote), als >Generalmotor< von Mays Schreiben verstehen, dessen in freie (Wunsch-)Allmacht und zügelnde (Wunsch-)Logik zweigeteilte Grunddynamik sich auch immer wieder im Werk objektiviert, und zwar im fiktionalen Zusammen- und Widerspiel von waghalsig vagierender Omnipotenzhandlungssucht und diese (scheinbar) ans >Realitätsprinzip< rückbindender, bannender immanenter >logischer< Analyse (fokussiert gleichsam im Helden als die Geheimnisse der fiktiven Welt entschlüsselnder, deduzierender Detektiv). - Die vielen fiktionalen Ungereimtheiten im Werk Mays, die durch die im Text eingebauten >Auffangversuche< (via vernünftiges Schließen) letztendlich eher verstärkt als abgeschwächt werden, wirken vor diesem Hintergrund wie eine gewollt subversive, rebellische Antwort des schreibenden Subjekts auf die frustrierende Außenwelt mit ihren Ungereimtheiten. - Mit am schärfsten scheint mir jene rebellische Subversivität in den frühen Prosaversuchen von >Auge et diable< bis zu >Der beiden Quitzows letzte Fahrten< ausgeprägt, in letzterem Text erkennbar in den (regelmäßigen) Handlungsabbrüchen bzw. Schauplatzwechseln, die zwar, da genregeläufig, zu den gängigen Lesererwartungen zählen. Aber dadurch, daß May diese Erzählstrategie (wie parodierend) auf die Spitze treibt, unterläuft er die Lesererwartungen und dreht ihnen eine Nase.

Zur Angstlust bei Karl May und den von Michael Balint geprägten Termini >Philobatismus< - >Oknophilie< siehe genauer Kurt Langer: Die Bedeutung der Angstlust in Karl Mays Leben und Werk. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1986. Husum 1986, S. 268-276. Außerdem sei verwiesen auf Ulf Abraham: Die Angst vor der Entdeckung und die Entdeckung der Angst. Ein Motiv bei Franz Kafka und Karl May. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. 59. Jg. (1985). H. 2, S. 313-340.


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9 Eine schöne Zusammenstellung von Hobble-Frank-Stellen in Kontrastharmonie zu Aussagen in >Mein Leben und Streben< bringt Hedwig Pauler: Der Held des Westens oder The Life and The Opinions of Mister Penman in The Dark and Bloody Grounds. In: M-KMG 59/1984, S. 3-9, und 60/1984, S. 3-9.

10 Vgl. die lapidaren Sätze des sonst in seinen Arbeiten zu Karl May gar nicht lapidar sich ausdrückenden Walther Ilmer: Einführung (zu >Die Felsenburg<). In: Karl May: Die Felsenburg. Deutscher Hausschatz. XX. Jg. (1893/94); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1980, S. 7 (Anm. 8).

11  » F e l s e n b u r g  , s. Schnabel.« (Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und herausgegeben von J. S. Ersch und J. G. Gruber. Mit Kupfern und Charten. Erste Section A-G. Hrsg. von J. G. Gruber. 22. Theil Fas-Ferchard. Leipzig 1845) -  » F e l s e n b u r g  , Insel, ehemals beliebte Robinsonade, vom Kammersecretär Schnabel in Stollberg am Harze verfaßt (...).« (Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe. Sechster Band. Europa-Gascogne. Altenburg 41858) -  » F e l s e n b u r g  , s. Robinson und Robinsonaden.« (Meyers Konversations-Lexikon. Eine Enzyklopädie des allgemeinen Wissens. Sechster Band. Elegie-Frankomanie. Leipzig 31875); in der 4. Auflage (Leipzig-Wien 1890) lautet der Eintrag:  » F e l s e n b u r g  , Insel, Roman von J. G. Schnabel (s. d.).«

Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Dritter Band. E-Forsche. Leipzig 1862, Sp. 1506, bringt für den Wortgebrauch von  F e l s e n b u r g  literarische Belege von Goethe und Thümmel, die sich eindeutig auf Schnabels Roman beziehen: »thäler, worin gar mancher urvater Abraham ein Canaan, mancher Albert Julius eine Felsenburg gefunden haben (...); diese versetzung eines meiner mitgeschöpfe aus den sinnlichkeiten einer blühenden handelsstadt in die felsenburg, in die vergessenheit, in die nebel eines stürmischen eilands.«

12 Siehe auch die Fälle von Nebenfiguren, die aus zeitgeschichtlichen Aktualitäts- oder anderen Beweggründen auf den Titelthron gehoben, aber ausdrücklich im Text genannt werden wie >Der Mahdi<.

13 Das Problem gelegentlich geringfügiger erzählerischer Einbindung und Einlösung von in Titeln enthaltenem avis au lecteur besteht bei May durchaus öfter. Siehe z. B. die darstellungsästhetisch gänzlich, ohne eigentliche erzählerische >Landung< auf ihr, aber doch wohl aus anderen produktionsästhetischen Gründen als im Fall der >Felsenburg< umschiffte titelspendende Insel in Mays Werk, die >Juweleninsel<. - Es könnte sich hierin eine >Angst vor der Insel< ausdrücken; siehe dazu weiter unten Kapitel 6.

14 Sieht man einmal von der zumal in der sogenannten Trivialliteratur geradezu ubiquitären Rosen-Metapher ab (>Waldröschen<, >Rose von ... <). Zur weiteren Abgrenzung: der Titel-Ausdruck >Scepter und Hammer< hat eher emblematischen Charakter; >Wollteufel< (>Im Wollteufel<) ist eine handwerklich, in der Baumwollspinnereil gebräuchliche Gerätebezeichnung (>Öffner<, >Teufel<, >Wolf<).

15 Vgl» DH 45b/F 20, 34: Nicht, wie's auf den ersten Blick scheinen mag, um die den Erzähler faszinierende Gestalt Melton geht's, sondern darum, daß den Auswanderern irgend eine Gefahr drohe (die, wie sich später herausstellt, in der Versklavung im Quecksilberbergwerk gipfelt; vgl. DH 572a/F 20, 484 - hier allerdings: »Der teuflische Plan ist in dem Gehirn Meltons entstanden«).

16 Zum nicht gerade selten auftauchenden Sog-Motiv in der (Abenteuer-)Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts (Jules Verne und Kurd Laßwitz in der Tradition Edgar Allan Poes) vgl. Rudi Schweikert: Von Martiern und Menschen oder Die Welt, durch Vernunft dividiert, geht nicht auf. Hinweise zum Verständnis von >Auf zwei Planeten<. In: Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten. Frankfurt a. M. 21984, S. 903-976 (908-911) (Haidnische Alterthümer [6]).

17 Man denke etwa an den Auftakt->Hammer< im >Vermächtnis des Inka< (wo der Titelbezug lange nicht ganz klar wird), als Karl Hammer Antonio Perillo anfährt: »Wir befinden uns in Buenos Ayres, nicht aber in der Salina del Condor. Verstanden?« (Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 5: Das Vermächtnis des Inka. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1990, S. 15).


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18 Da die Reiseerzählung unter dem Titel »Die Felseninsel« angekündigt wurde (Deutscher Hausschatz XIX. Jg. (1892/93), Nr. 44; faksimiliert bei Gerhard Klußmeier: Karl May und Deutscher Hausschatz III. In: M-KMG 18/1973, S. 20), könnte man aus den differierenden Titelangaben die Vermutung ableiten, eine der oder sogar beide Titelvarianten stammten nicht von Karl May. - Doch selbst wenn dem so wäre, bliebe die im folgenden vorgestellte füllreiche innerliterarische Beziehungsgeschichte May - Schnabel unberührt davon bestehen. Zur Frage der Titel-Authentizität vgl. auch die Vermutungen Roland Schmids (Roland Schmid: Nachwort (zu >Satan und Ischariot I-III<). In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XXII. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, N6f.)

19 Zum Thema Kurd Laßwitz - Bertha von Suttner (Pazifismus) - Karl May siehe Schweikert: Von Martiern, wie Anm. 16, S. 940-943 und 972. Allgemein zu Leben und Werk von Kurd Laßwitz vgl. die bisher umfassendste Würdigung bei Rudi Schweikert: Von geraden und von schiefen Gedanken. Kurd Laßwitz - Gelehrter und Poet dazu. In: Kurd Laßwitz, wie Anm. 16, S. 977-1074.

20 Vgl. Schweikert: Von Martiern, wie Anm. 16, S. 914-917, und Ders.: Am Anfang war der Höhepunkt: >Apoikis< von Kurd Laßwitz als literarisches Kabinettstück aus der Frühzeit deutscher Science-fiction von A bis 0 unter die Lupe genommen. In: Polaris 8. Hrsg. von Franz Rottensteiner. Frankfurt a. M. 1985, S. 171-201 (177-180) (suhrkamp taschenbuch 1096 / Phantastische Bibliothek 143).

21 Vgl. Robert Kraft: Detektiv Nobody's Erlebnisse und Reiseabenteuer. Niedersedlitz-Dresden o.J. Bd. 3, S. 81 (mit Abb.)-85 oder S. 123-158 (in dieser Episode: eine Figur namens Hammer; die Insel heißt Schwefelberg, was an Mays Quecksilbersulfid-Almaden alto erinnern mag; Überwindung der riesigen, uneinnehmbar scheinenden Felsenwände mittels Ballon (vgl. Laßwitz, >Auf zwei Planeten<); Insel als Schalenwelt, Lost-World-Thema (vgl. Laßwitz, >Apoikis<)). Robert Kraft: Novacasas Abenteuer. Dresden-Niedersedlitz o.J., S. 533: »Ebenso interessant ist es ja, wie all diese wirklich zahllosen Nachahmungen [von Defoe's >Robinson Crusoe<] in den Orkus der Vergessenheit gesunken sind. (...) Nur ganz, ganz wenige haben sich erhalten. Von deutschen Robinsonaden >Insel Felsenburg< und der >Schweizer Robinson<.«

22 Siehe vor allem Arno Schmidt: Die Fremden. In: Arno Schmidt: Bargfelder Ausgabe (= BA). Werkgruppe I Bd. 4. Bargfeld/Zürich 1988, S. 497-575 (mit >May-Themen<: Weihnacht, Blindheit, Heilung), und Ders.: Herrn Schnabels Spur. Vom Gesetz der Tristaniten. In: Arno Schmidt. BA II, 1. Bargfeld/Zürich 1990, S. 235 - 264. Eine Gesamtdarstellung, wo überall in Essay und Roman Arno Schrnidt auf Schnabels >Insel Felsenburg< eingeht, liefert Gerd Schubert: Der Wein auf Tristan da Cunha. Eine Übersicht zu Arno Schmidts Bezugnahme auf Johann Gottfried Schnabels >Insel Felsenburg< mit einigen Anmerkungen, auch Adam Oehlenschläger betreffend. In: Arno Schmidts Hausgötter. Erste Folge. Von Johann Gottfried Schnabel bis James Joyce. Hrsg. von Thomas Krömmelbein und Martin Lowsky. Frankfurt a. M. 1991, S. 9-71 (Zettelkasten 9). Zu versteckteren Verbindungen Schmidt - Schnabel, die auch Laßwitz (>Apoikis<, >Auf zwei Planeten<) einschließen, siehe Rudi Schweikert: Aus dem poetischen Mischkrug. Etwas zu Arno Schmidts >Tina oder über die Unsterblichkeit< und dem Aufbau seiner Ideenwelt. In: Jahrbuch der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser 1991. Hrsg. von Rudi Schweikert. Frankfurt a. M. 1991. S. 135-148 (Zettelkasten 10).

23 Vgl. Heinrich Albert Oppermann: Hundert Jahre 1770-1870. Zeit- und Lebensbilder aus drei Generationen. Frankfurt am Main 1982. 9 Bde. in 3. Buch 1, S. 336-342 (Haidnische Alterthümer [9-11]).

24 Oppermann, wie Anm. 23, Bd. 2, Buch 5, S. 239ff.

25 Überblick (teilweise nur bibliographisch) in Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg. Hrsg. von Volker Meid und Ingeborg Springer-Strand. Stuttgart 1979, S. 587 und 593-599 (Reclams Universal-Bibliothek 8419)

26 Adam Oehlenschläger: Werke. Zum zweiten Male gesammelt, vermehrt und verbessert. Bd. 15-19: Erzählende Dichtungen Bd. 1-4: Die Inseln im Südmeere. Breslau 1839, Bd. 1, S. IXf.


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27 Nach Schmidt: Herrn Schnabels Spur, wie Anm. 22, S. 238f.

28 Siehe Johann Wolfgang von Goethe: Dichtung und Wahrheit. In: Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1889 (= WA), Abt. I Bd. 26, S. 50, Bd. 27, S. 388. - Notiz aus dem Nachlaß: Schema zu einem Volksbuch, historischen Inhalts. In: WA I, 42.2, S. 427. - Goethes Tagebücher. In: WA III, 3, S. 124 (7.4.1806) und WA III, 12, S. 26-28 (19. - 23.2.1829). - Siehe außerdem die oben in Anm. 11 zitierte Stelle.

29 Nämlich Christian Carl André in: Felsenburg, ein sittlichunterhaltendes Lesebuch. Gotha 1788/89, zitiert nach der >Felsenburg<-Ausgabe 1979, wie Anm. 25, S. 597

30 Nachweise in Lese-Erlebnisse 2, wie Anm. 31, S. 21 (Johann Heinrich Voß) und in Schmidt: Herrn Schnabels Spur, wie Anm. 22, S. 239 (Heinrich Voß; dazu Schubert, wie Anm. 22, S. 29)

31 Wenn man diese Stelle nachliest in der schönen Zusammenstellung: Lese-Erlebnisse 2. Hrsg. von Heinrich Pleticha. Frankfurt a. M. 1978, S. 21f. (suhrkamp taschenbuch 458), hat man darüber hinaus Gelegenheit, gleich noch andere Wirkungszeugnisse zu Schnabels >Insel Felsenburg< sich zu Gemüte zu führen, und die Wirkungen vieler weiterer Bücher auf andere Autoren obendrein.

32 Nachweis zu Wieland in der >Felsenburg<-Ausgabe 1979, wie Anm. 25, S. 595; zu Thümmel siehe oben Anm. 11.

33 Genaue bibliographische Daten der genannten Arbeiten z. B. in der >Felsenburg<-Ausgabe 1979, wie Anm. 25, S. 588-591

Auch nach Erscheinen von Mays >Felsenburg< hält, wie weiter oben anläßlich Oehlenschlägers >Inseln im Südmeere< angedeutet, das Interesse an Schnabels Werk unvermindert an. Es werden Untersuchungen ebenso publiziert wie eine Textedition (1902). Zu nennen sind Hubert Rötteken (1896), Hermann Ullrich (1898), Paul Ernst (1907), Berthold Mildebrath (1907), Hans Halm (1909) und Karl Schröder (1912) (bibliographische Daten ebenfalls in der genannten Ausgabe 1979 enthalten).

34 H. Pröhle: Stolberg und die Insel Felsenburg von Schnabel. (Zur Versammlung des Harzvereins für Geschichte und Alterthumskunde in Stolberg am 29., 30. und 31. Juli). In: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Vossische Zeitung. Nr. 347 (Morgen-Ausgabe) vom 28. und Nr. 349 (Morgen-Ausgabe) vom 30.7.1889. Zum zeitlichen Vergleich: »Mit der >Felsenburg< begann Karl May vermutlich im Mai oder Juni 1891.« (Schmid, wie Anm. 18, N5)

35 Zu dieser siehe besonders Heinz Stolte: Die Affäre Stollberg. Ein denkwürdiges Ereignis im Leben Karl Mays. In: Jb-KMG 1976, Hamburg 1976, S. 171-190. - Daß die Affäre Stollberg im Textuntergrund der >Satan und Ischariot<-Trilogie brodelt, zeigt auf biographieassoziierende Weise Walther Ilmer, der im Afrika-Teil eine Spiegelung dieser Begebenheit sieht. Vgl. Walther Ilmer: Nachwort (zu >Krüger BeiDie Jagd auf den Millionendieb<). In: Karl May: Krüger Bei/Die Jagd auf den Millionendieb. In: Deutscher Hausschatz. XXI./XXII. Jg. (1894-96); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg/Regensburg 1980, S. 276b-277b.

36 Zusätzliches Indiz: Für Karl May dürften Anregungen nicht zuletzt aus unscheinbaren Zeitungsquellen geflossen sein. Hans Wollschläger wies mich darauf hin, daß sich in Mays Nachlaß Zeitungsausrisse befinden, am Rand mit der handschriftlichen Notiz Sujet! versehen. - Vgl. auch Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl May's. Karlsruhe 1963, S. 303: »Nun kann Niemand mehr als ich von der traurigen Überzeugung durchdrungen sein, wie unrealistisch es ist, auf ein Quellenstudium des Alten [Karl Mays] zu hoffen - das würde nämlich die Erkennungsarbeit sehr erleichtern - nein; er gehörte zu jener für den Biografen & Filologen anstrengendsten Schriftstellersorte, denen abgeleitetste, ja nun nicht mehr >Quellen< sondern Rinnsale zu ihrer Information mehr als genügten: eine Zeitungsnotiz, >unter dem Strich<, deckte seine Bedürfnisse völlig!«

37 Auch die Erwähnung von Felsenburg im >Verlorenen Sohn< wäre anzumerken, obwohl offen bleibt, ob es sich um ein Autor- oder ein Setzerversehen (Felsenburg statt Felsenberg) handelt. Siehe Karl May: Der verlorene Sohn. Dresden 1883-85, S. 95; Reprint Hildesheim-New York 1970-72. Auf diese und weitere Verbindungen zwischen dem >Verlorenen Sohn< und der >Felsenburg< hat bereits Arno Schmidt hinge-


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wiesen (Schmidt: Sitara, wie Anm. 36, S. 111). Siehe auch Joachim Biermann: Die wahre Judith. Motivverwandtschaften zwischen dem >Verlorenen Sohn< und >Satan und Ischariot<. In: M-KMG 48/1981, S. 23-25. Zu einem Zusammenhang zwischen Schnabels >Insel Felsenburg< und Mays >Verlorenem Sohn< siehe Exkurs 2.

38 Eine gründliche Studie zum Wort- und Sprachspieler Karl May steht noch aus; vgl. aber Wolf-Dieter Bach: Sich einen Namen machen. In: Jb-KMG 1975, Hamburg 1974, S. 34 - 72. Zu Mays spielerischem >Umschöpfen< von Namen aus (Landkarten-) Quellen ins fiktionale Neu-Kontinuum siehe Rudi Schweikert: Mit dem Finger auf der Landkarte. Etwas über Namen bei Karl May. In: M-KMG 68/1986, S. 18-22.

39 Selbst der Hinweis auf die Verbreitung von Schnabels (gekürzter und bearbeiteter) >Insel Felsenburg< in Leihbüchereien würde nicht wesentlich weiter führen. - Ich beschränke mich bei der folgenden Analyse darauf, nur den Inhalt des geläufigsten Romanteils zugrundezulegen.

40 Siehe Gabriel Ferry: Der Waldläufer. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 61; Reprint Bamberg 1987. - Möglich, daß in Mays Arbeit an Ferrys Roman eine Keimzelle auch für die >Felsenburg<-Schauplatzwahl lag.

41 Zum Insel-Motiv bei May siehe Joachim Biermann und Ingmar Winter: Die Insel als Topos im Werk Karl Mays. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft (S-KMG) Nr. 79/1988, wobei man sich freilich hüten sollte, alles darin Gesagte allzu wörtlich zu nehmen. Insel als Topos wird (S. 3) ebenso naiv wie falsch aus wenigen Beispielen des Wortgebrauchs von >Insel< abzuleiten versucht, die ohne Quellenangabe dem Artikel »Insel« des Deutschen Wörterbuchs, wie Anm. 11, Bd. 4.2. Leipzig 1877, Sp. 2139f., entnommen sind: »In den poetischen Werken meint der Topos zum ersten die Insel im eigentlichen Sinne, die für den geographischen Ort samt seiner Bewohner gilt; so verstanden bei Schiller: >Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Sitten und Kunst<.« (S. 3) Eine widersinnige Formulierung - Schiller versteht Insel hier eben nicht im eigentlichen, sondern im übertragenen Sinne: »2) insel, für die gesamtheit der bewohner einer insel« (Sp. 2140). »Aber er meint auch bildlich das in sich Abgeschlossene, das Isolierte; auch hier wieder Schiller: >Auf der heiligen Insel / Findet der trübe Gram, findet die Sorge dich nicht<.« (S. 3) Das Beispiel bleibt unverständlich; gemeint ist mit Insel hier der Schoß der Mutter (wie aus Sp. 2140 hervorgeht). (Zu dieser fehlerhaften Entlehnungspraktik siehe Rudi Schweikert: Gottesurteil - Gottesgericht: ein Winter-Märchen aus Grimms >Deutschem Wörterbuch<. In: M-KMG 82/1989, S. 48-51.) - Der Ausgangsbegriff >Topos< bleibt ohne hinreichende Definition; Mays Texte werden gelegentlich zu stark aufs Prokrustesbett vorgefertigter Schematisierungen gespannt, d. h. der literarische Text wird nach der literaturwissenschaftlichen Theorie zurechtgebogen und nicht umgekehrt die Theorie aus der Textlage entwickelt. Das gilt insbesondere für »Robinsonade« (S. 8-22) mit dem Unterpunkt »Gefangenschaft«: Die gewählten May-Beispiele widerlegen die Einordnung. Robinsonade schildert einen Zustand, selbst bei der >Waldröschen<-Episode verweigert May eine Zustandsschilderung, er gibt nur Zustandsreminiszenzen, eingebunden in die bei ihm üblichen Beschreibungen von Aktionen; relativ kurzes Gefangenendasein auf einer Insel, dazu mit Bewachung (S. 8f.) hat mit Robinsonade nicht das geringste zu tun. - Literaturhistorische Einordnungen gehen grotesk fehl (S. 44): »In der Klassik wurde die Insel, außer in Balladen Schillers (...) und Gedichten Hölderlins (...), in großen Romanen nicht thematisiert« - vgl. aber die Romane >Hyperion< von Hölderlin (»im >Hyperion< sind die Inseln gleich anfangs da«, Pierre Bertaux: Friedrich Hölderlin. Frankfurt a. M. 1981, S. 453 (suhrkamp taschenbuch 686)), >Titan< (Isola bella) und >Hesperus< (den der Dichter in der Fiktion gar auf einer Insel schreibt) von Jean Paul. Ganz an den Gegebenheiten geht die resümierende Einschätzung vorbei, »kein anderer Schriftsteller hat diesen Mythos [von der Insel] so konkret aufgenommen und so konsequent weitergedacht« wie Karl May (S. 45).

42 >Elend< bedeutet »in fremdem Land, aus dem Frieden der angeborenen Rechtsgenossenschaft ausgewiesen, verbannt« (Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin >171957, S . 162b).

43 Auf andere Zusammenhänge zwischen >Waldröschen< und >Feisenburg< - wie z. B. die Initiation von Grizzlytöter bzw. Yumatöter - gehe ich nicht weiter ein.


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Die komplexe Nähe Mays in >Satan und Ischariot< zu eigenen Kolportagekonzeptionen beleuchtet, ohne Betonung auf Detailvergleichen, Harald Eggebrecht: Sinnlichkeit und Abenteuer. Die Entstehung des Abenteuerromans im 19. Jahrhundert. Berlin-Marburg 1985, S. 207-222.

44 Zum Spannungsfeld Wasser - Wüste siehe weiter Hartmut Wörner: Wüste und Wasser. Ein Ritt nach der Stadt der Toten. In: Jb-KMG 1985, Husum 1985, S. 152-159. Speziell zur >Felsenburg<: Vgl. Ilmer: Einführung, wie Anm. 10, S. 5 und 7 (Anm. 17). Auch auf die psychologisch vertiefenden Deutungen von Wilhelm Vinzenz: Feuer und Wasser. Zum Erlösungsmotiv bei Karl May. S-KMG Nr. 26/1980, sei hingewiesen. - Um den Horizont über May hinaus in die Literaturgeschichte zu erweitern, sei als Einstieg verwiesen auf Bernhard Blumes einschlägige Essays (mit weiterführender Literatur) in Bernhard Blume: Existenz und Dichtung. Essays und Abhandlungen. Ausgewählt von Egon Schwarz. Frankfurt a. M. 1980, bes. S. 149-179.

45 Wie in Karl May: Deutsche Herzen - Deutsche Helden, Dresden 1885-1887, S. 1423ff.; Reprint Bamberg 1976 - Analog der >Felsenburg< befindet sich das Quecksilberbergwerk in einem hochaufragenden steilen Felsen, doch im Unterschied zur >Felsenburg< liegt er in einem Talkessel, dessen Wände lotrecht hoch emporragen. Von New Almaden, einem Quecksilberbergwerk südlich von San Francisco, wußte May (>Deadly Dust<, 1879/80), siehe Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IX: Winnetou der Rote Gentleman III. Freiburg 1893, S. 310: »Von hier [San Francisco] aus führen nämlich zwei Wege nach den verschiedenen Minendistrikten; der eine geht ganz südlich nach einem Bergstriche, den man Neu-Almaden nennt, wo man eine große Masse von Quecksilber und natürlichem Zinnober findet... .« Der Benennungszusammenhang mit dem spanischen Almaden war ihm auch klar, siehe DH 491b/F 20, 420: Das war der Name des Quecksilberbergwerkes, welches man nach dem berühmten spanischen Quecksilberbergwerke Almaden so genannt hatte. Almaden alto heißt Hoch-Almaden - weil es hoch in den Bergen liegt. - Das gleiche Benennungsverfahren wie im Falle von Mays Ölbrand-Geschichten, einem bekannten Fundort ein >New< davorzusetzen, verbot sich hier also.

Mays Schilderungen von Almaden alto und dem Quecksilberbergwerk im Todestal decken sich nicht mit Beschreibungen des realen New Almaden. Vgl. dazu den anonymen Artikel: Ein Tag in den Quecksilbergruben zu Neu-Almaden. In: Westermann's Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte. Braunschweig 1869, S. 507-510 (mit Abb.).

46 Auch wenn die Vergleichung des jetzigen mit einem einstigen Zustand bei Landschaftsschilderungen Mays nicht nur einmal vorkommt. Der Nachdruck, mit dem der Erzähler auf dem >Einst und Jetzt< beharrt, ist jedoch geringer als hier. Vgl. z. B. Karl May: Der Sohn des Bärenjägers. In: Der Gute Kamerad. 1. Jg. (1887), S. 282; Reprint in: Karl May: Der Sohn des Bärenjägers - Der Geist der Llano estakata. Hamburg/Regensburg 1983 oder Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXIII: Winnetou IV. Freiburg 1910, S. 174ff.

47 Diese Bild-Idee vom Spalt im Stollen mit (wie gut auch immer oder gar nicht erhaltener) Brücke scheint May anhaltend fasziniert zu haben. Vgl. etwa die verwandte und von May früher (1888) verwandte Vorstellung der Brücke über einen Abgrund in einem Stollen in Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VI: Der Schut. Freiburg 1892, S. 401-403. Freilich ergibt sich eine, die Schnabel-Reminiszenz-Annahme eher stärkende als schwächende, spezifische Differenz: Im >Schut< gibt es eine (tückische) Brückenkonstruktion, in der >Felsenburg< eben nur Relikte einer Brückenverankerung.

48 »Die tugendhaffte Wittbe fängt hierauf gleich an, diesen Mann [ihren Retter] vor einen ihr von GOTT zugeschickten menschlichen Engel zu halten« (IF 381). - Sternau betet: »Sende einen Menschen, der Dein Engel sei...« (WR 1407), worauf prompt ein solcher auf der Matte steht: »Ihr Gebet ist erhört, und der Engel ist da, der Sie erlösen soll!« WR 1408)

49 Schnabels stark vom Pietismus geprägte >Insel Felsenburg< könnte mit als literarisches Vorbild Mays für die »pietistische(n) Elemente«, die »auch in den Reiseerzählungen unübersehbar« sind (Schmiedt, wie Anm. 2, S. 183f.), gedient haben. Allge-


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mein zur religiösen Sphäre in der >Satan und Ischariot<-Trilogie siehe Helmut Mojem: Karl May: Satan und Ischariot. Über die Besonderheiten eines Abenteuerromans mit religiösen Motiven. In: Jb-KMG 1989. Husum 1989, S. 84- 100.

50 Zur Charakterzeichnung Harry Meltons als schönem Schuft (diabolisch-schöne, aber disharmonische Gesichtszüge (siehe DH 28/F 20, 24f.), die der Erzähler schon einmal gesehen haben will, aber seine Erinnerung ist blockiert - irritierendes, traumhaft-beängstigendes Déjà-vu also - vgl. die analoge von Abrahim-Arha/Abrahim-Mamur in M. Gisela [d. i. Karl May]: Leilet. In: Feierstunden am häuslichen Heerde Bd. 1 (1876/77), S. 9; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1972 bzw. Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. I: Durch Wüste und Harem. Freiburg 1892, S. 95f. - Siehe hierzu auch Gert Ueding: Die Rückkehr des Fremden. Spuren der anderen Welt in Karl Mays Werk. In: Jb-KMG 1982. Husum 1982, S. 15-39, sowie Günther Henkel und Ingmar Winter: Spuren-Lesen in Gesichtern. Physiognomie und Maske bei Karl May. In: Dies.: Gesicht und Maske. Beiträge zu Physiognomie und Rollenspiel bei Karl May. S-KMG Nr. 59/1985, S. 4-43, bes. S. 24f.

51 Und zwar eines Mormonen. Vgl. dazu Hermann Wiedenroth: Die beiläufige Rolle der >Jüngstentages Heiligen< im Erzählwerk Karl Mays. In: Jb-KMG 1980. Hamburg 1980, S. 125-136, bes. 132-134.

52 Englisch to melt, schmelzen; vgl. auch Walther Ilmer: Nachwort (zu >Die Felsenburg<). In: May: Felsenburg, Reprint, wie Anm. 10, S. 217a mit biographischen Assoziationen.

53 Der >gute Geist< der Insel gibt Albertus Julius einen handgreiflichen Schicksalswink (»Mit Endigung dieser letzten Worte, drückte er mich, der ich im grösten Schweisse lag, dermassen mit einem seiner Finger oben auf meine rechte Hand, daß ich laut an zu schreyen fieng«, »an meiner Hand aber einen starck mit Blut unterlauffenen Fleck sahe«, IF 176); quasi geisterhaft berührt in diesem Zusammenhang, daß bei May die Angaben schwanken, ob Old Shatterhand Melton nun die Handgelenke gebrochen oder nur ausgerenkt oder verstaucht hat (DH 170b/F 20, 138; Diskussion der einschlägigen Stellen bei Ilmer: Nachwort, wie Anm. 52, S. 223 und 226 (Anm. 34-36)).

54 Schon in Heinz Stoltes Dissertation von 1936 findet sich ein Hinweis darauf; siehe Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde. Leipzig 1936, S. 114f. - Als Ausdrucksform des Traums ist das Umkehrungsprinzip sowieso geläufig. Besonders Interpretationsansätze, die von einer (partiellen bis ubiquitären) Widerspiegelung von Mays Leben in seinem Werk ausgehen, operieren analytisch mit dem Prinzip der Umkehrung. Freilich ist dabei zu bedenken, daß oft genug bei solchen Deutungen als Zuordnungskriterien (vage) Analogie bzw. Umkehrung ohne weitere distinkte, spezifische Kriterien zugrundegelegt werden, wodurch der Gehalt der Interpretationsaussagen, da ihr Spielraum tendenziell gegen unendlich geht, nach null tendiert. Vgl. hierzu auch Günter Scholdt: Karl-May-Forschung und Karl-May-Gesellschaft. In: Jb-KMG 1987. Husum 1987, S. 258-295, bes. 267f.

55 Dieser kann leicht zu einem vierfachen werden, bezieht man die biographische Valenz mit ein, wie Walther Ilmer es tut; siehe Ilmer: Nachwort, wie Anm. 52, S. 216f.

56 Hinter dem humoristischen Vergnügen kann man aber auch noch die Leidspur erkennen, die Mays äußeres Leben hier tief eingraviert hinterließ: Erlebnisse sozialer Demütigung, zum Teil aufgrund eigenen Verschuldens, bei gleichzeitigem Selbstverständnis von eigener innerer Größe.

57 Siehe die Genealogischen Tabellen über das Albert-Julische Geschlecht, IF 477-488, bes. S. 479 (Judith van Manders) und 484 (Plager). - Doch sei diesen May-Schnabelschen Beziehungen kein größeres Deutungsgewicht beigemessen.

58 Siehe den »Grundris der Anno 1646. von Albert Julio entdeckten Insul Felsenburg« in der >Felsenburg<-Ausgabe 1979, wie Anm. 25, S. 99.

59 Als Pars pro toto sei die Isleta del Circulo aus >In den Cordilleren< genannt.

60 IF 91 ist von den Sandbänken die Rede, die auf der Karte, wie Anm. 58, im Nordwesten eingezeichnet sind.

61 Vollständig abgedruckt innerhalb von Klaus Hoffmann: Karl May als >Räuberhauptmann< oder Die Verfolgung rund um die sächsische Erde. Karl Mays Straftaten und sein Aufenthalt 1868 bis 1870, 1. Teil. In: Jb-KMG 1972/73, Hamburg 1972, S. 221f.


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62 Ebd. S. 223-225. - Die bisherige Forschung geht unhinterfragt von der Authentizität der beiden Burtons und des Zusammentreffens von May mit ihnen aus. - Eine konkurrierende Hypothese dazu hier im folgenden. (Bei solch unüberprüfbarer Datenlage wie im vorliegenden Fall kann die Forschung nicht mehr leisten, als Erklärungsangebote zu geben, deren Konsistenz- und Plausibilitätsgrad über ihren Geltungsrang entscheidet.)

63 In: WA, wie Anm. 28, I, 1, S. 68f.

64 Hoffmann, wie Anm. 61, S. 225

65 May, in Hoffmann, wie Anm. 61, S. 222

66 May: Der verlorene Sohn, wie Anm. 37, S. 9

67 Zum Thema des verlorenen Sohnes siehe in diesem Jahrbuch Heinz Stolte: Karl May und alle seine verlorenen Söhne.

68 Vgl. Hoffmann, wie Anm. 61, S. 219. - Eine Variation dieser Vorstellung, mit großem Gestus ausfabuliert, kann man in der Ohlert-Geschichte (>Der Scout<) erblicken (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. VIII: Winnetou der Rote Gentleman II. Freiburg 1893, S. 1-392).

69 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 79 - Dazu Mays Kommentar: Meine Logik war zwar noch kindlich, aber doch schon wohlgeübt. Der Fehler lag daran, daß ich infolge des verschlungenen Leseschundes den Roman für das Leben hielt und darum das Leben nun einfach als Roman behandelte. Die überreiche Phantasie, mit der mich die Natur begabte, machte die Möglichkeit dieser Verwechslung zur Wirklichkeit. (S.92)

Die Tendenz der kruden Körperwelt geistige Wirklichkeitspartikel aus der Literatur-Sphäre einzuzwingen, läßt sich auch aus Mays selbstgefertigter »Acta, betreffend in Sachen der Erbschaft des Particuliers...« lesen, datiert 24.5.1869 und unterzeichnet vom »amerikanischen General-Consul« G. D. Burton nebst dem »sächsischen General-Consul« Heinrich von Sybel (Hoffmann, wie Anm. 61, S. 228f. mit Nachweis der Fiktionalität der Titulaturen). Sybel war May als Buchautor bekannt, und auch die Bezeichnung >Generalconsul< war für May subjektiv literarisch determiniert, siehe Repertorium C. May in Karl May: Hinter den Mauern und andere Fragmente aus der Haftzeit. In: Jb-KMG 1971, Hamburg 1971, S. 132-143 (142): Unter 123.)  R o m a n e  u n d  G e r m a n e  finden sich sowohl Bemerkungen über Schriften Sybels als auch die bibliographischen Angaben I. Sturz, (Generalconsul) Der Fischfang auf hoher See. Berlin. Hugo Kastner.

Anläßlich der >Acta< bemerkt Hans Wollschläger: Grundriß eines gebrochenen Lebens. In: Ders.: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Interpretation zu Persönlichkeit und Werk. Kritik. Hrsg. von Klaus Hoffmann. Dresden 1990, S. 37: »Namen wie Profile seiner [Mays] späteren Figuren bleiben noch in der weit auswuchernden Imagination der Handlungsweisen ein paar einzelnen, zwanghaft wiederkehrenden Mechanismen verhaftet.«

Im übrigen ist bei Mays Vernehmung im Juli 1869 von einem Angebot durch Fremde, ihn mitzunehmen ins Gelobte Land, keine Rede mehr: Ich wollte nach Amerika auswandern (nach Hoffmann, wie Anm. 61, S. 222). Bezeichnenderweise wird May in der späten Rückschau auf diese Zeitspanne jenen Drang nach Amerika seiner Mutter in den Mund legen: fort, fort, fort! Nach Amerika hinüber! (May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 166)

70 Vgl. dazu Gerhard Thrum: Der Typ des Zerrissenen. Ein Vergleich mit dem romantischen Problematiker. Leipzig 1931 (Von deutscher Poeterey 10).

Wenn Karl May, zwischen Fakt und Fiktion schwebend, auf seine inneren Dämonen zu sprechen kommt (z. B. in >Mein Leben und Streben<, wie Anm. 4, S. 113ff.) oder >Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern< (S. 177), dann steht er, literarhistorisch gesehen, auch in jener jungdeutschen Thema-Tradition. Bezeichnenderweise beginnt Willkomms Briefroman mit einem Hinweis auf innere Spaltung und Qual: »Du siehst,« schreibt, an Bord des Dampfschiffs >Herkules<, der Ich-Erzähler Sigismund an seinen Freund Ferdinand, »meine Dämonen, wie du die verschwiegenen Folterqualen des Herzens nennst, haben mich noch immer nicht verlassen.« (Ernst Willkomm: Die Europamüden. Modernes Lebensbild. 1. und 2. Teil. Leipzig


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1838, Erster Theil, S. 2; Reprint Göttingen 1968) - Das Thema der Zerrissenheit läßt sich auch ableiten aus Philosophemen des sogenannten Deutschen Idealismus, etwa Fichtes Ich-Philosophie, und literarischen Figurationen der Romantik. So liest sich Mays Leben in seiner Phantasie-Wirklichkeit-Spannung streckenweise wie das eines Anselmus oder Giglio Fava aus der Feder E.T.A. Hoffmanns.

71 »Nach einigem Hin- und Herfragen erfuhr ich [d. i. Sigismund] von Burton, daß er (...) sein Vaterland verlassen habe, um Europa (...) zu besuchen. Handelsverbindungen und die Lust, Menschen und Länder kennen zu lernen, hatten ihn jüngst nach Deutschland geführt, dessen Volk ihn vor allen europäischen am meisten anzog.« (Willkomm, wie Anm. 70, Zweiter Theil, S. 80) - May: Vater und Sohn Burton, welche von einer Vergnügungs- und wohl auch halb und halb Geschäftsreise kamen (wie Anm. 61, S. 221).

72 Willkomm, wie Anm. 71, S. 83

73 Willkomm, wie Anm. 71, S. 269

74 Willkomm, wie Anm. 71, S. 79 - Pittsburg, Cincinnati von May zusammen genannt in >Vom Tode erstanden<. In: Frohe Stunden. 2. Jg. (1878), S. 638; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1971

75 Prinzip Umkehrung neben Parallelbildungen auch weiterhin: Dieser Burton, äußerlich wie innerlich das Gegenteil des hilfreichen, edel und auch gut aussehenden Burton der >Europamüden<, gibt vor, eine (größtenteils) deutsche Auswanderergruppe sicher und zuverlässig nun nicht mehr übers Wasser, sondern durch die Wüste mitten in Amerika zu führen, und tut das Gegenteil.

76 Vgl. hierzu auch den Decknamen Burton für den Schuft Santer als Pedlar in May: Winnetou II, wie Anm. 68, S. 558 u. ö., über den es eingangs (S. 553) heißt: Dieser Mann konnte uns aus der Verlegenheit helfen. Doch wie >in Wirklichkeit< bringt der Kontakt mit >Burton< das erzählende Ich im Gegenteil zeitweise in Verlegenheit und Gefangenschaft. Erwähnenswert noch die durchgängige Verbindung Burton-Handelsmann, wie bei Willkomm, so bei May; siehe ergänzend dazu den Trader Burton im >Geist der Llano estakata<, wie Anm. 46, S. 306b. - Den literarischen >Rache<-Gedanken könnte man auch hinter Mays >Felsenburg< sehen, insofern sie sich wie ein Gegenentwurf zur bergenden Insel-Idee Schnabels ausnimmt; siehe Kapitel 6. Zur Dominanz eines allumfassenden Rachegefühls bei May vgl. Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 118.

77 Das Ich nennt sich nun seinerseits Burton: Ich schrieb uns als »Mr. Burton und Frau« in das Buch. Dieses Pseudonym war deshalb notwendig, weil man mich verpflichtet hatte, den eigentlichen Grund, der mich hinüberführte, geheimzuhalten. Ich war also gezwungen, auf meinen wirklichen Namen, den man da drüben sehr wohl kennt, für jetzt zu verzichten. (May: Winnetou IV, wie Anm. 46, S. 46)

78 Der Name Burton besaß für May sicherlich etliche Konnotationen, vor allem noch die mit dem englischen Forschungsreisenden Richard Francis Burton. Zu Entlehnungen Mays aus Karl Andrees deutscher Bearbeitung zweier Reisebeschreibungen Richard F. Burtons im >Waldröschen< siehe Ralf-Peter Märtin: Wunschpotentiale. Geschichte und Gesellschaft in Abenteuerromanen von Retcliffe, Armand, May. Königstein 1983, S. 167-169 und 217-220 (Literatur in der Geschichte. Geschichte in der Literatur 10). Vgl. auch Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. In: Jb-KMG 1971. Hamburg 1971, S. 52 (zu Richard F. Burton), und Ders., wie Anm. 38, S. 56 (James Burtons Grab in >Deutsche Herzen - Deutsche Helden<).

Darauf ein echtes Burton-Ale aus Burton in Staffordshire (May: Winnetou III, wie Anm. 45, S. 316)!

79 Vgl. dazu Fritz Brüggemann: Utopie und Robinsonade. Untersuchungen zu Schnabels Insel Felsenburg (1731-1743). Weimar 1914, bes. S. 136 (Forschungen zur neueren Literaturgeschichte 46).

80 Vgl. oben Anm. 13.

81 Man könnte sogar so weit gehen, Mays Uhrendiebstahl und dessen ewige Wiederkunft im Werk als unbewußt metaphorische Handlung (>Seht her, wie ich im Innern bin<) zu begreifen, via >Unruhe< (Gangregler in Uhren). Mit dem Hinweis auf den Zwang zur Bewegung als Konstante in Mays Werk repetiere ich natürlich eine


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bekannte Einsicht; siehe Helmut Schmiedt: Helmers Home und zurück. Das Spiel mit Räumen in Karl Mays Erzählung >Der Geist des Llano estakado<. In: Jb-KMG 1982, Husum 1982, S. 60ff.

82 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 166 (siehe auch Anm. 69). Vgl. die Auffassung vom daran gekoppelten archaischen Urszenen-Drang und -Zwang in der Untersuchung von Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. In: Jb-KMG 1972/73. Hamburg 1972, S. 11-92, bes. S. 26-38.

83 Um Mays wegstrebende Annäherung an die poetische Insel-Vorstellung relativierend einzuordnen: Wie umgekehrt die Sehnsucht nach Abgeschiedenheit sich in stetem Umkreisen des Ur-Bilds von der Insel literarisch äußern kann, führt paradigmatisch das Werk von Maysantipodischem Freund Arno Schmidt vor Augen, was besonders tiefgreifend-nachdrücklich Hans Wollschläger herausgestellt hat (Hans Wollschläger: Die Insel und einige andere Metaphern für Arno Schmidt. In: Arno Schmidt Preis 1982 für Hans Wollschläger. Bargfeld 1982, S. 19-62). - Da ich in Anm. 41 bereits auf Hölderlins Insel-Ideen hingewiesen habe, auch hier der Hinweis auf eine psychobiographische Deutung bei Bertaux, wie Anm. 41, S. 446-468. - Generell zur Insel-Vorstellung in der deutschen Literatur siehe Horst Brunner: Die poetische Insel. Inseln und Inselvorstellungen in der deutschen Literatur. Stuttgart 1967.


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